[...] Die vorliegende Arbeit will die Bedeutung des Ordo-Gedanken, wie sie in den Gesprächen zwischen Vater und Sohn deutlich wird, herausarbeiten. Dazu sollen die Gespräche analysiert und interpretiert werden. Welche Rolle erfüllen beide Figuren im Hinblick auf die Lehre, die erteilt werden soll? Worin bestehen die Ordo-Verletzungen des jungen Helmbrecht und wie sind sie zu bewerten? Ist der Vater wirklich eine uneingeschränkt positive Figur, die den Gegenpol zum amoralischen Sohn bildet, oder ist er in die Kritik mit einbezogen? Das Handlungsmodell des Textes ist vom literarischen Vorbild des höfischen Romans bestimmt. Die Beutezüge Helmbrechts sind nach dem Vorbild der aventiure-Fahrten eines ritterlichen Helden gestaltet. Ohne das Modell des doppelten Cursus aus dem höfischen Roman überstrapazieren zu wollen, kann auch im „Helmbrecht“ eine Art doppelter Cursus ausgemacht werden. Der erste Cursus beschreibt die Phase vor Helmbrechts erstem Beutezug. Der zweite Cursus umfasst die Zwischenheimkehr und den zweiten Beutezug. Das Finale bildet die nach höfischem Vorbild abgehaltene Hochzeit Gotelints und Lemberslints, die dann in das eigentliche Finale, die Ergreifung der Verbrecher durch die Schergen und die Bestrafung Helmbrechts, übergeht. Diese Ähnlichkeit zum höfischen Roman ist freilich nur auf das Handlungsmodell bezogen. Inhaltlich findet geradezu eine Verkehrung des höfischen Romans statt. Helmbrecht sucht auf seiner „aventiure-Fahrt“ nicht den Kampf mit Rittern und ehrwürdigen Gegnern, sondern vergeht sich an Witwen und Waisen (1463ff.) sowie Frauen (677f.) und Kindern (1853ff.), also an jenen Gruppen, die in besonderer Weise unter dem Schutz der Waffentragenden stehen. Es gibt je nach Auffassung zwei oder vier Gespräche zwischen Vater und Sohn Helmbrecht. Das Gespräch vor dem Beutezug und das Gespräch bei der Zwischenheimkehr Helmbrechts kann jeweils in zwei Teile gegliedert werden. Der zweite Teil des Gesprächs stellt jedes Mal den Versuch des Vaters dar, den Sohn doch noch von seinem Vorhaben abzuhalten, zu einem Zeitpunkt, als dieser sich bereits zum Gehen gewandt hat. Die vorliegende Arbeit geht von vier Gesprächen zwischen Vater und Sohn aus. Ihre Analyse und Interpretation erfolgt in den Kapiteln 2.1. bis 2.4. Im Kapitel 2.2. findet anhand des Textes ein kurzer Exkurs zur Beziehung des Mære zur franziskanischen Predigt, wie sie von Berthold von Regensburg überliefert ist, statt. [...]
INHALT
1. Einleitung und Vorgedanken
2. Analyse und Interpretation der Gespräche zwischen Vater und Sohn
2.1. ordenunge kontra girischeit – Das erste Gespräch (226 – 388)
2.2. Vom rehten und unrehten tuon – Das zweite Gespräch (408 – 645)
2.3. Der Topos von der „guten alten Zeit“ – Das dritte Gespräch (904 – 1040)
2.4. Gewalt als Ordo-Verletzung – Das vierte Gespräch (1078 – 1292)
3. Die Mahnung zur ordenunge – ein Fazit
Bibliographie zum Thema
1. Einleitung und Vorgedanken
Das Mære vom Meier Helmbrecht stammt vermutlich aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. Verfasser ist Wernher der Gartenære. Dies wissen wir aus dem letzten Vers des Mære, in dem sich der Dichter selbst nennt, um, wie es in mittelalterlichen Texten häufig vorkommt, für sich Gottes Gnade zu erbitten. Darüber hinaus ist über den Verfasser wenig bekannt. Einige Forscher hielten ihn für einen Geistlichen, andere bezweifelten diese These wieder. Letztendlich muss akzeptiert werden, dass die Erstellung einer Dichterbiographie aufgrund des Mangels an historischen Zeugnissen, wie so häufig bei Verfassern mittelhochdeutscher Texte, unmöglich ist.[1]
Der mittelalterliche Ordo-Gedanke und die auf dieser Gesellschaftsordnung fußenden Rechtsvorstellungen sind das zentrale Thema des Mære. Eine lange Tradition hat deshalb auch die Auseinandersetzung mit dem „Helmbrecht“ aus rechtshistorischer Sicht. Nicht immer wurde dabei der literarische Charakter des Mære genügend beachtet. Ohne Zweifel besitzt die Erzählung auch einen hohen Quellenwert für Rechtshistoriker, dennoch weist Jan-Dirk Müller darauf hin, dass in literarischen Texten „weder soziale Strukturen oder Konflikte, noch kollektive Mentalitäten direkt greifbar“ werden.[2]
Das Mære vom Helmbrecht hat ohne Zweifel den Charakter einer Lehr- und Mahndichtung. Eine zentrale Rolle spielen hierfür die Gespräche zwischen Vater und Sohn Helmbrecht.
Traditionell wurde das Mære vom Helmbrecht als die Geschichte eines Aufsteigers gesehen, dessen Aufstiegswillen in der mittelalterlichen Gesellschaftsordnung kriminalisiert wird. Darüber hinaus wird in der Forschung eine Verbindung des Mære zu den franziskanischen Predigten des Berthold von Regensburg gesehen.
Die vorliegende Arbeit will die Bedeutung des Ordo-Gedanken, wie sie in den Gesprächen zwischen Vater und Sohn deutlich wird, herausarbeiten. Dazu sollen die Gespräche analysiert und interpretiert werden. Welche Rolle erfüllen beide Figuren im Hinblick auf die Lehre, die erteilt werden soll? Worin bestehen die Ordo-Verletzungen des jungen Helmbrecht und wie sind sie zu bewerten? Ist der Vater wirklich eine uneingeschränkt positive Figur, die den Gegenpol zum amoralischen Sohn bildet, oder ist er in die Kritik mit einbezogen?
Das Handlungsmodell des Textes ist vom literarischen Vorbild des höfischen Romans bestimmt. Die Beutezüge Helmbrechts sind nach dem Vorbild der aventiure-Fahrten eines ritterlichen Helden gestaltet. Ohne das Modell des doppelten Cursus aus dem höfischen Roman überstrapazieren zu wollen, kann auch im „Helmbrecht“ eine Art doppelter Cursus ausgemacht werden. Der erste Cursus beschreibt die Phase vor Helmbrechts erstem Beutezug. Der zweite Cursus umfasst die Zwischenheimkehr und den zweiten Beutezug. Das Finale bildet die nach höfischem Vorbild abgehaltene Hochzeit Gotelints und Lemberslints, die dann in das eigentliche Finale, die Ergreifung der Verbrecher durch die Schergen und die Bestrafung Helmbrechts, übergeht. Diese Ähnlichkeit zum höfischen Roman ist freilich nur auf das Handlungsmodell bezogen. Inhaltlich findet geradezu eine Verkehrung des höfischen Romans statt. Helmbrecht sucht auf seiner „aventiure-Fahrt“ nicht den Kampf mit Rittern und ehrwürdigen Gegnern, sondern vergeht sich an Witwen und Waisen (1463ff.) sowie Frauen (677f.) und Kindern (1853ff.), also an jenen Gruppen, die in besonderer Weise unter dem Schutz der Waffentragenden stehen.
Es gibt je nach Auffassung zwei oder vier Gespräche zwischen Vater und Sohn Helmbrecht. Das Gespräch vor dem Beutezug und das Gespräch bei der Zwischenheimkehr Helmbrechts kann jeweils in zwei Teile gegliedert werden. Der zweite Teil des Gesprächs stellt jedes Mal den Versuch des Vaters dar, den Sohn doch noch von seinem Vorhaben abzuhalten, zu einem Zeitpunkt, als dieser sich bereits zum Gehen gewandt hat. Die vorliegende Arbeit geht von vier Gesprächen zwischen Vater und Sohn aus. Ihre Analyse und Interpretation erfolgt in den Kapiteln 2.1. bis 2.4. Im Kapitel 2.2. findet anhand des Textes ein kurzer Exkurs zur Beziehung des Mære zur franziskanischen Predigt, wie sie von Berthold von Regensburg überliefert ist, statt. Im Kapitel 2.3. wird in einem knappen Exkurs auf eine Möglichkeit der zeitgenössischen Lesart des „Helmbrecht“ eingegangen.
Die Träume des Vaters, die er im zweiten Gespräch schildert, sollen nur am Rande erwähnt werden. Eine explizite Analyse und Interpretation der Träume würde die Frage nach der Bedeutung von Träumen in mittelalterlichen Texten einschließen und könnte so die Grundlage für einen eigene Arbeit bilden.
Zum Schluss des einleitenden Kapitels noch ein formaler Hinweis: Um Missverständnisse zu vermeiden, bezeichnet der Name Helmbrecht in der vorliegenden Arbeit immer der Sohn, es sei denn es ist explizit vom „Vater Helmbrecht“ die Rede.
2. Analyse und Interpretation der Gespräche zwischen Vater und Sohn
2.1. ordenunge kontra girischeit – Das erste Gespräch (226 – 388)
Nachdem die höfische Ausstattung und das höfische Aussehen des jungen Helmbrecht zu Beginn des Mære ausführlich geschildert wurde, kommt es zum ersten Gespräch zwischen Vater und Sohn. Mutter und Schwester haben einen großen Teil zur Ausstattung Helmbrechts beigetragen, nun fordert der Sohn von seinem Vater einen Hengst, um sein ritterliches Äußeres zu komplettieren. Der Sohn beginnt seine Rede mit folgenden Worten:
mîn wille mich hinz hove treit (226)
Es ist die für einen Bauern ferne und fremde Welt des Hofes, die den jungen Helmbrecht anzieht. Was er anstrebt, ist nicht ein wohlüberlegtes Überwinden von Standesschranken, vielmehr sind es die vermeintlichen Privilegien der hovewîse. Was er will, ist nicht ein Leben mit allen Rechten und Pflichten des Ritterstands, wie Georg Steer deutlich gemacht hat,[3] sondern die Verwirklichung eines Ritterlebens, wie es sich aus bäuerlicher Sicht darstellt.[4] Angetrieben ist er vom Neid auf jene Ritter, mit denen er in seinem bäuerlichen Leben in Berührung gekommen ist.
Der Vater erklärt sich bereit, dem Sohn einen Hengst zu kaufen, noch bevor er beginnt, den Sohn vor den Konsequenzen seiner Pläne zu warnen (235 – 241). Diese schnelle Zustimmung und die Bereitschaft, eine enorme Summe für den Hengst zu bezahlen und damit den Untergang des Sohnes zu befördern, muss verwundern. Zumal im weiteren Verlauf des Gespräches deutlich wird, wie präzise der Vater das Schicksal des Sohnes voraussieht. Dass für seine Bereitschaft, den Sohn zu unterstützen lediglich eine übergroße Vaterliebe und die Angst, Mutter und Schwester nachzustehen ursächlich sind, scheint fragwürdig. Wahrscheinlicher ist es, dass beim alten Helmbrecht im Bezug auf das Vorhaben seines Sohnes „eine Art Bewunderung und Billigung hinzukommt“.[5] Festzustellen ist jedoch, dass der Vater trotz seiner langen Mahnreden seine Erziehungspflichten und seine Muntgewalt gegenüber dem Sohn verletzt. Kritisiert wird also nicht nur der Sohn, der das vierte Gebot („Du sollst Vater und Mutter ehren“) missachtet, in dem er seinem Vater den Gehorsam schuldig bleibt, sondern auch der Vater, der sich unangemessen seinem Sohn gegenüber verhält.[6]
Die Mahnungen des Vaters, die nun folgen, sind zwar eindringlich, gehen aber über einen warnenden und bittenden Charakter nicht hinaus. Die Sitten des höfischen Lebens seien nicht leicht anzunehmen, wenn man nicht in sie hineingeboren sei, so der Vater (244 – 246). Eine Durchbrechung der Gesellschaftsordnung ist in den Augen des Vaters unmöglich. Ein Leben innerhalb der Ordnung führe dagegen zur Ehre (250/251). Der Vater preist das gute Tun, ein Leben ohne Hass, Neid und Verrat, wie er es selber geführt hat (253 – 258). Diese drei Schlagworte markieren programmatisch den hinter der Rede des Vaters stehenden Ordo-Gedanken. Er sieht im Streben des Sohnes einen Verrat am eigenen Stand und nennt mit Neid und Hass bereits die Ursachen für diesen Verrat: Neid auf diejenigen, welche die Privilegien der hovewîse genießen und Hass auf die eigenen Standesgenossen, ja auf den eigenen Platz in der gottgewollten Ordnung.
Der Sohn hält dem Vater entgegen, sein äußeres Erscheinungsbild passe nicht zu bäuerlicher Arbeit. Dieses Argument ist nicht so unbegründet, wie es aus heutiger Sicht erscheint. In mittelalterlichen Texten ist das Aussehen und die Kleidung von entscheidender Wichtigkeit für die Zuordnung zu den Ständen. Der Ritter definiert sich über eine reiche Rüstung und eine aufwendige Helmzier. Individuelle Merkmale, die in einer solchen Kleidung ohnehin schwer auszumachen sind, spielen eine untergeordnete Rolle. Der junge Helmbrecht entspricht in seiner reichen Kleidung (274), der Haube (275), die als Parodie auf die ritterliche Helmzier gedeutet werden kann,[7] und mit seinen langen Haaren (272) diesem ritterlichen Ideal. Ein wichtiger Teil für die Zugehörigkeit zum Ritterstand ist in ihm also erfüllt.
Der Vater argumentiert dagegen eher praktisch. Als Bauer hätte der Sohn materiell, durch den Hof als Nahrungsgrundlage, und bezüglich seines Status, durch die Heirat mit der Tochter eines Nachbarbauern, ausgesorgt und zöge daraus Vorteil (frum) und Ehre. Noch einmal verweißt er den Sohn auf dessen Platz innerhalb der Ordo:
dîn ordenunge ist der phluog (258)
Der Sohn könne sich in der höfischen Welt nicht behaupten, schon weil in der Vorstellung des Vaters ein eigenmächtiges Eingreifen in die Ordnung nicht gelingen kann. Er ist sich sicher, der Sohn würde zum Gespött der Ritter werden (262/263).
Der junge Helmbrecht argumentiert wieder mit seinem Äußeren: Man würde ihn nicht als fremd erkennen, entscheidend ist und bleibt in seinen Auge die Kleidung (319 – 321). Auch die in Aussicht gestellte Heirat mit der Tochter des Nachbarbauern weist Helmbrecht mit den Worten:
ich wil mich niht durch wîp verligen (328)
zurück. In dieser Formulierung erreicht der Übermut Helmbrechts einen Höhepunkt. Unfassbar klingt in den Ohren eines mittelalterlichen Rezipienten die Vorstellung, ein Bauer könne sich verligen, so wie der berühmte Artusritter Erec aus dem gleichnamigen höfischen Roman von Hartmann von Aue. Die Verblendung des Sohnes wird ein weiteres Mal deutlich, als er alle Einwände des Vaters ein letztes Mal zurückweisend ausruft:
ich muoz benamen in die büne (363)
[...]
[1] Hannes Kästner: ‚Fride und Reht’ im ‚Helmbrecht’. Wernhers Märe im Kontext zeitgenössischer Franziskanischer Gesellschafts- und Ordnungsvorstellungen. In: Wernher der Gartenære. Helmbrecht. Die Beiträge des Helmbrecht-Symposions in Burghausen 2001. Hrsg. von: Theodor Noll, Stuttgart 2001, S. 43.
[2] Jan-Dirk Müller: Die hovezuht und ihr Preis. Zum Problem höfischer Verhaltensregulierung in Ps.-Konrads ‚Halber Birne’. In: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein Gesellschaft, Bd. 3, 1984 / 1985, S. 284.
[3] Georg Steer: Rechtstheologische Implikationen der Helmbrecht-Dichtung Wernhers des Gartenære. In: Poesie und Gebrauchsliteratur im deutschen Mittelalter. Würzburger Colloquium 1979. Hrsg. von: Walter Honemann u.a., Tübingen 1979, S. 241.
[4] Bruno Boesch: Lehrhafte Literatur. Lehre in der Dichtung und Lehrdichtung im deutschen Mittelalter (Grundlagen der Germanistik 21), Berlin, 1977, S.59.
[5] Janz: Rez. zu Petra Menke, S. 407
[6] Ebd., S. 407
[7] Boesch: Lehrhafte Literatur, S. 59.
- Citar trabajo
- Lucas Glombitza (Autor), 2004, Zwischen Lehre und Predigt. Zum Ordo-Gedanken in den Gesprächen zwischen Vater und Sohn Helmbrecht im Mære von Wernher dem Gartenære., Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/40542
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