Marokko beschränkt sich für einen durchschnittlichen Westeuropäer auf einige wenige Eigenschaften: es liegt in Nordafrika; es ist ein arabisches, also sicherlich nicht demokratisches, freies Land; ein durchaus geeigneter Urlaubsort. Wegweisend für eine gespaltene Einschätzung sind vor allem Romane. Zahlreiche Reiseführer, die die Faszination der marokkanischen Gärten und exotische Gerichte anpreisen stehen Erfahrungsberichten von Frauen wie Malika Oufkir (2001), dessen angesehener Vater 1972 ein Attentat auf den König ausübte und deren Familie im Anschluss daran über Jahrzehnte hinweg verschleppt, eingekerkert und misshandelt wurde, und Ouarda Saillo (2004), dessen Vater ihre Mutter bei lebendigem Leib verbrannte und die selbst über Jahre misshandelt und gedemütigt wurde, gegenüber. Doch sind solche Verbrechen in Marokko die tägliche Praxis? Waren diese Ereignisse nur ein Spiegel der damaligen Zeit? Erfuhr das Land eine politische Änderung? Aufgabe dieser Arbeit soll eine Auseinandersetzung mit der marokkanischen Verfassung, den verfassungsmäßig festgelegten Machtkonstellationen sowie deren tatsächlicher Umsetzung sein, um zu ergründen, inwieweit Marokko wirklich negativen Vorurteilen entspricht. Zunächst wird dazu die verfassungsgeschichtliche Entwicklung ins Auge gefasst, woraufhin im Anschluss die aktuelle Verfassung vom 13. September 1996 analysiert wird. Um die realen Verhältnisse nachzuvollziehen, soll daran anschließend die Rolle der politischen Parteien und Wahlen und vor allem die Gewährleistung von Menschenrechten dargestellt werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Verfassungsentwicklung
EXKURS: Westsahara-Konflikt
3. Verfassungsaufbau
3.1 Grundprinzipien
3.2 Monarchie
3.3 Parlament und Justiz
3.4 Regierung
3.5 Gesetzgebungsprozess und Beziehungen zwischen den Organen
3.6 Verfassungsrat, Hoher Gerichtshof, Wirtschafts- und Sozialrat, Rechnungshof
3.7 Verfassungsänderung
4. Verfassungswirklichkeit
4.1 Wahlen und Parteien
4.2 Menschenrechte
5. Schlussbemerkung
Abbildungen
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Anhang: The Constitution adopted on September 13th, 1996
Die Verfassung des Königreichs Marokko
1. Einleitung
Marokko beschränkt sich für einen durchschnittlichen Westeuropäer auf einige wenige Eigenschaften: es liegt in Nordafrika; es ist ein arabisches, also sicherlich nicht demokratisches, freies Land; ein durchaus geeigneter Urlaubsort.
Wegweisend für eine gespaltene Einschätzung sind vor allem Romane. Zahlreiche Reiseführer, die die Faszination der marokkanischen Gärten und exotische Gerichte anpreisen stehen Erfahrungsberichten von Frauen wie Malika Oufkir (2001), dessen angesehener Vater 1972 ein Attentat auf den König ausübte und deren Familie im Anschluss daran über Jahrzehnte hinweg verschleppt, eingekerkert und misshandelt wurde, und Ouarda Saillo (2004), dessen Vater ihre Mutter bei lebendigem Leib verbrannte und die selbst über Jahre misshandelt und gedemütigt wurde, gegenüber. Doch sind solche Verbrechen in Marokko die tägliche Praxis? Waren diese Ereignisse nur ein Spiegel der damaligen Zeit? Erfuhr das Land eine politische Änderung?
Aufgabe dieser Arbeit soll eine Auseinandersetzung mit der marokkanischen Verfassung, den verfassungsmäßig festgelegten Machtkonstellationen sowie deren tatsächlicher Umsetzung sein, um zu ergründen, inwieweit Marokko wirklich negativen Vorurteilen entspricht.
Zunächst wird dazu die verfassungsgeschichtliche Entwicklung ins Auge gefasst, woraufhin im Anschluss die aktuelle Verfassung vom 13. September 1996 analysiert wird. Um die realen Verhältnisse nachzuvollziehen, soll daran anschließend die Rolle der politischen Parteien und Wahlen und vor allem die Gewährleistung von Menschenrechten dargestellt werden.
2. Verfassungsentwicklung
Seit dem Jahre 788 nach Christus beherrschten wechselnde Dynastien marokkanische Gebiete bis im Jahre 1664 das Land unter einem alaouitischen Scharifen vereinigt wurde. Das Sultanat blieb bis zum 30. März 1912 bestehen, nachdem durch einen schwachen Herrscher, enorme Auslandsschulden und Stammeskriege verschuldet, ein Vertrag zur Errichtung eines französischen Protektorats unterzeichnet wurde und der Norden an Spanien abgegeben wurde. Doch die Staatsstruktur blieb, im Gegensatz zu anderen Kolonien wie Algerien, weitgehend erhalten und die Protektormächte dienten zur langfristigen Befriedung des Landes. Als sich immer größerer Widerstand verbreitete, wurde im August 1953 Sultan Mohammed V. und seine Familie nach Madagaskar ins Exil verbannt. Die Bevölkerung sah ihren Sultan als Märtyrer und Heiligen und erzwang im November 1954 dessen Rückkehr und zwei Jahre später, am 02. März 1956, die Unabhängigkeit von Frankreich und Spanien. (vgl. hierzu Long/Reich 2002: 392-395, Baumann/Ebert 1995: 455-456, dtv-Atlas Weltgeschichte 2000, Mattes 1992: 59)
Direkt nach Erreichen der Unabhängigkeit etablierte der Sultan ein theokratisches System, was dem Sultanat der Vorkolonialzeit sehr ähnlich war, und verfügte somit über das Monopol der Gesetzgebung, obwohl sich zwischenzeitlich einige Parteien gebildet hatten (Faath/Mattes 1992: 62, 369). Ein Jahr später, im August 1957, erklärte sich der Sultan zum König, führte die Erbmonarchie ein und baute seine Machtposition somit weiter aus. Im Mai 1960 entließ er das königliche Kabinett sowie die von ihm selbst vier Jahre zuvor ins Leben gerufene Assemblée Nationale Consultative und machte sich selbst zum Premierminister (Long/Reich 2002: 395).
Als am 26. Februar 1961 König Mohammed V. starb, folgte auf ihn am 3. März des selben Jahres sein Sohn Hassan II., der nur drei Monate später ein Grundgesetz erließ, dass Marokko zu einem arabischen und islamischen Königreich erklärte und die Einrichtung einer konstitutionellen Monarchie beabsichtigte (Baumann/Ebert 1995: 457). Am 7. Dezember des Jahres 1962 folgte die Verabschiedung der ersten Verfassung durch eine 99%ige Mehrheit im Volksreferendum (Hegasy 1997: 62). In ihr wurde die Einrichtung der konstitutionellen Monarchie, eines Zweikammerparlamentes (House of Representatives & House of Counsellors), ein verfassungsmäßig verankertes Mehrparteiensystem, sowie ein allgemeines Wahlrecht für marokkanische Staatsbürger festgeschrieben. Hier manifestierte sich die herausragende Stellung des Königs vor allem durch die Verteilung der Exekutivmacht: die Befehlsgewalt über die Armee, sowie die Ernennung von Militär- und Staatsangestellten lag ausschließlich beim König, während selbst Erlässe und Verordnungen des Premierministers vom jeweiligen Fachminister gegengezeichnet werden mussten (Faath 1992: 369)
Nach beträchtlichen Unruhen in Casablanca im Jahre 1965, verhängte der König am 7. Juni den Ausnahmezustand als Teile des Parlamentes ihm die Kooperation verweigerten (Long/Reich 2002: 396). Er regierte fortan allein ohne Regierung oder Parlament, welche allerdings auch im Vorfeld nur über äußerst eingeschränkte Kompetenzen verfügten.
Am 24. Juli 1970 wurde vom Volk die zweite Verfassung mit 98,8% der Stimmen per Referendum verabschiedet. Sie reduzierte das Parlament auf eine einzige Kammer, die sich nach unterschiedlichen Angaben zur Hälfte (Long/Reich 2002: 397) bzw. nur zu einem Drittel (Baumann/Ebert 1995: 460) durch allgemeine Wahlen und zum Übrigen durch Abgesandte der Verbände, Kommunen etc. zusammensetzte. Nun lag die gesamte Exekutive beim König, der nicht nur über das alleinige Initiativrecht für Verfassungsänderungen, sondern auch über die Macht verfügte, Gesetzesentwürfe dem Volk ohne Behandlung durch das Parlament zur Entscheidung vorzulegen. Am 10. Juli 1971 erfolgte ein Putschversuch gegen den König auf den hin wiederum der Ausnahmezustand ausgerufen wurde (Mattes 1992: 55). Dieser wurde ein dreiviertel Jahr später, am 1. März 1972, durch eine neue Verfassung abgelöst. Zwei Drittel der Abgeordneten sollten demnach durch allgemeine Wahlen eingesetzt werden. Ihre Mandatszeit wurde auf vier Jahre festgesetzt und das Parlament erhielt mehr Kompetenzen, wie z.B. die Zustimmungspflichtigkeit des Regierungsprogramms (Faath 1992: 370). Des Weiteren wurde dem König das Monopol der Verfassungsinitiative genommen. Doch auch diese Zugeständnisse Hassans II. mündeten in einen Putschversuch im August 1972. Studentenunruhen schlossen sich an. Um die politischen Begleitumstände der Zeit zu verdeutlichen soll hier ein kurzer Exkurs Anwendung finden.
EXKURS: Westsahara-Konflikt
Während die Truppen Hassan II. schon am 31.10.1975 die Grenzen zur Westsahara überschritten, folgten ab dem 5. November mehr als 300.000 Menschen des „Grünen Marsch“. Offiziell um die Saharawi im Kampf um die Autonomie von Spanien zu unterstützen, handelte es sich in Wahrheit vor allem um eigene Besitzansprüche Marokkos auf das Westsahara-Territorium, die zum Einsatz solcher Mittel führten. Hassan II. erfährt eine breite Unterstützung der Bevölkerung. Im November 1975 zog sich Spanien aus der Westsahara zurück und übergab die Verwaltungshoheit Marokko und Mauretanien. Beide Länder besetzten das Land. Die POLISARIO-Front, die Unabhängigkeitsbewegung der Westsahara, leistete erbitterten Widerstand. 1979 unterschrieb Mauretanien einen Waffenstillstand, doch Marokko erreichte bis 1988 gegen internationalen Widerstand die Besetzung eines Großteils des Gebietes. Drei Jahre später trat ebenfalls ein Waffenstillstand in Kraft, doch im Gegensatz zu Mauretanien behielt Marokko das Gebiet besetzt. Ein für den Januar 1992 angesetztes Referendum der Bevölkerung zur Unabhängigkeitsfrage wurde durch das Übersiedeln Tausender Marokkaner verschoben. In den weiteren Jahren fanden sich die verschiedensten Gründe zur weiteren Verspätung des Referendums, während Marokko auf seinen Ansprüchen beharrte und die SADR, so der offizielle Name des Westsahara-Staates, eigenständige diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen aufbaute. Am 06. November 2002 äußerte sich der König über einen UN Siedlungsplan, er sei obsolet und nicht anwendbar. Des Weiteren wurde eine Autonomie in Aussicht gestellt unter der Bedingung, dass die Westsahara ein Teil Marokkos würde. Ein Ende dieses Streits ist nicht abzusehen, obwohl die Zustimmung der marokkanischen Bevölkerung aufgrund der Menschenverluste wie auch der fortwährenden Spannung stetig sinkt. (Western Sahara Online 2005)
Im Jahre 1980 wurden kleinere Änderungen der Verfassung verabschiedet. Die Volljährigkeit des Königs wurde festgeschrieben sowie die Mandatszeit der Abgeordneten auf sechs Jahre erhöht. Außerdem wurde die Legislaturperiode um zwei Jahre auf den Oktober 1983 verlängert. Arbeitslosigkeitsraten von bis zu 40% erzeugten 1981 Unruhen in Casablanca bis hin zu deren Verbreitung in allen größeren Städten Anfang des Jahres 1984. Die für 1983 anberaumten Wahlen wurden vom König auf den Oktober 1984 verschoben; in der Zwischenzeit regierte er ohne Parlament und Regierung. Die anschließenden Wahlen schienen fair, doch das daraus resultierende Parlament hatte nur wenig Einfluss auf die alltägliche Politik (Long/Reich 2002: 401,402). 1989 wurde die Legislaturperiode durch Volksentscheid bis 1992 verlängert, woraufhin auch tatsächlich Wahlen stattfanden.
Im September 1992 legte der König eine Verfassungsänderung dem Volk, mit Erfolg, zur Entscheidung vor. Sie beinhaltete die Bekennung zu den allgemeinen Menschenrechten und eine Stärkung des Premierministers. Die Möglichkeit zur Einrichtung von Untersuchungsausschüssen, sowie die Schaffung eines Verfassungsrates und eines Wirtschafts- und Sozialrates wurden etabliert. Dennoch blieb die Zusammensetzung der Regierung unabhängig von den Wahlergebnissen.
Am 13. September 1996 wurde die bis zum heutigen Tage gültige Verfassung verabschiedet. Sie sah die „Wieder-Einrichtung“ eines Zweikammersystems, deren Abgeordnetenhaus direkt gewählt wird, sowie die Einrichtung eines nationalen Rechnungshofes und lokalen Rechnungshöfen vor. Am 23.7.1999 starb König Hassan II. Eine Woche darauf trat sein Sohn Mohammed VI. als Thronfolger sein Erbe an. Dieser betreibt eine weitgehende Öffnung zum Westen hin und setzte sich die Ziele der „Armutsbekämpfung, Emanzipation der Frau und Durchsetzung des Rechtsstaates“ (Hegasy 2001: 29). Über dessen Ergebnisse wird an späterer Stelle berichtet.
3. Verfassungsaufbau
Hier soll nun die marokkanische Verfassung vom 13. September 1996 überblicksartig dargestellt werden. Um dies zu erleichtern, soll im Wesentlichen der verfassungsmäßigen Gliederung gefolgt werden (siehe Anhang).
3.1 Grundprinzipien
Marokko statuiert sich in seiner Präambel als souveränes Königreich, das sich als Teil größerer Staatengebilde sieht. Zu nennen sind hier die arabische und islamische Zugehörigkeit (der Islam ist Staatsreligion (Art. 6)) sowie auch die Einordnung als Teil des Maghreb und Afrikas. Des Weiteren wird auf die Verpflichtungen durch die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen und das Bekenntnis zu den allgemeinen Menschenrechten hingewiesen. Schließlich wird die Entschlossenheit zum Erhalt und zur Sicherung des Friedens in der Welt bekräftigt. Schon hier muss der Westsahara-Konflikt Zweifel aufkommen lassen, widersetzt sich Marokko doch schon seit Jahrzehnten den betreffenden UN-Resolutionen.
Marokko soll nach Artikel 1 der Verfassung eine demokratische, soziale und konstitutionelle Monarchie bilden, die zudem über ein verfassungsmäßig verankertes Mehrparteiensystem verfügt (Art. 3).
In einer konstitutionellen Monarchie wird die Macht des Monarchen durch eine Verfassung eingeschränkt. Die Gesetzgebung wird, unter Umständen nur zum Teil, von einem Parlament wahrgenommen. Des Weiteren obliegt die Ernennung und Entlassung der Regierung häufig dem Herrscher. (Wikipedia 2005) All das liegt im Fall Marokkos vor. Was aber macht einen Staat demokratisch? Nach Montesquieu muss das Volk die Legislativgewalt besitzen indem es durch öffentliche Wahlen über die Gesetzgebung entscheidet (Schmidt 2000: 77). Dies erfüllt die marokkanische Verfassung in ihrem zweiten Artikel: „Die Souveränität liegt bei der Nation, die sie direkt durch Volksentscheid oder indirekt durch Verfassungsorgane ausübt.“ Wahlberechtigt sind zudem allen volljährigen Bürger in Besitz ihrer politischen und bürgerlichen Rechte (Art. 8). Außerdem sollte das Mehrheitsprinzip gelten, was durchaus kritisch betrachtet werden muss wie später gezeigt wird. Der soziale Aspekt zeigt sich in der Garantie von Gleichheits- und Freiheitsgrundrechten. Artikel 5 gewährleistet die Gleichheit vor dem Gesetz, ebenso wie Artikel 8 gleiche politische Rechte für Männer und Frauen. Des Weiteren soll gleicher Zugang zu öffentlichen Ämtern bestehen (Art. 12). Die Verfassung garantiert eine große Anzahl an Freiheitsgrundrechten: die Glaubensfreiheit (Art. 6), Freizügigkeit, die Meinungs- und Redefreiheit, wie auch die Versammlungs- und Vereinsfreiheit (Art. 9). Die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 10) und das Briefgeheimnis (Art. 11) werden ebenso miteinbezogen wie die Garantie des Streikrechts (Art. 14) und des Eigentums (Art. 15). Gleiche Rechte auf Ausbildung und Arbeit (Art. 13) sollen die soziale Gerechtigkeit erhöhen.
Nichtsdestotrotz bestehen für den Bürger auch Pflichten: die Verteidigung des Landes (Art. 16), die solidarische Aufbringung von öffentlichen Kosten (Art. 17) und Kosten für nationale Katastrophen (Art. 18).
3.2 Monarchie
König Mohammed VI. ist der „Amir Al-Muminin“ (Fürst der Gläubigen) (Art. 19). Er ist Teil der alaouitischen Dynastie und somit ein Nachkomme des Propheten Mohammed (Herzog 1990: 112-117). Er wird zum „Stellvertreter Gottes auf Erden“ (Faath 1992: 367) wodurch das Volk nicht mehr in seiner Funktion als Staatsbürger begriffen wird, sondern als Gläubige, die ihrem Vertreter Gottes folgen. Der König ist der höchste Repräsentant der Nation und ein Symbol der Einheit dieser (Art. 19). Ebenso ist für viele Marokkaner die Monarchie noch eng mit dem Kampf um Unabhängigkeit verknüpft (Long/Reich 2002: 410). Durch seine religiöse Legitimierung und die Tatsache, dass er über die Achtung des Islam und der Verfassung wachen soll (Art. 19), richtet die Bevölkerung die Erwartung an den König, notwendige, positive Veränderungen von oben her einzuleiten (Faath 2000: 149). Dies spiegelt sich in der Formulierung des Artikels 19 wider: der König ist der Garant des Fortbestandes und der Kontinuität des Staates; er ist der Beschützer der Rechte und Freiheiten der Bürger. Wesentlich für die Stellung des Königs ist zudem seine Unverletzlichkeit und Heiligkeit (Art. 23), die sich direkt auf die Rede- und Meinungsfreiheit, wie auch auf Rechte der Abgeordneten auswirkt.
In den Aufgabenbereich des Königs fallen vielfältige Gebiete. Seiner konstitutionellen Rolle entsprechend ernennt und entlässt er den Ministerpräsidenten und nach dessen Vorschlag die Minister (Art. 24). Er ernennt jegliche zivile und militärische Ämter (Art. 30) und Richter (Art. 33 und 84). Der König verkündet ebenso die Gesetze (Art. 26) wie er das Begnadigungsrecht ausübt (Art. 34). Dies macht ihn einem Premierminister nicht unähnlich, doch dieser verfügt nicht über den Scharifischen Dahir (Art. 29). Durch dieses Mittel kann der König die verschiedensten Handlungen realisieren wie z.B. die Verhängung des Ausnahmezustandes (Art. 35) verbunden mit der Macht alle notwendigen Maßnahmen zur Abwendung der Krise zu unternehmen. Dieser Ausnahmezustand bewirkt jedoch nicht die Auflösung des Parlaments. Dieses kann, nach formeller Rücksprache mit den Parlamentspräsidenten, aufgelöst werden und die gesamte Legislative geht auf den König über (Art. 27 i.V.m. Art. 71 und 73). Dieser Zustand soll höchstens drei Monate dauern; bis ein neues Parlament gewählt wurde. Diesen Zusatz scheinen die Erfahrungen aus den Jahren 1965 bis 1970 und 1971 gebracht zu haben, in denen Hassan II. allein regierte.
Der König ist außerdem Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Art. 30) und übt ein Initiativrecht für parlamentarische Untersuchungsausschüsse aus (Art. 42). Er verfügt demnach über einen großen Teil der Exekutivmacht. Wichtiger Faktor für die Mitbestimmung bzw. auch Überwachung der staatlichen Aktivitäten ist sein Vorsitz im Justizrat, im Rat für Bildung und im Rat für nationale Entwicklung (Art. 32). Der König ist zudem Vorsitzender des Ministerrates; die Ministerien des Auswärtigen, des Inneren, der Justiz und der Islamangelegenheiten unterstehen ihm direkt (Senkyr 2002: 73).
In Marokko herrscht eine Erbmonarchie. Die Thronfolge richtet sich nach der direkten männlichen Linie der Nachkommen (Art. 20). Wird der Thronfolger vor Erreichen des 16. Lebensjahres zum König, übt ein Regentschaftsrat die Vollmachten und Rechte des Königs aus, ausgenommen das Recht auf Verfassungsänderungen (Art. 21). Ab dem 16. Geburtstag bis zum Erreichen des 20. Lebensjahres wirkt der Regentschaftsrat als Konsultativorgan für den jungen König. Der Rat setzt sich zusammen aus dem ersten Präsidenten des Hohen Gerichtshofes, den beiden Präsidenten des Parlamentes, dem Vorsitzenden des Regionalrates der Ulama der Städte Rabat und Salé und aus zehn weiteren Personen, die durch den König frei bestimmt werden. Die Anwesenheit von Repräsentanten der Liga der Ulama, welche ein offizielles staatliches Organ der marokkanischen Religionsgelehrten darstellt, lässt sich dadurch erklären, dass der König als „Führer der Gläubigen“ ab seiner Volljährigkeit den Vorsitz der Ulama innehat und somit schon früh eng mit der Liga verknüpft werden soll.
Dieser Fall eines unmündigen Königs ist aber bis zum heutigen Tage noch nicht eingetreten.
3.3 Parlament und Justiz
Das marokkanische Parlament setzt sich aus zwei Kammern zusammen (Art. 36). Die erste Kammer bildet das Abgeordnetenhaus (House of Representatives, Art. 37). Es umfasst 325 Sitze, die in allgemeinen direkten Wahlen vom gesamten Volk gewählt werden. Doch nur 295 der Mandate werden direkt gewählt; 30 werden über eine nationale Frauenliste vergeben. Die Mandatszeit der Abgeordneten beträgt sechs Jahre. Der Präsident des Abgeordnetenhauses wird auf drei Jahre zu Beginn der Legislaturperiode gewählt. Präsidiumsmitglieder hingegen erhalten ihren Posten auf nur ein Jahr begrenzt. Die Zusammensetzung des Präsidiums soll zudem die Verteilung der Parteien im Abgeordnetenhaus widerspiegeln.
Voraussetzung zur Erlangung eines Mandats ist die Zugehörigkeit zu einer staatlich anerkannten Partei. Dies wurde im Januar 1984 festgelegt. Des Weiteren gelten als Bedingungen für die Anerkennung einer Partei seit den Wahlen im Jahre 1997: „1. Anerkennung der Königs und seines Status als religiöser Führer, 2. Ablehnung von Gewalt, 3. Anerkennung des malekitischen Islam als der offiziellen Islamvariante“ (Senkyr 2003: 69).
Zum Rechtsstatus des Abgeordneten zählen das freie Mandat, die Indemnität und die Immunität. Das freie Mandat begründet sich durch den Umstand, dass der Abgeordnete sein Mandat von der Nation erhält (Art. 36). Es ist persönlich und kann somit nicht delegiert werden. Indemnität (Art. 39) wird insofern geleistet, als dass Abgeordnete nicht verfolgt, verhaftet und vor Gericht gestellt werden dürfen für Äußerungen oder Handlungen, die in Ausübung der parlamentarischen Pflichten statt fanden. Ausnahme bilden jedoch solche Aktivitäten, die sich gegen die Monarchie, den Islam und die Person des Königs richten. Immunität gilt für den Abgeordneten soweit ihm diese nicht durch das Parlament entzogen wurde und er nicht auf frischer Tat ertappt wurde. Außerhalb der Sitzungsperioden reicht sogar die Zustimmung des Präsidiums um die Immunität aufzuheben.
Die zweite Kammer des Parlamentes besteht aus der Rätekammer (House of Counsellors, Art. 38). Sie setzt sich zu zwei Fünfteln aus Vertretern der Berufsverbände und Gewerkschaften und zu drei Fünfteln aus durch regionale Wahlkomitees Gewählte zusammen. Die Rätekammer verfügt über 270 Sitze, deren Inhaber auf je neun Jahre gewählt werden. Alle drei Jahre wird ein Drittel der Kammer ausgewechselt. Der Präsident der Rätekammer wird ebenso wie der Präsident des Abgeordnetenhaus auf drei Jahre gewählt. Die Mitglieder des Präsidiums verfügen über die gleiche Verweildauer im Amt. Wiederum soll die Verteilung im Präsidium mit den Proportionalitäten der Interessengruppen in der Kammer übereinstimmen.
Für die Mandatsträger der Rätekammer gilt ebenfalls die Einrichtung des Freien Mandats, der Indemnität und der Immunität. Ein wenig eigenartig scheint jedoch, dass durch ein Mandat, welches auf der einen Seite durch Sendung von Vertretern durch Organisationen und auf der anderen Seite über die Auswahl durch Wahlkomitees, deren Zusammensetzung dem Verfasser aufgrund der Quellenlage nicht bekannt ist, vergeben wird, ein direkter Bezug zum Volk hergestellt werden soll.
Das Parlament verfügt über sehr eingeschränkte Möglichkeiten auf den politischen Willensbildungsprozess einzuwirken. Es besitzt eine Gesetzgebungsfunktion, welche auf bestimmte Bereiche beschränkt ist (Art. 46). Zu ihnen gehören die in den Grundprinzipien festgelegten individuellen und kollektiven Rechte, sowie die Bestimmung der Gesetzesverletzungen und deren Strafen. Die Festlegung des Status und ggf. der Privilegien, die öffentlichen Bediensteten, Richtern und militärischen Beamten gewährt werden, zählen ebenso dazu wie das Zivilprozess-, Strafprozess-, Schuld-, und Handelsrecht. Des Weiteren darf über das Wahlrecht der lokalen Regierungen, die Schaffung von öffentlichen Agencies und die Verstaatlichung bzw. Privatisierung von Betrieben entschieden werden. Außerdem dürfen allgemeine wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rahmengesetze erwirkt werden.
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- Quote paper
- Sabrina Daudert (Author), 2005, Die Verfassung des Königreichs Marokko, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/40535
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