Mein Nachbar ist gehörlos, Analphabet und kann weder sprechen noch gebärden, sich nur im engsten Familienkreis notdürftig verständigen. Als er mit acht Jahren in Folge einer Viruserkrankung das Gehör verlor, nahmen ihn seine Eltern aus der Schule und behielten ihn im Haus. Sie empfanden es als Schande, ein gehörloses Kind zu haben, deshalb sollte es der Öffentlichkeit möglichst verborgen bleiben. Das liegt jetzt fast sechzig Jahre zurück. Inzwischen gibt es das Bundesgleichstellungsgesetz vom 1.5.2002, das die Gebärdensprache als eigenständige Sprache anerkennt. Auch die zunehmende Präsenz von Gehörlosen in den Medien (wie z.B. in dem Film „Jenseits der Stille“, im „Tatort“ oder durch Gebärdensprachdolmetscher in der Nachrichtensendung „Phönix“ oder durch die Sendung für Gehörlose von Gehörlosen „Sehen statt Hören“) zeigt, dass sich das Bild der Gehörlosen in der Öffentlichkeit gewandelt hat. Ein Schicksal wie das meines Nachbarn ist heute in der Bundesrepublik nicht mehr vorstellbar.
Neue Erkenntnisse in der Gebärdensprach-Forschung und ein damit zusammenhängendes neues Selbstverständnis der Gehörlosen haben dazu geführt, dass Gehörlosigkeit immer häufiger nicht nur aus pathologischer Sicht betrachtet wird. Die Gehörlosen haben ein positives Selbstbewusstsein entwickelt, das das Ausmaß der Hörschädigung in den Hintergrund treten lässt. Sie sehen sich weniger als Menschen mit Behinderung, sondern vielmehr als Teil einer eigenen kulturellen Gemeinschaft.
Beobachtet man Gehörlose, die ihre Gehörlosigkeit nicht verleugnen, in einer hörenden Umgebung, z.B. eine Gruppe gebärdender junger Erwachsener im Zug, ist zu beobachten, dass sich das positive Selbstbild der Gehörlosen auch auf die Hörenden überträgt, die ihnen begegnen. Von anfänglich befremdeter Neugier wechseln die Blicke der Hörenden meist rasch zu fasziniertem Interesse, mit dem die in der Regel intensive und lebendige gebärdensprachliche Konversation verfolgt wird.
Inhalt
1 Einleitung
2 Die Lebenswelt Gehörloser
2.1 Kultur
2.1.1 Eine Begriffsdefinition
2.1.2 Die Kultur der Gehörlosen
2.2 Die Gehörlosengemeinschaft
2.2.1 Die Zugehörigkeit zur Gehörlosengemeinschaft
2.2.2 Der Gehörlosenverein
3 Die kulturellen Merkmale der Gehörlosengemeinschaft
3.1 Die Gebärdensprache
3.2 Die Sprach- und Verhaltenskonventionen Gehörloser
3.2.1 Konversationsverhalten
3.2.2 Informationsaustausch
3.2.3 Entscheidungen
3.2.4 Namensgebärden
3.2.5 Kennenlernen
3.2.6 Zeit
3.3 Die Kunst Gehörloser
4 Der Stellenwert der Gehörlosengemeinschaft für die Identitätsbildung
4.1 Identität
4.2 Die Entwicklung der Identität bei Gehörlosen
4.2.1 Die Bedeutung der Sprache
4.2.2 Die individuellen Voraussetzungen
4.2.3 Die Bedeutung der Gemeinschaft
5 Die Konsequenzen für die pädagogische Förderung
6 Schlussbetrachtung
7 Literatur
1 Einleitung
Mein Nachbar ist gehörlos, Analphabet und kann weder sprechen noch gebärden, sich nur im engsten Familienkreis notdürftig verständigen. Als er mit acht Jahren in Folge einer Viruserkrankung das Gehör verlor, nahmen ihn seine Eltern aus der Schule und behielten ihn im Haus. Sie empfanden es als Schande, ein gehörloses Kind zu haben, deshalb sollte es der Öffentlichkeit möglichst verborgen bleiben. Das liegt jetzt fast sechzig Jahre zurück. Inzwischen gibt es das Bundesgleichstellungsgesetz vom 1.5.2002, das die Gebärdensprache als eigenständige Sprache anerkennt. Auch die zunehmende Präsenz von Gehörlosen in den Medien (wie z.B. in dem Film „ Jenseits der Stille “, im „ Tatort“ oder durch Gebärdensprachdolmetscher in der Nachrichtensendung „ Phönix “ oder durch die Sendung für Gehörlose von Gehörlosen „ Sehen statt Hören “) zeigt, dass sich das Bild der Gehörlosen in der Öffentlichkeit gewandelt hat. Ein Schicksal wie das meines Nachbarn ist heute in der Bundesrepublik nicht mehr vorstellbar.
Neue Erkenntnisse in der Gebärdensprach-Forschung und ein damit zusammenhängendes neues Selbstverständnis der Gehörlosen haben dazu geführt, dass Gehörlosigkeit immer häufiger nicht nur aus pathologischer Sicht betrachtet wird. Die Gehörlosen haben ein positives Selbstbewusstsein entwickelt, das das Ausmaß der Hörschädigung in den Hintergrund treten lässt. Sie sehen sich weniger als Menschen mit Behinderung, sondern vielmehr als Teil einer eigenen kulturellen Gemeinschaft.
Beobachtet man Gehörlose, die ihre Gehörlosigkeit nicht verleugnen, in einer hörenden Umgebung, z.B. eine Gruppe gebärdender junger Erwachsener im Zug, ist zu beobachten, dass sich das positive Selbstbild der Gehörlosen auch auf die Hörenden überträgt, die ihnen begegnen. Von anfänglich befremdeter Neugier wechseln die Blicke der Hörenden meist rasch zu fasziniertem Interesse, mit dem die in der Regel intensive und lebendige gebärdensprachliche Konversation verfolgt wird.
In der Gruppe können sich die Gehörlosen als individuelle Persönlichkeiten darstellen, die sich in erster Linie durch eine andere Sprache und Kultur und weniger durch ihre Behinderung von den anderen unterscheiden.
Solchen Beobachtungen aber steht die Erfahrung gegenüber, dass viele Hörende, deren Einstellung und Entscheidung großen Einfluss auf das künftige Leben eines gehörlosen Kindes haben (Eltern, Ärzte und zum Teil auch Lehrer), sich oft dagegen wehren, den Kindern das Erlernen der Gebärdensprache und den Kontakt zu anderen Gehörlosen zu ermöglichen. Sie können sich nicht vorstellen, dass die Gebärdensprache und der Kontakt zu anderen Gehörlosen für die Persönlichkeitsentwicklung dieser Kinder wichtig sein könnte. Stattdessen befürchten sie, durch solchen Kontakt würde es den Kindern noch schwerer, ein einigermaßen „normales“ Leben führen zu lernen.
Ziel und Intention dieser Arbeit ist es deshalb, durch die Beschreibung der Gehörlosenkultur einen Anreiz dafür zu geben, dass gehörlose Kinder in der pädagogischen Förderung nicht nur dabei unterstützt werden, sich in der Welt der Hörenden zurechtzufinden, sondern dass ihnen auch die Welt der Gehörlosen eröffnet wird, so dass sie die Möglichkeit bekommen, sich zu entscheiden, bzw. beide Welten als Teil von sich anzunehmen.
Sinn und Zweck dieser Arbeit ist es also nicht, die kontroverse Diskussion um die Anerkennung der Gehörlosen als kulturelle Gruppe und um die Verwendung der Gebärdensprache in der pädagogischen Förderung gehörloser Kinder weiterzuführen. Diese Arbeit will Gehörlose in ihrer kulturellen Besonderheit darstellen und die wichtige Rolle ihrer Kultur und Gemeinschaft im Leben Gehörloser in einer hörenden Welt deutlich machen. Da ein empirisches Vorgehen im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich war, stützt sich die Arbeit (auch bei der Beschreibung der Kultur und des Gemeinschaftslebens) auf eine Auswertung einschlägiger Untersuchungen und Erfahrungsberichte. Diese stammen vornehmlich aus den USA, wo die Forschung im Hinblick auf Gebärdensprache, Kultur und Gemeinschaft Gehörloser weiter fortgeschritten ist als in Europa. Die dort dargelegten Beobachtungen decken sich weitgehend mit entsprechenden Ausführungen in einzelnen Schriften aus Frankreich und England (Vgl. Kyle. 1990; Grosjean. 1994; Bouchauveau. 1994) sowie mit meinen eigenen punktuellen Erfahrungen im Kontakt mit Gehörlosen in Deutschland und Frankreich. Das berechtigt zu der Annahme, dass sich die in der amerikanischen Literatur dargestellten Merkmale auf Gehörlosenkulturen in den verschiedensten Ländern, insbesondere in den westlichen europäischen, übertragen lassen. So wird im Folgenenden nicht explizit von den Gehörlosen des jeweiligen Landes, aus dem die Autoren berichten, gesprochen, sondern allgemein von Gehörlosen. Hinzu kommt, dass sich die Ausführungen über die Wirkung und Funktion ihrer kulturellen Gemeinschaft für die Gehörlosen vor allem auf Beobachtungen und Erfahrungen beziehen, die die Autoren durch ihre eigene Gehörlosigkeit oder durch ihren Kontakt zur Gehörlosengemeinschaft erworben haben. Es sind also in erster Linie subjektive Wahrnehmungen, denen es an wissenschaftlicher Fundierung mangelt. Dieser Umstand ist sicher z.T. Ausdruck des geringen gesellschaftlichen Interesses, das diesem Thema lange Zeit entgegengebracht wurde. Er entspricht aber auch dem hohen Stellenwert, der innerhalb der Gehörlosengemeinschaft bei der Verallgemeinerung und Verbreitung von Wissen der persönlichen Erfahrung zugemessen wird. Die engen Verbindungen der verschiedenen Autoren zur Gehörlosengemeinschaft, ihre umfassenden und ausführlichen Beobachtungen, die sich mit denen anderer überschneiden, berechtigen jedoch in jedem Fall zu einer weitgehenden Verallgemeinerung ihrer Ergebnisse.
Ausgehend von einem weit gefassten Kulturbegriff wird im Folgenden zunächst die Gemeinschaft der Gehörlosen als kulturelle, sprachliche Minderheit beschrieben (Vgl. Kap. 2). Anschließend werden als ein die Lebenswelt der Gehörlosen besonders bestimmendes Element dieser Kultur ´gehörlosentypische` Verhaltensweisen und Traditionen genauer daraufhin untersucht, inwiefern sie den einzelnen Gehörlosen stärken und das Zusammenleben innerhalb der Gehörlosengemeinschaft charakterisieren (Vgl. Kap. 3). Um die Bedeutung von Kultur und Gemeinschaft der Gehörlosen für die Entwicklung eines Gehörlosen erklären und bewerten zu können, wird schließlich – gestützt auf die Theorien Meads und Krappmanns zur Identitätsbildung - untersucht, wie sich diese auf die Identitätsentwicklung Gehörloser und auf ihre Stellung innerhalb der hörenden Gesellschaft auswirken (Vgl. Kap. 4).
Die Ergebnisse münden in dem Versuch, erste Konsequenzen für die pädagogische Förderung gehörloser Kinder zu ziehen (Vgl. Kap. 5). Dazu werden einige Umsetzungsmöglichkeiten angerissen und z.T. beispielhaft erläutert.
2 Die Lebenswelt Gehörloser
2.1 Kultur
2.1.1 Eine Begriffsdefinition
Vor einer Beschäftigung mit der Kultur der Gehörlosen ist eine allgemeine Bestimmung des Begriffs Kultur notwendig, wobei der Thematik in den verschiedenen Disziplinen unterschiedliche Bedeutung beigemessen wird und die Definitionen entsprechend geprägt sind.
Die „ World Conference on Cultural Policies “ der UNESCO (Mexico City im August 1982) versteht Kultur als “the whole complex of distinctive spiritual, material, intellectual and emotional features that characterize a society or social group”, also als Komplex verschiedenster Lebensäußerungen, die eine Gesellschaft oder soziale Gruppe charakterisieren und durch die sich diese folglich von anderen Gesellschaften und Gruppen unterscheiden. S. Rutherford, die die Kultur und Sprache der Gehörlosen erforscht, betont, dass neben der erfolgreichen Anpassung an die Umwelt und dem Überleben der Gruppe in ihrer spezifischen Umwelt die Wahrung der Identität und Einheit der Gruppe über die Zeit in allen Kulturen eine wesentliche Rolle spielt (Rutherford. 1989. S. 20). Ähnlich formuliert es F. Grosjean, Leiter des „ Laboratoire de traitement du langage et de la parole “ an der Universität Neuenburg, der sich neben der Psycholinguistik der Gebärdensprache auch mit Zweisprachigkeit und Bikulturalismus Gehörloser und Hörender befasst, wenn er sagt: „ Für unsere Zwecke hier, spiegelt Kultur alle Aspekte im Leben einer Gruppe von Menschen wieder. “ (Grosjean. 1992. S. 10)
Ihren sichtbaren Ausdruck findet Kultur demnach in Kunst, Wissenschaft, Traditionen, Werten, Glaubensätzen, Rechtsgrundsätzen und Lebensstilen.
Häufig wird der Begriff der Kultur auch in unmittelbarem Zusammenhang mit dem des „ sozialen Erbes “ (Wallas. Zitat nach: König. 1958. S. 154) gesehen, der „ praktisch mit dem der Kultur identisch ist, stellt er doch jenen Teil im Aufbau der soziokulturellen Person dar, den diese im sozialen Prozess des Lernens übernimmt. “ (ebd.) Zu ähnlichen Bestimmungen der Funktion von Kultur gelangen, gestützt auf Ergebnisse der empirischen Sozialforschung, der Kultursoziologe A. K. Cohen (Cohen. Zitat nach: Deutscher Taschenbuch Verlag. 1973. S. 44) und der Kulturanthropologe B. Tylor, für den Kultur „ Fähigkeiten und Dauerbetätigungen umfasst, die der Mensch als Mitglied einer Gesellschaft erwirbt.“ (Tylor. Zitat nach: König. 1958. S. 153) Damit wird die Bedeutung hervorgehoben, die die Kultur für die Erziehung und die Entwicklung eines Menschen als Teil einer Gemeinschaft und damit für seine Entwicklung als soziales Wesen hat.
Betrachtet man Kultur unter diesem Gesichtspunkt, so wird die existentielle Bedeutung klar, die in diesem Zusammenhang der Sprache zukommt.
Damit wir überleben können, müssen andere uns ernähren, ein Obdach geben und erziehen. Der Mechanismus, der dafür sorgt und somit das Überleben der Art sicherstellt, ist die Kultur. Kultur wird durch Sprache weitergegeben und erlernt. – Sprache und Kultur sind somit unlösbar miteinander verknüpft.
(Rutherford. 1989. S. 20)
Kultur ist also Vermittlung sozialen Erbes. Dieses Erbe manifestiert sich in kulturellen Werten, Konventionen und Traditionen. Diese sind zum einen Zeichen einer Kultur und bieten zum anderen die Möglichkeit zur Weitergabe dieser kulturellen Werte an die nachfolgenden Generationen.
Einen besonderen Stellenwert nimmt in diesem Zusammenhang die Sprache der jeweiligen kulturellen Gruppe ein. Ohne Sprache kann Kultur nicht weitergegeben werden. Darüber hinaus führt sie auch durch ihre jeweilige Besonderheit oder Andersartigkeit zur Abgrenzung einer Kultur von der anderen und so zu einem Zusammengehörigkeitsgefühl und damit zu einem Identitätsgefühl innerhalb der Gruppe, die sich ihrer bedient.
2.1.2 Die Kultur der Gehörlosen
Es stellt sich die Frage, in welchem Maße sich der oben skizzierte Kulturbegriff auf die Lebenswelt Gehörloser übertragen lässt. Durch welche Faktoren zeichnen sich die Gehörlosen als eigene kulturelle Gruppe aus?
Dieser Fragestellung geht die hörgeschädigte Gebärdensprachforscherin C. Padden in ihrem Artikel „ The Deaf Community and the Culture of Deaf People “ (Padden. 1989) nach, in dem sie das 1965 von W. Stokoe, C. Cronenberg und D. Casterline veröffentlichte „ Dictionary of American Sign Language “ als die erste Auseinandersetzung mit den linguistischen Strukturen der Gebärdensprache erwähnt. Hier werden soziale und kulturelle Charakteristika Gehörloser aufgezeigt, die laut Padden das Bild, das bis zu diesem Zeitpunkt mit Hörgeschädigten verbunden war, grundlegend wandelte. Denn Gehörlose wurden demnach nicht mehr ausschließlich als Menschen ohne Hörvermögen betrachtet, sondern als eigenständige kulturelle Gruppe. Als besondere Merkmale der Kultur dieser Gruppe hebt Padden die eigene Sprache, eigene Verhaltensregeln, Werte und Traditionen sowie besondere soziale Kontakte und Geschichten bzw. Literatur hervor (Padden 1989. S. 4).
Gehörlose sind Mitglieder einer eigenständigen kulturellen Gruppe, unter anderem weil sie eine eigene Sprache, die Gebärdensprache, verwenden, die zumindest auf linguistischer Ebene Anerkennung als eigenständige und vollwertige Sprache gefunden hat (Vgl. Kap. 3.1).
Anders als bei anderen sprachlich-kulturellen Minderheiten hat die Sprache für Gehörlose aber nicht in erster Linie die Funktion, sich durch ihre Verwendung von der Kultur, die sie umgibt, in diesem Fall der Kultur der Hörenden, abzugrenzen. Die Gebärdensprache bietet ihnen erst die Möglichkeit, ihre individuellen, menschlichen Fähigkeiten voll zu entfalten. Denn erst durch die Gebärdensprache sind sie in der Lage, in Interaktion mit ihrer Umwelt zu treten, Einstellungen, Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse in erheblich umfassenderer und differenzierterer Art und Weise, als es die Lautsprache ihnen erlaubt, auszudrücken und sich so als einzigartige und selbstständige Individuen darzustellen und zu verhalten. Dies ist zugleich, wie später genauer erläutert wird, eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Identitätsentwicklung.[1]
Neben der Gebärdensprache bestätigt auch das Vorhandensein spezieller Traditionen, wie sie im Verlauf der Arbeit genauer erläutert werden, die kulturelle Zusammengehörigkeit Gehörloser. Eine dieser Traditionen ist z.B. die aus dem Mangel an einer schriftlichen Form der Gebärdensprache und der Schwierigkeit, die viele Gehörlose mit der Schriftsprache haben, entstandene Brauch, Wissen auf direktem Weg, z.B. durch gebärdensprachlich vermittelte Geschichten oder Berichte eigener Erfahrungen zu vermitteln.
Auch besondere Konventionen im Umgang miteinander, z.B. in der Begrüßung und Verabschiedung, sowie der Glaube an die Verfolgung gemeinsamer Ziele wie der Anerkennung als sprachliche Minderheit und insbesondere spezielle Wertvorstellungen, wie z.B. die besondere Intensität und Familiarität sozialer Beziehungen, wie sie für Minderheitengruppen (s.u.) typisch sind, begründen die kulturelle Zusammengehörigkeit Gehörloser.
Aber so sehr sich die Lebensäußerungen, Traditionen und Vorstellungen der Gehörlosen von denen der Hörenden auch unterscheiden mögen, so sind sie doch immer von der Kultur der Hörenden, in deren Welt die Gehörlosen leben, geprägt und bestimmt. Die Gehörlosen sind:
eine Gruppe von Menschen innerhalb der Kultur, die Verhaltensweisen entwickelt haben, welche einige der dominanten Funktionen des kulturellen Durchschnitts beinhalten, aber auch bestimmte Merkmale mit einschließen, die sonst nirgendwo in der Gesellschaft zu finden sind.
(Rutherford. 1989. S. 25)
Insofern bilden die Gehörlosen als kulturelle Minderheit innerhalb des Systems der Hörenden eine Subkultur.[2]
Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass der der Arbeit zugrunde liegende Kulturbegriff auch die (Sub-)Kultur der Gehörlosen umfasst, insofern diese über eine eigene Sprache, gleiche Werte, Glaubensvorstellungen, Konvention und Traditionen verfügt - eine Kultur innerhalb der Kultur einer Majorität (in diesem Fall der Kultur der Hörenden), die einerseits an deren Werte gebunden ist, andererseits aber auch über ganz spezifische, eigene kulturelle Besonderheiten verfügt.
Das Wissen darum, Teil einer kulturellen Gruppe zu sein, prägt das Bewusstsein Gehörloser und nimmt somit möglicherweise auch Einfluss auf deren Identitätsentwicklung (Vgl. Kap. 4).
2.2 Die Gehörlosengemeinschaft
Unter Gemeinschaft soll hier in Anlehnung an Padden ein soziales System verstanden werden, dessen Mitglieder zusammen leben, arbeiten und handeln, gemeinsame Ziele teilen und füreinander Verantwortung tragen (Padden. 1989.
S. 4).
Auch in diesem Zusammenhang kommt der Gebärdensprache eine besondere Bedeutung zu, da sie in mehrfacher Hinsicht eine wichtige Möglichkeit zur Identifikation innerhalb der Gruppe bietet. So spielt die Gebärdensprache zum einen im Hinblick auf die Ziele der Gehörlosengemeinschaft eine wesentliche Rolle im Sinne der Überlegungen von B. L. Benderly, der sagt:
But if a substantial number of people who carry the same stigma can join together they might be able to construct a social life based on their vision of how life ought to be.
(Benderly. 1999. S. 221)
Denn neben dem Ziel, als Gehörlose als Ebenbürtige mit einer eigenen Geschichte öffentlich akzeptiert zu werden, ist es das vornehmliche Anliegen der Gehörlosengemeinschaft, ihre Gebärdensprache als vollständig anerkannt und mit anderen Sprachen gleichgestellt zu wissen. Ein Ziel, das in Deutschland zumindest auf rechtlicher Ebene seit Mai 2002 erreicht ist.
Weiterhin ermöglicht erst die Verwendung der Gebärdensprache eine uneingeschränkte Interaktion der Mitglieder der Gemeinschaft untereinander, es können sich „ Sprachkonflikte auflösen “ (Kyle. 1990. S. 205). Mittels der Gebärdensprache können Gehörlose losgelöst von kommunikativen Konflikten, wie sie sie in der Kommunikation mit Hörenden erleben, ihre individuellen Kompetenzen frei entfalten und sich als soziale und verantwortliche Mitglieder in die Gemeinschaft einbringen und diese gemeinsam und selbstbestimmt gestalten. Diese Freiheit das soziale Leben und die Mitgliedschaft selbstverantwortlich zu organisieren, beinhaltet darüber hinaus die Freiheit des Einzelnen, zu entscheiden, ob sie sich als Mitglied der Gemeinschaft verstehen, wie auch die Freiheit der Gemeinschaft, Einzelne als Mitglieder der Gemeinschaft anzuerkennen oder nicht.
Da auch die Bedingungen des Ortes, an dem die Mitglieder einer Gemeinschaft zusammen leben und handeln, maßgeblich deren Struktur beeinflussen können, kommt auch der geographischen Lage, in der eine Gemeinschaft angesiedelt ist, eine wichtige Bedeutung zu. Dies wird offensichtlich, wenn man sich die unterschiedlichen Bedingungen vergegenwärtigt, unter denen das Gemeinschaftsleben der Gehörlosen in einer Großstadt wie Paris[3] im Vergleich zu einer Kleinstadt oder zu einem wenig besiedelten Gebiet im ländlichen Raum stattfindet: Die unterschiedlichen Verkehrs- und Kommunikationsnetze fördern, bzw. behindern regelmäßigen Kontakt Gehörloser untereinander und beeinflussen daher die Quantität und Qualität ihres kulturellen und gemeinschaftlichen Austausches.
Da die besondere Kultur der Gehörlosen die Einstellungen und Handlungen prägt, die die Lebenswelt der Gehörlosengemeinschaft ausmachen, ist auch sie für die Mitglieder dieser Gemeinschaft wesentliches Mittel der Identitätsbildung. Hinzu kommen die gleiche Lebenserfahrung in einer von Hörenden dominierten Welt, der gemeinsame Kampf um die Anerkennung als sprachliche Minderheit sowie die Sorge um Gleichgesinnte, die die Gehörlosen als Mitglieder einer Gemeinschaft bestimmen. Dieses Gefühl der Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft ist wesentlicher Bestandteil der Identität ihrer Mitglieder.
Solche grundlegenden Faktoren, die die Konventionen innerhalb der Gehörlosengemeinschaft bestimmen, weisen darauf hin, dass innerhalb der Gehörlosengemeinschaft und insbesondere einzelner Vereine sehr enge und dauerhafte Bindungen zu finden sind. Diese sind bedingt durch Überschneidungen im Lebenslauf (gemeinsamer Schulbesuch, Mitgliedschaft im selben Verein, etc.), durch ähnliche Erfahrungen im Umgang mit der Hörschädigung und in dem bewussten oder unbewussten Erfahren einer Gemeinschaft mit gemeinsamen Werten und Zielen, die eine gegenseitige Solidarität und Verantwortung verlangen.
Diese Möglichkeit zu sozialem Austausch und zur gestaltenden Einflussnahme auf die sozialen Dimensionen der Gemeinschaft lässt den großen Stellenwert deutlich werden, den die Gemeinschaft für die Identitätsfindung ihrer Mitglieder hat.
2.2.1 Die Zugehörigkeit zur Gehörlosengemeinschaft
Geht man von dem im vorhergehenden Kapitel dargelegten Verständnis von Gemeinschaft aus, wird offensichtlich, dass es nicht die fehlende Hörfähigkeit, also der audiologische Befund ist, der einen Menschen zu einem Mitglied der Gehörlosengemeinschaft macht, sondern das, was Padden (Padden. 1978. Zitat nach Kyle. 1990. S. 203) und auch die Linguisten C. Baker und D. Cokely (Baker/Cokely. 1986. S. 55) als „ attitudinal deafness “ (Gehörlosigkeit als Geisteshaltung) bezeichnen.
Unter „ attitudinal deafness “ ist eine gedankliche Einstellung zu verstehen, die sich dadurch auszeichnet, dass sich Gehörlose primär mit ihrer Gehörlosigkeit identifizieren. Sie akzeptieren ihre Hörschädigung, sehen sich jedoch nicht als Behinderte. Eine solche Geisteshaltung findet man in ihrer ausgeprägtesten Form bei gehörlosen Kindern gehörloser Eltern, die sich selbst für ´normal`, die Hörenden hingegen für ´anders` halten (Vgl. Padden/Humphries. 1991. Kap. 1. S. 19-30). Auch wenn solche Fälle nicht die Regel sind (nur 10% aller gehörlosen Kinder haben auch gehörlose Eltern (Vgl. Leonhardt. 1999. S. 66), veranschaulicht dies doch die Einstellung, die dem Begriff „ attudinal deafness “ zugrunde liegt.
Zur besseren Unterscheidung zwischen diesen Gehörlosen und denen, die sich vorwiegend über ihren Hörverlust definieren, wurden im englischen Sprachraum die Begriffe „ deaf “ und „ Deaf “ eingeführt. Dabei bezieht sich „ deaf “ auf den audiologischen Befund, „ Deaf “ auf die ´ gehörlose Einstellung `. Im deutschen Sprachraum gibt es eine solche, konsequent durchgeführte Unterscheidung noch nicht. In der Vorbemerkung der Redaktion von „ Das Zeichen “ zu einem Artikel von H. Lane (Lane. 1993) wurde versucht, diese Unterscheidung typographisch wiederzugeben: „ deaf “= gehörlos . „ Deaf “ = GEHÖRLOS , eine Unterscheidung, die sich jedoch nicht durchgesetzt hat.
An dieser Unterscheidung zwischen „ deaf “ und „ Deaf “ wird deutlich, dass es nicht nur ein Merkmal, sondern ein ganzer Komplex von Merkmalen ist, der die Zugehörigkeit eines Individuums zur Gehörlosengemeinschaft ausmacht und über seine Stellung innerhalb dieser Gemeinschaft Auskunft gibt. Das Zusammenwirken und die Bedeutung der wesentlichen Faktoren, die zusammenkommen müssen, damit eine vollwertige Mitgliedschaft in der Gehörlosengemeinschaft gewährleistet ist, haben Baker und Cokley übersichtlich in einem Modell dargestellt, das im Folgenden zusammenfassend erläutert werden soll:
Demnach ist es grundlegende Voraussetzung, dass der Einzelne sich selbst als Mitglied der Gemeinschaft sieht. Wie tief er in die Gemeinschaft eindringt, hängt jedoch von vier verschiedenen Zugangswegen, oder „ avenues “ (Baker/Cokely. 1986. S. 55) – audiologisch, linguistisch, politisch, sozial - ab, die den Weg in die Gemeinschaft der Gehörlosen ebnen. Mit mindestens zweien von ihnen muss man sich identifizieren können, um dazu zu gehören (ebd. S. 55ff.).
In dem Modell von Baker und Cokely werden diese vier „ avenues “ durch vier Kreise dargestellt, die so angeordnet sind, dass sie sich in der Mitte überschneiden und einen Kern („ core “ (ebd. S. 57)) bilden, der eine vollständige Zugehörigkeit zur Gehörlosengemeinschaft repräsentiert.
Der Zugang über den audiologischen Faktor bezieht sich auf den medizinisch definierten Hörverlust, den Grad der Hörschädigung. Der politische Aspekt trifft auf Personen zu, die auf lokaler, staatlicher oder nationaler Ebene Einfluss auf die Gehörlosengemeinschaft haben. Von besonderer Bedeutung ist auch der linguistische Faktor. Da Werte und Ziele der Gehörlosengemeinschaft durch ihre Sprache vermittelt werden, ist eine gute Gebärdensprachkompetenz nötig, um von der Gemeinschaft akzeptiert zu werden. Die soziale Ebene bezieht sich darauf, dass das Mitglied innerhalb der Gehörlosengemeinschaft eine soziale Funktion zugesprochen bekommt, sie gerne übernimmt und darüber hinaus über freundschaftliche Kontakte mit anderen Mitgliedern der Gemeinschaft verfügt.
Es versteht sich von selbst, dass sich Grad und Ausprägung der einzelnen Faktoren in Bezug auf eine Person im Laufe der Zeit und in Abhängigkeit vom Lebensweg, den diese Person nimmt, wandeln und verändern und dass deshalb der Grad der Mitgliedschaft ein dynamischer sein kann.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Baker/Cokely. 1986. S. 56)
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die Mitgliedschaft in der Gehörlosengemeinschaft unabhängig vom Grad der Hörschädigung, durch die durch verschiedenste Faktoren bestimmte Position, die eine Person gegenüber dieser Gemeinschaft einnimmt, bestimmt („ attitudinal deafness “).
Mitglied der Gehörlosengemeinschaft ist also, wer sich mit der Gemeinschaft identifiziert, indem er die Gebärdensprache verwendet, die Ziele der Gemeinschaft anerkennt und mitverfolgt und von der Gemeinschaft als Mitglied akzeptiert wird.
Insofern ist es auch schlüssig, wenn Padden in ihrer Definition einer Gehörlosengemeinschaft festhält, dass deren Mitglieder nicht zwangsläufig gehörlos sein müssen.
A deaf community is a group who live in a particular location, share the common goals of its members, and in a various way, work towards achieving these goals. A deaf community may include persons who are not themselves Deaf, but who actively support the goals of the community and work with Deaf people to achieve them.[4]
(Padden. 1989. S. 5)
Letzteres können hörende Eltern gehörloser Kinder oder hörende Kinder gehörloser Eltern, sogenannte CODAs (Children of Deaf Adults) oder in seltenen Fällen hörende Partner sein, die aufgrund ihrer familiären Bindung, dem Interesse für die Gehörlosengemeinschaft und ihrer gebärdensprachlichen Kompetenz der Gehörlosengemeinschaft ebenfalls angehören. Eine Zugehörigkeit Hörender zur Gemeinschaft der Gehörlosen kann auch auf Personen wie Dolmetscher, Lehrer, Künstler, etc. zutreffen, die neben beruflichen Gründen oder ihrem Einsatz für die Akzeptanz der Gehörlosen und ihrer Sprache auch private Kontakte zu Gehörlosen haben.
2.2.2 Der Gehörlosenverein
Die spezifischen Charakteristika der kulturellen Gemeinschaft Gehörloser zeigen sich besonders deutlich in einer für die Gehörlosengemeinschaft typischen Institution: dem Gehörlosenverein. Hier treffen sich Gehörlose, um sich frei von jeglicher Stigmatisierung, Ausgrenzung und Unterdrückung durch Hörende mit Gleichgesinnten auszutauschen, Freunde zu treffen, ungezwungen und adäquat zu kommunizieren und ein Gefühl von Gemeinschaft zu erleben. Deshalb wird hier die Bedeutung der Gruppe für den Einzelnen besonders deutlich, und deshalb sind hier die gehörlosentypischen Verhaltensweisen am deutlichsten ausgeprägt.
Typische Besonderheiten des Gehörlosenvereins sollen hier neben der Berücksichtigung persönlicher Erfahrungen der Verfasserin, vor allem in Anlehnung an S.A. Hall (Hall. 1994. S. 522ff.) beschrieben werden. Hall nahm zwischen 1980 und 1986 aktiv am gesellschaftlichen Leben eines Gehörlosenvereins in Philadelphia teil und verschaffte sich so einen gründlichen Einblick in das Miteinander Gehörloser im Rahmen des Vereinslebens.
Der Gehörlosenverein dient nicht nur dem Knüpfen sozialer Kontakte, sondern bietet darüber hinaus auch erwachsene Vorbilder, Hilfestellung in beruflichen Fragen, Kontakt und Hilfe für fremde Gehörlose und die Möglichkeit zukünftige Partner kennen zu lernen. So ist der Verein den meisten Mitgliedern eine zweite Heimat geworden: „ But this is like my home. You know, for Deaf people the Deaf club is like a second home.” (ebd. S. 523)
Auch wenn spezielle gemeinsame Aktivitäten wie sportliche Ereignisse, Karnevalsfeiern, etc. einen Teil des Vereinsleben ausmachen, so ist der Verein doch in erster Linie durch Kommunikation bestimmt, steht die Kommunikation im Vereinsleben an erster Stelle. Hier wird die Gebärdensprache verwendet, das bedeutet, die Mitglieder können in ihrer eigenen Sprache miteinander kommunizieren. Damit bietet der Verein seinen Mitgliedern die uneingeschränkte Möglichkeit, Informationen zu erhalten und sozial zu interagieren. So ist es denn vor allem der in der eingeschränkten Kommunikationsfähigkeit außerhalb der Gemeinschaft begründete „enthusiasm for conversation “ (Hall. 1994. S. 525), die den Gehörlosenverein auszeichnet.
Über den Aspekt der Kommunikation hinaus erfüllt der Verein die Funktion, die Werte und die Sprache der Gemeinschaft weiterzugeben.
In Ermangelung eines einheitlichen Notationssystems der Gebärdensprache, werden unter Gehörlosen traditionelle Werte nicht in schriftlicher Form, sondern vorwiegend über direkte Kontakte weitergegeben. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den älteren Vereinsmitgliedern zu, die in der Gehörlosengemeinschaft oft die Rolle von Mentoren übernehmen. Sie nutzen zu diesem Zweck u.a. traditionelle Geschichten, Witze und Gebärdentheaterstücke. Auch das Mitteilen persönlicher Erfahrungen dient der Weitergabe von Werten und Sprache. Darüber hinaus sind an die Gehörlosenvereine häufig auch Gebärdensprachschulen und Stammtische angeschlossen. Kommunikationsforen[5] ermöglichen den Austausch zwischen Gehörlosen und Hörenden.
Neben der freien Verwendung der Gebärdensprache und der Weitergabe von Werten und Sprache und der unterhaltenden und kommunikativen Funktion übernehmen nach Hall die einzelnen Gehörlosenvereine auch ähnliche Aufgaben wie eine Botschaft: Die Vereine der einzelnen Städte sind so eng miteinander verknüpft, dass einzelne Aktivitäten nicht nur den eigenen Verein, sondern die gesamte Gemeinschaft der Gehörlosen beeinflussen. Hall nennt hier die Aufnahme von Frauen in die amerikanischen Vereine, die nachdem ein Verein beispielhaft voran ging, überall im Land erfolgte (Vgl. ebd. S. 526).
Der Verein bietet also den (organisatorischen) Rahmen für gemeinsames Handeln, das Verfolgen gemeinsamer Ziele und die Weitergabe des kulturellen Erbes. Bedingt stellt er auch den Kontakt zwischen der Gehörlosengemeinschaft und der hörenden Öffentlichkeit her.
Insofern ist er zugleich Instrument und Ausdruck der Gehörlosengemeinschaft.
The Deaf Club is more than just a bar. It is a cultural instituition in Deaf society that celebrates and perpetuades Deaf culture. Far from the treatening Deaf education, it is a place where Deaf people educate one another. Rather than a refuge for unsuccessful deaf people, it is a place, where successful Deaf professionals may serve as mentors for younger Deaf people. And far from isolating Deaf people, the club provides connections between Deaf communities across America.
(Hall. 1994. S. 526)
3 Die kulturellen Merkmale der Gehörlosengemeinschaft
3.1 Die Gebärdensprache
In den vorhergehenden Ausführungen wurde schon mehrfach der hohe Stellenwert angesprochen, den die Gebärdensprache für Kultur und Gemeinschaft der Gehörlosen hat. Warum dies so ist und welche Konsequenzen das für die Rolle hat, die die Gehörlosengemeinschaft für den einzelnen Gehörlosen spielt, soll im Folgenden auch unter Berücksichtigung der historischen Entwicklung, hin zur rechtlichen Anerkennung der Gebärdensprache näher betrachtet werden.
Um Missverständnissen vorzubeugen, muss hier jedoch zunächst darauf hingewiesen werden, dass unter Gehörlosen im Hinblick auf die Sprachverwendung durchaus unterschiedliche Kommunikationsformen existieren. So gibt es Gehörlose, die sowohl in der Gebärdensprache, als auch in der Lautsprache kompetent sind („ Balanced bilinguals “). Andere verfügen zwar über Fähigkeiten in beiden Sprachen, jedoch nicht in einem Ausmaß, das eine zufriedenstellende Kommunikation möglich macht („ Semi-linguals “). Weiter gibt es Gehörlose, die entweder die Gebärden- oder die Lautsprache gut beherrschen, in der anderen Sprache jedoch nur über minimale Fertigkeiten verfügen („ ASL[6] /English dominant bilinguals “). Schließlich gibt es Gehörlose, die nur eine der beiden Sprachen vollständig beherrschen („ ASL/English monolinguals “) (Kannapell. 1989. S. 23).
Dazu kommen weitere Differenzierungen. So gibt es verschiedene Formen einer manuellen Lautsprache, bei denen lautsprachliche Wörter in Gebärden übertragen werden, die grammatikalische Struktur der Lautsprache jedoch beibehalten wird („ Signed English “ im englischen Sprachraum, „ français signé “ in Frankreich oder „ Lautsprachbegleitende Gebärden “ in Deutschland). Solche Systeme werden z.B. oft von Hörenden verwendet, die nur über eine unzureichende Gebärdensprachkompetenz verfügen. Häufig werden sie aber auch in der pädagogischen Förderung eingesetzt in der Annahme, die Benutzung der Gebärdensprache würde den Lautspracherwerb behindern oder gar unterdrücken. Dem glaubt man entgegenwirken zu können, indem man zumindest neben der Kommunikation mittels Gebärden zugleich auch die grammatische Struktur der Lautsprache lehrt.
Unter Gehörlosen sind all diese verschieden Kommunikationsformen anzutreffen. Sie variieren je nach persönlichem Hintergrund der Person und der Interaktionssituation.
Diese große Bedeutung hat die Gebärdensprache, obwohl sie in den meisten Ländern Jahrzehnte lang unterdrückt wurde und teilweise noch wird, da das Bestreben um ihre Anerkennung die Gehörlosengemeinschaft enger zusammengeschweißt hat.
Die Gebärdensprache selbst wurde lange Zeit als minderwertig angesehen:
Bis zu den späten sechziger Jahren herrschte bei den meisten Linguisten die Meinung, die Gebärdenkommunikation sei bestenfalls eine lose Ansammlung globaler Gesten, die nur einfache Zusammenhänge ausdrücken könnten. Die Sprachwissenschaftler vermochten die ihnen aus der gesprochenen Sprache vertrauten linguistischen Formen (beispielsweise Pronomen, Artikel, Deklination und Konjugation) nicht zu erkennen und folgerten darum, dass die Gebärdensprache keine eigentliche Sprache sei. Dieses Urteil wurde von Linguisten gesprochen, die das Wesen der Gebärdensprache nie einer ernsthaften linguistischen Untersuchung unterzogen hatten.
(Boyes Braem.1995. S. 12)
So sah auch Myklebust, der mit seinem Werk „ Psychology of Deafness “ (Myklebust. 1957. Zitat nach Padden/Humphries. 1991. S. 58) das Bild der Gebärdensprache in den fünfziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts maßgeblich prägte, in ihr ein ideographisches Sprachsystem, dem es an Genauigkeit, Differenzierung und Flexibilität mangelt. Er nahm an, „ dass der Mensch mittels einer ideographischen Sprache nicht seine höchste Bestimmung erlangen kann “ (ebd.). Daraus folgerte er, dass die Gebärdensprache der Verbalsprache unterlegen sei (ebd.).
Die geringe Achtung der Gebärdensprache führte in vielen Ländern zu ihrer Unterdrückung und administrativen Verbannung aus dem Lebensumfeld Gehörloser. Dies hatte insbesondere auch Auswirkungen auf die pädagogischen Förderung. So wurde auf dem II. Internationalen Taubstummenlehrerkongress in Mailand 1880 „ empfohlen ..., die Anwendung der Lautsprache im Unterricht mit Gehörlosen vorzuziehen. “ (Zitat nach Leonhardt. 1999. S. 199). Diese Formulierung wirkt ausgesprochen liberal, wenn man bedenkt, dass in den nächsten Jahren die Gebärdensprache aus dem Unterricht verbannt wurde und man mit teilweise rigiden Mitteln versuchte, gehörlose Schüler zur Lautsprache zu führen. Der Unterricht war so sehr auf das Erlernen der Lautsprache ausgerichtet, dass wesentliche Bildungsinhalte verloren gingen. Um zu unterbinden, dass die Schüler Gebärdensprache anwandten, mussten sie sich beispielsweise auf ihre Hände setzten, beim Gebrauch von Gebärden wurde ihnen Strafe angedroht (Vgl. Leonhardt. 1999. S. 199ff.; Sacks. 1992; Padden/Humphries. 1991).
[...]
[1] Auch C. Baker und D. Cokely betonen den besonderen Stellenwert einer gemeinsamen Sprache für die Bildung einer kulturellen Gemeinschaft und zitieren Schlesinger und Meadow um darzustellen, dass es neben der klinisch-pathologischen Einordnung Gehörloser auch den kulturellen Aspekt gibt: „... a group of persons who share a common means of communication (signs) which provides the basis for group cohesion and identity. “ (Schlesinger/Meadow. 1972. Zitat nach Baker/Cokely. 1980. S. 54)
[2] Ähnlich urteilt auch Skutnabb-Kangas, wenn sie aus der Anerkennung der Gebärdensprache im Bundesgleichstellungsgesetz folgert „ Der Gehörlosengemeinschaft kommt der Status einer natürlichen sprachlichen Minderheit zu. “ (Skutnabb-Kangas. 2002. S. 52ff.)
[3] In Paris gibt es, im Gegensatz zu vielen kleineren Städten besonders viele Angebote für Gehörlose, unter anderem ein eigenständiges Gehörlosentheater, das „ International Visual Theatre “ und eine besonders ausgeprägte Gehörlosengemeinschaft, wodurch ein reger, auch internationaler Austausch gefördert wird.
[4] Die Zuordnung „ deaf “ und „ Deaf “ entspricht nicht der vorher genannten Definition (s.o.). [Anmerkung der Verfasserin. L.G.]
[5] Kommunikationsforen (KoFos) sind Informationsveranstaltungen zum Thema Gehörlosigkeit und Gebärdensprache im weitesten Sinne, die von Gehörlosen organisiert werden und die den Hörenden einen Einblick in die Welt der Gehörlosen eröffnen sollen.
[6] ASL: American Sign Language
- Citar trabajo
- Lea Gregor (Autor), 2003, Zwischen Kultur und Gemeinschaft: Die Lebenswelt Gehörloser und ihr Stellenwert für die Identitätsbildung, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/40454
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