Arbeit, Wirtschafts- und Berufsstruktur sind untrennbar miteinander verwoben und bedingen einander. Der Mensch definiert durch die ausgeübte Tätigkeit seinen Platz in der Gesellschaft.1 Diese nur auf den ersten Blick sehr eingängige Formulierung ist in der soziologischen Diskussion seit etwa 20 Jahren einer tiefgehenden Differenzierung und Diskussion unterworfen und trifft auch auf Widerstand.2 „Was machen Sie beruflich?“ Diese vo m Autor in oftmals durchaus harmloser Absicht gestellte Frage führt zu unterschiedlichen Reaktionen: Vom stolzen „ich bin Prokurist bei einer Bank“ hin zu einem verschämten „ich bin zur Zeit arbeitslos“; von „ich lehne Arbeit als Ausbeutung durch das kapitalistische System ab“ bis zum frechen „ich bin von Beruf Sohn“. Bei genauerer Betrachtung der Antworten wird deutlich, dass die Begriffe „Arbeit“ und „Beruf“ von verschiedenen Personen offenbar unterschiedlich und zunehmend subjektiv interpretiert werden. Bezieht man nun die in Mode gekommenen Differenzierungen wie „Beziehungsarbeit“ oder „Unterscheidungsarbeit“ in die Betrachtung ein, wird offensichtlich, dass oben angeführte Alltagsformulierung der heutigen Realität nicht mehr gerecht wird. Es scheint vielmehr einen Trend zu geben, der von dem Blickwinkel „Erwerb“ immer weiter weg führt, und Arbeit mehr aus der Perspektive der „Selbstverwirklichung“ betrachtet wissen will. Ich werde, ausgehend von einer historischen Betrachtung der Begriffe „Arbeit“ und „Beruf“ und einer – problematischen – modernen Definition dieser Begriffe (Punkt B) vor dem Hintergrund dieses Trends · zunächst die aktuelle Arbeits-, Wirtschafts- und Berufsstruktur der Bundesrepublik Deutschland in ihrer Entwicklung makroökonomisch beschreiben (Punkt C), · sodann die soziologische Diskussion zwischen „Weiterbestehen der Arbeit“ und „Ende der Arbeit“ darstellen (Punkt D), · diese Diskussion dann anhand der These der „subjektbezogenen Ansprüche an Arbeit“ einer Synthese zuführen (Punkt D), diese empirisch unterfüttern und Erklärungsmöglichkeiten für diesen Wertewandel aufzeigen (Punkt E), · und zuletzt einen Ausblick auf die Neubestimmung des Verhältnisses von Arbeit und Leben in der Zukunft geben (Punkt F) 1 eigene Formulierung 2 vgl. Jäger, Wieland (1997). Arbeits- und Berufssoziologie. In: Korte, He., Schäfers, B. (Hg.), Einführung in Praxisfelder der Soziologie, Opladen: Leske + Budrich, S. 112.
Gliederung
A Einleitung
B Arbeit und Beruf – begriffsgeschichtlicher Überblick (n. Rudolph Walther)
C Strukturwandel der Erwerbstätigkeit – Makrobetrachtung (n. G. Wilke)
a) Grundlinie des sektoralen Wandels: die 4-Sektoren-Hypothese
b) Entwicklung und Ist-Zustand – Deskripitive Betrachtung
(i) Primärer Sektor
(ii) Sekundärer Sektor
(iii) Tertiärer Sektor
D Arbeit und Beruf in der Soziologie – Mikrobetrachtung
a) Ausgangspunkt: „Arbeit“ / „Beruf“ im Kapitalismus (n. Breckenbach)
b) Arbeit als Zentralmoment des modernen Menschen (n. Marie Jahoda)
c) Das Ende der Arbeit?
d) Wiederkehr der Arbeit!
e) Synthese: subjektbezogene Ansprüche an Arbeit (n. Martin Baetghe)
E Wandel der Arbeitsauffassung (nach Peter Pawlowsky)
F Ausblick: Neubestimmung des Verhältnisses von Arbeit und Leben
G Literaturverzeichnis
A Einleitung
Arbeit, Wirtschafts- und Berufsstruktur sind untrennbar miteinander verwoben und bedingen einander. Der Mensch definiert durch die ausgeübte Tätigkeit seinen Platz in der Gesellschaft.1 Diese nur auf den ersten Blick sehr eingängige Formulierung ist in der soziologischen Diskussion seit etwa 20 Jahren einer tiefgehenden Differenzierung und Diskussion unterworfen und trifft auch auf Widerstand.2
„Was machen Sie beruflich?“ Diese vom Autor in oftmals durchaus harmloser Absicht gestellte Frage führt zu unterschiedlichen Reaktionen: Vom stolzen „ich bin Prokurist bei einer Bank“ hin zu einem verschämten „ich bin zur Zeit arbeitslos“; von „ich lehne Arbeit als Ausbeutung durch das kapitalistische System ab“ bis zum frechen „ich bin von Beruf Sohn“. Bei genauerer Betrachtung der Antworten wird deutlich, dass die Begriffe „Arbeit“ und „Beruf“ von verschiedenen Personen offenbar unterschiedlich und zunehmend subjektiv interpretiert werden. Bezieht man nun die in Mode gekommenen Differenzierungen wie „Beziehungsarbeit“ oder „Unterscheidungsarbeit“ in die Betrachtung ein, wird offensichtlich, dass oben angeführte Alltagsformulierung der heutigen Realität nicht mehr gerecht wird. Es scheint vielmehr einen Trend zu geben, der von dem Blickwinkel „Erwerb“ immer weiter weg führt, und Arbeit mehr aus der Perspektive der „Selbstverwirklichung“ betrachtet wissen will. Ich werde, ausgehend von einer historischen Betrachtung der Begriffe „Arbeit“ und „Beruf“ und einer – problematischen – modernen Definition dieser Begriffe (Punkt B) vor dem Hintergrund dieses Trends
- zunächst die aktuelle Arbeits-, Wirtschafts- und Berufsstruktur der Bundesrepublik Deutschland in ihrer Entwicklung makroökonomisch beschreiben (Punkt C),
- sodann die soziologische Diskussion zwischen „Weiterbestehen der Arbeit“ und „Ende der Arbeit“ darstellen (Punkt D),
- diese Diskussion dann anhand der These der „subjektbezogenen Ansprüche an Arbeit“ einer Synthese zuführen (Punkt D), diese empirisch unterfüttern und Erklärungsmöglichkeiten für diesen Wertewandel aufzeigen (Punkt E),
- und zuletzt einen Ausblick auf die Neubestimmung des Verhältnisses von Arbeit und Leben in der Zukunft geben (Punkt F)
B Arbeit und Beruf – begriffsgeschichtlicher Überblick (nach Rudolph Walther)
Schon eine etymologische Betrachtung zunächst des Begriffes „Arbeit“ („Beruf“ kam erst mit der Reformation auf, siehe unten) ist äußerst aufschlussreich: Der Wortstamm, das indogermanische „orbho“, bedeutet soviel wie3 „Mühsal, Plage, Not, Beschwerde“. Hieraus entwickelte sich das lateinische „labora“ mit den weiteren Nebenbedeutungen „Armut, Krankheit, Kriegsanstrengungen“ und das ebenfalls lateinische „arva“ (= „gepflügte Äcker“). Auch das französische „travail“ (=Arbeit), welches sich aus dem lateinischen „trepalium“ herleitet (unter anderem eine Bezeichnung für ein Werkzeug zum Beschlagen wilder Pferde oder auch ein Folterwerkzeug), hat sich nicht weit von dieser düsteren Wortwurzel entfernt. „Positiv akzentuierte“4 Konotationen fehlen. Etymologisch, und wie im folgenden gezeigt bis weit in die Neuzeit hinein auch sozialphilosophisch, ist der Begriff „Arbeit“ ausgesprochen negativ behaftet.
In der Antike galt vor allem der Landbau als Arbeit. Jedoch wurde Arbeit als etwas in höchstem Maße sozial diskriminierend angesehen. Sie galt als vollkommen unvereinbar mit Freiheit und Stellung des Vollbürgers. Für Arbeiten waren Sklaven, Knechte, Barbaren und Kriegsgefangene vorgesehen, wobei Aristoteles die Lohnempfänger als noch unter der Stufe der Sklaven ansiedelte, mit der Begründung, dass Lohnarbeit sich „tendenziell der Prostitution annäher(t)e“.5
Diese sehr negative Bewertung von Arbeit ist auch durch den biblischen Sprachgebrauch nicht verbessert worden (nach Max Weber) und wurde beibehalten. Jedoch gab es durchaus neue Akzente: So wurde Arbeit nun als notwendiges Übel zur Selbsterhaltung im engeren Sinne akzeptiert, gleichwohl ihr „keinerlei ethische Überhöhung“6 zuteil wurde.
In der mittelalterlichen Scholastik setzte nun eine Differenzierung des Arbeitsbegriffes durch Thomas von Aquin ein. Durch die Synthese des aristotelischen Gedankengutes mit biblischen Arbeitsvorstellungen und gesellschaftlicher Realität entwickelte er eine vierstufige Hierarchie der Arbeit: auf der ersten Stufe stehe die „Kontemplation“ (als rein geistige Arbeit am höchststehenden), danach die „gottgefällige Askese“, hernach alle ehrliche Arbeit und zuunterst Arbeit zum Lebensunterhalt (als rein innerweltlicher Zweck).
Sehr bedeutend für die weitere Entwicklung war der Arbeitsbegriffs Luthers: Er bestritt, dass man sich mit Kontemplation und sonstigen „guten Werken“ einen Kredit für das Jenseits schaffen könne und erkannte damit indirekt jede Art von Arbeit als gleichwertig und vor Gott gut an. In Luthers Übersetzungen taucht erstmals der Begriff „Beruf“ im Sinne von „göttlicher Berufung“ auf. Jedoch schwingt hier neben der erstmaligen Überhöhung von Arbeit auch der Aspekt mit, dass der Beruf ein „gottgegebenes Faktum“7 sei, dass der Mensch nicht ändern dürfe (sehr konservative Geisteshaltung). Luther legte hier die Grundlage für die heute noch nachwirkende sogenannte „protestantische Arbeitsethik“, die noch immer zu signifikant höherer Wirtschaftleistung führt.
Im Zuge der Aufklärung bildeten Montaigne (1588), Descartes (1637) und Pascal (1670) einen einheitlichen Diskurs, auch die Arbeit betreffend. Alle drei führten einen „Modus menschlicher Selbsterhaltung“8 in unterschiedlicher Ausprägung ein. Hier ist Selbsterhaltung im Sinne von erkenntnistheoretisch motiviertem Sieg der Vernunft gemeint. Diese Selbsterhaltung nun speise sich (vor allem) aus geistiger Arbeit.
Diese positive Aufwertung der Arbeit wird durch den liberalen Staatstheoretiker John Locke auf die Spitze getrieben. Seine Einschätzung, dass Arbeit die „ursprünglichste menschliche Fähigkeit“9 und Rechtfertigung des Eigentumsbegriffes sei, wirkte richtungsweisend auf alle künftigen modernen Staatstheorien.
In der Folge jedoch wird der Begriff „Arbeit“ nicht mehr als normativer Wert an sich gesehen, sondern ökonomisch verallgemeinert. So ist nach Adam Smith (1776) Arbeit die Grundlage für den Tauschwert aller Güter.
Die Arbeitsdefinition Ricardos (1817), wonach Arbeit in totaler Ökonomisierung als ein Produktionsfaktor neben Natur und Kapital gesehen wird, wurde für die moderne Volkswirtschaft richtungsweisend.
Diese Vorstellung nun, verbunden mit der Erkenntnis Lockes und der protestantischen Arbeitsethik, bildete ein sozialphilosophisches Konglomerat, welches in der Neuzeit bis heute vorherrscht. Einiges spricht jedoch dafür, das der Begriff „Arbeit“ und „Beruf“ noch weitere Dimensionen enthält, bzw. einem aktuellen Wandel unterworfen ist. Bereits aus der historischen Betrachtung wird die These gestützt, dass Arbeit immer mehr aus einer subjektiven Sicht heraus verstanden wird. Der Wandel von der verpönten Arbeit zur bloßen Erwerbsarbeit (Broterwerb), von dort zur gottgewollten Einordnung ins Gefüge und schließlich zur Grundlage eines modernen Staatswesens gibt Zeugnis darüber, dass mit dem Begriff Arbeit nicht nur aus „Philosophensicht“ immer mehr Bedeutungszusammenhänge verknüpft wurden. Denn auch der Arbeitsbegriff für den Einzelnen steht entsprechend im Wandel, und hier zeichnet sich ein Trend „weg“ von der Erwerbsarbeit ab.
Die rein ökonomische Betrachtung der Arbeit mag sehr wichtig für die Entwicklung der wissenschaftlichen Volkswirtschaftslehre gewesen sein, und in diesem Zusammenhang auch sehr segensreich. Doch ist ein so verstandener Arbeitsbegriff nur innerhalb enger ökonomischer Scheuklappen brauchbar und wird der durch „Differenzierung ganzheitlicheren“ Sicht der Soziologie sicher nicht gerecht. Die Zeiten des Manchester-Kapitalismus sind schließlich lange vorbei.
Zunächst biete ich aber hilfsweise aktuelle Definitionen von „Beruf“ und „Arbeit“ an:
„Beruf“: „Institutionell verfestigtes Muster spezialisierter Fertigkeiten und Tätigkeiten, die zum Zweck der Bedürfnisbefriedigung im Rahmen einer gesellschaftlich definierten Form der Arbeitsteilung erworben und ausgeübt werden.“10
Bedürfnisbefriedigung zielt hier in erster Linie auf Einkommenserwerb ab. Wir werden weiter unten sehen, dass „Bedürfnisbefriedigung“ auch viel weiter verstanden werden kann.
„Arbeit“: „jede planmäßige menschliche Tätigkeit, die auf die Erzielung von Einkommen zur Bedarfsdeckung gerichtet ist.“11
[...]
1 eigene Formulierung
2 vgl. Jäger, Wieland (1997). Arbeits- und Berufssoziologie. In: Korte, He., Schäfers, B. (Hg.), Einführung in Praxisfelder der Soziologie, Opladen: Leske + Budrich, S. 112.
3 vgl. Walther, R. (1990). Arbeit – Ein begriffsgeschichtlicher Überblick von Aristoteles bis Ricardo. In: König, H. / Greiff, B. v. / Schauer, H. (Hg.), Sozialphilosophie der industriellen Arbeit (Sonderheft des Leviathan), Opladen: Westdeutscher Verlag.
4 Walther, R.: Arbeit, S. 5
5 Ebd., S. 6
6 Ebd., S. 8
7 Ebd., S. 14
8 Ebd., S. 17
9 Ebd., S. 21
10 Voelzkow, Helmut (2001). Wirtschaft und Arbeit. In: Joas, H. (Hg.), Lehrbuch der Soziologie, Frankfurt: Campus, S. 415
11 Das Lexikon der Wirtschaft (2004). Grundlegendes Wissen von A bis Z, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 11
- Arbeit zitieren
- Alexander Pillris (Autor:in), 2005, Arbeitd-, Wirtschafts- und Berufstruktur der BRD, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/40410
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