Als ich im Mai diesen Jahres das wöchentliche Magazin FOCUS las, entdeckte ich darin einen interessanten Artikel mit der Überschrift: „Muterrolle Rückwärts“, in dem es um die Entwicklung der Frau zur Mutter geht. Daraus ging hervor, dass es heutzutage gerade für emanzipierte Frauen nicht einfach ist, Kinder und die beruflichen Bedürfnisse zu vereinen. Angeregt durch dieses Artikel besorgte ich mir weitere Literatur über das Thema „Entwicklung der Frau zur Mutter“. Beim Lesen dieser Literatur stieß ich dann immer wieder auf die Frage, wie sich die Bindung der Mutter (und auch des Vaters) zu ihrem Kind entwickelt. Die Bindungungstheorie des Kindes an die Mutter (attachment), die von Bowlby und seiner Schülerin Ainsworth entwickelt wurde, begegnete mir häufig beim nachlesen; doch vernachlässigte diese Theorie immer die andere Seite, nämlich die Bindung der Mutter an ihr Kind (bonding). Daher möchte ich in diese Richtung weiter recherchieren, um folgenden Fragen nachzugehen: Wie baut sich die Bindung der Mutter zu ihrem Baby auf? und was passiert, wenn die Schwangerschaft vorzeitig beendet werden muss? Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit soll es daher sein, zu prüfen, ob die Mutter bei einer Frühgeburt die gleiche Beziehung zu ihrem Baby aufbauen kann, als wenn die Schwangerschaft zu Ende geführt wird. Zuerst möchte ich in Abschnitt 1. ein Beispiel aus der Praxis einer Kinderkrankenschwester auf der Neonatalogoie, der Frühchenstation, geben, welches den Beziehungsaufbau und die mit einer Frühgeburt entstehenden Probleme beim Bindungsprozess deutlich macht. Im zweiten Abschnitt (Hauptteil) möchte ich verschiedene Ansätze darlegen, welche den Aufbau der Mutter-Kind-Bindung strukturieren und beschreiben. In dem dritten und letzten Abschnitt wird auf Bindungsstörungen und ihre Auswirkungen auf die Mutter und das Kind anhand von Praxisbeispielen eingegangen.
Inhaltsangabe
Einleitung
1. Auswertung eines Interviews mit einer Kinderkrankenschwester auf der Neonatalogie
2. Bindungstheorien
2.1. Das Phasenmodell eines Bindungsmusters nach Daniel N. Stern
2.2. Ergebnisse einer Studie nach Gabriele Gloger-Tippelt
2.2.1. Die Phasen der Schwangerschaft
3. Bindungsstörungen und die Auswirkungen
4. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Einleitung
Als ich im Mai diesen Jahres das wöchentliche Magazin FOCUS las, entdeckte ich darin einen interessanten Artikel mit der Überschrift: „Muterrolle Rückwärts“, in dem es um die Entwicklung der Frau zur Mutter geht. Daraus ging hervor, dass es heutzutage gerade für emanzipierte Frauen nicht einfach ist, Kinder und die beruflichen Bedürfnisse zu vereinen. Angeregt durch dieses Artikel besorgte ich mir weitere Literatur über das Thema „Entwicklung der Frau zur Mutter“. Beim Lesen dieser Literatur stieß ich dann immer wieder auf die Frage, wie sich die Bindung der Mutter (und auch des Vaters) zu ihrem Kind entwickelt. Die Bindungungstheorie des Kindes an die Mutter (attachment), die von Bowlby und seiner Schülerin Ainsworth entwickelt wurde, begegnete mir häufig beim nachlesen; doch vernachlässigte diese Theorie immer die andere Seite, nämlich die Bindung der Mutter an ihr Kind (bonding). Daher möchte ich in diese Richtung weiter recherchieren, um folgenden Fragen nachzugehen: Wie baut sich die Bindung der Mutter zu ihrem Baby auf? und was passiert, wenn die Schwangerschaft vorzeitig beendet werden muss? Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit soll es daher sein, zu prüfen, ob die Mutter bei einer Frühgeburt die gleiche Beziehung zu ihrem Baby aufbauen kann, als wenn die Schwangerschaft zu Ende geführt wird.
Zuerst möchte ich in Abschnitt 1. ein Beispiel aus der Praxis einer Kinderkrankenschwester auf der Neonatalogoie, der Frühchenstation, geben, welches den Beziehungsaufbau und die mit einer Frühgeburt entstehenden Probleme beim Bindungsprozess deutlich macht.
Im zweiten Abschnitt (Hauptteil) möchte ich verschiedene Ansätze darlegen, welche den Aufbau der Mutter-Kind-Bindung strukturieren und beschreiben.
In dem dritten und letzten Abschnitt wird auf Bindungsstörungen und ihre Auswirkungen auf die Mutter und das Kind anhand von Praxisbeispielen eingegangen.
1. Auswertung eines Interviews mit einer Kinderkrankenschwester auf der Neonatalogie
Als Vorbereitung auf das Interview wurde mir von der Kinderkrankenschwester empfohlen, zunächst einmal Erfahrungen der Eltern zu recherchieren. Da sich dieses Vorhaben, mit betroffenen Eltern zu sprechen schwierig gestaltete, empfahl sie mir einige Bücher, in denen Eltern ihre Erfahrungen niedergeschrieben hatten.
So besorgte ich mir die angegebene Literatur und begann, die Schicksale der Eltern zu studieren. Dabei fiel mir auf, dass die meisten Prozesse große Ähnlichkeit hatten und die Mütter nahezu die selben Ängste plagten. Und so wählte ich für meine Arbeit eine Verlaufskurve, die ich hinterher mit Frau C. noch einmal reflektierte, und die mir eine weitere Perspektive der Situation verschaffte.
Fallbeispiel: Angelika Wruss über ihren Sohn Benjamin (aus: Rinnhofer, Heidi „Hoffnung für eine Handvoll Leben“ 1997)
Benjamin wurde in der 24. Schwangerschaftswoche geboren, wog 710 Gramm, war 32 cm lang und bekam von den Ärzten kaum eine Überlebenschance. Alle erwarteten eine Totgeburt, auch die Mutter rechnete nicht mit einem lebenden Kind: „ Der Umstand, dass mein Kind in mir lebte, dann aber sterben sollte, gab mir keine Kraft, um bei den Wehen mitzuhelfen. Ich erlebte den Geburtsvorgang sehr intensiv, da ich keinerlei Medikamente bekommen hatte.
Nach der spontanen Geburt bildete ich mir dann ein, dass ich – ganz leise – ein Kind schreien hörte, glaubte aber, dass diese Stimme nur vom Nebenraum kommen konnte. Bevor ich in den Operationssaal gebracht wurde, wollte ich noch vom Arzt wissen, ob es denn ein Bub oder ein Mädchen gewesen wäre...“ (ebd. S. 26).
Benjamin überlebte, wenn auch mit vielen Höhen und Tiefen, doch die Mutter plagten schlimmste Gewissensbisse, dass sie für den Zustand ihres Sohnes verantwortlich sei. Sie durfte ihr Kind drei Monate lang nur anschauen, hatte auf anraten der Ärzte keinen Körperkontakt zu ihm und wurde zusätzlich von den Ärzten und Schwestern immer wieder entmutigt.
Sie und ihr Mann hatten Todesangst um ihr Kind. Doch die Ärzte tadelten dieses Verhalten, sich gehen zu lassen, ohne Verständnis für die Angst um das Kind zu zeigen. Sie hatten kein Wort menschlicher Unterstützung für die Eltern, sondern meinten nur, dass der allgemeine Gesundheitszustand des Kindes sowieso sehr bedenklich sei. ]...[ Dabei hatten die Eltern von den anderen Ärzten den Eindurck vermittelt bekommen, dass der Gesundheitszustand ihres Kindes stabil zu bewerten sein. ( vgl. ebd., S. 38)
Dadurch wurde Frau Wruss zunehmend depressiver und die Schuldgefühle wurden stärker. Sie wollte ihr Kind berühren, es zu sich nehmen, doch sie durfte nur zuschauen, wie die Schwestern ihr Kind berührten und es versorgten. So entstand so etwas wie Eifersucht bei der Mutter und wiederum das Gefühl, keine gute Mutter zu sein, nicht für ihr Kind da sein zu können.
Erst viel später, als Benjamin schon zu Hause war, bekam sie das erste Mal Zuspruch von einer Kinderärztin. Außerdem hatte sie zum zunehmend das Gefühl, Mutter zu sein.
„ Sie war die erste Person, die mir das Gefühl gab, dass ich nicht an meinen Fähigkeiten als Mutter zu zweifeln brauchte. Sie machte mir bewusst, dass das wichtigste für uns eine unbelastete Atmosphäre zwischen Mutter und Kind sei. Ich hatte diese ureigenste Art der Beziehung zum Kind und den Mut, der inneren Stimme zu folgen, verlernt. Sie sagte mir, ich solle mein Kind auf meinen nackte Brust legen, um so einen intensiven körperlichen und seelischen Kontakt zu bekommen, den wir beide so lange nicht erleben durften. ]...[ Es wurde mir klar, dass der »Draht« zu Benjamin nur dann funktionieren konnte, wenn er sein Vertrauen in die Welt zurückgewinnen würde, das er eigentlich nur im Mutterleib hatte verspüren dürfen.“ (ebd., S.48)
Dieser Fall zeigt, dass es gerade bei Frühgeborenen Probleme geben kann im Beziehungsaufbau zwischen Mutter und Kind. Frau C. , mit der ich diesen Fall reflektierte, konnte das Verhalten der Schwester und Ärzte auf der Neonatalogie nicht verstehen. Allerdings sagte sie, dass es zu Beginn der neunziger Jahre, in denen Benjamin geboren wurde (21.Februar 1991), durchaus üblich war, die Kinder von der Mutter weitestgehend fern zu halten. Man wollte die Eltern „schonen“ in dem man ihnen die komplette Versorgung des Kindes abnahm und sie sogar oft in den Urlaub schickte, um sich zu erholen. Die Sterblichkeit von Frühgeborenen war damals noch sehr viel höher als heute, da die Neonatalogie schon große Fortschritte gemacht hat, und sogar Frühchen, die kaum mehr als 500 Gramm wiegen, eine Überlebenschance haben. Auch ist man nach Meinung von Frau C. immer mehr davon abgegangen, die Eltern von ihren Kindern abzuschirmen, sondern es wird versucht, so schnell als möglich Körperkontakt zwischen Mutter und Kind herzustellen. Dadurch wird die Bindung sowohl der Mutter zu ihrem Kind als auch umgekehrt gefördert, denn oft ist der Aufbau der Bindung durch den vorzeitigen Abbruch der Schwangerschaft unterbrochen, und je nachdem, in welcher Phase der Abbruch der Schwangerschaft passiert, ist die Bindung an das Kind besser oder schlechter (vgl. Abschnitt 2.1 dieser Arbeit).
Allerdings, so Frau C., gibt es Mütter, die zunächst keinen Kontakt zu den Kindern aufnehmen wollen, da sie Angst haben vor dem Anblick des „unfertigen“ Kindes. Sie sehen diese Kinder oft gar nicht als ihre Kinder an, sie sind ihnen fremd, da in ihren Vorstellungen das Kind nahezu perfekt war, und nun als äußerst klein, mager und unansehnlich wahrgenommen wird. Daher muss die Mutter bzw. müssen die Eltern in solch einer Situation erst langsam an ihr Kind herangeführt werden.
Frau C. beschreibt diesen Vorgang als den Schwierigsten in ihrer Arbeit als Krankenschwester. Einerseits muss das Neugeborene versorgt werden; es hängt oft an vielen Schläuchen und benötigt eine Rundumüberwachung. Andererseits kann es für die Mutter eine zusätzliche Belastung sein, zu sehen, wie andere ihre Aufgaben übernehmen, die sie eigentlich machen müsste, sie aber nicht dazu in der Lage ist. Frau Wruss beschreibt auch einmal, dieses schreckliche Gefühl mit anzusehen, wie andere sich um ihr Baby kümmern. Sie fühlt sich als Mutter herabgestuft und ihr Selbstwertgefühl nimmt immer mehr ab.
Auch Frau C. sieht hierbei ein Hemmnis im Beziehungsaufbau der Mutter. Dadurch, dass sie Mutter das Kind nicht über den vollen Zeitraum der Schwangerschaft in ihrem Körper erlebt und gespürt hat, ist es ihr wohl nicht möglich, nach der vorzeitigen Geburt wenigstens durch Körperkontakt und Nähe zu ihrem Kind das Defizit pränataler Bindung auszugleichen. Allerdings hat dieses Problem in den letzen Jahren laut Frau C. abgenommen, da man heute versucht, die Mutter von der ersten Minute an in die Pflege und Versorgung des Kindes mit einzubeziehen und ihr dabei hilft, die Ängste vor ihrem Kind und vor ihrem eigenen Versagen zu nehmen. Unterstützend versucht man heute auch die Mutter-Kind-Bindung durch das sogenannte „Kangorooing“ zu fördern. Dabei liegt das Kind auf der Brust der Mutter, es wird versucht eine ruhige entspannte Atmosphäre zu schaffen, damit die Mutter ein Gefühl für ihr Baby bekommen kann, und gleichzeitig sich das Baby angenommen und geliebt fühlt. Dies verhindert Probleme, die früher häufig bei Neugeborenen auftraten, wie zum Beispiel ständiges Schreien der Kinder, Essstörungen, Infekte und auch bei deren Müttern, zum Beispiel Depressionen, Selbstwertverlust.
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- Arbeit zitieren
- Sarah Kaufmann (Autor:in), 2004, Vorgeburtliches Bindungsverhalten und die Auswirkung von Frühgeburten auf die Bindungsqualität aus Sicht der Mutter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/40177
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