Wenn von Australien als „jüngstem Kontinent“ die Rede ist, wird oft vergessen, dass Australien als „Land“ sogar noch viel jünger ist. Erst am 1. Januar 1901 trat die Verfassung des „Commonwealth of Australia“ in Kraft und löste damit die Verfassungen der vorher eigenständigen britischen Kolonien Neusüdwaldes, Tasmanien, Queensland, Victoria, Süd- und Westaustralien ab. Ein neuer Staat war damit geschaffen worden, aber auch eine Nation geboren? Diese Frage soll im Rahmen dieser Arbeit zu versuchsweise beantworten werden.
Die systematische Kolonisation Australiens und die Begründung der Siedlungskolonie begann erst 1788 mit der Ansiedlung der ersten Sträflinge in Neusüdwales. Nach und nach wurden auch die anderen Kolonien gegründet, Australien erschlossen. Ein kurzer Überblick über die Entstehung der Kolonien steht am Anfang dieser Arbeit. Daran anschließend geht es um die Nationsbildung, wenn es denn eine solche überhaupt gegeben hat. Sahen sich die Bewohner der Kolonien als Engländer oder schon Australier? Vertraten sie gemeinsame Interessen oder lebten sie für sich allein? Politisch gab es zunächst kaum weitreichende Entwicklungen. Erst im Laufe der Zeit entwickelten die Kolonien ein politisches Bewusstsein und wollten weg von dem Ruf als reine Sträflingskolonie.
Bis Ideen eines vereinten Australien aufkamen, dauerte es noch einige Zeit. Auf zwei Ebenen kann eine Entwicklung beobachtet werden. Einmal innerhalb der Gesellschaft, in der sich die Bewohner langsam als „Australier“ begriffen. Dies zeigte sich an Organisationen wie der „Australian Natives’ Association“, die seit ihrer Gründung 1871 großen Zulauf hatte. Zum Zweiten in der Politik, in der Vorkämpfer wie Henry Parkes als Verfechter der Einigung der Kolonien auftraten. Nicht zu verschweigen sind in dieser Arbeit natürlich auch die mannigfachen Probleme, die einer Einigung Australiens, sei es auf politischer als auch gesellschaftlicher Ebene, entgegenstanden. Denn nachdem sich die Kolonien einmal etabliert hatten, wollten diese auch nicht so schnell auf ihre Vorteile, die sie durch eine Verschmelzung mit den Nachbarkolonien gefährdet sahen, verzichten. Der Überblick über die Entwicklung bis zur Gründung des Commonwealth 1901 zeigt, wie beschwerlich der Weg war.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Entwicklung der Kolonien
3. Nationsbildung
3.1 Die Suche nach einer Identität
3.2 Die politische Emanzipation der Kolonien
3.3 Die Idee von „Australien“
3.4 Die politische Einigung
4. Ein Land, aber auch eine Nation?
5. Zusammenfassung und Bewertung
6. Literaturnachweise und Internetadressen
1. Einleitung
Wenn von Australien als „jüngstem Kontinent“ die Rede ist, wird oft vergessen, dass Australien als „Land“ sogar noch viel jünger ist. Erst am 1. Januar 1901 trat die Verfassung des „Commonwealth of Australia“ in Kraft und löste damit die Verfassungen der vorher eigenständigen britischen Kolonien Neusüdwaldes, Tasmanien, Queensland, Victoria, Süd- und Westaustralien ab. Ein neuer Staat war damit geschaffen worden, aber auch eine Nation geboren? Diese Frage soll im Rahmen dieser Arbeit zu versuchsweise beantworten werden.
Die systematische Kolonisation Australiens und die Begründung der Siedlungskolonie begann erst 1788 mit der Ansiedlung der ersten Sträflinge in Neusüdwales. Nach und nach wurden auch die anderen Kolonien gegründet, Australien erschlossen. Ein kurzer Überblick über die Entstehung der Kolonien steht am Anfang dieser Arbeit. Daran anschließend geht es um die Nationsbildung, wenn es denn eine solche überhaupt gegeben hat. Sahen sich die Bewohner der Kolonien als Engländer oder schon Australier? Vertraten sie gemeinsame Interessen oder lebten sie für sich allein? Politisch gab es zunächst kaum weitreichende Entwicklungen. Erst im Laufe der Zeit entwickelten die Kolonien ein politisches Bewusstsein und wollten weg von dem Ruf als reine Sträflingskolonie.
Bis Ideen eines vereinten Australien aufkamen, dauerte es noch einige Zeit. Auf zwei Ebenen kann eine Entwicklung beobachtet werden. Einmal innerhalb der Gesellschaft, in der sich die Bewohner langsam als „Australier“ begriffen. Dies zeigte sich an Organisationen wie der „Australian Natives’ Association“, die seit ihrer Gründung 1871 großen Zulauf hatte. Zum Zweiten in der Politik, in der Vorkämpfer wie Henry Parkes als Verfechter der Einigung der Kolonien auftraten. Nicht zu verschweigen sind in dieser Arbeit natürlich auch die mannigfachen Probleme, die einer Einigung Australiens, sei es auf politischer als auch gesellschaftlicher Ebene, entgegenstanden. Denn nachdem sich die Kolonien einmal etabliert hatten, wollten diese auch nicht so schnell auf ihre Vorteile, die sie durch eine Verschmelzung mit den Nachbarkolonien gefährdet sahen, verzichten. Der Überblick über die Entwicklung bis zur Gründung des Commonwealth 1901 zeigt, wie beschwerlich der Weg war.
Doch war mit der Verfassung von 1901 wirklich auch eine Nation geschaffen worden? Geklärt werden soll im vorletzten Abschnitt, ob die politische Einigung nur eine Vorstufe war und nicht vielleicht andere Ereignisse nach 1901 wie die Schlacht von Gallipoli wirklich zur Nationsbildung beitrugen. Anders als etwa in den europäischen Staaten konnte Australien nicht auf eine teilweise jahrhundertealte Tradition als Nation zurückgreifen. Nationsbildende Elemente sind daher eher dünn gesät.
2. Die Entwicklung der Kolonien
Im Allgemeinen gelten die Europäer heute als „Entdecker“ Australiens. Zwar vermuten die Forscher, dass Malayen, Inder oder vielleicht sogar Chinesen erstmals auf „Terra Australis“ stießen, doch die ersten systematischen Reisen in die Südsee gingen von Europa aus. Welche Nation nun für sich beanspruchen kann, den fünften Kontinent als erste entdeckt zu haben, war lange Zeit strittig. Spanier und Portugiesen besegelten die Gegend, die Niederländer schließlich betraten zum ersten Mal australischen Boden. 1605/1606 hielt Kapitän Willem Jansz die Küste von Cape York noch für einen Zipfel des bereits bekannten Neuguineas. Zehn Jahre später, am 25. Oktober 1616, landete Dirck Hartog mit der „Eendracht“ an der australischen Westküste rund 700 Kilometer nördlich des heutigen Perth. Weitere Entdeckungsfahrten der Niederländer folgten. Abel Tasman fand 1642/43 eine Insel, die er nach dem holländischen General-Gouverneur in Batavia „Van Diemens Land“ nannte – das heutige Tasmanien.[1] Doch die Eindrücke müssen nicht allzu imponierend für die neue Entdeckernation gewesen sein. Schon Jansz schrieb über Cape York, „dass es dort nichts Gutes zu tun gäbe“[2]. Nachfolgende Reisende schilderten die Lebensumstände in Australien ebenfalls negativ. Trotzdem erlosch das Interesse der Niederlande erst 1645 nach dem Tode van Diemens, der als treibende Kraft fungiert hatte.
In der Folge erkannten Engländer und Franzosen das enorme Potenzial, das in Australien steckte und unternahmen ihrerseits weitgedehnte Forschungsreisen. Als Sieger im Wettlauf um Australien gingen schließlich die Briten hervor. James Cook nahm 1770 das Land im Namen König Georgs III. in Besitz und nannte es New Wales – der Beginn der englischen Kolonisation.[3]
Keine Rolle spielten, geschweige denn Widerstand leisteten die Eingeborenen Australiens während der Inbesitznahme durch die Europäer: „In Australia there could be no serious resistance from the Aborigines and their primitive culture.“[4] Zu kämpfen hatten die neuen „Herrscher“ dafür mit den ungewohnten klimatischen Bedingungen. Doch nachdem sich die USA 1776 für unabhängig erklärt hatten und dem britischen Empire verloren waren, setzte sich bei englischen Politikern die Erkenntnis durch, dass mit Australien die Basis für ein zweites Empire geschaffen werden konnte. Australien bot ideale Möglichkeiten, zur Siedlungskolonie ausgebaut zu werden. 1788 trafen mit der „First Fleet“ die ersten Siedler ein. Waren britische Sträflinge zuvor noch nach Amerika verschifft worden, hieß ihr Ziel nun Australien. 718 Gefangene (davon 153 weibliche), bewacht von 218 Soldaten bildeten die Bevölkerung der nun offiziell gegründeten Kolonie Neusüdwales.[5] Bezeichnenderweise wurden die Neuankömmlinge von den Aborigines noch freundlich begrüßt. Die Ureinwohner ahnten nicht, dass mit der Ankunft der Weißen „ihre Jahrtausende währende Traumzeit zu Ende ging“[6].
In den nächsten achtzig Jahren kamen rund 160.000 Sträflinge nach Australien, wobei es einzelne Jahre gab, in denen allein rund 5000 Gefangen nach „down under“ verschifft wurden.[7] Die Einflussmöglichkeiten Londons hielten sich in Neusüdwales in Grenzen. Das Gebiet war einfach zu groß, weshalb „Van Diemens Land“ schließlich von der Verwaltung Neusüdwales abgetrennt und 1825 zur eigenständigen Kolonie ernannt wurde. Auch dem Problem der unkontrollierten Ausbreitung der Siedler wurde versucht entgegenzuwirken, indem die Kolonien kartographisch erfasst wurden. Karten gab es bis dato noch nicht, lediglich die Niederländer hatten in dieser Hinsicht vorgearbeitet, waren aber bekanntlich nie weit auf das Festland vorgestoßen. Um das große Land weiter zu erforschen, gründeten die Briten neue Kolonien. 1829 landeten die ersten Siedler an der Mündung des Swan Rivers, dem Gebiet, aus dem später Westaustralien wachsen sollte. Als problematisch erwies sich aber, dass das Land zwar schnell vergeben wurde, Arbeitskräfte jedoch fehlten, die die riesigen Flächen auch nutzbar machen konnten. Das war ein Hauptgrund dafür, dass der Sträflingsstrom aus England in den nächsten Jahren nie abriss.
1834 begann die Besiedlung Victorias, was vor allem auf die privaten Initiativen Edward Hentys und John Batmans zurückzuführen ist. Die eigentlichen Besitzer des Landes wurden sogar „entschädigt“. Batman kaufte den Aborigines 600.000 Acres Land für den Gouverneur von Van Diemens Land ab – natürlich für einen lächerlichen Preis, der in Naturalien wie Wolldecken und Taschentücher gezahlt wurde.[8]
Südaustralien verdankt seine Erschließung den Ideen Edward Gibbon Wakefields. Der Ex-Sträfling hatte sich in seinen Artikeln „A Letter from Sydney“, die seit 1826 in einer Londoner Zeitung erschienen, Gedanken über die Kolonisation Australiens gemacht und war vor allem als Kritiker des Landnahmesystems aufgetreten. Für ihn war die Besiedlung mehr, „than sending Britain’s people to empty spaces in the colonies“[9]. Wakefields Initiativen fanden zwar zunächst keine Zustimmung, doch flossen sie zumindest teilweise in die Errichtung der Kolonie Südaustralien 1834 bis 1836 ein. Als vorerst letzte Kolonie wurde 1859 Queensland gegründet. Eigentlich war sie ein Teil Neusüdwales, wurde dann allerdings auf Betreiben des Gouverneurs Denison abgetrennt und als eigenständige Kolonie etabliert.[10]
[...]
[1] Vgl. Johannes Voigt: Geschichte Australiens, Stuttgart 1988, S. 11f.
[2] Mark Peel: Kleine Geschichte Australiens, München 2000, S. 15.
[3] Vgl. Voigt, S. 18f.
[4] A. G. L. Shaw: The story of Australia, London 1983, S. 17.
[5] Ebd., S. 32.
[6] Voigt, S. 21.
[7] Douglas Pike: Australia. The quiet continent, Cambridge 1970, S. 44.
[8] Vgl. Voigt, S. 64.
[9] Pike, S. 73.
[10] Vgl. Voigt, S. 111.
- Citation du texte
- Manuel Praest (Auteur), 2003, Die "Geburt" einer Nation? Die Entwicklung Australiens bis 1901, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/40176
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