Die vorliegende empirische Studie ”Flow beim Lesen“ wurde an 13 Klassen der Klassenstufe 7 des Gymnasiums durchgeführt. Anhand eines Fragebogens wurde retrospektiv das Erleben der Kinder beim Lesen und verschiedene, das Leseverhalten beeinflussende Variablen (Lesekompetenz, Lesevergnügen, Lesehäufigkeit, Modellverhalten der Eltern, Unterrichtsgestaltung) erfasst und explorativ untersucht. Die theoretische Aufspaltung des Flow-Konzepts in verschiedene Subfacetten wurde mittels einer konfirmatorischen Faktorenanalyse überprüft. Die postulierte Modellstruktur des Flow ließ sich empirisch nicht zeigen. Es wird eine neue Operationalisierung für Flow vorgeschlagen. Flow tritt beim Lesen im Kindesalter auf. Es findet sich kein Einfluss der Lesekompetenz auf
das Flow-Erleben. Eine Flow-Typologie bezüglich der Aspekte Flow-Intensität und -Häufigkeit wurde entwickelt. Die gefundenen Flow-Typen unterscheiden sich quantitativ, aber nicht qualitativ. Es wurden Profile für die Flow-Typen herausgearbeitet.
Inhaltsverzeichnis
1 Theorie
1.1 Flow
1.2 Flow und Lesen
1.3 Untersuchungsgegenstand
2 Methoden
2.1 Operationalisierung
2.2 Vorgehen
2.3 Stichprobe
2.4 Überprüfung der Flow-Struktur .
2.4.1 Schülerstichprobe
2.4.2 Validierungsstichprobe .
2.4.3 Flow-Kurzskala
2.5 Skalenkonstruktion
2.5.1 Flow-Intensität
2.5.2 Flow-Häufigkeit
2.5.3 Autotelische Erfahrung
2.5.4 Interesse am Lesen
2.5.5 Lesevergnügen
2.5.6 Aktivität
2.5.7 Offenheit für Erfahrungen
2.5.8 Einfühlungsvermögen . .
2.5.9 Lesekompetenz
3 Ergebnisse
3.1 Flow und Lesen
3.1.1 Leseverhalten der Kinder
3.1.2 Leseverhalten der Eltern
3.1.3 Einfluss der Unterrichtsgestaltung
3.1.4 Geschlechtervergleich
3.1.5 Schulvergleich
3.2 Flow-Erleben
3.3 Flow-Typologie
3.4 Flow und Lesekompetenz
4 Diskussion
4.1 Flow beim Lesen
4.2 Geschlechtervergleich
4.3 Flow-Typologie
4.4 Flow und Lesekompetenz
5 Conclusio
Literatur
A Tabellen
A.1 Theoretische Skalen
A.2 Neue Skalen
A.3 Zusätzliche Variablen
B Kinder-Fragebogen
C Eltern-Fragebogen
D Flow-Modell
E Struktogramme aus Clusteranalysen
E.1 Items zur Flow-Intensität
E.2 Items zur Flow-Häufigkeit
F Flow-Kurzskalen
G Flow-Kurzfragebogen
erz und Lungen arbeiten, der K¨orper verrichtet gleichm¨aßig seine innere Fabrikarbeit - Du f¨uhlst ihn nicht.Nichts weißt Du von der Welt um Dich herum, Du h¨orst nichts, Du siehst nichts, Du liest.
Kurt Tucholsky
Zusammenfassung
Die vorliegende empirische Studie ”FlowbeimLesen“wurdean13KlassenderKlassenstufe7 des Gymnasiums durchgeführt. Anhand eines Fragebogens wurde retrospektiv das Erleben der Kinder beim Lesen und verschiedene, das Leseverhalten beeinflussende Variablen (Lesekompe- tenz, Lesevergnügen, Lesehäufigkeit, Modellverhalten der Eltern, Unterrichtsgestaltung) erfasst und explorativ untersucht. Die theoretische Aufspaltung des Flow-Konzepts in verschiedene Subfacetten wurde mittels einer konfirmatorischen Faktorenanalyse überprüft. Die postulierte Modellstruktur des Flow ließ sich empirisch nicht zeigen. Es wird eine neue Operationalisierung für Flow vorgeschlagen.
Flow tritt beim Lesen im Kindesalter auf. Es findet sich kein Einfluss der Lesekompetenz auf das Flow-Erleben. Eine Flow-Typologie bezüglich der Aspekte Flow-Intensität und -Häufigkeit wurde entwickelt. Die gefundenen Flow-Typen unterscheiden sich quantitativ, aber nicht qualitativ. Es wurden Profile für die Flow-Typen herausgearbeitet.
1 Theorie
Empfundenes Glück bei der Ausführung einer Tätigkeit lässt sich mit jenem emotionalen Zu- stand vergleichen, den der amerikanische Soziologe Mihaly Csikszentmihalyi mit Flow bezeichnet (Csikszentmihalyi, 1992). Im Flow sein bedeutet völlig in einer ausgeübten Tätigkeit aufzugehen und ist durch verschiedene Erlebensformen und begünstigende Umweltbedingungen beschreib- bar. Csikszentmihalyi beschreibt diesen Zustand vor allem beim Bergsteigen, Musizieren, Tan- zen, Segeln und Schachspielen. In seinen neueren Arbeiten erklärt er jedoch: ”Unterdenzur Verfügung stehenden intellektuellen Tätigkeiten ist das Lesen vermutlich zur Zeit die am meis- ten erwählte Flow-Tätigkeit der Welt.“ (Csikszentmihalyi zit. in Bellebaum & Muth, 1996; S. 61). Muth (1996) geht ebenfalls davon aus, dass das Lesen günstige Bedingungen für das Erleben von Flow bietet.
1.1 Flow
Flow ist ein Zustand, in dem ein Mensch bei voller Kapazitätsauslastung ganz in einer Tätig- keit aufgeht und dies als sehr beglückend erlebt (Csikszentmihalyi, 1992). Die Erforschung des Flow-Erlebens durch Csikszentmihalyi erfolgte nach einem stark phänomenologischen Ansatz. Er interviewte und beobachtete Menschen bei verschiedenen Aktivitäten wie zum Beispiel Berg- steigen, Tanzen oder Schachspielen und erkannte, dass unterschiedliche Tätigkeiten sehr ähnlich beschrieben wurden, wenn sie besonders erfolgreich abliefen. ”OffensichtlichfühltesicheinLang- streckenschwimmer bei der Durchquerung des Ärmelkanals fast genauso wie ein Schachspieler bei einem Turnier Sämtliche Gefühle wurden in wichtigen Einzelheiten von den Befragten geteilt...“ (Csikszentmihalyi, 1992; S. 73). Diese verschiedenen, immer wieder beschriebenen Fa- cetten des Erlebens während des Flow-Zustands fasste er zu 7 Erfahrungsbereichen zusammen. Diese Facetten des Flow sind jedoch nicht einheitlich in der Literatur zu finden. Die Angaben über Anzahl, Bedeutung und Benennung schwanken in gewisser Weise zwischen den verschie- denen Autoren, die sich mit dem Konstrukt beschäftigt haben (Rheinberg, 2004; Remy, 2000; Bellebaum & Muth, 1996; Csikszentmihalyi, 1992; Csikszentmihalyi, 1999; Csikszentmihalyi, 2002). Die 6 im Folgenden beschriebenen Facetten wurden konsistent in der Literatur erwähnt. Zur besseren semantischen Abgrenzbarkeit und Präzisierung wurden diese in der vorliegenden Untersuchung mit neuen Bezeichnungen versehen. Das Flow-Erleben ist demnach wie folgt zu beschreiben:
1. Flow scheint nur dann aufzutreten, wenn eine Aufgabe im Bereich der Leistungsfähigkeit des Ausführenden liegt. Der Handelnde erlebt das Gefühl optimal beansprucht zu sein und trotz hoher Anforderungen das Geschehen gut unter Kontrolle zu haben. Er erfährt eine Balance zwischen der Anforderung und seinen Fähigkeiten. Dieser Aspekt wird von Csiks- zentmihalyi als der bedeutsamste für die Bestimmung von Flow genannt (Csikszentmihalyi zit. in Rheinberg, 2004). Die Hervorhebung des Punktes ist jedoch unangemessen, da ge- zeigt werden konnte, dass der Umkehrschluss - jeder der eine Balance zwischen Fähigkeit und Anforderung erlebe, sei im Flow - nicht zutrifft (Moneta & Csikszentmihalyi zit. in Rheinberg, 2004). Diese Facette wurde in der vorliegenden Untersuchung mit Anforderungsoptimum bezeichnet.
2. Ein weiteres deutliches Anzeichen von Flow ist das Verschmelzen von Handlung und Be- wusstsein. Der Handlungsablauf wird als glatt erlebt. Ein Schritt geht einer inneren Logik folgend flüssig in den nächsten über. Diese Facette wurde in der vorliegenden Untersuchung mit Erlebnisfluss bezeichnet.
3. Aufmerksamkeit und Konzentration des Tätigen sind ohne Anstrengung voll und ganz auf seine Aktivität gerichtet, wobei alle anderen Kognitionen ausgeblendet werden, die nicht für die Bewältigung der Aufgabe wichtig sind. Man muss sich also nicht willentlich konzentrieren, vielmehr kommt die Konzentration wie von selbst, ganz so wie die Atmung. Es kommt zur Ausblendung aller Kognitionen, die nicht unmittelbar auf die jetzige Ausführungsregulation gerichtet sind. Diese Facette wurde in der vorliegenden Untersuchung mit Konzentration bezeichnet.
4. Ein weiteres Merkmal einer Person im Flow ist, dass sie ihre Handlungen und die Umwelt unter Kontrolle hat. Zwar ist ihr diese Kontrolle nicht explizit bewusst; die betreffende Person ist einfach unbesorgt bezüglich eines eventuellen Entgleitens dieser Kontrolle. Hierbei handelt es sich also um das Gefühl, die Situation völlig kontrollieren zu können und völlig selbst zu entscheiden, wie die Aktivität verläuft. Diese Facette wurde in der vorliegenden Untersuchung mit Selbstkontrollempfinden bezeichnet.
5. Das Zeiterleben ist stark beeinträchtigt: ”ManvergisstdieZeitundweißnicht,wielan- ge man schon dabei ist.“ (Rheinberg, 2004). Das Zeitgefühl verändert sich also, Stunden vergehen wie Minuten. Diese Facette wurde in der vorliegenden Untersuchung mit Zeitwahrnehmungsveränderung bezeichnet.
6. Ein weiteres Merkmal des Flow-Erlebens ist verschiedentlich als ”VerlustdesSelbst“, ”Selbstvergessenheit“, ”VerlustdesBewusstseinsseinerselbst“,odersogarals ”Transzen- dieren der Individualität“ und ”VerschmelzenmitderWelt“beschriebenworden.Nimmt eine Aktivität jemanden gefangen, werden ”selbstische“Betrachtungenirrelevant(Csiks- zentmihalyi, 1992). Der Handelnde befindet sich in einem Zustand der Selbstvergessenheit, in dem er mit seiner Tätigkeit verschmilzt (Rheinberg, 2004). Diese Facette wurde in der vorliegenden Untersuchung mit Selbstvergessenheit bezeichnet.
Zusammen führen diese Erlebensbereiche des Flow zu einer autotelischen Erfahrung (griech. autos = selbst, telisch = Ziel), bei der eine Tätigkeit ohne Erwartungen künftiger Vorteile aus- geübt wird, einfach weil sie als in sich lohnend wahrgenommen wird. Die autotelische Erfahrung tritt besonders leicht dann auf, wenn eine Aktivität intrinsisch motiviert ausgeführt wird. Aber auch wenn eine Tätigkeit - wie zum Beispiel das Arbeiten im Büro oder eine Routinetätigkeit - zunächst extrinsisch motiviert begonnen wurde, kann sie zu einer intrinsisch motivierten, Flow erzeugenden Aktivität werden, wenn sie in sich als befriedigend erlebt wird.
1.2 Flow und Lesen
Seit langer Zeit stellen sich Germanisten, aber auch Sozialwissenschaftler die Frage ”Wasist Leseglück, wie kommt es zustande?“ (Bellebaum & Muth, 1996). Obwohl vielfältig belegt, ist das Leseglück bisher kaum erforscht. So stellt sich die Frage, ob sich die Erfahrungsbereiche des Flow beim Vorgang des genussvollen Lesens wieder finden lassen und so zu einer detaillierten Beschreibung des Leseglücks dienen können. Am ausführlichsten bemühte sich bisher Ludwig Muth in seinem Artikel ”LeseglückalsFlow-Erlebnis-EinDeutungsversuch“(Muth,1996)um eine Beschreibung des Leseglücks durch Flow. Er stellt dar, wie das Erleben von hoch befriedigendem Lesen durch die Flow-Facetten beschrieben werden kann. Seine Aussagen beziehen sich jedoch nur auf Demoskopen und sind nicht empirisch belegt. Die folgenden Zusammenhänge zwischen Flow und Lesen wurden aus den Angaben von Personen einer demoskopischen Studie abgeleitet (Allensbacher Studie 1995 zit. in Bellebaum & Muth, 1996).
Muth beschreibt, dass das Bücherlesen immer wieder zu einer dynamischen Balance zwischen Anforderungen und Fähigkeiten führe, da geübte Leser höhere Ansprüche an ihre Bücher stell- ten und somit zu anspruchsvollerer Literatur greifen würden, um das Lesen weiterhin als be- friedigend zu erleben. Des Weiteren schreibt er, dass die Rückmeldung beim Lesen über das Verstehen erfolge. Das Verstehen oder Nicht-Verstehen eines Satzes, eines Kapitels oder eines gesamten Werkes gebe dem Leser eine klare Rückmeldung über seine Fähigkeiten. Weiterhin berichtet ein großer Teil der befragten Leser, dass die Aufmerksamkeit und Konzentration beim Lesen ohne Anstrengung voll und ganz auf das Buch gerichtet sind. Vor allem Frauen und Viel- leser geben in der Meinungsumfrage an, dass sie gehäuft in einen Zustand kommen, bei dem sie alles ringsherum vergessen. Zum Aspekt des veränderten Zeitgefühls schreibt Muth: ”Ver- trieben wird die äußerlich gemessene Uhrzeit, die das alltägliche Leben skandiert, erfahren wird eine innerliche Zeitdimension, die nach dem Takt des gelesenen und erlebten Textes zu messen ist.“ (Bellebaum & Muth, 1996, S. 69). Wiederum kann dies durch einen Großteil der befragten Personen bestätigt werden. Eine weitere Facette des Flow ist das Gefühl der Kontrolle über die Situation und der Autonomie im Tun. Vor allem bei jungen Lesern, die sich in ständiger Interaktion mit der Geschichte befinden, kommt es zu dem Gefühl, in der Geschichte zu sein, sie kontrollieren und mitbestimmen zu können. Dies ist in gewisser Weise ähnlich wie der Zu- stand der Selbstvergessenheit und des Verschmelzens mit der Geschichte, während dessen das Gefühl des Sich-Reflektierens und Kontrollierens entfällt. Insgesamt enthält der Leseprozess viele Möglichkeiten, um in einen Flow-Zustand zu kommen und das Lesen als autotelische Erfahrung zu erleben.
Nicht vergessen werden darf, dass Flow sowohl bei fiktionalen Büchern und Romanen als auch bei Sachbüchern auftreten kann (Bellebaum & Muth, 1996).
Da Muth an vielen Stellen seines Artikels schreibt, dass die Personen der von ihm zitierten Demoskopen betonten, die diskutierten Facetten besonders intensiv in ihrer Kindheit erlebt zu haben, ist davon auszugehen, dass das Flow-Erleben beim Lesen auch auf Kinder zu übertragen ist. Diese Annahme wird zusätzlich durch den Artikel ”DieErfahrungdesLeseglücks-zurle- bensgeschichtlichen Entwicklung der Lesemotivation“ von Werner Graf gestützt (Bellebaum & Muth, 1996). Graf untersuchte das Leseverhalten von Studenten unter einer lebensgeschichtli- chen Perspektive und fand, dass das kindliche Leseglück als äußerst intensiv erinnert wurde.
Aus der Literatur zum Flow geht hervor, dass dieses Phänomen als dichotom beschrieben wer- den kann, d.h. es gibt einen Schwellenwert, ab dem die Flow-Facetten so stark ausgeprägt sind, dass das Vorhandensein von Flow angenommen werden kann (Remy, 2000). Darüber hinaus gibt es Belege, dass Menschen unterschiedlich häufig Flow erleben (Csikszentmihalyi, 1992). Die Intensität und die Häufigkeit stellen wichtige Aspekte für die Beschreibung von Flow dar. Sie werden durch verschiedene Variablen beeinflusst. So findet sich bei Csikszentmiahlyi der Hinweis auf das Vorhandensein einer autotelischen Persönlichkeit, der es besonders leicht fällt, in den Flow-Zustand zu gelangen. Aber auch das Vorhandensein von klaren Regeln für die Tätigkeit und von Rückmeldung über das Tun ist förderlich für Flow (Csikszentmihalyi, 1992).
Zum Thema Leseverhalten werden in der Literatur eine ganze Reihe von Faktoren genannt, die einen Einfluss auf Lesesozialisation, Lesekompetenz oder Leseglück haben. Das Geschlecht hat einen klaren Einfluss auf die Lesekompetenz und die Art der bevorzugten Literatur und auch das häufige Lesen der Eltern beeinflusst die Lesefreude des Kindes positiv. Der sozial-ökono- mische Status einer Familie wirkt sich unter anderem auf Leseintensität sowie Lesekompetenz aus. Eine aktive Persönlichkeitsstruktur, die sich durch ein hohes Aktivitätsniveau, eine selbst bestimmte Interessenstruktur und hohe Gratifikationserwartungen ans Lesen auszeichnet, ist förderlich für häufiges Lesen (Hurrelmann, 1993). Die Lesekompetenz ist eine der am besten un- tersuchten Variablen des Leseverhaltens. Sie wird durch viele verschiedene Faktoren beeinflusst, so zum Beispiel vom Leseverhalten der Eltern, der vielfältigen Beschäftigung mit Büchern und der Häufigkeit des Lesens. Die Lesekompetenz steht in einer Wechselwirkung mit der Lesemoti- vation. Kompetentes Lesen führt zu intrinsisch motiviertem Lesen und somit auch zu größerem Leseglück (Hurrelmann, 2002).
1.3 Untersuchungsgegenstand
In der vorliegenden Studie soll auf den Arbeiten zu Flow, Leseglück und Leseverhalten aufbauend untersucht werden, ob Kinder beim Lesen Flow erleben können und wenn ja, ob das Flow- Erleben in Zusammenhang mit der Lesekompetenz steht. Des Weiteren soll die Frage geklärt werden, ob das Flow-Erleben durch bestimmte Faktoren beeinflusst werden kann. Dazu wurde ein Kinder-Fragebogen konstruiert, der das Erleben der Kinder beim Lesen und verschiedene, das Leseverhalten beeinflussende Variablen erfasst. Außerdem wurde zur Validierung der im Kinder-Fragebogen erfassten Konstrukte und zur Erfassung elterlicher Einflussvariablen auf das Leseverhalten der Kinder ein Fragebogen für die Eltern zusammengestellt. Die folgenden inhaltlichen Fragestellungen sollen anhand eines explorativen Vorgehens bearbeitet werden:
- Es soll geklärt werden, ob Kinder beim Lesen Flow erleben können.
- Weiterhin soll untersucht werden, ob in Bezug auf Flow-Intensität, Flow-Häufigkeit sowie andere Variablen Unterschiede zwischen den Geschlechtern auftreten.
- Es soll betrachtet werden, ob jene Variablen, die einen Einfluss auf Lesesozialisation, Lesekompetenz oder Leseglück haben, auch die Intensität bzw. die Häufigkeit des Flow-Erlebens beeinflussen. In der vorliegenden Untersuchung soll darüber hinaus die Frage geklärt werden, ob sich bezüglich der Aspekte Intensität und Häufigkeit des Flow-Erlebens bzw. deren Interaktion, Schülertypen beim Lesen beschreiben lassen, die sich durch bestimmte, das Leseverhalten beeinflussende Variablen voneinander unterscheiden.
- Es wird untersucht, ob ein positiver Zusammenhang zwischen der Lesekompetenz und der Intensität sowie der Häufigkeit des Flow-Erlebens besteht.
2 Methoden
2.1 Operationalisierung
Zur Erhebung von Flow beim Lesen wurde im Rahmen dieser Untersuchung ein Fragebo- gen zur quantitativen Erfassung der beiden Aspekte Flow-Intensität und -Häufigkeit entwi- ckelt. Das Konstrukt Flow wird über die in Abschnitt 1.2 theoretisch beschriebenen 6 Flow- Subfacetten operationalisiert: Anforderungsoptimum, Erlebnisfluss, Konzentration, Zeitwahr- nehmungsveränderung, Selbstkontrollempfinden und Selbstvergessenheit. Remy (2000) verwen- det zur Messung des Flow-Erlebens einen aus der Literatur deduzierten und expertenevaluierten Itempool. Dieser, als auch Items von Rheinbergs Flow-Kurzskala (Rheinberg, 2004) wurden nach vorsichtiger Adaptation zur Operationalisierung der theoretisch postulierten Flow-Subfacetten herangezogen. Die Anpassung der Items erfolgte zielgruppen- (Schüler der Klassenstufe 7) und themengerecht (Flow-Erleben beim Lesen) mit besonderem Fokus auf eine einfache und unmiss- verständliche Formulierung. Die Items wurden 5-stufig skaliert mit trifft überhaupt nicht zu und trifft völlig zu bzw. noch nie erlebt und sehr oft erlebt als Skalen-Endpunkte. EineÜbersicht über diese Items und deren Zuordnung zu den 6 Facetten des Flow finden sich in Tabelle A.1 des Anhangs.
Die Skala Autotelische Erfahrung wurde von Remy (2000) übernommen und adaptiert. Die Items der Skala Enjoyment/Interest stammen aus dem Intrinsic Motivation Inventory (IMI) von McAuley et al. (1987). Diese beiden Skalen reflektieren Facetten von intrinsischer Motivation (s. Tabelle A.1, Anhang A).
Die Operationalisierung der Persönlichkeits-Faktoren Aktivität, Offenheit für Erfahrungen und Einfühlungsvermögen stammt aus dem Big-5 Persönlichkeitsfragebogen für Kinder (Max-Planck- Institut für Bildungsforschung, 1997). EineÜbersicht über die Items dieser 3 Subskalen befindet sich in Tabelle A.3 im Anhang A.
Des Weiteren wurden folgende, für das Leseverhalten relevante Variablen erhoben, deren Konkretisierung durch Plausibilitätsüberlegungen einer Expertengruppe entstand (s. Tabelle A.3, Anhang A): Alter, Geschlecht, Lesehäufigkeit, Lesevergnügen, Modellverhalten der Eltern (Leseund Vorlesehäufigkeit) und Unterrichtsgestaltung.
Die Lesekompetenz der Kinder wurde mittels eines 2-teiligen doppelstündigen Kompetenztests gemessen. Dieser enthielt Aufgaben zu 3 verschiedenen Skalen, deren Inhalte sich an den Thürin- ger Lehrplänen für die Regelschule und das Gymnasium orientierten. (Thüringer Kultusminis- terium, 2004).
- Mündlicher und schriftlicher Sprachgebrauch: Hierbei handelt es sich um produktive Sprachfähigkeiten.
- Umgang mit Texten: Diese Skala erfasst die rezeptiven Sprachfähigkeiten, das bedeutet die Lesefertigkeit der Kinder. Hier geht es also um das Textverständnis, das heißt das Anwenden verschiedener Lesetechniken und das Erfassen textimmanenter Information.
- Reflexion über Sprache: Die Items dieser Skala erfassen Grammatik im weiteren Sinne. Zur Lösung dieser Items benötigt man deklaratives und prozedurales Wissen: deklarativ im Sinne von Regelwissen und prozedural im Sinne von Anwendung dieses Wissens.
Der Eltern-Fragebogen beinhaltete Items zur Messung des Bildungsstandes, der Lesehäufigkeit der Eltern und des Flow-Erlebens der Eltern. Weiterhin sollten die Eltern einschätzen, wie häufig ihr Kind liest sowie ob und wie häufig ihr Kind Flow erlebt.
2.2 Vorgehen
Die Erhebung fand an 6 Thüringer Schulen im Zeitraum von August bis Oktober 2004 statt. Ge- nehmigungen zur Durchführung dieser Untersuchung wurden von den zuständigen Schulämtern und dem/der jeweiligen Direktor/-in eingeholt. Die Zielpopulation besteht aus Schülern der 7. Klasse. Den befragten Kindern wurde während einer 45-minütigen Unterrichtsstunde ein Frage- bogen zum Ausfüllen vorgelegt. Jeweils eine(r) von acht Versuchsleitern/-innen1 führte vor Ort die Erhebung durch. Diese bestand aus dem Austeilen der Fragebögen, der Erteilung standar- disierter Instruktionen, dem Beantworten von Fragen bei Problemen mit dem Fragebogen und 1Neben den Autoren waren noch folgende Mitwirkende beteiligt, denen die Autoren für ihre tatkräftige Un- terstützung herzlich danken: Diana Clauss, Franziska Gleichenstein, Thomas Martin, Claudia Pohl, Madlen Sakalla dem abschließenden Einsammeln der Bögen, nachdem alle Schüler fertig waren. Die Eltern der Schüler wurden ebenfalls gebeten, einen Fragebogen zu beantworten. Dieser Eltern-Fragebogen wurde 1 Woche vor der Erhebung den Kindern mit nach Hause gegeben. Auch konnten die Eltern mittels eines Formular-Vordrucks der Teilnahme ihres Kindes an der Untersuchung zustimmen. Die Anonymität der Eltern und der Kinder wurde durch ein Kodiersystem gewährleistet. Zu kei- nem Zeitpunkt war deren Identität den Versuchsleitern bekannt. Eine nachträgliche Zuordnung von Daten zu Personen ist nicht möglich. Die erhobenen Daten werden vertraulich behandelt und ausschließlich zu Forschungszwecken eingesetzt. Die Lesekompetenz-Daten stammen aus der jährlichen Kompetenztest-Untersuchung der Klassenstufe 6, die von der Friedrich-Schiller- Universität im Auftrag des Kultusministerium Thüringens durchgeführt wird. Die Nutzung die- ser Daten wurde vom Kultusministerium genehmigt.
2.3 Stichprobe
Die Untersuchung wurde an 6 Thüringer Gymnasien durchgeführt. Vier dieser Gymnasien be- finden sich in Städten, wohingegen Schule 5 und 6 Landgymnasien sind. Bei Schule 3 handelt es sich um ein Sportgymnasium. Insgesamt wurden N = 252 Schüler in 13 Klassen der Klas- senstufe 7 befragt. Ein Schüler wurde nicht in die Analysen einbezogen, da er aufgrund einer Extremwertanalyse als Ausreißer identifiziert wurde. Die Anzahl der analysierten Fälle beträgt daher N = 251. Davon sind n = 147 weiblichen und n = 104 männlichen Geschlechts. Dieses ungleiche Geschlechterverhältnis zeigt sich tendenziell in allen Schulen, außer an Schule 3, wo die Anzahl der Jungen etwa der Anzahl der Mädchen entspricht.Über 60% der Versuchspersonen waren zum Zeitpunkt der Untersuchung 12 Jahre, 38% waren 13 Jahre alt. Jeweils 2 Kinder wa- ren 11 bzw. 14 Jahre. Eine Übersicht über die Stichprobe findet sich in Tabelle 1. Im gesamten Flow-Datensatz gab es 1.8% fehlende Werte. Diese wurden auf der Basis von Full Informati- on Maximum Likelihood (FIML) mit dem EM-Algorithmus aus PRELIS 2.54 geschätzt. Die Missings in den Kompetenztest-Daten wurden nicht durch Schätzungen ersetzt, da die Anzahl der fehlenden Werte hier zu groß ist: Für 31.5% der Schüler konnte kein Kompetenztest-Wert zugeordnet werden. Die Mehrzahl der Analysen erfolgte mit SPSS 11.0.
2.4 Überprüfung der Flow-Struktur
2.4.1 Schülerstichprobe
Das in Abschnitt 1.1 postulierte Flow-Modell wurde mittels einer konfirmatorischen Faktoren- analyse überprüft. Die technische Umsetzung erfolgte mit LISREL 8.54. Das Pfaddiagramm findet sich in Anhang D. Es ergab sich ein χ2-Wert von χ2 = 2822.17. Bei df = 806 Freiheitsgra- den liegt der p-Wert bei p = .000. Der RMSEA liegt bei RM SEA = .100. Die Berechnung des gleichen Modells, jedoch mit der Annahme von ordinal (statt metrisch) skalierten manifesten Items, lieferte folgende Gütekriterien: χ2 = 2547.55, df = 806, p = .000, RM SEA = .092. Diese Kennwerte deuten darauf hin, dass von der angenommenen Modellstruktur nicht ausgegangen
Tabelle 1 Häufigkeiten Schule mit Klasse und Geschlechteranteile pro Schule
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
werden kann. Die postulierte Aufspaltung des Flow-Konstruktes in die sechs theoretischen Subfacetten und die zwei Aspekte Intensität und Häufigkeit lässt sich - zumindest mit der verwendeten Operationalisierung - empirisch nicht zeigen.
2.4.2 Validierungsstichprobe
Zur Validierung der unter Abschnitt 2.4.1 gefundenen Ergebnisse fand eine erneute Datener- hebung statt. Als Erhebungsformat wurde ein Online-Fragebogen gewählt, welcher die gesam- ten Flow-Items beinhaltet. Diese wurden unverändert vom Kinder-Fragebogen übernommen. Die Stichprobe besteht aus N = 324 Erwachsenen (nweiblich = 242, nmännlich = 82), vorwie- gend Studenten/-innen. Der Altersdurchschnitt lag bei MAlter = 24.1 mit einer Standardab- weichung von SDAlter = 5.5. Die durchschnittliche Bearbeitungszeit des Online-Fragebogens betrug Mt = 265 sec. Das Item ”ManchmalspieleichgeleseneGeschichtenmitmeinenFreun- den nach.“ wurde aus inhaltlichen und statistischen Gründen aus der Analyse entfernt. Der Mittelwert dieses Items betrug Mqual = .16 (SDqual = .51) bzw. Mquan = .23 (SDquan = .63). Fast alle Personen gaben an, die gelesene Geschichte nicht bzw. nie mit ihren Freunden nachge- spielt zu haben. Dies ist vor dem Hintergrund der Stichprobe - die aus Erwachsenen bestand - verständlich.
Das Strukturmodell weist folgende Gütekriterien auf: χ2 = 2333.93, df = 727, p = .000, RMSEA = .083. Das Aufgeben der Annahme von metrisch skalierten Items, das heißt die Berechnung eines ordinalen Modells, ergab keine wesentliche Veränderung: χ2 = 2069.53, df = 727, p = .000, RM SEA = .080.
Die postulierte Flow-Struktur kann auch an dieser Stichprobe nicht gezeigt werden. Es existiert keine empirische Evidenz, welche die Zergliederung von Flow in die Subfacetten Anforderungs-
Tabelle 2 Flow-Kurzskalen: Gütekriterien
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
optimum, Erlebnisfluss, Konzentration, Zeitwahrnehmungsveränderung, Selbstkontrollempfinden und Selbstvergessenheit rechtfertigen würde.
2.4.3 Flow-Kurzskala
Im Rahmen eines explorativen Vorgehens wurde versucht, das ”beste“ItemderjeweiligenSka- la zur Konstruktion eines passenden Modells heranzuziehen. Das Ziel dieses Ansatzes ist die Entwicklung einer Flow-Intensitäts-Kurzskala bzw. Flow-Häufigkeits-Kurzskala. Tabelle G im Anhang G listet die Items des Flow-Kurzfragebogens mit Antwortskala auf. Die Instruktio- nen zu den Intensitäts- und Häufigkeitsitems befinden sich im Kinder-Fragebogen (Anhang B). Tabelle 2 fasst die Gütekriterien für die an den 2 unabhängigen Stichproben überprüfte Mo- dellstruktur zusammen. Für die Flow-Häufigkeit konnte die Struktur in beiden Stichproben nachgewiesen werden. Das Modell für die Intensitäts-Items passte in der Schülerstichprobe sehr gut (p = .807, RM SEA = .000). In der Erwachsenenstichprobe zeigte sich die Modellpassung mit RM SEA = .07 nur annäherungsweise. Beide Modelle sind im Anhang F zu finden.
Wir schlagen für zukünftige Erhebungen den in Tabelle G.1 (s. Anhang G) aufgeführten Kurz- fragebogen als Instrument vor, welches die holistische Erlebnisqualität des Konstruktes Flow in seinen beiden Aspekte Flow-Intensität und Flow-Qualität ökonomisch und optimal erfasst.
2.5 Skalenkonstruktion
Für jede der 12 Skalen wurden Reliabilitätsanalysen berechnet. Anschließend wurde für jede Ska- la ein Skalenwert gebildet. Da die einzelnen Skalen zum Teil unterschiedlich stufig waren, wur- den diese zur besseren Vergleichbarkeit auf den Wertebereich von 0 bis 4 normiert. Kolmogorov- Smirnov-Anpassungstests für alle Items und Skalen ergaben, dass diese nicht normalverteilt sind. Nur der Skalenwert der Skala Lesekompetenz weist eine Normalverteilung auf. Eine Übersicht über die Skalen mit deren Reliabilitäten und Mittelwerten findet sich in Tabelle 3.
Tabelle 3 Beschreibung der Skalen durch Kennwerte
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.5.1 Flow-Intensität
Die Flow-Intensität, das heißt die qualitative Erlebnisdimension des Flow, wurde nach Verwer- fen der 6 Flow-Subfacetten (s. Abschnitt 2.4) jetzt über die 22 manifesten Items erfasst. Eine Übersicht über die qualitativen Items befindet sich im Anhang A, Tabelle A.2. Die Antwortska- la dieser Items ist 5-stufig von 0 (trifft überhaupt nicht zu) bis 4 (trifft völlig zu). Alle Fragen bezogen sich dabei auf das zuvor erfasste Lieblingsbuch.
Die Reliabilitätsanalyse über die 22 Items ergab einen Reliabilitätskoeffizienten von Cronbach′s α = .88. Nach Entfernen des Items ”IchbinwährenddeLesensmitmeinenGedan- ken ganz woanders gewesen.“ erhöhte sich der Reliabilitätskoeffizient auf Cronbach′s α = .91. Auch aus inhaltlichen Gründen schien das Entfernen dieses Items plausibel, da die Formulierung uneindeutig sein könnte: Der Inhalt dieses Items könnte als Ablenkung vom Inhalt des Buches verstanden werden, oder aber auch als Versunkensein in den Inhalt des Buches. Bei der Erhebung zeigten sich bezüglich dieses Items auch Verständnisschwierigkeiten bei den Kindern. Die Schüler fragten vor allem bei diesem Item nach der Bedeutung.
Der Skalenwert der qualitativen Flow-Skala ist der Mittelwert über die 21 Items pro Person. Der Wertebereich umfasst die Werte von 0 bis 4. Der Mittelwert der qualitativen Flow-Skala über alle Personen beträgt M = 2.95 mit einer Standardabweichung von SD = .65. Der niedrigste von den Kindern erreichte Wert beträgt M in = 1.05 und der höchste erreichte Punktwert liegt bei Max = 4.0. Die Schiefe beträgt a = −.82, die Verteilung des Skalenwertes ist also rechtssteil.
2.5.2 Flow-Häufigkeit
Die Flow-Häufigkeit, das heißt die quantitative Erlebnisdimension des Flow, wurde nach Ver- werfen der 6 Flow-Subfacetten (s. Abschnitt 2.4) jetzt über die gleichen 22 manifesten Items erfasst. Dabei unterscheidet sich jedoch die Antwortskala. Diese ist ebenfalls 5-stufig, jedoch mit den Endpunkten noch nie erlebt (0) bis sehr oft erlebt (4) belabelt. Weiterhin bezogen sich die Fragen hier explizit nicht auf das Lieblingsbuch, sondern die Kinder sollten bei der Beantwor- tung der Fragen an Bücher, Geschichten und anderes denken, die sie im letzten halben Jahr gelesen hatten. Eine Übersicht über die quantitativen Items befindet sich im Anhang A, Tabelle A.2.
Die Reliabilitätsanalyse über die 22 Items ergab einen Reliabilitätkoeffizienten von Cronbach′s α = .92. Auch hier entfernten wir das Item ”IchbinwährenddesLesensmitmeinen Gedanken ganz woanders gewesen“, wodurch sich der Realiabilitätskoeffizient auf Cronbach′s α = .93 erhöhte.
Der Skalenwert der quantitativen Flow-Skala ist der Mittelwert über die 21 Items pro Person. Der Wertebereich umfasst die Werte von 0 bis 4. Der Mittelwert der quantitativen Flow-Skala über alle Personen beträgt M = 2.73 mit einer Standardabweichung von SD = .73. Der niedrigste von den Kindern erreichte Wert beträgt M in = .38 und der höchste erreichte Punktwert liegt bei M ax = 4.0. Auch hier deutet die Schiefe der Verteilung mit a = −.73 darauf hin, dass eine rechtssteile Verteilung vorliegt.
2.5.3 Autotelische Erfahrung
Die Subskala Autotelische Erfahrung der Skala Intrinsische Motivation wurde über 5 Items er- fasst. Die Reliabilitätsanalyse für diese Skala ergab einen Reliabilitätskoeffizienten von Cronbach′s α = .72. Nach Entfernen des Items ”IchhabediesesBuchgelesen,weilesalle gelesen haben.“ erhöhte sich der Realibilitätskoeffizient auf Cronbach′s α = .79.
Der Skalenwert der Skala Autotelische Erfahrung ist der Mittelwert über die verbleibenden 4 Items (s. Tabelle A.2 in Anhang A). Der Wertebereich der Skala liegt zwischen 0 und 4. Der Mittelwert der Skala Autotelische Erfahrung über alle Personen beträgt M = 3.40 mit einer Standardabweichung von SD = .80. Die Spannweite der von den Kindern erreichten Punkte liegt bei 4. Die Schiefe beträgt a = −2.00, die Verteilung ist also eindeutig rechtssteil.
2.5.4 Interesse am Lesen
Die Subskala Interesse am Lesen der Skala Intrinsische Motivation wurde über das Item ”Das Buch war sehr interessant.“ erfasst (s. Tabelle A.2 in Anhang A). Der Mittelwert der Skala Interesse am Lesen über alle Personen beträgt M = 3.69 mit einer Standardabweichung von SD = .62. Die Spannweite der von den Kindern erreichten Punkte liegt bei 3. Das Minimum ist M in = 1. Maximal haben die Kinder den Wert M ax = 4.0 angegeben. Auch hier weist die Schiefe mit a = −2.13 darauf hin, dass die Verteilung eindeutig rechtssteil ist.
2.5.5 Lesevergnügen
Zur Erfassung des Lesevergnügens gab es ursprünglich 3 Items, die sich allgemein auf das Le- sen beziehen. Ein Beispielitem lautet: ”IchhabeFreudeamLesen.“.DieSkalaEnjoyment,eine Facette der intrinsischen Motivation, beinhaltete ursprünglich ebenfalls Items, die das Lese- vergnügen erfassen, sich jedoch auf ein konkretes Buch beziehen, beispielsweise ”Esgibtviele Dinge, die ich lieber getan hätte, als dieses Buch zu lesen.“. Es wurde daher ein hoher Zu- sammenhang zwischen diesen beiden Itemgruppen vermutet. Um dies zu überprüfen, wurde ein Skalenwert für das allgemeine Lesevergnügen als Mittelwert über die 3 Items berechnet. Der Skalenwert für das konkrete Lesevergnügen ist der Mittelwert über die 5 Items dieser Skala. Die Korrelation zwischen dem konkreten und dem allgemeinen Lesevergnügenwert ist signifikant mit r = .69 (p = .000). Eine explorative Faktorenanalyse mit allen 8 Items (Hauptachsenfak- torenanalyse) ergab einen Faktor, der 49.74% der Varianz in den Daten erklärt. Alle 8 Items zeigen dabei hohe Korrelationen mit diesem Faktor. Offenbar macht es also keinen Unterschied, ob man konkret auf ein Buch bezogen oder allgemein das Lesevergnügen erfragt: Beide Arten der Fragen scheinen das gleiche Konstrukt zu erfassen. Daher wurde diese Items zu einer Skala zusammengefasst. Die Skala Lesevergnügen besteht nun also aus 8 Items. EineÜbersicht über die Items findet sich im Anhang A, Tabelle A.2. Der Skalenwert ist der Mittelwert über alle 8 Items mit einem Wertebereich von 0 bis 4. Die Reliabilitätsanalyse für diese Skala ergab einen Reliabilitätskoeffizienten von Cronbach′s α = .87.
Der Mittelwert der Skala Lesevergnügen über alle Personen beträgt M = 3.28 mit einer Stan- dardabweichung von SD = .70. Die Spannweite der von den Kindern erreichten Punkte liegt bei 3.25. Das Minimum ist M in = .75. Maximal haben die Kinder den Wert M ax = 4.0 erreicht. Die Schiefe beträgt a = −1.19, die Verteilung ist also rechtssteil.Überraschend an diesem Ergebnis ist, dass im Durchschnitt von einem sehr hohen Lesevergnügen berichtet wird. In der Literatur findet man eher gegenteilige Aussagen: Das Lesevergnügen bei Kindern ist gering ausgeprägt (Noack, 2005). Diese Befunde sind jedoch nicht unbedingt widersprüchlich zu den Ergebnissen dieser Untersuchung. Aufgrund der Anordnung der Items im Fragebogen lässt sich vermuten, dass sich die Fragen zum Lesevergnügen in erster Linie auf das Lesen des Lieblingsbuches be- ziehen: Fast alle Lesevergnügen-Items folgen nach der Angabe des Lieblingsbuches. Ein Item ”LesenmachtmirSpaß.“solltejedochvondenSchülerngleichzuBeginndesFragebogens eingeschätzt werden. Daher sollte dieses Item nicht eine Bewertung des Lieblingsbuches bein- halten, sondern Ausdruck des allgemeinen Lesevergnügens sein. Die Einschätzung auf diesem Item sollte daher niedriger ausfallen. Um zu überprüfen, ob sich der Mittelwert des zu Be- ginn erfragten Lesevergnügen-Items vom Mittelwert der restlichen Lesevergnügen-Items unter- scheidet, wurde ein t-Test berechnet. Hierbei ergab sich ein signifikanter Mittelwertunterschied (d = −.27, t = −6.53, p = .000). Das zu Beginn erfasste Lesevergnügen-Item hat also einen signi- fikant geringeren Mittelwert mit M = 3.04 als der Mittelwert der übrigen Lesevergnügen-Items (M = 3.31). Dies deutet darauf hin, dass sich in dem mittels des Kinder-Fragebogens erfassten Lesevergnügen eine Bewertung des Lieblingsbuches widerspiegelt.
2.5.6 Aktivität
Die Skala Aktivität besteht aus 3 Items. Der Skalenwert ist der Mittelwert pro Person über alle 3 Items. Da der Wertebereich dieser Skala nur von 0 bis 3 reicht, wurde diese in eine 5-stufige Skala transformiert, um eine bessere Vergleichbarkeit zu den restlichen Skalen zu ermöglichen. Die Reliabilitätsanalyse ergab einen Reliabilitätskoeffizienten von Cronbach′s α = .73. Der Mit- telwert der Skala Aktivität über alle Personen beträgt M = 2.87 mit einer Standardabweichung von SD = .88. Die Spannweite liegt bei 4. Das Minimum beträgt M in = 0. Maximal haben die Kinder M ax = 4.0 Punkte erreicht. Die Schiefe beträgt a = −.51. Dies deutet auf hin, dass die Verteilung leicht rechtssteil ist.
2.5.7 Offenheit für Erfahrungen
Diese Skala besteht aus 2 Items. Der Skalenwert ist der Mittelwert pro Person über diese 2 Items. Auch hier wurde der Wertebereich in eine 5-stufige Skala transformiert. Die Reliabilitätsanalyse ergab einen Reliabilitätskoeffizienten von Cronbach′s α = .61. Der Mittelwert der Skala Offen- heit für Erfahrungen über alle Personen beträgt M = 3.30 mit einer Standardabweichung von SD = .75. Die Spannweite liegt bei 2.67. Das Minimum ist Min = 1.33. Maximal haben die Kinder M ax = 4.0 Punkte erreicht. Die Schiefe beträgt a = −.90. Auch dieser Skalenwert ist rechtssteil.
2.5.8 Einfühlungsvermögen
Diese Skala besteht aus 3 Items. Der Skalenwert ist der Mittelwert pro Person über alle 3 Items. Auch hier wurde der Wertebereich in eine 5-stufige Skala transformiert. Die Reliabilitätsana- lyse ergab einen Reliabilitätskoeffizienten von Cronbach′s α = .72. Der Mittelwert der Skala Einfühlungsvermögen über alle Personen beträgt M = 3.12 mit einer Standardabweichung von SD = .84. Die Spannweite liegt bei 4. Das Minimum ist Min = 0. Maximal haben die Kin- der den Wert M ax = 4.0 angegeben. Die Schiefe beträgt a = −1.00, die Verteilung ist also rechtssteil.
2.5.9 Lesekompetenz
Der Skalenwert der Skala Lesekompetenz wurde als Summe aller 18 Items berechnet, die den Subskalen Umgang mit Texten (Cronbach′s α = .44) und Mündlicher und schriftlicher Sprach- gebrauch (Cronbach′s α = .84) des Kompetenztests zugeordnet sind. Die dritte Subskala Sprach- reflexion (Cronbach′s α = .78) wurde nicht in die Berechnung des Lesekompetenzwertes mit einbezogen, da es sich hierbei um Grammatik im weiteren Sinne handelt. Der LesekompetenzWert hat einen Wertebereich von 0 bis 53. Zur besseren Vergleichbarkeit mit allen anderen Skalen wurde auch diese Skala auf 5 Stufen normiert. Die Reliabilitätsanalyse ergab einen Reliabilitätskoeffizienten von Cronbach′s α = .63.
Der Mittelwert der Skala Lesekompetenz über alle Personen beträgt M = 2.66 mit einer Standardabweichung von SD = .54. Die Spannweite liegt bei R = 2.79. Das Minimum ist M in = 1.21. Maximal haben die Kinder den Wert M ax = 4.0 angegeben. Die Schiefe beträgt a = −.21. Ein Kolmogorov-Smirnov-Anpassungstest ergab, dass eine Normalverteilung des Skalenwertes vorliegt (Kolmogorov − Smirnov − Z = .69, p = .726).
3 Ergebnisse
3.1 Flow und Lesen
3.1.1 Leseverhalten der Kinder
Zu Beginn der Befragung sollten die Kinder ihr Lieblingsbuch angeben. Bei der Auswertung wurden die genannten Bücher Kategorien zugeordnet. Dabei konnten jedoch nur 230 Fälle aus- gewertet werden, da 9.13% der Lieblingsbücher unbekannt waren und somit nicht den in die- ser Untersuchung gewählten Kategorien zugeordnet werden konnten. Es gibt zwei verschiedene Kategorisierungen. Bei der ersten Einteilung wurden die Lieblingsbücher den zwei Kategorien Kinder- und Jugendliteratur oder Erwachsenenliteratur zugeordnet. Häufigkeitsanalysen erga- ben, dass 76.1% der Lieblingsbücher auf die Kategorie Kinder- und Jugendliteratur entfallen. Ei- ne zweite, differenziertere Kategorisierung ermöglichte eine Zuordnung der Lieblingsbücher zu 8 verschiedenen Kategorien: Schicksale, Fantasy, Sachbücher, Liebe und Freundschaft, Abenteuer- und Detektivgeschichten, Grusel und Horror, Thriller und Krimi und Comic und Manga. Die am häufigsten besetzte Kategorie ist Fantasy: 37% der Lieblingsbücher ließen sich diesem Genre zuordnen. Jeweils circa 15% der Lieblingsbücher entfielen auf die 3 Kategorien Liebe und Freund- schaft, Abenteuer- und Detektivgeschichten und Grusel und Horror. 5.7% der Lieblingsbücher waren Sachbücher. Eine Häufigkeitsanalyse ergab einen signifikanten Zusammenhang zwischen Geschlecht und Lieblingsbuchkategorie. Bezüglich der dichotomen Lieblingsbuchkategorisierung ergab sich ein χ2-Wert von χ2 = 6.76 mit df = 1 und p = .009. Jungen und Mädchen unterschei- den sich demnach in der Wahl ihres Lieblingsbuches. Jungen scheinen bevorzugt Erwachsenen- literatur zu lesen: 58.2% der Lieblingsbücher entfielen in dieser Kategorie auf die Jungen und nur 41.8% auf die Mädchen. 61% der Lieblingsbücher der Kategorie Kinder- und Jugendliteratur wurden von Mädchen genannt, wohingegen nur 38.3% der Lieblingsbücher aus dieser Kategorie von Jungen erwähnt wurden. Für die Analyse der differenzierteren Lieblingsbuchkategorisierung ergab sich ein χ2-Wert von χ2 = 27.42 mit df = 7 und p = .000. In der Kategorie Liebe und Freundschaft wählten 91.9% der Mädchen und nur 8.1% der Jungen ihr Lieblingsbuch. Auch in der Kategorie Schicksale überwiegen die Lieblingsbücher der Mädchen mit 66.7%, wohingegen nur 33.3% der Lieblingsbücher dieser Kategorie auf die Jungen entfielen. Dahingegen gaben im Vergleich zu den Mädchen mehr Jungen ein Lieblingsbuch aus der Kategorie Thriller und Krimi (71.4%) und Comic und Manga (75%) an, wohingegen in diesen Kategorien die Mädchen nur zu 28.6% bzw. 25% vertreten waren. Auch in der Kategorie Sachbuch überwiegt der Anteil der Jungen: 61.5% der Lieblingsbücher aus dieser Kategorie wurde von den Jungen angegeben, aber nur 38.5% von den Mädchen. Für die unterschiedlichen Lieblingsbuchkategorien bestehen keine Unterschiede in der durchschnittlichen Intensität des Flow-Erlebens (F = 1.01, df = 7, p = .424). Auch für die durchschnittliche Häufigkeit des Flow-Erlebens konnten keine Mittelwertunterschie- de zwischen den Lieblingsbuchgenres festgestellt werden (F = 1.88, df = 7, p = .074). Das Genre eines Buches, hier des Lieblingsbuches, scheint also weder einen Einfluss darauf zu haben, wie intensiv, noch wie häufig ein Kind Flow erlebt.
Die Kinder haben das Lieblingsbuch vor durchschnittlich 4.53 Monaten gelesen. Die Standardabweichung des Mittelwertes beträgt SD = 6.97 Monate. 80% der Kinder haben ihr Lieblingsbuch innerhalb des letzten halben Jahres gelesen.
Eine Analyse des Items ”WoliestDuamliebsten?“zeigte,dass die Kinder bevorzugt im Bett lesen.
Des Weiteren wurde die Lesehäufigkeit der Kinder betrachtet. Hierzu sollten die Kinder zum einen auf einer 6-stufigen Skala von 5 (fast jeden Tag) bis 0 (seltener ) angeben, wie häufig sie in ihrer Freizeit ein Buch lesen. Die häufigsten Antworten entfielen auf die Kategorie 5: 36,7% der Kinder gaben an, fast jeden Tag zu lesen. Zum anderen sollten die Kinder angeben, wie viele Stunden pro Woche sie in ihrer Freizeit ein Buch lesen. Eine Analyse dieses Items ergab, dass 11.6% der Kinder mehr als 10 Stunden pro Woche lesen. Am häufigsten gaben die Kinder an (33,1%), 7 bis 10 Stunden pro Woche zu lesen. Nur 6,4% der Kinder gaben an, 0 Stunden pro Woche zu lesen.
Weiterhin fanden sich Korrelationen zwischen Flow-Intensität bzw. -Häufigkeit und Lesevergnügen, Lesehäufigkeit und anderen, welche in Tabelle 4 aufgeführt sind. Diese Zusammenhänge werden in Abschnitt 3.3 näher betrachtet.
3.1.2 Leseverhalten der Eltern
Um einen Zusammenhang zwischen elterlichem und kindlichem Leseverhalten zu analysieren, wurden zunächst die Informationen aus dem Elternfragebogen ausgewertet. In 85.7% der Fälle (n = 215) wurde der Elternfragebogen von der Mutter ausgefüllt, wohingegen nur 14.3% der Fragebögen (n = 36) vom Vater ausgefüllt wurden. Dies lässt vermuten, dass die Mutter in den meisten Familien für die Schulangelegenheiten des Kindes zuständig ist. Die Lesehäufigkeit der Eltern wurde auf einer 6-stufigen Skala von 5 (fast jeden Tag) bis 0 (sel- tener ) erfasst. Die häufigsten Antworten entfielen auf die Kategorie 5: 34.7% der Eltern gaben an, fast jeden Tag zu lesen. Der Mittelwert dieses Items liegt bei M = 3.56 mit einer Standard- abweichung von SD = 1.14.
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1 Neben den Autoren waren noch folgende Mitwirkende beteiligt, denen die Autoren f¨ur ihre tatkr¨aftige Unterst ¨utzung herzlich danken: Diana Clauss, Franziska Gleichenstein, Thomas Martin, Claudia Pohl, Madlen Sakalla
- Arbeit zitieren
- Christiane Fiege (Autor:in), Claudia Raschdorf (Autor:in), Martin Hecht (Autor:in), 2005, Flow beim Lesen - Eine empirische Studie an Kindern der Klassenstufe 7, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/40168
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