Das Schlagwort von den "Neuen Medien" bestimmt seit Längerem in Bezug auf das Fernsehen und aktuell in Bezug auf kommunikative Anwendungen von Computernetzen die Diskussion über Formen der Informationsübermittlung. Ein Beispiel für die Entwicklung einer Kunstform unter den technischen Bedingungen eines solchen neuen Mediums zeigt die Entwicklung des Hörspiels im Rundfunk. Vor dem Auftreten der neuen, programmatisch „anderen“ Hörspielformen, die unter dem Begriff des Neuen Hörspiels subsumiert wurden, beruhten Hörspiele bei aller Vielfalt doch auf einem gemeinsamen, weitgehend ungebrochenen Verhältnis zum Medium Sprache. Das Auftreten des Neuen Hörspiels markiert demgegenüber eine Periode intensiver intellektueller Beschäftigung mit den Medien Sprache und Rundfunk, ihren Möglichkeiten, Zwängen und Manipulationsmechanismen. Die große Zeit des Neuen Hörspiels begann mit der Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden an das Hörspiel „Fünf Mann Menschen“ der Wiener Schriftsteller Friederike Mayröcker und Ernst Jandl. Diese beiden Autoren haben darüber hinaus noch drei weitere gemeinsame Hörspiele geschrieben. Diese gemeinsamen Hörspiele möchte ich hier daraufhin untersuchen, wie sie mit ihrem jeweiligen Material umgehen.
Ausgangsthese dieser Arbeit ist die Verwendung von Sprache als Material in den Hörspielen Friederike Mayröckers und Ernst Jandls. Das impliziert die Anwendbarkeit des Montagebegriffs auf die Arbeiten beider Autoren. Verbunden damit ist die These, daß das skizzierte Modell des materialen Mitteilungsraums des Hörfunks sich im Laufe der Arbeit als Verständnishilfe im Hintergrund und möglicherweise auch in der direkten Anwendung auf die Texte oder Teile davon als nützlich erweist.
Aus dem freien Umgang mit dem sprachlichen Material werden in der konkreten Poesie Botschaften entwickelt, die nicht mit der Semantik der Sprache vermittelt werden. Ich erwarte daß solche strukturelle Botschaften auch in materialorientierten Hörspielen auftreten. Diese Erwartung bildet die zweite These dieser Arbeit.
Als Hintergrund der materialen Perspektive auf Sprache habe ich ein kritisches Verhältnis zu der Leistungsfähigkeit dieses Mediums für herrschafts- und störungsfreie Kommunikation sowie zu seinem Einfluß auf die Rezeption und Beschreibung außer-sprachlicher Sachverhalte angeführt. Dieses kritische Verhältnis, so meine dritte These, beeinflußt die poetischen Praktiken beider Autoren in einer Weise, die sich an ihren Texten aufzeigen läßt.
Inhaltsverzeichnis
- Gegenstand der Arbeit
- Sprache als Material
- Die materiale Perspektive als Reaktion auf Mängel des Sprachsystems
- Konkrete Poesie und der materiale Mitteilungsraum geschriebener Sprache
- Die materialen Mitteilungsräume gesprochener und geschriebener Sprache
- Der materiale Mitteilungsraum des Hörfunks
- Zu den Thesen dieser Arbeit
- Hörspieltheoretische Aussagen von Friederike Mayröcker und Ernst Jandl.
- Poetische Verfahrensweisen im Werk Friederike Mayröckers
- Materialbezogene Verfahrensweisen im Werk Ernst Jandls
- Die Hörspiele von Friederike Mayröcker
- Botschaften von Pitt"
- Skizze eines wahrscheinlichen Rezeptionsablaufs
- Assoziationslenkende Mittel
- Deutungsmöglichkeiten
- arie auf tönemen füszen"
- Die weiteren Hörspiele Friederike Mayröckers
- Die Hörspiele Ernst Jandls
- „Das Röcheln der Mona Lisa"
- Weitere Hörspiele
- „Der Uhrensklave"
- Die gemeinsamen Hörspiele von Ernst Jandl und Friederike Mayröcker
- „Fünf Mann Menschen "
- Das Material des Mediums Rundfunk und seine Verwendung in „Fünf Mann Menschen"
- Nichtsprachliche Kommunikation und sprachliche Nichtkommunikation
- Sprache als Material in „Fünf Mann Menschen"
- „Der Gigant"
- „ Spaltungen "
- „ Gemeinsame Kindheit"
- Fazit und Ausblick
- Literatur
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die Verwendung von Sprache als Material in den Hörspielen von Friederike Mayröcker und Ernst Jandl. Dabei werden die Hörspiele unter der Perspektive der konkreten Poesie und der materialen Mitteilungsräume von Sprache und Hörfunk betrachtet. Ziel ist es, die poetischen Verfahrensweisen der beiden Autoren anhand ihrer Hörspiele aufzuzeigen und das Verhältnis ihrer Hörspiele zur Sprache sowie zu den Möglichkeiten und Einschränkungen des Mediums Rundfunk zu analysieren.
- Sprache als Material
- Konkrete Poesie und Hörspiel
- Materialer Mitteilungsraum des Hörfunks
- Poetische Verfahrensweisen von Mayröcker und Jandl
- Rezeptionskritik und Sprachkritik
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet den Gegenstand der Arbeit und skizziert die historische Entwicklung des Hörspiels. Es wird auf die Entstehung des Neuen Hörspiels im Kontext der Medienkritik eingegangen und die Bedeutung des Hörspiels „Fünf Mann Menschen“ von Friederike Mayröcker und Ernst Jandl für die Entwicklung des neuen Hörspiels hervorgehoben.
Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit Sprache als Material. Es wird auf die Ökonomie der Sprache und die Mängel des Sprachsystems eingegangen, die den Einsatz von Montage- und Collagetechniken in der konkreten Poesie erfordern. Die Arbeit stellt fest, dass die materiale Perspektive auf Sprache als Reaktion auf die Diskrepanz zwischen den empirischen Sachverhalten und dem Bild entsteht, das ihre sprachliche Wiedergabe von ihnen entwirft.
Das dritte Kapitel stellt das Modell der Noigandres vor, das als Verstehensmodell für die konkrete Dichtung dient und auf die Kunstform Hörspiel übertragen wird. Es werden die Materialien Mitteilungsräume von Sprache und Bild im Vergleich zum materialen Mitteilungsraum des Hörfunks analysiert.
Das vierte Kapitel erläutert die Thesen der Arbeit. Es wird die Annahme vertreten, dass Sprache als Material in den Hörspielen von Friederike Mayröcker und Ernst Jandl eingesetzt wird. Das Kapitel stellt die These auf, dass das erarbeitete Modell des materialen Mitteilungsraums des Hörfunks sich als Verstehenshilfe sowohl im Hintergrund als auch in der direkten Anwendung auf die Texte oder Teile davon als nützlich erweist.
Das fünfte Kapitel widmet sich den hörspieltheoretischen Aussagen von Friederike Mayröcker und Ernst Jandl. Es werden die gemeinsamen theoretischen Themen der beiden Autoren sowie ihre individuellen Positionen gegenübergestellt. Das Kapitel analysiert den Text „hörspiel ist ein doppelter imperativ“, der als Umschlagtext der gemeinsamen Hörspielsammlung „Fünf Mann Menschen“ dient und wichtige Hinweise auf die Hörspielpoetik der beiden Autoren gibt.
Das sechste Kapitel untersucht die poetischen Verfahrensweisen im Werk Friederike Mayröckers. Es wird auf die Ablehnung der „Story“ als Organisationsform für Texte eingegangen und das Verfahren der Montage als Oberbegriff für materialbezogene Verfahren der Textherstellung dargestellt. Das Kapitel analysiert den Text „Angels' Talk“ aus Mayröckers „Minimonsteß Traumlexikon“ und zeigt auf, dass Mayröcker in ihrer Arbeit mit der materialen Perspektive auf Sprache ein materialbezogenes Verfahren der Collage anwendet.
Das siebte Kapitel beschäftigt sich mit den materialbezogenen Verfahrensweisen im Werk Ernst Jandls. Es werden die von Jandl selbst genannten „Landmarken“ zur Orientierung in seiner Arbeit – das Gedicht in nahezu Alltagssprache, das Stimme verlangende Sprechgedicht, das laute wortlose Lautgedicht und das stille visuelle Gedicht – anhand von Beispielen analysiert. Das Kapitel stellt fest, dass Jandls Gedichte fast ausnahmslos materialbezogene Texte sind, die Sprache in ihren verschiedenen Dimensionen nutzen.
Das achte Kapitel analysiert die Hörspiele von Friederike Mayröcker. Es wird auf die Technik der Collage in Mayröckers Hörspielen eingegangen und anhand der Hörspiele „Botschaften von Pitt“ und „arie auf tönemen füszen“ gezeigt, wie Mayröcker die spezifischen Möglichkeiten und Einschränkungen des Mediums Rundfunk für ihre poetischen Zwecke nutzt.
Das neunte Kapitel analysiert die Hörspiele von Ernst Jandl. Das Kapitel untersucht das Hörspiel „Das Röcheln der Mona Lisa“ und zeigt auf, wie Jandl mit Sprache als Material arbeitet, um Abweichungen von der Sprach- und Sprechnorm zu erzeugen. Es wird die Bedeutung der Stimme des Sprechers und die Funktion von technischen Apparaturen in der akustischen Fassung des Hörspiels hervorgehoben.
Das zehnte Kapitel analysiert die gemeinsamen Hörspiele von Ernst Jandl und Friederike Mayröcker. Es wird auf die Bedeutung des Titels „Fünf Mann Menschen“ für das Hörspiel eingegangen und die Funktion der Stimmenregie, der Szenenwahl und der Verwendung von Sprache als Material im Hörspiel analysiert.
Das elfte Kapitel fasst die Ergebnisse der Arbeit zusammen und gibt einen Ausblick auf weitere Forschungsfragen.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die materiale Perspektive, die konkrete Poesie, das Neue Hörspiel, die Sprachkritik, die Medienkritik, die Entindividualisierung, die Hörspielpoetik, die Montage, die Collage, Friederike Mayröcker, Ernst Jandl, „Fünf Mann Menschen“, „Das Röcheln der Mona Lisa“, „Botschaften von Pitt“, „arie auf tönemen füszen“, „Der Gigant“, „Spaltungen“, „Gemeinsame Kindheit“, Hörfunk, Sprache, Material, Medien, Klang, Raum, Zeit.
- Citation du texte
- Harald Meiß (Auteur), 1997, Sprachkritik und Sprache als Material in den Hörspielen von Friederike Mayröcker und Ernst Jandl, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3998
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