Menschen springen mit einem Fallschirm am Rücken von Hochhäusern, erklettern ohne jede Sicherung hunderte Meter hohe Felswände, fliegen mit dem Hängegleiter Loopings in 6.000 Meter Höhe, reiten mit dem Surfbrett Wellen ab, die so groß sind wie ein mehrstöckige Häuser, springen mit Schi oder Snowboard über 40 Meter hohe Felsen und befahren 60 Grad steile Eiswände, stürzen sich mit Kajaks über riesige Wasserfälle – eine Liste, die sich beinahe beliebig fortsetzen ließe und die eine große Anzahl an sportlichen Aktivitäten umfasst.
Was ist es, das diese Menschen dazu bringt, sich freiwillig in Lebensgefahr zu begeben? Sind Risikosportarten der Ausbruch aus einem überzivilisiertem Leben, in dem es ansonsten nichts mehr zu er-leben gibt? Ist es der Kitzel der Gefahr, Besessenheit, Euphorie, Neugier oder gar Sucht, welche die Menschen an die Grenzbereiche der Existenz streben lässt, um die Todesnähe zu spüren?
Mein Ziel ist es nun, eine Lücke in der Forschung zu schließen, indem ich neben einer ausführlichen Untersuchung des grundlegenden Motivbündels herausfinde, welche speziellen Motive gerade Extremsnowboarder dazu antreibt, ihre gefährliche Sportart auszuüben.
Dazu werde ich zuerst im ersten Kapitel durch die Definition der wichtigsten Begriffe wie Risiko und Risikosport eine Basis schaffen und danach die Sportart Extremsnowboarden näher vorstellen. Im vierten Kapitel werde ich mich mit den aktuellen Veränderungen in unserer Gesellschaft auseinandersetzen, welche die Grundursachen für den Trend zum Risikosport darstellen. Im fünften Kapitel schließlich werde ich die verschiedenen Modelle erklären, mit denen in der aktuellen Literatur die Gründe für die Ausübung von Risikosportarten beschrieben werden. Darauf aufbauend werde ich die empirische Untersuchung in der Form einer Befragung von Extremsnowboardern unter Bezugnahme auf ebendiese Modelle vorstellen und anschließend die Ergebnisse präsentieren.
Inhaltsverzeichnis:
Prolog
1 Problemstellung und Zielsetzung
1.1 Der ganz normale Wahnsinn
1.2 Risikosportart Extremsnowboarden
1.3 Forschungsstand
1.4 Zielsetzung
2 Inhaltliche Grundbegriffe
2.1 Risiko
2.2 Sicherheit
2.3 Risiko im Sport
2.4 Risikosport
2.4.1 Der Begriff
2.4.2 Risikosport oder Extremsport?
2.4.3 Einordnung des Risikosports
2.4.4 Restrisiko
2.4.5 Merkmale des Risiko- und Extremsports
2.4.6 Merkmale von Extremsportlern
2.5 Motiv und Motivation
2.5.1 Bergriffsabgrenzung
2.5.2 Mangel- und Überflussmotiv
2.5.3 Intrinsische und extrinsische Motivation
3 Extremsnowboarden
3.1 Die Sportart.
3.1.1 Faszination Freeriden
3.1.2 Extremsnowboarden
3.2 Wettkämpfe
3.3 Risiken und Gefahren
4 Risikosport als Folge gesellschaftlichen Wandels
4.1 Gesellschaftlicher Wandel
4.1.1 Von der Außenorientierung zur Innenorientierung
4.1.2 Vom Materialismus zum Postmaterialismus.
4.1.3 Vom Geldbudget zum Zeitbudget
4.1.4 Wertewandel und Individualisierung
4.1.5 Defizite des Selbsterlebens
4.2 Die Erlebnisgesellschaft
4.2.1 Merkmale der Erlebnisgesellschaft
4.2.2 Der Sport in der Erlebnisgesellschaft
4.2.3 Gesellschaftspolitische Ursachen für den Trend zu
Risikosportarten
5 Motive im Risikosport
5.1 Langeweile und Unterforderung
5.2 Angstlust und die Lust an der Angst
5.2.1 Der „Thrill“
5.2.2. Die Lust an der Angst
5.3 Reizsuche als Persönlichkeitsmerkmal.
5.3.1 Die Reversionstheorie nach Apter.
5.3.2 Das „Sensation Seeking“ – Konzept nach Zuckerman
5.3.3 Konträre Persönlichkeitstypen
5.4 Suche nach intensiven Sinneserlebnissen.
5.5 Suche nach außergewöhnlichen Emotionszuständen.
5.5.1 Das „Ups-and-Downs“ – Erleben
5.5.2 Das Flow – Erlebnis
5.5.3 Transzendenz
5.6 Grenzsuche.
5.6.1 Suche nach Leistungsgrenzen
5.6.2 Suche nach Risikogrenzen
5.7 Sicherheitssuche
5.7.1 Das Sicherheits – Risiko - Gesetz nach Cube
5.7.2 Die Ordaltheorie nach LeBreton.
5.8 Identitätssuche
5.8.1 Identität
5.8.2 Identitäts- und Sinndefizite
5.9 Anerkennungssuche
5.10 Kameradschaftssuche
5.11 Süchtig nach Risiko?
5.11.1 Psychische Abhängigkeit.
5.11.2 Physische Abhängigkeit
5.12 Zusammenfassung der Motivgruppen
6 Empirische Untersuchung zu den Motiven von
Extremsnowboardern
6.1 Zielsetzung der Untersuchung.
6.2 Untersuchungsmethode
6.2.1 Erhebung
6.2.2 Stichprobe
6.2.3 Auswertung
6.2.3.1 Häufigkeitsanalysen der soziodemografischen Daten
und der Motivbereiche
6.2.3.2 Faktoranalyse der Motivbereiche.
6.3 Ergebnisse der Untersuchung.
6.3.1 Soziodemografische Daten.
6.3.2 Die Motive von Extremsnowboardern.
7 Interpretation der Untersuchungsergebnisse
8 Zusammenfassung und Ausblick
9 LVZ
10 Anhang
I Fragebogen Deutsch
II Fragebogen Englisch
III Tabellen und Grafiken der Faktoranalyse
IV Eidesstattliche Erklärung.
V Lebenslauf
Prolog
Nur langsam verliert sich das ohrenbetäubende Knattern des Helikopters, der mich gerade auf dieser Wechte abgesetzt hat, in den unendlichen Weiten der Bergwelt. Dann bin ich eingehüllt in die unheimliche, weil vollständige Stille, wie man sie nur auf dem einsamen Gipfel eines Berges findet. Unter mir befinden sich eintausend Höhenmeter jungfräulicher Tiefschnee, 55 Grad steil, ein Hang, in den noch nie zuvor ein Mensch seinen Fuß gesetzt, geschweige denn ihn mit dem Snowboard befahren hat. Etwas verloren fühle ich mich mit einem Mal, und sehr alleine. Angst, denke ich plötzlich. Was ist, wenn der ganze Hang beim ersten Schwung als Lawine abreißt und mich mit sich in die Tiefe trägt, um mich dort unter meterhohen Schneemassen zu begraben? Was passiert, wenn ich stürze und zu fallen beginne, wenn…
Ich zwinge mich, diese Gedanken beiseite zu schieben. Lenke die gesamte Konzentration auf das Wesentliche, das Wichtige, den Augenblick. Ich atme langsam und bewusst und spüre, wie der Knoten in meinem Magen sich auflöst und mir warm wird im ganzen Körper. Auf einmal ist alles ganz selbstverständlich: dass ich alleine hier oben steht, dass ich mich ab jetzt nur mehr auf mich selbst verlassen kann und meiner Erfahrung und meinen Instinkten vertrauen muss. Wie schon so oft. Egal was nun kommt, ich bin mir sicher, dass ich damit fertig werden kann. Ich nehme die Herausforderung an, genieße die totale Kontrolle über die Situation, die ich nun empfinde. Ein Grinsen überkommt mich, ein Hochgefühl der Unverwundbarkeit. Dann schnalle ich mir mein Snowboard an die Füße, stoße mich ab und fahre los. Die Beschleunigung auf den ersten Metern raubt mir fast den Atem, doch ich spüre das Leben, so stark, wie ich es nur in Augenblicken wie diesen spüren kann…
(Gedanken des Autors während eines Drehtags zum Snowboardfilm „Time and Essence“ in der Chugach Mountain Range, Alaska, im März 2004)
1 Problemstellung
1.1 Der ganz normale Wahnsinn
Menschen springen mit einem Fallschirm am Rücken von Hochhäusern, erklettern ohne jede Sicherung hunderte Meter hohe Felswände, fliegen mit dem Hängegleiter Loopings in 6.000 Meter Höhe, reiten mit dem Surfbrett Wellen ab, die so groß sind wie mehrstöckige Häuser, springen mit Schi oder Snowboard über 40 Meter hohe Felsen und befahren 60 Grad steile Eiswände, stürzen sich mit Kajaks über riesige Wasserfälle – eine Liste, die sich beinahe beliebig fortsetzen ließe und die eine große Anzahl an sportlichen Aktivitäten umfasst.
Zwei Dinge sind all diesen Aktivitäten jedoch gemeinsam: Zum einen handelt es sich fast ausschließlich um sehr junge Sportarten, die erst in den letzten Jahrzehnten oder sogar Jahren entstanden sind, beziehungsweise sich erst in der jüngsten Vergangenheit in eine extreme Richtung entwickelt haben. Zum anderen bewegen sich die Athleten, die diese Sportarten ausüben, in einem Grenzbereich, in dem bereits kleine Fehler fatale Folgen haben können, also zu schweren Verletzungen oder zum Tod führen können.
Diese beiden Tatsachen werfen die Frage nach dem Warum auf. Was ist es, das diese Menschen dazu bringt, sich freiwillig in Lebensgefahr zu begeben? Sind Risikosportarten der Ausbruch aus einem überzivilisiertem Leben, in dem es ansonsten nichts mehr zu er-leben gibt? Ist es der Kitzel der Gefahr, Besessenheit, Euphorie, Neugier oder gar Sucht, welche die Menschen an die Grenzbereiche der Existenz streben lässt, um die Todesnähe zu spüren? Dies sind die Fragen, denen ich in dieser Arbeit nachgehe und die ich zu beantworten versuchen werde. Dabei wäre es aber illusorisch, ein einzelnes, allgemeingültiges Motiv für das Ausüben von Risikosport finden zu wollen, denn es handelt sich immer um ein ganzes Motivbündel, das bei jedem Menschen unterschiedlich zusammengesetzt ist (Vgl. Mehr, 1996).
1.2 Risikosportart Extremsnowboarden
Innerhalb der Sportart Snowboarden gibt es zahlreiche Disziplinen und Facetten. Die meisten davon gelten nicht als Risikosport. Ich werde mich jedoch auf den Bereich des Extremsnowboardens, auch Extrem-Freeridens genannt, beschränken. Bei diesem wird
„…zusätzlich zum klassischen, vom Schifahren her bekannten Tiefschneefahren das Gelände als solches in die Abfahrt eingebunden. Sprünge über Felsen, Wechten und Geländekanten von teilweise enormen Höhen und Weiten mit schwierigen Tricks wie mehrfachen Salti oder Schrauben sowie das Ausnützen verschiedener Geländeformen für bestimmte Schwungarten gehören genauso dazu wie der gekonnte Umgang mit dem im extrem steilen Gelände mitfliessenden Schnee und der aktive Umgang mit den ständig präsenten alpinen Gefahren wie Lawinen und Abstürzen“ (Örley, 2004, S. 6).
Da ich selbst seit mehreren Jahren meinen Lebensunterhalt als Profi in dieser Sparte des Snowboardsports verdiene und regelmäßig an entsprechenden Wettkämpfen teilnehme, habe ich einen sehr starken persönlichen Bezug zur Thematik. Immer wieder werde ich in unserer Gesellschaft mit Unverständnis für mein regelmäßiges, freiwilliges Eingehen von hohen Risiken konfrontiert. Somit habe ich auch ein starkes persönliches Interesse an der Erforschung der Gründe, die Menschen dazu bewegen, die Sicherheit des Alltags zu verlassen und ihr Leben bei der Ausübung von gefährlichen Sportarten wie eben dem Extremsnowboarden aufs Spiel zu setzen.
1.3 Forschungsstand
Aufgrund der dynamischen Entwicklung in den letzten zwei Jahrzehnten gibt es zum Thema der Risiko- und Extremsportarten in der aktuellen Literatur vielseitige Veröffentlichungen. Allerdings bieten diese kaum sportartspezifische Analysen. Es ist mir nicht gelungen, Veröffentlichungen zu finden, die sich mit der sportartbezogenen Thematik dieser Arbeit, also mit der Risikobereitschaft im extremen Snowboardsport, beschäftigt
Generell wird die Risikothematik nicht nur im Rahmen der Sportwissenschaften, sondern vor allem auch in den Fachrichtungen der Soziologie und der Psychologie behandelt. Dementsprechend gliedert sich die Ursachenforschung innerhalb dieser Arbeit in eine makrosoziologische Komponente, welche die Ursachen für den Trend zum Risikosport in den gesellschaftlichen Veränderungen wie beispielsweise der vermehrt bestehenden Freizeit oder der hohen sozialen Sicherheit in unserer Gesellschaft sucht. Die Kompensation von Unterforderung und Langweile ist ein zentrales Thema in diesem Bereich.
Daneben bestehen auf der psychologischen Seite Bestrebungen, die Ursachen beim einzelnen Menschen zu finden. Hier wurden verschiedene Modelle entwickelt, die den unmittelbaren Grund für das Aufsuchen von Risikosituationen beschreiben sollen. So wird beispielsweise versucht, auf empirischem Weg Persönlichkeitsmerkmale zu isolieren, welche die Einstellung des Einzelnen zum Risiko bestimmen (Vg. Zuckerman, 1979 & 1994) und es werden Persönlichkeitstypen beschrieben, die risikofreudiger sind als andere (Vgl. Balint, 1959). Auch die Rolle der Angst und der Lust an derselben beschäftigt die Autoren (Semler 1994), ebenso wie die Bedeutung des menschlichen Neugierverhaltens und Drangs zu Risikoaktivitäten für die Evolution und die Gesellschaft (Vgl. Apter, 1992). Weiters wird die Identitätsproblematik als Anreizspektrum von Risikosportlern untersucht und die Rolle der Annerkennungssuche behandelt (Vgl. Aufmuth, 1984 & 1986). Ein umfassendes Konzept stellt das auf empirischer Basis entwickelte Modell der Erlebnis- und Grenzsuche von Allmer (1998) dar. Die Suche nach Sicherheit wiederum stellen Autoren wie Cube (1990) und LeBreton (1995) in den Mittelpunk ihrer Ausführungen. Das Konzept des Flow, des Aufgehens im Tun, umfassend beschrieben von Csikszenmihalyi (1985 & 2000), nimmt in der Thematik der Ursachenforschung für den Trend zum Risiko eine zentrale Stellung ein und wird in die meisten Ansätze in der einen oder anderen Form integriert.
Die Vielfältigkeit der Problematik und damit auch der Erklärungsansätze ist offensichtlich. Da ich die angesprochenen Ansätze und Modelle im Hauptteil meiner Arbeit detailliert vorstellen werde, belasse ich es hier bei diesem kurzen Überblick.
1.4 Zielsetzung
Ziel dieser Arbeit ist es, eine Lücke in der Forschung zu schließen, indem neben einer ausführlichen Ergründung des grundlegenden Motivbündels im Risikosport geklärt werden soll, welche speziellen Motive gerade Extremsnowboarder dazu antreibt, ihre gefährliche Sportart auszuüben. Das möchte ich erreichen durch eine ausführliche Analyse der bestehenden Literatur, gefolgt von einer Befragung von Aktiven, die sich thematisch an die bestehenden, sportartunspezifischen Modelle für die Lust am Risiko anlehnt und klären sollen, welche davon in der Realität des Extremsnowboarders Bestand haben und für diese Sportart anwendbar sind.
Dazu werde ich zuerst in dem an diese Einführung anschließenden zweiten Kapitel durch die Definition der wichtigsten Begriffe wie „Risiko“ und „Risikosport“ eine Basis schaffen und danach die Sportart Extremsnowboarden näher vorstellen. Im vierten Kapitel werde ich mich mit den aktuellen Veränderungen in unserer Gesellschaft auseinandersetzen, welche die Grundursachen für den Trend zum Risikosport darstellen. Im fünften Kapitel schließlich werde ich die verschiedenen Modelle erklären, mit denen in der aktuellen Literatur die Gründe für die Ausübung von Risikosportarten beschrieben werden. Darauf aufbauend werde ich die empirische Untersuchung in der Form einer Befragung von Extremsnowboardern unter Bezugnahme auf ebendiese Modelle vorstellen und anschließend die Ergebnisse präsentieren und interpretieren.
2 Inhaltliche Grundbegriffe
2.1 Risiko
Der Duden definiert Risiko folgendermaßen: „Risiko drückt in Bildungen mit Substantiva aus, dass jemand oder etwas Schwierigkeiten bereitet, einer Gefahr oder bestimmten Gefahren ausgesetzt ist“ (Deutsches Universalwörterbuch A-Z, 1989, S. 1259).
Undeutsch (1988, S. 3) spricht von Risiko, wenn „bei einem bestimmten Verhalten das Verfehlen des angestrebten Zielzustandes und damit verbunden das Eintreten eines Nachteils für das Subjekt möglich ist.“
Baumann (1986, S. 118) nennt eine Handlung „…riskant, wenn ein erstrebenswertes Ziel vorhanden ist, gleichzeitig aber Ungewissheit darüber besteht, ob die zur Verfügung stehenden Mittel ausreichen, diese Ziel zu erreichen.“
Schleske (1977, S. 42) meint: „Risikoverhalten liegt dort vor, wo im Hinblick auf das Erreichen eines übergeordneten Ziels eine Leistungs- und eine Sicherheitstendenz einen Konflikt herbeiführen, der innerhalb eines begrenzten Zeitraumes durch eine Entscheidung gelöst werden muss.“
Wiedermann (1993, S. 46-49) spricht vom sogenannten „Risikokonzept“, das sich meiner Meinung nach sehr gut mit dem Risikoproblem im Sport verbinden lässt: „Unter der Annahme, dass ein Subjekt ein Ziel trotz einer gewissen Gefährdung erreichen will, bestehen immer zwei Möglichkeiten: Die Reduzierung des Schadenspotentials durch die Gefährdung oder die Verringerung der Eintrittswahrscheinlichkeit des Zielerreichens.“
Der Begriff Risiko wird sowohl im alltäglichen Sprachgebrauch als auch in der Literatur häufig mit Wagnis, Abenteuer und Gefahr in Verbindung gebracht. Dennoch dürfen diese Begriffe nicht synonym verwendet werden. Schleske (1977, S. 45) grenzt in Bezugnahme auf Bollnow (1965) Abenteure, Wagnis und Risiko anhand konstituierender Merkmale voneinander ab:
Merkmal des Abenteuers: Erleben von Überraschendem und Zufälligem
Merkmal des Wagnisses: Erleben von existenziellen Erfahrungen
Merkmal des Risikos: Gewisse Kalkulierbarkeit der Handlungsergebnisse
Luhmann (1991) unterscheidet weiters die Begriffe Risiko und Gefahr. Auch wenn er feststellt, dass die beiden Worte in der Fachliteratur identisch oder mit unklarer Überschneidung gebraucht werden, so gibt es seiner Ansicht nach einen gravierenden Unterschied: Man spricht von Risiko, wenn der etwaige Schaden als Folge einer Entscheidung eintritt, und von Gefahr, wenn der etwaige Schaden als extern veranlasst, also auf die Umwelt zugerechnet, gesehen wird.
2.2 Sicherheit
Der Begriff Sicherheit bedeutet das Freisein von Bedrohung und wird in unserer Gesellschaft als Komplementärbegriff zu Risiko verwendet. (Vgl. Meyers Taschenlexikon, 2001). Cube geht dabei von der Annahme aus, dass der Mensch das Risiko aufsucht, um Sicherheit zu gewinnen. „Haben wir Sicherheit erreicht und genießen sie vielleicht schon längere Zeit, dann treibt es uns zur Unsicherheit, zum Risiko“ (Cube, 1990, S. 12). Und weiter: „Der Sicherheitstrieb ist, wie jeder andere Trieb auch, nie dauerhaft befriedigt. Es gibt keinen Endzustand an Sicherheit. Ist Sicherheit erreicht, sucht man Unsicherheit. Das ist der Kern des Verständnisses für das Risikoverhalten des Menschen“ (Cube, 1990, S. 41).
Sicherheit und Risiko können nie absolut sein, sondern müssen immer im Zusammenhang mit dem Gegenpol gesehen werden: „Es gibt kein risikofreies Verhalten, was soviel bedeutet, als dass es keine absolute Sicherheit gibt. (…) Praktische Erfahrung lehrt eher das Gegenteil: Je mehr man weiß, desto mehr weiß man, was man nicht weiß, und desto eher bildet sich ein Risikobewusstsein aus“ (Luhmann, 1991, S. 37).
2.3 Risiko im Sport
Eine unmittelbare Folge der Entwicklung der heutigen Erlebnisgesellschaft ist die immer stärkere Ausdifferenzierung des Sports. Neue Herausforderungen werden gesucht und angenommen. Dies bedeutet gleichzeitig aber auch, Gewohntes aufzugeben und sich in Positionen und Situationen zu begeben, die ein unterschiedliches Risikopotential beinhalten. Der Begriff Risiko erfährt allerdings auch „unter sportwissenschaftlichen Sichtweisen eine Reihe von akzeptanzbezogenen Differenzierungen. So bietet der Sport generell die Möglichkeit mit Risiken unterschiedlicher Art umzugehen, sie sinnvoll zu dosieren und zu kalkulieren“ (Röthig, 1992, S. 385).
Gerade im Sport müssen verschieden Arten des Risikos unterschieden werden. Eine essentielle Unterscheidung ist die von Opaschowski (2000), die in objektive und subjektive Gefahren unterteilt:
Objektive Risiken
Das sind unvorhersehbare Natur-Ereignis, wie. z.B. ein Sturm, eine Lawine usw. Auf solche Risiken kann und muss man sich vorbereiten, ohne sie jedoch genau vorhersehen zu können.
Subjektive Risiken
Sie treten auf, wenn Risikosportler sich überschätzen, den Schwierigkeitsgrad der sportlichen Herausforderung im Verhältnis zum eigenen Können nicht richtig abschätzen können. Sie besitzen nicht genügend Selbstdisziplin oder Erfahrung, um kontrolliert auf Gefahren reagieren zu können (Opaschowski, 2000, S. 88-91).
Dabei wird das tatsächlich vorhandene Risiko in der jeweiligen Situation von verschiedenen Personen unterschiedlich bewertet. Dieses persönliche, subjektive Risiko empfinden ist jedoch vom Begriff des subjektiven Risikos zu unterscheiden. Cube (1990, S. 13) meint dazu: „Ein geübter Bergsteiger empfindet bei einem höheren Schwierigkeitsgrad kein größeres Risiko als ein ungeübter bei einem geringeren Schwierigkeitsgrad.“ Das heißt prinzipiell, dass das subjektive Risikoempfinden gleich bleiben kann, während das subjektive Risiko als solches steigt. Dazu kommt auch noch, dass freiwillig übernommene Risiken weniger kritisch gesehen werden als diejenigen Risiken, denen wir unfreiwillig ausgesetzt sind, bzw. die wir gezwungenermaßen eingehen oder erdulden müssen.
Klebelsberg (1969) differenziert
-Risiko, das eingegangen wird, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, wo das Risiko also nur eine unangenehme Nebenerscheinung am Weg zu einem gewissen Ziel ist, und
-Risiko, das um seiner selbst Willen aufgesucht wird, weil sein Erleben bestimmte (lustvolle) emotionale Zustände hervorruft.
Im Sport können beide dieser Fälle eintreten. Während der Fallschirmspringer gerade den lustvollen Adrenalinstoß während des Sprunges sucht, den er aufgrund des empfundenen Risikos erlebt, ist für den Bergsteiger die Überwindung der verschiedenen Gefahren am Weg zum Gipfel das oberste Gebot.
Das Interesse dieser Arbeit soll sich vor allem auf jene Risiken erstrecken, die nicht zweckrational geplant und auf ein Produkt orientiert sind, sondern vielmehr auf solche, die als zweckfrei und vollzugsorientiert bezeichnet werden können. In diesem Fall wird das Handeln von der Absicht getragen, erwünschte Zustände aufrecht zu erhalten, die aufgrund ihrer psychophysischen Begleiterscheinungen positiv besetzt sind. Grundsätzlich gilt jedoch für beide von Klebelsberg unterschiedenen Arten des Risikos, dass das Erreichen eines Emotionszustandes, sei es während oder am Ende einer Tätigkeit, genug Lustgewinn verspricht, um dafür ein gewisses Risiko einzugehen.
2.4 Risikosport
2.4.1 Der Begriff
Bevor ich mich den Gründen für die verstärkte Zuwendung zum Risikosport widme, die über die letzten Jahre in unserer Gesellschaft ersichtlich wurde, möchte ich den Begriff selbst exakt abgrenzen. Meyers Taschenlexikon definiert folgendermaßen:
„Risikosportart: Außergewöhnliche sportliche Disziplinen, die durch extreme physische und psychische Beanspruchung sowie durch ein objektiv vorhandenes und/oder subjektiv empfundenes Gesundheits- bis Lebensrisiko gekennzeichnet sind. Dabei wird das mit der sportlichen Aktivität verbundene Risiko bewusst gesucht und als Nervenkitzel genossen. (…) Der Übergang von Risiko- zu Extremsportarten ist fließend“ (Meyers Taschenlexikon, 2001, Band 18, S. 319).
„Beim Risikosport wird das mit der sportlichen Aktivität verbundene Risiko gesucht und als „Nervenkitzel“ genossen“ (Brockhaus, 2003, S. 315).
Dazu muss festgehalten werden, dass jede sportliche Betätigung, die körperlichen Einsatz verlangt, das Risiko einer Verletzung mit sich bringt. Die Grenze zum Risikosport liegt nun dort, wo dieses Risiko sehr stark erhöht ist, das heißt also, wie in obenstehender Definition beschrieben, Gefahr für Leib und Seele mit sich bringt.
Diese Definitionen gilt es auch zu beachten, wenn man innerhalb einer Sportart „normalen“ Sport vom Risikosport abgrenzen will. Dies ist speziell im Trendsportbereich nicht immer einfach. So bekommen einerseits neue, junge Trendsportarten sehr leicht nur aufgrund ihrer augenscheinlichen Exotik den Stempel des Risikosports aufgedrückt. Anders stellt sich die Problematik bei Sportarten dar, bei denen es rein an der Art der Ausübung liegt, ob man von Extrem- oder Risikosport sprechen kann oder nicht. Snowboarden auf der Piste stellt ebenso wie Schifahren in erster Linie sicherlich keinen Risikosport dar. Sobald sich der Snowboarder aus dem gesicherten Pistengelände entfernt, unterliegt er bereits höheren objektiven Risiken. Wenn er nun auch noch extrem steile Hänge befährt, über hohe Felsen springt und sich dabei bewusst der Lawinengefahr und anderen alpinen Gefahren aussetzt, erst dann kann man von „Extremsnowboarden“ sprechen. Erst in diesem Bereich, in dem der Athlet ein hohes Eigenkönnen vorweist, in dem er sich der Gefahren seiner Aktivitäten bewusst ist und in dem er die eingegangenen Risiken kalkuliert, erst hier kann man diese Sparte des Snowboardens dem Risikosport zuordnen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1:
Ein Snowboarder beim Befahren eines Steilhangs oberhalb einer Felswand. Wer sich freiwillig solchen Gefahren aussetzt, kann eindeutig als Extremsportler bezeichnet werden.
(Foto: Schantl, Quelle: Eigenarchiv des Autors)
2.4.2 Risikosport oder Extremsport?
Abgrenzen muss man Risikosport unter anderem vom Extremsport. Obwohl in der Literatur und wohl auch im täglichen Sprachgebrauch die beiden Begriffe annähernd inhaltsgleich verwendet werden, so bestehen doch einige Unterschiede. In Meyers Taschenlexikon (2001) sind Extremsportarten „außergewöhnliche, zum Teil risikoreiche sportliche Disziplinen, bei denen der Ausübende höchsten physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt ist. Der Übergang von Extrem- zu Risikosportarten ist fließend“ (Meyers Taschenlexikon 2001, Band 18, S. 237).
Hier erkennt man sowohl die enge Verwandtschaft der beiden Begriffe, als auch den gravierendsten Unterschied: Konstituierend für den Risikosport ist das Aufsuchen des Risikos, das durchaus enorme körperliche oder physische Leistungen erfordern kann. Der Extremsport hingegen hat diese körperlichen oder physischen Leistungen als konstituierendes Merkmal und kann unter Umständen auch risikoreich sein, was aber nicht zwingend notwendig ist.
Extremsnowboarden ist somit dem Bereich des Risikosports zuzuordnen, wenn auch die gebräuchliche Formulierung das Wort „extrem“ inkludiert.
LeBreton liefert eine Definition des „Extrems“: „Limit, Grenze, aber stets jenseits dessen, was bereits da ist, und ein Individuum auf einer Suche, die es nicht benennen, kann, die es unablässig antreibt, die nicht befriedigt werden kann. Immer weiter treiben, bis ans Ende der Kräfte, endlich an eine Grenze zu stoßen, um dort sich lebend zu fühlen und eine Fassung zu geben. Das Paradoxon des Extrems ist, dass man sich auflöst, um sich selbst zu sammeln, eine zerstückelte Identität zu einem Ganzen fügen will, indem man aufs Ganze geht (LeBreton, 1995, S. 55).
2.4.3 Einordnung des Risikosports
Risikosport wird als spezielle Ausprägungsform des Erlebnissports gesehen, der sich nach Kornexl abhängig von den Intentionen des Ausübenden in drei Bereiche abgrenzen lässt, wobei auch hier der Unterschied zwischen Risiko- und Extremsport zutage tritt:
1) Die Bereitschaft bzw. Tendenz, ein relativ großes Risiko einzugehen, wie zum Beispiel beim Drachen- oder Segelfliegen oder beim Paragleiten. Interessant in diesem Zusammenhang scheint das besondere Lustgefühl zu sein, das die mit Risiko behafteten Herausforderungen mit sich bringen. Dadurch kann es auch nicht selten durch die wiederholten Erfolgserlebnisse zu suchtartiger Abhängigkeit kommen.
2) Die Suche, etwas Außergewöhnliches zu erleben, was im bisherigen Sport unbekannt bzw. nicht realisierbar war (…).
3) Das Bestreben, Extrembelastungen des Körpers einzugehen. Hierzu zählen alle Arten von Extremsportarten (…) (Kornexl, 1992, S. 4-7).
Bitz (1989) führt den Überbegriff „Extreme Outodoor Sports“ für die Bereiche des Erlebnis-, Extrem-, Grenz-, Natur-, und Risikosports ein. Auch hier findet sich die Unterscheidung eines Risiko- und eines Extrembereichs.
Cube der Sport aus der Perspektive der Evolution betrachtet, meint drei Funktionsbereiche unterscheiden zu können:
Der erste ist der Fitnessport, der den durch Bewegungsmangel verursachten Zivilisationskrankheiten durch Abrufen der programmierten Bewegungspotentiale entgegenwirkt und damit eine unbedingt notwendige Funktion erfüllt. Der zweite Bereich umfasst den Kampfsport im weitesten Sinn, wo es vorwiegend um die Befriedigung des Aggressionstriebs geht. Den dritten Bereich schließlich stellt der Risikosport dar, der zur Befriedigung des Sicherheitstriebes dient (Vgl. Cube 1990).
2.4.4 Restrisiko
Der Sport bietet in seinen vielfältigen Erscheinungsformen zahlreiche Möglichkeiten, Risikosituationen aufzusuchen. Diese werden auch in der Praxis von unzähligen Sportlern durch das Ausüben von Risikosportarten wahrgenommen. Paradox ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass Gefahrenrisiken bewusst und freiwillig eingegangen werden, nur um ihnen zu entgehen. Als typische Risikosportarten gelten Drachenfliegen, Fallschirmspringen, Paragleiten, Klettern, Wildwasserfahren, Canyoning, Basejumping, Big-Wave-Surfing, Downhillbiking, Eisklettern und andere. All diesen Sportarten ist gemein, dass ein Teil des Risikos für Leib und Leben kalkulierbar ist, ein gewisser Teil sich jedoch der Kontrolle des Ausübenden entzieht. Das ist das berühmte Restrisiko, das der Sportler kennt und das er durch seine Erfahrung und sein Eigenkönnen zu minimieren trachtet.
„Es gibt ein Risiko, das man kalkulieren kann, und eines, das außerhalb unserer Kontrolle liegt“ (Ayrton Senna zitiert in Tomlinson, 1997, S. 51).
Der Sportler setzt sich also objektiven Gefahren aus, wobei die Möglichkeit eines Unfalls untrennbar mit der ausgeübten Sportart verbunden ist und dies auch im Bewusstsein des Sportlers gegenwärtig ist. Die Haltung des Risikosportlers erweist sich durchwegs als ambivalent: Einerseits sucht er die Gefahr und gibt seine Sicherheit preis, andererseits nimmt er alle Chancen wahr, die sich ihm zur Vermeidung von Misserfolgen und Unfällen bieten (Vgl. Schleske, 1977).
2.4.5 Merkmale des Risiko- und Extremsports
Baumgartner und Hlavac führen folgende Merkmale des Risiko- und Extremsports an:
- Die Ausübung ist mit objektiv hohem Risiko verbunden, bzw. liegt die Unfallschwere höher als bei anderen Sportarten
- Die Anzahl der Sportausübenden ist gering
- Die psychische und physische Belastung bei deren Ausübung ist hoch
- Teure Ausrüstung und/oder Betreuungspersonal ist die Voraussetzung (als Ausnahme wird Freiklettern genannt)
- Zur Ausübung wird im Idealfall keine Infrastruktur, aber ein Sportgerät benötigt
- Sie entsprechen dem Prinzip der „Freizeitleistungsgesellschaft“
(Baumann und Hlavac, 2000, S.14)
Auch Allmer (1998) hat wesentliche Merkmale aufgezeigt, die für Extrem- und Risikosportaktivität charakteristisch sind. Er nennt hierbei fünf typische Kriterien:
Außerordentliche körperliche Strapazen
Extrem- und Risikosportaktivitäten verlangen dem Körper das Letzte ab, und mitunter münden die Anstrengungen in die totale Erschöpfung. Vor allem die Konfrontation mit widrigen Naturkräften (z.B. Hitze, Kälte, Stürme usw.) stellen harte Prüfungen an den Körper des Menschen.
Ungewohnte Körperlagen und –zustände
Für die meisten sportlichen Aktivitäten bestehen extreme und riskante Anforderungen darin, dass der Körper in unübliche Lagen und Zustände gebracht wird. Hierzu gehören der freie Fall und das Schweben in Luft und Wasser, hohe Geschwindigkeiten und Beschleunigungen sowie schnelle Rotationsbewegungen und extreme Körperseitenlagen, die völlig neue Körperorientierungen verlangen.
Ungewisser Handlungsausgang
Kennzeichnend ist für extreme und riskante Situationen, dass Erfolg und Misserfolg einer Handlung gleich wahrscheinlich sind.
Unvorhersehbare Situationsbedingungen
Im Detail lassen sich Extrem- und Risikosportaktivitäten nicht planen, da es nicht vorhersehbar ist, welche Situationsbedingungen auftreten werden und ob die gegebenen weiter bestehen bleiben oder zu welchem Zeitpunkt eine bestimmte Situation eintreten wird.
Lebensgefährliche Aktionen
Gegenüber anderen Sportaktivitäten beinhalten Extrem- und Risikosportaktivitäten mehr die Gefahr, das Leben zu verlieren. Einerseits können sich die Gefährdungen der körperlichen Unversehrtheit aus Fehlern, Unachtsamkeit und Leichtsinn des Akteurs selbst ergeben, andererseits können diese aus einer plötzlichen Verschlechterung der Situationsbedingungen resultieren. Das Scheitern bzw. der Misserfolg infolge von Personen- und Situationsfaktoren wird lebensbedrohlich. Demgegenüber spiegelt sich der Erfolg unmittelbar im Überleben wieder.
Hartmann listet spezifische Faktoren für Risiko- und Extremsportarten auf, welche in wechselnder Kombination und variablem Ausmaß die einzelnen Tätigkeiten der Risikosucher bestimmen:
- Körperbetonung, Exponierung des eigenen Körpers
- Körperliche Fitness, Körperbeherrschung, Geschicklichkeit, Technik als Voraussetzung
- Motorische Bedürfnisse, Bewegungsdrang, Mobilität
- Bedürfnis nach Geschwindigkeit und (Quer-) Beschleunigung
- Aufsuchen von Tiefen- und/oder Drehschwindel
- Aufsuchen körperlicher und/oder seelischer Belastungen, teilweise über längere Zeit mit extremen Anforderungen an Dauerleistungsfähigkeit
- Aufsuchen von Risiken und Gefahren - vom einfachem Verletzungsrisiko bis hin zur akuten Todesgefahr
- Aufsuchen von unterschiedlich getönten Erregungszuständen: Fun, Hochgefühl, Angst, Nervenkitzel, Thrill, Angstlust
- Aufsuchen von Trance- und Rauschzuständen
- Voraussetzung und Herausforderung bestimmter Charaktereigenschaften: Mut, Wagemut, Tollkühnheit, Nervenstärke, Gelassenheit, Coolness, Diszipliniertheit, Umsicht, Konzentrationsfähigkeit, Geistesgegenwart, Flexibilität, Durchhaltevermögen, …
- Implikation des Steigerungsmotivs: höher, tiefer, schneller, weiter, länger, strapaziöser, spektakulärer, tollkühner, eleganter, perfekter.
- Generelles Bedürfnis nach Überschreitung persönlicher und absoluter Grenzen, Vorstoß in völlig neue Leistungsdimensionen
(Hartmann, 1996, S. 74)
2.4.6 Merkmale von Extremsportlern
Dies ist der sogenannte „Crossover - Sportler“, der viele verschiedene Sportarten beherrscht. Da von ihm eine Vielzahl an Fähigkeiten verlangt wird, schreibt ihnen der Bergsteiger und Psychologe Aufmuth sogar besondere Charaktereigenschaften zu. Er behauptet, Extrem- und Risikosportler
- besitzen eine starke Willenskraft
- können Energiepotentiale mobilisieren
- streben nach den Grenzen des Machbaren und Erlebbaren
- demonstrieren Härte nach außen und gehören doch zu den besonders Sensiblen, die sich verletzlich zeigen oder innerlich ausgegrenzt fühlen (Aufmuth, 1996, in: Opaschowski, 2000, S. 124)
Opaschowski (2000, S. 126) beschreibt Grenzgänger weiters als Erfolgsmenschen, welche zum Großteil jung, ledig und vor allem höher gebildet sein. Diese letztgenannte Eigenschaft ist relevant, weil höhere Bildung meist auch eine höhere soziale Sicherheit impliziert, die nach Cube (1990) ja gerade der Grund für das Aufsuchen von Risikosituationen ist. Auch die Ungebundenheit (Familie) ist ein wichtiger Faktor, weil dadurch keine Rücksicht auf Menschen genommen werden muss, die dem Sportler nahe stehen und sich Sorgen machen oder den Risikosport in Frage stellen könnten.
Szczesny-Friedmann versuchte, persönlichkeitsspezifische Voraussetzungen risikosuchenden Verhaltens zu isolieren. Die Untersuchung fand mit einer Experimentalgruppe, bestehend aus 30 Risikosportlern (Taucher, Höhenbergsteiger, Fallschirmspringer) und einer Kontrollgruppe aus 30 Nicht-Risikosportlern (Schwimmer, Bergwanderer) statt. Durch die Anwendung einer Kombination diverser Testbatterien konnte sie folgende Eigenschaften nachweisen:
(1) Risikosportler haben ein starkes Bedürfnis nach Reizvariation, das sie vorwiegend in der aktiven Auseinandersetzung mit der nicht-sozialen Umwelt befriedigen.
(2) Sie neigen stärker zu Selbstgenügsamkeit und Eigenständigkeit und glauben, ihre Handlungen und deren Konsequenzen unbeeinflusst von externen Faktoren selbst bestimmen zu können.
(3) Sie zeichnen sich durch Leistungsbereitschaft und Selbstvertrauen in riskanten Situationen aus.
(4) Sie neigen gleichzeitig zur Akzentuierung der potentiell gefährlichen Elemente einer Reizsituation, ohne jedoch auf bestimmte Kategorien von Angstsituationen besonders anzusprechen (Szczesny-Friedmann, 1982, S. 251f)
Semler (1994, S. 45) nimmt an, dass „…Risikosucher Menschen mit einem hohen persönlichen Aktivationsniveau sind, die entsprechend starke Stimulation benötigen, um anschließend einen positiv empfundenen Aktivierungsabfall auf ihr optimales Aktivationsniveau erleben können.“
Wieland (1993) stellte in einer empirischen Untersuchung von Fallschirmspringern fest, dass diese signifikant weniger Angst vor physischen Verletzungen haben als Nicht-Fallschirmspringer. Weiters konnte er nachweisen, dass dem Erfahrungsgrad im Fallschirmspringen keine Bedeutung für die Angst vor physischen Verletzungen zukommt. Dies spricht dafür, dass die Motive, welche einen Menschen zur Ausübung von Risikosport bewegen, schon vor dessen erster Ausübung klar ausgeprägt sind Im nächsten Abschnitt werde ich mich daher mit den Grundlagen der Motivation beschäftigen.
2.5 Motiv und Motivation
Die Motivationsforschung ist ein äußerst umfangreiches Gebiet, das schwer zu überschauen ist. Sie ist Thema in der Persönlichkeitspsychologie, der Sozialpsychologie, der Tiefenpsychologie, der klinischen Psychologie und der experimentellen Lernpsychologie. Ich werde hier nur die für diese Arbeit relevanten Begriffe Motivation und Motiv abgrenzen und selektiv auf einige weiterführende Differenzierungen eingehen.
2.5.1 Bergriffsabgrenzung
Motiv
Wenn man Menschen fragt, warum sie etwas Bestimmtes tun wollen (zum Beispiel Snowboarden), dann geben die Befragten bestimmte Gründe an. Wenn man weiters annimmt, dass man dabei die wahren Gründe erfährt, dann sind diese offensichtlich das, was als ein Bedürfnis erlebt wird und zu einem Ziel führt. Diese Gründe, die für ein bestimmtes Verhalten angenommen werden und die direkt nicht beobachtbar sind, bezeichnet man als "Motive des Verhaltens", oder anders ausgedrückt als „Verhaltensdisposition“. Sie sind die Beweggründe, die – auf Bedürfnissen beruhend – das menschliche Handeln begründen.
Ein Motiv ist „(...) ein bewusstgewordenes Bedürfnis, das zielgerichtete Verhaltensabläufe steuert. Merkmale von motivbedingten Handlungen beinhalten:
- das Erleben des Antriebs, des Irgend-Etwas-Müssens als kennzeichnend für Innenerleben des Handelns;
- die Gerichtetheit, bzw. das Abzielen der Handlung auf einen künftigen Zustand, auf ein bestimmtes Ereignis;
- der Übergang von einem Zustand der Spannung zur Lösung derselben“
(Nowotny, 1982, S. 129).
Der Sportpsychologe Bakker formuliert: „Motive (Gründe für Handeln) sind relativ stabile Merkmale, die ein Individuum zur Aufnahme bestimmter Aktivitäten veranlassen. Motive sind Dispositionen, d.h. sie werden unter besonderen Umständen wirksam oder werden im Verhalten aktualisiert“ (Bakker, 1992, S. 22ff).
Motivation
„Motivation, ist alles, was das Verhalten in einer gegebenen Situation bestimmt“ (Nowotny, 1982, S. 129). Motivation wirkt von zwei entgegengesetzten Polen aus: Einmal vom erlebenden und strebenden Subjekt her als interner Pol mit Bedürfnissen, Trieben, Wünschen, Neigungen, Planungen, usw., und einmal vom auslösenden und angestrebten Objekt her als externer Pol mit dessen Anreizwerten und Aufforderungs- bzw. Vermeidungscharakter
„Motivation bezieht sich auf den Zustand des Organismus, der für die Initiierung einer bestimmten Handlung zu einem bestimmten Zeitpunkt verantwortlich ist. Unter Zustand des Organismus versteht man die Kombination von internalen (persönlichen) und externalen (situativen) Faktoren, welche eine Handlung einleiten und dadurch ein Motiv aktualisieren. Es ist somit klar, dass nicht nur persönliche Faktoren (z. B.: Bedürfnisse, Fähigkeiten, Erwartungen,...) zum sportlichen Verhalten motivieren, sondern auch die Vielzahl situativer Faktoren (z. B.: Werbung, Freizeit, öffentliches Ansehen bei Wettkämpfen,...) eine wichtige Rolle spielen“ (Bakker, 1992 S. 22ff).
2.5.2 Mangel- und Überflussmotiv
Für alle Motive sind zwei Tatsachen wesentlich:
- jedes Motiv ist durch physiologische und biologische Faktoren mitbedingt
- jedes Motiv ist dadurch gekennzeichnet, dass es entweder Spannung lösen oder Spannung erreichen will. Es ist darauf gerichtet, einen Mangelzustand abzustellen oder einen Überflussstand zu erreichen (Nowotny, 1982, S. 131).
Aus diesen Tatsachen kann man zwei Motive ableiten, das Mangelmotiv und das Überflussmotiv. Das Verhalten eines Menschen ist durch das Zusammenspiel beider Motivklassen bestimmt.
Mangelmotiv
Darunter versteht man unter anderem das Streben nach Selbsterhaltung (Essen, Trinken, usw.). Ziel ist es beim Mangelmotiv immer, Spannungen oder Unlust zu vermeiden.
Überflussmotiv:
Dieses ist gekennzeichnet durch Bedürfnisse nach angenehmen, sinnlichen Erfahrungen, genussreichen Besitztümern, Leistung, das Streben nach Achtung und Liebe der Mitmenschen sowie Selbstachtung und Selbstentfaltung. Das Ziel ist immer, eine Spannungszunahme zu erreichen und Lustgewinn herbeizuführen. Die Motive, die im Sport generell und im Risikosport speziell wirksam werden, sind dieser Kategorie zuzuordnen (Vgl. Nowotny, 1982)..
2.5.3 Extrinsische und Intrinsische Motivation
Nach dem Ort, von dem aus der Antrieb erfolgt, lassen sich zwei Arten von Motivation unterscheiden.
Extrinsisch motiviertes Verhalten ist dabei als Mittel für einen Zweck anzusehen. Bei extrinsischer Motivation lassen sich Menschen durch äußere Belohnungen oder durch die Furcht vor äußerer Bestrafung motivieren.
Intrinsisch motiviertes Verhalten hingegen erfolgt um seiner selbst willen oder eng damit zusammenhängenden Zielzuständen, es ist also nicht bloß Mittel zu einem andersartigen Zweck. Diese von innen heraus kommende Art von Motivation finden wir im Risikosport am häufigsten. Gefahren und Risiken werden als "Selbstzweck", "um ihrer selbst willen" aufgesucht (Heckenhausen, 1989, S. 455f).
Schleske geht auf die Risikosuche aus der Perspektive der intrinsischen Motivation ein und führt dabei den Begriff der „zweckfreien Tätigkeiten“ ein. In entsprechenden Risikosituationen ist es möglich, individuelle Kräfte zu entdecken und Fähigkeiten darzustellen, Energien zu entwickeln und Hemmungen und Ängste zu überwinden. Durch diese Möglichkeiten werden Heiterkeit und Lebensfreude induziert. Es kommt zu einer Entlastung und Erholung von den Zwängen und Pflichten des Alltagslebens. Dem Individuum erschließen sich Handlungsfelder, die ihm sonst nicht zugänglich sind. Die Umwelt verliert ihren Abstand und ihre Anonymität und erhält den Charakter eines individuellen zugänglichen Aktionsfeldes. Die somit erlangte "Zweckfreiheit" erweist sich als Möglichkeit, außerhalb der Bindung an Verpflichtungen individuell erwünschte Erlebnis- und Handlungsräume einer sonst für diese Perspektive unzugängliche Realität zu erschließen. (Vgl. Schleske, 1977)
"Das Ziel (…) von zweckfreien Tätigkeiten ist nicht ein Endzustand, sondern das Anregende, das Interessante oder das, wie auch sonst immer Aufmerksamkeit Weckende dieser Betätigung selbst. Zweckfreie Tätigkeiten werden nicht um ihrer selbst willen, sondern um ihres eigenen Anregungspotentials willen aufgenommen. Sie sind nicht frei von "Bedürfnissen", sondern dienen einer individuellen Bedürfnisbefriedigung. (…) Als Anregungspotentiale für intrinsisch motivierte Tätigkeiten gelten dabei Neuigkeit, Komplexität, Überraschung und Ungewissheit“ (Schleske, 1977, S. 67f).
3 Extremsnowboarden
3.1 Die Sportart
3.1.1 Faszination Freeriden
Für Weiß (1996, S. 126) bedeutet Freeriden auf dem Snowboard „Meditation in der Alpinen Winterwelt“. Ich habe diese Aussage angeführt, da das Gleiten mit dem Snowboard über jungfräuliche Tiefschneehänge in unberührter Bergwelt tatsächlich etwas Meditatives mit sich bringen kann. Die Glücksgefühle, die beim Geschwindigkeitsrausch im Einklang mit den Elementen zu erleben sind, stellen einen grundlegenden Faktor für die Lust an der Ausübung dieses Sports dar. Hier werden auch die Ursprünge des Snowboardens offensichtlich, das sich aus der kalifornischen Szene der Wellenreiter an Nordamerikas Westküste heraus entwickelte. Schon damals war es die Grundidee der Pioniere des Snowboardens, das schwerelose Gleiten (Surfen) in den Wellen auf das Surfen im Tiefschnee zu übertragen.
Da zum Thema Freeriden im Allgemeinen und zum Extremsnowboarden im Speziellen kaum Fachliteratur existiert, werde ich dabei viel auf Eigenwissen zurückgreifen, das ich mir in meiner achtzehnjährigen Erfahrung als Snowboarder, davon fünf Jahre als Freeride-Profi, angeeignet habe.
3.1.2 Extremsnowboarden
Zusätzlich zum klassischen, vom Schifahren her bekannten Tiefschneefahren wird beim modernen Freeriden auf dem Snowboard das Gelände als solches in die Abfahrt eingebunden. Sprünge über Felsen, Wechten und Geländekanten von teilweise enormen Höhen und Weiten mit schwierigen Tricks wie mehrfachen Salti oder Schrauben sowie das Ausnützen verschiedener Geländeformen für bestimmte Schwungformen gehören genauso dazu wie der gekonnte Umgang mit dem im steilen Gelände mitfliessenden Schnee. Während der klassische Tiefschneefahrer offene, homogene Hänge sucht, um diese in weitgehend gleichbleibendem Rhythmus zu befahren, sucht der Extremsnowboarder möglichst abwechslungsreiches Gelände am Berg und sieht darin einen Spielplatz, in dem er sich je nach Könnensstufe bewegt. Steilste Hänge und schwierigste, dem Laien unbefahrbar erscheinende Abschnitte eines Berges werden als spezielle Abfahrtsvarianten angesehen. Je länger sich dabei der erfahrene Fahrer einen zu befahrenden Hang im vorhinein ansieht und je genauer er sich die von ihm gewählte Abfahrtsroute einprägt, umso perfekter kann er dann während des Befahrens seine Bewegungen ausführen, da er dann immer schon im vorhinein weiß, an welcher Stelle welcher Schwung oder Sprung geplant ist. Die Möglichkeiten, die sich bei entsprechender Schneelage in den Bergen bieten, sind schier endlos (Örley, 2004, S. 6).
„Spielen am und mit dem Berg beschreibt das Wesen des Freeridens wohl am besten,“ erklärt dazu der Amerikaner Steve Klassen, der in dieser Sparte des Snowboardens mit seinen zahlreichen Siegen bei internationalen Freeridewettkämpfen als der wettkampfbezogen erfolgreichste Freerider der Welt gilt (Klassen, 2004, zitiert in: Örley, 2004, S. 6).
Der Übergang vom klassischen Freeriden hin zum Risikosport des Extrem-Freeridens, der zur einfacheren Verständlichkeit auch als Extremsnowboarden bezeichnet wird, ist dabei fließend und definiert sich über die Höhe der gewählten Schwierigkeiten und der eingegangenen Risiken während der Abfahrt.
Zur Verdeutlichung möchte ich hier eine seelenverwandte Sportart des Extremsnowboardens anführen, nämlich das „Big Wave Surfing“, welches die Königsdisziplin im Wellenreiten darstellt, von dem das Snowboarden, wie oben erwähnt, abstammt. Auch im Sport des Wellenreitens gibt es einen fließenden Übergang vom Surfen auf „normalen“, also kleinen bis mittelgroßen Wellen, das weltweit von einer sehr großen Zahl an Personen beherrscht und praktiziert wird, hin zum Reiten auf Monsterwellen von bis zu 15 Metern Höhe, das nur von relativ wenigen Personen ausgeübt wird. Nicht zuletzt aufgrund dieser Verwandtschaft wird in den USA nicht der Name „Extremsnowboarden“ verwendet, sondern der vom Surfen großer Wellen (Big Wave Surfing) abgeleitete Name „ Big Mountain Riding“.
3.2 Wettkämpfe
Freeridewettkämpfe sind Wettbewerbe, bei denen die Athleten auf ihren Snowboards einen Berg oder Hang, im Fachjargon auch das „Face“ genannt, auf möglichst spektakuläre Weise nach frei gewählten Routen, den „Lines“, befahren und dabei von Punkterichtern nach speziellen Kriterien bewertet werden, ohne dass dabei Zeit eine Rolle spielt. Es werden lediglich einer oder mehrere Startpunkte, meist direkt auf dem Gipfel des zu befahrenden Berges, sowie ein Ziel am Fuße desselben festgelegt. Die Fahrer steigen entweder zu Fuß zum Start auf oder werden mit dem Helikopter hinaufgeflogen. Den Teilnehmern steht somit der gesamte Bereich zwischen Start und Ziel zur Verfügung, um ihr Können zu zeigen. Das Face wird in der Regel schon Wochen vor dem Wettkampf abgesperrt, damit die Schneebedingungen optimal sind und um die bestmöglichen und fairsten Voraussetzungen für jeden Starter zu bieten (Örley, 2000, S. 9).
Da jeder Starter sich seine Line frei wählt, hat er die Möglichkeit, den Schwierigkeitsgrad seiner Abfahrt (seines „Runs“) exakt an seine Fähigkeiten anzupassen. Damit kann er ein perfektes Gleichgewicht zwischen Anforderungen und Können herstellen, was nach Csikszenmihalyi eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Erreichen eines Flow-Zustandes ist (Csikszenmihalyi, 2000, S. 15).
Geschichte
Die ersten Wettkämpfe dieser Art fanden Anfang der Neunziger Jahre in Alaska, USA statt. Heute gelten die europäischen Alpen als das Herz der internationalen Freerideszene, wobei Frankreich, die Schweiz und Österreich die führenden Länder sind. Die zwei wichtigsten Contests mit Preisgeldern in der Höhe von vielen zehntausend Euro finden jedoch in der Schweiz statt und sind jedes Jahr ein Treffen aller Stars, die sonst den Großteil des Jahres für Film- und Fotoaufnahmen auf Reisen sind. Einen Weltcup gibt es nicht, und obwohl ein solcher für den Sport an sich sehr wichtig sein könnte und seit Jahren immer wieder Versuche in diese Richtung unternommen werden, sieht es im Augenblick nicht dazu aus, als ob in den nächsten Jahren ein solcher verwirklicht werden könnte (Bohatsch, 2004, in: Örley, 2004, S. 9)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Der Bec des Rosses im schweizerischen Wintersportort Verbier, an dem sich jedes Jahr die weltbesten Freerider messen, mit einer möglichen Linie (Foto: Örley, Quelle: Eigenarchiv des Autors)
Wettkampfform
Die wichtigen und großen internationalen Freeridecontests sind ausschließlich Einladungsrennen, auch „Invitationals“ genannt. Dieser Vorgehensweise soll nicht nur die Könnensstufe, den „Level“ des Contests auf höchstem Niveau halten, sondern dient auch Sicherheit der Fahrer selbst, um emotionale Faktoren wie Selbstüberschätzung oder zu hohe Risikobereitschaft von vornherein auszuschließen. Die Auswahl der Starter soll weiters von vornherein sicherstellen, dass nur erfahrene Snowboarder teilnehmen, die sich mit den Risken am Berg auch bereits über Jahre hinweg auseinandergesetzt haben und das entsprechende Vorwissen über diese mitbringen. Die Leistungen, die bei Planung und Ausführung von Abfahrten mit 2000 Metern Höhenunterschied, beim Springen über bis zu 40 Meter hohe Felsen oder Befahren 55 Grad steiler Tiefschneehänge erbrachte werden, sind dabei sowohl im körperlichen wie im mentalen Bereich enorm und können nur von erfahrenen Athleten erbrachte werden.
Bewertungskriterien
Die Kriterien, um die Leistungen der Teilnehmer zu bewerten, wurden über die Jahre hinweg von Aktiven und Funktionären entwickelt und haben sich laufend den Veränderungen des Sports angepasst. Sie sind also nicht künstlich formuliert worden, sondern spiegeln das Wesen des Freeridens wider. Sie lassen sich in fünf Gruppen unterteilen:
- Schwierigkeit der gewählten Abfahrts - Linie
(Steilheit, Exponiertheit, Originalität, Direktheit, Anzahl der Sprünge,...)
- Flüssigkeit der Abfahrt
(Konstantes Fortbewegen, kein Stehen bleiben, wenig Traversieren...)
- Aggressivität und Stil
(Besondere Sprungfiguren und Schwünge, ...)
- Sicherheit
(Unsicherheiten, Stürze und Wiedererfangen nach solchen, Souveränität der
Landungen von Sprüngen, ...)
- Gesamteindruck
Die Bewertung wird von mehreren Punkterichtern durchgeführt, meist selbst erfahrenen Freeridern. Doch unabhängig davon, welches System angewendet wird - ein in Perfektion durchgeführter, flüssiger Run über eine spektakuläre Line ergibt für den Zuschauer ein Bild von spannungsgeladener Action und erstaunlicher Harmonie.
Athleten
Snowboarder sind „...auf hohe Erlebniswerte zentriert, lieben Ungezwungenheit und Andersartigkeit. Sie zeichnen sich durch „Exklusivität“ im Sinne von verstärkten ästhetischen und sozialen Abgrenzungsbemühungen aus“ (Bachleitner, 1998, S. 41). Dies trifft sicherlich nicht nur auf den Hobbysnowboarder zu, sondern auch auf die im empirischen Teil dieser Untersuchung befragten Extremsnowboader. Etwa die Hälfte der Athleten bei den internationalen Freeridewettkämpfen sind Profis, die ausschließlich vom Snowboardsport leben, die andere Hälfte Amateure. Dabei handelt es sich generell um Sportler, die sehr viele verschieden Sportarten betreiben, was dem Typ des von Aufmuth (1996) im Kapitel zwei beschrieben „Crossover – Sportlers“ entspricht.
3.3 Risiken und Gefahren
Um die Gefahren, denen sich Extremsnowboarder am Berg aussetzten, besser verständlich zumachen, versuche ich im Folgenden eine Kategorisierung derselben. Diese kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, deckt jedoch alle mir bekannten Bereiche ab. Dabei möchte ich die Gefahren unterteilen in
- unvorhersehbare (Natur-) Ereignisse, die Opaschowski (2000) als
„objektive Risiken“ bezeichnet, und
- Ereignisse als Folge von Kontrollverlust oder Fehleinschätzung.
Dazu gebe ich die Häufigkeit des Auftretens, die Kalkulierbarkeit und die Verletzungsgefahr des jeweiligen Ereignisses an, wobei es sich hier nicht um empirisch nachgewiesene, sondern um Erfahrungswerte handelt. Der Wert „sehr hohes Verletzungsrisiko“ ist dabei gleichzusetzen mit absoluter Lebensgefahr. Eine Überprüfung dieser Kategorisierung und der entsprechenden Werte muss Gegenstand einer eigenen Untersuchung sein und würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.
è Unvorhersehbare (Naturer-) Ereignisse
Art der Gefahr Häufigkeit des Auftretens Kalkulierbarkeit Verletzungsrisiko
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
è Ereignisse als Folge von Kontrollverlust oder Fehleinschätzung
Art der Gefahr Häufigkeit des Auftretens Kalkulierbarkeit Verletzungsrisiko
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 1 und 2: Übersicht über die Gefahren beim Extremsnowboarden (eigene Darstellung des Autors).
Aus dieser Gefahrenübersicht lassen sich vor allem zwei Dinge ablesen. Zum Einen, dass die unvorhersehbaren Ereignisse und Naturereignisse die größten, weil definitionsgemäß kaum oder gar nicht kalkulierbaren Gefahren mit sehr hohem Verletzungsrisiko für den Extremsnowboarder darstellen. Daher wird bei Wettkämpfen darauf geachtet, dass diese soweit als irgendwie möglich ausgeschaltet werden, um einerseits das Risiko von Unfällen zu minimieren und es andererseits den Athleten zu ermöglichen, sich maximal auf die sportliche Leistung konzentrieren zu können. Außerhalb von Wettkämpfen ist das meist nicht möglich, und es steigen mit der Unkalkulierbarkeit der Faktoren auch das Gesamtrisiko und die Anforderungen an das Risikomanagement der Athleten.
Diese Aussage lässt sich durch folgende Tatsache belegen: Bei den großen internationalen Freeridecontests im Extremsnowboarden ist seit Beginn dieser Wettkämpfe vor rund zehn Jahren trotz der spektakulärsten Darbietungen kein tödlicher Unfall zu beklagen. Demgegenüber steht der Tod von drei Snowboardern, die mehrmals an diesen Wettkämpfen teilgenommen hatten, deren fatale Unfälle jedoch außerhalb von Wettkämpfe passierten, wobei die Todesursachen zweimal die Verschüttung durch eine Lawine und einmal der Absturz im steilen Gelände waren (Hale-Woods, 2004).
Zum Zweiten lässt sich ablesen, dass die Verletzungsgefahr aus Ereignissen in Folge von Kontrollverlust oder Fehleinschätzung, also aus Fehler des Sportlers selbst, ebenso durchwegs hoch sind, doch unterliegt die Höhe dieser Gefahren der fast durchgehend guten Kalkulierbarkeit des Risikos. Hier liegt es am Athleten selber, nicht der Selbstüberschätzung anheim zu fallen, die Opaschowski (2000) als „subjektives Risiko“ bezeichnet, sondern die Höhe des Risikos dem Eigenkönnen anzupassen.
4 Risikosport als Folge gesellschaftlichen Wandels
Über die vergangenen Jahrzehnte haben sich in unserer Gesellschaft tiefgreifende Wandel vollzogen. Die Veränderung familiärer Strukturen, Individualisierung, Dienstleistung, Bindungs- und Orientierungslosigkeit, Eintönigkeit der Städte und Banalisierung unseres Alltags in einer oft langweiligen weil routinierten, vorgefertigten und austauschbaren Welt sind charakteristische Stichworte dafür. Aber auch die Suche nach tiefen Erlebnissen, Sehnsucht nach spontanem Glück und Bedürfnis nach Spannung und Aktion sind Schlagwörter dieser Entwicklung. Da diese Veränderungen die Voraussetzungen und Grundlage für den Trend hin zur Erlebnisgesellschaft unserer Zeit und weiters zu Risiko- und Extremsportarten bilden, werde ich mich in diesem Kapitel ausführlich mit den Veränderungen in der Gesellschaft wie im auch im Sport befassen und dabei besonders auf das Phänomen der Erlebnisgesellschaft eingehen.
4.1 Gesellschaftlicher Wandel
4.1.1 Von der Außenorientierung zur Innenorientierung
Noch am Ende des 19. Jahrhunderts ging es in den handlungsleitenden Problemdefinitionen unserer Gesellschaft primär um äußere Lebensbedingungen wie Sicherstellung von Ressourcen, persönliche Sicherheit, Vermeiden negativer und Erlangen positiver Sanktionen, Abwehr von Gesundheitsrisiken usw., die allgemein als Außenorientierung bezeichnet werden.
Die heutige gesellschaftliche Situation wird nicht mehr unter den Gesichtspunkten der Knappheit, sondern des Überflusses interpretiert. Die Menschen bringen nun die überwiegende alltägliche Erfahrung mit, nicht zu nehmen, was zu bekommen ist, sondern aus einem reichhaltigen Angebot auswählen zu müssen. Die Werte der Selbstentfaltung, des Erlebens und Genießens stehen im Vordergrund, man spricht daher von Innenorientierung. Es geht nicht mehr primär ums Überleben, um Abwehr von Bedrohungen und Kampf gegen Restriktionen, sondern um die Lebensgestaltung jenseits situativ bedingter Probleme. Existenzsichernde Lebensaufgaben wurden und werden delegiert, wie z.B. Risikovorsorge an sozialstaatliche Einrichtungen, Unterhaltung an den Erlebnismarkt, Bewältigung persönlicher Probleme an Psychotherapeuten, usw. (Vgl. Schulze, 1992).
[...]
- Arbeit zitieren
- Florian Orley (Autor:in), 2005, Extremsnowboarden. Motive für die Ausübung von Risikosport., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39921
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