Im Herbst des Jahres 1947 trafen sich Hans Werner Richter, Wolfgang Bächler, Maria und Heinz Friedrich u. a. Autorinnen bei der Dichterin Ilse Schneider-Lengyel am Bannwaldsee. Sie alle verband die gemeinsame Idee, eine neue literarische Zeitung, den "Skorpion", zu gründen. „Das Treffen am Bannwaldsee war eine Art Redaktionssitzung, in deren Mittelpunkt die Vorbereitung für "Der Skorpion" stand". Wenngleich das Bestreben, eine Zeitschrift als Sprachrohr einer neuen Generation von Schriftstellerinnen zu etablieren, im Nachhinein als gescheitert bewertet werden muss, da die Zeitschrift aus politisch-rechtlichen und später auch aus finanziellen Gründen nicht publiziert wurde, so wurden doch mit diesem Treffen am 10. September 1947 die Weichen für eine nahezu 30jährige Entwicklung gelegt. Der "Skorpion" wurde lediglich einmal in einer einhundert Exemplaren umfassenden Nullausgabe herausgegeben, die von einem befreundeten Drucker des Heraus gebers kostenlos produziert wurde. Im Weiteren jedoch erzielte die unter dem Namen "Gruppe 47" bekanntgewordene Gemeinschaft im Zeitraum ihrer offiziellen Existenz, d. h. von 1947-1967, einen erstaunlichen Verdienst für die deutsche Nachkriegsliteratur und ihre Tagunge n entwickelten sich zunehmend zu einem festen Bestandteil des literarischen Lebens im Nachkriegsdeutschland. Dies gerade auch deshalb, weil sich nach dem verheerenden Krieg eine literarische Öffentlichkeit erst wieder bilden und etablieren musste. „Da ein literarisches Zentrum in Deutschland fehlte, wurden die Tagungen der Gruppe von vielen als Ersatz dafür angesehen und genutzt". Das erklärte Ziel der Gruppe um ihren Initiator Hans Werner Richter war hierbei, die Etablierung einer neuen deutschen Literatur, „die sich von den durch die Nationalsozialisten mißbrauchten Wörtern befreit hatte" und somit eine quasi gereinigte Sprache präsentierte. Doch diese frühen Grundüberlegungen änderten sich in den Folgejahren, die durch den Begriff "Funktionswandel" charakterisiert werden können. Die Gesetze des Marktes griffen auf die Gruppe 47 über, und diese wiederum machte sich eben diese Gesetze auch zu Nutze. [...]
Gliederung
1. Einleitung
2. Die Ausgangslage nach 1945
3. Die Gruppe als literarische Werkstatt
3. Veränderung des Leseverhaltens
4. Erste Anzeichen von Öffentlichkeit
5. Professionalisierung der Kritik
6. Der Preis der Gruppe 47
7. Das Interesse der Massenmedien an der Gruppe
8. Der Rundfunk - Eine Gegenseitige Bereicherung
9. Schluss
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Im Herbst des Jahres 1947 trafen sich Hans Werner Richter, Wolfgang Bächler, Maria und Heinz Friedrich u. a. Autorinnen bei der Dichterin Ilse Schneider-Lengyel am Bannwaldsee. Sie alle verband die gemeinsame Idee, eine neue literarische Zeitung, den "Skorpion", zu gründen. „Das Treffen am Bannwaldsee war eine Art Redaktionssitzung, in deren Mittelpunkt die Vorbereitung für "Der Skorpion" stand"1. Wenngleich das Bestreben, eine Zeitschrift als Sprachrohr einer neuen Generation von Schriftstellerinnen zu etablieren, im Nachhinein als gescheitert bewertet werden muss, da die Zeitschrift aus politisch-rechtlichen2 und später auch aus finanziellen Gründen nicht publiziert wurde, so wurden doch mit diesem Treffen am 10. September 1947 die Weichen für eine nahezu 30jährige Entwicklung gelegt. Der "Skorpion" wurde lediglich einmal in einer einhundert Exemplaren umfassenden Nullausgabe herausgegeben, die von einem befreundeten Drucker des Herausgebers kostenlos produziert wurde3.
Im Weiteren jedoch erzielte die unter dem Namen "Gruppe 47" bekanntgewordene Gemeinschaft im Zeitraum ihrer offiziellen Existenz, d. h. von 1947-1967, einen erstaunlichen Verdienst für die deutsche Nachkriegsliteratur und ihre Tagungen entwickelten sich zunehmend zu einem festen Bestandteil des literarischen Lebens im Nachkriegsdeutschland. Dies gerade auch deshalb, weil sich nach dem verheerenden Krieg eine literarische Öffentlichkeit erst wieder bilden und etablieren musste. „Da ein literarisches Zentrum in Deutschland fehlte, wurden die Tagungen der Gruppe von vielen als Ersatz dafür angesehen und genutzt"4. Das erklärte Ziel der Gruppe um ihren Initiator Hans Werner Richter war hierbei, die Etablierung einer neuen deutschen Literatur, „die sich von den durch die Nationalsozialisten mißbrauchten Wörtern befreit hatte"5 und somit eine quasi gereinigte Sprache präsentierte. Doch diese frühen Grundüberlegungen änderten sich in den Folgejahren, die durch den Begriff "Funktionswandel" charakterisiert werden können. Die Gesetze des Marktes griffen auf die Gruppe 47 über, und diese wiederum machte sich eben diese Gesetze auch zu Nutze.
So waren es später vor allem junge, unbekannte Autoren, die in den Tagungen ein Sprungbrett in die literarische Öffentlichkeit sahen.
Die gesamte Entwicklungsgeschichte der Gruppe 47 und ihr Funktionswandel verstehen sich aber nur durch die Einbeziehung in den deutschen Literaturbetrieb, der sich nach 1945 langsam wieder entwickelte. In der vorliegenden Ausarbeitung soll daher die Entwicklung von der reinen Autorenwerkstatt hin zu einem festen Bestandteil des Literaturmarktes aufgezeigt werden, der gleichsam einer Symbiose zwischen Gruppe 47 und dem Literaturbetrieb wieder entstand.
2. Die Ausgangslage nach 1945
Betrachtet man den oft zitierten Begriff "Stunde Null" und die damit verbundene Bedeutung, so ergibt sich trotz des ambivalenten Begriffs doch ein recht einprägsames Gesamtbild, Es zeichnet ein Bild der völligen Verwüstung, Zerstörung und Hoffnungslosigkeit. Deutschland liegt nach der nationalsozialistischen Herrschaft größtenteils in Trümmern. „Millionen Tote sind zu beklagen, die Greuel des Nazi-Terrors sind zu verarbeiten, große Teile der Bevölkerung hungern und frieren: ein betrogenes, entmündigtes, verzweifeltes und schuldiges Volk, das seinen Weg in die Zukunft sucht"6.
Diese Zukunft sollte schon bald greifbare Formen annehmen. Das kulturelle Leben regte sich wieder. Konzerte, Theater und Literatur begannen den Aufbruch, wenn auch ausstattungsarm, so doch ideenreich. „Der Wille zum Neuanfang war unbestreitbar, zu der Motivation fehlten allerdings noch die Rahmenbedingungen, um Ideen in die Tat umzusetzen"7. Es galt - hierin waren sich Schriftsteller, Verlage und Leserschaft einig -, schnellstmöglich die Produktion und den Vertrieb über einen literarischen Markt wieder aufzunehmen. Doch dieser Wiederaufbau stand zu Beginn unter der Kontrolle der Besatzungsmächte, die teilweise andere Vorstellungen und Verfahrensweisen hatten. Einer erneuten Monopolbildung und Gleichschaltung wirkten sie zum einen durch Dezentralisierung und zum anderen durch das Prinzip der Meinungs- und Informationskonkurrenz entgegen.
Einig waren sie sich auch darin, dass Lizenzen vorwiegend an nationalsozialistisch unbelastete Personen und Instanzen vergeben wurden.
Auch aus diesem Sachverhalt sollte die spätere Gruppe 47 Vorteile ziehen.
Denn ein charakteristisches „Merkmal war ihr Literarisches [sie] Schweigen während des Faschismus; d. h. sie hatten - wenn überhaupt - nicht in Deutschland publiziert"8. Die Ausrichtung auf die Militärregierung führte aber auch dazu, dass sich die Verlage auf das sichere Geschäft mit ihren zuvor verbotenen oder nur geduldeten Erfolgsautoren - wie z. B. Hemingway - stützen und sich so frühzeitig kapitalkräftige Häuser, wie Rowohlt, Desch, Fischer u. a. große Marktanteile sicherten.
Diese Verlage führten eigenständig eine Programmzensur durch, die Texte, die sich kritisch mit konkreten Gegenwartsproblemen befassten, von vornherein ablehnten — - auch, weil sie um ihre Lizenzen fürchteten.
Junge Schriftsteller fanden kaum Gehör. „Bis Anfang der fünfziger Jahre gelang es unbekannten Neufingen nur in Ausnahmefällen, für ihre realistische >Trümmerliteratur< einen Verleger zu finden"9. Ihnen blieb nur die Möglichkeit sich mit Kurzgeschichten, Übersetzungen oder anderen Formen von Gelegenheitsliteratur Geld zu verdienen. Erst die Gruppe 47 bot für sie einen möglichen Zugang zum / Markt.
Ab 1949 wurden schließlich die Rundfunkanstalten als Körperschaften öffentlichen Rechts in deutsche Verantwortung gegeben, und am 21.09.1949 wurden die Lizenzpflichten für Verlage und Presse schließlich aufgehoben und ihr Aufbau privatwirtschaftlicher Initiative überlassen.
3. Die Gruppe als literarische Werkstatt
Wenngleich die Treffen der Gruppe 47 von jeher eine Art exklusiven Charakter hatten, da Hans Werner Richter ausschließlich schriftlich per Postkarte einlud, so war es doch in den Frühphase der Gruppe vor allem der Werkstattgedanke, der die Tagungen dominierte. Derartige Lesungen vor einem kollegialen Auditorium waren in der damaligen Zeit kein literaturgeschichtliches Novum.
Kritische „Diskussion veröffentlichter wie unveröffentlichter Arbeiten hatten in literarischen Cafes, Salons u. ä. seit je her ihren sozialen Ort"10.
Doch charakteristisch für diese Frühphase der Gruppe 47 ist auch ein gewisser freundschaftlicher Grundzug, der innerhalb der Gruppe vorherrschte und eine Kritik, frei von äußeren literarischen Einflüssen, erst ermöglichte. Der noch recht kleine Kreis bot die Möglichkeit eines intensiven Austausches unter Gleichgesinnten.
Die Autoren verband der Gedanke eine neue realistische Literatur zu schreiben, sich mit dem sensiblen Thema der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinander zu setzen sowie sprachlich und stilistisch zu experimentieren.
In ihrem Selbstverständnis glichen sie nicht mehr dem Dichter, der in stiller Einsamkeit sein Werk erschafft, sondern sie nahmen Bereitwillig die handwerkliche Hilfe von Kolleginnen zur Verbesserung ihrer Werke in Anspruch.
Dazu war es auch notwendig, dass der Entstehungsprozess des Werkes sichtbar gemacht wurde. Von jeher sollte die Kritik dabei eine konstruktive Rolle spielen, die dem Autor hilfreich war, sein noch im Entstehen begriffenes Werk fortzusetzen. „So wurden vor allem Stücke vorgelesen, die dem Autor problematisch erschienen. Oft waren es nur Fragmente von geplanten Werken"11. Die Tagungen galten daher als ein literarisches Experimentierfeld.
„Schreiben und Kritik standen in einem Lern- und Erfahungsverhältnis, das die vielzitierte Lebendigkeit der frühen Tagungen begründete"12.
Die Kritik wurde hierbei von Anfang an als Grundverfahren in den Mittelpunkt der Zusammenkünfte gerückt, mit dem Ziel, literarisches Arbeiten zu korrigieren und anzuregen. Doch auch weitere Rituale und Regulative wurden in diesem Zusammenhang seit dem ersten Treffen weitestgehend beibehalten: „Lesungen aus unveröffentlichten Arbeiten, Verbot für den lesenden Autor, an der kritischen Diskussion seines Manuskriptes sich zu beteiligen, und mündliche Sofortkritik"13. Ferner war die Kritik strikt daran gehalten, sich am gelesenen Text zu orientieren und auf theoretische Exkurse zu verzichten. Bei der Kritik lag der Schwerpunkt allerdings weniger bei der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Gelesenen, als vielmehr bei der Schreibweise. Besonders Hans Werner Richter wachte während der Tagungen darüber, dass die Norm der Kritik eingehalten wurde.
3. Veränderung des Leseverhaltens
Mit der anwachsenden Publizität und der sich abzeichnenden literarischen Erfolge der Autoren traten auch die ersten Veränderungen im Selbstverständnis der Autoren auf. Zeitgleich mit dem Einsetzen einer Abkehr vom Modell der literarischen Werkstatt wandelte sich auch die Lesemotivation der beteiligten Autoren auf den Tagungen.14 Vielen ging es nur noch um die, mittlerweile recht zuverlässige, Attestierung marktgeeigneter Qualität, um somit einen Erfolg auf dem Markt zu erzielen. Dies erklärt auch, warum immer häufiger aus bereits fertigen und teils sogar bereits publizierten Texten vorgetragen wurde. „Dieser Prozeß setzte schon 1952 ein, als Ilse Aichinger für ihre »Spiegelgeschichte« den Preis der Gruppe erhielt, eine Erzählung, die schon im »Merkur« veröffentlicht worden war"15. In den Folgejahren sollte sich dies wiederholen. Dass die Lesung von bereits Publiziertem eigentlich gegen die Gruppenstatuten, die ausschließlich unveröffentlichte Manuskripte vorsahen, verstieß blieb indes unberücksichtigt. Der Werkstattgedanke wurde zunehmend weniger praktiziert. Jungen Autoren konnte die Gruppe nur noch wenig oder gar keine schriftstellerischen Hilfen mehr bieten. Dennoch gelang es in den Jahren 1959 und 1961 zumindest zeitweise noch einmal zu den Anfängen der Gruppe zurückzukehren, indem überwiegend unfertige Texte vorgetragen wurden.16 Doch dies sollte die Ausnahme bleiben. Immer häufiger dagegen wurden die vorgesehenen Texte auf ihre spezielle Verwendung vor der Gruppe überprüft oder eigens Texte speziell für den Vertrag vor der Gruppe geschrieben. Verleger und Lektoren traten hierbei als wichtige Hilfen auf. Gemeinsam mit den Schriftstellern wurden die Texte besprochen und eine systematische Kritik durchgeführt. Insbesondere der Suhrkamp-Verlag setze neue Maßstäbe in der Vorbereitung für die Tagungen. Mit den beteiligten Autoren wurde über die Qualität der Manuskripte gesprochen und eine Lesereihenfolge festgelegt. Die Vorbereitung ging sogar soweit, dass der mündliche Vortrag eines Textes vor einem Publikum eingeübt wurde.17
[...]
1 Zitiert nach: v. Reichen, D. In: Gondolla, P. (Hrsg.). Massenmedium und Kommunikation. Siegen 1997, S.49
2 Die damalige amerikanische Militärregierung verweigerte die Lizen/,
3 Vgl. Embacher, E. Hans Werner Richter. Frankfurt a. M./ Bern/ N, Y. 1985, S.332
1 Zitiert nach: Leinecke, R. In: Gondolla. P. (Hrsg.). Massenmedien und Kommunikation. Siegen 1997 S.85
5 Zitiert nach: Leinecke, R. in: Gondolla. P. (Hrsg.). Massenmedien und Kommunikation. Siegen 1997 S.64
6 Zitiert nach: Kops, S./ Schlag, M. In:Gondolla. P.(Hrsg.).Massenmedien und Kommunikation. Siegen 1997,S.6
7 Zitiert nach: Kops. S./Schlag, M. In:GondolIa, P.(Hrsg.).Massenmedien und Kommunikation. Siegen 1997,8.7
8 Zitiert nach: Kroll, F. Gruppe 47. Stuttgart 1979. S. 16
9 zitiert nach: Arnold, H. L., Die Gmppe47. München 1987, S. 170
10 Zitiert nach: KrölL F. Gruppe 47. Stuttgart 1979, S.29
11 Zitiert nach: Leineckc, R. in: Gondolla, P. (Hrsg.). Massenmedien und Kommunikation. Siegen 1997. S.67
12 Zitiert nach: Kroll. F. Gruppe 47. Stuttgart 1979. S31
13 Zitiert nach: Kroll, F. Gruppe 47. Stuttgart 1979. S.30
14 Vgl. Arnold. H. L.. Die Gruppe 47. München 1987, S.189
15 Zilicrtnach: Arnold. H. L.. Die Gruppc47. München I9S7. S.191
16 Vgl. Arnold, H. L.. Die Gruppe 47. München 1987,8.194
17 Vgl. Arnold. H. !,.. Die Gruppe 47. München 1987, S. 191
- Quote paper
- Timo Mauelshagen (Author), 2005, Die Gruppe 47 - Etablierung im Literaturbetrieb, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39868
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