Als Marc Chagall im März 1985 starb, war er 97 Jahre alt. Er lebte länger als alle anderen Künstler im 20. Jh. und hinterließ ein sehr umfangreiches und vielfältiges künstlerisches Werk. Er kam aus der Welt des Ostjudentums, sein Lebensweg führte ihn jedoch aus dem Schtetl in die großen Städte Russlands, nach Frankreich und Amerika.
"Chagall war Zeuge der turbulentesten Jahre des 20. Jh. ...", schrieb J. Baal- Teshuva1. Das trifft in politisch-historischer Hinsicht zu, doch er erlebte auch die Entwicklung verschiedenster Strömungen in der Malerei. Dabei blieb er sein Leben lang ein Wanderer zwischen den Welten, eigenwillig und unangepaßt.
Gleichzeitig bekannte er sich in seiner Kunst bewußt wie kein anderer Künstler des 20. Jh. zu seiner jüdischen Herkunft. Die folgende Arbeit befasst sich mit Chagalls Leben und Kunst bis 1922, dem Jahr, in dem er endgültig aus Russland emigrierte und sein Schaffen im Westen fortsetzte. Besonders wichtig ist hierbei die Frage nach den Wurzeln seiner Kunst und wie sein Leben als Künstler, als Jude, verlief.
Inhaltsverzeichnis
1. Marc Chagall - ein Künstler des 20. Jahrhunderts
2. Chagalls Kindheit und frühe Jugend in Witebsk (1887-1907)
3. St. Petersburg (1907-1910)
4. Paris (1910-1914)
5. Rußland (1914-1922)
6. Jüdischer Künstler- jüdische Kunst
7. Literaturverzeichnis
1. Marc Chagall - ein Künstler des 20. Jahrhunderts
Als Marc Chagall im März 1985 starb, war er 97 Jahre alt. Er lebte länger als alle anderen Künstler im 20. Jh. und hinterließ ein sehr umfangreiches und vielfältiges künstlerisches Werk. Er kam aus der Welt des Ostjudentums, sein Lebensweg führte ihn jedoch aus dem Schtetl in die großen Städte Rußlands, nach Frankreich und Amerika. "Chagall war Zeuge der turbulentesten Jahre des 20. Jh. ...", schrieb J. Baal- Teshuva[1]. Das trifft in politisch-historischer Hinsicht zu, doch er erlebte auch die Entwicklung verschiedenster Strömungen in der Malerei. Dabei blieb er sein Leben lang ein Wanderer zwischen den Welten, eigenwillig und unangepaßt.
Gleichzeitig bekannte er sich in seiner Kunst bewußt wie kein anderer Künstler des 20. Jh. zu seiner jüdischen Herkunft.
In meiner Arbeit habe ich mich mit Chagalls Leben und Kunst bis 1922 befaßt, dem Jahr, in dem er endgültig aus Rußland emigrierte und sein Schaffen im Westen fortsetzte.
Besonders beschäftigte mich hierbei die Frage nach den Wurzeln seiner Kunst und wie sein Leben als Künstler, als Jude verlief.
2. Chagalls Kindheit und frühe Jugend in Witebsk (1887-1907)
Als Marc Chagall am 7. Juli 1887 geboren wurde, war Witebsk eine geschäftige Stadt im heutigen Weißrußland nahe der litauischen Grenze mit ca. 65000 Einwohnern. Auf den majestätisch angelegten Hauptstraßen standen imposante Gebäude, Paläste, barocke orthodoxe Kirchen und auf einem Hügel die Uspenskij- Kathedrale. Ganz anders sah es jedoch in der Peripherie aus, wo die Schtetl angesiedelt waren. Nur dort durften die rund 48000 jüdischen Bürger der Stadt wohnen.
In solch einem durch Ländlichkeit und Armut geprägten Schtetl stand auch Marcs Geburtshaus. Das Leben der meisten Juden, die sich häufig als Händler oder Handwerker betätigten, spielte sich zwischen Haus, Geschäft und Synagoge ab. Es gab einige Synagogen im Schtetl, zudem Gebetshäuser, Schulen, eine Rabbinerschule und ein jüdisches Krankenhaus. Die Männer trugen lange, schwarze Kaftane und pelzbesetzte Hüte, die Frauen lange und hochgeknöpfte Kleider sowie die für verheiratete Frauen üblichen Perücken. Im Schtetl lebten überall Tiere: Hühner, Gänse, Kühe, Ziegen und als Haustiere häufig Katzen.
In der Familie Chagall war Marc das älteste von neun Kindern, die miteinander russisch sprachen, was man sicher als ein Zeichen der Assimilation der Juden in Rußland ansehen kann. Mit den Eltern wurde allerdings Jiddisch gesprochen, das auch Marcs Muttersprache wurde. Marcs Vater Zahar mußte als Gehilfe eines Heringshändlers sein Leben lang hart arbeiten. Seine Mutter Feiga- Ita betrieb einen kleinen Kramladen, um die Finanzen der Familie aufzubessern. Chagall behielt sie als eine energische, lebenslustige Frau in Erinnerung. Sie war es auch, die dem jungen Marc half, den künstlerischen Weg einzuschlagen. "Ich möchte sagen, daß sich irgendwo in ihr mein Talent verbarg, und daß ich alles von ihr geerbt habe.",[2] schrieb Chagall später. Dagegen war der ewig überarbeitete und müde Vater mit den Schwielen an den Händen für ihn immer ein Rätsel und ein Ausdruck von Traurigkeit.
Oft verbrachte Marc die Zeit auch bei seinem Großvater, der als ritueller Schlächter im Dorf Liosno arbeitete. So vermischten sich in seiner Erlebniswelt schon seit frühester Kindheit Eindrücke von Land und Stadt.
In seiner Familie wurden alle jüdischen religiösen Feste begangen; die Lieder zu Hause und die Gebete in der Synagoge waren alltäglich. Die geistige Ausprägung des Judentums, in die Marc Chagall hineingeboren wurde, war der Chassidismus.
Der Chassidismus
Der Begriff ist vom hebräischen Wort „chassid“ abgeleitet und bedeutet "fromm“. Die Bewegung entstand um die Mitte des 18. Jh. Im Südwesten Rußlands, obwohl die Hebräer den Ausdruck „chassid“ schon im Mittelalter kannten. Der Begründer Israel ben Elieser verkündete damals, „...die zahlreichen rituellen Vorschriften seien überflüssig...“,[3] das wahre Ziel ist nur die unmittelbare Gemeinschaft mit Gott, die durch Gebet und Ekstase zu erreichen ist. So wurde das öffentliche Gebet der „Chassidim“, der Frommen, durch Gesänge, Tänze und Freudenausbrüche bereichert. Der Chassidismus stellt sich entgegen der Logik und Vernunft, er mißtraut der einseitigen Betonung des Verstandes. Die Chassidim verbinden Gottes- und Menschenwelt eng miteinander, sie wenden sich dem Menschen in einer „...ungewohnten Emotionalität...“[4] zu.
In einer alten chassidischen Überlieferung wird erzählt, das die "Schechina", die strahlende Herrlichkeit Gottes, eines Tages auf die Erde hinunterkam und in Funken zerschellte. In allen Dingen dieser Welt wohnt somit ein göttlicher Lichtfunke. Zwar bleibt Gott ein Gegenüber, es erfolgt keine Identifizierung von Gott und Welt, doch findet sich das Göttliche unter den Menschen. Darin liegt die Mystik des Chassidismus.
Diese Lehre wurde von vielen Historikern als Unterdrückung gläubiger Juden angesehen, doch schreibt H. Haumann über das Leben im Schtetl: "...verbarg die Lehre...starke emanzipatorische Elemente in sich, ohne die Lebenswelt der Menschen zu bedrohen."[5]
[...]
[1] J. Baal-Teshuva, S.10
[2] R. Sommer, S. 6
[3] S. A. Tokarev, S.502
[4] E.Mircea, S. 173
[5] H. Haumann, S.55
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