Die mythologische Figur des Titanensohns Prometheus hat über fast alle Jahrtausende das Interesse von Literaten und Künstlern beschäftigt. Prometheus als Feuerbringer und Menschenbildner, als Vorausschauender und listiger Betrüger, Prometheus im Kampf gegen Zeus und, daraus resultierend, als gequälter Büßer für die Menschheit – das künstlerische Repertoire, oder anders gesagt, die individuelle Interpretierbarkeit dieser Figur, die aus vielen Einzelaspekten besteht, ist erschöpfend genug, um dieses Interesse zu rechtfertigen.
Die Geschichte, die hinter Prometheus steckt, sein Schicksal und dessen rätselhaftes Ende, die Offenheit, mit der man Prometheus zum Helden deklarieren oder als Verräter verdammen kann, wurde im Laufe der Zeit immer wieder von Schriftstellern, Philosophen und Künstlern erzählt. Jeder dieser 'Autoren' bringt mit der Art und Weise seines Erzählens auch ein Stück seiner eigenen Persönlichkeit zum Ausdruck und zeigt, allein durch seine thematische Wahl und durch die Konzentration auf einen bestimmten Teilaspekt des Prometheus-Mythos, wie er die Figur des Prometheus versteht und wie er ihn in Erinnerung behalten möchte.
Diese Arbeit beschäftigt sich mit den bildnerisch-künstlerischen und literarischen Darstellungen der Prometheus-Figur, wobei der Schwerpunkt jedoch eindeutig bei der Kunst liegt.
Durch einen mehr oder weniger stringenten Blick auf mehrere Epochen, Zeitalter und Künstler soll exemplarisch die Spannweite der Prometheus-Darstellungen sichtbar gemacht werden. Die Entwicklung, welche die Prometheus-Figur dabei durchläuft, kann grobpoetisch unter dem Stichwort ‚Menschwerdung’ festgehalten werden.
Wie es dazu kam, dass ein Titanensohn, ein Gott, im Laufe der Geschichte, der Umschreibungen, Mehrdeutungen und Interpretationen immer mehr 'vermenschlicht' wurde, seine Taten und sein Denken immer mehr zu einem individuellen Schicksal und nicht mehr unter eine göttliche Sagen- und Heilsgeschichte gestellt wurden und somit nicht mehr einem ‚fatum’, einer übergeordneten Kraft, folgten, soll Thema dieser Arbeit sein.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Anfänge: Die Antike
a. Hesiod
b. Aischylos
c. Der Skyphos-Krater des Nessos-Malers
d. Prometheus und Atlas auf lakonischer Schale
3. Bestandsaufnahme: Von Spätantike bis Frührenaissance
4. Bedeutungsveränderungen und erste Schritte zur Menschwerdung: Die Renaissance
a. Boccaccios „Prometheus duplex“
b. Der erste Schritt
c. Die Prometheus-Tafeln des Piero di Cosimo
d. Die verschiedenen Bildtraditionen
e. Die Bedeutungsänderung der Bildtradition
5. Politisierung und Inversion: Der Barock
a. Peter Paul Rubens ‚Gefesselter Prometheus’
b. Jacob Jordaens ‚Der gefesselte Prometheus’
6. Selbstidentifikation, Prototyp und Dekonstruktion: Der Sturm und Drang
a. Johann Wolfgang von Goethe: ‚Prometheus’
7. Bestandsaufnahme: Von Goethe zur Moderne
a. Jacques Lipchitz: ‚Prometheus stranguliert den Adler’
8. Das Prometheische am Menschen: Die Postmoderne
a. Hans Dieter Schaal: ‚Menschenbilder. Körperbilder. Prometheus’
9. Schlussbetrachtung
10. Literaturverzeichnis
11. Anhang
1. Einleitung
„Ich fühlte irgendwie, dass Prometheus kein Gott war wie die anderen Götter und kein Held wie die anderen Helden. Er war etwas, das es nie und nirgends noch gegeben hatte. Er war der erste Mensch!“[1]
Die mythologische Figur des Titanensohns Prometheus hat über fast alle Jahrtausende das Interesse von Literaten und Künstlern beschäftigt. Prometheus als Feuerbringer und Menschenbildner, als Vorausschauender und listiger Betrüger, Prometheus im Kampf gegen Zeus und, daraus resultierend, als gequälter Büßer für die Menschheit – das künstlerische Repertoire, oder anders gesagt, die individuelle Interpretierbarkeit dieser Figur, die aus vielen Einzelaspekten besteht, ist erschöpfend genug, um dieses Interesse zu rechtfertigen. Die Geschichte, die hinter Prometheus steckt, sein Schicksal und dessen rätselhaftes Ende, die Offenheit, mit der man Prometheus zum Helden deklarieren oder als Verräter verdammen kann, wurde im Laufe der Zeit immer wieder von Schriftstellern, Philosophen und Künstlern erzählt. Jeder dieser „Autoren“ bringt mit der Art und Weise seines Erzählens auch ein Stück seiner eigenen Persönlichkeit zum Ausdruck und zeigt, allein durch seine thematische Wahl und durch die Konzentration auf einen bestimmten Teilaspekt des Prometheus-Mythos, wie er die Figur des Prometheus versteht und wie er ihn in Erinnerung behalten möchte.
Diese Hausarbeit beschäftigt sich mit den bildnerisch-künstlerischen und auch einigen literarischen Darstellungen der Prometheus-Figur, wobei der Schwerpunkt jedoch eindeutig bei der Kunst liegt. Durch einen mehr oder weniger stringenten Blick auf mehrere Epochen, Zeitalter und Künstler soll exemplarisch die Spannweite der Prometheus-Darstellungen sichtbar gemacht werden. Die Entwicklung, welche die Prometheus-Figur dabei durchläuft, kann grobpoetisch unter dem Stichwort ‚Menschwerdung’ festgehalten werden. Die Autorin beruft sich dabei unter anderem auf Wolfgang Storch, der in der Einleitung seines Buches „Mythos Prometheus“ schrieb:
„Es ist die Menschwerdung des Prometheus, sein Durchgang durch den Tod. Dahin hat Zeus ihn geführt, dass alle Hybris von ihm abfällt, dass er wird wie die, für die er gekämpft hat. Der Weg, den Prometheus gewählt hatte, wurde im Gegenbild von Christus, dem Sohn Gottes, der Menschensohn wurde, zum Grundthema der abendländischen Kunst.“[2]
Wie es dazu kam, dass ein Titanensohn, ein Gott, im Laufe der Geschichte, der Umschreibungen, Mehrdeutungen und Interpretationen immer mehr „vermenschlicht“ wurde, seine Taten und sein Denken immer mehr zu einem individuellen Schicksal und nicht mehr unter eine göttliche Sagen- und Heilsgeschichte gestellt wurden und somit nicht mehr einem ‚fatum’, einer übergeordneten Kraft, folgten, soll Thema dieser Arbeit sein.
Der Aufbau dieser Arbeit ist chronologisch und besitzt aus thematischen Gründen mehrere Lücken: In manchen bildnerisch-künstlerischen oder literarischen Epochen fanden keine grundlegenden Bedeutungsveränderungen statt, so dass diese entweder nur am Rande oder gar nicht erwähnt werden. Schließlich kann aufgrund der Rahmenvorgaben einer Hausarbeit keine umfassende Darstellung aller Prometheus-Darstellungen, nicht einmal aller Hauptwerke der Prometheus-Darstellungen, wiedergegeben werden. Statt dessen wählte die Autorin eindeutige, die unterschiedlichen Schritte klar zeigende, Werke, auch wenn diese unbekanntere oder für die Prometheus-Bildrezeption unbedeutendere Quellen darstellen.
Bei der Sekundärliteratur konnte aufgrund des allgemeinen, epochenübergreifenden und umfassenden Themas aus einer großen Auswahl geschöpft werden, die Autorin musste dabei zwangsläufig eine Auswahl treffen, welche versucht, den letzten oder umfassendsten Forschungsstand zu beschreiben, auch wenn dies bedeutet, einige bedeutende Werke und Ausführungen übergangen zu haben.
2. Die Anfänge: Die Antike
In der griechischen Antike (8. Jh. v. Chr. – 6. Jh. n. Chr.) wurde der Götterkult um die Bewohner des Olymps erfunden und entwickelt. Die Mythen und Geschichten der zahlreichen Götter wurden durch Erzählungen, Dichtungen und Tragödien immer weiter ausgebaut und verfeinert: jeder Gott besaß bestimmte, genau differenzierte Eigenschaften, er erhielt weitverstrickte Familienbeziehungen, jeder Gott war in irgendeiner Weise sowohl übermächtig-göttlich als auch durch seine Taten und Erlebnisse geradezu seltsam menschlich. Auch oder gerade Prometheus wurde sehr vielgestaltig ausgeprägt: Ursprung oder Ende, Strukturen oder Elemente wurden nicht endgültig festgelegt[3], selbst die Angaben über seine Eltern sind, je nach Autor, unterschiedlich. Prometheus repräsentiert auf diese Weise eine Projektionsfigur, die in ihrer Erscheinung flexibel gestaltet ist – und dies nicht nur in Bezug auf die griechische Antike, sondern auf all seine historischen Erscheinungen: seine Darstellungsveränderung besagt immer auch etwas über die jeweilige Zeit.[4]
a) Hesiod
Der Mythos des Prometheus wurde erstmals von Hesiod und Aischylos schriftlich fixiert. Hesiod schrieb um 700 v. Chr. in Böotien die „Theogonie“ und „Werke und Tage“. Der Schnittpunkt beider
Dichtungen stellt Prometheus dar, der bei der Zusammenkunft der Götter und Menschen in Mekone, der „Mohnstadt“ und Sitz der Götter auf Erden, auftritt. Bei diesem letzten Treffen sollte über die Opferung zu Ehren der Götter entschieden werden und Prometheus, der ‚Hinterlistige’, versucht, Zeus bei dieser Opferung die besten Stücke vorzuenthalten und somit zu betrügen. Zeus durchschaut den Schwindel und straft - anstelle von Prometheus – die Menschen. Er gibt ihnen nicht das Feuer vor, so dass Prometheus dieses vom Götterhimmel stiehlt. Und wieder straft Zeus die Menschheit, diesmal mit einer Jungfrau, die das unheilbringende Geschlecht der Frauen begründet und in ihrem Krug alle Leiden über die Menschen bringt. Erst jetzt straft Zeus auch Prometheus, indem er ihn fesselt und einen Adler ausschickt, auf dass dieser täglich seine über Nacht nachwachsende Leber auffrisst.[5]
b) Aischylos
458 v. Christus, also knapp zwei Jahrhunderte nach Hesiod, schrieb Aischylos die „Promethie“. Nur der erste Teil dieses Werkes ist erhalten, der „Gefesselte Prometheus“. Thema des Gesamtwerkes ist die Frage nach der Bestimmung des Schicksals und welchen Teil dabei die Götter zu tragen haben. Der erste Teil nun zeigt Zeus zu Beginn seiner Herrschaft als jungen Tyrannen, der impulsiv und eigensinnig die Gesetze nach seinen Wünschen dreht und benutzt. Er sieht die Menschen als lebensunfähig und zu hilfsbedürftig an, woraufhin Prometheus erscheint, den Menschen Handwerke und Künste beibringt und ihnen das Feuer bringt. Dafür bestraft ihn Zeus, indem er ihn an einen Felsen schlagen lässt. Gefesselt und machtlos besitzt Prometheus nur noch eine einzige Waffe: das Geheimnis der Thetis; die Prophezeiung, dass Zeus durch den Sohn, den er mit Thetis zeugen könnte/ möchte, gestürzt wird. Nach einem kurzen Auftritt von Io, einer Menschenfrau und ebenfalls Opfer der Götter, versucht Zeus durch Hermes, Prometheus das Geheimnis zu entlocken. Als dieser Versuch fehlschlägt, schleudert Zeus den Felsen mitsamt Prometheus in den Tartaros.[6] Der zweite und dritte Teil der Promethie, der „Befreite Prometheus“ und der „Fackelträger“ sind nicht erhalten. Fragmente und Hinweise jedoch zeigen, dass Aischylos Prometheus und Zeus im zweiten Teil einen neuen Bund schließen lässt und Prometheus auch in den Olymp aufgenommen wird. Herakles befreit Prometheus aus dem Kaukasus und erlegt den Adler mit einem Bogenschuss. Prometheus verrät Zeus das Geheimnis der Thetis, Zeus ist in diesem Stück milder gezeichnet: er hat sich mit Kronos versöhnt und die Titanen aus ihrem unterirdischen Kerker erlöst. Der dritte Teil, der „Feuerbringer“, ist in Inhalt und Stellenwert schlecht überliefert. Man weiß nicht, ob es den Anfang der Trilogie – den Feuerraub – behandelt, oder ob es das Ende bezeichnet, in dem es die Einführung des Prometheus-Kultus in Athen behandelt. Als attische Gottheit der Handwerker und Töpfer stand Prometheus in Verbindung mit Hephaistos, dem jüngeren Gott der Schmiede und Athene, welche er wie Hephaistos durch einen Hammerschlag aus dem Kopf des Zeus hat entspringen lassen. Beim Prometheus-Kult wurden einmal im Jahr alle Altarfeuer gelöscht und dann in einem Fackellauf das Feuer vom Altar des Prometheus zu allen anderen Götteraltären gebracht.[7] Im Gegensatz zu Hesiod erwähnt Aischylos das zentrale Motiv des Opferbetruges nicht. Statt dessen führt er – ein dramaturgisch gelungener Schachzug – das Wissen des Helden von der Bedrohung des Zeus durch den Ehebund ein. Außerdem räumt er der Erfinderrolle des Prometheus und seinen Leistungen für den kulturellen und zivilisatorischen Fortschritt der Menschheit einen größeren Platz ein.
c) Der Skyphoskrater des Nessos-Malers
Die ersten Darstellungen des Prometheus finden sich auf Schalen oder als Reliefs und illustrieren bestimmte Teile seines Mythos. (Anhang 1) Der „Skyphoskrater“ des Nessos-Malers, entstanden um 635-600 v. Chr., zeigt die Befreiung des Prometheus durch Herakles[8]. Prometheus sitzt, gefesselt an einen Stab, in der Mitte des stark querformatigen Reliefs. Seine Handgelenke sind hinter seinem Rücken zusammengebunden, seine Füße sind ebenfalls gefesselt und zwingen ihn, in der Hocke zu sitzen. Links im Bild kniet Herakles auf einem Bein. Er schaut Prometheus an und hält einen gespannten Bogen in Händen. Auf seinem Rücken hat er einen Kescher mit Pfeilen geschnallt, seine Kleidung und auch seine Haare sind mit Mustern verziert. Hinter Prometheus nähert sich der Adler im Flug seiner Beute, den Schnabel weit aufgerissen, die Augen auf den Oberkörper des Prometheus gerichtet. Zwei Pfeile des Herakles befinden sich bereits auf ihrem Flug und werden gleich den Adler in den Kopf oder die Brust treffen. Der Adler ist aus der Luftperspektive gezeichnet, sein Federkleid ist sorgfältig und prächtig dargestellt worden.
Die Darstellung wurde noch ohne Berücksichtigung der Perspektive stark frontal hergestellt: Herakles und Prometheus erscheinen beide im Profil, während der Adler durch die seitliche Darstellung seines Kopfes im Vergleich zu seinem Körper leicht verdreht wirkt.
Der darstellte Mythos ist durch die klaren Attribute leicht erkennbar: der gefesselte Mann und der Adler verweisen eindeutig auf Prometheus, der Mann mit Pfeil und Bogen wird dadurch zum Befreier, welcher dem damaligen Publikum als Herakles bekannt war.
Der antike Mensch sah Prometheus ganz klar als einen ihrer Götter an. Neben seinen Taten für die Menschheit, wie z.B. der Feuerraub, wurde er auch durch seinen Stammbaum als Titanensohn von Iapetos und Gaia eindeutig identifiziert. Die bereits kurz erwähnte Ambivalenz der Götter in ihrem unterschiedlichen anthropomorphen Verhalten wurde in der Antike nicht nur akzeptiert: man kannte keinen anderen Götterkult als diesen. Dies zeigt sich auch im Skyphoskrater: Prometheus ist, trotz seiner zu diesem Zeitpunkt bereits lange andauernden Bestrafung stoisch: er wirkt stark und muskulös, er ist nicht ausgemergelt oder schwach, sein Gesicht verrät keinen Ausdruck von Furcht oder Angst. Diese Malerei verbindet die göttlichen Eigenschaften des Prometheus – er kann nicht sterben, seine Leber wächst täglich nach – mit der recht menschlich anmutenden Befreiung aus seinem Schicksal: Alleine war er dazu nicht in der Lage und musste so an seine göttlichen Grenzen stoßen.
d) Prometheus und Atlas auf lakonischer Schale
Die gleichen Beobachtungen lassen sich auch bei der Darstellung auf einer lakonischen Schale machen (Anlage 2), welche 555-500 v. Chr. von einem unbekannten Künstler geschaffen wurde. Die Darstellung zeigt Atlas und Prometheus.[9] Prometheus präsentiert sich mit Händen und Füßen an einen Stab gefesselt. Die dreifach um Arme und Beine geschlungenen Fesseln sind viele Male um den Stab gewickelt und erlauben es ihm nur, an den Stab gelehnt, in der Hocke zu sitzen. Seine Haare reichen ihm fast bis zur Hüfte, seine großen Augen starren auf den im Verhältnis fast lebensgroß gezeichneten Adler, der sich auf seinen Oberschenkeln niedergelassen hat und gerade an seiner Brust pickt. Die Flügel und der Körper des Adlers wurde weniger detailliert und differenziert gestaltet. Die Muskeln der Beine und die Rippen des Prometheus wurden hervorgehoben und unter den Oberschenkeln des Prometheus fallen Blutstropfen auf den Boden und bilden eine große Blutlache.
Diese Schalenmalerei zeigt noch deutlich als der Skyphoskrater die Verbindung von menschlichen und göttlichen Eigenschaften in einer Götterfigur. Das Gesicht des Prometheus verrät keinen Schmerz und keine Anspannung, obwohl diese Darstellung ihn in großen Schmerzen zeigen muss, was ja durch die Blutstropfen illustriert wird. Die angedeuteten Muskeln und Rippen können nicht eindeutig in eine Richtung gedeutet werden: Sie symbolisieren sowohl Angespanntheit und Ausgemergeltheit, als auch verbleibende, nur nicht genutzte Kraft und Stärke.
3. Bestandsaufnahme: Von Spätantike bis Frührenaissance
Das Werk, welches im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit das Bild des Prometheus am nachhaltigsten beeinflusste, war die „Metamorphosen“. Ovid erzählt hier keine Prometheus-Geschichte, er erwähnt weder Opferbetrug, Feuerraub, Strafe oder Befreiung, er nutzt den Titanensohn als eine „mythische Metonymie für die Entstehung des Menschen“[10]. Zwei Akzente seiner Version sind dabei wichtig und bezeichnend: Zum einen wird Prometheus als Gott oder Titan, nicht als göttlicher Handwerker, beschrieben. Zum zweiten berichtet Ovid nur von der Formung des Menschen, nicht von einer Belebung oder Beseelung.[11] Diese Trennung in bloßes Erschaffen ohne göttlichen Funken hatte zur Folge, dass in der späteren christlichen Bearbeitung des Mythos Prometheus sowohl literarisch als auch bildnerisch Prometheus zum Bildhauer degradiert wurde.
Die mythologische Figur des Prometheus besitzt ein großes Konfliktpotenzial. Seine chamäleonartige Natur, seine Mehrdeutigkeit bezüglich seiner Zuordnung als Gott, Mensch, göttlicher Mensch oder menschlicher Gott zwingen zu einer Parteinahme oder Polarisierung – dadurch und durch sein „gebrochenes Charaktergewebe“[12], welches eine eindeutige Interpretation unmöglich macht.[13] Dies ist, neben der vorherrschenden christlich-religiösen Thematik, der Grund, warum die Figur des Prometheus im Mittelalter nicht oder kaum in der bildenden Kunst vorkommt. Doch auch in Zeiten ausgesprochener Mythomanie wurde er nicht sehr häufig dargestellt[14] - auch im 18. Jahrhundert, einem Zeitalter, welches sich sehr stark mit neuen und eigenständigen literarischen Um- und Bearbeitungen des Mythos beschäftigt, ist die bildnerische Umsetzung im Vergleich mit dem literarischen Interesse verschwindend gering.
Verglichen damit, stellt die Zwischenzeit vom frühen 15. bis zum späten 17. Jahrhundert einen starken Aufschwung im Interesse der Künstler an dieser mythologischen Figur dar.[15]
4. Bedeutungsveränderungen und erste Schritte zur Menschwerdung: Die Renaissance
Die Renaissance (1400-1600) bezeichnet im weiteren Sinne die Wiedergeburt des klassischen Altertums in seinem Einfluss auf Wissenschaft, Literatur, Gesellschaft und Entwicklung des Menschen zu individueller Freiheit im Gegensatz zum Ständewesen des Mittelalters. Dieses wesentliche Charakteristikum, die Wiedergeburt des antiken Geistes, wurde durch mehrere Faktoren ermöglicht: Zum einen förderten Dichter des 14. Jahrhunderts, wie Francesco Petrarca, durch die ausgiebige Beschäftigung mit antiken Schriftstellern das Studium der Sprachen, Literatur, Geschichte und Philosophie außerhalb eines religiösen Zusammenhangs - sozusagen als Selbstzweck. Somit wurde das theozentrische Weltbild des Mittelalters von einer stärker anthropozentrischen Sicht der Dinge abgelöst. Aber auch der Einfluss von Griechisch sprechenden Gelehrten, welche im 13. und 14. Jahrhundert von Byzanz nach Italien kamen – vor allem nach der Eroberung Konstantinopels durch die Türken 1453 – darf nicht unterschätzt werden. Sie brachten das Wissen über die Kultur der Antike mit sich, welches sich im Byzantinischen Reich nach dem Untergang von Westrom fast ein Jahrtausend erhalten hatte.
In der Bildenden Kunst wurden zwei neue Prämissen gesetzt: die Forderung nach der Naturwahrheit in Darstellungen und das Bekenntnis der Künstler zur Antike. Man bewunderte die antiken Kunstwerke als mustergültige Beispiele naturgemäßer Gestaltung und sah sie somit als Vorbilder an. Der italienische Architekturtheoretiker Leon Battista Alberti forderte darüber hinaus, dass sich die Künstler darum bemühen sollten, den antiken Meistern nicht nur gleichzukommen, sondern sie womöglich noch zu übertreffen.
Ein Beispiel dafür ist die 1506 wiederentdeckte Laokoon - Gruppe[16] (Anlage 3), welche als mustergültiges Beispiel zur Darstellung eines gefesselten Mannes und der damit zusammenhängenden Leiden galt. Viele Künstler wetteiferten darum, ihre Geschicklichkeit bei der Darstellung gefesselter Männer zu beweisen. So hat auch Tizian in seinem Gemälde „Bacchus und Ariadne“[17] relativ unpassend zum bildlichen Inhalt einen von Schlangen gefesselten Mann eingefügt – um sein Können zu demonstrieren.
a) Boccaccios ‘Prometheus duplex’
Giovanni Boccaccio ist hinsichtlich der Figurenentwicklung des Prometheus der bedeutendste Autor der frühen Neuzeit. In seinem Werk ‚ Genealogie deorum gentilium ’ kann man erkennen, wie mit heidnischer Mythologie umgegangen wurde und welche neuen Aspekte und Akzente die Prometheusfigur erhielt.[18]
[...]
[1] Otto Mainzer in Steiner, Reinhardt: Prometheus. S. 11.
[2] Storch, Wolfgang: Mythos Prometheus. S. 14.
[3] Vgl. Steiner, Reinhardt: Prometheus. S. 12.
[4] Vgl. Ebd., S. 12.
[5] Vgl. Storch, Wolfgang: Mythos Prometheus. S. 9-10.
[6] Vgl. Storch, Wolfgang: Mythos Prometheus. S. 11-12.
[7] Vgl. Ebd. S. 12-13.
[8] Nessos-Maler: Skyphoskrater: Herakles befreit Prometheus, 635-600 v. Chr.
[9] Das gesamte Bild war mir in keiner guten Qualität zugänglich, weswegen hier nur der Ausschnitt von Prometheus mit dem Adler behandelt wird. Unbekannt: Atlas und Prometheus. 555-500 v. Chr. Lakonische Schale.
[10] Vgl. Steiner, Reinhardt: Prometheus. S. 105.
[11] Vgl. Ebd. S. 106. Erst Lukian im 2. Jahrhundert nach Christus berichtet von einer Beseelung, wenngleich diese mit Hilfe von Athena oder Minerva stattfand.
[12] Ebd. S. 13.
[13] Vgl. Ebd. S. 13.
[14] Vgl. Ebd.
[15] Vgl. Ebd.
[16] Hagesandros, Polydoros, Athanadoros aus Rhodos: Laokoon-Gruppe. 1. Jh. v. Chr. – 1. Jh. n. Chr., Marmorreplik nach einer vermutlich 200 v. Chr. entstandenen Bronzeplastik (nicht erhalten), Vatikanische Museen Rom.
[17] Tizian: Bacchus und Ariadne. 1520-23, Öl auf Leinwand, 177x191cm, National Gallery London.
[18] Vgl. Steiner, Reinhardt: Prometheus. S. 22.
- Citation du texte
- Franziska Irsigler (Auteur), 2005, Die "Menschwerdung" des Prometheus in Darstellungen der Bildenden Kunst und literarischen Quellen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39706
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