Im Rahmen dieses Seminars wurde auch das Thema „Überhangmandate“ behandelt. Dabei war auffällig, dass ihnen bei den letzten Wahlen zum deutschen Bundestag 2002 im Allgemeinen keine große Bedeutung zugemessen wurde. Im Fernsehen und in Zeitungen wurden sie – wenn überhaupt – nur am Rande erwähnt. Allerdings gab es beispielsweise bei den Bundestagswahlen 1994 immerhin 16 Überhangmandate. Bei insgesamt 672 Bundestagsabgeordneten scheint das zwar nicht sehr viel, aber da im Bundestag manche Gesetze nur mit sehr knappen Mehrheiten entschieden werden, können auch 16 Stimmen entscheidend sein.
Diese Hausarbeit beginnt mit einer kurzen Einführung in das Wahlsystem zum Deutschen Bundestag und mit einer Definition des Begriffs „Überhangmandat“. Dabei werden jedoch nur die Bundestagswahl und das Bundeswahlrecht betrachtet, die Landtagswahlen in den einzelnen Ländern finden hier keine Beachtung.
Darauf aufbauend wird dann überprüft, wie häufig Überhangmandate in den bisherigen Bundestagswahlen aufgetreten sind und welche Bedeutung sie dabei hatten. Mit Hilfe der in der Literaturrecherche ermittelten Informationen sollen dann die Gründe für die Entstehung von Überhangmandaten ermittelt werden. Im Anschluss daran soll überprüft werden, ob sich Überhangmandate mit dem Grundsatz der Gleichheit bei Wahlen in Einklang bringen lassen. Dabei wird sowohl die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als auch die Meinung in der Literatur betrachtet und auf Alternativvorschläge in der Literatur eingegangen.
Zum Schluss werden noch einmal die wichtigsten Ergebnisse dieser Hausarbeit zusammengefasst.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Deutsches Wahlrecht
2.1 Personalisierte Verhältniswahl
2.2 Überhangmandate
3 Auftreten von Überhangmandaten in den bisherigen Legislaturperioden
3.1 In den Bundestagswahlen 1949 bis 1987
3.2 In den Bundestagswahlen 1990 bis 2002
4 Ursachen für die Entstehung von Überhangmandaten
5 Überhangmandate und der Grundsatz der Stimmengleichheit
5.1 Wahlrechtsgrundsätze im Grundgesetz
5.2 Überhangmandate und der Grundsatz der Gleichheit
5.3 Bundesverfassungsgericht
5.4 Diskussion in der Literatur
5.5 Möglichkeiten zur Verminderung von Überhangmandaten
6 Zusammenfassung
1 Einleitung
Im Rahmen dieses Seminars wurde auch das Thema „Überhangmandate“ behandelt. Dabei war auffällig, dass ihnen bei den letzten Wahlen zum deutschen Bundestag 2002 im Allgemeinen keine große Bedeutung zugemessen wurde. Im Fernsehen und in Zeitungen wurden sie – wenn überhaupt – nur am Rande erwähnt. Allerdings gab es beispielsweise bei den Bundestagswahlen 1994 immerhin 16 Überhangmandate. Bei insgesamt 672 Bundestagsabgeordneten scheint das zwar nicht sehr viel, aber da im Bundestag manche Gesetze nur mit sehr knappen Mehrheiten entschieden werden, können auch 16 Stimmen entscheidend sein.
Diese Hausarbeit beginnt mit einer kurzen Einführung in das Wahlsystem zum Deutschen Bundestag und mit einer Definition des Begriffs „Überhangmandat“. Dabei werden jedoch nur die Bundestagswahl und das Bundeswahlrecht betrachtet, die Landtagswahlen in den einzelnen Ländern finden hier keine Beachtung.
Darauf aufbauend wird dann überprüft, wie häufig Überhangmandate in den bisherigen Bundestagswahlen aufgetreten sind und welche Bedeutung sie dabei hatten. Mit Hilfe der in der Literaturrecherche ermittelten Informationen sollen dann die Gründe für die Entstehung von Überhangmandaten ermittelt werden. Im Anschluss daran soll überprüft werden, ob sich Überhangmandate mit dem Grundsatz der Gleichheit bei Wahlen in Einklang bringen lassen. Dabei wird sowohl die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als auch die Meinung in der Literatur betrachtet und auf Alternativvorschläge in der Literatur eingegangen.
Zum Schluss werden noch einmal die wichtigsten Ergebnisse dieser Hausarbeit zusammengefasst.
2 Deutsches Wahlrecht
Zunächst soll das Wahlsystem zum deutschen Bundestag kurz in seinen Grundzügen vorgestellt werden (Kapitel 2.1) und darauf aufbauend soll erläutert werden, was Überhangmandate sind und wie sie auftreten können (Kap. 2.2).
2.1 Personalisierte Verhältniswahl
Das seit 1956 gültige Wahlgesetz besagt, dass die Wahl zum deutschen Bundestag eine personifizierte Verhältniswahl ist, bei der jeder Wähler über zwei Stimmen verfügt: die Erststimme für den Wahlkreiskandidaten und die Zweitstimme für die Partei. Dabei wird die Hälfte der Abgeordneten direkt über den Wahlkreis gewählt (per relativer Mehrheit) und die andere Hälfte gelangt über die Landesliste in die Parlamente.[1] Zur Berechnung der Mandatszahlen der einzelnen Parteien wird jedoch ausschließlich der Stimmenanteil der Parteien auf Bundesebene herangezogen. Das entscheidende Element im Wahlsystem ist also der Proporz. Das heißt, dass die Zweitstimme die wichtigere Stimme ist und dass diese darüber entscheidet, wie viele Abgeordnete jede Partei in den Bundestag entsenden darf.[2] Nach einer Bundestagswahl werden zunächst die Zweitstimmen der Parteien auf Bundesebene zusammengezählt und die Anzahl der ihnen zustehenden Mandate errechnet („Oberverteilung“). Anschließend werden die für die einzelnen Parteien errechneten Mandate auf die einzelnen Landeslisten der Parteien verteilt („Unterverteilung“).[3] Die von den Parteien errungenen Direktmandate werden von den Landeslisten abgezogen. Dementsprechend ist das Wahlsystem zum Bundestag ein Verhältniswahlsystem und nicht wie oft zu hören ist ein Mischwahlsystem aus Mehrheits- und Verhältniswahl.[4][5] Die einzige Einschränkung des Verhältnis- bzw. Proporzprinzips stellen die Sperrklausel und die so genannten Überhangmandate dar. Erstere besagt, dass eine Partei mindestens 5% der Stimmen oder drei Direktmandate benötigt, um in den Bundestag einziehen zu können.[6] Die Überhangmandate werden im nächsten Abschnitt erläutert.
2.2 Überhangmandate
Überhangmandate entstehen dann, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Mandate durch die Direktwahl in den Wahlkreisen eines Landes (aufgrund des Erststimmenergebnisses) errungen hat, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis in diesem Land zustehen. Diese Sitze darf eine Partei nach § 6 Abs. 5 BWahlG[7] behalten, auch wenn sie dadurch mehr Sitze erhält, als ihr nach dem proportionalen Sitzanteil auf Landesebene zustehen würden.[8] Diese zusätzlichen Sitze bzw. Mandate bilden die so genannten Überhangmandate. Sie entstehen auf Landesebene und nicht auf Bundesebene, da sich eine Partei die Überhangmandate nicht auf andere Landeslisten anrechnen lassen muss.[9] Dadurch erhöht sich die Zahl der Mitglieder des deutschen Bundestages um die Zahl der Überhangmandate. Sie entstehen also im Zusammenhang mit der Zweistimmen-Konstruktion des Wahlsystems zum deutschen Bundestag und sind eine Besonderheit der personalisierten Verhältniswahl.[10]
Überhangmandate verschieben das Wahlergebnis und zwar im Allgemeinen (aber nicht zwangsläufig) in Richtung des relativen Wahlsiegers. Bei den Bundestagswahlen werden die vorhanden Überhangmandate nicht – wie dies in einigen Bundesländern der Fall ist – durch zusätzliche Mandate entsprechend der Zweitstimmenanteile für die übrigen Parteien ausgeglichen.[11]
Ein Überhangmandat kann nicht einem bestimmten Abgeordneten zugewiesen werden. Falls jedoch ein Abgeordneter eines Bundeslandes, in dem seine Partei über Überhangmandate verfügt, aus dem Bundestag ausscheidet, tritt dafür keine Listennachfolge ein, wie dies sonst bei dem Ausscheiden eines Abgeordneten geschieht.[12][13]
Politisch brisant wird es, wenn es eine hohe Zahl an Überhangmandaten gibt, die überwiegend einer Partei zufallen. Hierdurch wird das Kräfteverhältnis der im Parlament vertretenen Parteien verschoben.[14] Daher kann es im Extremfall sogar dazu kommen, dass durch Überhangmandate Mehrheitsverhältnisse verschoben werden. Dies ist bei Bundestagswahlen aber noch nicht vorgekommen.[15]
3 Auftreten von Überhangmandaten in den bisherigen Legislaturperioden
Die Unterteilung dieses Kapitels erfolgt, weil das bisherige Auftreten von Überhangmandaten sehr unterschiedlich war. In den Wahljahren 1949 bis 1987 traten Überhangmandate viel seltener auf als in den Wahljahren 1990 bis 2002.
3.1 In den Bundestagswahlen 1949 bis 1987
In dieser Phase traten Überhangmandate nur sehr vereinzelt auf. In den ersten vier Wahlperioden gab es dreizehn Überhangmandate. Zwischen 1965 und 1980 gab es sogar kein einziges Überhangmandat. Dies kann damit erklärt werden, dass die meisten Überhangmandate in den ersten Jahren des Bestehens der Bundesrepublik durch ungleich große Wahlkreise entstanden. 1965 wurde dann die Abweichung eines Wahlkreises von der durchschnittlichen Wahlkreisbevölkerung gesetzlich reduziert. Erst in den letzten drei Legislaturperioden vor der Wiedervereinigung Deutschlands gab es insgesamt noch einmal vier Überhangmandate.[16] Es lässt sich also sagen, dass Überhangmandate bei Wahlen zum deutschen Bundestag bis zur Wiedervereinigung nur sporadisch auftraten.[17] Daher wurde den Überhangmandaten bis zu diesem Zeitpunkt nur wenig Aufmerksamkeit zuteil.[18]
3.2 In den Bundestagswahlen 1990 bis 2002
Bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl erhöhten sich die Überhangmandate. Bei der Wahl 1990 erreichte die CDU sechs Überhangmandate, wobei sie alle in den neuen Bundesländern erreichte. 1994 kamen 16 Überhangmandate zustande, wobei zwölf davon auf die CDU entfielen und nur vier auf die SPD. 13 dieser 16 Überhangmandate entfielen auf die neuen Bundesländer. Erst durch diese Überhangmandate konnte die siegreiche Koalition aus CDU/CSU und FDP auf eine große parlamentarische Mehrheit bauen. Ohne die Überhangmandate hätte ihr Vorsprung nur zwei Sitze betragen, mit waren es zehn.[19] Hieran lässt sich erkennen, dass Überhangmandate durchaus eine Rolle spielen können. Bundeskanzler Helmut Kohl wurde nämlich nur mit zwei Stimmen Vorsprung im ersten Wahlgang wieder gewählt. Zudem führten die 16 Überhangmandate dazu, dass ca. 2,38% der Gesamtsitzzahl aus Überhangmandaten bestand. Dadurch wurde das durch die Zweitstimmen ermittelte Ergebnis erheblich verzerrt. Beispielsweise brauchte Bündnis 90/Die Grünen fast 4000 Wählerstimmen mehr für einen Sitz im Bundestag als die CDU.[20] Dadurch wurde eine heftige Diskussion über die Überhangmandate entfacht, die unter anderem dazu führte, dass das Land Niedersachsen vor dem Bundesverfassungsgericht ein Normenkontrollverfahren einleitete.[21] (s. Kapitel 5.4)
[...]
[1] Vgl. Jesse, Eckhard: Die Demokratie der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden: Nomos 1997, S. 127
[2] Vgl. Nohlen, Dieter: Wahlrecht und Parteiensystem, Opladen: Leske+Budrich 2004, S. 306
[3] Vgl. Bausback, Winfried: Verfassungsrechtliche Grenzen des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag, Frankfurt am Main: Lang 1998, S. 201f.
[4] Vgl. Nohlen, Dieter: Wahlsysteme im Vergleich, in: Jesse, Eckhard/Löw , Konrad (Hrsg.): Wahlen in Deutschland, Berlin: Duncker & Humblot 1998, S. 51-68, hier S. 59
[5] Vgl. Schick, Rupert/Feldkamp, Michael: Wahlen, Berlin: Deutscher Bundestag 2002, S. 16
[6] Vgl. Jesse, E.: a.a.O., S. 128
[7] in dieser Arbeit wird sich bezogen auf das Bundeswahlgesetz (BWahlG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Juli 1993 (BGBl. I S. 1288, 1594), zuletzt geändert am 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950)
[8] Vgl. Schreiber, Wolfgang: Wahlkampf, Wahlrecht und Wahlverfahren, in: Schneider, Hans-Peter/Zeh, Wolfgang (Hrsg.): Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Handbuch, Berlin/New York: de Gruyter 1989, S. 401-440, hier S. 436
[9] Vgl. Boettcher, Enno/Högner, Reinhard: Bundeswahlgesetz, Bundeswahlordnung. Handkommentar, München: Kommunalschriftenverlag 1994, S. 31
[10] Vgl. Nohlen, D.: a.a.O., S. 322f.
[11] Vgl. Korte, Karl-Rudolf: Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 1999, S.55
[12] Vgl. Schreiber, Wolfgang: Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag. Kommentar zum Bundeswahlgesetz, Köln/Berlin/Bonn/München: Heymanns Verlag 1998, S. 193f.
[13] Vgl. BVerfGE 97, 317
[14] Vgl. Schmidt, Rolf: Überhangmandate – Ist ein Ausgleich verfassungsrechtlich geboten?, in: Zeitschrift für Rechtspolitik, 28. Jg. (1995), S. 91-94, hier s. 91
[15] Vgl. Rothe, Klaus: Politik verstehen – Demokratie bejahen. Politik und politisches System in der Bundesrepublik Deutschland, München: Olzog 2000, S. 393f.
[16] Vgl. Jesse, E.: a.a.O., S.128f.
[17] Vgl. Grotz, Florian: Die personalisierte Verhältniswahl unter den Bedingungen des gesamtdeutschen Parteiensystems. Eine Analyse der Entstehungsursachen von Überhangmandaten seit der Wiedervereinigung, in: Politische Vierteljahresschrift, 41. Jg. (2000), S. 707-729, hier S. 707
[18] Vgl. Nohlen, D.: a.a.O., S. 324
[19] Vgl. Jakob, Holger: Überhangmandat und Gleichheit der Wahl. Ein Beitrag zur aktuellen Wahlrechtsdiskussion, Frankfurt am Main: Peter Lang 1998, S. 33
[20] Vgl. Mann, Gerald H: Die unumgängliche Umkehr bei der Berechnung von Überhangmandaten: Reformvorschläge, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 27. Jg. (1996), S. 393-404, hier S. 400
[21] Vgl. Nicolaus, Helmut: Die unzulängliche Rechtfertigung der Überhangmandate: Aufklärungsversuche, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 27 Jg. (1996), S. 383-393, hier S. 383
- Quote paper
- Reinhard Schumacher (Author), 2005, Überhangmandate, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39682
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