Ab der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts begegnet uns in der Märendichtung ein Stoff, der, von Frankreich ausgehend, sowohl in Deutschland als auch in Italien weite Verbreitung findet. Der Stoff, um den es sich hier handelt, ist der des Herrgottschnitzer-Schwankes.
Seine grenzüberschreitende Verbreitung hat er unter verschiedenen Namen erfahren: so taucht er in den deutschen Handschriften, die vom ersten Drittel des 14. Jahrhunderts bis etwa zum Jahre 1450 reichen, unter dem Namen Der Herrgottschnitzer oder Der Bildschnitzer von Würzburg auf. In der französischen, älteren Überlieferung trägt der Herrgottschnitzer-Stoff den Titel Du prestre crucefié. Das andere, in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstandene und vermutlich von Gautier le Leu stammende Fabliau trägt die Überschrift Du prestre teint. Ebenso wie in den deutschen Handschriften des HGS.s sind auch im PC. einige Stellen mit allzu blasphemischem Inhalt ausradiert worden.
Wovon handeln nun diese Texte? Kurz gefasst kann bei jeder Fassung folgendes zur Kenntnis genommen werden: ein Geistlicher begehrt die Ehefrau eines kunstschaffenden Handwerkermeisters. Unmittelbar, nachdem dieser das Haus verlassen hat, lässt die Frau den Gottesmann zu sich kommen. Doch noch bevor sie den Beischlaf vollziehen können, erscheint unvermittelt der Ehemann vor der Haustür und fordert, eingelassen zu werden.
Bis dahin zeigt der Handlungsverlauf der vier Texte, zunächst das gängige, symptomatische Schema der "moralisierenden Schwänke" auf. Was dann jedoch im Erzählmuster dieser Mären folgt, ermöglicht sie erst aufgrund ihrer "spezifischen Komik" zu einer eigenständigen Gruppe zusammenzuschließen. Das für den Herrgottschnitzer-Stoff repräsentative Motiv sieht wie folgt aus: die Frau verbirgt den Geistlichen in der Weise, dass er nach dem äußeren Anschein wie eine geschnitzte Figur aussieht. Aber der Gottesmann fällt sogleich aus der Rolle, als der Handwerker, der das Spiel durchschaut hat, erklärt, er wolle die anstößigen Geschlechtsteile der Figur abtrennen.
Im Verlauf der Arbeit sollen zunächst vom Handlungshergang ausgehend die Texte miteinander verglichen, dann paarweise in Bezug auf ihre Gemeinsamkeiten untersucht werden, um sie abschließend untereinander abzuwägen und die verwandtschaftlichen Beziehungen im Sinne der Verbreitung und der Modifikation dieses literarischen Stoffes zu erörtern.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
Herkunft und Thematik des Herrgottschnitzer -Stoffes
II. Vergleichende Analyse des Herrgottschnitzer -Stoffes
1. Die vier Texte im Gesamtvergleich
2. Die vier Texte im Einzelvergleich
3. Verhältnis zwischen den französischen und den deutschen Fassungen
III. Schlussbetrachtung
IV. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Herkunft und Thematik des Herrgottschnitzer -Stoffes
Ab der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts[1] begegnet uns in der Märendichtung ein Stoff, der, von Frankreich ausgehend,[2] sowohl in Deutschland als auch in Italien[3] weite Verbreitung findet. Besonders im französischen und im deutschen Raum erfreut er sich großer Beliebtheit[4] und erfährt dadurch ebenfalls seine Übertragung in die italienische Literatur. Der Stoff, um den es sich hier handelt, ist der des Herrgottschnitzer -Schwankes.[5]
Seine grenzüberschreitende Verbreitung hat er unter verschiedenen Namen erfahren: so taucht er in den deutschen Handschriften, die vom ersten Drittel des 14. Jahrhunderts bis etwa zum Jahre 1450 reichen, unter dem Namen Der Herrgottschnitzer (HGS.)[6] oder Der Bildschnitzer von Würzburg (BSW.)[7] auf. Von den Handschriften, die den Stoff des HGS.s beinhalten, ist die Heidelberger Handschrift Cpg 341[8] mit ihrer bedeutenden Märensammlung höchstwahrscheinlich die älteste in mittelhochdeutscher Sprache überlieferte Fassung. Daneben lässt sich der Text ebenfalls in der jüngeren Weimarer Handschrift[9] Oct 145 und dem Karlsruher Codex K 408 von 1430 finden.[10] Der BSW., dessen Autorschaft um Hans Rosenplüt in der Forschungsliteratur umstritten ist,[11] taucht in sechs Handschriften auf, die - bis auf eine - aus dem Nürnberger Raum stammen und sich untereinander nur in einigen Segmenten unterscheiden.[12] Darauf werde ich im Verlauf dieser Arbeit noch einmal zurückkommen.
In der französischen - wie bereits oben erwähnten - älteren Überlieferung[13] trägt der Herrgottschnitzer -Stoff den Titel Du prestre crucefié (PC.). Das andere, in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts[14] entstandene und vermutlich von Gautier le Leu[15] stammende Fabliau hat die Überschrift Du prestre teint (PT.). Ebenso wie in den deutschen Handschriften des HGS.s sind auch im PC . einige Stellen mit allzu blasphemischem Inhalt ausradiert worden.[16] [17]
Wovon handeln nun diese Texte? Kurz gefasst kann bei jeder Fassung folgendes zur Kenntnis genommen werden: ein Geistlicher begehrt die Ehefrau eines kunstschaffenden Handwerkermeisters[18]. Unmittelbar, nachdem dieser das Haus verlassen hat, lässt die Frau den Gottesmann zu sich kommen. Doch noch bevor sie den Beischlaf vollziehen können, erscheint unvermittelt der Ehemann vor der Haustür und fordert, eingelassen zu werden.
Bis dahin zeigt der Handlungsverlauf der vier Texte, die in dieser Arbeit behandelt werden sollen, zunächst das gängige, symptomatische Schema der "moralisierenden Schwänke"[19] auf. Was dann jedoch im Erzählmuster dieser Mären folgt, ermöglicht sie erst aufgrund ihrer "spezifischen Komik"[20] zu einer eigenständigen Gruppe zusammenzuschließen. Das für den Herrgottschnitzer -Stoff repräsentative Motiv sieht wie folgt aus: die Frau verbirgt den Geistlichen in der Weise, dass er nach dem äußeren Anschein wie eine geschnitzte Figur aussieht. Aber der Gottesmann fällt sogleich aus der Rolle, als der Handwerker, der das Spiel durchschaut hat, erklärt, er wolle die anstößigen Geschlechtsteile der Figur abtrennen[21]. Daraufhin entflieht der Gottesgelehrte und am Ende steht fasst, dass er sowohl seiner teuren Kleider sowie auch seines Geldes entledigt worden ist.
Bereits Frosch-Freiburg hat sich eingehend mit dem Vergleich der verschiedenen Herrgottschnitzer -Fassungen beschäftigt. Doch im Bezug auf den PT. bin ich nach eigener Übersetzung und Interpretation zu dem Schluss gekommen, dass ihr einige Versäumnisse unterlaufen sind, die sich auch im Nachhinein auf ihre Schlussfolgerung zu den Verwandtschaftsbeziehungen der vier Dokumente ausgeübt haben.
Aus diesem Grund werde ich in dieser Arbeit erneut die Frage, inwieweit die verschiedenen mittelhochdeutschen und französischen Fassungen des Herrgottschnitzer -Stoffes miteinander verwandt sind, aufwerfen und gegebenenfalls auch versuchen, eine mutuelle Interferenz zu rekonstruieren.
Im Verlauf dieser Arbeit will ich zunächst vom Handlungshergang ausgehend die Texte miteinander vergleichen, sie dann paarweise in Bezug auf ihre Gemeinsamkeiten untersuchen, um sie abschließend untereinander abzuwägen und die verwandtschaftlichen Beziehungen im Sinne der Verbreitung und der Modifikation dieses literarischen Stoffes zu erörtern.
II. Vergleichende Analyse des Herrgottschnitzer -Stoffes
1. Die vier Texte im Gesamtvergleich
Exposition:
Während die Exposition beim PC. und BSW. zwischen 15-22 Zeilen liegt, fällt sie beim PT. und HGS. außergewöhnlich lang aus: in insgesamt 30 Versen wird im PT. die "autobiographische" Vorgeschichte des Erzählers geschildert; sie erzählt von der beschwerlichen Reise nach Orléans, den Handlungsort der nachfolgenden Berichterstattung[22]. Im HGS. hingegen weitet sich die Einführung durch die detaillierte Darstellung des Geistlichen aus, welcher sich am Ort des Geschehens, einer Stadt am Rhein, als Priester ausgibt (V. 19-32). Damit ist auch das Fabliau PC. die einzige Fassung, die keine näheren Ortsangaben gibt.
Die Hauptprotagonisten sind jeweils ein Ehepaar und ein Kleriker. Doch zum Beruf des Mannes und zum Stand des Geistlichen liefern die Texte verschiedene Auffassungen: in PC. und PT. werden die beiden Akteure namentlich erwähnt[23] und der Kleriker als Priester (PC. V. 9: provoire; PT. V. 35: prestre, V. 81: provoire) angeführt. Zum Beruf des Mannes aber gehen sie auseinander: wo PC. in ihm einen geschickten Handwerkermeister (V. 3: franc mestre de bon afere) und Schnitzer von Kruzifixfiguren sieht, ist im PT. die Rede von einem Bürger, der im Vers 197 nochmals l'ententureis genannt wird. Je nachdem wie man dieses Substantiv oder substantivierte Adjektiv nun betrachtet – als Übertragungsfehler oder in der direkten Übersetzung[24] - kommt man entweder auf die Deutung "der Färber", beziehungsweise "der Kluge, der Gewitzte". Zunächst mag es näher liegen, sich für das Wort "Färber" zu entscheiden, doch in Anbetracht der deutschen Mären, wo ebenfalls von einem klugen Maler und Schnitzer geredet wird, wäre es auch nicht undenkbar sich für das letztere auszusprechen.
In den deutschen Fassungen dagegen wird der Stand des Geistlichen anders aufgefasst: handelt es sich im BSW. um einen Dompropst, so erfährt man im HGS. ausdrücklich, dass es sich um einen abtrünnigen Mönch des schwarzen Ordens[25] dreht.
[...]
[1] Nach Grubmüller und Frosch-Freiburg sind keine älteren oder außereuropäischen Überlieferungen bekannt. Siehe dazu: Novellistik des Mittelalters (NMA). Märendichtung; hrsg., übers. u. komment. v. Klaus Grubmüller, Frankfurt a. M. 1996, S. 1322; Frosch-Freiburg, Frauke: Schwankmären und Fabliaux. Ein Stoff- und Motivvergleich; Göppingen 1972, S. 105f.
[2] Vgl. Frosch-Freiburg, Schwankmären, S. 106.
[3] Franco Sacchetti, Il trecentonovelle. hrsg. v. Antonio Lanza; Firenze, 1984, S. 166-172; Straparola , Giovan Francesco: Le Piacevoli notti, in: Scrittori d'Italia, Bd. 2, Bari 1927, S. 239f. Vgl. auch Köhler, R.: Anhang zu: Der Maler mit der schönen Frau, in: Germania 18 (1873), S. 44f.
[4] Vgl. Frosch-Freiburg, Schwankmären, S. 106f. Zur entgegen gesetzten Meinung, NMa, S. 1323f.
[5] Dieser Sammelbegriff für die Texte, die den dargestellten Stoff verarbeiten, findet sich zunächst in Frosch-Freiburg, Schwankmären, S. 105. Ich werde mir vorbehalten, diese Bezeichnung in homosemer Weise auch weiterhin in dieser Arbeit zu verwenden.
[6] Allgemeine Bezeichnung für die drei Fassungen: in der Karlsruher Hs. beginnt der Text mit von dem moler mit der schon frawen, in der Weimarer mit ain spruch von dem maller und im Heidelberger Manuskript, wo der Anfang ausradiert ist, scheint die erste Zeile mit Ditz angelautet und mit molerīne geschlossen zu haben. Vgl. Bartsch, Karl: Der Maler mit der schönen Frau, in: Germania 18 (1873), S. 42; Codex Karlsruhe 408, hrsg. v. Ursula Schmid, Bern/München (Deutsche Sammelhandschriften des späten Mittelalters) 1974, Bl. 132rb-vb, S. 28-30.
[7] Name der von Grubmüller abgedruckten Fassung II aus der Dresdner Hs.: von dem maler zu wirtzpurg, in: 928 u. 1321.
[8] Mihm, Arend: Ü berlieferung und Verbreitung der Märendichtung im Spätmittelalter, Heidelberg 1967, S. 47f.
[9] Sie ist nach dem 14. Jahrhundert entstanden.
[10] Vgl. Mihm, Arend: Ü berlieferung und Verbreitung der Märendichtung im Spätmittelalter, Heidelberg 1967, S. 47-51.
[11] Vgl. NMA, S. 1321; Fischer , Hanns: Studien zur deutschen Märendichtung, bes. v. Johannes Janota, 2., durchges. u. erw. Auflage , Tübingen 1983, S. 153-159; Mihm, Ü berlieferung, S. 32-35; Kiepe, Hansjürgen: Die Nürnberger Priameldichtung. Untersuchungen zu Hans Rosenplüt und zum Schreib- und Druckwesen im 15. Jahrhundert; München 1984, S. 299.
[12] NMA, S. 1320.
[13] Obwohl die Hss. allesamt gegen Ende des 14. Jahrhunderts verfasst worden sind, wird angesichts spezifischer Flexionsmuster in den Reimen davon ausgegangen, dass das Fabliau bereits in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstanden sein muss. Vgl. Noomen, Willem/Van den Boogaard, Nico: Nouveau recueil complet des fabliaux (NRCF), Bd. IV, Assen/Maastricht 1988, S. 93f.
[14] Nykrog, Per: Les Fabliaux. Nouvelle édition; Genf 1973, S. 43.
[15] Er wurde um 1210 geboren.
[16] Vgl. zu dieser These auch NMA, S. 1322f. Ferner ebenfalls Noomen/ Van den Boogaard, NRCF, S. 93f.
[17] Außerdem ist es mit seinen 448 Versen beinahe dreimal so lang wie die anderen drei Fassungen.
[18] Sei es nun ein Maler, Bildschnitzer oder Färber. Die verschiedenen Schwänke um den Stoff des Herrgottschnitzers verwenden unterschiedliche Bezeichnungen für das Handwerk des Mannes.
[19] Vgl. Schirmer, Karl-Heinz: Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, Tübingen 1969, S.226.
[20] Frosch-Freiburg, Schwankmären, S. 110.
[21] Nur im PC. kommt es zur tatsächlichen Ausführung der Kastrierung.
[22] Auffallend sind auch die genauen Zeitangaben: so soll sich der Dichter Anfang Mai auf die Reise begeben haben um vor dem Johannis-Tag den übermittelten Geschehnissen beizuwohnen. Demnach erhält das Fabliau auch einen höheren Anspruch auf Authentizität als das Märe.
[23] Auch bei der Namensgebung findet sich der wie schon in Fußn. 22 angedeutete Realitätsanspruch der französischen Fabliaux.
[24] Vgl. auch Frosch-Freiburg, Schwankmären, Fußn. 1, S. 108.
[25] Also dem Benediktinerorden. Die Weimarer Hs. spricht dagegen von einem schweren orden, was ebenfalls Sinn macht, da der Hörer-Leser nur in dieser Fassung zuvor darauf aufmerksam gemacht wird, dass der Mönch dem anspruchsvollen Alltag im Kloster entfliehen will. Die Weimarer Hs. ist auch die einzige Fassung, welche ein Epimythion besitzt: hätte der Mönch seinen Orden nicht verlassen, so wäre ihm das Übel erspart geblieben.
- Quote paper
- Fabienne Meiers (Author), 2005, Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Mären 'Der Herrgottschnitzer', 'Der Bildschnitzer von Würzburg' und den Fabliaux 'Du prestre crucefié', 'Du prestre teint', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39650
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