Ludovico Ariostos „Orlando furioso“ , der sich nach seiner ersten Drucklegung 1516 stetig wachsender Beliebtheit sowohl bei gelehrtem als auch ungebildetem Publikum erfreute, geriet gegen Ende des 16.Jahrhunderts in das Kreuzfeuer der italienischen Kritik. Einhergehend mit der vermeintlichen Wiederentdeckung der aristotelischen Poetik und dessen Regelkatalog für epische Literatur sank die Wertschätzung einiger Gelehrter für Ariostos Werk. Man warf ihm vor, daß er die aristotelischen Forderungen nach stilistischer und inhaltlicher Einheit, Wahrhaftigkeit der Handlung und sittlicher Höhe des behandelten Themas nicht befolge, der Inhalt seines Werkes wurde als unsittlich bis obszön empfunden und sein Stil als unharmonisch und zerfahren verurteilt. Aufgrund dieser Kritik entbrannte der erste Gelehrtenstreit der neueren Geschichte über die Qualität von Literatur. Unter den damaligen Ariosto-Kritikern befand sich auch der Dichter Torquato Tasso, der es sich zum Ziel gesetzt hatte, ein italienisches Epos zu schreiben, das den OF durch strenge Befolgung der aristotelischen Regeln übertreffen sollte . Sein Werk „Gerusalemme liberata“ , entstanden um 1570-75 und in authorisierter Form 1581 erschienen, wurde im Kritikerstreit oft als Maßstab zur Einschätzung des ariostoschen Werks verwendet. Mich interessiert mehr als dieser Literaturstreit eine weibliche Figur, die in beiden Werken auftaucht: die Amazone oder Ritterin. Das Motiv der kämpfenden Frau hatte schon in der Antike seinen festen Platz und hat bis in die Gegenwart hinein nichts von seinem Reiz verloren. Ich möchte mich hier mit den zwei bedeutendsten Ritterinnen des cinquecento befassen, mit Ariostos Bradamante und Tassos Clorinda. Wie sind sie dargestellt und welche Behandlung und welches Ende finden sie? Inwiefern spiegeln sie den Zeitgeist ihrer Entstehungsepoche wieder? Um diese Fragen zu beantworten werde ich, nach kurzen Überlegungen zu der Figur der Amazone und Ritterin allgemein, Bradamante und Clorinda analysieren und miteinander vergleichen. Dazu verwende ich vor allem die Veröffentlichungen der Historikerin Christine Reinle und der Romanisten Ulrich Leo, Valeria Finucci und John McLucas.
Inhalt
VORBEMERKUNG
1. Zu der Figur der Amazone/Ritterin
2. Ariostos Bradamante
3. Tassos Clorinda
4.Vergleich Bradamante-Clorinda
SCHLUSSBEMERKUNG
LITERATUR
VORBEMERKUNG
Ludovico Ariostos „Orlando furioso“[1], der sich nach seiner ersten Drucklegung 1516 stetig wachsender Beliebtheit sowohl bei gelehrtem als auch ungebildetem Publikum erfreute, geriet gegen Ende des 16.Jahrhunderts in das Kreuzfeuer der italienischen Kritik. Einhergehend mit der vermeintlichen Wiederentdeckung der aristotelischen Poetik und dessen Regelkatalog für epische Literatur sank die Wertschätzung einiger Gelehrter für Ariostos Werk. Man warf ihm vor, daß er die aristotelischen Forderungen nach stilistischer und inhaltlicher Einheit, Wahrhaftigkeit der Handlung und sittlicher Höhe des behandelten Themas nicht befolge, der Inhalt seines Werkes wurde als unsittlich bis obszön empfunden und sein Stil als unharmonisch und zerfahren verurteilt. Aufgrund dieser Kritik entbrannte der erste Gelehrtenstreit der neueren Geschichte über die Qualität von Literatur.[2] Unter den damaligen Ariosto-Kritikern befand sich auch der Dichter Torquato Tasso, der es sich zum Ziel gesetzt hatte, ein italienisches Epos zu schreiben, das den OF durch strenge Befolgung der aristotelischen Regeln übertreffen sollte[3]. Sein Werk „Gerusalemme liberata“[4], entstanden um 1570-75 und in authorisierter Form 1581 erschienen, wurde im Kritikerstreit oft als Maßstab zur Einschätzung des ariostoschen Werks verwendet. Bei der recht polemisch geführten Auseinandersetzung ging es aber trotz des äußeren Anscheins nicht nur um die Dichter Ariosto und Tasso und ihre Gegensätzlichkeit, sondern vielmehr um die ästhetische Bewertung einer Gattung, den romanzi. Dieser Gattungsstreit[5] ist für meine Arbeit insofern von Bedeutung, da er es nahe legt, Tassos GL als ästhetische Gegenreaktion auf Ariostos OF zu lesen.[6] Ob Tasso nun die epische Höhe eines Vergil oder Homer erreicht hat und Ariostos OF als reines romanzi einzustufen ist, möchte ich nicht untersuchen.[7] Mich interessiert eine weibliche Figur, die in beiden Werken auftaucht: die Amazone oder Ritterin. Das Motiv der kämpfenden Frau hatte schon in der Antike seinen festen Platz[8] und hat bis in die Gegenwart hinein nichts von seinem Reiz verloren.[9] Ich möchte mich hier mit den zwei bedeutendsten Ritterinnen des cinquecento befassen, mit Ariostos Bradamante und Tassos Clorinda. Wie sind sie dargestellt und welche Behandlung und welches Ende finden sie? Inwiefern spiegeln sie den Zeitgeist ihrer Entstehungsepoche wieder? Um diese Fragen zu beantworten werde ich, nach kurzen Überlegungen zu der Figur der Amazone und Ritterin allgemein, Bradamante und Clorinda analysieren und miteinander vergleichen. Dazu verwende ich vor allem die Veröffentlichungen der Historikerin Christine Reinle und der Romanisten Ulrich Leo, Valeria Finucci[10] und John McLucas.
1. Zu der Figur der Amazone/Ritterin
Hier möchte ich kurz skizzieren, was ich unter einer Amazone und einer Ritterin verstehe. Meine Ausführungen versuche ich angesichts der Fülle von neuer Sekundärliteratur zu diesem Thema knapp zu halten und stütze mich im wesentlichen auf zwei historische Aufsätze[11], anhand deren ich die Grundcharakteristika einer Amazone und einer Ritterin[12] herausstellen möchte, um so einen groben Katalog zu erhalten mit dem ich die von mir zu untersuchenden Frauenfiguren einordnen kann.
Zunächst einmal erscheint es mir wichtig zu erwähnen, daß die Amazone in ihrer antiken Ausprägung in der Vorstellungswelt des Mittelalters und der frühen Neuzeit ein reales Phänomen war. Für die Gebildeten dieser Epochen gehörte das Volk der Amazonen genauso zur wirklichen Welt wie die Mongolen oder die Türken, die immer wieder in Europa einfielen. Ihre Existenz schien durch die antiken Epen des Homer und Vergil und die mittelalterlichen Troja- und Alexanderromane belegt, die damals nicht als Fiktion sondern als Tatsachenberichte verstanden wurden.[13] Der Glauben an die reale Existenz der Amazonen ging so weit, daß ihr Entstehungsmythos in die Zeitschemata der mittelalterlichen Weltchroniken aufgenommen wurde und ihr Land auf zeitgenössischen Karten zu finden war. Man lokalisierte es in Randgebieten der damals bekannten Welt, wie zum Beispiel den äußersten Norden Europas oder Asiens.[14]
Dem Mythos zufolge handelte es sich um skythische Frauen, die den Verlust ihrer Ehemänner im Krieg dazu genutzt hatten, die männliche Herrschaft gewaltsam abzuschütteln und ein eigenes Reich, in dem außschließlich Frauen lebten, zu errichten. Zur Fortpflanzung trafen sich ein Teil von ihnen alljährlich einmal mit Nachbarvölkern („Frühlingsfest“), behielten die dabei gezeugten weiblichen Säuglinge und entledigten sich der männlichen.[15] Die Mütter der Kinder waren für deren Erziehung und die häuslichen Arbeiten verantwortlich, während die Jungfrauen sich im Waffenhandwerk und der Kriegsführung übten. Sie galten vor allem als geschickte Bogenschützinnen. Um den Bogen ungehindert führen zu können, brannten sie sich die rechte Brust ab.
Die Teilung des Amazonenvolkes in einen sexuell aktiven, reproduzierenden, statischen „weiblichen“ und einen sexuell abstinenten, gewalttätigen, mobilen „männlichen“ Teil kommt nicht bei allen Autoren vor, was die moralische Bewertung dieses weiblichen Ausnahmevolkes zusätzlich erschwerte. Das Bild der Amazone bewegte sich deshalb seit seinem ersten Auftreten zwischen Virginität und Promiskuität. Im Mittelalter überwog das Bild der unkeuschen schamlosen Amazone, die ihre Sexualität als Waffe einsetzte und Männer und Ehe an sich verabscheute[16].
Dieses bedrohliche Bild relativierte sich mit dem Aufkommen des höfischen Romans, der sich ihrer Figur bediente, sie aber umdeutete. Die neuen Amazonen, die ich Ritterinnen nennen möchte, hatten alle Attribute des für sie als charakteristisch geschilderten Lebenstils abgelegt, sie kämpften zwar noch und kleideten sich ihrem kriegerischen Handwerk entsprechend, doch ihr Verhalten richtete sich weitgehend nach den gesellschaftlichen Normen. Die Jungfräulichkeit dieser Ritterinnen war außerordentlich wichtig. Ihre Virginität erlaubte es ihnen, sich über die Normen der Gesellschaft für weibliches Verhalten ungestraft hinweg zu setzen, da sie durch den Umstand, Jungfrau zu sein, ein eigenes „drittes Geschlecht“[17] bildeten. Auch Ulrich Leo bezeichnet die Ritterinnen als „drittes Geschlecht“, da er der Auffassung ist, daß man zur Ritterin geboren sein muß[18]. Die Zugehörigkeit zu diesem Geschlecht war für viele literarischen Ritterinnen aber nur eine Übergangsphase. Das Tragen von Männerkleidung und kriegerisches Verhalten wurden entweder als eine Vorbereitungsphase für das spätere Frausein aufgefasst[19] und die Ritterin durch eine Liebesgeschichte und einen Ehemann aus dem Sonderzustand der Virginität und der Zugehörigkeit zum „dritten Geschlecht“ herausgelößt. Die Ritterinnen, die sich auf diese Weise nicht „resozialisieren“ ließen, wurden durch ihren Tod einfach aus der Textstruktur verbannt.[20] Dadurch konnte das Problem ihrer irritierenden und gefährlichen, da nicht den gesellschaftlichen Normen entsprechenden Sexualität, die mit den Amazonen assoziiert wurde, sehr einfach gelößt werden.
Aber nicht nur auf Roman- sondern auch auf der Realitätsebene wurde das Problem der Ritterin in dieser Zeit gelößt. Die historische Existenz von kämpfenden Frauen ist für das frühe Mittelalter noch recht häufig belegt. Doch im Spätmittelalter wurde sie durch eine möglicherweise „verdeckt geführte Geschlechterrollendiskussion“[21] und die damit einhergehende Gefahr einer möglichen Auflösung der Geschlechterhierarchie immer problematischer. Deshalb nahmen in den Chroniken des 14. und 15.Jahrhunderts die Erwähnungen von Taten kriegerischer Frauen rapide ab und ihre Verurteilung gleichermaßen zu.[22]
Abgesehen von der Assoziation der Ritterin mit der Amazone liegt es natürlich nahe, sie mit ihrem männlichen Pendant, dem Ritter, in Verbindung zu bringen. Wenn man davon ausgeht, daß das Ritterinnendasein nur als Übergangsphase zum eigentlichen Frausein verstanden wird, in dem die Jungfrau über das Nachahmen der männlichen Existenz zur Weiblichkeit gelangt[23], so muß für sie derselbe Verhaltenskodex gelten wie für die Männer. Eine Ritterin zeichnet sich also außer durch das Tragen von Waffen und Männerkleidung auch durch das Einhalten des ritterlichen Ehrenkodexes aus, der folgendes umfasst: Zucht, kriegerische Tüchtigkeit, Treue zum Lehnsherr, Verteidigung des christlichen Glaubens und christlicher Moral, einwandfreier Lebenswandel, Schutz der Schwachen.[24]
[...]
[1] Ludovico Ariosto, Orlando furioso, Ed. Lanfranco Caretti, Torino 1966. Zitate kürze ich mit dem Vermerk OF in arabischen Nummern ab, die erste gibt den canto an, die zweite die octave.
[2] Valeria Finucci (ed.), Renaissance Transactions: Ariosto and Tasso, Durham & London 1999, S. 1.
[3] „By Tasso´s time, Ariosto´s great poem had attracted an intense critical scrutiny, being highly praised by some as a work of profound insight and imagination, and critized by others as disorganized and inconsequent. Tasso thus wrote his epic highly aware of the theoretical discrepancies between his artistic project and the looming, controversial authority of his predecessors. Thus too, any specific difference between the two poems can be assumed to be at least related to Tasso´s explicit ambition to differ from Ariosto.“ John McLucas, Amazon, Sorceress, and Queen: Women and War in the aristocratic Literature of Sixteenth century Italy, in: Italianist, 8 (1988), S.33-55, hier S.45/46.
„Sein Lebenswerk, soweit es episch war, hat diesen Sinn gehabt: unter den Gesetzen der Handlungseinheit und des stilistischen und moralischen Ernsts das anti-ariostische Ritterepos zu schaffen;“ Ulrich Leo, Ritterepos-Gotteepos. Torquato Tassos Weg als Dichter, Köln/ Graz 1958. S.10.
[4] Torquato Tasso, Gerusalemme liberata, Ed. Claudio Varese, Guido Arbizzoni, Milano 1983. Zitate kürze ich mit dem Vermerk GL in arabischen Nummern ab, die erste gibt den canto an, die zweite die octave.
[5] ausführlicher dazu Klaus W. Hempfer, Diskrepante Lektüren: die Orlando-furioso-Rezeption im Cinquecento. Eine historische Rezeptionsforschung als Heuristik der Interpretation, Stuttgart 1987.
[6] „Zum Ritterepos der ihm vorangegangenen Epoche glaubte er nun wirklich nur noch das eine Verhältnis zu haben, daß er alles anders machen wollte, als Ariost es gemacht hatte.“ Leo, Ritterepos-Gottesepos, S.16.
[7] vgl. dazu Daniel Javitch, The Grafting of Virgilian Epic in Orlando furioso, in: Valeria Finucci (ed.), Ariosto and Tasso, S.56-76.
[8] zum Beispiel Homers Penthesilea und Vergils Camilla.
[9] siehe zum Beispiel Schillers „Die Jungfrau von Orléans“, Kleists „Penthesilea“ und die verschiedenen Verfilmungen des Jean d´Arc-Stoffes der letzten Jahre.
[10] Valeria Finucci, The Lady Vanishes. Subjectivity and Representation in Castiglione and Ariosto, Stanford 1992. Valeria Finucci (ed.), Ariosto and Tasso.
[11] Christine Reinle, Exempla weiblicher Stärke? Zu den Ausprägungen des mittelalterlichen Amazonenbildes, Historische Zeitschrift Bd. 270 (2000), S.1-38. Megan Mclaughlin, The Woman Warrior: Gender, Warfare and Society in Medieval Europe, Women Studies 17 (1990), S.193-209.
[12] Ich werde beide Begriffe nach meiner eigenen Definition voneinander trennen, da ich in der mir zu Verfügung stehenden Sekundärliteratur keine genauen Unterscheidungskriterien finden konnte.
[13] Reinle, Exempla, S.7/8.
[14] ebd., S.20.
[15] Je nach Autor variiert dieser Teil von Tötung oder Verstümmelung der männlichen Säuglinge bis zur Rückgabe an ihre Väter.
[16] Reinle, Exempla, S.11.
[17] Katharina Simon-Muscheid, „Gekleidet, beritten und bewaffnet wie ein Mann“. Annäherungsversuche an die historische Jean d´Arc, in: Hedwig Röckelein/Charlotte Schoell-Glass/ Marie E. Müller (ed.), Jean d`Arc oder wie Geschichte eine Figur konstruiert. Freiburg/ Basel/ Wien 1996, S. 28-54, hier 32ff.
[18] Leo, Ritterepos, S.30.
[19] „Women [...], were represented as aquiring their own identity by first passing trough the state of being men.“ Finucci, Lady Vanishes, S.232.
[20] „Women in epic narratives are usually cast on the „wrong“ side of culture and progress: they are associated with losers (unless they function as rewards for winners) or, more generally, with transgression and turmoil. When depicted as warriors, they are either represented as Amazon-like (thus not quite women) or described as temporarily engaged in warfare before fully embracing their femininity. Their reward for valor may be a husband (provided their virginity is not in doubt), [...] More often than not, women warriors are killed before the distribution of rewards, as with Virgil´s Camilla.“ Finucci, Lady Vanishes, S.13.
[21] Reinle, Exempla, S.28.
[22] McLaughlin, Woman Warrior, S.199-201.
[23] siehe Fußnote 20 + 21
[24] Meyers grosses Taschenlexikon in 24 Bänden, hrsg. und bearb. von Meyers Lexikonred., Mannheim/ Leipzig/ Wien/ Zürich 1998, hier Bd. 18, S. 183, Stichwort „Rittertum“.
- Citar trabajo
- Claudia Gallé (Autor), 2000, Ritterinnen in der italienischen Renaissanceliteratur. Ariostos Bradamante (Orlando furioso) und Tassos Clorinda (Gerusalemme liberata), Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39352
-
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X.