Das vorliegende Buch beruht unter anderem auf Ergebnissen, die im Rahmen des Oberseminars " Die Beredsamkeit des Leibes. Kommunikation und Körperbilder im Mittelalter " im Fachbereich " Ältere deutsche Literatur " der Humboldt-Universität Berlin erarbeitet wurden.
Hierbei interessierten mich besonders die Fragestellungen über die Präsentationsformen des weiblichen Körpers und der Gender-Thematik.
Durch Diskussionen innerhalb des Seminars ergab sich im Besonderen die Frage, ob nicht eine Verbindung von den mittelalterlichen Repräsentationsformen des Körpers und der Geschlechter zu heutigen Ansätzen der Körper / Genderdebatten zu ziehen ist. Insbesondere die Ansätze von Caroline Walker Bynum ( Mittelalter-Bezug) und Judith Butler ( 20. Jh.) scheinen mir diese Möglichkeit -Vergleiche zwischen den Zeiten zu ziehen- besonders deutlich herauszuarbeiten.
Sicherlich wird jede geschichtliche Periode durch unterschiedliche, je zeitspezifische Umstände und Bedingungen bestimmt. Jedoch sind Ähnlichkeiten in der Körper-und Genderdiskussion , die immer wieder aufflammt ( vgl. hierzu auch: D. Kamper 2 / Kunstforum Bd.132 3) nicht von der Hand zu weisen.
Aufgrund meines kulturwissenschaftlichen Interesses, das ja der Gender -Thematik und der " Körper- Diskussion" immanent ist, werde ich zunächst die Beiträge von J. Butler , sowie weiterhin Film und medienspezifische Betrachtungen zur Gender-Problematik als Ausgangspunkt nehmen, um dann mögliche Parallelen zu mittelalterlichen Geschlechterkonstruktionen darzulegen.
Ich hoffe , mein Anliegen, Parallelen in der wiederholt auftauchenden „Körper und Geschlechterdiskussion“ herauszustellen, wird ersichtlich und es wird in der Frage münden :
„ Warum erhält die Körper-Debatte, gerade in Zeiten von Medienumbrüchen, immer wieder eine so zentrale Bedeutung?“
Gliederung
1.) Einleitung
2.) Das Geschlecht / Gender wird kulturell bedingt konstruiert. ( Trotz vorhandener biologischer Unterschiede.)
2.1. : Geschlechterkonstruktionen im Mittelalter , anhand der Arbeiten von Caroline Walker Bynum.
2.2. : Ausführungen zu dieser Thematik von Judith Butler.
3.) Cross-Dressing-Phänomene :
3.1. : Cross-Dressing Erscheinungen im Mittelalter ( ® C.W.Bynum)
3.1.1. : Roman de silence
3.2. : Grenz -verwischungen /-auflösungen /- verschmelzungen im Ansatz von J. Butler.
3.2.1. : Cross-Dressing-Beobachtungen in Filmen ( aus "feministischer Perspektive" )
4.) Die besondere Affinität des weiblichen Körpers zu somatischen Ausdrucksformen.
4.1. : Weiblicher Körper im Mittelalter.
4.2. : Warum tendiert auch noch in " heutiger Zeit" der weibliche Körper verstärkt zu Somatisierungen?
5.) Medienumbrüche . Überlegungen zu der Frage : Warum wird insbesondere bei Medien-umbrüchen / - wechseln stets auf den " Körper " zurückgegriffen ?
6.) Anhang:
6.1.1. : Weiterführende Aspekte zu Punkt 4.2.)
6.1.2. : Lacan, Jaques : " Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion " ( Auszüge )
6.2. : Literatur
6.3.: Bildmaterial
1.) Einleitung:
Die vorliegende Arbeit beruht unter anderem auf Ergebnissen, die im Rahmen des Oberseminars " Die Beredsamkeit des Leibes. Kommunikation und Körperbilder im Mittelalter " im Fachbereich " Ältere deutsche Literatur " erarbeitet wurden.
Hierbei interessierten mich besonders die Fragestellungen über die Präsentationsformen des weiblichen Körpers und der Gender-Thematik.[1]
Weiterhin ergab sich durch Diskussionen innerhalb des Seminars die Frage, ob nicht eine Verbindung von den mittelalterlichen Repräsentationsformen des Körpers und der Geschlechter zu heutigen Ansätzen der Körper / Genderdebatten zu ziehen ist.
Insbesondere die Ansätze von Caroline Walker Bynum ( Mittelalter-Bezug) und Judith Butler ( 20. Jh.) scheinen mir diese Möglichkeit -Vergleiche zwischen den Zeiten zu ziehen- besonders deutlich herauszuarbeiten. Sicherlich wird jede geschichtliche Periode durch unterschiedliche, je zeitspezifische Umstände und Bedingungen bestimmt. Jedoch sind Ähnlichkeiten in der Körper-und Genderdiskussion , die immer wieder aufflammt ( vgl. hierzu auch: D.Kamper[2] / Kunstforum Bd.132[3] ) nicht von der Hand zu weisen.
Aufgrund meines kulturwissenschaftlichen Interesses, das ja der Gender-Thematik und der " Körper-Diskussion" immanent ist, werde ich zunächst die Beiträge von J. Butler , sowie weiterhin Film -/ Medienspezifische Betrachtungen zur Gender-Problematik als Ausgangspunkt nehmen, um dann mögliche Parallelen zu mittelalterlichen Geschlechterkonstruktionen darzulegen.
Meine folgenden Ausführungen wollen und können nur Ansatzpunkte für weitere Diskussionen bieten. Viele Faktoren werden hier nicht erschöpfend miteinbezogen ( z.B. psychologische / psychoanalytische , anthropologische, differenziertere soziologische Faktoren ...) . Zudem erfolgen meine Beobachtungen natürlich immer nur aus der heutigen Perspektive heraus .
Ich hoffe aber, mein Anliegen, Parallelen in der wiederholt auftauchenden Körper- / Geschlechterdiskussion herauszustellen, wird ersichtlich und es wird in der Frage münden : " Warum erhält die Körper-Debatte, gerade in Zeiten von Medienumbrüchen, immer wieder eine so zentrale Bedeutung?
2.) Das Geschlecht wird kulturell bedingt konstruiert. ( Trotz vorhandener biologischer Unterschiede).
Sind der Körper und die Geschlechter tatsächlich biologisch determiniert?
Über einige Jahrhunderte hinweg besaß der Körper eine eindeutige biologische Materialität. Alle menschlichen Wesen haben einen Körper und dieser muß sich ernähren und ist physiologischen Vorgängen unterworfen. Gewiß ! Unbestreitbar gibt es Unterschiede in der Anatomie, um Nachkommen zeugen zu können. Aber wie verhält es sich mit der binären Setzung und Zuschreibung der Begriffe Mann / männlich-Frau / weiblich ?
Ist diese binäre Benennung tatsächlich biologisch und " natürlich" dem jeweiligen Körper eingeschrieben?
Beinhaltet nicht auch die Natur eine Geschichte?
Ich denke, mit Judith Butler, daß trotz der anatomischen Unterschiede der Körper, die Setzung, man habe Mann oder Frau innerhalb ganz bestimmter Gesetzmäßigkeiten zu verkörpern, kulturell bedingt ist, und daß auch der "biologische" Körper Konstruktionen unterworfen ist. ( s. Foucault M[4]. : Einschreibungen, die in -aber eben auch über- den Körper stattfinden. Diese Erweiterung von M. Foucault verdeutlicht J. Butler unter ihrem "Performanz-Begriff ". ) Durch den heutigen speziellen Bezug des Körpers zum Geschlecht bzw. die Definition und Anerkenung des Körpers über sein Geschlecht , sowie damit verbunden seine Notwendigkeit zur Identitätsbildung , wird es wichtig sein, diesen Bezug näher auf seine " Natürlichkeit" hin zu untersuchen.
Deutlich wird dies unter anderem am folgenden Beispiel von J. Butler ." Zweifellos gibt es Differenzen, die binär, materiell und exakt bestimmbar sind , ( ...) .
Was Wittig anprangert, ist die gesellschaftliche Praxis, gewisse anatomische Merkmale nicht nur zur Bestimmung des anatomischen Geschlechts, sondern zur Bewertung der Geschlechtsidentität heranzuziehen. Sie weist darauf hin, daß es andere Arten von Unterschieden zwischen den Menschen gibt, etwa Unterschiede in Gestalt und Größe, in der Form des Ohrläppchens oder der Länge der Nase, aber wir fragen nicht, wenn ein Kind geboren wird , welche Art von Ohrläppchen es hat. Wir fragen sofort nach gewissen sexuell differenzierten anatomischen Merkmalen, weil wir annehmen, daß diese in irgendeiner Weise das gesellschaftliche Schicksal des Kindes bestimmen, und dieses Schicksal , was immer es auch sein mag, wird strukturiert durch ein Geschlechtssystem, das auf einer scheinbaren Natürlichkeit binärer Oppositionen, d. h. der Heterosexualität, beruht. Indem wir Säuglinge in dieser Weise unterscheiden, behaupten wir folglich die Heterosexualität als Vorbedingung menschlicher Identität und präsentieren diese zwanghafte Norm unter dem Schleier einer Naturtatsache."[5]
Die Benennung und Festlegung der Geschlechter auf ein bestimmtes duales System ist also kulturell verankert. Und die Körperrepräsentation hängt auch davon ab, welche Bedeutung der Körper haben soll, von seiner Verwendung und dem Kontext seiner Beschreibung. Als weiteres Beispiel möchte ich hinterfragen, ob ein Säugling / Kleinkind sich selbst, ohne äußeren Einfluß auch auf ein bestimmtes Geschlecht hin definieren würde. Unzweifelhaft findet schon beim Kleinkind eine Abgrenzung und Differenzierung statt ( s. auch Lacan, J. : Spiegelstadium / Balint, M. )[6], aber ob es sich dabei um eine Zuordnung in dualer Form zum männlichen oder weiblichen Geschlecht handeln muß, wage ich zu bezweifeln. Es geht eben zunächst einmal um Differenzierung & Abgrenzung von der Umgebung " insgesamt" ( evtl. noch überwiegend von der "Mutter ", als nächste Umgebung) sowie eine Unterscheidung und Wahrnehmung von Innen-und Außenwelt.
Dieser Standpunkt der hauptsächlich kulturellen Konstruktion der Geschlechter ist sicher nicht unproble -matisch . Was allerdings Vertreter dieser Theorie , vor allem auch J. Butler und C.W.Bynum nicht leugnen. "Real" umsetzbar und lebbar sind diese Einsichten offenbar nicht-zumindest nicht vollständig. Einige biologische Festlegungen scheinen also doch vorhanden zu sein ,[7] so daß J. Butlers Theorien vor allem theoretische Ansätze sind, die zum Überdenken der bestehenden Körper- und Geschlechterbilder anregen. Genau dies ist aber, meiner Meinung nach, auch der entscheidende und nötige Ansatz zu weiteren Diskussionen.
2.1.) Geschlechterkonstruktionen im Mittelalter, anhand der Arbeiten von Caroline Walker Bynum.
Caroline Walker Bynum versucht, eine soziokulturelle Konstruktion von Körper - / Geschlechterbildern im Mittelalter nachzuweisen.[8] Sie bezieht sich dabei hauptsächlich auf kunsthistorische und historische Forschungsansätze, insbesondere unter Einbezug der Arbeiten von Leo Steinberg und Victor Turner. Aufgrund ihrer Ausrichtung, eine " soziokulturelle Körperkonstruktion anhand geschlechtsspezifischer Kategorien zu demonstrieren, ist ihr Ansatz durchaus mit J. Butlers Thesen kompatibel.
Nach C.W. Bynum scheint im Mittelalter zunächst der Körper beider Geschlechter anfällig für körperliche Ausdrucksformen und Manipulationen ( z.B Stigmata, Geißelungen... ), was sich wohl hauptsächlich auf die Einbindung der Körpervorstellung in den religiösen Hintergrund, und dessen positive Bewertung zurückführen läßt. Durch das Nebeneinanderexistieren verschiedener theologischer und philosophischer Lehren, wie christliches, jüdisch-hebräisches, griechisches (hellenisch-römisches ) Gedankengut herrschte ein breites Spektrum an Körper- und Geschlechterauffassungen. Die mittelalterlichen Vorstellungen vom Körper haben demnach anscheinend weniger mit Sexualität als mit Fruchtbarkeit und Verfall zu tun, was den Ausführungen von Leo Steinberg und seiner Hervorhebung der Penis-Darstellungen Christi, in Bezug auf deren überwiegend männlich-sexuelle Bedeutung entgegnsteht.[9] Die erotisch-sexuelle Komponente erscheint vermutlich eher dem heutigen Betrachter interessant. Mittelalterliche Betrachter sahen auch und vor allem in den Genitalien Christi seine Verbindung zur Menschlichkeit. Insbesondere die Darstellung des Blutflusses wird oft verbunden mit der Präsenz seiner Genitalien ( Beschneidungswunde). Dies verwies aber vorwiegend auf das Leiden Christi, nicht nur auf seine "Männlichkeit". Denn Leiden ist allen Menschen (Mann und Frau) mit Christi gemeinsam. Es macht die besondere Verbindung des Göttlichen mit dem Kern der Menschlichkeit und Leiblichkeit, die sich im Fleisch wiederspiegelt, aus. Das Fleisch zu züchtigen und zu beherrschen , bedeutete für mittelalterliche Frömmigkeit, es zu erhöhen, da der Körper einen Zugang zum Göttlichen eröffnete. Leiden ist aber auch eng verküpft mit Verfall, Tod und Fragmentierung. Leiden, als zum Leben zugehörig anzuerkennen, bedeutet das "Wissen" und die Akzeptanz des Todes. Es folgt der Gedanke einer psychosomatischen Einheit des Menschen. Am " Ende der Zeiten" werden demnach sowohl der Körper als auch die Seele wiederauferstehen. Der Wiederauferstehungsgedanke beinhaltete ein vollständiges, einheitliches Auferstehen von Geist und Körper . Deswegen konnten Naturphilosophie, Theologie und volkssprachliche Überlieferungen in Charakter und Physis des Menschen eine Mischung aus Männlichem und Weiblichem sehen. Im mittelalterlichen Konzept wurde also trotz einer auch bestehenden binären biologischen Differenzierung der Geschlechter[10] -die von der "traditionellen Geschichtsschreibung" propagiert wird-, beiden Geschlechtern die Möglichkeit gegeben sich innerhalb eines Kontinuums zu bewegen, das in der Vereinigung mit dem Göttlichen endete. Es gab eine gleichberechtigte Akzeptanz . Beide Formen, " geistige und somatische," diese Vereinigung zu erlangen waren anerkannt. " Boundaries appear to be violated here-boundaries between spiritual and physical, male and female, self and matter. There `s something profoundly alien to modern sensibilities about the role of a body in medieval piety."[11] In diesem Zusammenhang der Aufhebung sonst gesetzter Grenzen von Innen und Außen, Geist und Körper, männlich und weiblich verweist C.W. Bynum weiter zu Victor Turners Liminalitätsbegriff.[12] Nach Turner , der die Grundeinheiten sozialer Wirklichkeiten als Drama betrachtet, umfaßt das "soziale Drama" vier Phasen : -den Bruch zwischen gesellschaftlichen Elementen
- die Krise ,
- die Bewältigung oder Wiedergutmachung
- und schließlich die Reintegration der Gruppe, der Person oder des " Elements" in die soziale Struktur oder Anererkennung des unüberwindbaren Bruchs. In der dritten Phase findet nun das statt, was Turner unter " Liminalität" faßt. Der Zustand der Liminalität bezeichnet danach einen Schwellen- zustand, der zu einer Umkehrung bestehender Verhältnisse, zumindest aber mit einer Statusumkehrung , Erhöhung oder Erniedrigung , einhergeht. Die Liminalität beinhaltet einen Moment der Aufhebung üblicher Regeln und Rollen . Eine Grenzüberschreitung und Normverletzung- damit ist der Bezug zu heutiger Körperdebatte und dem Wunsch nach Grenzüberschreitungen angeschnitten- , die uns befähigt diese Normen zu verstehen, selbst oder gerade da, wo sie sich eigentlich wiedersprechen, und sie anzunehmen oder zu verwerfen. Zentrale Strukturen der liminalen Phase sind narrative Strukturen, Rituale und die auftauchenden dominanten Symbole. Sie kondensieren und vereinigen den normativen und emotionalen Bedeutungspol. Um die narrativen Strukturen des Mittelalters zu analysieren bezieht C.W. Bynum sich besonders auf die Heiligenviten. Als dominantes Symbol stützt sie sich bevorzugt auf die Eucharistie. Beide Elemente des " sozialen Dramas" müssen zudem innerhalb ihres gesellschaftlichen Kontxtes und, eben das ist Bynums Kritik an Turner, aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden. Turner beschreibt die Symbole und Geschichten der Männer weitaus besser als die der Frauen. Er klammert die Frauen zwar nicht aus, aber er blickt sie von seinem Standpunkt aus an und nimmt nicht ihren Blickwinkel ein. Hier wäre für mich aber auch Kritik an C.W. Bynum zu sehen. So wichtig die Ausarbeitung ihres Ansatzes ist, enthält ihr Fokus eben überwiegend die "weibliche Seite". Natürlich ist das auch ihr Anliegen, aber die Kritik, die sie an Turner übt, betrifft ihren eigenen Ansatz in ähnlicher Weise, wie auch an den Cross-Dressing-Phänomenen zu zeigen wäre. Ein genereller Nachteil des Rückgriffs auf historische Gegebenheiten ? Victor Turners Liminalitätsbegriff erfaßt also nicht vollständig die Ausdrucksfähigkeit und Religiösität der Frau. Teilweise richtet sich V. Turner in diesem Punkt gegen seine eigenen Forschungsansprüche. Denn von seinem Standpunkt aus müßten die Frauen in dauernder Liminalität leben oder sie nie erreichen. Doch die Schilderungen der weiblichen Religiösität sind nicht mit einem radikalen Wechsel zum männlichen Geschlecht verbunden . " Die Frauen, insofern Frauen als Frauen schwächer sind, benehmen sich einfach nicht wie erwartet. Vielmehr bewahren und erhöhen sie im Bild (als Braut oder Kranke) die alltägliche weibliche Erfahrung, so daß die religiöse Haltung der Frauen entweder dauernd liminal sein muß oder das liminale Stadium nie erreicht."[13] Dies wird deutlich an den von Bynum untersuchten Heiligenviten. Sie zeigen Brüche und Krisen im Leben als liminale Phasen, und anhand der Biographien von Männern und Frauen unterstreicht Bynum ihre Aussage von einer eher dauernden Liminalität der Frauen. Die männlichen Lebensläufe lassen sich vollständig in Turners Konzept einpassen. In den Umkehrphasen ihrer Lebensläufe wenden sich Männer bevorzugt an " Frauen", ob als Symbol oder in Wirklichkeit, um der Welt zu entfliehen, Rat zu suchen und ihren Status abzulegen, um mit einer Bekehrung und Statuserhöhung daraus hervorzugehen. Bei den weiblichen Biographien verhält es sich aber etwas anders. Die Frauen beschreiben für sich selbst in ihren liminalen Phasen keine rigorose Hinwendung zum männlichen Geschlecht, vielmehr beschreiben sie sich als durchgehend androgyn. Nicht zuletzt mag dies auch an dem sozialen Status der Frauen liegen, der ihnen innerhalb des starken Familienverbundes auch weniger Möglichkeiten bot. Liminalität beinhaltet meiner Meinung nach, auf liminale, individuelle Körperbegrenzung bezogen, aber auch generell ein Verwischen der Trennung von Geist und Körper. Die eigenen Körpergrenzen lösen sich auf und vereinigen sich z.B. mit dem Göttlich-Geistigen, was im religiösen Kontext die Bedeutsamkeit der besonderen weiblichen Religiösität unterstützt. Die besondere Bedeutung des Körpers und der Körperlichkeit durch seine Verbindung mit dem Göttlichen wurde zudem gestärkt durch die Eucharistiefeier (geistlich-theologischer Pol) und die damit verbundene Einnahme des Abendmahls in Form der Hostie (sinnlich-orektischer Pol ). Vor allem kommt in der Umwandlung von Brot und Wein zu Leib und Blut Christi der Transsubstinationsgedanke zum Ausdruck. Gerade in der Eucharistiefeier, die als höchste Vereinigung mit dem Göttlichen angesehen wurde, ist zugleich die schon beschriebene Umkehrungsmetaphorik enthalten : Der Mensch erhält in seiner Sterblichkeit das " ewige Leben". Das Göttlich -Unsterbliche wird sterblich durch sein Blutvergießen und Leiden zur Erlösung des Menschen. Auch die Praktiken der Reliquienkulte unterstützen die Verbindung von Körper und Geist zu einer Einheit. Die Reliquien als stellvertretender Körper-Teil eines Heiligen, stellten für die Gläubigen einen realen Kontakt mit dem Göttlichen dar. Die Reliquie " ist" der Heilige. Damit wird auch demonstriert, daß der Körper eines Individuums (s)eine Besonderheit ausmacht und "selbst heilig" ist . C. W. Bynum betont, das Berichte über diese körperlichen Phänomene vorwiegend ab einem bestimmten Zeitraum -12. /13. Jahrhundert -auftauchen, und ab diesem Zeitpunkt hauptsächlich dem weiblichen Körper zugeschrieben werden. Sie kommt ähnlich J. Butler zu der Feststellung:" Auch der Körper hat eine Geschichte. Insbesondere der weibliche Körper."[14] Somit wird es für C.W.Bynum notwendig zu hinterfragen, wie es zu dieser " Geschichte" und den damit verbundenen Körper -und Geschlechterkonstruktionen gekommen ist. Das Herausarbeiten einer eigenen Historizität des " weiblichen Geschlechts " ist im übrigen ein wesentlicher Bestandteil der postfeministischen Theoretikerinnen, auch wenn ich diese Methodik nicht unproblematisch finde : wichtig ist erst einmal das Herausfinden unterschiedlicher Perspektiven und ihr Einbezug in den jeweiligen soziokulturellen Kontext. Es ist nicht damit getan, eine Betrachtung aus dominanter oder subkultureller Sicht zu erfassen. Es sollte ersucht werden, die enthaltenen Symbole als Symbole und nicht eher als Zeichen , vieldeutig und vielfältig in ihrem sozio-historischen Kontext zu erkennen. ( Bildmaterial s. Anhang, Abb. : 1 & 2)
2.2.) Ausführungen zu dieser Thematik von Judith Butler:
Ausgangspunkt von Butlers Argumentation ist die schon unter Punkt 2.) angeführte These: Das Geschlecht / Gender ist ein soziokulturelles Konstrukt. Sofern soziale Existenz eine eindeutige Geschlechtsidentität fordert, kann "man" anscheinend nicht außerhalb der Geschlechtsnormen in einem gesellschaftlich relevanten Sinn existieren. Doch warum fordert die soziale Existenz eine eindeutige Geschlechtsidentität? Weil es sich um eine " natürlich" notwendige Einordnung in die soziale Existenz handelt ? Ist nicht die Berufung auf die Natürlich-keit der Geschlechter und der Geschlechtsidentitäten zweifelhaft und auch eine Konstruktion? Insofern, als das "Natürliche" zunächst immer vom Sozialen ausgegrenzt, und wenn es als weniger wert definiert wird , vom Sozialen absorbiert ist. Anscheinend hat eine Selbst-Naturalisierung von bestimmten kulturellen Konfigurationen der Geschlechtsidentität die Stelle des" Wirklichen" und " Natürlichen" eingenommen und dadurch ihre Hegemonie ausgedehnt und gefestigt.[15]
"Das biologische Geschlecht ist demnach etwas, was man hat oder eine statische Bedeutung dessen, was man ist : Es wird eine derjenigen Normen sein , durch die " man" überhaupt erst lebensfähig wird, dasjenige was einen Körper für ein Leben im Bereich kultureller Intelligibilität qualifiziert."[16] Es wäre also möglich, daß das biologische Geschlecht schon immer gleich der Geschlechtsidentität gewesen ist und daß Beides ein kulturelles Konstrukt ist. Diese Beobachtung , daß auch die Materialität der Körper ein Konstrukt ist, wird unterstützt durch folgende Aussagen, die nach dem Verfahren und den Möglichkeiten der Konstruktion suchen, um den Begriff der Konstruktion "selbst" zu hinterfragen.
Körper existieren erst durch Markierungen[17]. In "unserer" Gesellschaft werden sie zudem erst durch die Markierung der Geschlechtsidentität ins Leben gerufen. Genau hier liegt die schon angedeutete Problematik. Man könnte dem Körper / den Körpern ja auch nach anderen Markierungen Bedeutung beimessen. ( s. Wittigs Aussage unter Punkt2 ) Zu analysieren wäre daraufhin, welchen Körpern Gewicht beigemessen wird und warum?
[...]
[1] Gender : Dieser Begriff ist nicht vollständig / korrekt ins Deutsche übersetzbar. Im "allgemeinen" , bei J. Butler, bezeichnet "Gender" das sozial determinierte Geschlecht. Geschlecht als kulturelle Zuschreibung, sowie die Geschlechtsidentität und das grammatische Geschlecht ( ® Sprachbezug). Unterschieden in jedem Fall vom rein biologischen , anatomischen Geschlecht.( " sex" nach Michel Foucault : Sexualität und Wahrheit Bd.1 , Suhrkamp-Verlag, Frankfurt a. Main 1976). Da ich in dieser Arbeit hauptsächlich über die "konstruierte Geschlechtlichkeit" schreibe, verwende ich die Begriffe Gender / Geschlecht in diesem kulturell bedingten Sinne. Beziehe ich mich auf das biologische Geschlecht, kennzeichne ich dies extra. Ausführlichere Erläuterungen zur problematischen Übersetzbarkeit des Begriffes " Gender" finden sich bei: de Lauretis, Teresa : Technologies of Gender, Bloomington , IN 1987, Kap.1.
[2] Kamper, Dietmar / Wulf, Christoph : Die Wiederkehr des Körpers, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. Main 1982
[3] Kunstforum Bd. 132, ZS, November / Januar 1996, Titel : Die Zukunft des Körpers
[4] Foucault, Michel : Sexualität und Wahrheit Bd.1, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. Main 1976
ders. : Discipline and Punish, Vintage Books, New York 1979, S.26 : " But the Body is also involved in a political field, power relations have an immediate hold upon it; they invest it , mark it, force it to carry out tasks, to perform ceremonies, to emit signs."
[5] Wittig, Monique, in : Butler, Judith : Variationen zum Thema Sex und Geschlecht, in : Winkler-Nunner, Gertrud: Weibliche Moral; dtv Verlag , München 1995, S.66
[6] Lacan, Jaques : Schriften 1, Weinheim / Berlin, 3.Auflage, Berlin 1991; und Balint, Michael : Die Urformen der Liebe und die Technik der Psychoanalyse, Fischer-Verlag, Frankfurt 1969, darin : Eros und Aphrodite
[7] vgl. hierzu: Earl W. Count : Das Biogramm, S. Fischer, Frankfurt 1970; in: Rittner, Volker / Kamper, Dietmar . Zur Geschichte des Körpers , Carl Hanser Verlag , München-Wien 1976. Count zeigt anhand der "Prinzipien der Gesellung der Wirbeltiere" die Verknüpfung von anscheinend biologisch, anthropologisch ablaufenden Gesetzmäßigkeiten und kulturell hinzukommenden Konditionierungen. " ...gibt es auf menschlichem Niveau keine nur instinktiven und keine nur erlernbaren Reaktionen und Aktionen: es gibt keine Konditionierung durch äußere Einflüsse ohne ein konditionierbares Substrat"... " In jedem menschlichen Verhalten spielen organismische Faktoren in Gestalt von inneren Reizen, Impulsen, Bedürfnissen eine Rolle. In ganz großen Phasen der Ontogenese führen sie zu einem figurativen Verhalten, das unbewußt und wenig beeinflußbar ist, was seine Tendenz anbetrifft : Der Säugling wird Kind , das Kind wird"Jugendlicher", die reife Frau wird " alt"-Prozesse, die von kulturellen Normen nirgendwo ganz verschleiert werden können."
Aber es gibt diese kulturellen Beeinflussungen! ( B.K.)
[8] Bynum, Caroline Walker : Fragmentierung und Erlösung, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. Main 1991 dies. : The Rescurrection of the Body in Western Christianity 200-1336, Columbia University Press, New York 1996, Kap.1 & 8
[9] Bynum, Caroline Walker : Fragmentierung und Erlösung, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. Main 1991, S.61ff
[10] Aristoteles: Frau : ungeformte Materie, liefert die Materie für den Fötus , wird als Stoff / Stofflichkeit / Physis des Menschen bezeichnet. Der Mann spendet Leben und Geist, ist aktiv ( samenspendend) und damit Form: das Wesen dessen, was den Menschen ausmacht. Es ergibt sich eine Trennung von Geist und Körper, bei der der männliche Standpunkt die Norm, das Ausgangskonzept darstellt. Galen : Mann und Frau sind "Materie", aber auch in seinem Konzept bleibt die Frau passiv, ein Gefäß.
[11] Bynum, Caroline Walker : The Female Body and Religious Practice in the Later Middle Ages, in : Feher, Michael / Nadaff, Ramonn / Tazi, Nadia ( Hg.) : Fragments for a History of the Human Body, Zone Verlag , New York 1989, Part 1, S.161ff
[12] Bynum, Caroline Walker : Fragmentierung und Erlösung, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. Main 1991, S.27ff
[13] ebda., S.32
[14] Bynum, Caroline Walker : Fragmentierung und Erlösung, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. Main 1991, S.160
[15] Butler, Judith : Das Unbehagen der Geschlechter , Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. Main 1991 dies.: Körper von Gewicht , Berlin Verlag, Berlin 1995
[16] Butler, Judith : Körper von Gewicht, Berlin Verlag, Berlin 1995, S,22
[17] Douglas, Mary, in: Butler, Judith : Das Unbehagen der Geschlechter, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. Main 1991, S.192ff
" Die Markierung des Körpers bringt nach Mary Douglas das hervor, was die / den Körper konstituiert. Die Schranke der Körper ist niemals etwas bloß Materielles, sondern die Oberfläche des Körpers, die Haut, wird systematisch durch Tabus und antizipierte Übertretungen bezeichnet. Die Begrenzungen des Körpers werden zu den Schranken des Gesellschaftlichen per se. "Der Körper liefert damit ein Modell, das für jedes abgegrenzte System herangezogen werden kann-wegen Möglichkeiten der Einschreibung / Abgrenzung von Körperinnerem und Körperäußerem z. B. durch Körperöffnungen .( Bei denen dann wiederum die Differenzierung in anale, orale, genitale Öffnungen und Schließungen möglich ist.)
- Citar trabajo
- Britta Kerger (Autor), 1997, Die Beredsamkeit des Leibes - Kommunikation und Körperbilder im Mittelalter, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39321
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