[...] Nie zuvor waren Journalisten in einem Krieg mit ausdrücklicher Genehmigung des Militärs so nah am Geschehen und noch nie zuvor gab es so viele Berichte von der Front wie im Irak-Krieg. Dennoch wurde das Einbetten von Reportern in das Militär heftig diskutiert. Kritiker warnten, dass die eingebetteten Journalisten unter der Zensur des US-Militärs stehen und als Sprachrohr der US-Regierung fungieren würden. Ihre Berichte würden einer Sportberichterstattung ähneln, einseitige Perspektiven produzieren und den Krieg verherrlichen, lauteten die Vorwürfe. Befürworter des Konzepts priesen embedding als einzigartige Augenzeugenschaft für Kriegsereignisse, die den Zuschauern in Echtzeit faszinierende Bilder und Berichte von der Front sowie einmalige Einblicke in die Realität des Krieges bieten würde. Die Meinungen der Medienkritiker beiderseitig des Atlantiks waren äußerst divergierend. Für das US-Militär hingegen war das Konzept des embedded journalism ein voller Erfolg. Das Militär hätte seine Verpflichtung, den Medien Zugang zum Kampfgebiet zu ermöglichen, erfüllt und zugleich militärische Informationen geheim halten können. Zudem seien die Falschinformationen und Propaganda des irakischen Regimes mithilfe von eingebetteten Journalisten aufgedeckt worden. Ansehen und Glaubwürdigkeit des US-Militärs in der Öffentlichkeit seien durch die meist positive Berichterstattung der embedded journalists gestiegen. (vgl. Paul/Kim 2004: 35-61) Die Pentagon-Sprecherin Victoria Clarke erklärte somit nach Ende der Hauptkampfhandlungen des Irak-Krieges, dass embedding ein großer Erfolg gewesen sei und auch in zukünftigen Konflikten als Medienstrategie eingesetzt werden solle. Nun eröffnet sich die Frage, ob das Konzept des embedded journalism ausschließlich als Erfolg für das Militär angesehen werden kann oder ob embedding zugleich auch für den Journalismus sowie für die Rezipienten der Berichterstattung als erfolgreich einzustufen ist. Ziel dieser Arbeit ist es demnach, die Ursprünge, Merkmale und Ziele sowie die Bedeutung der Medienstrategie des embedded journalism in der Irak-Kriegsberichterstattung zu analysieren und die Vor- und Nachteile, die sich aus diesem Konzept für die Kriegsberichterstattung ergeben, herauszuarbeiten. Am Schluss der Arbeit soll eine Einschätzung des Erfolgs oder Misserfolgs von embedding im Hinblick auf die Ansprüche von Journalisten und Rezipienten an eine Konfliktberichterstattung möglich sein.
INHALTSVERZEICHNIS
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Fragestellung
1.2. Vorgehensweise
2. Terminologie
2.1. Definition des Begriffs „Kriegsberichterstattung“
2.2. Relevanzkriterien der Kriegsberichterstattung
2.3. Qualität in der Kriegsberichterstattung
2.4. Definition des Begriffs „Objektivität“
2.5. Definition des Begriffs „Zensur“
3. Historiographie der Kriegsberichterstattung
3.1. Anfänge der Kriegsberichterstattung
3.2. Der Krim-Krieg – der „erste Pressekrieg“
3.3. Der amerikanische Sezessionskrieg
3.4. Das „Goldene Zeitalter“ der Kriegsberichterstattung
3.5. Kriegsberichterstattung im Ersten Weltkrieg
3.6. Kriegsberichterstattung im Zweiten Weltkrieg
3.7. Vietnam – der „erste Fernsehkrieg“
3.8. Falkland-Krieg, Grenada-Invasion und Panama-Konflikt
3.9. Golfkrieg 1991 – der „erste Live-Krieg“
3.10. Kriegsberichterstattung im Irak-Krieg 2003
3.11. Krieg und Medien – eine Symbiose
3.12. Friedensjournalismus als Alternative zum Kriegsjournalismus
4. Das Konzept des „Embedded journalism“ im Irak-Krieg 2003
4.1. Definition des Begriffs embedded journalism
4.2. Merkmale des embedded journalism
4.2.1. Prozess der Einbettung
4.2.2. Rechte und Pflichten von embedded journalists
4.2.3. Informationsbeschaffung von embedded journalists
4.3. Ursprung und Hintergründe des Konzepts embedded journalism
4.3.1. Vorläufer von embedded journalists
4.3.2. Prozess und Gründe der Entstehung von embedding.
4.4. Ziele von embedding
4.5. Bedeutung von embedded journalists in der Irak-Berichterstattung
4.6. Rezeption der Berichterstattung von embedded journalists
4.7. Probleme des embedded journalism
4.7.1. Sicherheit der Journalisten
4.7.2. Unterschiedliche Behandlung von Journalisten
4.7.3. Distanzverlust
4.7.4. Restriktionen
4.7.5. Fehlender Überblick
4.8. Nutzen des embedded journalism
4.9. Reality-War-TV
4.10. Schlussfolgerungen für die empirischen Analysen
5. Methodik der empirischen Analysen
5.1. Befragung von embedded journalists
5.1.1. Auswahl der Stichprobe
5.1.2. Auswahl der Befragungsmethode
5.1.3. Konzeption des Fragebogens
5.1.4. Durchführung der Befragung
5.1.5. Auswertung der Befragung
5.2. Befragung von Rezipienten
5.2.1. Auswahl der Stichprobe
5.2.2. Auswahl der Befragungsmethode
5.2.3. Konzeption des Fragebogens
5.2.4. Durchführung der Befragung
5.2.5. Auswertung der Befragung
6. Präsentation der Ergebnisse
6.1. Ergebnisse der Befragung von embedded journalists
6.1.1. Informationsbeschaffung der embedded journalists
6.1.2. Freiheit der Berichterstattung der embedded journalists
6.1.3. Einhaltung journalistischer Standards
6.1.4. Vor- und Nachteile von embedding
6.1.5. Friedensjournalistischer Beitrag der eingebetteten Journalisten
6.1.6. Zukunftspotential von embedded journalism
6.2. Ergebnisse der Befragung von Rezipienten
6.2.1. Mediennutzung während des Irak-Krieges 2003
6.2.2. Kenntnis des Konzepts embedded journalism
6.2.3. Freiheit und Unabhängigkeit der Berichterstattung von embeds
6.2.4. Informationsgewinn und Glaubwürdigkeit der Berichterstattung
6.2.5. Vermittlung der Kriegsrealität durch eingebettete Journalisten
6.2.6. Friedensjournalistischer Beitrag der eingebetteten Journalisten
6.2.7. Zukunftspotential von embedded journalism
7. Diskussion der Ergebnisse
7.1. Erfolg von embedding aus Sicht von eingebetteten Journalisten
7.1.1. Informationsbeschaffung der embedded journalists
7.1.2. Freiheit der Berichterstattung der embedded journalists
7.1.3. Einhaltung journalistischer Standards
7.1.4. Friedensjournalistischer Beitrag der eingebetteten Journalisten
7.1.5. Zukunftspotential von embedded journalism
7.1.6. Erfolgsbewertung aus Sicht von embedded journalists
7.2. Erfolg von embedding aus Sicht von Rezipienten
7.2.1. Freiheit und Unabhängigkeit der Berichterstattung von embeds
7.2.2. Informationsgewinn und Glaubwürdigkeit der Berichterstattung
7.2.3. Vermittlung der Kriegsrealität durch eingebettete Journalisten
7.2.4. Friedensjournalistischer Beitrag der eingebetteten Journalisten
7.2.5. Zukunftspotential von embedded journalism
7.2.6. Erfolgsbewertung aus Sicht von Rezipienten
8. Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
Anhang I: Grundregeln für embedded journalists
Anhang II: Befragung von embedded journalists
A. E-Mail-Fragebogen in Deutsch
B. E-Mail-Fragebogen in Englisch
Anhang III: Online-Fragebogen zur Befragung von Rezipienten
Anhang IV: Auswertung der Rezipientenbefragung
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
1 Herkunft der Korrespondentenbeiträge im Irak-Krieg
2 Erwartungen britischer Fernsehzuschauer an die Inhalte der Fernsehberichterstattung
3 Bevorzugte Reporterformen britischer Fernsehzuschauer
4 Nutzungshäufigkeiten Fernsehen nach Gruppen von befragten Studierenden
5 Nutzungshäufigkeiten Printmedien nach Gruppen von befragten Studierenden
6 Nutzungshäufigkeiten Radio nach Gruppen von befragten Studierenden
7 Nutzungshäufigkeiten Gespräche mit Verwandten/Bekannten nach Gruppen von befragten Studierenden
8 Nutzungshäufigkeiten Internet nach Gruppen von befragten Studierenden
9 Geschätzter täglicher Zeitaufwand für die Fernsehberichterstattung über den Irak-Krieg 2003 nach Gruppen von befragten Studierenden
10 Nutzungshäufigkeit des Fernsehsenders ARD nach Gruppen von befragten Studierenden
11 Nutzungshäufigkeit des Fernsehsenders ZDF nach Gruppen von befragten Studierenden
12 Nutzungshäufigkeit des Fernsehsenders RTL nach Gruppen von befragten Studierenden
13 Nutzungshäufigkeit des Fernsehsenders SAT.1 nach Gruppen von befragten Studierenden
14 Nutzungshäufigkeit des Fernsehsenders BBCworld nach Gruppen von befragten Studierenden
15 Nutzungshäufigkeit des Fernsehsenders CNNinternational nach Gruppen von befragten Studierenden
16 Kenntnis des Konzepts embedded journalism nach Gruppen von befragten Studierenden
17 Verfolgung der Berichterstattung von embedded journalists nach Gruppen von befragten Studierenden
TABELLENVERZEICHNIS
1 Journalistische Rollen in der britischen Fernsehberichterstattung über den Irak-Krieg in Prozent
2 Journalistische Rollen in der deutschen Fernsehberichterstattung über den Irak-Krieg
3 Bewertung von embedded journalists durch amerikanische Fernsehzuschauer
4 Interesse an der Berichterstattung über den Irak-Krieg 2003 nach Gruppen von befragten Studierenden
5 Cronbachs alpha zur Reliabilitätsanalyse der Items 29, 30, 32
6 Reliabilitätsanalyse der Items 29, 30, 32
7 Binomialtest der zusammengefassten Items 29, 30, 32
8 Einfaktorielle ANOVA der Items 29, 30, 32
9 Cronbachs alpha zur Reliabilitätsanalyse der Items 39, 41, 43, 47
10 Reliabilitätsanalyse der Items 39, 41, 43, 47
11 Binomialtest der zusammengefassten Items 39, 41, 43, 47
12 Einfaktorielle ANOVA der Items 39, 41, 43, 47
13 Cronbachs alpha zur Reliabilitätsanalyse der Items 31, 42, 45, 46
14 Reliabilitätsanalyse der Items 31, 42, 45, 46
15 Binomialtest der zusammengefassten Items 31, 42, 45, 46
16 Einfaktorielle ANOVA der Items 31, 42, 45, 46
17 Häufigkeiten zum Chi-Quadrat-Einzeltest des Items 44
18 Chi-Quadrat des Items
19 Einfaktorielle ANOVA des Items 44
20 Häufigkeiten zum Chi-Quadrat-Einzeltest des Items 33
21 Chi-Quadrat des Items
22 Einfaktorielle ANOVA des Items 33
23 Häufigkeiten zum Chi-Quadrat-Einzeltest des Items 53
24 Chi-Quadrat des Items
25 Einfaktorielle ANOVA des Items 53.
1. EINLEITUNG
Am Abend des 20. März 2003, zur besten Sendezeit im US-Fernsehen, beginnt der lang angedrohte und umstrittene Feldzug der USA, Großbritanniens, Australiens sowie weiterer Länder der von US-Präsident Bush gegründeten „Koalition der Willigen“[1] gegen den Irak.
Panzer und Militärfahrzeuge rücken von Kuwait aus in den Irak vor - ihr Ziel: die Hauptstadt Bagdad - ihre Mission: der Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein, der verdächtigt wird, im Besitz von gefährlichen Massenvernichtungswaffen zu sein. Raketen werden abgeschossen, Bomben aus Kampfflugzeugen abgeworfen, irakische Panzer explodieren, irakische Soldaten schwenken die weiße Fahne und knien mit hinter dem Kopf verschränkten Armen vor den Koalitionssoldaten nieder. Der Fernsehzuschauer ist bei all diesen Ereignissen live dabei, mitten im Geschehen sozusagen. Krieg bestimmt den Fernsehalltag der nächsten sechs Wochen auf allen Kanälen. Fast alle großen Fernsehstationen rund um den Globus sind bei diesem Medienspektakel hautnah dabei - von CNN, Fox News, BBC, Sky News, RTL, SAT.1, n24, ARD und ZDF bis hin zu den arabischen Fernsehsendern Al Dschasira, Al Arabija, Abu Dhabi TV, die erstmals im Irak-Krieg 2003 eine ernstzunehmende Konkurrenz für die westlichen Medien darstellen und eine völlig verschiedene Sichtweise des Krieges präsentieren. Die Nachrichtenmedien berichten pausenlos. Soviel Informationen wie in diesem Krieg hatten die Zuschauer in keinem Krieg zuvor zu verarbeiten.
Möglich wurde diese Informationsflut vor allem durch den Strategiewechsel der US-Regierung in ihrem Umgang mit den Medien im Krieg. Waren die vergangenen zwanzig Jahre von einer tiefen Feindschaft zwischen Militär und Medien sowie einer Medienstrategie der Informationsverknappung und des Fernhaltens der Reporter vom Kampfgebiet gekennzeichnet, so verfolgte die US-Regierung im Irak-Krieg eine vollkommen entgegen gesetzte, aktive Medienstrategie des Informationsmanagements, die die Fernsehsender mit den so dringend benötigten Informationen und Bildern vom Schlachtfeld versorgen sollte. Wesentlicher Bestandteil dieser Strategie war das Konzept des embedded journalism, bei dem Reporter direkt mit den Soldaten im Kriegsgebiet unterwegs sind und von dort berichten. Das Konzept ist zwar nicht neu, wurde aber im Irak-Krieg 2003 erstmals organisiert und in größerem Umfang angewandt.
Nie zuvor waren Journalisten in einem Krieg mit ausdrücklicher Genehmigung des Militärs so nah am Geschehen und noch nie zuvor gab es so viele Berichte von der Front wie im Irak-Krieg. Dennoch wurde das Einbetten von Reportern in das Militär heftig diskutiert. Kritiker warnten, dass die eingebetteten Journalisten unter der Zensur des US-Militärs stehen und als Sprachrohr der US-Regierung fungieren würden. Ihre Berichte würden einer Sportberichterstattung ähneln, einseitige Perspektiven produzieren und den Krieg verherrlichen, lauteten die Vorwürfe. Befürworter des Konzepts priesen embedding als einzigartige Augenzeugenschaft für Kriegsereignisse, die den Zuschauern in Echtzeit faszinierende Bilder und Berichte von der Front sowie einmalige Einblicke in die Realität des Krieges bieten würde. Die Meinungen der Medienkritiker beiderseitig des Atlantiks waren äußerst divergierend.
Für das US-Militär hingegen war das Konzept des embedded journalism ein voller Erfolg. Das Militär hätte seine Verpflichtung, den Medien Zugang zum Kampfgebiet zu ermöglichen, erfüllt und zugleich militärische Informationen geheim halten können. Zudem seien die Falschinformationen und Propaganda des irakischen Regimes mithilfe von eingebetteten Journalisten aufgedeckt worden. Ansehen und Glaubwürdigkeit des US-Militärs in der Öffentlichkeit seien durch die meist positive Berichterstattung der embedded journalists gestiegen. (vgl. Paul/Kim 2004: 35-61) Die Pentagon-Sprecherin Victoria Clarke erklärte somit nach Ende der Hauptkampfhandlungen des Irak-Krieges, dass embedding ein großer Erfolg gewesen sei und auch in zukünftigen Konflikten als Medienstrategie eingesetzt werden solle.
Nun eröffnet sich die Frage, ob das Konzept des embedded journalism ausschließlich als Erfolg für das Militär angesehen werden kann oder ob embedding zugleich auch für den Journalismus sowie für die Rezipienten der Berichterstattung als erfolgreich einzustufen ist.
Ziel dieser Arbeit ist es demnach, die Ursprünge, Merkmale und Ziele sowie die Bedeutung der Medienstrategie des embedded journalism in der Irak-Kriegsberichterstattung zu analysieren und die Vor- und Nachteile, die sich aus diesem Konzept für die Kriegsberichterstattung ergeben, herauszuarbeiten. Am Schluss der Arbeit soll eine Einschätzung des Erfolgs oder Misserfolgs von embedding im Hinblick auf die Ansprüche von Journalisten und Rezipienten an eine Konfliktberichterstattung möglich sein.
1.1. Fragestellung
In der vorliegenden Arbeit soll folgende Fragestellung untersucht werden:
Kann das Konzept des embedded journalism aus Sicht von Journalisten und Rezipienten als Erfolg gewertet werden?
Da Erfolg eine schwer zu messende Variable ist, sollen im Folgenden Kriterien aufgestellt werden, anhand derer der Erfolg oder Misserfolg des Konzepts gemessen werden soll. Untergliedert wird die Hauptfrage dazu in zwei Teilfragen:
1. Beurteilen eingebettete Journalisten das Konzept des embedded journalism als erfolgreich für die Berichterstattung über Konflikte?
Die Beantwortung dieser Teilfrage sollen folgende Kriterien zur Beurteilung des Erfolgs aus Sicht der eingebetteten Reporter ermöglichen:
- Zugang der eingebetteten Journalisten zum Konfliktgebiet
- Sicherheit der eingebetteten Journalisten
- Informationsbeschaffung der embedded journalists
- Freiheit der Berichterstattung der embedded journalists
- Einhaltung journalistischer Standards
- Friedensjournalistischer Beitrag der eingebetteten Journalisten
- Zukunftspotential von embedded journalism
Die zweite Teilfrage bezieht sich auf die Sichtweise der Rezipienten der Fernsehberichterstattung über den Irak-Krieg 2003:
2. Beurteilen Rezipienten das Konzept des embedded journalism als Erfolg für die Berichterstattung über Konflikte?
Zur Beantwortung dieser Teilfrage sollen folgende Kriterien die Auffassung der Rezipienten zum Erfolg des embedded journalism widerspiegeln:
- Freiheit und Unabhängigkeit der Berichterstattung von embeds
- Informationsgewinn und Glaubwürdigkeit der Berichterstattung
- Vermittlung der Kriegsrealität durch eingebettete Journalisten
- Friedensjournalistischer Beitrag der eingebetteten Journalisten
- Zukunftspotential von embedded journalism
Die genannten Kriterien ergaben sich durch Überlegungen, welche Ansprüche Korrespondenten in Kriegsgebieten an ihre journalistische Arbeitsweise haben sowie welche Anforderungen Rezipienten vermutlich an eine Konfliktberichterstattung stellen würden.
1.2. Vorgehensweise
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in zwei Teile: einen theoretischen Teil und einen empirischen Teil. Im theoretischen Teil der Arbeit sollen zunächst Begrifflichkeiten erläutert werden, die im Zusammenhang mit Kriegsberichterstattung und Journalismus stehen und für das weitere Verständnis der Arbeit von Bedeutung sind.
Darauf folgt im dritten Kapitel ein historischer Abriss der wichtigsten Entwicklungen in der Kriegsberichterstattung von den Anfängen bis zum Irak-Krieg 2003. Dabei wird die Geschichte der Kriegsberichterstattung anhand der Konflikte und kriegerischen Auseinandersetzungen nachgezeichnet, die in Bezug auf Zugang zum Kampfgeschehen, militärische Restriktionen, Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien, Aktualität der Berichte sowie Folgen für die Beziehung zwischen Militär und Medien entscheidende Einschnitte und Veränderungen für den Kriegsjournalismus darstellen. Die Kenntnis dieser Wendepunkte in der Geschichte der Kriegsberichterstattung soll zum besseren Verständnis des Entstehungsprozesses des Konzepts embedded journalism als neue Entwicklungsstufe im Verhältnis Medien - Militär beitragen.
Im vierten Kapitel der Arbeit soll das Konzept des embedded journalism in seinen Grundzügen vorgestellt und analysiert werden. Ausgehend von einer Definition und Abgrenzung des Begriffs soll dabei auf Merkmale, Ursprung und Hintergründe, Ziele, Bedeutung der embedded journalists in der Irak-Berichterstattung, Rezeption der Berichterstattung von eingebetteten Reportern sowie auf Probleme und Nutzen des embedded journalism eingegangen werden. Den Abschluss dieses Kapitels und somit auch des theoretischen Teils der Arbeit bilden die Schlussfolgerungen für die empirischen Analysen.
Zur Beurteilung der aufgestellten Kriterien der beiden Teilfragen dieser Arbeit sollen zwei empirische Analysen durchgeführt werden. Die Befragung von eingebetteten Reportern über ihre Arbeitsbedingungen und Berichterstattung im Irak-Krieg 2003 soll dabei die Beantwortung der ersten Teilfrage ermöglichen. Zur Beantwortung der zweiten Teilfrage sollen Rezipienten, speziell Studierende der Medienwissenschaften und Journalistik zu ihren Einstellungen gegenüber dem Konzept embedded journalism befragt werden.
Die Vorgehensweise bei der Auswahl der Stichproben, Konstruktion der Fragebögen sowie bei den Datenerhebungen und Datenauswertungen dieser beiden Befragungen soll deshalb im Kapitel Methodik erläutert werden.
Daran anschließend sollen die Ergebnisse beider Befragungen präsentiert und diskutiert werden, um letztendlich die beiden Teilfragen beantworten zu können.
Im Fazit sollen die wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit zusammengefasst, die Hauptfragestellung der Arbeit beantwortet sowie ein Ausblick auf eine mögliche weiterführende Untersuchung zu diesem Thema gegeben werden.
2. TERMINOLOGIE
Im Folgenden sollen wichtige Begriffe im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Kriege definiert und näher erläutert werden.
2.1. Definition des Begriffs „Kriegsberichterstattung“
Unter Kriegsberichterstattung[2] versteht der Brockhaus „die Berichterstattung über kriegerische Ereignisse in Presse, Film, Hörfunk und Fernsehen“ (Brockhaus 1999). Dabei unterscheidet er zwischen amtlicher und nichtamtlicher Kriegsberichterstattung. Die amtliche Kriegsberichterstattung erfolgt durch die Bekanntgabe von offiziellen Informationen über das kriegerische Ereignis durch die militärische Führung und kann Teil der psychologischen Kriegführung sein. Beispiele für die amtliche Kriegsberichterstattung sind die täglichen Heeresberichte im ersten Weltkrieg und die militärischen Pressekonferenzen[3] in den modernen Kriegen.
Die nichtamtliche Kriegsberichterstattung hingegen hängt laut Brockhaus von der publizistischen Praxis, vom jeweiligen Medium und von den politischen und militärischen Umständen der Krieg führenden Länder ab. „Die publizistischen Freiheiten werden durch kriegsrechtliche Bestimmungen über die Bewegungsfreiheit der Kriegsberichterstatter und über die Zensur ihrer Arbeiten eingeschränkt.“ (Bockhaus 1999) Die nichtamtliche Kriegsberichterstattung obliegt demnach den Medien und kann als eine Sonderform des Journalismus betrachtet werden. Sie ist abzugrenzen von der psychologischen Kriegführung, die auch als Propaganda bezeichnet werden kann, und von Public Relations, der Öffentlichkeitsarbeit. Diese beiden publizistischen Formen zielen auf eine einseitige und systematische Beeinflussung der Einstellungen und Meinungen der Öffentlichkeit mit Hilfe der Massenmedien. Dabei versucht Propaganda, im Sinne von Kriegspropaganda, vor allem die Zivilbevölkerung der kriegsgegnerischen Seite sowie den Kriegsgegner selbst und seine Streitkräfte zu beeinflussen. Public Relations im Rahmen eines Krieges hingegen soll Sympathien, Verständnis und moralische Unterstützung der eigenen Bevölkerung für den Krieg gewinnen.
Nichtamtliche Kriegsberichterstattung meint die Vermittlung von Informationen über die kriegerische Auseinandersetzung an die Öffentlichkeit, wobei eine Beeinflussung der Öffentlichkeit durch die Kriegsberichterstatter[4] vermieden werden soll.
Laut Foggensteiner sind Kriegsberichterstatter „Journalisten, die die Öffentlichkeit aus Krisengebieten informieren“ (Foggensteiner 1993: 30). Der deutsche Rechtsanwalt Heinrich Robinson war der erste, der für sich in Anspruch nahm, Kriegsberichterstatter zu sein. Er reiste 1807 für die Londoner Times an die Elbe, um über Napoleons Sieg über die Russen bei Friedland zu schreiben, setzte aber für seinen Bericht keinen Fuß auf das Schlachtfeld. Aus diesem Grund spricht Foggensteiner William Howard Russell, der 1854 für die Londonder Times über den Krim-Krieg berichtete, zu, der erste Kriegsberichterstatter zu sein. In der Argumentation Foggensteiners ist ein wesentliches Merkmal eines Kriegsberichterstatters enthalten: nur Journalisten, die aus dem Kriegsgebiet berichten, sind Kriegsberichterstatter. Dabei unterscheidet Foggensteiner drei Gruppen von Kriegsberichterstattern: „so genannte Hotelberichterstatter, deren bevorzugter Aufenthaltsort – wie schon der Name sagt – ihr Hotel ist“ (Foggensteiner 1993: 51), „Journalisten und Fotografen, die bis an den Ort des Geschehens fahren, um ihre Reportagen im sicheren Abstand von der Front, aber doch in ihrer Nähe zu recherchieren“ (Foggensteiner 1993: 52) und als dritte Gruppe die Frontreporter, die in seinen Augen „todessüchtige Haudegen“ sind und „dort auf der Lauer liegen, wo gestorben wird – im Schützengraben an der Front“ (Foggensteiner 1993: 52). Die meisten Kriegsberichterstatter rechnet er der zweiten Gruppe zu. Sie sind „Reporter am Fensterbrett des Krieges“, die versuchen, menschliche Tragödien aufzuzeigen und dabei den Krieg nicht zur Sensation verkommen zu lassen.
Der Begriff des Kriegsberichterstatters in dieser Arbeit schließt sich der Sichtweise Foggensteiners an und identifiziert ebenfalls drei Gruppen von Kriegsberichterstattern: 1. Frontreporter, 2. Reporter in großen Städten des bekriegten Landes und 3. Reporter, die auf eigenes Risiko durch das bekriegte Land reisen und modern auch unilaterals[5] genannt werden.
Dementsprechend soll dieser Arbeit folgende Definition des Begriffs Kriegsberichterstatter zugrunde gelegt werden: Kriegsberichterstatter sind Journalisten, die sich für die Dauer eines Krieges und darüber hinaus im Krisengebiet aufhalten, um Informationen über Ereignisse des Krieges zu recherchieren, zu selektieren, zu analysieren und für die Verbreitung über die Massenmedien in Ton, Schrift oder Bild aufzubereiten.
Für den Begriff der Kriegsberichterstattung im Sinne dieser Arbeit soll folgende Definition gelten: „Kriegsberichterstattung bezeichnet ‘alle journalistischen Operationen und Konstruktionen, die Krieg und/oder kriegsbezogene Ereignisse thematisieren bzw. deren Thematisierung vorbereiten’.“ (Staiger 2003 zitiert nach Löffelholz 2004: 49). Dabei wird Kriegsberichterstattung nicht auf den zeitlichen Rahmen eines Krieges festgelegt, sondern auch die journalistische Kriegsthematisierung vor und nach einem Krieg soll in diese Definition eingeschlossen sein.
2.2. Relevanzkriterien der Kriegsberichterstattung
In der Literatur herrscht einstimmig die Meinung vor, dass Kriege ein Lieblingsthema der Medien sind und dass Kriege, über die nicht in den Medien berichtet wird, auch in der Wahrnehmung der Rezipienten nicht stattfinden.[6] Warum aber wird über den einen Krieg ausführlich in den Medien berichtet, während andere Kriege von den Medien überhaupt nicht wahrgenommen werden?
Zu beantworten ist diese Frage mit den Relevanzkriterien der Kriegsberichterstattung. Relevanzkriterien, auch Nachrichtenfaktoren genannt, bezeichnen die Gesichtspunkte, nach denen Journalisten auswählen, ob ein Ereignis oder Thema berichtenswert erscheint oder nicht. Nach Löffelholz wird die Selektion von Nachrichten von zwanzig Nachrichtenfaktoren beeinflusst.[7] Für die Entscheidung, über welchen Krieg berichtet wird, spielen vor allem folgende Faktoren eine Rolle: der Grad der Betroffenheit des eigenen Landes, die Beteiligung von Elite-Nationen, die Möglichkeit einer Anschlusskommunikation an berichtete Ereignisse im Inland, der Grad der Überraschung, der Grad der kulturellen, politischen und ökonomischen Distanz zu den sich bekriegenden Ländern, die Möglichkeit der Personalisierung des Krieges sowie, insbesondere beim Fernsehen, die Möglichkeit der ausreichenden Visualisierung des Krieges. Des Weiteren spielen die Zugangsmöglichkeit der Journalisten zum Kriegsgebiet sowie die Bereitschaft der Kriegsparteien zur Informationsvermittlung eine große Rolle bei der Selektion von Kriegen (vgl. Löffelholz 1993b: 19ff.).
Der Irak-Krieg 2003 war demnach ein Ereignis ersten Ranges für das Fernsehen. Es waren Elite-Nationen (vor allem die USA und Großbritannien) an dem Krieg beteiligt. Bereits im Vorfeld des Krieges wurde heftig darüber diskutiert, ob er geführt werden sollte oder nicht. In diesem Zusammenhang war auch Deutschland mit involviert, da es die Unterstützung der USA in ihrem Vorhaben, den Irak anzugreifen, abgelehnt hat. Der Krieg kam zwar somit für die deutschen Medien nicht mehr überraschend, bietet dafür aber bis zum heutigen Tage die Möglichkeit der Anschlusskommunikation. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht in den Nachrichten über Ereignisse im Irak berichtet wird. Hinzu kommt, dass bereits im Vorfeld des Krieges eine Personalisierung stattfand: George W. Bush gegen Saddam Hussein. Laut Bilke soll diese Personalisierung des Krieges die Identifikation der Rezipienten mit den Akteuren ermöglichen und zugleich die Einordnung struktureller Zusammenhänge verhindern (vgl. Bilke 2002: 59f.).
Der Zugang der Medien zum Kriegsgebiet war im Irak-Krieg 2003 im Vergleich zu anderen Kriegen ebenfalls ausgesprochen gut, da die US-Regierung den Medien die Möglichkeit des „Einbettens“ in die amerikanischen und britischen Truppen bot. Die Visualisierung des Krieges wurde durch die, im Vergleich zum Golfkrieg 1991, verbesserte Satellitenausrüstung der Kriegsberichterstatter und die damit verbundenen Live-Bilder von der Front auf ein Höchstmaß ausgedehnt.
Bilke fügt noch hinzu, dass auch der Grad der Emotionalität des Krieges und dabei vor allem die Emotionalität der Bilder ein weiterer Faktor für die Berichterstattung über Kriege darstellt. Ob ein Krieg als berichtenswert eingestuft wird oder nicht, hängt zudem von organisatorischen und technologischen Zwängen ab. Organisatorische Zwänge sind z. B. die Vorauswahl und Arbeitsteilung durch Agenturen und Redaktionen. Nur Nachrichten, die, zumindest im Vorfeld eines Krieges, von den Nachrichtenagenturen weitergegeben werden, können auch zu einem Thema in den Redaktionen werden. Dort wird dann im vermeintlichen Publikumsinteresse entschieden, ob über ein Ereignis berichtet wird oder nicht. Ein technischer Zwang kann z. B. die Möglichkeit der Fernsehübertragung aus dem bekriegten Gebiet sein (vgl. Bilke 2002: 59f.).
Je mehr Selektionskriterien ein Krieg erfüllt, desto höher sind seine Chancen, dass über ihn in den Medien berichtet wird. Das bedeutet aber auch, dass Kriege, die nicht unter die genannten Kriterien fallen oder nur sehr wenige davon erfüllen, wie z. B. jahrelange Bürgerkriege in Afrika, in der Medienberichterstattung und somit auch in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit vernachlässigt werden.
2.3. Qualität in der Kriegsberichterstattung
Um den nachfolgenden historischen Abriss der Kriegsberichterstattung verstehen zu können, ist es noch wichtig, zu klären, was im Allgemeinen unter Qualität in der Kriegsberichterstattung verstanden werden soll.
Der Begriff Qualität hat je nach Anwendungsgebiet vielfältige Bedeutungen und kann auch im Journalismus nicht klar umrissen werden. Qualität ist u. a. abhängig vom jeweiligen Medium, vom Selbstverständnis der Journalisten, von der Funktion des Journalismus, vom Publikum sowie vom Genre und von der Aktualität des Mediums (vgl. Gleich 2003: 139).
Mögliche Kriterien, an denen Qualität im Journalismus gemessen werden kann, sind laut Gleich die allgemeinen Professionalitätsstandards des Journalismus. Dazu gehören Aktualität, sowohl zeitliche als auch Problemaktualität, Komplexitätsreduktion (Faktentreue, Vereinfachung, Verständlichkeit), Originalität zum Leseanreiz, Transparenz, Reflexivität (Offenlegen der Berichterstattungsbedingungen, Quellenkritik) und Objektivität. Zur Objektivität zählt Gleich Kriterien wie die Beachtung der Nachrichtenfaktoren, die Trennung von Nachricht und Meinung, eine Vielfalt an Perspektiven sowie Fairness, Ausgewogenheit und die Vermittlung von Hintergrundinformationen (vgl. Gleich 2003: 139).
Die Initiative für Qualität im Journalismus des Deutschen Journalistenverbandes[8] hat ebenfalls einen Katalog mit Kriterien für die Beurteilung von Qualität im Journalismus aufgestellt. Hiernach sollen Journalisten bei ihrer Berichterstattung unter anderem die Menschenwürde achten, die Grundsätze der deutschen Pressekodizes einhalten sowie ihre journalistische Unabhängigkeit bewahren. Selbstkontrolle und kritische Reflexion sollen ebenfalls zur Qualität im Journalismus beitragen. Des Weiteren sollen Journalisten in ihrer Wahrnehmung und Wiedergabe von Informationen präzise sein und ihren Berichten eine fundierte Recherche zugrunde legen. Journalisten sind vorrangig der Öffentlichkeit verpflichtet. Sie haben die Aufgabe, zur demokratischen Meinungsbildung beizutragen und müssen somit ihr Auflagen- und Quotendenken dem öffentlichen Auftrag der Informationsvermittlung unterordnen. „Sachverhalte und Ereignisse sind nicht interessengebunden zu vermitteln, sondern distanziert, sachgerecht und umfassend, die Vielfalt der Meinungen berücksichtigend.“ (Dähn 2001)
Diese Qualitätskriterien sollen Journalisten bei ihrer Arbeit immer beachten. Doch gerade in Kriegszeiten werden an Journalisten noch höhere Anforderungen gestellt als dies in Friedenszeiten der Fall ist, da die mediale Vermittlung von Kriegen meist eine eigene Realität besitzt. „Jeder Kriegsberichterstatter ist auf Informationen angewiesen, weiß aber auch, dass jeder Informant ein Eigeninteresse hat und dass Informationen manipuliert und gefälscht werden.“ (Rettich 2004)
Deshalb muss jede Informationsquelle sorgfältig geprüft werden. Zudem wird der Objektivität der Kriegsberichterstatter eine hohe Bedeutung zugesprochen, da Objektivität ein maßgebliches Kriterium für die Glaubwürdigkeit der Kriegsberichterstattung beim Publikum darstellt. Deshalb soll im folgenden Abschnitt der Begriff der Objektivität näher beleuchtet werden.
2.4. Definition des Begriffs „Objektivität“
Der Begriff „Objektivität“ ist im Allgemeinen ein „erkenntnistheoretischer Begriff für die überindividuelle, unabhängig von einzelnen Subjekt bestehende Wahrheit eines bestehenden Gegenstandes oder Sachverhaltes“ (Brockhaus 1999). Objektivität der Berichterstattung ist ein zentrales Anliegen des Journalismus und in den gesetzlichen Bestimmungen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sowie im journalistischen Pressekodex fest verankert. In der Literatur wird dieser Begriff jedoch heftig diskutiert. Von La Roche verbindet mit Objektivität das richtige Beschreiben der Wirklichkeit[9]. Als Merkmale von objektiver Berichterstattung nennt er die Achtung vor der Wahrheit - d. h. also die Fakten (Namen, Alter, Zitate, usw.) müssen stimmen, Journalisten sollen bei der Beschaffung und Weitergabe von Fakten gewissenhaft und sorgfältig arbeiten – die Vollständigkeit der Informationen, das Vermeiden von Kommentaren und Wertungen sowie das Vermeiden von falschen Kopplungen mit anderen Tatsachen. Von La Roche unterscheidet zwei verschiedene Objektivitäten: die äußere und die innere Objektivität. Die äußere Objektivität ist durch die Befolgung der oben genannten journalistischen Normen gewährleistet, d.h. sie ist die Objektivität, die jeder Journalist leisten kann und muss. Die innere Objektivität hingegen ist die Beschreibung von Wirklichkeit unabhängig von einer bestimmten Weltanschauung. Sie ist demzufolge ein Ideal, das es zwar anzustreben gilt, das aber nie ganz erreicht werden kann, da jeder Journalist mit bestimmten kulturellen und gesellschaftlichen Werten aufgewachsen ist und diese verinnerlicht hat. Die Beschreibung der Wirklichkeit in seinen Berichten unterliegt somit immer subjektiven Einflüssen (vgl. La Roche 2003: 117-127).
Weischenberg stimmt in dieser Position mit von La Roche überein. Er ist der Ansicht, dass es bei dem Begriff „Objektivität“ im Journalismus „nicht in erster Linie um Wahrheitsfindung, sondern um die Anwendung bestimmter professioneller und institutioneller Routinen [geht], welche sich an Formalien, Organisationsstrukturen und Einstellungsmustern der Akteure orientieren“ (Weischenberg 2001: 22). Diese professionellen und institutionellen Routinen definiert er noch näher: objektive Berichterstattung bedeutet vor allem, „dass die Journalistinnen und Journalisten eine möglichst unparteiische Darstellung von den Ereignissen geben sollen. Eigene Wertungen sind unzulässig; die Präsentation soll faktenorientiert sein“ (Weischenberg 2001: 18).
Ähnlicher Meinung ist auch Hagen: er interpretiert Objektivität ebenfalls in dem Sinn, dass die Medien professionelle Regeln anwenden, „bei denen Konsens besteht, dass sie dem Ziel einer von möglichst vielen als wahr akzeptierbaren Berichterstattung dienen“ (Hagen 1995: 52). Dabei hat er fünf Objektivitätskriterien erstellt, die sich in der journalistischen Praxis als allgemein gültig erwiesen haben: Richtigkeit, Transparenz, Sachlichkeit, Ausgewogenheit und Vielfalt der Berichterstattung. Richtigkeit bedeutet hierbei Faktentreue, Wahrheit und Genauigkeit, d. h. also keine Verfälschung von Tatsachen. Transparenz soll die Angabe und Beurteilung von Informationsquellen der Journalisten beinhalten. Sachlichkeit bedeutet Neutralität und Unparteilichkeit der Berichterstattung sowie die Trennung von Nachricht und Meinung. Ausgewogenheit meint, dass dem Publikum gegenläufige Positionen nahe gebracht werden sollen. Vielfalt bezieht sich sowohl auf die Präsentation verschiedener Meinungen und Personen zu einem Thema als auch auf die Berichterstattung über vielfältige Themen.[10]
Marchal hingegen ist der Ansicht, dass es die Objektivität im Journalismus nicht gibt. Objektivität, und damit Wahrheit, hängen immer von der „intersubjektiven Vereinbarung über die Art der Wirklichkeitskonstruktion“ (Marchal 1995: 105-110) zwischen Journalist und Rezipient in der jeweiligen Gesellschaft ab. Das Problem dabei ist nur, dass die Rezipienten nichts von dieser intersubjektiven Vereinbarung wissen. Der durchschnittliche Rezipient, so argumentiert Marchal, liest und schaut in der Regel mit anderen Kriterien als den Objektivitätskriterien der Journalisten, nämlich gerade mit denen nach Wahrheit und Realitätsnähe. Gerade im Fernsehen wird bei den Zuschauern ein Gefühl von Augenzeugenschaft erzeugt und dass, was die Journalisten den Zuschauern an Fakten präsentieren zur unmittelbaren Realität für die Rezipienten. Dies ist jedoch für Marchal eine trügerische Augenzeugenschaft des Fernsehens, da die Rezipienten nichts über die Produktionsbedingungen der Bilder wissen. Deshalb plädiert er dafür, dass objektive Berichterstattung „in erster Linie die Vermittlung selbst objektivierbar macht“ (Marchal 1995: 108), d. h. die Wirklichkeitskonstruktion jeder Berichterstattung sollte sich selbst thematisieren. Dies ist gerade in der Kriegsberichterstattung wichtig, da dort „die Vermutung von so genannter ‘Wahrheit’ nach bestem Wissen und Gewissen in kritischem Maße auf vielfältige Weise beeinträchtigt wird und zwar von der Nachrichtenbeschaffung bis hin zur Schlussredaktion“ (Marchal 1995: 110). Die Kriegsberichterstatter sind demnach den Rezipienten Rechenschaft schuldig. Diese Rechenschaft soll laut Marchal nach der Maxime „veni“, „vidi“, „scripsi“ abgelegt werden, d. h. Journalisten im Kriegsgebiet sollen den Ort ihres Aufenthalts nennen und ihre persönlichen Einschränkungen vor Ort darstellen; sie sollen die Probleme der Informationsbeschaffung und ihrer Wahrnehmungsbeschränkung thematisieren und sie sollen „über die Hintergründe und Bedingtheiten der eigenen Wirklichkeitskonstruktion“ reflektieren (Marchal 1995: 110).
Ähnliche Probleme von Objektivität in Kriegsgebieten ergeben sich auch für Gleich. Krieg ist seiner Meinung nach immer von Propaganda und Kriegsberichterstattung immer von Zensur begleitet, so dass es Journalisten in Kriegen besonders schwer fällt, objektiv, im Sinne von unparteilich zu sein. „Die Logik des Krieges steht dem Objektivitätskriterium des Journalismus daher entgegen.“ (Gleich 2003: 146) Er erklärt diese Behauptung damit, dass es für Journalisten, nicht nur in Kriegszeiten, unmöglich ist, die Realität vollständig zu beobachten und zu beschreiben. Zum anderen wird die Aufmerksamkeit der Journalisten nur auf Nutzen bringende Aspekte der Realität gerichtet. Hinzu kommt, dass die meisten Journalisten in Kriegen eine bestimmte Sache vertreten, also parteiisch sind. Auch Kunczik ist der Ansicht, dass es keine objektive Berichterstattung in Kriegszeiten gibt, „weil die Beeinflussung von Nachrichten eine Notwendigkeit sei, wenn man einen Krieg gewinnen will“ (Kunczik 1995: 87-104). Deshalb sieht er objektive Kriegsberichterstattung auch nicht als Aufgabe der Journalisten an, sondern als Aufgabe der Aufarbeitung durch Historiker.
Der Objektivitätsbegriff in dieser Arbeit soll diese radikale Position Gleichs und Kuncziks nicht vertreten, sondern vielmehr soll davon ausgegangen werden, dass auch Kriegsberichterstatter bei ihrer Informationsbeschaffung und Informationsvermittlung die anerkannten Objektivitätskriterien zu beachten haben.
Unter Objektivität soll in dieser Arbeit in Anlehnung an Weischenberg und Hagen deshalb die Verpflichtung zu einer möglichst unverzerrten und unparteiischen Darstellung der Wirklichkeit unter Beachtung der journalistischen Kriterien Richtigkeit, Sachlichkeit, Ausgewogenheit, Vielfalt und Transparenz bei der Informationsbeschaffung und der Präsentation der Informationen verstanden werden. Der Kriegsberichterstatter wird als Vermittler zwischen den Geschehnissen im Kriegsgebiet und den Rezipienten angesehen, dessen Aufgabe es ist, die Rezipienten mit wahrheitsgetreuen Informationen zu versorgen, mit denen sie sich selbständig eine Meinung über die Ereignisse bilden können.
2.5. Definition des Begriffs „Zensur“
Der Begriff „Zensur“[11] wurde im vorherigen Abschnitt bereits erwähnt und soll an dieser Stelle im Kontext der Kriegsberichterstattung definiert werden.
Foggensteiner liefert hierbei die grundlegende Definition für diese Arbeit: „Zensur – oder auch ‘Sicherheitsüberprüfung’, wie Militärs dazu sagen – ist die staatliche oder militärische Überwachung, Überprüfung und Unterdrückung oder Einschränkung von Veröffentlichungen in Zeitungen, im Rundfunk und Fernsehen mit dem Ziel, unerwünschte Äußerungen oder Darstellungen zu verhindern, um die Meinung der Nachrichtenkonsumenten in einseitiger Weise zu beeinflussen. Das Recht der Öffentlichkeit auf Information wird dann durch die Regierungsverantwortung eingeschränkt.“ (Foggensteiner 1993: 73) Zensur hat es, bis auf wenige Ausnahmen, in der Kriegsberichterstattung immer gegeben und wird es auch weiterhin geben. Gründe für die Einführung einer Zensur in Kriegen liegen zum einen in sicherheitspolitischen Bedenken, wie der Angst vor Spionage des Gegners, die durch Kriegsberichterstattung ohne Zensur erleichtert wird, und der Notwendigkeit, militärische Strategien wie Truppenstärke, -konzentration und -bewegung vor dem Feind geheim zu halten. Zum anderen spielen auch propagandistische Gründe eine Rolle. Zensur kann zum Beispiel zur Täuschung des Gegners beitragen, die Moral in der eigenen Truppe und in der eigenen Bevölkerung aufrechterhalten sowie das Ansehen des Militärs in der Öffentlichkeit stärken. So wurde den US-Medien im Vietnam-Krieg von der US-Regierung vorgeworfen, durch ihre Kriegsberichterstattung die Unterstützung der eigenen Bevölkerung für den Krieg unterlaufen und somit zur Niederlage der US-Truppen in Vietnam beigetragen zu haben. In diesem Krieg hatte die US-Regierung von der Einführung einer Zensur weitestgehend abgesehen.
Weischenberg spricht in diesem Zusammenhang von negativer und positiver Zensur (vgl. Weischenberg 1993: 70). Negative oder auch direkte Zensur ist gleichzusetzen mit Nachrichtenunterdrückung, d. h. Zensur beschränkt sich in diesem Zusammenhang auf das Zurückhalten von Bild-, Ton- oder Textmaterial. Beispiele für eine solche Form der Zensur in der Kriegsberichterstattung sind das Verhängen von Nachrichtensperren, die Kontrolle von geplanten Veröffentlichungen durch Militärs sowie die Behinderung von Journalisten bei ihrer Arbeit im Kriegsgebiet.
Positive oder auch indirekte Zensur meint Nachrichtenlenkung, d. h. es werden vermeintliche Nachrichten, die sich später als falsch herausstellen, von Regierungen oder PR-Agenturen, die von Regierungen beauftragt wurden, in Umlauf gebracht. Die indirekte Zensur versucht, durch die Vermittlung oder Herausgabe von Informationsmaterial die Art und Weise der Kriegsberichterstattung zu beeinflussen. Beispiele für indirekte Zensur sind vorformulierte Presseinformationen oder vorgefertigte Bildmaterialien, die zum Abdruck herausgegeben werden und dann, mangels Informationen aus dem Kriegsgebiet, von den Medien unkritisch übernommen werden. Die Form der indirekten Zensur wird heutzutage in Kriegen häufiger angewandt als die der direkten Zensur (vgl. Weischenberg 1993: 70).
Als weitere Form der Zensur von Informationen kann man die Selbstzensur der Journalisten definieren, die auch als „Schere im Kopf“ bezeichnet wird. Damit ist gemeint, dass Journalisten die Informationen, die sie recherchiert haben, bewusst oder unbewusst auf eventuelle Folgen der Berichterstattung prüfen, um einer Ausweisung aus dem Kriegsgebiet oder sogar einem Verlust des Arbeitsplatzes vorzubeugen. Kriegsberichterstatter neigen dazu, mit der Medienmeinung im eigenen Land auf Linie zu bleiben. Zudem fällt der Selbstzensur „alles zum Opfer, was in den Augen der Journalisten lediglich dazu angetan ist, den Voyeurismus abartiger Konsumenten zu befriedigen“ (Foggensteiner 1993: 78). So bleibt beim Erscheinen oder Senden des Berichts nur noch ein kleiner Teil der Informationen übrig, die der Kriegsberichterstatter ursprünglich recherchiert hatte.
3. HISTORIOGRAPHIE DER KRIEGSBERICHTERSTATTUNG
„Die Geschichte der Kriegsberichterstattung ist eine Wechselwirkung aus Nachrichtentechnologie und Zensur“ schreibt Foggensteiner. „Immer schon hing es davon ab, wie lange eine Nachricht vom Ereignis bis zu den Lesern brauchte, und wie viel Information von den Militärs freigegeben wurde.“ (Foggensteiner 1993: 31). Sowohl die Entwicklung der Technik der Nachrichtenübertragung und später der Bildübertragung als auch die verschiedenen Zensurmaßnahmen von Militär und Politik markieren entscheidende Zäsuren in der Kriegsberichterstattung. Im Folgenden soll deshalb die Geschichte der Kriegsberichterstattung anhand ausgewählter Kriege, die für Veränderungen in der Art der medialen Vermittlung von Kriegen und im Bereich der Zensur sorgten, nachgezeichnet werden.
3.1. Anfänge der Kriegsberichterstattung
Berichte aus Kriegen existieren seit die Menschen Kriege führen. In der Antike berichteten meist Feldherrn, heimkehrende Soldaten und Chronisten über ihre Erlebnisse aus den Kriegen. So gilt Alexander der Große als Schöpfer der ersten Kriegsberichterstattereinheit. Er führte bei seinen Feldzügen Schreiber mit, die über seine Kriegserfolge berichteten und die Berichte nach Makedonien an den Hof überbrachten, um sie dort zu vervielfältigen und in der Bevölkerung zu verbreiten. Sein Ruf als erfolgreicher Feldherr eilte ihm daher voraus und brachte ihm großen Zulauf von kampfbereiten Männern zu seiner Armee (vgl. Kunczik 1995: 87-103; Dominikowski 1993: 33-37). Weitere Beispiele für Berichte über Kriege in der Antike liefern die Historiker Herodot, Thukydides und Xenophon. Herodot berichtete in seinem Geschichtswerk Historien über die Perserkriege zu Beginn des 5. Jahrhunderts v. Chr. und Thukydides, der als der bedeutendste Geschichtsschreiber der Antike gilt, gelangte durch sein Werk Der Peloponnesische Krieg zu großer Berühmtheit (vgl. Wikipedia 2004a). Der Athener Xenophon begleitete als Offizier den Zug der Zehntausend im Kampf gegen den persischen König Artaxerxes II. und schrieb in seinem Werk Anabasis seine Kriegserlebnisse nieder (vgl. Foggensteiner 1993: 29-45). Im Gegensatz zu den meist künstlerischen und rhetorischen Epen der Geschichtsschreiber verfasste Julius Cäsar sein Werk Commentarii belli Galici über seinen Feldzug gegen Gallien sehr tatsachenorientiert, so dass man der Schrift nicht nur historische, sondern auch genaue geografische Fakten entnehmen kann. Cäsar verfasste das Werk jedoch mit dem Ziel, seinen Feldzug zu rechtfertigen und sich als ruhmreicher Feldherr für den weiteren Aufstieg in der römischen Politik zu qualifizieren (vgl. Wikipedia 2004b).
Die Kriegsberichte in der Antike entsprachen jedoch nicht immer der Wahrheit, so dass die Beeinflussung der öffentlichen Meinung und die Desinformation des Gegners schon damals primäre Ziele der Berichterstattung über Kriege waren.
Mit der Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg im Jahre 1445 und der Entstehung von periodischen Zeitungen[12] während des Dreißigjährigen Krieges nahm die Berichterstattung über Kriege völlig neue Dimensionen an. Zum einen erhöhte sich die Nachfrage der Bevölkerung nach Nachrichten aus dem Krieg mit dem steigenden Medienangebot drastisch und vor allem dann, wenn sich die Menschen durch einen Krieg im eigenen Lande oder in einem Nachbarland bedroht sahen (vgl. Wilke 1995: 21-35). Zum anderen erkannte auch die Politik den Einfluss der entstehenden Medien auf die öffentliche Meinung und deren Bedeutung für die Kriegführung und den Kriegsausgang. Aus diesem Grund führte Napoleon Bonaparte für die Berichterstattung über seine Feldzüge nach Italien (1796/97) und Ägypten (1798/99) Armeezeitungen[13] ein und beschäftigte Schreiber, um über seine Siege zu berichten. Er gab persönliche Anweisungen, wie und worüber in den Zeitungen berichtet werden sollte. Im Mittelpunkt der Berichte standen sein eigenes Feldherrengenie und seine militärischen Erfolge. Er versuchte, mit der Berichterstattung nicht nur seine eigene Bevölkerung, sondern auch die Zivilbevölkerung seiner Gegner zu beeinflussen. Die Armeezeitungen verbreiteten noch während seiner Niederlage im Russlandfeldzug 1812/13 die Siegespropaganda der napoleonischen Truppen, so dass die Zeitungen in der Bevölkerung unglaubwürdig wurden.
In dieser Zeit kristallisierte sich auch bereits ein Problem heraus, dass bis zum heutigen Tage die Kriegsberichterstattung prägt: die problematische Beziehung zwischen Medien und Militär in Kriegszeiten. Der bedeutendste britische Heerführer der napoleonischen Zeit und spätere Premierminister Großbritanniens, der Herzog von Wellington, „schrieb in einem Brief vom 21. Dezember 1809, die Zeitungen würden so detailliert über den Krieg berichten, dass der Gegner exakte Informationen über die Zahl der Regimenter, deren Stellung, Bewaffnung und Kampfmoral bekommen würde“ (Kunczik 1995: 90). Wie noch zu zeigen sein wird, ist dieses Argument der Hauptgrund für die Einführung einer Zensur in Kriegszeiten geworden.
3.2. Der Krim-Krieg – der „erste Pressekrieg“
Eine erste Zäsur, nicht nur in der Geschichte der Kriegsberichterstattung, sondern auch für die Kriegführung, stellt der Krim-Krieg dar. Es gab zwei wesentliche technische Neuerungen: den Einsatz der Eisenbahn, um Soldaten und Material schneller zu transportieren, und die Fotografie, die es ermöglichte, Personen und Gegenstände so abzubilden, wie sie in der Realität erschienen.
Die Kriegserklärung Großbritanniens an Russland im März 1854 wurde von den Briten euphorisch aufgenommen. Zum einen hatte Großbritannien seit der gewonnenen Schlacht von Waterloo gegen Napoleon im Jahre 1813 keinen Krieg mehr geführt. Zum anderen galt die britische Armee immer noch als die mächtigste Armee der Welt. Diese Tatsachen führten dazu, dass die britische Bevölkerung hungrig nach Informationen aus dem Krim-Krieg war. Die Londoner Zeitung Times, damals die auflagenstärkste und einflussreichste Zeitung in Großbritannien[14], beauftragte zunächst, wie damals immer noch üblich, einen jungen Offizier mit der Berichterstattung über den Krieg. Die Times merkte aber schnell, dass diese traditionelle Methode der Berichterstattung den gewachsenen Ansprüchen ihrer Leserschaft nicht mehr entsprach. Die Nachrichten von der Front drangen nicht schnell genug nach London durch und waren zudem nur sehr ausschnitthaft und einseitig. Die Hauptaufgabe des Offiziers war ja in erster Linie zu kämpfen und nicht zu schreiben (vgl. Beham 1996: 11-24). Um dem Verlangen der Bevölkerung nach Neuigkeiten aus dem Krieg dennoch gerecht zu werden, entschied der Chefredakteur der Times, John Delane, seinen bisherigen Parlamentsreporter William Howard Russell auf die Krim zu schicken, um aus dem Krieg zu berichten. Russell war von diesem Gedanken zunächst nicht begeistert, da er eine Familie zu versorgen hatte, doch erschien ihm diese journalistische Herausforderung so verlockend, dass er den Auftrag annahm. Damit war eine vom Militär weitgehend unabhängige Kriegsberichterstattung[15] geboren. Russell wurde zunächst nach Malta geschickt. Von dort aus segelte er mit den britischen Truppen nach Gallipoli und später weiter auf die Krim. In seinen Depeschen an seinen Redakteur Delane berichtete Russell bald von dem desolaten Zustand der britischen Armee. Sie seien schlecht ausgerüstet und vorbereitet, unorganisiert und unter der Würde Großbritanniens (vgl. Knightley 2004a: 1-17). Delane veröffentlichte die Berichte zunächst nicht, da er befürchtete, dass die Times in der Öffentlichkeit unpatriotisch wirken würde. Er zeigte sie aber den Mitgliedern im britischen Kabinett. Die Zeitung London Daily News hatte indessen ebenfalls einen Korrespondenten namens Edwin Lawrence Godkin auf die Krim geschickt und veröffentlichte die Berichte über die Missstände in der britischen Armee. Die Times sah sich nun gezwungen, die kritischen Berichte Russells doch zu veröffentlichen, um konkurrenzfähig zu bleiben. Delane entschärfte die Berichte allerdings, in dem er sie nur in Verbindung mit einem politischen Kommentar veröffentlichte (vgl. Beham 1996: 11-24). Trotz dieser Entschärfung war die britische Öffentlichkeit aufgebracht über den Zustand ihrer Armee, was dazu führte, dass das Militär alles daran setzte, die Kriegsberichterstatter von der Front fern zu halten und Russell jegliche Unterstützung seitens des Militärs versagt wurde. Obwohl er nun auf sich allein gestellt war und keinen Zugang zum Schlachtfeld hatte, ließ er sich nicht entmutigen und suchte nach einem Weg, trotzdem Informationen von der Front zu bekommen. Er beschloss, jeden Soldaten und Offizier, der von der Schlacht zurückkehrte, zu den Ereignissen zu befragen. Jedoch musste er bald feststellen, dass sich die Berichte der Augenzeugen teilweise widersprachen, was ihn die Frage stellen ließ, ob er überhaupt über Ereignisse berichten könne, die er selbst nie gesehen hatte.[16] Russell hatte sich selbst zum Ziel gesetzt, objektiv über die Geschehnisse zu berichten. Im Oktober 1854 berichtete er von einer Schlacht, die die Briten verloren hatten und in der 500 von ursprünglich 700 Soldaten innerhalb von weniger als zwanzig Minuten ums Leben kamen. Des Weiteren kritisierte er die Kompetenz des alternden Hauptkommandeurs Lord Raglan, der noch nie eine so große Armee angeführt hatte und berichtete abermals über die schlechten hygienischen Zustände und die katastrophale medizinische Versorgung der Soldaten[17]. Die Veröffentlichung dieser Berichte setzte die britische Regierung unter Druck, so dass sie ein Korps von Krankenschwestern auf die Krim sandte (vgl. Knightley 2004a: 1-17). Im Januar 1855 dankte die Regierung Aberdeen schließlich ab.
Raglan hingegen beklagte sich beim britischen Justizminister darüber, dass Russell in seinen Berichten Details wie Truppenstärke, -position und verfügbare Mengen an Schießpulver bekannt geben würde und damit dem russischen Zaren Nikolaus nützen und die Sicherheit der britischen Truppen gefährden würde. Tatsächlich dauerte die Übermittlung von Russells Depeschen nach London drei Wochen, da sie noch per Postkutsche, Eisenbahn und Schiff transportiert werden mussten[18]. Als der russische Befehlshaber in Sewastopol nach dem Krieg befragt wurde, ob ihm die Berichte der Times genutzt hätten, erwiderte dieser, dass er aus der Times nichts erfahren hätte, was er nicht sowieso schon wusste (vgl. Knightley 2004a: 1-17).
Um das Vertrauen der Bevölkerung zurück zu gewinnen, entsandte der britische Prinz Albert den Maler Roger Fenton auf die Krim. Er sollte das neue Medium Fotografie[19] einsetzen, um das Bild der britischen Armee in der Öffentlichkeit zu verbessern. Fenton hatte die Anweisung, saubere Fotos vom Krieg zu liefern und die Öffentlichkeit damit zu beruhigen. Diesen Auftrag erfüllte er vortrefflich, denn er fotografierte nur fröhliche Soldaten und gut aussehende Offiziere beim Essen, Trinken und Rauchen sowie eroberte Festungen, nachdem die Leichen beseitigt worden waren. Zudem konnte Fenton zu diesem Zeitpunkt nur Fotos von unbewegten Personen und Gegenständen aufnehmen, da die Belichtungszeit des Filmmaterials noch zu lang war. Fentons 350 Fotografien konnten zwar noch nicht in Zeitungen abgedruckt werden, da dies erst ab dem Jahr 1880 mit der Erfindung der Autotypie möglich wurde. Die Fotos wurden aber in Ausstellungen propagandistisch eingesetzt. Sie vermittelten ein wenig authentisches Bild vom Krieg auf der Krim, da sie keine Schlachtszenen zeigten (vgl. Dominikowski 1993: 37-39).
Als weitere Maßnahme, um kritische Kriegsberichte wie die von Russell in Zukunft zu verhindern, wurde im Februar 1856, kurz vor Ende des Krieges, von der neuen britischen Regierung ein Präzedenzfall für alle folgenden Kriege geschaffen: die Militärzensur wurde erstmals eingeführt. Sie verbot die Bekanntgabe von kriegswichtigen Details, die dem Feind nützlich sein könnten und erlaubte es dem Militär, Korrespondenten, die gegen die Zensur verstießen, des Schlachtfeldes zu verweisen und sie nach Hause zurück zu schicken.
Als Großbritannien und Russland Ende März 1856 Frieden schlossen, hatten Regierung, Militär und Medien erkannt, dass sie aufeinander angewiesen sind: die Medien wollen möglichst objektiv berichten und brauchen zuverlässige Kriegsnachrichten, um dem Informationsanspruch ihrer Leser gerecht zu werden, während Militär und Regierung eine „gute“ Presse benötigen, um die Unterstützung der Öffentlichkeit für ihre Kriegsstrategie zu gewährleisten und deshalb auch nicht vor einer Manipulation der Medien zurückschrecken. Diese komplizierte Beziehung zwischen Militär und Medien offenbarte die wesentlichen Triebkräfte der Kriegsberichterstattung: die macht-politischen Interessen von Regierung und Militär, die Partizipationsinteressen der Bevölkerung und das Profitinteresse der Medien (vgl. Dominikowski 1993: 37-39). Schließlich hatten die Zeitungsverleger erkannt, dass sich in Kriegszeiten die Auflagen ihrer Zeitungen[20] und somit ihr Gewinn enorm steigern ließen, was bereits im nächsten bedeutenden Krieg, dem amerikanischen Sezessionskrieg, zum Konkurrenzkampf unter den Zeitungen führen sollte.
3.3. Der amerikanische Sezessionskrieg
Im amerikanischen Sezessionskrieg, der von 1861 bis 1865 zwischen den Nord- und den Südstaaten der USA tobte, erfuhren die Medien zum ersten Mal das volle Ausmaß der Manipulation durch Regierungen und Militär. Diese hatten den Nutzen der Medien für ihre Interessen und kriegspolitischen Ziele inzwischen erkannt und wussten, wie sie die Zeitungen für ihre Zwecke einspannen konnten.
Noch nie zuvor hatten so viele Kriegsreporter von einem Krieg berichtet wie im Sezessionskrieg. Für die Nordstaaten berichteten 500 Kriegsreporter, wovon der New York Herald schon allein 63 Reporter auf dem Schlachtfeld beschäftigte. Dennoch war die Qualität der Kriegsberichterstattung noch nie so schlecht wie in diesem Krieg (vgl. Knightley 2004a: 19-41). Ein Grund dafür war sicherlich der Einsatz einer technischen Neuerung, die bereits 1837 von dem Amerikaner Samuel Morse erfunden worden war: des Telegrafen. Der Telegraf wurde zwar erstmals bereits im Krim-Krieg eingesetzt, um Kriegsnachrichten schneller zu übermitteln. Jedoch war Europa zu diesem Zeitpunkt noch nicht so gut mit Telegrafenleitungen ausgestattet wie Amerika zu Beginn des Sezessionskrieges[21]. Die amerikanischen Zeitungen hatten schnell das Potential des Telegrafen erkannt. Bisher konnten Nachrichten nur so schnell transportiert werden, wie ein Mensch sich fortbewegen konnte, also, um es mit Postmans Worten zu formulieren, „so schnell, wie ein Eisenbahnzug fahren konnte, nämlich, um es noch genauer zu sagen, etwa 55 Kilometer in der Stunde“ (Postman 1988: 83), so dass es meist mehrere Tage oder sogar Wochen dauerte, bis die Informationen in den Zeitungen erschienen. Der Telegraf jedoch verlieh dem Begriff Aktualität eine vollkommen neue Dimension. Die Bevölkerung konnte bereits am nächsten Tag in den Zeitungen lesen, was sich am Tag zuvor ereignet hatte. Dies führte aber zu einer Reihe neuer Probleme. Nicht nur die Schnelligkeit, sondern auch die Menge der Nachrichten nahm enorm zu und der Wert einer Information maß sich nun nicht mehr an ihrer Funktion für soziales und politisches Handeln, wie dies in Amerika bis dahin üblich war[22], sondern nur an ihrer Neuheit, Interessantheit und Sensationalität. Information wurde zu einer Ware, die man kaufen und verkaufen konnte. Die Folge war ein starker Konkurrenzkampf der Zeitungen untereinander, die erkannt hatten, dass sich mit schnellen Informationen die Auflagen enorm steigern ließen[23]. Der Erfolg einer Zeitung hing „nicht mehr von der Qualität und Nützlichkeit der Meldungen ab, die sie lieferten, sondern davon, wie viele Informationen sie aus welchen Entfernungen in welchem Tempo herbeischaffen konnten“ (Postman 1988: 87). Dies begünstigte die Entstehung einer neuen Art von Presse: der Boulevardpresse oder auch „Yellow Press“, deren Ziel es war und noch heute ist, ihren Lesern möglichst schnell und noch vor der Konkurrenz die neuesten und exklusivsten Meldungen zu liefern. Dieser Aktualitätsdruck führte dazu, dass die Kriegsberichterstatter nicht in erster Linie an Wahrheit, sondern an Informationen interessiert waren. Sie wurden von ihren Redaktionen so unter Druck gesetzt, dass sie auch über Gerüchte berichteten, um überhaupt etwas berichten zu können (vgl. Beham 1996: 11-24). Viele Reporter wurden zudem nur auf das Schlachtfeld geschickt, weil sie in der Lage waren, einen Telegrafen zu bedienen. Ihr Handwerk im Journalismus jedoch beherrschten sie nicht (vgl. Beham 1996: 11-24). Da die meisten Kriegsreporter jung, unerfahren und unterbezahlt waren und zudem schnell zu Ruhm und Ehre gelangen wollten, ließen sie sich auf Geschäfte mit Offizieren ein oder verbündeten sich mit Politikern der Nordstaaten, so dass eine parteiische Berichterstattung in den Tageszeitungen begünstigt wurde (vgl. Knightley 2004a: 19-41). Nur einige wenige Kriegsberichterstatter berichteten von der sinnlosen und blutigen Seite des Krieges. Im ersten Kriegsjahr konnten solche kritischen Berichte in den Zeitungen der Nordstaaten auch noch veröffentlicht werden, da die zu Beginn des Krieges eingeführte Zensur bei einer so großen Anzahl an Reportern nicht effektiv genug kontrolliert werden konnte. Im Jahre 1862 versuchte der Kriegsminister der Nordstaaten, Edwin M. Stanton, die Zensur zu verschärfen, in dem er Redakteure und Journalisten verhaften ließ, die die Interessen der Nordstaaten in ihren Zeitungen nicht unterstützten. Er ging sogar soweit, dass er einen Reporter erschießen ließ, nur weil dieser seinen Bericht nicht zensieren lassen wollte. Da ihm die strikte Zensur der Presse jedoch noch nicht weit genug ging, gab Stanton ab 1864 ein tägliches Kriegsbulletin[24] heraus, welches der Presse zugespielt wurde, um eine einseitige Berichterstattung im Sinne der Nordstaaten zu garantieren.
Während die Presse der Nordstaaten zwar kommerzialisiert war, jedoch noch relativ vielfältig über den Sezessionskrieg berichtete, verfiel die Presse der Südstaaten in eine einseitige Propaganda. Die Kriegsberichterstattung der Südstaatenpresse war stets optimistisch, auch wenn die Truppen der Nordstaaten bereits vor der Haustür standen. Es wurden Opferzahlen und Kriegsverläufe zugunsten der Südstaatenarmee manipuliert und über Eroberungen von Städten im Norden der USA berichtet, die während des gesamten Krieges nicht angegriffen worden waren. Die Kriegsberichterstatter blieben in ihren Berichten immer auf der Propagandalinie der konföderierten Regierung Thomas Jeffersons (vgl. Knightley 2004a: 19-41, Beham 1996: 11-24). Die Ursachen für diese einseitige Berichterstattung, die sich auch im Umfang nicht mit dem Norden messen konnte, liegen zum einen darin, dass die Presse der Südstaaten ca. um 30 Jahre zurückgeblieben war. Es gab fast nur wöchentlich erscheinende Zeitungen, lediglich eine täglich erscheinende Zeitung, die New Orleans Picayune, die aber nur eine geringe Auflage von 6000 Stück pro Tag hatte. Die Korrespondenten, die für die Zeitungen arbeiteten, waren keine ausgebildeten Journalisten, sondern dienten meist den Offizieren der Armee und berichteten in ähnlicher Weise wie zu Beginn des Krim-Krieges. Aufgrund des mangelnden Personals war die Südstaatenpresse abhängig von Nachrichtenagenturen[25], die jedoch noch in den Kinderschuhen steckten (vgl. Knightley 2004a: 19-41). Zum anderen wurden Patriotismus und Loyalität gegenüber der eigenen Seite von den Reportern meist höher bewertet als die Einhaltung journalistischer Standards wie Trennung von Nachricht und Meinung und neutrale Berichterstattung (vgl. Dominikowski 1993: 39).
Obwohl die Berichterstattung über den Sezessionskrieg in den Südstaaten ideologisiert und in den Nordstaaten von den Profitinteressen der Zeitungsverleger und vom Heldentum der Kriegsberichterstatter beherrscht war, war diese Art der Berichterstattung allemal besser als das korrupte und verzerrte Bild des Krieges, das von der britischen Presse und insbesondere von der Times vermittelt wurde. Die britische Presse ließ sich nicht nur von den Propagandakampagnen der Nord- und Südstaatenregierungen beeinflussen[26], sondern war auch selbst noch parteiisch. Großbritannien sympathisierte mit dem amerikanischen Süden, da 75 Prozent der britischen Textilindustrie und ein Fünftel der britischen Bevölkerung direkt oder indirekt von den Baumwollplantagen der Südstaaten abhängig waren. Diese Tatsachen spiegelten sich auch in der Kriegsberichterstattung der bedeutendsten Tageszeitung, der Times wider. Die Times sandte ihren berühmten Kriegsreporter William Howard Russell, dessen Ansehen seit dem Krim-Krieg enorm gestiegen war, in die amerikanischen Nordstaaten. Russell, der persönlich mit den Nordstaaten sympathisierte, da er für die Abschaffung der Sklaverei war, tat, was er immer tat: er berichtete äußerst objektiv über das, was er sah und kritisierte sowohl die Nord- als auch die Südstaaten. Dies gefiel weder den beiden Kriegsparteien, noch seiner Heimatredaktion, so dass er an Ansehen verlor und von der Times so stark unter Druck gesetzt wurde, dass er schließlich Anfang des Jahres 1862 zurück nach London fuhr. Sein Nachfolger wurde Charles Mackay, der zugunsten der Südstaaten und somit ganz im Sinne der Times berichtete. Als jedoch der Präsident der Nordstaaten, Abraham Lincoln, die Proklamation der Sklavenbefreiung ausrief, die am 1. Januar 1863 in Kraft trat, und sich abzeichnete, dass die Südstaaten den Krieg verlieren würden, änderte die Times ihre politische Strategie und unterstützte von nun an die Nordstaaten. Mackay verlor seinen Job mit der Begründung, dass er ein einseitiges und verzerrtes Bild von den Absichten der Südstaaten gegeben hätte. Die scheinbare Neutralität der britischen Presse hatte zum Ende des Krieges drei wesentliche Ergebnisse zur Folge. Zum einen bekam die britische Bevölkerung einen vorurteilsbehafteten und falschen Eindruck des amerikanischen Sezessionskrieges. Zum anderen war das Verhältnis zwischen den USA und Großbritannien von einem lang anhaltenden gegenseitigen Misstrauen geprägt (vgl. Knightley 2004a: 19-41). Drittens hatte sich die Kriegsberichterstattung endgültig als eigenständige Form des Journalismus etabliert, so dass sie bereit war, in ihr „Goldenes Zeitalter“ einzutreten.
3.4. Das „Goldene Zeitalter“ der Kriegsberichterstattung
Die Zeit vom Ende des amerikanischen Sezessionskrieges 1865 bis zum Beginn des ersten Weltkrieges 1914 wird als das „Goldene Zeitalter“[27] der Kriegsberichterstattung bezeichnet. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war reich an militärischen Auseinandersetzungen, vor allem in den europäischen Kolonien, so dass Krieg meist „das Bild eines fernen und fremden Abenteuers annahm“ (Dominikowski 1993: 39). Die Eroberung der Kolonien führte wiederum zum wirtschaftlichen Aufschwung in den Groß- und Kolonialmächten. Auch die Massenpresse erlebte einen enormen Aufschwung[28] durch die Berichterstattung über die vielen Kriege, denn die Nachfrage der Bevölkerung aus den Kolonialmächten nach Kriegsnachrichten war ungebrochen hoch. Kriegsberichterstatter wurden als Helden angesehen, die eine „Aura von Abenteuerromantik“ (Beham 1996: 22) umgab, wobei die Grenze zwischen Journalist und Soldat manchmal auch fließend war (vgl. Knightley 2004a: 43-81). Hinzu kam, dass der Ausbau von Telegrafennetzen vorangetrieben wurde und die Arbeit der Kriegsberichterstatter erleichterte. Das neue Medium Fotografie konnte durch die Erfindung der Autotypie im Jahre 1880 ebenfalls für die Massenpresse genutzt werden, d. h. Fotografien konnten nun nicht mehr nur in Ausstellungen betrachtet, sondern in Zeitungen abgedruckt werden[29]. Aufgrund der versäumten Einführung einer organisierten, politisch-militärischen Zensur und der Tatsache, dass die meisten Kriege weit entfernt von der Heimat stattfanden, konnten die Kriegsberichterstatter meist über alles berichten, worüber sie berichten wollten. Zudem entdeckten Politik und Militär, trotz der Ereignisse auf der Krim und im amerikanischen Sezessionskrieg, nur sehr langsam das Potential der Massenmedien „als Mittel der Massenerziehung und -beeinflussung“ (Beham 1996: 23). Trotz dieser Freiheiten schrieben die wenigsten Kriegsberichterstatter in dieser „Goldenen Zeit“ die Wahrheit über Ereignisse in Kriegen oder kritisierten die Art der Kriegführung. Sie berichteten zwar über den Tod von Tausenden von Menschen, stellten aber den Krieg selbst niemals in Frage. Ihnen ging es nur darum, möglichst als erster einen „scoop“[30] gelandet zu haben. Die meisten Kriegsberichterstatter in dieser Zeit sahen Krieg als “a big factor in the joy of living“ (Knightley 2004a: 47).
Mit zunehmenden Erfahrungen des Militärs mit der Presse nahmen organisierte Zensur, Zugangsbeschränkungen und Beeinflussung der Kriegsberichterstatter zu. Im preußischen-französisch Krieg 1870/71 wurden alle drei Maßnahmen zur Kontrolle und Lenkung der Presse erstmals in größerem Umfang praktiziert. Da Frankreich auf den Krieg schlecht vorbereitet war, ordnete die französische Regierung eine strikte Zensur ihrer Korrespondenten an. Des Weiteren ließ sie keine ausländischen Berichterstatter auf französischer Seite zu, da Napoleon III. befürchtete, ausländische und somit neutrale Journalisten könnten militärische Defizite aufdecken, die französische Reporter nicht aufdecken oder aus Angst vor Verlust ihrer Akkreditierung nicht berichten würden (vgl. Young/Jesser 1997: 24-31). Deutschland hingegen erließ zwar bereits bei der Mobilmachung für deutsche Journalisten ein Verbot, „über militärische Geheimnisse sowie über militärische Bewegungen und Vorbereitungen zu berichten“ (Beham 1996: 23), jedoch hatte der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck den Wert einer freundlich gesinnten Presse erkannt und erlaubte u. a. den britischen Kriegsbericht-erstattern William Howard Russell und Archibald Forbes, die deutschen Truppen während des Krieges zu begleiten. Großbritannien, obwohl sehr interessiert am Krieg, wollte neutral bleiben und zunächst keine Kriegsberichterstatter erlauben, weil diese nur von deutscher Seite berichten konnten und es somit um seine Neutralität fürchtete. Erst als der Chefredakteur der Times, John Delane, dagegen protestierte, ließ die britische Regierung die Kriegsberichterstatter doch nach Deutschland reisen. Forbes setzte während des Krieges neue technologische Standards, in dem er seine Berichte innerhalb von 24 Stunden nach dem Ereignis bereits nach London sandte. Damit kam ein neuer Aktualitätsdruck auf die Kriegsberichterstatter zu, dem sich Russell nicht mehr gewachsen sah. Er sandte seine Berichte lieber mit dem Kurier nach London, was zwar bedeutete, dass sie viel später dort ankamen, ihm jedoch mehr Zeit zum Schreiben seiner ausführlichen Berichte ließ. Dem neuen Schreibstil nach dem Schema „wer-wie-was-wo-wann-warum“, der sich durch die Nutzung des Telegrafen zur Nachrichtenübermittlung herausbildete, konnte Russell nichts abgewinnen, so dass der preußisch-französische Krieg der letzte sein sollte, aus dem er berichtete. Trotz aller Neuerungen in der Berichterstattung hatte die Presse nur wenig gelernt: die Berichterstattung in der französischen Presse war von einer einseitigen, optimistischen und patriotischen Stimmung geprägt, während die deutsche Berichterstattung über den Krieg einer Manipulation durch die Regierung unterlag, um den Sieg der deutschen Armee zu beschleunigen (vgl. Young/Jesser 1997: 24-31).
Ein Bespiel für das Profitinteresse der amerikanischen Boulevardzeitungen lieferte der spanisch-amerikanische Krieg im Jahre 1898. Die US-amerikanischen Korrespondenten berichteten bereits seit zwei Jahren über die Unabhängigkeitskämpfe der kubanischen Bevölkerung gegen die spanische Kolonialmacht. Die Zeitungsinhaber William Randolph Hearst (New York Journal) und Joseph Pulitzer (The New York World) standen schon seit einiger Zeit miteinander im Konkurrenzkampf um die höchste Auflage. Hearst war zudem der Ansicht, dass die USA den Unabhängigkeitskampf der Kubaner unterstützen sollte und tat daher alles, um die öffentliche Meinung ebenfalls in diese Richtung zu beeinflussen. Er erfand zusammen mit seinem Korrespondenten Richard Harding Davis Geschichten über Gräueltaten der Spanier an der kubanischen Bevölkerung und sandte den Fotografen Frederic Femington nach Kuba, der die entsprechenden Fotos liefern sollte. Zu diesem Zeitpunkt waren die Kämpfe gerade abgeflaut, so dass Femington zurückkehren wollte, da er nichts zu tun hatte. Daraufhin telegrafierte Hearst seinen berühmten Satz: “Please remain. You furnish pictures. I will furnish war.” (Knightley 2004a: 58). Als einige Tage später im Hafen von Havanna das amerikanische Kriegsschiff Maine explodierte, nahm Hearst den Vorfall zum Anlass, in seiner Zeitung gleich am darauf folgenden Tag Spanien eines Angriffs gegen die USA zu beschuldigen und somit eine „Befreit-Kuba-Kampagne“ zu starten, die vor allem den Zweck hatte, mithilfe einer amerikanischen Kriegsbeteiligung die Auflage des New York Journal zu steigern. Obwohl die Spanier ein Komitee beauftragt hatten, dass den Vorfall untersuchen sollte und sich später herausstellte, dass nicht ein spanischer Angriff, sondern die mitgeführte Munition an Bord der Maine für die Explosion verantwortlich war, erklärte die USA, aufgrund der Zeitungsmeldung Hearsts, den Spaniern den Krieg. Damit hatte Hearst seinem Fotografen den versprochenen Krieg geliefert. Aus dem spanisch-amerikanischen Krieg berichteten 200 Kriegsberichterstatter, allein 25 von ihnen schrieben für das New York Journal. Hearst konnte mithilfe des Krieges seine Auflage in Schwindel erregende Höhen treiben und andere Zeitungsverleger wollten es ihm gleich tun. So schickten sie berühmte Korrespondenten nach Kuba und lieferten sich regelrechte Kämpfe um die größte Titel-Schlagzeile, um die Aufmerksamkeit der Leser zu erhalten. Als der Krieg sich dem Ende neigte und alle Zeitungsverleger reich geworden waren, verblieben nur noch neun Reporter auf Kuba (vgl. Knightley 2004a: 43-66). Dieser Krieg war somit vollkommen von der Boulevardpresse dominiert.
Zum Beginn des 20. Jahrhunderts hatten Politik und Militär die Wirkungskraft der Medien erkannt und verschärften ihre Zensur- und Kontrollmaßnahmen. So war die Berichterstattung über den Burenkrieg 1899-1902 von einer strikten Militärzensur, dem Aufzwingen der militärischen Sichtweise und rigorosen Strafmaßnahmen gegen Journalisten, die die Militärbeschränkungen nicht einhielten, gekennzeichnet.
Das Ende des „Goldenen Zeitalters“ der Kriegsberichterstattung wurde von dem russisch-japanischen Krieg 1904/05 eingeleitet. Um über den Krieg zu berichten, warteten zu Beginn des Krieges schon allein in Tokio 100 Journalisten auf ihre Akkreditierung. Da Japan keine Erfahrung im Umgang mit Kriegsjournalisten hatte, führten sie das Exklusiv-Visum ein, das noch bis zum heutigen Tage als Mittel der Zugangsbeschränkung von Journalisten verwendet wird. Die Botschafter der einzelnen Länder mussten sich im Namen der Korrespondenten um ein Visum bewerben. Dabei gingen die Anträge gelegentlich in der japanischen Bürokratie verloren, so dass lediglich 20 ausländische Korrespondenten zur Berichterstattung über den Krieg zugelassen wurden. Den wenigen Kriegsberichterstattern wurde zudem eine rigorose Zensur auferlegt und sie durften sich an der Front nicht frei bewegen. Die japanische Presse hingegen wurde in großer Anzahl zum Kriegsschauplatz zugelassen, jedoch wurden ihre Berichte ebenfalls streng zensiert (vgl. Young/Jesser 1997: 24-31). Die Berichterstattung über diesen Krieg war somit von einer einseitigen und patriotischen japanischen Sichtweise geprägt. Das Militär hatte in diesem Krieg gelernt, wie wirksam eine absolute Zugangsbeschränkung der Journalisten zum Kriegsschauplatz sein kann. Die meisten ausländischen Kriegsberichterstatter reisten schon bald wegen der strengen Zensurbestimmungen ab, so dass nur noch ein Kriegsberichterstatter, der Italiener Luigi Barzini und zwei Agenturkorrespondenten an der Front verblieben. Die Agenturreporter mussten im japanischen Hauptquartier verbleiben, während Luigi Barzini, der immer sehr objektiv und wahrheitsgemäß berichtete, sich an der Frontlinie relativ frei bewegen konnte. Er arbeitete zwar unter sehr schlechten Bedingungen, berichtete aber über auffallende, kriegstaktische Neuerungen. Zum einen gab es keine geografisch-überschaubaren Schlachtfelder mehr, vielmehr dehnte sich die japanisch-russische Frontlinie auf 150 Kilometer Länge aus. Zum anderen registrierte Barzini ein Anwachsen der Artillerie[31] und den erstmaligen Einsatz von Giftgas. Dies deutete alles darauf hin, dass nicht nur die Kriegsberichterstattung in den folgenden Kriegen vor neue Herausforderungen gestellt werden würde, sondern dass sich auch die bisher bekannte Art der Kriegführung stark veränderte, wie der Erste Weltkrieg beweisen sollte.
3.5. Kriegsberichterstattung im Ersten Weltkrieg
Mit dem Ersten Weltkrieg brach ein neues Zeitalter in Kriegführung und Kriegsberichterstattung an. „Der ‘Massen’krieg wurde zum ‘Massen’sterben und die ‘Massen’medien wurden – in einer neuen Qualität – zu Instrumenten der ‘Massen’propaganda: Der Staat bemächtigte sich der Medien.“, so beschreibt Dominikowksi die grundlegenden Veränderungen (Dominikowski 1993: 39). Von Kriegsberichterstattung im herkömmlichen Sinn konnte man während des Ersten Weltkrieges nicht sprechen, denn was sich in den Zeitungen in Großbritannien, Frankreich, Deutschland und den USA widerspiegelte, war nicht die Wahrheit über den Fortgang des Krieges, sondern reine Propaganda der jeweiligen Regierungen. Lügen, Manipulation und Desinformation sowie Presselenkung und Pressekontrolle waren charakteristisch für die Berichterstattung über den Ersten Weltkrieg. Nicht umsonst wurde im Jahre 1917 von US-Senator Hiram Johnson der berühmte Satz geprägt: „Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit“ (Johnson zitiert nach: Schrader 2002: 46f.). Bereits mit Beginn des Krieges wurde in Deutschland, Frankreich und Großbritannien die Pressefreiheit[32] aufgehoben und eine strenge Militärzensur eingeführt. Die Zeitungen durften nur das schreiben, was die Regierungen ihnen als wahr verkauften und das waren meist die „Wahrheiten“, die den Kriegszielen der jeweiligen Regierung dienten. Über militärisch bedeutende Informationen wie Truppen- und Schiffsbewegungen und den Zustand der eigenen, kriegswichtigen Industrie sowie über politische Differenzen im Inland durfte auf keiner Seite berichtet werden.
In Deutschland bekam jede Zeitung tägliche Anweisungen, über was sie berichten durfte und welche Berichte verboten waren. Generaloberst von Moltke erklärte die Presse bereits im August 1914 zum „unentbehrlichen Mittel der Kriegführung“ (von Moltke zitiert nach: Beham 1996: 36). Die Nachrichtenagentur Wolff’s Telegraphen-Büro wurde zur Oberzensurstelle erklärt und ihre Berichte mussten unverändert und unkommentiert in den Zeitungen abgedruckt werden. Journalisten, die sich widersetzten, wurden verhaftet. Die deutschen Kriegsberichterstatter hatten Frontverbot. Sie erhielten ihre „Informationen“ auf einer zweimal wöchentlich stattfindenden Pressekonferenz des deutschen Kriegspresseamtes, ihrer einzigen Nachrichtenquelle. (vgl. Knightley 2004a: 90ff.) Ausländische Kriegberichterstatter aus neutralen Ländern, wie zum Beispiel den USA, wurden in der ersten Kriegsphase, als Deutschland noch militärische Erfolge verzeichnen konnte, von der deutschen Regierung eingeladen, über den Krieg von deutscher Seite aus zu berichten. Man begleitete die ausländischen Korrespondenten zum Kampfgeschehen und unterstützte sie, wo man konnte, um die neutralen Länder in ihrer Meinung zugunsten der Deutschen zu beeinflussen. Mit Kriegseintritt der USA im April 1917, die letztendlich zur deutschen Kriegsniederlage führte, hatten aber auch ausländische Korrespondenten Frontverbot. Die Pressepolitik der deutschen Regierung setzte auf die Wirkung des Verschweigens von Niederlagen und Verlusten auf deutscher Seite und auf die Vermittlung von deutscher Überlegenheit. Dies führte dazu, dass die deutsche Bevölkerung einen Schock erlitt, als sich die Diskrepanz zwischen der Zeitungsberichterstattung über den Krieg und der Realität langsam offenbarte (vgl. Dominikowski 1993: 39-42).
In Großbritannien sollte der Pressezugang zum Kriegsschauplatz zu Beginn des Krieges nach dem Vorbild der japanischen Zugangsbeschränkung im russisch-japanischen Krieg 1904 geregelt werden. Doch als General Kitchener, der bereits im Burenkrieg mit allen Mitteln versuchte, die Kriegsberichterstatter von der Front abzuhalten, im August 1914 zum Kriegsminister ernannt wurde, wurde den britischen Journalisten der Zugang zur Front gänzlich verwehrt. Kein Korrespondent sollte vom Krieg berichten und jeder Journalist, der an der Front angetroffen wurde, wurde verhaftet und seines Reisepasses entledigt. In den ersten Kriegswochen gab es somit in Großbritannien so gut wie keine Kriegsberichterstattung. Lediglich zwei Korrespondenten gelang es, über die ersten britischen Verluste und Niederlagen, vor allem von der Marneschlacht zu berichten und diese Berichte auch zu veröffentlichen: Times -Korrespondent Arthur Moore und Daily Mail -Korrespondent Hamilton Fyfe[33]. Als die Berichte in den beiden britischen Zeitungen erschienen, mahnte Kitchener die Times und die Daily Mail als unpatriotisch ab und versuchte die Berichte für seine Propaganda zu nutzen, in dem er die britische Bevölkerung dazu aufrief, sich nun erst recht freiwillig für den Krieg zu melden. In der Konsequenz wurde ein Offizier (Colonal Ernest Swinton) damit beauftragt, „Augenzeugenberichte“[34] von der französischen Front zu schreiben, um sie der Presse zuzuleiten (vgl. Young/Jesser 1997: 31-35, Knightley 2004a: 83-146). Jedoch befriedigte diese Art der Berichterstattung weder die Bevölkerung noch die Presse, so dass die britische Regierung unter Druck geriet. Als Resultat erlaubte sie im Mai 1915 sechs Korrespondenten, die britischen Truppen in Frankreich zu begleiten[35]. Die Reporter wurden in die Armee integriert, mussten Soldatenuniformen tragen und hatten den Rang eines Hauptmanns. Zudem wurden sie ständig von einem Offizier begleitet, der sogar ihre privaten Briefe lesen durfte, und standen unter einer strengen Zensur. Sie durften zum Beispiel nicht über Namen und Positionen von Regimenten und erst recht nicht über das Wetter berichten, da es aus militärischer Sicht für den Feind hätte nützlich sein können. Einer der sechs Reporter schrieb später in seinen Memoiren: “We identified ourselves absolutely with the Armies in the field … We wiped out of our minds all thought of personal scoops and all temptation to write one word which make the task of officers and men more difficult or dangerous. There was no need of censorship of our despatches. We were our own censors.” (zitiert nach: Knightley 2004a: 103). Die Berichte der Korrespondenten wurden an das GHQ[36] telegrafiert und von dort an die britischen Zeitungen verteilt, die die Berichte nicht mehr verändern durften. Mit dieser Art der Kriegsberichterstattung konnte die britische Regierung mehrere Ziele verwirklichen. Zum einen konnte die Öffentlichkeit mit optimistischen und ruhmreichen Berichten von der Front versorgt werden, die die Kriegsbegeisterung der Briten aufrecht erhielt und die Rekrutierung von Soldaten vorantrieb. Zum anderen konnten so Fehler in der Kriegführung verheimlicht und das Militär vor öffentlicher Kritik bewahrt werden (vgl. Knightley 2004a: 83-146). Folge der britischen Kriegsberichterstattung zum Ende des Ersten Weltkrieges war, dass die Medien in der Bevölkerung ihre Glaubwürdigkeit verloren hatten, da die Menschen bisher immer geglaubt hatten, was in den Zeitungen stand und nun eines Besseren belehrt wurden.
Sowohl die britische und französische als auch die deutsche Berichterstattung über den Ersten Weltkrieg waren größtenteils von der Propagandamaschinerie der jeweiligen Regierung vereinnahmt. Als die deutschen Truppen zu Beginn des Krieges in Belgien einmarschierten und dabei ca. 5000 Zivilsten ums Leben kamen, nahmen die alliierten Regierungen dies zum Anlass, eine umfassende Propagandakampagne gegen die Deutschen zu starten[37]. In den beteiligten Regierungen wurden Informations- bzw. Propagandaministerien eingerichtet, die in erster Linie die Aufgabe hatten, maßlos übertriebene Berichte über vermeintliche Gräueltaten der deutschen Soldaten an der belgischen Zivilbevölkerung zu verbreiten, um die Deutschen zu dämonisieren und als ein Volk von Barbaren darzustellen. So entstanden gefälschte Bilder und Berichte über abgehackte Kinderhände, abgeschnittene Frauenbrüste, Vergewaltigungen, Folterungen und Massaker an der belgischen Zivilbevölkerung. Diese Bilder und Berichte wurden an die Presse weitergegeben und hatten vor allem drei wesentliche Ziele. Erstens sollte in der eigenen Bevölkerung Hass gegen die Deutschen geschürt werden, um die Menschen auf Kampf und Durchhalten einzustellen und Soldaten für die Front zu rekrutieren. Zweitens sollte die Aufnahme von Kriegsanleihen gefördert werden, um den Krieg finanzieren zu können. Und drittens sollte, vor allem von britischer Seite aus, die USA als bis dahin neutraler Staat antideutsch beeinflusst werden, um einen US-amerikanischen Kriegseintritt herbeizuführen (vgl. Schrader 2002: 46f., Knightley 2004a: 83-146). Die französischen und britischen Zeitungen übernahmen diese „Kriegsnachrichten“ meist unkritisch. Die deutsche Regierung[38] wehrte sich vergeblich gegen die Vorwürfe, hatte aber bei weitem nicht einen so umfangreichen Propagandaapparat wie die alliierten Regierungen, so dass die meisten angeblichen Gräueltaten erst einige Jahre nach Kriegsende dementiert werden konnten.
Die US-amerikanische Presse berichtete in der Anfangsphase des ersten Weltkrieges zunächst neutral und bemühte sich die Wahrheit zu schreiben. US-Präsident Thomas Woodrow Wilson beschwerte sich sogar bei der britischen Regierung über die Behinderung amerikanischer Kriegsberichterstatter bei ihrer Pflichterfüllung. Die beiden amerikanischen Nachrichtenagenturen Associated Press und United Press entlarvten die Gräuelgeschichten aus britischen, französischen und belgischen Zeitungsberichten als Lügen, die sich nicht auf wahre Begebenheiten zurückführen ließen. Im britischen Propagandabüro wurde indes eine US-Abteilung eingerichtet, die Informationsveranstaltungen und Frontbesichtigungen für die amerikanischen Kriegsberichterstatter durchführte und versuchte, auf amerikanische Meinungsführer Einfluss zu nehmen, um den US-Medien eine pro-britische Sichtweise aufzudrängen. Die britische Propagandakampagne hatte enormen Erfolg in den USA, denn im April 1917 herrschte in der gesamten US-Gesellschaft eine antideutsche Stimmung, die letztendlich zum Kriegseintritt der USA am 6. April 1917 führte. Nun wurde auch in den USA ein Propagandabüro gegründet, das Committee on Public Information, dessen Aufgabe es war, US-Soldaten für den Krieg zu rekrutieren. Die amerikanische Regierung schickte ca. 75.000 Redner in 5.000 amerikanische Städte, um die Bevölkerung zu mobilisieren. Es wurde ein enormer Propagandaaufwand betrieben, in dem sich auch die Londoner Times und die London Daily Mail sowie soziale Organisationen wie das Rote Kreuz engagierten. Die US-Regierung ordnete an, dass amerikanische Kriegsberichterstatter die Truppen nur begleiten durften, wenn sie für ihre Zulassung 1.000 US-Dollar zahlten und zusätzlich eine Kaution in Höhe von 10.000 US-Dollar hinterlegten, die einbehalten wurde, wenn die Journalisten gegen die strengen Zensurbestimmungen verstießen. Auch die amerikanischen Kriegsberichterstatter konnten sich somit seit Kriegseintritt der USA nicht mehr frei im Kriegsgebiet bewegen und ihre Berichterstattung war von britischer und amerikanischer Propaganda beeinflusst (vgl. Beham 1996: 25-41, Dominikowski 1993: 39-42).
Als Fazit für den Ersten Weltkrieg lässt sich festhalten, dass die Kriegberichterstattung in allen beteiligten Ländern ein geschöntes Bild vom Krieg verbreitete und sich in bisher noch nie da gewesenem Maße in die Propagandapolitik der jeweiligen Regierungen einspannen ließ. Es wurden Zahlen und Fakten gefälscht, Niederlagen in Siege umgewandelt, die Verluste der eigenen Seite gemindert und die der Gegenseite übertrieben und die Medien veröffentlichten diese Berichte unhinterfragt. Ziel aller beteiligten Regierungen war die Verschleierung der Realität, nämlich, dass in diesem Massenkrieg 10 Millionen Menschen starben, 21 Millionen Menschen verwundet wurden und Europa größtenteils verwüstet wurde. Obwohl die neu eingeführte Funktechnik[39] die Kommunikation sowohl des Militärs als auch der Kriegsbericht-erstatter bereits entschieden verbesserte, kann man den Medien im Ersten Weltkrieg auf allen beteiligten Seiten massives Versagen bescheinigen, da sie angesichts der Kombination von Kriegspropaganda, Militärzensur und Patriotismus in der Bevölkerung offensichtlich machtlos waren und zur Verschärfung des Krieges beitrugen (vgl. Young/Jesser 1997: 31-35).
3.6. Kriegsberichterstattung im Zweiten Weltkrieg
Im Zweiten Weltkrieg erreichte die Einspannung der Medien für politische Interessen und Propaganda, vor allem in Deutschland, einen erneuten Höhepunkt. Bereits im Vorfeld des Krieges wuchs der institutionelle Aufwand zur Medienlenkung in Deutschland schon beträchtlich. Kurz nach der Machtübernahme Adolf Hitlers im Januar 1933 gründete sein Propagandaminister Joseph Goebbels das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Medien und Kultur wurden gleich geschaltet und man begann mit einer intensiven „Propaganda durch Wort, Bild, Film und Ton“ (Beham 1996: 56), die in erster Linie auf die Psychologie und Stimmung der, seit dem Ersten Weltkrieg zutiefst gedemütigten, deutschen Bevölkerung zielte. Unablässig wurden Hass und Ängste geschürt, die letztendlich in blindem Vertrauen in den Führer und der Kriegsbereitschaft des deutschen Volkes gipfelten. Um die Massen zu manipulieren und zu mobilisieren, setzte man zwei neue Medien ein: den Film und den Rundfunk. Die suggestive Wirkung des Films hatte man bereits im Ersten Weltkrieg[40] erkannt, obschon der Film zu dieser Zeit noch stumm war und somit noch nicht der natürlichen audio-visuellen Wahrnehmung seiner Zuschauer entsprach. Mit der Erfindung des Lichttonverfahrens Mitte der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts und der Weiterentwicklung zum Magnettonverfahren in den dreißiger Jahren waren auch die auditiven Grundlagen für die Produktion von nationalsozialistischen Wochenschauen und Filmen als Mittel der Massenbeeinflussung geschaffen. Vor allem Leni Riefenstahls Filme, Triumph des Willens (1935) und Olympia – Fest der Völker/Fest der Schönheit (1938), sind in diesem Zusammenhang bis zum heutigen Tag umstritten, da diesen beiden monumentalen Filmen immer wieder vorgeworfen wird, sie würden die nationalsozialistische Ideologie glorifizieren[41] (vgl. Monaco 2000: 307). Während des Zweiten Weltkrieges wurden 5 Millionen Meter Film für Wochenschauen aufgenommen, von denen nur ein Bruchteil verwendet wurde, der sowohl die deutsche Bevölkerung als auch das Ausland mit Berichten über die militärischen Erfolge der deutschen Wehrmacht versorgen und die Stärke des Militärs demonstrieren sollte (vgl. Beham 1996: 54ff.). Um die nationalsozialistische Propaganda durch Ansprachen an das Volk in jeden deutschen Haushalt übertragen zu können, bedienten sich Hitler und Goebbels zudem des neuen Mediums Hörfunk, der sich ebenfalls in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts aus der Funktelegrafie entwickelt hatte. Während des Zweiten Weltkrieges wurde der so genannte Volksempfänger[42] von den Nazis genutzt, um einerseits die Kriegsmoral der deutschen Bevölkerung in der Heimat aufrecht zu erhalten. Andererseits wurden in den beiden Frontgebieten Soldatensender installiert, die dem Feind die Überlegenheit und Stärke der deutschen Armee suggerieren und ihn zum Rückzug bewegen sollten. Das Radio brachte aber auch eine neue Dimension in die Kriegsberichterstattung: die Live-Übertragung. Zum ersten Mal in der Geschichte der Kriegsberichterstattung war es möglich, von einem Ereignis unmittelbar und ohne Zeitverzögerung zu berichten (vgl. Beham 1996: 72ff.). Die live übertragenen Korrespondentenberichte mit Kriegsgeräuschen im Hintergrund vermittelten den Rezipienten eine viel stärkere Glaubwürdigkeit und Authentizität als dies die Printmedien vermochten. So berichtete der BBC-Korrespondent Charles Gardner von den deutschen Luftangriffen auf die südenglische Grafschaft Kent im Jahre 1940 so enthusiastisch wie von einem Sportereignis (vgl. Knightley 2004a: 238ff.). Eine Eigenart, die man auch heutzutage in der Kriegsberichterstattung noch anzutreffen vermag.
Um während des Zweiten Weltkrieges zu gewährleisten, dass alle zur Meinungslenkung einsetzbaren Medien nur im Sinne der Nazis berichteten, begann Goebbels bereits 1936 mit der Rekrutierung und Ausbildung geeigneter Kriegsberichterstatter, die, gegliedert in Wort-, Bild-, Film- und Rundfunktrupp, in Propagandakompanien zusammengefasst und militärischen Einheiten zugeteilt wurden. Unabhängige Journalisten durften nicht von den Fronten berichten. Ab 1940 wurden die Journalisten der Propagandakompanien[43] zudem noch an der Waffe ausgebildet, da von ihnen erwartet wurde, dass sie auch aktiv in das Kriegsgeschehen eingriffen. Die Tatsache, dass die Kriegsreporter Uniformen und Waffen trugen und als Teil des deutschen Militärs behandelt wurden, machte eine Zensur der Berichterstattung gewissermaßen überflüssig, da eine emotional unabhängige und neutrale Berichterstattung auf diesem Wege unmöglich war (vgl. Young/Jesser 1997: 37ff.). Dennoch wurden die Berichte der deutschen Kriegsreporter mehrfach zensiert. Was übrig blieb, waren technisch und naziideologisch perfekte Berichte, die auch an die Medien des neutralen Auslands verkauft wurden, womit zu erklären ist, dass die neutrale Auslandspresse zu Beginn des Krieges von einer pro-deutschen Sichtweise geprägt war (vgl. Schrader 2002: 48f., Dominikowski 1993: 43f.). Die amerikanischen Zeitungen waren voll von deutschen Fotos und in den amerikanischen Kinos wurden deutsche Wochenschauen gezeigt. Dies liegt nicht zuletzt an den strengen Zensurmaßnahmen und Zugangsbeschränkungen der britischen und französischen Regierungen, die ausländische Kriegsreporter zunächst nicht von der Front berichten ließen, so dass im neutralen Ausland ein Defizit an Nachrichten aus dem Zweiten Weltkrieg vorherrschte. In Deutschland hingegen wurde das Informationsmanagement der Nazis dadurch perfektioniert, dass Kriegsberichterstatter aus neutralen Ländern neben dem Zugang zur Front spezielle Privilegien wie Benzinzuschüsse, extra Verpflegung und günstige Geldwechselraten gewährt wurden. Eine offizielle Vorzensur gab es nicht, so dass der Anschein einer vermeintlich freien Berichterstattung entstand. Jedoch wurden die Berichte der ausländischen Reporter vom Propagandaministerium genau geprüft und wenn sie unvorteilhaft für Deutschland waren, drohten den Kriegsreportern Repressalien wie z. B. Ausweisung oder Inhaftierung wegen Spionageverdachts (vgl. Beham 1997: 54ff., Knightley 2004a: 237ff.).
Während sich in Deutschland die Nazis intensiv der Medien als Instrument der Kriegführung bedienten, setzten die britische und die französische Regierung alles daran, dass über die Kriegsberichterstatter so wenig Informationen wie möglich an die Öffentlichkeit drangen. In Großbritannien wurde zwei Tage vor Kriegsbeginn das Ministry of Information gegründet, das schnell einen Personalumfang von 1000 Mitarbeitern hatte. „Die Briten führten ihre Medienpolitik zunächst nach dem Vorbild von 1914/18 weiter: ein ausgesuchter Pool von ‘Augenzeugen-Journalisten’ wurde hinter der Front stationiert (und kontrolliert), zuhause wurden ‘bereinigte’ Zahlen und Fakten veröffentlicht.“ (Dominikowski 1993: 42) Mit dieser Situation waren die britischen Korrespondenten sehr unzufrieden, so dass die britische Regierung im weiteren Kriegsverlauf keine Informationsverhinderung mehr betrieb, sondern die Kriegsreporter als Teil des Militärs, oder wie General Montgomery es ausdrückte “an element of my staff“ (Freedman 2004: 66), ansah, deren Aufgabe es war, die Heimat mit positiven Kriegsnachrichten zu versorgen. Solange die Reporter nichts Negatives über die britischen Truppen und den Kriegsverlauf berichteten, wurden sie vom Militär unterstützt. Doch die Tatsache, dass auf britischer Seite im Zweiten Weltkrieg wesentlich mehr Journalisten für die Frontberichterstattung akkreditiert waren als im Ersten Weltkrieg, ließ die Berichterstattung nicht unabhängiger und kritischer werden, denn alles Berichtenswerte wurde ebenfalls von den Zensoren zerpflückt, so dass nur die offizielle Sichtweise des britischen Militärs und der Regierung in den Medien verbreitet wurde.
In Frankreich war die Informationskontrolle noch weitaus rigoroser als in Großbritannien. Die Korrespondentenberichte wurden durch vier militärische Stellen zensiert. Als sie nach 48 Stunden Zeitverzögerung in den Redaktionen eintrafen, waren sie praktisch wertlos. Sie waren weder aktuell noch enthielten sie interessante und berichtenswerte Neuigkeiten. Die Berichterstattung in der alliierten Presse war, wie Beham schreibt, „eine Aneinanderreihung von glorreichen Schlachten, ruhmreichen Siegen und ungebrochener Kampfmoral“ (Beham 1996: 62).
In den USA war die Situation der Kriegsberichterstatter nach Kriegseintritt 1941 nicht viel anders als in Europa. Die zuvor noch freie Kriegsberichterstattung wurde durch die Einführung einer Zensur und die Einbindung der Korrespondenten in die Kriegsmaschinerie beendet. Jedoch kamen die Kriegsberichterstatter mit der strengen Zensur und der „Politik der Verhinderung von Nachrichtenübermittlung“ (Beham 1996: 63) nicht in Konflikt, denn sie sahen es als ihre nationale Pflicht an, den militärischen und politischen Zielen ihrer Regierung zu dienen. Das amerikanische Propagandaministerium Office of War Information arbeitete ähnlich professionell wie das deutsche und der militärische Einsatz wurde nach Eisenhowers Maxime „public opinion wins war“ von einer umfassenden PR-Kampagne begleitet, in die auch die Journalisten eingebunden waren (vgl. Schrader 2002: 48f., Dominikowski 1993: 43/44). Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour im Dezember 1941, wie auch nach dem amerikanischen Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945, wurde eine absolute Informationssperre verhängt, so dass die amerikanische Bevölkerung erst weit nach Kriegsende über die tatsächlichen Ereignisse aufgeklärt werden konnte. Wenn es doch ein Kriegsberichterstatter schaffte, Informationen über die Verluste in Pearl Harbour oder über die Folgen des Atombombenabwurfs in Japan zu veröffentlichen, wurden diese Berichte als Propaganda der Japaner abgetan (vgl. Young/Jesser 1997: 37ff., Knightley 2004a: 293ff.).
Zusammenfassend lässt sich über die Kriegsberichterstattung des Zweiten Weltkrieges sagen, dass die Medien aller beteiligten Nationen einmal mehr als Sprachrohr ihrer Regierungen fungierten. Den patriotischen Erwartungen einer Bevölkerung, die um ihr Überleben kämpft, tief verbunden, hatten die Kriegsreporter gar keine andere Wahl als die Kriegsziele ihrer Regierungen zu unterstützen, wie sie es bereits im Ersten Weltkrieg getan hatten.
3.7. Vietnam – der „erste Fernsehkrieg“
Nachdem die Kolonialmacht Frankreich 1954 im Kampf gegen den gedeihenden Kommunismus in Nordvietnam gescheitert war und ihre Truppen abgezogen hatte, begannen die USA, aus Angst vor einer Ausbreitung des Kommunismus auf den nordamerikanischen Kontinent, die südvietnamesische Regierung unter Ngo Dinh Diem durch die Entsendung von zunächst 200 Militärberatern zu unterstützen. Über diesen Einsatz wurde in den amerikanischen Medien nur sehr wenig berichtet, nicht zuletzt deswegen, weil die USA die südvietnamesische Regierung in ihrem Bemühen unterstützte, kritische Journalisten, die über das Unvermögen der südvietnamesischen Armee berichten könnten, aus Saigon fernzuhalten. Lediglich vier Agenturjournalisten und ein Korrespondent der New York Times hielten sich im Jahr 1954 in Vietnam auf und berichteten meist nur über die Notwendigkeit eines stärkeren amerikanischen Engagements gegen die kommunistische Gefahr in Nordvietnam. Nach und nach kam die amerikanische Regierung dieser Forderung nach und aus den entsendeten Militärberatern wurde eine US-amerikanische Intervention in Vietnam. Mit dem zunehmenden Militäraufwand wuchs auch langsam das Medieninteresse, so dass im Jahr 1968 die Zahl der akkreditierten Journalisten in Vietnam bei 637 lag (vgl. Beham 1996: 79ff., Knightley 2004a: 409ff.). Die US-Regierung führte eine Militär-Zensur[44] ein, die aber bei einer so großen Anzahl an Korrespondenten nur sehr schwer zu kontrollieren war. Die Kriegsberichterstatter in Vietnam unterlagen zudem einer starken Selbstzensur, da sie sich seit dem Zweiten Weltkrieg größtenteils verpflichtet fühlten, die Moral der amerikanischen Truppen nicht zu schwächen. Anfangs gab es ein Tabu, über amerikanische Gräueltaten an der vietnamesischen Zivilbevölkerung zu berichten, von denen es durchaus nicht wenige gab. Dennoch berichteten die Kriegsberichterstatter in Vietnam unvoreingenommen und kritisch über die miserable amerikanische und südvietnamesische Kriegführung[45]. Um zu verhindern, dass die patriotisch gestimmte amerikanische Bevölkerung über die schlechte militärische Lage der US-Streitkräfte informiert wird, konzentrierte die US-Regierung ihre Zensurbemühungen somit auf die Heimatredaktionen. Da die offiziellen Regierungserklärungen zur Lage in Vietnam sich meist mit den Berichten ihrer Korrespondenten vor Ort widersprachen und die Redaktionen zudem unter dem Druck der US-Regierung standen, übernahmen sie in den meisten Fällen die offizielle Regierungsversion unkritisch, so dass der amerikanischen Öffentlichkeit durch die Medien ein baldiger amerikanischer Sieg in Vietnam suggeriert wurde (vgl. Knightley 2004a: 409ff.). Die Realität des Krieges spiegelte sich in den Medien kaum wider. Umso größer waren das Entsetzen und die Unverständlichkeit der amerikanischen Bevölkerung als die nordvietnamesischen Truppen am 31. Januar 1968 die Tet-Offensive[46] starteten und damit zur Überraschung des amerikanischen Militärs die Stadt Saigon und große Teile Südvietnams unter ihre Kontrolle brachten. Da die Medienberichterstattung in den USA die Tet-Offensive, entgegen der Realität, als militärisch erfolgreich darstellte, schlug die patriotische Stimmung in der amerikanischen Bevölkerung schnell in eine Antikriegsstimmung um. Die Zweifel an der Intervention in Vietnam wurden noch verstärkt, als es dem freien Journalisten Seymour Hersh im November 1968 gelang, einen Bericht über das Massaker in dem nordvietnamesischen Dorf My Lai zu veröffentlichen. Am 16. März 1968 wurden die 130 Bewohner dieses Dorfes von amerikanischen Soldaten in Gruppen zusammengetrieben und nacheinander exekutiert. Zunächst wurde in den amerikanischen Medien darüber nichts berichtet, da die Redaktionen Vorbehalte hatten, dass die Story zu blutrünstig sei und der amerikanischen Bevölkerung nicht zugemutet werden könne. Als das Berichterstattungstabu über amerikanische Gräueltaten durch die Story über My Lai einmal gebrochen war, folgten weitere Berichte über Gräueltaten an der Zivilbevölkerung. “Suddenly, nearly every war correspondent who had been in Vietnam had an atrocity story to tell“, schreibt Knightley (2004: 431). Doch über diese Gräueltaten wurde nicht etwa aus moralischer Verpflichtung der Medien berichtet, sondern sie hatten eine kurzfristige auflagensteigernde Wirkung, so dass auch an der Berichterstattung über den Vietnam-Krieg einmal mehr das Profitinteresse der Medien deutlich wird (vgl. Dominikowski in: Löffelholz 1993: 44ff.).
Nach My Lai nahmen das öffentliche Interesse am Vietnam-Krieg und die Medienberichterstattung in gleichem Maße ab wie die Hoffnung auf einen amerikanischen Sieg über Nordvietnam. Die Redaktionen verringerten nach und nach die Anzahl ihrer Korrespondenten, so dass die Kriegsberichterstattung über Vietnam gerade dann am schwächsten war, als der Krieg seinen Höhepunkt erreicht hatte[47]. Der Krieg dauerte noch bis 1975 an, doch bereits im Jahre 1974 waren nur noch 35 Kriegsberichterstatter in Vietnam akkreditiert. Die demütigende Niederlage des US-Militärs sollte in den Medien verdrängt werden.
Nach Ende des Krieges weigerte sich die amerikanische Regierung, das politische und militärische Versagen in Vietnam einzugestehen und schob die Verantwortung für den verlorenen Krieg mithilfe der „Dolchstoßlegende“ auf die Medien ab. „Die freie, unkontrollierte und unpatriotische Presse, […], habe die amerikanische Öffentlichkeit demoralisiert, gegen die Politik der eigenen Regierung aufgebracht und diese bis zur militärischen Aufgabe geschwächt“, erläutert Beham den Inhalt der „Dolchstoßlegende“ (Beham 1996: 79). Diese Wirkung sei durch das neue Kriegsberichterstattungsmedium Fernsehen noch verstärkt worden. Der Vietnam-Krieg war der erste Krieg, über den nicht nur durch Printmedien und Radio, sondern auch über das relativ neue Medium Fernsehen[48] ausführlich berichtet wurde und wird deshalb als der erste „Fernsehkrieg“ oder auch „Wohnzimmerkrieg“ bezeichnet. 60 Prozent der amerikanischen Bevölkerung informierte sich mithilfe des Fernsehens über den Krieg. Innerhalb von 48 Stunden konnten die Zuschauer somit die neuesten „Filme“ aus dem Krieg im Dschungel sehen. Weder die Zuschauer noch die Fernsehredaktionen hatten nennenswerte Erfahrungen im Umgang mit dem neuen Medium, so dass die eher derealisierende Wirkung der Bilder vom Kampfgeschehen mit Knightley’s Worten treffend beschrieben werden kann: “sometimes between the afternoon soap-box drama and the late-night war movie, the television version of the war in Vietnam could appear as just another drama, in which the hero is the correspondent and everything will come out all right at the end“ (Knightley 2004a: 454). Die verschmelzende Abfolge von Nachrichten, Werbung, Spielfilm führte somit zu einer Mediennormalität. In der Tat konstruierte das Fernsehen eher eine an Hollywood-Kinofilme erinnernde Realität. Die Soldaten fingen an zu posieren, sobald sich ihnen eine Fernsehkamera näherte. Wegen der Unübersichtlichkeit des Kriegsschauplatzes und der Undurchdringlichkeit des Dschungels für Kamerateams konnte das Fernsehen selten echte Kampfszenen zeigen. Anstatt dessen sah der Zuschauer inszenierte Kämpfe, startende und landende Hubschrauber und durch den Dschungel marschierende Soldaten. „Von 2300 Berichten zwischen 1965 und 1970 zeigten nur 76 echtes Kampfgeschehen“, so Beham (1996: 87). Die US-Regierung war jedoch der Ansicht, dass die vermeintliche Grausamkeit der Fernsehbilder die amerikanische Bevölkerung zu Kriegsgegnern gemacht hätte. Zahlreiche Studien dokumentieren jedoch, dass „das Fernsehen weder eine Antikriegs-Stimmung noch einen Meinungswandel bewirken konnte. Es sieht eher so aus, als ob es beim Zuschauer schon vorhandene Auffassungen verstärkte.“ (Beham 1996: 89). Insofern ist die „Dolchstoßlegende“ auf die Fernsehberichterstattung bezogen unhaltbar. Aber auch im Hinblick auf die Presseberichterstattung über den Vietnam-Krieg kann die „Dolchstoßlegende“ widerlegt werden. Zwar konnten die Kriegsberichterstatter über den Vietnam-Krieg mehr und kritischer berichten als über jeden bisherigen Krieg, jedoch ist die „Dolchstoßlegende“ insofern falsch, als dass nicht die Kriegsberichterstattung die amerikanische Bevölkerung demoralisierte, sondern die Diskrepanz zwischen der politischen und medialen Verbreitung eines baldigen amerikanischen Sieges und der Konfrontation mit der Realität, die der Öffentlichkeit mit der Tet-Offensive 1968 bewusst wurde. Die amerikanische Bevölkerung hatte das Vertrauen in ihre Regierung verloren. Zudem wurde der Vietnam-Krieg nicht durch die Medien oder die Bevölkerung, sondern durch die Unfähigkeit des US-Militärs im Guerillakampf verloren, was involvierte Politiker auch einige Jahre später eingestanden.
Dennoch zogen US-Militär und US-Regierung aus dem Vietnam-Krieg die Lehre, dass nur eine zensierte Kriegsberichterstattung die Kontrolle der öffentlichen Meinung erlaube. Diese Einsicht sollte die Berichterstattung über die folgenden Kriege grundlegend verändern.
3.8. Falkland-Krieg, Grenada-Invasion und Panama-Konflikt
Als Großbritannien 1982 seinen, kurz zuvor von Argentinien eroberten, kolonialen Besitz der Falklandinseln zurückerobern wollte, hatte auch das britische Verteidigungsministerium aus dem Vietnam-Krieg gelernt. Alle Informationsflüsse sowie die Medienberichterstattung wurden unter absolute Regierungskontrolle gestellt. Die Regierung erteilte 17 britischen, zuvor einer genauen Überprüfung unterzogenen, Kriegsberichterstattern die Erlaubnis, den Militäreinsatz auf einem britischen Kriegsschiff zu begleiten und von dort zu berichten. Die Korrespondenten mussten die militärischen Grundregeln und eine Zensur durch sechs “public relations officers“ akzeptieren. Filme durften nicht elektronisch an die Heimatredaktionen übertragen, sondern mussten physisch nach Großbritannien transportiert werden, so dass manche Fernsehberichte, wie zu Zeiten der Berichterstattung über den Krim-Krieg, 23 Tage bis zur Ausstrahlung benötigten (vgl. Seib 2004: 45ff.). Den Heimatredaktionen standen somit nur die zensierten Berichte ihrer Korrespondenten und die täglichen Pressekonferenzen des britischen Verteidigungsministeriums als Nachrichtenquellen zur Verfügung. Mangels Informationen in den Heimatredaktionen kamen Fachleute wie pensionierte Militärs und Sicherheitsexperten häufig und in ausgedehnten Kommentaren zu Wort. Zudem zitierten die Redaktionen zusätzlich zu den britischen auch argentinische Regierungsquellen[49], was ihnen den Vorwurf einer „übertriebenen Objektivität“ einbrachte (vgl. Beham 1996: 91ff.).
Kriegsberichterstatter aus neutralen Ländern wurden nicht zugelassen, “there was no room for impartial neutrals“ (Knightley 2004a: 478). Die amerikanischen Medien versuchten zwar mit gecharterten Schiffen auf die Falklandinseln zu gelangen, jedoch schossen die Briten auf jedes Schiff, das sich der von ihnen erklärten “total exclusion zone“ näherte.
Alle Medien waren somit auf die manipulierten Nachrichten der wenigen akkreditierten britischen Kriegsberichterstatter angewiesen. Die massive Kontrolle der Berichterstattung im Falkland-Krieg entfachte eine Diskussion um die Rolle der Medien in Kriegszeiten, die bis heute andauert.
Auch die US-Regierung zog ihre Konsequenzen aus der Vietnam-Katastrophe. Während ihrer Invasion auf der Insel Grenada im Jahre 1983, deren offizielles Ziel die Bekämpfung des Kommunismus[50] war, verhängte die US-Regierung eine totale Nachrichtensperre. Die Invasion war so geheim, dass selbst das Pentagon erst zwei Stunden nach Beginn davon in Kenntnis gesetzt wurde. „Militär und Regierung gelang es schließlich, die Medien fast eine Woche lang von der Insel zu verbannen. Als sie antreten durften, war der Spuk vorbei.“ (Beham 1996: 94) Diese Behandlung führte nach der Invasion zu massiven Protesten der amerikanischen Medien gegen die Beschränkungen der Regierung. Sie beriefen sich auf ihr Recht auf Informationsfreiheit und die Regierung reagierte darauf, indem sie eine Kommission einberief, die Lösungen für eine künftige Kriegsberichterstattung erarbeiten sollte. Ergebnis war das „National Media Pool“ - System, in das ausgewählte Journalisten aus Presse, Radio und Fernsehen aufgenommen werden sollten. Das Verteidigungsministerium verpflichtete sich im Gegenzug, die Pool-Journalisten bei militärischen Einsätzen an den Ort des Geschehens zu transportieren (vgl. Beham 1996: 93ff.).
Ausführlich getestet wurde dieses System zum ersten Mal während des Panama-Konfliktes 1989, bei dem der Diktator Manuel Noriega von den US-Truppen gestürzt wurde. Ausgewählte Kriegsberichterstatter wurden zwei Stunden vor Beginn der Invasion in Militärflugzeugen nach Panama gebracht, auf einem Militärstützpunkt jedoch bis zum zweiten Invasionstag festgehalten. Erst als die Militärs mit der Entwicklung der Kampfhandlungen zufrieden waren, durften die Korrespondenten ins Kriegsgebiet. Die Berichterstattung über den Panama-Konflikt blieb trotz der Medienpräsenz am Ort des Geschehens spärlich und regierungstreu. Genaue Informationen über militärische Vorgänge und Opferzahlen sind bis heute nicht bekannt geworden (vgl. Beham 1996: 97ff.).
Der Einsatz des Pool-Systems im Panama-Konflikt stellte die Generalprobe für die Medienkontrolle im Golfkrieg 1991 dar, in welchem die Zugangsbeschränkungen für die Medien noch weiter perfektioniert werden sollten.
3.9. Golfkrieg 1991 – der „erste Live-Krieg“
Die Besetzung Kuwaits durch den irakischen Diktator Saddam Hussein am 2. August 1990 kam den USA sehr gelegen, denn sie hatten schon lange Kriegsstrategien ausgearbeitet, um ihre Vormachtstellung im Nahen Osten und vor allem den Zugang zu den Ölreserven im arabischen Raum zu sichern. Die Verletzung internationalen Rechts und der Souveränität Kuwaits durch den Irak gaben den USA den benötigten Kriegsgrund vor. Nun mussten nur noch die eigene Bevölkerung und die Weltöffentlichkeit von der Notwendigkeit einer Intervention gegen den Irak überzeugt werden. Weder der Irak noch Kuwait hatten ein positives Image in der amerikanischen Öffentlichkeit. „So bestand die Aufgabe der Bush-Regierung im Sommer 1990 darin, ‘den amerikanischen Medien zwei Bilder zu verkaufen – ein hässliches von Hussein und ein schönes von Kuwait’.“ (MacArthur zitiert nach Beham 1996: 107) Mit der Erfüllung dieser Aufgabe wurde die amerikanische PR-Firma Hill & Knowlton beauftragt, die ihre Sache wirklich gut machte. Sie kreierte ein Opfer-Täter-Schema für die US-Regierung, Saddam Hussein wurde zum neuen Hitler dämonisiert und der bevorstehende Krieg der USA gegen den Irak wurde zum „moralischen Kreuzzug von Gut gegen Böse“ (Beham 1996: 107) stilisiert. Was jedoch die amerikanische Bevölkerung und die Weltöffentlichkeit letztendlich für den Krieg gegen den Irak mobilisierte, war die so genannte „Brutkasten-Story“. Danach hätten irakische Soldaten in einem kuwaitischen Krankenhaus 312 Babys aus ihren Brutkästen genommen und auf den kalten Boden geworfen, wo sie gestorben seien. Der Ursprung der Story war zunächst unklar, doch wurde sie, wie auch die Dämonisierung Husseins durch die US-Regierung, von den amerikanischen Medien ungeprüft übernommen und verbreitet. Öffentlichkeitswirksam wurde die „Brutkasten-Story“ aber erst, als das 15-jährige Mädchen Nayirah dem US-Kongress als Zeugin für die vermeintliche irakische Gräueltat vorgeführt wurde. Die Bilder dieses emotionalen Auftritts wurden von Hill & Knowlton an 700 Fernsehstationen rund um den Globus gesendet und taten ihre Wirkung. Als Amnesty International die Story in einer Pressemitteilung übernahm und ihr damit Glaubwürdigkeit verlieh, war die öffentliche Meinung von der Richtigkeit einer Intervention überzeugt und die UNO ermächtigte mit ihrer Resolution die USA zum Krieg gegen den Irak. Erst zwei Jahre später stellte sich heraus, dass Nayirah die Tochter des kuwaitischen Botschafters in Washington und die „Brutkasten-Story“ von Hill & Knowlton[51] frei erfunden und inszeniert worden war, um den Golfkrieg zu legitimisieren (vgl. Beham 1996 153ff., Young/Jesser/ 1997: 158ff., Knightley 2004a: 483ff.).
Als am 15. Januar 1991 das Ultimatum für den Irak zum Truppenabzug aus Kuwait ablief, begann eine weltweite Inszenierung des Krieges durch die Medien. Der Kriegsbeginn wurde pünktlich auf den Beginn der Prime Time[52] des amerikanischen Fernsehens um 18.30 Uhr gelegt und im Fernsehen wurden die Stunden und Minuten bis zum Ablauf des Ultimatums gezählt. Die mobilisierte Weltöffentlichkeit wartete nun gespannt auf Nachrichten und Bilder über „die große Schlacht“. In den Medien blieb diese jedoch aus. „Noch nie haben so viele Journalisten im Fernsehen mit so vielen Worten und Bildern so wenig Informationen geliefert wie in der Berichterstattung über den Krieg am Golf.“ (Mast zitiert nach: Beham 1996: 110) Trotz modernster Satellitentechnik, die eine Fernsehübertragung in nahezu Echtzeit ermöglichte, war der Golfkrieg 1991 von Bilderarmut und Informationsmangel geprägt. Der Hauptgrund dafür war die Informationspolitik der US-Regierung, die die Medien mithilfe der Perfektionierung des „National Media Pool“ – Systems in Kombination mit einer strikten Militärzensur unter Kontrolle zu bringen versuchte. Von den 1600 Journalisten, die in das Kriegsgebiet gereist waren, wurden nur 131 ausgewählte Reporter in 18 Pools zusammengefasst. Bei der Akkreditierung der Pool-Journalisten wurden Reporter aus alliierten Staaten bevorzugt behandelt. Die Pool-Journalisten mussten einen Katalog von Grundregeln akzeptieren, nach dem sie u. a. nicht über Truppenanzahl und -standorte, Waffensysteme, die Wirksamkeit feindlicher Angriffe und alliierte Verluste berichten durften (vgl. Schrader 2002: 50ff.). Zudem wurden sie von Presseoffizieren auf Schritt und Tritt begleitet. Interviews mussten in Anwesenheit militärischer Aufpasser geführt werden. Die Pool-Journalisten wurden an vom Militär ausgewählte Kriegsschauplätze gebracht, an denen sie filmen durften. Die Filmbeiträge mussten der US-Militärbehörde vorgelegt werden, die vor allem drei Bildinhalte zensierte: 1. Fotos von getarnten Radaranlagen, 2. Einstellungen, die einen Scud-Angriff zusammen mit dem Horizont zeigten und 3. Bilder von Fahrzeugen mit einem umgekehrten V-Zeichen[53] darauf (vgl. Löffelholz 1993c: 145-148). Die fertig zensierten Berichte standen dann auch allen anderen Journalisten zur Verfügung. Den Nicht-Pool-Journalisten wurde jeglicher Zugang zum Kriegsschauplatz verwehrt. Sie standen unter strengster Geheimhaltung und höchst eingeschränkter Bewegungsfreiheit, so dass sie auf die zensierten Berichte der Pool-Journalisten und die täglichen Briefings des US-Militärs, in denen auf Videos die Wirkung der so genannten Präzisionswaffen[54] demonstriert wurde, angewiesen waren. Offizielle Begründung für diese Zugangsbeschränkungen war die Gewährleistung der Geheimhaltung von militärischen Operationen und der Sicherheit der Medienvertreter. Inoffiziell jedoch bezweckte die US-Regierung eine US-freundliche Kriegsberichterstattung. Diese Strategie ging auf, denn das Pool-System ließ nur die Sichtweise einer Kriegspartei zu (vgl. Schrader 2002: 50ff.).
Einige kleinere Printmedien und vier Journalisten hatten bereits am 10. Januar 1991 gegen diese Restriktionen der Berichterstattung Klage beim New Yorker Bundesgericht eingereicht, da sie sich in ihrer Presse- und Informationsfreiheit beschnitten sahen und dies für verfassungswidrig hielten. Die Klage wurde jedoch schnell abgewiesen, da sie von den großen Medienanstalten aus Angst vor einem Ausschluss aus dem Pool-System nicht unterstützt wurde. So berichteten alle Medien, was US-Regierung und alliiertes Militär ihnen vorgaben.
[...]
[1] Als „Coalition of the Willing“ wurde von US-Präsident Bush das Bündnis jener 40 Staaten bezeichnet, die die USA in ihrem Bestreben, den Irak anzugreifen, militärisch oder finanziell unterstützten.
[2] Die Begriffe Kriegsberichterstattung, Kriegsjournalismus, Krisenberichterstattung und Konfliktberichterstattung werden in dieser Arbeit synonym verwendet.
[3] auch „Briefings“ genannt
[4] Mit der maskulinen Form „Kriegsberichterstatter“ soll auch die feminine Form der „Kriegsberichterstatterin“ gemeint sein. Jedoch soll in dieser Arbeit auf eine Ausformulierung beider Formen aus Vereinfachungsgründen verzichtet werden.
[5] Englisch: Alleingänger
[6] Vgl. u. a. Löffelholz 1993b: 19ff., Zöllner 2001: 8ff., Bilke 2002: 59ff.
[7] Die Faktoren zur Nachrichtenselektion sind erstmals in Galtung/Ruge 1963 aufgestellt worden.
[8] im Folgenden DJV genannt
[9] Auf eine ausführliche theoretische Diskussion des Begriffs „Wirklichkeit“ bzw. „Realität“ soll an dieser Stelle verzichtet werden, da dies den Rahmen der Arbeit überschreiten würde. Es soll nur darauf hingewiesen werden, dass dieser Begriff in der Literatur ebenfalls kontrovers diskutiert wird, da es nicht die eine Wirklichkeit gibt. Vielmehr ist Wirklichkeit ebenfalls von subjektiven Empfindungen und Eindrücken abhängig.
[10] Hagen ist zwar der Ansicht, dass diese Kriterien zur Objektivität der journalistischen Berichterstattung beitragen, jedoch stellt er zugleich die Machbarkeit der Einhaltung sowie die Messbarkeit der Objektivitätskriterien in Frage. Zur genauen Untersuchung dieser Fragestellung siehe: Hagen 1995: 53ff.
[11] Der Begriff „Zensur“ stammt aus dem Lateinischen (censura = Prüfung, Beurteilung, censere = zensieren) und geht ursprünglich auf die Steuereinschätzung oder Bewertung der steuerpflichtigen und wehrpflichtigen römischen Bürger durch einen censor (ein römisches Amt) zurück.
[12] Zu den ersten, so genannten „neuen Zeitungen“ gehören der Wolfenbütteler Aviso und der Straßburger Relatio, die beide 1609 gegründet wurden und zunächst wöchentlich erschienen. Als die erste deutsche Tageszeitung gilt die Leipziger Einkommende Zeitung, die 1650 entstand und sechsmal wöchentlich erschien. (vgl. Foggensteiner 1993: 29-45)
[13] Zu Beginn des Italienfeldzugs gründete er die Courrier de l'armée d'Italie und ließ dann, finanziert durch Kriegsbeute, ein zweites, La France vue de l'armée d'Italie und ein drittes Blatt Journal de Bonaparte et des hommes vertueux folgen (vgl. Bächtiger 1996).
[14] Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Times mit 40.000 Lesern doppelt so viele Leser wie alle anderen britischen Zeitungen zusammen. Der überwiegende Teil der Leserschaft war sehr gebildet und hatte einen dementsprechend großen politischen Einfluss.
[15] Es gab zwar bereits im mexikanisch-amerikanischen Krieg 1846/47 und im spanischen Bürgerkrieg 1834-39 unabhängige Kriegsberichterstatter (vgl. Young/Jesser 1997: 20-22), jedoch ging Russel als der erste professionelle Kriegsberichterstatter in die Geschichte ein, da er zum einen mit seiner Berichterstattung über den Krim-Krieg journalistische Standards setzte und zum anderen die Probleme der modernen Kriegsberichterstattung thematisierte.
[16] Diesem Problem der mangelnden Augenzeugenschaft sehen sich Kriegsberichterstatter auch heute noch gegenüber.
[17] Tatsächlich starben im Krim-Krieg weitaus mehr Soldaten an Cholera und Malaria als im Kampf.
[18] Zwar gab es die Telegrafie bereits, die die Nachrichtenübermittlung beschleunigte. Jedoch waren die Verbindungen während des Krim-Krieges in Europa noch nicht flächendeckend verfügbar, so dass der Telegraf nur bedingt zum Einsatz kam (vgl. Dominikowski 1993: 37-39).
[19] Die Versuche von Niecèphore Niépce, Louis Daguerre und William Henry Fox Talbot in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts führten schließlich zur Erfindung der Fotografie als Ersatz für die Malerei, die die Natur nur nachahmte, während die Fotografie sie real abbildete.
[20] Die Londoner Times konnte mithilfe ihres kritischen Kriegsberichterstatters Russell ihre Auflage während des Krim-Krieges um ein Drittel erhöhen.
[21] Allein im Osten der USA waren insgesamt 50.000 Meilen Übertragungsstrecke in Gebrauch, obwohl die Benutzung der Leitungen ziemlich teuer war (vgl. Knightley 2004a: 19-41).
[22] Zur Bedeutung von Informationen, politischen Reden und Büchern für das politische und soziale Handeln der amerikanischen Bevölkerung und der Veränderung durch neue Medien wie Telegraf und Fernseher siehe Postman 1988.
[23] Die New Yorker Zeitungen konnten während des Sezessionskrieges ihre Auflagen verfünffachen. (vgl. Beham 1996: 11-24)
[24] Eine Praxis, die in den folgenden Kriegen weiter verfeinert wurde und bis zum heutigen Tage in militärischen Pressebriefings fortgesetzt wird.
[25] Die bedeutendste amerikanische Nachrichtenagentur, die Associated Press, wurde zwar bereits 1848 gegründet, hatte aber noch mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen.
[26] Die Nordstaaten entsandten Korrespondenten nach Großbritannien, die heimlich Berichte für die britische Presse schrieben, um so die britische Regierung an einer Intervention zugunsten der Südstaaten zu hindern. Die Südstaaten versuchten die britischen Journalisten direkt zu beeinflussen, gerade um eine solche Intervention hervorzurufen.
[27] Bei Young/Jesser dauert das „Goldene Zeitalter“ der Kriegsberichterstattung von 1860 bis 1910, d. h. er zählt den amerikanischen Sezessionskrieg bereits zum „Goldenen Zeitalter“ (vgl. Young/Jesser 1997: 24-31).
[28] In Großbritannien verdoppelte sich die Zahl der Zeitungen in dem Zeitraum von 1880 bis 1890 (vgl. Knightley 2004a: 43-81).
[29] Bis dahin wurden Zeitungen von so genannten „war artists“ mit Schlachtszenen illustriert.
[30] „‘Scoop’ kommt aus dem Englischen und bedeutet soviel wie Erstmeldung, Exklusivmeldung oder Knüller.“ (Beham 1996: 11)
[31] Bisher war man der Auffassung, dass die Infanterie kriegsentscheidend sei. Jedoch änderte sich diese Auffassung bereits im preußisch-französischen Krieg zugunsten der Artillerie.
[32] Die Pressefreiheit in Deutschland war vom deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck im Mai 1874 im Reichspressegesetz gesetzlich festgeschrieben worden.
[33] Diese beiden Kriegsberichterstatter waren ein Paradebeispiel für die Gruppe der unilaterals (engl.: Alleingänger), die das Militär ignorierten und auf eigene Faust recherchierten.
[34] Diese „Augenzeugenberichte“ verschwiegen Niederlagen und Verluste. Swinton hatte genaue Anweisungen von der britischen Regierung, was er schreiben durfte und was nicht (vgl. Young/Jesser 1997: 31-35). Ein ähnliches System wurde auch in Frankreich während des Ersten Weltkrieges praktiziert: jedem Regiment wurde ein Informationsoffizier zur Seite gestellt, der für die französische Regierung „Augenzeugenberichte“ von der Front verfasste.
[35] Diese Art der Akkreditierung war zu diesem Zeitpunkt ein Novum und kann als eine frühe Form des im Irak-Krieg 2003 praktizierten embeddings von Journalisten in die Armee bezeichnet werden, worauf in Kapitel 4 näher eingegangen wird.
[36] englische Abkürzung für General Head Quarter (Generalhauptquartier)
[37] In Großbritannien war der größte Teil der Bevölkerung zunächst gegen den Krieg, so dass der britischen Regierung dieses Ereignis sehr gelegen kam, um die britische Kriegsmoral zu steigern und Menschen für die Front und die Kriegsindustrie zu rekrutieren (vgl. Knightley 2004a: 83-146).
[38] Auch die deutsche Propaganda verbreitete Gräueltaten vor allem über die russischen Truppen, um die deutsche Bevölkerung zum Kämpfen zu motivieren.
[39] Eine Reihe von Erfindungen durch Guglielmo Marconi und Ferdinand Braun ermöglichte im Ersten Weltkrieg erstmals den Einsatz der Funktelegrafie, also der Übertragung von Nachrichten durch elektromagnetische Wellen, in größerem Umfang. Zunächst wurde die Technik vor allem für die militärische Kommunikation eingesetzt. Im Zweiten Weltkrieg bekam die weiterentwickelte Funktechnik im Rundfunk ihre massenmediale Bedeutung.
[40] Bereits im Ersten Weltkrieg wurden regelmäßig Wochenschauen produziert, um die deutsche Bevölkerung zum Durchhalten zu bewegen. Jedoch hatte man zu dieser Zeit den Tonfilm noch nicht erfunden, so dass die Wochenschauen durch Sprecher kommentiert werden mussten, um die Bilder in den richtigen Kontext zu setzen.
[41] Beide Werke wurden von den Nazis finanziert. Leni Riefenstahl beteuerte bis zu ihrem Tod im Jahr 2003 immer wieder, dass ihre Filme ästhetische Dokumentarfilme und keine Nazi-Propaganda seien.
[42] Ein preiswertes Gerät, das von Goebbels bereits 1933 in Auftrag gegeben wurde, um möglichst jeden deutschen Haushalt mit einem Rundfunkgerät auszustatten.
[43] Im Jahr 1943 waren ca. 2000 Journalisten verschiedenster Medien in 13 Propagandakompanien organisiert.
[44] Über den Aspekt einer Zensur der Kriegsberichterstatter in Vietnam ist sich die Literatur nicht einig. Laut Foggensteiner gab es eine Militärzensur über bestimmte Frontabschnitte und im Verlauf des Krieges wurden den mit Uniformen bekleideten Journalisten Aufpasser zur Seite gestellt, die sie auf Schritt und Tritt begleiteten (vgl. Foggensteiner 1993: 79f.). Dominikowski hingegen erläutert, dass die Journalisten nur militärische Grundregeln der Geheimhaltung zu beachten hatten, jedoch sonst keinerlei Beschränkungen in ihrer Berichterstattung unterlagen (vgl. Dominikowski 1993: 44ff.). Diese Arbeit geht davon aus, dass zwar eine Militärzensur eingeführt wurde, diese jedoch aufgrund der örtlichen Begebenheiten nur schwer oder überhaupt nicht durchzusetzen war.
[45] Kritik übten sie jedoch nicht an der Intervention selbst und schon gar nicht daran, dass nie eine Kriegserklärung erfolgt ist (vgl. Knightley 2004a: 409ff.).
[46] benannt nach dem Beginn der Offensive am vietnamesischen Neujahrstag
[47] Im Jahre 1971 wurden mehr Zivilisten getötet als in den gesamten Kriegsjahren zuvor (vgl. Knightley 2004a: 431ff.). Zudem weitete sich der Krieg auf Laos und Kambodscha aus.
[48] Fernsehen und Fernsehsendungen gab es an sich bereits seit den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, jedoch war die Industrie noch nicht auf eine Massenproduktion eingestellt. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich das Fernsehen langsam zum Massenmedium. In den USA waren 1968/69 ca. 100 Millionen Haushalte mit einem Farbfernsehgerät ausgestattet (vgl. Wikipedia 2004c; Knightley 2004a: 453).
[49] In Argentinien durfte die Presse nur über das berichten, was ihr von der Regierung ausdrücklich mitgeteilt wurde (vgl. Knightley 2004a: 477ff.).
[50] Grenada war zu diesem Zeitpunkt ein sowjetischer Militärstützpunkt und Waffenlager für die Sowjetunion und Kuba. Erst während des Golfkrieges 1991 wurde das inoffizielle Kriegsziel bekannt gegeben. Danach beabsichtigte die US-Regierung die Installation einer US-freundlich gesinnten Regierung auf Grenada (vgl. Beham 1996: 93ff.)
[51] Hill & Knowlton bekamen für ihre PR-Kampagne 12 Millionen US-Dollar von der kuwaitischen Regierung (vgl. Young/Jesser 1997: 172).
[52] Der Begriff Prime Time (engl.: wichtigste Zeit) bezeichnet die beste Sendezeit des Fernsehens. Für jede Zielgruppe wird eine spezifische Prime Time ermittelt. Hier ist die Prime Time für das Publikum der Abendnachrichten gemeint.
[53] Dieses so genannte „friendly-sign“ hatten alle alliierten Fahrzeuge, so dass die feindlichen Fahrzeuge identifiziert und beschossen werden konnten.
[54] Mit dem Einsatz dieser Präzisionswaffen wurde anfangs für den Golfkrieg geworben, da zivile Opfer angeblich ausgeschlossen werden konnten. Tatsächlich wurden aber nur 10 Prozent solcher Waffen eingesetzt und der Golfkrieg forderte bis zu 100.000 zivile Opfer (vgl. Wikipedia 2004d).
- Arbeit zitieren
- Sandra Dietrich (Autor:in), 2005, Embedded journalists und Kriegsberichterstattung. Zukunftsweisende Strategie oder fragwürdige Wirklichkeitskonstruktion für die Medien?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39315
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