Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Abtei von Thélème aus dem Werk Rabelais’ „Gargantua et Pantagruel“ in Hinsicht auf deren utopischen Charakter. Ausgangspunkt ist eine Annäherung an den Utopiebegriff sowohl allgemein als auch in Bezug auf die französische Renaissance. Daran anschließend werden verschiedene Interpretationsansätzen analysiert. Die Arbeit soll einen allgemeinen Überblick über die Utopieforschung verschaffen und sich speziell mit der Abtei von Thélème auseinander setzen, die am Ende des Werks „Gargantua“ zu finden ist.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Begriff der Utopie
2.1. Entstehung des Begriffs
2.2. Forschungssituation
2.2.1. Erscheinsformen des Utopischen
2.2.2. Utopische Denkweise und Bewußtseinsform
2.3. Die literarische Utopie in der französischen Renaissance
3. Die Abtei von Thélème - eine Zusammenfassung
4. Interpretationsansätze
4.1 Real-historischer Interpretationsansatz am Beispiel Thierry Pechs "Fais ce que voudras" (1998)
4.2 Interpretationsansatz unter stärkerer Berücksichtigung des komischen Elementes in Rabelais' Werk
4.3 Hausmanns Ansatz als Versuch der Balance
4.4 Die Architektur der Abtei
5. Einordnung der Abtei von Thélème in die Literaturgeschichte der französischen Utopie
6. Zusammenfassung
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In der folgenden Arbeit soll sich mit der Abtei von Thélème aus dem Werk Rabelais’ „Gargantua et Pantagruel“ beschäftigt werden in Hinsicht auf deren utopischen Charakter. Ausgangspunkt ist eine Annäherung an den Utopiebegriff sowohl allgemein als auch in Bezug auf die französische Renaissance. Daran anschließend soll sich mit verschiedene Interpretationsansätzen auseinandergesetzt werden. Die Arbeit soll einen allgemeinen Überblick über die Utopieforschung verschaffen und sich speziell mit der Abtei von Thélème auseinander setzen, die am Ende des Gargantuas zu finden ist.
2. Der Begriff der Utopie
2.1. Die Entstehung des Begriffs
Der Begriff der Utopie leitet sich von dem 1526 erschienen literarischen Werk „Utopia“ des englischen Lordkanzlers Thomas Morus ab. Das griechische Wort, das soviel wie Nichtland oder Nirgendland bedeutet, findet durch Morus eine humanistische Neubildung. Bei seinem idealtypischen Werk handelt es sich um einen Text,
[...]in dem ein nach optimalen politischen, ökonomischen und ethischen Prinzipien funktionierendes Gemeinwesen unter Verwendung spezifischer Topoi und Erzählelementen wie Insularismus, Agrarkommunismus, zentrale Güterverteilung, Rahmenhandlung mit Reise und Schiffbruch usw. romanhaft dargestellt wird.
( Enzenberger 1981; 43 ).
Im Verlauf der Literaturgeschichte wird der Begriff jedoch ausgeweitet und es herrscht bis in die Gegenwart Unklarheit über eine Definition und die Begrifflichkeit. Einige Literaturwissenschaftler wie beispielsweise Hiltrud Gnüg verwenden den einengenden Begriff des utopischen Romans, der jedoch einzelner als utopisch anzusehende Texte ausschließt und als nicht exakt gewertet werden kann. Etwas weiter gefasst ist hier der verbreitete Ausdruck der literarischen Utopie, der die Gattung des Romans nicht in den Vordergrund stellt, sondern in einem allgemeineren Bereich verbleibt. Der allumfassende Begriff der Utopie, den beispielsweise Ernst Bloch als den einzig möglichen sieht, um dem Gegenstand gerecht zu werden, ist bei der Auseinandersetzung mit dem literarischen Werk Rabelais’ jedoch zu allgemein, da durch diese Ausuferung des Begriffs eine Konsensbildung noch erschwert wird.
Auf eine einheitliche Definition der literarischen Utopie kann bis zu diesem Zeitpunkt nicht zurückgegriffen werden. „Wichtig erscheint jedoch der Aspekt, das weniger die formalästhetischen Aspekte des Textes ausschlaggebend sind, sondern vielmehr die Intention, die mit diesem verfolgt wird„ ( Horkheimer In: Neusüss,1968; 186). Eine Eigenheit der literarischen Utopie ist, dass ein Gegenbild bzw. eine Gegenwelt mit einer als ideal verstandenen Gesellschaftsordnung, in der die Konflikte und Probleme der Realität gelöst sind, entworfen wird, um damit Kritik an der Wirklichkeit zu üben.
2.2. Forschungssituation
Das Problem der Utopie und ihre Gattungsproblematik ist Thema zahlreicher wissenschaftlicher Auseinandersetzungen mit den unterschiedlichsten Schlußfolgerungen. Zwei extreme Standpunkte sollen diese Situation deutlich machen. So argumentiert Christian Enzenberger, dass die Utopie „keinen literaturfähigen Gegenstand“ darstellt und bringt somit seine ablehnende Haltung gegenüber der literarischen Utopie zum Ausdruck ( Enzenberger 1981; 45). Hingegen geht Gert Ueding mit seiner programmatischen Aussage“ Literatur ist Utopie“ in die völlig entgegengesetzte Richtung ( Ueding 1978;9).
Das Problem bei der Beschäftigung mit der Utopie ist, dass keine einheitlich anerkannte Definition existiert, die als Basis einer Diskussion stehen könnte. Arnim Neusüss setzt diese Erkenntnis an den Anfang einer Auseinandersetzung mit dem Begriff der Utopie. „ Es gibt keinen Konsens über die Bedeutung des Begriffs, und dennoch vermag dieser Begriff, ein bloßes Wort, einen Zusammenhang zu stiften: den einer Kontroverse um seine Bedeutung. Diese seltsame Erscheinung dieses Streites ohne greifbaren Gegenstand, einer Auseinandersetzung um ein bloßes Wort, läßt sich wohl nur mit der Vermutung vernünftig erklären, dass dieses Wort eben doch von Vorstellung umhüllt ist, die es vor allem Streit um seine Bedeutung bedeutungsvoll machen. Allen Kontroversen um das, was es bezeichnen soll, zum Trotz scheint es einen ziemlich festgelegten und allgemein anerkannten Sinn zu besitzen und immerhin ein soweit Bestimmtes zu meinen, dass eine Kontroverse überhaupt möglich ist und also in Wirklichkeit um das geführt wird, was dieses Wort vorab schon meint. Der Streit um das Bezeichnete wird auf die Ebene eines Streites um die Bezeichnung verschoben“( Neusüss 1968;31).
Allgemein können in der entwickelten Forschung zwei Varianten bei der Herangehensweise der Gattungsproblematik der Utopie erkennen. Dies ist natürlich vereinfacht, soll aber die Einordnung einzelner Forschungsbeiträge erleichtern. Die erste Richtung ist in diesem Zusammenhang eine starke Orientierung am literarischen Phänomen, die zweite eine Auseinandersetzung mit den der literarischen Konzeption übergeordneten Aspekten.
2.2.1. Erscheinungsformen des Utopischen
In den frühen Arbeiten wird klar an einer literarisch definierten Utopie festgehalten. Jedoch präsentieren die konservativen Autoren des 19. Jahrhunderts die Utopie zu einer Belustigung des Lesers. Dabei ist das Kriterium der Realisierbarkeit ausschlaggebend. Robert von Mohl wird hier als einer der Ersten angesehen, der sich Mitte des 19. Jahrhunderts mit den bekanntesten Utopisten auseinandersetzte und eine historisch-deskriptive Entwicklungsgeschichte der utopischen Literatur schrieb. Er kommt in seinen Ausführungen zu dem Schluß, dass die literarische Form bei der Utopie nicht entscheidend ist sondern eher überflüssiges Beiwerk. Der “häufig sehr geringe Werth der Erfindung und Einkleidung“ kann somit nur durch den Inhalt ausgeglichen und wertvoll gemacht werden (Mohl In: Kuon 1982;7). Doch selbst diesen hält er zum Großteil für „unhaltbar“(Mohl In: Kuon 1982; 8). Ursache dafür ist aber vor allem eine falsche Herangehensweise, indem Robert von Mohl die zeitliche Differenz zwischen der Gegenwart und der Zeit der Utopisten nicht ausreichend berücksichtigte.
Ein weiterer Vertreter derjenigen, die der utopischen Literatur lediglich einen mehr oder weniger inhaltlichen Stellenwert zuerkennen ist Wolfgang Biesterfeld, der sich in jüngerer Zeit mit dem Begriff der Utopie auseinander gesetzt hat. „Die Dürftigkeit der Utopie unter dem Ausdruck des „sprachlichen Kunstwerks“ darf nicht ihre eminent wichtige Thematik vergessen lassen: die der möglichen Gesellschaft.“ Im weiteren Verlauf seiner Arbeit bestimmt er einzelne formale Konstituenten, die seiner Meinung nach den Begriff der Utopie prägen und ein literarisches Werk als utopisch determinieren.
Diese Definition der literarischen Utopie über einzelne Merkmale wird jedoch von einer Vielzahl von Wissenschaftlern mittlerweile nicht mehr akzeptiert und durch eine weitere Begriffsfassung ersetzt. Neusüss argumentiert dabei, dass das Gemeinsame der Utopie
[...]nicht in [...] Ähnlichkeiten positiver Zukunftsbilder - solche Ähnlichkeiten dürften kaum einsichtig abzugrenzen sein - , sondern in der kritischen Negation der bestehenden Gegenwelt im Namen einer glücklicheren Zukunft, die noch so verschieden ausgemalt sein mag (liegen). Deshalb kann sich die utopische Intention auch da ausdrücken, wo auf Zukunftsbilder verzichtet wird.
(Neusüss 1968; 32).
Eine Theorie, die sich aus einer Vielzahl von Argumentationen entnehmen lässt, ist das die literarische Utopie eine Entwicklung vollzogen hat von des noch dokumentarähnlichen Werkes eines Thomas Morus hin zu einer mit vermehrten narrativen Elementen verbundenen Literatur. Es vollzieht sich sozusagen eine Evolution der literarischen Utopie, die durch eine Episierung gekennzeichnet ist. Falsch ist es jedoch nach Auswertung des umfangreichen Materials aussschließlich bei dieser Entwicklung von einem utopischen Roman als literarische Gattung zu sprechen. Zum einen ist dies erst das Ergebnis einer Episierung , zum anderen wird nach heutigem Stand der Forschung der Roman nicht mit der literarischen Utoie gleichgesetzt, sondern lediglich als die häufigste benutzte Form angesehen. Jedoch gibt es auch in der Dramatik utopische Elemente, wie Winter in seiner Arbeit „Compendium“I feststellt. Somit darf nicht durch die ausschließliche Verwendung des Begriffs „ utopischer Roman“, wie es beispielweise Hiltrud Gnüg in ihren Ausführungen praktiziert hat, ausgeschlossen werden.
Die jüngere Utopieforschung der letzten Jahre hat sich nun in Bezug auf die literarisch definierte Utopie mit der Ästhetik der einzelnen literarischen Werke beschäftigt. In Stockingers „Ficta Republica“ von 1981 als auch in Kuons „Utopischer Entwurf und fiktionale Vermittlung“ von 1986 wird dabei versucht, den Begriff der literarischen Utopie so weit wie möglich einzugrenzen, um einer Ausuferung des Utopiebegriffs entgegenzuwirken und eine drohende Sinnentleerung zu verhindern. Diese Autoren gehen also von einem streng philologisch geprägten Utopiebegriff aus, um erst später den Begriff langsam auszuweiten. Diese Überlegung macht Stockinger in folgender Überlegung deutlich.
Wo man den Begriff einer „utopischen Darstellungsweise“ allgemeiner Art entwickeln möchte, müßte er sinnvollerweise aus dem Begriff der utopischen Erzählung entwickelt werden. Dieser Begriff müßte das Merkmal der Poetizität, das der kritischen Intention und das einer grundlegend von der Erfahrungswirklichkeit abweichenden Fiktion aufweisen. Erweiterungen erden demnach zunächst einmal nur bei der Thematik möglich. Die nächste Frage, die über die utopische Erzählung hinausgeht, wäre somit an Texte gestellt, die unabhängig von ihrer Thematik durch die Darstellung von fiktiven Wirklichkeiten mit eigenen Strukturgesetzen Kritik an der Erfahrungswirklichkeit hervorrufen wollen.
(Stockinger 1981; 98f.)
2.2.2. Utopische Denkweise und Bewußtseinsform
Neben den rein philologisch definierten Utopiebegriff hat sich in der Forschung eine Begriffsbestimmung auf einer übergeordneteren Form herausgebildet. Dabei lassen sich zwei Grundtendenzen erkennen, die der utopischen Logik und Denkweise und die des utopischen Bewußtseins.
Zu ersterem haben vor allem Hans Freyer und Raymond Ruyer wichtige Beiträge geliefert. Freyer kommt in seinem Aufsatz „Das Problem der Utopie“ von 1920 und in „ Die politische Insel“ von 1936 zu dem Schluß, dass sich bestimmte Wesenszüge des utopistischen Denken beobachten lassen, die er als Logik der Utopie zusammenfaßt. Die drei wesentlichsten Kennzeichen sind dabei, dass es sich bei er Utopie um ein geschlossenes Gebilde handelt, dass durch ein dynamisches Gleichgeweicht der konstituierenden Kräfte bestimmt ist und das gegen jegliche äußere Einflüsse geschützt ist. Von diesen Wesenzügen ausgehend lassen sich konkrete Utopien und inhaltlich und formal ableiten. Somit wird die Utopie von Freyer als eine Art Gedankenexperiment umschrieben, das durch einen konkreten Korpus gebunden ist. Raymond knüpft in „L’Utopie et les Utopistes“ von 1950 an die Unterscheidung Freyers von Utopie und utopischen Denken an. Er ist aber der Ansicht, dass weder der Inhalt noch die Form der Utopie deren Essenz, sondern diese allein in dem zugrundeliegenden Denkverfahren dem „mode utopique“ besteht (Freyer 1936). Dabei werden bestimmte Parameter der Erfahrungswirklichkeit in einem Denkverfahren verändert und eine partielle Vorstellungswirklichkeit geschaffen. Die literarische Utopie weitet diese dann zu einer vollständigen, alle individuellen und sozialen Funktionen umfassenden Welt aus.
[...]
- Citation du texte
- Ulrike Häßler (Auteur), 2002, Utopie - Die Abtei von Thélème in Rabelais' "Gargantua et Pantagruel", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39219
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