Zum ersten Mal begegnete ich der Thematik der systemischen Familientherapie, während meiner Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin, im Fach Hort- und Heimpädagogik. Schon damals faszinierte mich die systemische Betrachtungsweise sowie der entsprechende Erklärungsansatz und das daraus resultierende Verständnis. Während meiner Ausbildung hatte ich die Möglichkeit den systemischen Ansatz in der Eltern- und Familienarbeit nicht nur theoretisch/faktisch zu erfahren, sondern in der direkten Begegnung mit den unterschiedlichsten Familien praktisch umzusetzen. Somit wurde ich mit dieser interessanten und wichtigen Sichtweise im pädagogischen und therapeutischen Arbeiten sehr schnell vertraut und konfrontiert und habe diese in mein berufliches Arbeiten mehr und mehr integriert. Der Bericht von Dr. Marie-Luise Conen „Wenn Heimerzieher zu nett sind... Heimkinder im Loyalitätskonflikt zwischen Eltern und Erziehern“, welchen ich im Rahmen des Faches Hortund Heimpädagogik bearbeitet habe, verdeutlichte mir sehr eindrucksvoll, wie bedeutend es von Seiten des Therapeuten oder auch Pädagogen ist, die Familie als ein soziales System zu betrachten, in dem alle Familienmitglieder über Kommunikation und Interaktion miteinander verbunden sind. Gerade in meinem Anerkennungsjahr habe ich sehr viele unterschiedliche Familien und ihre Art zu kommunizieren sowie interagieren kennen gelernt. Da ich in einer Rehabilitationsklinik für krebskranke Kinder- und Jugendliche, sowie deren Familien für ein ganzes Jahr gearbeitet habe, war es mir möglich zu erfahren, wie sich die Krebserkrankung eines Kindes auf das gesamte Familiensystem auswirkt und welche Verhaltensmuster damit verbunden sind. Die Geschwister des krebserkrankten Kindes zeigten sehr häufig auffällige Verhaltensweisen, wie regressive Verhaltenszüge (wieder einnässen, einkoten...) oder depressive Verstimmungen, welches sie vor der Erkrankung des Geschwisters nicht gezeigt hatten. Somit kann gesagt werden, dass die lebensbedrohliche Krankheit nicht nur für das unmittelbar betroffenen Kind oder den Jugendlichen eine sehr große Lebenskrise darstellte, sondern ebenso auf die anderen Familienmitglieder immense Auswirkungen hatte. In meiner Hausarbeit werde ich mich intensiv mit dem Thema der systemischen Familientherapie befassen, da ich mein Wissen und meine bisherigen praktischen Erfahrungen erweitern und ausbauen möchte. [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Motivation zur Themenwahl
1.2. Fragestellungen und Zielsetzung
1.3. Eingrenzung der Thematik
1.4. Aufbau der Arbeit
2. Systemtheoretische Aspekte der Familientherapie
2.1. Die Entwicklung der systemischen Familientherapie
2.2. Verschiedenen Schulen und Modelle der systemischen Familientherapie
2.3. Definition des Begriffes „ systemische Familientherapie“
3. Grundlagen der systemischen Familientherapie
3.1. Hypothetisieren
3.2. Zirkularität
3.2.1. Formen der zirkulären Befragung
A) Fragen nach Unterschieden
B) Fragen nach der Wirklichkeitskonstruktion
C) Fragen nach der Möglichkeitskonstruktion
3.3. Neutralität
4. Das Erstgespräch
5. Persönliche Reflexion
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
1. 1 Motivation zur Themenwahl
Zum ersten Mal begegnete ich der Thematik der systemischen Familientherapie, während meiner Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin, im Fach Hort- und Heimpädagogik.
Schon damals faszinierte mich die systemische Betrachtungsweise sowie der entsprechende Erklärungsansatz und das daraus resultierende Verständnis. Während meiner Ausbildung hatte ich die Möglichkeit den systemischen Ansatz in der Eltern- und Familienarbeit nicht nur theoretisch/faktisch zu erfahren, sondern in der direkten Begegnung mit den unterschiedlichsten Familien praktisch umzusetzen. Somit wurde ich mit dieser interessanten und wichtigen Sichtweise im pädagogischen und therapeutischen Arbeiten sehr schnell vertraut und konfrontiert und habe diese in mein berufliches Arbeiten mehr und mehr integriert.
Der Bericht von Dr. Marie-Luise Conen „Wenn Heimerzieher zu nett sind... Heimkinder im Loyalitätskonflikt zwischen Eltern und Erziehern“, welchen ich im Rahmen des Faches Hort- und Heimpädagogik bearbeitet habe, verdeutlichte mir sehr eindrucksvoll, wie bedeutend es von Seiten des Therapeuten oder auch Pädagogen ist, die Familie als ein soziales System zu betrachten, in dem alle Familienmitglieder über Kommunikation und Interaktion miteinander verbunden sind. Gerade in meinem Anerkennungsjahr habe ich sehr viele unterschiedliche Familien und ihre Art zu kommunizieren sowie interagieren kennen gelernt. Da ich in einer Rehabilitationsklinik für krebskranke Kinder- und Jugendliche, sowie deren Familien für ein ganzes Jahr gearbeitet habe, war es mir möglich zu erfahren, wie sich die Krebserkrankung eines Kindes auf das gesamte Familiensystem auswirkt und welche Verhaltensmuster damit verbunden sind. Die Geschwister des krebserkrankten Kindes zeigten sehr häufig auffällige Verhaltensweisen, wie regressive Verhaltenszüge (wieder einnässen, einkoten...) oder depressive Verstimmungen, welches sie vor der Erkrankung des Geschwisters nicht gezeigt hatten. Somit kann gesagt werden, dass die lebensbedrohliche Krankheit nicht nur für das unmittelbar betroffenen Kind oder den Jugendlichen eine sehr große Lebenskrise darstellte, sondern ebenso auf die anderen Familienmitglieder immense Auswirkungen hatte.
In meiner Hausarbeit werde ich mich intensiv mit dem Thema der systemischen Familientherapie befassen, da ich mein Wissen und meine bisherigen praktischen Erfahrungen erweitern und ausbauen möchte. Da ich mir vorstellen kann, später in diesem therapeutischen Feld zu arbeiten ist meine Motivation zum Bearbeiten dieser Thematik recht hoch. Außerdem halte ich es für meine weitere berufliche Laufbahn im Allgemeinen sehr förderlich, die Mechanismen im Familiensystem zu erfassen sowie diese mit der Familie gemeinsam zu deuten und adäquat mit dem System in eine konstruktive therapeutische Beziehung zu treten.
1. 2 Fragestellungen und Zielsetzung
Meine Hausarbeit beschäftigt sich eingehend mit dem Thema der systemischen Familientherapie. In den weiteren Kapiteln lege ich einen besonderen Augenmerk auf die Beantwortung und Bearbeitung folgender wichtiger Fragen im Zusammenhang mit meiner Thematik:
- Wie und woraus entwickelte sich die systemische Familientherapie?
- Welche Schulen und Modelle dieser Therapie gibt es?
- Was wird unter dem Begriff der „systemische Familientherapie“ genau verstanden und welche Funktion hat sie?
- Was sind die wesentlichen methodischen Grundlagen und Prinzipien der systemischen Familientherapie und Beratung?
- Welche Erfahrungen habe ich im Umgang und in der Auseinandersetzung mit dieser Thematik gemacht (Persönliche Reflexion)?
Ziel meine Hausarbeit ist es, wie bereits in Punkt 1.1 erwähnt, mein vorhandenes Wissen - in Bezug auf die gewählte Thematik - zu erweitern und neue wesentliche Erkenntnisse in der Auseinandersetzung mit der systemischen Familientherapie zu gewinnen.
1.3 Eingrenzung der Thematik
Die Familientherapie und die damit verbundenen Aspekte kann aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Obwohl sicher alle spannend zu bearbeiten wären, habe ich mich für die systemische Sichtweise im Rahmen der Familientherapie entschieden und somit die Bearbeitung des Themas eingeschränkt. Ich begrenze mich bei der Erläuterung dieser Therapieform auf einige der wichtigsten methodischen Grundbegriffe und Überlegungen. Die Gesamtheit der systemischen Familientherapie darzustellen, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Somit kann gesagt werden, dass es mir in der Bearbeitung hauptsächlich darum geht, die systemische Therapieform und deren Verständnis so zu erläutern, dass sie gut zu verstehen und auch adäquat in die Praxis umzusetzen ist. Da es sehr viele verschiedene Bücher zum Thema „systemische Familientherapie“ gibt, habe ich mich bewusst für diejenigen Bücher entschieden, welche einen wesentlichen Überblick über die Thematik liefern und zudem auch gut zu bearbeiten sind.
1.4 Aufbau der Arbeit
Um eine Einführung in das weite Feld der systemische Familientherapie zu liefern, werde ich meine Hausarbeit so aufbauen, dass stets der „rote Faden“ gegeben ist.
Zu Beginn gebe ich einen kurzen Überblick über die Entstehung und Ursprünge, sowie über einzelne Richtungen der systemischen Familientherapie. In diesem Zusammenhang soll auf die begriffliche Definition dieser Therapieform näher eingegangen werden.
Im Weiteren geht es mir darum, verschiedene grundlegende Begriffe der systemischen Familientherapie, explizit zu erläutern und beispielhaft einige Techniken aufzeigen (Hypothetisieren, zirkuläres Fragen...).
Anschließend werde ich mich mit dem Erstgespräch in der systemischen Familientherapie befassen, da ich der Meinung bin, dass das methodische Vorgehen in diesem Gespräch, einen bedeutenden Aspekt für einen konstruktiven Therapieverlauf darstellt. Da ich jedoch den rahmen meiner Hausarbeit nicht sprengen möchte, werde ich nur die wesentlichsten Prinzipien näher erläutern
Abschließend setze ich mich mit der bearbeiteten Thematik kritisch auseinander und gehe explizit auf meine Erfahrungen hinsichtlich der Auseinandersetzung mit diesem Thema ein. Es soll transparent werden, welche Aspekte der systemischen Familientherapie für das konstruktive Arbeiten von wesentlicher Bedeutung sind und worauf im therapeutischen Gespräch ein besonderes Augenmerk gelegt werden muss.
Zum Aufbau der Hausarbeit möchte ich noch erwähnen, dass ich zur Vereinfachung bewusst darauf verzichte, jedes Mal die weibliche und die männliche Schreibweise zu verwenden. Deshalb beschränke ich mich in meiner Hausarbeit auf die „übliche“ männliche Form. Die Leserin ist jedoch in jedem Fall genauso angesprochen wie der Leser.
2. Systemtheoretische Aspekte der Familienthe rapie
2.1 Die Entwicklung der systemischen Familientherapie
In den fünfziger Jahren begannen erste Pioniere, das gewohnte Feld der Einzel- oder Gruppentherapie zu verlassen und mit Familien zu arbeiten. Somit war der Anfang für die Entwicklung der Familientherapie gelegt.
Allerdings mag Historikern vorbehalten bleiben herauszufinden, wer den Begriff „Familientherapie“ erfunden hat. Als einer der wichtigsten Mentoren der Familientherapie gilt jedoch Bateson. Der historische Markstein kann mit der Publikation „Toward a theory of schizophrenia“ (Bateson et al., 1956; in: Ewald Johannes Brunner: Grundfragen der Familientherapie, 1985) bezeichnet werden. Die systemische Denkweise findet sich bei Bateson jedoch schon vor diesem Datum, etwa, als er in Zusammenhang mit ethnologischen Studien in den dreißiger Jahren symmetrische und komplementäre Kommunikationsmuster beschrieb. Die Verbreitung des systemischen Familientherapiekonzeptes hängt jedoch nicht nur mit Batesons Entdeckungen zusammen. Gleichzeitig begannen eine Reihe von Psychotherapeuten in den Vereinigten Staaten, mit Familien statt mit einzelnen Individuen zu arbeiten. Gerade von der Psychoanalyse kommende Therapeuten, fingen in den 40-er und 50-er Jahren damit an, die innerpsychischen Konflikte ihrer Patienten als Spiegelbild der innerfamiliären Konflikte des Einzelnen zu verstehen und ihre Patienten dahingehend zu behandeln. Es entstand das Kausalitätsprinzip, d.h. der Grundsatz, nachdem jedes Geschehen eine Ursache voraussetzt. Demnach sind persönliche Probleme sehr stark von familiären Beziehungsmustern interdependent. Wichtige Vertreter der Psychoanalyse sind z.B. Lyman Wynne, Theodore Lidz, Ronald D. Laing und Carl Whitaker.
Aufgrund der für die Familientherapie immer bedeutungsvoller werdenden Modelle der Systemtheorie, deren Ursprünge aus der Mathematik, Physik und ähnlichen Fachrichtungen stammen, wurde die Kausalität (lineare Sichtweise von Ursache und Wirkung) nach und nach zugunsten einer „zirkulären“ Sichtweise aufgegeben. Die zirkuläre Sichtweise unterscheidet sich zur linearen dahingehend, dass sie davon ausgeht, dass sich das System (z.B. die Familie) und das Problem/oder der Symptomträger in fortlaufenden Rückkoppelungsschleifen zu einem einheitlichen Muster zusammenfügt. Dies bedeutet, wie wir aus der Gestalttherapie wisse: „ Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“.
Der Begriff Familientherapie wurde aufgrund dieser Entwicklung im Laufe der Zeit in systemische Familientherapie bzw. Systemtherapie abgeändert.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass systemisches Denken an der Erfassung von Prozessen und Beziehungen und deren Organisation interessiert ist. Dies bedeutet weiterhin, dass die Wirklichkeit aus einer bestimmten Perspektive betrachtet wird. Ein System wird definiert als ein organisiertes Ganzes, das aus interagierenden Teilprozessen besteht Ein system ist somit kein statisches Ding, sondern ein Prozess. Beim Systemdenken geht es darum, die integrative Organisation dieser Teilprozesse zu beobachten, und man erklärt ein Ereignis, indem man sich entwickelnde Vernetzung der Teilprozesse mit dem Gesamtprozess
aufzeigt (vgl. Schneider, Kristine,1983, S.43). Dabei geht man von der Annahme aus, dass es sich bei einem System (Familie) um eine Anzahl von in Wechselwirkungen stehenden Elementen (Familienmitglieder) handelt. Systeme und somit Familiensysteme funktionieren auf eine bestimmte, ihnen eigene Art und Weise und es ist nur möglich in der Beschreibung ihrer Wirklichkeit nahe zu kommen, wenn man versucht „ Rückkoppelungen und zirkuläre Vernetzungen zu beschreiben“(Vgl. Barthelman, 2001, S.13). Auf die methodischen Aspekte und Grundzüge im Rahmen der systemischen Familientherapie, wie zirkuläres Fragen etc., werde ich später noch genauer eingehen.
2.2 Verschiedene Schulen und Modelle der systemischen Familientherapie
Mehrere Forschungsgruppen in den USA arbeiteten daran, einen kommunikationstheoretischen Zugang zur Familie als System zu entwickeln. Hier ist vor allem die Palo-Alto Gruppe (MRI = Mental Research Institute) mit ihren wichtigen Vertretern wie Don Jackson, Virginia Satir, Jules Riskin, Jay Haley, Paul Watzlawick etc. zu nennen. Am MRI versuchte man die Muster der Kommunikationsstrukturen schizophrener Familiensysteme zu erforschen. Als wesentliches Ergebnis dieser Arbeit wird die Theorie des „Double-Bind“ bewertet. Diese Theorie erfasste zum ersten Mal das Symptom als Ausdruck von gestörten Kommunikationsmustern innerhalb der Familie. Die Arbeit der Palo-Alto Gruppe hatte einen wesentlichen Einfluss auf weitere Modelle der systemischen Familientherapie. Einzelne Mitglieder der Palo-Alto Gruppe gründeten später ihre eigenen familientherapeutischen Schulen, wie z. B. Virginia Satir => „Erlebnisorientierte Familientherapie“ oder Jay Haley => „Strategische Familientherapie“.
- Von ebenso entscheidender Bedeutung für die Entwicklung der systemischen Familientherapie sind die Arbeiten der Mailänder Psychoanalytikerin Mara Selvini-Palazzoli und ihrer Mitarbeiter Luigi Boscolo, Gianfranco Cecchin und Giuliana Pratal. Auf basis der Arbeiten der Palo-Alto Gruppe entwickelte das „Mailänder Team“ Mitte der 70-er Jahre seine grundlegenden Prinzipien ( Hypothetisieren, Zirkularität und Neutralität), welche Einzug in die gesamte systemische Familientherapie fanden.
- Gleichermaßen beeinflusst von der Arbeit der Palo-Alto Gruppe, entwickelte sich Mitte der 70-er Jahre eine weitere Richtung der systemischen Familientherapie, nämlich die sogenannte „Lösungsorientierte Kurzzeittherapie“. Sie wurde wesentlich von Steve de Shazer, Insoo Kim Berg und Jim Dercks entwickelt und hat bis heute ebenso einen wesentlichen Einfluss auf die familientherapeutische Arbeit.
- Savador Minuchin und seine Arbeit mit Unterschichtsfamilien an der Philadelphia Child Guidance Clinic begründete in den 60-er Jahren die „Strukturelle Familientherapie“. Diese betont die Bedeutung von Grenzen und Struktur innerhalb eines Familiensystems.
- Auch in Deutschland bekam die Familientherapie immer mehr an Bedeutung. In der Tradition psychoanalytischen Denkens wurden verschiedene Modelle entwickelt, die sich im Laufe der Jahre unter Einbeziehung der Arbeiten in Amerika, Mailand etc. weiterentwickelten. Hier sind vor allem folgende Namen zu nennen: Horst Eberhard Richter, Eckhard Sperling sowie Helm Stierlin. Helm Stierlin und seine Arbeitsgruppe in Heidelberg führte unter anderem die Mehrgenerationsperspektive in die systemische Familientherapie ein. Insbesondere das Interaktionsmodell Helm Stierlins von „Bindung, Delegation und Ausstoßung“ ist von großer Bedeutung für die systemische Arbeit.
Anhand der Fülle von Modellen und Schulen wird deutlich, dass die systemische Familientherapie nicht eine Therapie oder einen einzelnen Begründer, wie z.B. die Psychoanalyse von S. Freud hat, sondern eine Vielfalt aus verschiedenen Forschungsarbeiten und Modellen „unter einem Dach“ vereint.
2.3. Definition des Begriffes „Systemische Familientherapie“
Wir leben und arbeiten in Systemen: Familien, Gruppen, Organisationen, Institutionen. Selbst wenn wir allein leben, bemerken wir, wie unser Leben geprägt ist durch Systeme, aus denen wir kommen, aus denen wir herausgefallen sind, die wir verlassen haben etc. Systeme entstehen dadurch, dass ein Unterschied gemacht wird zwischen Elementen, die „innen“ im System und „außen“ in der Umwelt sein sollen. Wilke (1993) definiert System daher als:
„einen ganzheitlichen Zusammenhang vont Teilen, deren Beziehung untereinander quantitativ intensiver und qualitativ produktiver sind, als ihre Beziehungen zu anderen Elementen. Diese Unterschiedlichkeit der Beziehungen Konstituiert eine Systemgrenze, die System und Umwelt des Systems trennt.“(Schlippe Arist von, „Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung“; 1999 8; S.282).
Wie lässt sich also systemische Familientherapie auf dem Hintergrund des systemtheoretischen Denkens und der Systemdefinition von Wilke am trefflichsten definieren?
Es kann gesagt werden, dass es keine allgemeingültige Definition in Bezug auf die systemische Familientherapie gibt, denn systemische Familientherapie ist keine neue Methode, „sondern eine neue Orientierung“ (Haley 1971, S. 228f. in: Schneider ,Kristine; Familientherapie 1983; S.363). Des Weiteren ist festzuhalten, dass die systemische Familientherapie eine Form der Psychotherapie ist, welche die Gesundheit und die Krankheit eines Menschen sowie persönliche Lebensqualität, im Zusammenhang mit seinen relevanten Beziehungen und Lebenskonzepten sieht.
Daraus lässt sich schließen, dass es in der systemischen Familientherapie generell um das Netz von Beziehungen geht, in das jeder einzelne eingesponnen ist. Die Familie stellt somit ein soziales System dar. Psycho-soziale Probleme erscheinen von daher in einem neuen Licht. Es geht nicht mehr darum, dass ein einzelner „krank“ oder „problematisch“ angesehen wird. Seine „Krankheit“ oder sein „Versagen“ hat vielmehr eine Funktion in derjenigen sozialen Einheit, in die das Individuum eingebettet ist. Ein synonym für systemische Familientherapie ist daher auch die „Interaktionstherapie“ und die „System- oder Ökotherapie“.
Der systemische Erklärungsansatz und somit die systemische Familientherapie geht davon aus, dass jede Familie bemüht ist, eine Einheit herzustellen, d.h. ein Gleichgewicht zu halten.
Der Begriff Homöostase wurde von Jackson (1957) in die Familientherapie eingeführt. Ist dieses Gleichgewicht gefährdet, so mobilisieren die Familienmitglieder Kräfte, es zu halten. Besondere Belastungen wie Arbeitslosigkeit, Umzug, Krankheit, aber auch Pubertät eines Kindes stellen eine Gefährdung bzw. Belastung für das Familiensystem dar und können das Gleichgewicht stören. Entscheidend beeinflusst wird dieses Gleichgewicht durch die eheliche Beziehung der Eltern. Die Ehebeziehung ist die Achse, um die herum alle anderen Beziehungen geformt werden. Die Ehepartner sind die „Architekten“ der Familie. Wenn diese Beziehung gestört ist, so können die Eltern ihren elterlichen aufgaben nicht richtig nachkommen. Die Folge davon ist, dass ein oder mehrere Kinder darunter so stark „leiden“, dass sie mit Störungen/Auffälligkeiten reagieren. Oft hat es den Anschein, als bräuchte die Familie diese Störungen sogar, um ihr Gleichgewicht zu halten, d.h. weiterexistieren zu können. Maßgebend sind somit immer die wechselseitigen Beziehungen untereinander. Verändert sich ein Verhaltensmuster, so hat dies Auswirkungen auf alle anderen Mitglieder, also auf das System als Ganzes. Dies ist vergleichbar mit einem Mobile: wenn ich einen Faden des Mobile abtrenne oder nur etwas verlagere, so verändert sich das Mobile als Ganzes.
Die zentrale Frage, die sich ein systemisch arbeitender Familientherapeut in jedem Fall stellen sollte, ist: „Welche Funktionen haben Verhaltensauffälligkeiten innerhalb eines Familiensystems?“. Diese Frage kann somit beantwortet werden:
Durch auffälliges Verhalten eines Kindes wird der Schwerpunkt von der eigentlichen Problematik (oft die ungelöste Eheproblmatikder Eltern) abgelenkt. Nicht die Eltern, sondern ein oder mehrere Kinder werden zum Problem, auf die man seine Aufmerksamkeit lenkt. Verhaltensauffälligkeiten werden aus systemische Sicht stets als Resultat von Beziehungsstörungen gesehen. Die systemische Betrachtungsweise sieht alle Verhaltensweisen, auch die problematischen, störenden, als positiv an , da sie eine wichtige Funktion zum Erhalt des Systems haben. Familiensysteme können so recht lange stabil bleiben. Erst wenn die Auffälligkeiten so massiv werden, dass die Umwelt darauf aufmerksam wird, gerät das System in Gefahr oder die Familie selbst sucht die therapeutische Behandlung auf.
Abschließend lässt sich sagen, dass jeder systemisch arbeitende Familientherapeut diese systemtheoretischen Hintergründe beachten muss, wenn er mit einer Familie in eine therapeutische Beziehung tritt. Meistens wird im Team (zu zweit oder dritt) gemeinsam mit einer Familie bzw. einzelnen Familienmitgliedern gearbeitet, um die einzelnen Mitglieder des Systems besser wahrnehmen zu können.
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- Arbeit zitieren
- Sarikaya Arzu (Autor:in), 2003, Systemische Familientherapie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39100
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