Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind, nach Artikel 38 des Grundgesetzes (GG), „Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und
Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“. Dementsprechend sind alle Mitglieder des Deutschen Bundestages
gleichberechtigt (vgl. Hesse/Ellwein 1997). Im Widerspruch dazu steht z.B. Eilfort (2003, S. 565): „Die Inhaber hoher Führungsämter in den Fraktionen des Deutschen Bundestages, in erster Linie die Fraktionsvorsitzenden, gehören zum politischen Spitzenpersonal der Republik“. Diese Diskrepanz scheint aufgrund der notwendigen arbeitsteiligen Strukturen im Fraktionsparlament Deutscher Bundestag schlüssig. Fraglich ist jedoch inwieweit die Organe der Fraktion andererseits dazu beitragen, diese „Lücke“ zu schließen. Es stellt sich u.a. folgende Fragen: Wird der zweifelsohne für die Effektivierung der Parlaments- bzw. Fraktionsarbeit notwenige Preis, des stärkeren Einflusses und das Plus an Gestaltungsmöglichkeiten ausgewählter Fraktionsmitglieder, durch den Vorbehalt der (mehrheitlichen) Zustimmung der Fraktionsversammlung relativiert? Bestimmt die Fraktionsversammlung – wie in den Geschäftsordnungen vorgesehen – das Leitbild der Fraktion oder geschieht das in der Praxis eher in kleineren informellen Zirkeln? Der Beantwortung dieser Kernfragen soll sich zunächst einmal durch die Betrachtung
der Strukturen von Fraktionen im Deutschen Bundestag genähert werden. Darauf aufbauend gilt die Aufmerksamkeit der Einbeziehung der Organe der Fraktion sowie auch der einzelnen Parlamentarier in den fraktionsinternen Willensbildungs- und Entscheidungsfindungsprozess. Dies beinhaltet auch eine kurze Thematisierung der so genannten Fraktionsdisziplin, um das Verhältnis zwischen Abgeordneten und Fraktionsführung zu skizzieren.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Organisation und Strukturen von Fraktionen
1.1. Formale Fraktionsstrukturen
1.1.1. Fraktionsversammlung
1.1.2. Fraktionsvorstand
1.2. Informelle Fraktionsstrukturen
2. Fraktionsinterne Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse
2.1. Fraktionsdisziplin
3. Zusammenfassung und Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind, nach Artikel 38 des Grundgesetzes (GG), „Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“. Dementsprechend sind alle Mitglieder des Deutschen Bundestages gleichberechtigt (vgl. Hesse/Ellwein 1997). Im Widerspruch dazu steht z.B. Eilfort (2003, S. 565): „Die Inhaber hoher Führungsämter in den Fraktionen des Deutschen Bundestages, in erster Linie die Fraktionsvorsitzenden, gehören zum politischen Spitzenpersonal der Republik“.[i]
Diese Diskrepanz scheint aufgrund der notwendigen arbeitsteiligen Strukturen im Fraktionsparlament Deutscher Bundestag schlüssig. Fraglich ist jedoch inwieweit die Organe der Fraktion andererseits dazu beitragen, diese „Lücke“ zu schließen. Es stellt sich u.a. folgende Fragen: Wird der zweifelsohne für die Effektivierung der Parlaments- bzw. Fraktionsarbeit notwenige Preis, des stärkeren Einflusses und das Plus an Gestaltungsmöglichkeiten ausgewählter Fraktionsmitglieder, durch den Vorbehalt der (mehrheitlichen) Zustimmung der Fraktionsversammlung relativiert? Bestimmt die Fraktionsversammlung – wie in den Geschäftsordnungen vorgesehen – das Leitbild der Fraktion oder geschieht das in der Praxis eher in kleineren informellen Zirkeln?
Der Beantwortung dieser Kernfragen soll sich zunächst einmal durch die Betrachtung der Strukturen von Fraktionen im Deutschen Bundestag genähert werden. Darauf aufbauend gilt die Aufmerksamkeit der Einbeziehung der Organe der Fraktion sowie auch der einzelnen Parlamentarier in den fraktionsinternen Willensbildungs- und Entscheidungsfindungsprozess. Dies beinhaltet auch eine kurze Thematisierung der so genannten Fraktionsdisziplin, um das Verhältnis zwischen Abgeordneten und Fraktionsführung zu skizzieren.
1. Organisation und Struktur von Fraktionen
1.1 Formale Fraktionsstrukturen
Fraktionen sind trotz der Zugehörigkeit ihrer Mitglieder zu derselben Partei heterogen zusammengesetzt. Sie spiegeln eine Vielzahl konfliktärer Interessen wider, die z.B. in bestimmten „Flügeln“, in landsmannschaftlichen Gruppierungen oder in konkurrierenden politischen Grundströmungen zum Ausdruck kommen. Somit stellt sich den Fraktionen ein ähnliches Problem, wie dem Plenum des Deutschen Bundestages. Die Handlungsfähigkeit der Fraktionen wäre ohne institutionelle und verfahrensmäßige Vorkehrungen, durch welche die divergierenden Auffassungen strukturiert und die Prozesse der Enzscheidungsfindung sowohl fraktionsintern als auch in ihrem Außenbezug organisiert werden, kaum gegeben (vgl. zum Folgenden Engels 2001, Schüttemeyer 1998). Aus diesem Grunde haben auch die Fraktionen Formen der Organisation und Arbeitsteilung entwickelt, die sich an denen des Gesamtparlaments orientieren. Die Organisationsform der Fraktionen stimmt in ihrer nachfolgend beschriebenen formalen Grundstruktur weitgehend überein. Im Einzelnen ergeben sich Abweichungen, die insbesondere mit der Größe der einzelnen Fraktion zusammenhängen. So neigen die kleineren Fraktionen von GRÜNEN und FDP schon aufgrund knapper personeller Ressourcen zu einer gröberen Untergliederung als die Fraktionen von CDU/CSU und SPD, die ein stark differenziertes arbeitsteiliges System entwickelt haben.
Diese relativ starke Aufgliederung ermöglicht, auf der Basis einer organisierten Teamarbeit, ein hohes Maß an Spezialisierung, was den Fraktionsmitgliedern einerseits einen deutlichen Zuwachs an Fachkompetenz bringt. Anderseits werden die fraktionsinternen Abläufe insbesondere bei fachübergreifenden Themenstellungen verkompliziert, weil mit ihnen jeweils mehrere Arbeitsgruppen[ii]zu befassen sind, die unter Umständen auch noch widersprüchliche Positionen beziehen. Zudem wachsen die Handlungsspielräume der Arbeitsgruppen mit zunehmendem Grad der Spezialisierung. Dies birgt das Risiko der Verselbständigung von Arbeitsgruppen. Eine starke Aufgliederung geht folglich auch zu Lasten der Geschlossenheit einer Fraktion und „damit auch zu Lasten ihrer Aufgabe, die Fülle der divergierenden Auffassungen zu strukturieren und auf stabile Gegensätze zu reduzieren“ (Engels 2001, S. 227).
1.1.1 Fraktionsversammlung
Die Fraktionsversammlung, auch Vollversammlung genannt, ist das oberste Organ jeder Fraktion. Sie legt die Verfahrensordnung - Geschäftsordnung bzw. Arbeitsordnung[iii]- für ihre Fraktion fest. Darin sind die Organe der Fraktion und deren Kompetenzen, die Statusrechte der Mitglieder definiert sowie Regeln über fraktionsinterne Arbeitsweisen, Organisationsformen und Verfahren normiert. Mit diesen Bestimmungen soll einerseits die Fraktionsarbeit effektiv gestaltet werden und andererseits soll so dem Postulat des Artikels 38 GG – der Gleichheit der Mitglieder – genüge getan werden. Darüber hinaus wählt die Fraktionsversammlung den Vorsitzenden der Fraktion und entscheidet in Beratungen und Abstimmungen über die jeweilige Fraktionspolitik. Der Vollversammlung gehören alle Mitglieder einer Fraktion mit gleichem Rede-, Antrags-, und Stimmrecht an.
1.1.2 Fraktionsvorstand
Das zentrale Lenkungs- und Leitungsorgan einer Fraktion ist ihr Vorstand. Er vertritt die Fraktion nach außen und moderiert die fraktionsinternen Prozesse der Willensbildung und Entscheidungsfindung, d.h. er koordiniert die Fraktionsarbeit in ihren externen und internen Bezügen. Die genaue Zusammensetzung regelt die jeweilige Geschäfts- bzw. Arbeitsordnung der jeweiligen Fraktion.
Der Fraktionsvorstand wiederum setzt sich aus dem Geschäftsführenden Vorstand und dem erweiterten Vorstand zusammen. Ersterem gehören in der Regel der Fraktionsvorsitzende, der parlamentarische Geschäftsführer und die stellvertretenden Vorsitzenden an.[iv]Einige Fraktionen zählen auch den Justiziar und den haushaltspolitischen Sprecher der Fraktion zum Geschäftsführenden Vorstand.[v]Zu seinen Aufgaben zählen u.a. die Vorbereitung der Sitzungen des (erweiterten) Fraktionsvorstands und der Fraktionsversammlung (Festlegung der Tagesordnung etc). Die Vorsitzenden der jeweiligen Arbeitsgruppen ergänzen den Geschäftsführenden Vorstand zum erweiterten Vorstand. Hierdurch wird vor allem in den großen stark aufgegliederten Fraktionen gewährleistet, dass der (erweiterte) Vorstand durch diese personelle Einbindung den institutionellen Rahmen für die horizontale und vertikale Koordinierung der Arbeit in den einzelnen Arbeitsgruppen bietet. Zudem sind der Präsident bzw. die Vizepräsidenten des Bundestages, die Mitglieder der Bundesregierung sowie die Generalsekretäre der Parteien berechtigt an den Vorstandssitzungen „ihrer“ Fraktion mit beratender Stimme teilzunehmen. Dies widerum gewährleistet die Abstimmung und Koordination der Fraktionsarbeit in ihren Bezügen nach außen, besonders zum Gesamtparlament, zur jeweiligen Partei und im Fall der Regierungsfraktionen zur Bundesregierung. Der Vorstand zeichnet sich demnach als entscheidendes Koordinierungs- und Lenkungsorgan im Netzwerk diverser Verflechtungen der Fraktionsarbeit aus. „Aufgrund dieser Funktion wächst seinen Mitgliedern…. (ein)… Plus an Gestaltungsmöglichkeiten zu. Dieser Zuwachs ist der notwendige Preis für die Effektivierung der Fraktionsarbeit, der freilich dadurch relativiert wird, dass die Tätigkeit des Vorstandes unter dem Vorbehalt der - mehrheitlichen – Zustimmung der Vollversammlung steht“(ebd., S. 228).
1.2 Informelle Fraktionsstrukturen
Der Versuch die informellen Strukturen von Fraktionen zu beschreiben stellt sich als recht schwierig dar. Zum einen wechseln diese Strukturen unter Umständen häufig, spätestens jedoch mit jeder neuen Legislaturperiode. Zum anderen lassen sie sich nur wage beschreiben und nicht quantitativ belegen. Im Kontext der vorliegenden Arbeit spielt die Betrachtung der fraktionsinternen Machtkonstellationen jedoch eine wichtige Rolle, um insbesondere die herausragende Rolle einzelner Fraktionsmitglieder, der so genannten Fraktionsspitze, hervorzuheben.
Allgemein wird bei der Betrachtung informeller Fraktionsstrukturen zwischen „Hinterbänklern“, Fraktionsspezialisten und Fraktionsführung unterschieden (vgl. zum Folgenden Hesse/Ellwein 1997). Die Klassifikation dieser „Typen“ wird weniger durch ihre jeweilige Konfessionszugehörigkeit, soziale Herkunft oder Parteifunktion, als durch den Beruf, spezifische Fähigkeiten, landsmannschaftliche Bindungen und die Art ihres Mandats vorgenommen. Insbesondere letzteres bedarf einer ausführlicheren Erklärung: In der Regel verfügt der Kern der Fraktionsführung über ein Direktmandat. Ihren Wahlkreisverpflichtungen kommen sie durch allgemeine politische (Medien-) Präsenz nach. Listenabgeordnete - in der Regel die so genannten „Hinterbänkler“ - hingegen, die ein Direktmandat anstreben, weil es gemeinhin als sicherer gilt, konzentrieren sich verstärkt auf örtliche politische Arbeit in der Region, in der sie sich um einen Heimatwahlkreis bemühen. Folglich steh sie der täglich Parlamentsarbeit nur eingeschränkt zur Verfügung. Andere Abgeordnete konzentrieren sich ganz auf die Partei - dann zumeist auf Landesebene - , um ihr Listenmandat abzusichern, „wobei sie sich entweder der Partei oder der Fraktion unentbehrlich machen und gegebenenfalls den Umweg über Verbände gehen, an deren Unterstützung der Partei gelegen sein muss“ (Hesse/Ellwein, S. 287). Folglich gibt es Parlamentarier, die sich nicht länger als unbedingt nötig in Berlin aufhalten, weil sie „zu Hause“, in den unteren Gliederungen der jeweiligen Partei oder in Verbandsveranstaltungen repräsentieren müssen. Während sich die ohnehin politisch dauerpräsenten Führungskader einer Fraktion häufig in der Hauptstadt häuslich niederlassen und sich demzufolge sehr intensiv um die Führung der Fraktion bemühen können. Hesse und Ellwein (1997) kommen daher zu dem Ergebnis, dass die „eigentlichen Parlamentsarbeiter“, die Führungskräfte der Fraktion und einige wenige Spezialisten, einen größeren Einfluss haben, da die anderen Abgeordneten zu sehr mit der Betreuung ihres Wahlkreises und letztlich mit der Sicherstellung ihrer Wiederwahl beschäftigt sind.
[...]
[i]Ähnliche Aussagen finden sich unter anderem bei Engels (2001) und Kranenpohl (1998).
[ii]Zur Organisation ihrer inhaltlich politischen Arbeit gliedern sich die Fraktionen in Arbeitsgruppen. In der Regelgehören ihnen die fachlich zuständigen Abgeordneten an, die auch Mitglieder der „spiegelbildlichen“ Ausschüsse des Bundestages sind.
[iii]bei der CDU/CSU-Fraktion
[iv]Die Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat zwei Fraktionsvorsitzende. Die stellv. Vorsitzenden sind hingegen nicht Mitglieder des Geschäftsführenden Vorstands, wohl aber des erweiterten Vorstands
[v]Beispielsweise bei der Fraktion der CDU/CSU.
- Quote paper
- Michael Wodke (Author), 2005, Fraktionsversammlungen im Deutschen Bundestag, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39031
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