„Die Ich-AG ist ein Beleg dafür, schwierige soziale und sozialpolitische Sachverhalte mit sprachlicher Kosmetik schönzureden.“ Mit diesen Worten begründete der Sprecher der sprachkritischen Aktion „Unwort des Jahres“ Prof. Dr. Horst D. Schlosser die Wahl des Ter-minus Ich-AG zum Unwort des Jahres 2002. Überschwängliche Begeisterungsstürme aus der Politik für dieses beschäftigungspolitische Instrument, das angeblich bis zu einer halben Mil-lion arbeitsloser Menschen binnen dreier Jahre zur erfolgreichen Existenzgründung verhelfen sollte, konterkarierten das Bild. Im Gegensatz zu diesen beiden stark divergierenden Gefühlsäußerungen soll in der vorliegenden Arbeit das Modell der Ich-AG auf einer rein sachlichen Ebene kritisch analysiert werden.
Inhalt
1. Einleitung
2. Definition
2.1 Der Begriff Ich-AG
2.2 Unterscheidung Ich-AG - Familien-AG
2.3 Historische Wurzeln
3. Die Konzeption der Ich-AG
3.1 Zentrale Zielsetzungen
3.2 Hauptzielsetzung: Reduzierung von Schwarzarbeit
3.3 Ausgestaltung der Ich-AG im Hinblick auf ihre Hauptzielsetzung
3.3.1 Die Ich-AG als Vorstufe zur vollwertigen Selbständigkeit
3.3.2 Konzeption zur Reduzierung von Schwarzarbeit
3. Förderhöhe und -voraussetzungen
3.1 Förderhöhe
3.2 Fördervoraussetzungen
3.2.1 Bestehende Förderkriterien
3.2.2 Problematik eines fehlenden Business Plans
3.2.3 Schlupflöcher für Mitnahmeeffekte
a) Fehlender Business-Plan
b) Existenzgründungszuschuss bei Parallelbeschäftigung
c) Existenzgründungszuschuss bei Überschreiten der Einkommensgrenze
d) Zusammenfassung
4. Beschäftigungseffekte
4.1 Vorbemerkung
4.2 Bewertung der Datenqualität
4.2 Ermittlung der Bruttobeschäftigungswirkung anhand des Datenmaterials
4.4 Problem der Bewertung von Beschäftigungseffekten
4.5 Unintendierte Folgen intentionalen Handelns
5. Gewerkschaftsposition zur Ich-AG
6. Ausblick: Ich-AG und Hartz IV
7. Anhang
7.1 Quellenverzeichnis
7.2 Abbildungsverzeichnis
7.3 Eidesstattliche Erklärung
1. Einleitung
„Die Ich-AG ist ein Beleg dafür, schwierige soziale und sozialpolitische Sachverhalte mit sprachlicher Kosmetik schönzureden.“ Mit diesen Worten begründete der Sprecher der sprachkritischen Aktion „Unwort des Jahres“ Prof. Dr. Horst D. Schlosser die Wahl des Terminus Ich-AG zum Unwort des Jahres 2002. Überschwängliche Begeisterungsstürme aus der Politik für dieses beschäftigungspolitische Instrument, das angeblich bis zu einer halben Million arbeitsloser Menschen binnen dreier Jahre zur erfolgreichen Existenzgründung verhelfen sollte, konterkarierten das Bild. Im Gegensatz zu diesen beiden stark divergierenden Gefühlsäußerungen soll in der vorliegenden Arbeit das Modell der Ich-AG auf einer rein sachlichen Ebene kritisch analysiert werden.
2. Definition
2.1 Der Begriff Ich-AG
Der Begriff Ich-AG ist der Name für den seit Jahresbeginn 2003 eingeführten Existenzgründungszuschuss (EXGZ) nach § 421 I SGB III, der arbeitslosen Arbeitnehmern für die Beendigung der Arbeitslosigkeit gewährt wird, indem sie eine selbständige Erwerbstätigkeit aufnehmen. Allerdings ist die Bezeichnung Ich-AG insofern irreführend, als dass sie keine gesellschaftsrechtliche Bedeutung impliziert. Gründer müssen also nicht etwa eine Aktiengesellschaft bilden, um sich selbständig machen zu können. Da es sich bei den meisten Ich-AGs um Kleingründungen meist ohne Angestellte handelt, werden sie überwiegend in der Rechtsform des Einzelunternehmens geführt (Zielke 2004: 1).
Vielmehr soll die Bezeichnung Ich-AG nach den Vorstellungen der Hartz-Kommission ausdrücken, dass die vormals Arbeitslosen ihre eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten nicht nur als Arbeitnehmer sondern vor allem als Selbständige umsetzen können (BMWA 2004: 2).
2.2 Unterscheidung Ich-AG - Familien-AG
Das „Zweite Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ vom 23. Dezember 2002, BGBI l 2002, 4621 legte ursprünglich fest, dass die mit dem Existenzgründungszuschuss geförderten Gründer einer Ich-AG als förderrechtliche Voraussetzung keine weiteren Arbeitnehmer beschäftigen durften. Die einzige Ausnahme hierbei stellte die Erweiterung zur Familien-AG dar, in der lediglich mithelfende Familienangehörige beschäftigt werden durften, ohne den Förderanspruch auf den Existenzgründungszuschuss zu verlieren (Hartz et al. 2002: 168).
Diese einschränkende Fördervoraussetzung, dass die Gründer einer Ich-AG nicht als Arbeitgeber in Erscheinung treten durften, wurde jedoch durch das Kleinunternehmerförderungsgesetz vom 31.07.2003, verkündet in BGBl I 2003 Nr. 39, aus Praktikabilitätsgründen aufgehoben. Das Beschäftigungsverbot von Arbeitnehmern wurde durch die Änderung des § 421l Abs. 1 SGB III (Streichung des § 421l Abs. 1 Satz 2 Nr. 3) rückwirkend zum 01.01.2003 außer Kraft gesetzt (BMWA 2004: 3). Da nun Ich-AG-Gründer künftig auch Mitarbeiter unabhängig vom Familienstatus einstellen dürfen, hat das Konstrukt der Familien-AG in ihrer praktischen Relevanz erheblich an Bedeutung verloren.
2.3 Historische Wurzeln
Für das neu geschaffene staatliche Förderprogramm der Ich-AG, das als zweite Säule neben dem weiterhin bestehenden Überbrückungsgeld für Existenzgründer installiert wurde, können keine direkten historischen Vorläufer oder Vorbilder aus anderen Ländern identifiziert werden. Dies ergab sowohl eine intensive Literaturrecherche als auch das Experteninterview mit Herrn Dr. Wießner. Jedoch ist die darin enthaltene Grundidee keineswegs neu, Arbeitslosigkeit durch Vermittlung von Arbeitslosen in die Selbständigkeit zu bekämpfen. Schon in der Weimarer Republik gab es ähnliche beschäftigungspolitische Ansätze zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit.
3. Die Konzeption der Ich-AG
3.1 Zentrale Zielsetzungen
Die zentralen Zielsetzungen der Ich-AG-Konzeption lassen sich wie folgt charakterisieren: Primäres Ziel ist die nachhaltige Reduzierung der Schwarzarbeit, indem sie in legale Beschäftigung umgewandelt wird. Damit einhergehen sollen die Schaffung und Vergrößerung des in Deutschland unterentwickelten Marktes für kostengünstige Dienstleistungen, die Flexibilisierung der Beschäftigung in kleineren Unternehmen und Handwerksbetrieben sowie die Förderung der Selbständigkeit (Hartz et al. 2002: 164ff).
3.2 Hauptzielsetzung: Reduzierung von Schwarzarbeit
Wie oben bereits erwähnt, zielt das Instrument der Ich-AG primär auf die nachhaltige Reduzierung der Schwarzarbeit ab, indem Teile des überaus beträchtlichen Beschäftigungsvolumens von Schwarzarbeit in legale Erwerbstätigkeit von vormals Arbeitslosen umgewandelt werden sollen (Scherl 2003: 17).
Die Ich-AG kann dabei nicht als Allheilmittel zur Bekämpfung der Schattenwirtschaft und ihrer vielfältigen Probleme gelten, sondern muss als Teilstrategie eines Maßnahmenbündels angesehen werden, dass die Legalisierung zahlreicher Dienstleistungen zum Ziel hat, die viel zu häufig noch in der Schattenwirtschaft erbracht werden (Schneider et al. 2004: 2). Die nachfolgenden Zahlen sollen die Größenordung des Gesamtproblems und den dringend gebotenen Handlungsbedarf zur Implementierung wirkungsvoller beschäftigungspolitischer Konzepte wie z.B. der Ich-AG veranschaulichen.
In der aktuellen Prognose des Schattenwirtschaftsexperten Prof. Schneider und des Instituts für angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) wird das Volumen der Schattenwirtschaft im Jahr 2004 in Deutschland auf rund 364 Mrd. € geschätzt, und beträgt somit 16,7 % des Bruttoinlandsprodukts. Umgerechnet existieren in Deutschland somit fünf Millionen Vollzeitstellen in der Illegalität (Schneider et al. 2004: 1).
3.3 Ausgestaltung der Ich-AG im Hinblick auf ihre Hauptzielsetzung
3.3.1 Die Ich-AG als Vorstufe zur vollwertigen Selbständigkeit
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Die Ich-AG als Vorstufe zur vollwertigen Selbständigkeit
Konzeptionell handelt es sich bei der Ich-AG um einen Status, der lediglich als Vorstufe zu einer vollwertigen Selbständigkeit anzusehen ist, und darauf abzielt, nach einer Übergangsphase von drei Jahren den Weg in die volle Selbständigkeit zu schaffen. Der idealtypische Ablauf zur Etablierung einer vollwertigen Selbständigkeit sieht wie folgt aus[1]: Das Existenzgründungsmodell Ich-AG soll arbeitslose Personen ansprechen, die mit Hilfe ihrer alltagspraktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten den hohen Bedarf an kostengünstigen Dienstleistungen befriedigen können. Dieser Personenkreis gründet nun als Kleinstunternehmer eine Ich-AG und setzt darin all seine Arbeitskraft dafür ein, eine gesunde wirtschaftliche Basis für die zukünftig vollwertige Selbständigkeit zu etablieren (Hartz et al. 2002: 165).
Um die Bewältigung der internen und externen Gründungsrisiken in der dreijährigen Startphase zu erleichtern, werden die Gründer der Ich-AG finanziell durch den Existenzgründungszuschuss unterstützt. Mithin bieten kostengünstige Coachingangebote den Förderteilnehmern die Möglichkeit, etwaig auftretende Schwierigkeiten gemeinsam mit externen Beratern zu lösen (Kräuter 2004: 7).
Aus dem Gründungsprozess entsteht somit als Endprodukt eine selbständige Existenz, die dazu beträgt, Teile der heutigen Schwarzarbeit zu legalisieren und zugleich die Nachfrage nach kostengünstigen Dienstleistungen zu bedienen. Darüber hinaus erhofft man sich von erfolgreichen Existenzgründern, dass sie durch steigende Arbeitsvolumina zusätzlichen Personalbedarf generieren und deshalb Mitarbeiter einstellen, woraus sich eine positive Beschäftigungsdynamik entwickeln soll. Im Idealfall entstehen durch Neugründungen somit neue Jobs und zugleich Impulse für einen Strukturwandel. (Hartz et al. 2002: 165; Koch 2003: 1).
3.3.2 Konzeption zur Reduzierung von Schwarzarbeit
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Anreize zur Reduzierung von Schwarzarbeit
Die konzeptionelle Ausgestaltung der Ich-AG im Hinblick auf ihre Hauptzielsetzung, die darin besteht, Schwarzarbeit nachhaltig zu reduzieren, bietet sowohl angebots- als auch nachfrageseitig orientierte Anreize, vormals schattenwirtschaftlich erbrachte Leistungen in legalisierte Erwerbstätigkeit zu transformieren.[2] Mit dieser zweigleisigen Strategie werden sowohl Anbieter als auch Nachfrager der schattenwirtschaftlichen Dienstleistungen dazu animiert, die illegalen Vertragsbeziehungen zu beenden und durch legale Erwerbstätigkeit in Form der Ich-AG zu ersetzen.
Auf der Nachfrageseite wurde als wesentliches Element die steuerliche Abzugsfähigkeit von Dienstleistungen aus einer Ich-AG für die Auftraggeber etabliert. Dieser Anreiz soll vor allem Privathaushalte, die vorher schattenwirtschaftliche Gewerbetreibende beschäftigt haben, dazu veranlassen, zukünftig legalisierte Dienstleistungen nachzufragen, die von Ich-AGs erbracht werden (Hartz et al. 2002: 164).
Auf der Angebotsseite liegen folgende Anreize für arbeitslose Personen zur Gründung einer regulären selbständigen Erwerbstätigkeit in Form einer Ich-AG vor.
Um die vielfältigen Gründungsrisiken zu bewältigen bzw. den Gründungserfolg einer legalen Erwerbstätigkeit sicherzustellen, gibt es ein breit gefächertes Angebot von Maßnahmen zur Existenzgründungsförderung, die an dieser Stelle nur angedeutet werden sollen. Sie reichen von Existenzgründerportalen und Expertenforen im Internet über Direktberatung bei der Bundesagentur für Arbeit und den lokalen Industrie- und Handelskammern bis hin zu finanziellen Zuschüssen für Coachingdienstleistungen von externen Fachberatern aus der Wirtschaft.
Finanzielle Unterstützung erhalten die Inhaber der Ich-AGs auch in Gestalt des Existenzgründungszuschusses. Er wird in der dreijährigen Startphase bis zur Höchsteinkommensgrenze von 25.000 € pro Jahr gewährt und soll die Gründer auf ihrem Weg in die volle Selbständigkeit unterstützen, bis sie ihren Lebensunterhalt künftig ausschließlich selbst erwirtschaften können. Ziel dieses Förderzuschusses ist es vor allem, die soziale Sicherung der neuen Selbständigen sicherzustellen. Die Gründer sollen damit primär ihre Beitragszahlungen für die gesetzliche Rentenversicherung und ihren Krankenversicherungsschutz finanzieren (Zielke 2004: 1). Die Existenzgründer genießen somit auch eine umfangreiche soziale Absicherung während ihres Existenzgründungsprojekts.[3]
Allerdings weist Scherl (2002) darauf hin, dass die Gründung einer Ich-AG auch von strategischen Überlegungen geleitet sein könnte. Durch die Legalisierung der Erwerbstätigkeit vermeiden die Existenzgründer das Risiko von Sanktionen und entgehen den Arbeitsvermittlungsbemühungen der Arbeitsagenturen, die das „Fordern“ im Rahmen des Grundsatzes „Fördern und Fordern“ verstärkt praktisch umsetzen. Vorstellbar wäre auch, dass die Ich-AG durch ihre stark vereinfachten Regelungen gegenüber dem Überbrückungsgeld möglicherweise eine zusätzliche Bereitschaft zu Existenzgründungsversuchen anregt (Scherl 2002: 10).
3. Förderhöhe und -voraussetzungen
3.1 Förderhöhe
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Höhe des Existenzgründungszuschusses
Die Förderhöhe des Existenzgründungszuschusses ist unabhängig von der Höhe des bezogenen Arbeitslosengeldes bzw. Arbeitslosenhilfe und sinkt jeweils mit Ablauf jeden Jahres. Im ersten Jahr beträgt er monatlich 600 €, im zweiten Jahr noch 360 € und im dritten Jahr schließlich 240 € pro Monat, sofern das jährliche Arbeitseinkommen bis dahin nicht die Obergrenze von 25.000 € übersteigt. Es handelt sich hierbei um eine steuerfreie Einnahme nach § 3 EStG und unterliegt nicht dem Progressionsvorbehalt (BMWA 2004: 4; Kräuter 2004: 8).
[...]
[1] Graphische Übersicht siehe Abbildung 1
[2] Siehe Abbildung 2. Diese graphische Übersicht enthält in leicht adaptierter Form die Originalübersicht aus dem
Hartz-Papier (S. 164). Die Einteilung in angebots- und nachfrageseitige Anreize ist hierbei nicht ersichtlich, da
diese Kategorisierung von mir selbst vorgenommen wurde.
[3] Schwächen des sozialen Schutzes siehe 3.2.2 Problematik eines fehlenden Business-Plan
- Arbeit zitieren
- Dipl.-Hdl. Michael Schießl (Autor:in), 2004, Der berufliche Weg in die Selbständigkeit - Die Ich-AG, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/39000
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