Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes gewann die Nord-Süd-Problematik und damit verbunden, die Frage nach den Bedingungen und Vorraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung der Dritte-Welt- Staaten für die Internationalen Beziehungen zunehmend an Bedeutung. Die vorliegenden Arbeit will dieser Frage ein Stück weit nachgegangen. Am Beispiel Brasiliens soll geklärt werden, welche Chancen und Risiken für ein Entwicklungsland durch eine Integration in den Weltmarkt bestehen. Dabei wird untersucht, wie es Brasiliens einerseits gelang, sich zu einem industrialisierten Schwellenland und zur Regionalmacht Südamerikas zu entwickeln, andererseits aber immer noch durch starke soziale Disparitäten, einer hohen Verschuldung und einer weit reichenden Armut im Land deutliche Merkmale eines Entwicklungslandes aufweist. Für die Untersuchung werden, nach einer Definition grundlegender entwicklungspolitischer Begriffe, die theoretischen Konzepte der Modernisierungstheorie sowie der Dependenztheorie betrachtet. Anschließend werden die entwicklungspolitischen Maßnahmen Brasiliens und deren Auswirkungen auf den Entwicklungsprozess dargestellt und analysiert. Die Untersuchung führt zu dem Ergebnis, dass Brasiliens heutigen Entwicklungsprobleme maßgeblich aus früheren, politisch fehlgeleiteten Entwicklungsprozessen resultieren. Verstärkt angestrebte Teilmodernisierungsprozesse und versäumte Modernisierungen besonders im sozialen und politischen Bereich, wirken sich noch heute entwicklungshemmend auf Brasilien aus. Die Integration in den Weltmarkt ermöglichte zum einen den wirtschaftlichen Aufstieg Brasiliens zu einem modernisierten, industrialisierten Schwellenland, führte andererseits aber auch zur Verstärkung regionaler Disparitäten und sozialer Ungerechtigkeit sowie zu einer starken Abhängigkeit von den Industrienationen und der Stabilität der Weltmärkte. Die Ursachen für diese Entwicklung liegen dabei genauso bei den unterschiedlichen Konzepten brasilianischer Entwicklungspolitik, als auch bei den Bedingungen des Weltmarktes. Daraus schlussfolgernd ergeben sich für Entwicklungsländer durch eine Integration in den Weltmarkt durchaus gute Möglichkeiten für eine nachhaltige Entwicklung. Vorrausetzung dafür ist aber die Konkurrenzfähigkeit des Landes und demzufolge die Anpassung an die Bedingungen des Weltmarktes in wirtschaftlicher, politischer und sozialer Hinsicht. [...]
Inhalt
1. Einleitung
2. Theorien der Entwicklungspolitik
2.1. Modernisierungstheorie
2.2. Dependenztheorie
3. Praktische Entwicklungspolitik am Beispiel Brasiliens
3.1. Brasiliens Entwicklungs-Diktatur
3.2. Re-Demokratisierung und Entwicklung
4. Schluss
5. Abstract
6. Literaturverzeichnis
7. Erklärung
1. Einleitung
„The future of the less developed countries is one of the most pressing issues of international political economy in our era, and the resolution of this issue will profoundly affect the future of the planet.“ (Gilpin 1987: 263)
Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes gewann die Nord-Süd-Problematik und damit verbunden, die Frage nach den Bedingungen und Vorraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung der Dritte-Welt-Staaten für die Internationalen Beziehungen zunehmend an Bedeutung. Die vorliegenden Arbeit will dieser Frage ein Stück weit nachgegangen.
Am Beispiel Brasiliens soll geklärt werden, welche Chancen und Risiken für ein Entwicklungsland durch eine Integration in den Weltmarkt bestehen. Dabei wird untersucht, wie es Brasiliens einerseits gelang, sich zu einem industrialisierten Schwellenland und zur Regionalmacht Südamerikas zu entwickeln, andererseits aber immer noch durch starke soziale Disparitäten, einer hohen Verschuldung und einer weit reichenden Armut im Land deutliche Merkmale eines Entwicklungslandes aufweist.
Für die Untersuchung werden, nach einer Definition grundlegender entwicklungspolitischer Begriffe, die theoretischen Konzepte der Modernisierungstheorie sowie der Dependenztheorie betrachtet. Anschließend werden die entwicklungspolitischen Maßnahmen Brasiliens und deren Auswirkungen auf den Entwicklungsprozess dargestellt und analysiert[1].
Die Untersuchung führt zu dem Ergebnis, dass Brasiliens heutigen Entwicklungsprobleme maßgeblich aus früheren, politisch fehlgeleiteten Entwicklungsprozessen resultieren. Verstärkt angestrebte Teil-modernisierungsprozesse und versäumte Modernisierungen besonders im sozialen und politischen Bereich, wirken sich noch heute entwicklungshemmend auf Brasilien aus.
Die Integration in den Weltmarkt ermöglichte zum einen den wirtschaftlichen Aufstieg Brasiliens zu einem modernisierten, industrialisierten Schwellenland, führte andererseits aber auch zur Verstärkung regionaler Disparitäten und sozialer Ungerechtigkeit sowie zu einer starken Abhängigkeit von den Industrienationen und der Stabilität der Weltmärkte. Die Ursachen für diese Entwicklung liegen dabei genauso bei den unterschiedlichen Konzepten brasilianischer Entwicklungspolitik, als auch bei den Bedingungen des Weltmarktes.
Daraus schlussfolgernd ergeben sich für Entwicklungsländer durch eine Integration in den Weltmarkt durchaus gute Möglichkeiten für eine nachhaltige Entwicklung. Vorrausetzung dafür ist aber die Konkurrenzfähigkeit des Landes und demzufolge die Anpassung an die Bedingungen des Weltmarktes in wirtschaftlicher, politischer und sozialer Hinsicht.
2. Theorien der Entwicklungspolitik
Theoretische Modelle und Konzepte, die die Unterentwicklung in den Dritte-Welt-Staaten zu erklären versuchen, können in zwei großen, konkurrierenden Kategorien zusammengefasst werden[2]:
- 1. Modernisierungs-Theorien und
- 2. Dependenz-Theorien.
Bevor diese Theorierichtungen im Einzelnen näher betrachtet werden, muss festgestellt werden, was grundlegend unter den Begriffen Entwicklungsland, Unterentwicklung, Entwicklung und Entwicklungs-politik im Rahmen dieser Arbeit zu verstehen ist.
Die genauen Merkmale zur Definition von Entwicklungsländern, auch Dritte-Welt-Länder oder Less Developed Countries (LDCs) genannt, sind umstritten (Nohlen 1994: 212). Die meisten Klassifizierungen von Entwicklungsländern richten sich oftmals nach rein wirtschaftlichen Faktoren. In den meisten Fällen nach dem Bruttoinlandsprodukt pro Kopf. So gilt nach der Definition der UNO ein Land als unterentwickelt, „wenn sein Pro-Kopf-Einkommen nicht mehr als 25% desjenigen der hochentwickelten Industrievolkswirtschaften erreicht“ (Borchert 1999: 504). Die Weltbank differenziert zwischen Entwicklungsländern mit niedrigem Einkommen (Pro-Kopf-Einkommen von weniger als 600 US-$ pro Jahr), mittlerem Einkommen (Pro-Kopf-Einkommen von unter 2400 US-$ pro Jahr) und relativ hohem Einkommen (Pro-Kopf-Einkommen von über 2400 US-$ pro Jahr) (Lachmann 1994: 20). Allgemein besagt der recht positiv wirkende Begriff Entwicklungsland damit nicht, dass sich ein so klassifiziertes Land in einem momentanen Stadium des Fortschritts befindet. Es bezeichnet vielmehr ein wirtschaftlich, politisch und sozial relativ unterentwickeltes Land.
Unterentwicklung ist der Oberbegriff für eine Reihe von Strukturproblemen und den daraus resultierenden Folgen innerhalb eines Landes. Diese Strukturprobleme sind in den verschiedenen Entwicklungsländer keineswegs gleichmäßig ausgeprägt, kennzeichnen sich aber grundlegend durch das beschriebene niedrige Pro-Kopf-Einkommen, eine niedrige Spar- und Investitionsquote, niedrige Kapitalausstattung und Produktivität der Arbeit, große wirtschaftliche Bedeutung des Agrarsektors[3], hohe Arbeitslosigkeit und eine ungenügende Infrastruktur (Nohlen/Nuscheler 1993: 33; Grimm 1979: 38-39). Damit verbunden sind zumeist schlechte Gesundheits-verhältnisse in der Bevölkerung, eine geringe Lebenserwartung, geringer Bildungsstand mit hoher Analphabetenrate und ein daraus resultierender Mangel an qualifizierten Arbeitskräften (Nohlen/Nuscheler 1993: 33-34; Grimm 1979: 40).
Entwicklung wird im Folgenden daher als Begriff definiert, der die positive Veränderung der Indikatoren der Unterentwicklung in einem festgelegten Zeitraum beschreibt. Entwicklung ist damit eine Etappe auf dem Weg zu dem Ziel, die wirtschaftliche, politische und soziale Situation in einem bestimmten Land zu verbessern. Es ist somit die übergeordnete Beschreibung von verschiedenen Entwicklungs- prozessen in Richtung eines Entwicklungs zieles (Lachmann 1994: 15) und nicht nur gleichbedeutend mit dem Begriff des wirtschaftlichen Wachstums.
Die Entwicklungspolitik hat dabei die Aufgabe, alle Maßnahmen und Mittel zu bestimmen, die die Entwicklung in den Entwicklungsländern fördern können (Nohlen 1994: 214) sowie die erzielten Wirkungen und Veränderungen kritisch zu überprüfen (Borchert 1999: 15). Während über die allgemeinen Entwicklungsziele meist offiziell Einigkeit herrscht, unterscheiden sich die theoretischen Modelle der Entwicklungspolitik besonders hinsichtlich der anzuwendenden Mitteln und Maßnahmen zur Erreichung der gesetzten Ziele.
In den folgenden zwei Abschnitten werden deshalb die Standpunkte der zwei konkurrierenden Theorierichtungen in der Entwicklungspolitik dargestellt. Da beide Theorierichtungen sich jeweils aus einzelnen und zum Teil differierenden Theorien, Thesen und politischen Standpunkten zusammensetzen, sollen nur die jeweiligen Hauptmerkmale und wesentliche Positionen dargestellt werden[4].
2.1. Modernisierungstheorie
Modernisierungstheorie ist ein recht weitläufiger und vieldeutiger Begriff, der auf andere Theorien wie zum Beispiel der Wachstumstheorie oder der des sozialen Wandels aufbaut. (Nohlen 1994: 478; Lachmann 1994: 70). Allen gemeinsam ist jedoch das grundlegende Verständnis über das Entwicklungs ziel. Die modernen, kapitalistischen Industrieländer dienen als stetiges Vorbild (Nohlen 1994: 479) und somit als konkretes Ziel des Entwicklungsprozesses, der bisher noch unterentwickelten Länder. Dabei liegen die Gründe für die Unterentwicklung im Sinne der Modernisierungstheoretiker bei und in den Entwicklungsländern selbst. Entscheidender Grund für die bestehende Unterentwicklung ist der Fortbestand alter, unmoderner Traditionen (Nuscheler 1996: 165), die die Entwicklungsländer in ihrer Entwicklung entscheidend hindern. Modernisierungstheoretiker gehen davon aus, dass diese vorherrschenden Traditionen zu einer Art Apathie der Entwicklungsländer, mit mangelnder Leistungsmotivation sowie mangelndem rationalen und ökonomischen Handeln innerhalb der Gesellschaft führen (Grimm 1979: 72). Das ungenügende Besitz- und Gewinnstreben dieser Kulturen (Nohlen/Nuscheler 1996: 34) und fehlender Unternehmergeist und Risikobereitschaft der Menschen (Timmermann 1982: 127) verhindern die notwendige und wichtige wirtschaftliche Entwicklung. Die Abkehr von diesen Traditionen und die im Max Weber´schen Sinne Entzauberung der Welt (Nuscheler 1996: 165) sind deshalb entscheidende Rahmenbedingungen[5], um einen Wandel im wirtschaftlichen Bereich zu fördern und somit einen vollkommenen Entwicklungsprozess herbeizuführen.
[...]
[1] Die Analyse beschränkt sich dabei hauptsächlich auf die Zeiträume 1964-1985 (Kapitel 3.1) und 1985-2003 (Kapitel 3.2).
[2] Die Einordnung der verschiedenen Theorien zur Erklärung von Unterentwicklung in lediglich zwei Theorierichtungen kann theoriegeschichtlich als problematische angesehen werden (Nohlen 1994. 478-479). Um innerhalb dieser Arbeit einen systematischen Überblick über die Theorierichtungen zu geben, wird diese Einteilung dennoch vollzogen.
[3] Große wirtschaftliche Bedeutung insofern, dass der Agrarsektor meist einen hohen Anteil am Bruttoinlandsprodukt sowie eine hohe Erwerbstätigkeitsquote aufweist.
[4] Im Folgenden wird deshalb auch größtenteils nur von der Modernisierungs- beziehungsweise Dependenztheorie gesprochen und größere theorie-geschichtliche Exkurse vermieden, um der Arbeit auch kein allzu großes theoretisches Übergewicht zu verleihen. Aus diesem Grund wird auch auf eine ausführliche, gesonderte Kritik der beiden theoretischen Ansätze verzichtet.
[5] Vorausgegangen war die Ansicht aus den 1950ziger, 1960ziger Jahren, dass allein finanzielle Hilfe - ähnlich die, des Marshall-Plans - einen sich selbst tragenden Wachstumsprozess in Gang setzen könnte (Nohlen 1994: 722). Der ausbleibende dauerhafte Erfolg dieser Form der Entwicklungshilfe führte dann zur Suche nach den Bedingungen für wirtschaftliches Wachstum innerhalb der Gesellschaft eines Landes (Nohlen 1994: 722). Im Allgemeinen gilt der einfache Transfer von Realkapital in Entwicklungsländer nicht als Möglichkeit für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung zu sorgen (Borchert 1999: 507).
- Quote paper
- Tilo Siewert (Author), 2005, Weltmarktintegration: Chance oder Hindernis für Entwicklung? Entwicklungspolitische Maßnahmen und Wirkungen am Beispiel Brasiliens., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38914
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