Die vorliegende Bachelorarbeit behandelt das Thema „Praktische Aspekte des insolvenzrechtlichen Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO“. Ziel der Arbeit ist die Darstellung der Bedingungen, die der Schuldner erfüllen und beachten muss, um Anspruch auf diese Form des Insolvenzverfahrens erheben zu dürfen.
Um das Ergebnis des Schutzschirmverfahrens an einem Praxisbeispiel zu verdeutlichen, wird ein anonymisiertes Unternehmen vorgestellt, das dieses Verfahren aktuell durchläuft. Im Zuge dessen werden die Krisenursachen, die Sanierungsmaßnahmen sowie die bisherigen Resultate des alternativen Insolvenzverfahrens vorgestellt. Im Anschluss werden die bisherigen Ergebnisse dieses Verfahrens denen eines regulären Insolvenzverfahrens gegenübergestellt, so dass letztendlich ein Vergleich möglich ist, in welchem Verfahren die Gläubiger besser befriedigt werden können.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Motivation / Ziel der Bachelorarbeit
1.2. Ziel und Inhalt des Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO
1.3. Methodische Vorgehensweise
2. Beantragung des Schutzschirmverfahrens
2.1. Notwendige Anträge
2.2. Materielle Voraussetzungen
2.3. Optionale Anträge
3. Zu beachtende Aspekte bei den notwendigen Anträgen
3.1. Antrag zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 13 InsO
3.2. Antrag auf Eigenverwaltung nach § 270 InsO
3.3. Beantragung des Schutzschirms
4. Einsatz eines vorläufigen Sachverwalters
4.1. Unterschiede zwischen Insolvenz- und Sachverwalter und deren Aufgaben
4.2. Personenverschiedenheit
4.3. Vorschlagsrecht des Schuldners / Ablehnung durch das Gericht
5. Die Sanierungsbescheinigung nach § 270b (1) S. 3 InsO
5.1. Aufgabe der Bescheinigung
5.2. Anforderungen an den Aussteller der Bescheinigung
5.3. Formelle Voraussetzungen der Bescheinigung
5.4. Inhaltliche Voraussetzungen der Bescheinigung
5.5. Haftung des Ausstellers Haftung des Ausstellers ggü. dem Schuldner Haftung des Ausstellers ggü. Dritten
6. Der Insolvenzplan
6.1 Darstellender Teil des Insolvenzplans
6.2. Gestaltender Teil des Insolvenzplans
6.3. Gläubigergruppenbildung
6.4. Anlagen
7. Verfahrensablauf
7.1. Aufstellung und Vorlage des Insolvenzplans / Vorprüfung durch das Gericht
7.2. Erörterung des Plans
7.3. Annahme des Plans
7.4. Stimmberechtigung und Mehrheiten
7.5. Obstruktionsverbot
7.6. Zustimmung des Schuldners
7.7. Prüfung und Bestätigung des Sanierungsplans durch das Gericht.
7.8. Bekanntgabe der gerichtlichen Entscheidung und deren Rechtsfolgen
8. Beendigung und Aufhebung des Schutzschirmverfahrens
8.1. Aussichtslosigkeit der angestrebten Sanierung
8.2. Aufhebungsantrag durch vorläufigen Gläubigerausschuss
8.3. Aufhebungsantrag durch einzelne Gläubiger
8.4. Unberechtigte Erlangung des Schutzschirmverfahrens / Vorzeitige Fertigstellung des Sanierungsplans
8.5. Aufhebungsanordnung des Insolvenzgerichts
9. Fallstudie: Sanierung eines mittelständigen Bäckereiunternehmens unter Anwendung des Schutzschirmverfahrens
9.1. Unternehmensbeschreibung
9.2. Branche und Umfeld
9.3. Krisenverlauf
9.4. Krisenursachen
9.5. Sanierungsmaßnahmen
9.5.1. Maßnahmen außerhalb des Verfahrens
9.5.2. Maßnahmen basierend auf dem Sanierungs- / Insolvenzplan
9.6. Ergebnisse der Sanierungsmaßnahmen ab dem 01.05.15 bis heute
9.7. Beurteilung der Sanierung im Vergleich zum regulären Insolvenzverfahren
10. Persönliches Fazit
11. Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
1.1. Motivation / Ziel der Bachelorarbeit
Die vorliegende Bachelorarbeit behandelt das Thema „Praktische Aspekte des in- solvenzrechtlichen Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO“.
Ziel der Arbeit ist die Darstellung der Bedingungen, die der Schuldner erfüllen und beachten muss, um Anspruch auf diese Form des Insolvenzverfahrens erheben zu dürfen. Um das Ergebnis des Schutzschirmverfahrens an einem Praxisbeispiel zu verdeutlichen, wird ein anonymisiertes Unternehmen vorgestellt, das dieses Verfahren aktuell durchläuft. Im Zuge dessen werden die Krisenursachen, die Sa- nierungsmaßnahmen sowie die bisherigen Resultate des alternativen Insolvenz- verfahrens vorgestellt. Im Anschluss werden die bisherigen Ergebnisse dieses Verfahrens denen eines regulären Insolvenzverfahrens gegenübergestellt, so dass letztendlich ein Vergleich möglich ist, in welchem Verfahren die Gläubiger besser befriedigt werden können.
1.2. Ziel und Inhalt des Schutzschirmverfahrens nach § 270b InsO
Unternehmer haben beim Begriff der Insolvenz gemischte Gefühle. Sie befürchten ihr Mitspracherecht innerhalb des Unternehmens und bei dessen Abwicklung auf- geben zu müssen genauso wie die Zerstörung des Lebenstraums vom eigenen Unternehmen. Grund für diese Befürchtungen ist, dass zahlreiche Unternehmer nur das Regel-insolvenzverfahren nach § 11 ff. InsO kennen, bei dem das Gericht gleich nach Beschluss über die Eröffnung des Verfahrens einen regulären Insol- venzverwalter nach § 27 InsO einsetzt. Dieser hat dann aufgrund § 80 (1) InsO die volle Verfügungsmacht über jeden einzelnen Vermögensgegenstand des Un- ternehmens. Vorgeschaltet kann nach § 21 (2) S.1 Nr. 2 InsO eine Anordnung vom Gericht erfolgen, dass der Schuldner alle Handlungen von einem vorläufigen Insolvenzverwalter sich genehmigen lassen muss.1
Um diese oben aufgeführte Situation zu vermeiden, spiegelt sich die Krisen- bewältigung des Unternehmens bzw. des Schuldners in folgenden Maßnahmen wider: der Verkauf von Forderungen und die Aufnahme weiterer Kredite. Kurzfristig führen diese voreiligen Handlungen zu einer Verbesserung der Liquidität und durch den raschen Erfolg dieser Maßnahmen wächst die Hoffnung des Schuldners darauf die Krise einfach aussitzen zu können.2 Dieser Prozess kann auch als eine außergerichtliche Sanierung des Schuldners angesehen werden, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht einsehen will, dass nur mit der Einwirkung von außen eine Rettung des Unternehmens möglich ist. Die Sanierung des Unternehmens wird endgültig unmöglich, wenn das Unternehmen sich durch seine eigenen Lösungsansätze den Ausweg aus der Krise selbst versperrt hat. Noch mehr Schulden sowie höhere Zinsbelastungen führen meist dazu, dass sich die Lieferanten und Kreditgeber an den Rettungsversuchen in Form von längeren Zahlungsfristen oder Stundungen nicht mehr beteiligen. Das Vertrauen in die Ex- pertise des Schuldners ist verloren und nur durch die Abwicklung des Unterneh- mens ist für die Gläubiger noch eine Chance gegeben zumindest einen Teil ihrer Forderungen zu erhalten. Die Liquidation ist das Resultat der Schuldnerpolitik, die zwar hoffnungsvoll beginnt, aber letztlich ein fatales Ende nimmt.3
Aufgrund dieser Problematik hat der Gesetzgeber das Gesetz zur weiteren Er- leichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) am 1.3.2012 eingeführt. Darunter fällt auch das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO, das dem Schuldner einen Anreiz gibt schon rechtzeitig bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einen Insolvenzantrag in Verbindung mit einem Antrag auf Eigenverwaltung stellt.4 Zu diesem Zeitpunkt sind die Chancen für eine Rettung des Unternehmens durch eine umfassende Sanierung größtenteils noch möglich.
Wenn sich das Unternehmen für diesen Schritt entscheidet, erhält sie die Mög- lichkeit innerhalb von 3 Monaten, frei von Vollstreckungsmaßnahmen, ein Sanie- rungskonzept in Eigenverwaltung zu erarbeiten. Dieses Konzept wird anschlie- ßend als Insolvenzplan umgesetzt. Dabei wird der Schuldner unter die Auf- sicht eines vorläufigen Sachwalters gestellt, ohne dass ihm die Verwaltungs- und
Verfügungsbefugnis entzogen wird.5 Die kurze Frist von maximal 3 Monaten stellt einen weiteren Vorteil des Schutzschirmverfahrens dar. Diese soll gewährleisten, dass dieses Vorhaben so schnell wie möglich umgesetzt wird.6
27,5 Mrd. Euro Verluste entstanden den deutschen Gläubigern allein im Jahr 2016 durch Forderungsausfälle. Gleichzeitig verloren 221.000 Arbeitnehmer ihren Ar- beitsplatz durch Unternehmensinsolvenzen. 7 Im Hinblick auf den volkswirtschaft- lichen Schaden durch verspätete Sanierungsentscheidungen der Unternehmens- führungen, steht die gezielte Rettung von in Schieflage geratenen Unternehmen im Fokus des Gesetzgebers.
1.3. Methodische Vorgehensweise
Zur besseren Übersicht ist die Arbeit im Wesentlichen in neun Kapitel aufgeteilt. Zum Abschluss der Bachelorarbeit erfolgt in Kapitel zehn noch ein persönliches Fazit.
Im ersten Kapitel werden die Grundlagen behandelt, was unter dem Schutzschirm- verfahren nach § 270b InsO zu verstehen ist, welches Ziel der Gesetzgeber damit verfolgt und welche Unterschiede zum regulären Verfahren nach § 11 InsO beste- hen.
Im zweiten Kapitel wird auf die formellen und materiellen Voraussetzungen und die Anträge eingegangen, die für das Schutzschirmverfahren gestellt werden müssen. Außerdem werden die optionalen Anträge, die der Schuldner stellen sollte, um Er- leichterungen während der Zeit des Schutzschirmverfahrens zu erfahren in diesem Kapitel aufgezeigt.
Besonderheiten und auch zu beachtende Aspekte wie zum Beispiel der Ort der Beantragung oder auch wer diese Anträge stellen darf; diese und weitere Punkte werden in Kapitel Drei ausführlich erläutert.
Das vierte Kapitel erklärt die Unterschiede zwischen einem vorläufigen Insolvenz- und einem vorläufigen Sachverwalter sowie deren verschiedene Aufgaben.
Die Sanierungsbescheinigung nach § 270b InsO, deren Aufgabe, die Anforde- rungen an den Aussteller dieser Bescheinigung, die formellen und inhaltlichen Vo- raussetzungen dieser Bescheinigung und die Problematik einer fehlerhaft ausge- stellten Bescheinigung werden im fünften Kapitel aufgeführt.
Den Aufbau und die Inhalte des Insolvenzplans, auch Sanierungsplan genannt, der innerhalb der Zeit des Schutzschirms entwickelt und anschließend umgesetzt wird, behandelt das sechste Kapitel.
Der Ablauf des Verfahrens von der Planung bis zur endgültigen Bestätigung durch das Gericht, deren Rechtsfolge und die Besonderheiten, die an verschiedenen Punkten auftreten können, werden im Kapitel sieben aufgezeigt.
Gründe, die zur Beendigung des Verfahrens führen, welche Interessengruppen den Antrag auf Aufhebung des Schutzschirmverfahrens stellen können, aber auch die darauffolgenden Handlungen des Gerichts und die Folgen, die sich für den Schuldner ergeben sowie die Folgen der Erschleichung des Schutzschirmverfah- rens durch vorsätzliche Falschangaben des betroffenen Unternehmers, werden im achten Kapitel näher erläutert.
Das neunte, zugleich auch vorletzte Kapitel dieser Bachelorthesis, stellt die prak- tische Anwendung des Schutzschirms anhand einer Fallstudie über eine mittel- ständische Bäckerei dar. Nach erfolgreichem Antrag des Schutzschirmverfahrens befindet sich dieses Unternehmen derzeit im Stadium der Umsetzung des Insol- venz- bzw. Sanierungsplans. Am Ende des Kapitels wird der Vergleich aufgestellt, welche Form der Insolvenz, also reguläres Insolvenzverfahren oder Schutzschirm- verfahren, für die Gläubiger vorteilhafter ist.
2. Beantragung des Schutzschirmverfahrens
2.1. Notwendige Anträge
Das Schutzschirmverfahren ist ein Spezialverfahren innerhalb der Eigenverwal- tung. Die Voraussetzungen der Beantragung finden sich im § 270b InsO wieder. Das Schutzschirmverfahren beginnt mit dem Insolvenzeröffnungsantrag und endet mit Verfahrensbeginn.8 Der Schuldner hat drei Anträge gleichzeitig zu stellen. Der erste Antrag bezeichnet sich als regulärer Insolvenzeröffnungsantrag nach § 13 InsO, daneben ist ein Antrag auf Eigenverwaltung (§ 270 InsO) und ein Antrag zur Fristbestimmung bzgl. der Vorlage des Insolvenzplans (§ 270b (1) S.3 InsO) zu stellen.9 Dieses Verfahren kann nur vom Schuldner selbst beantragt werden und wird erst nach erfolgter Prüfung der Voraussetzungen vom Insolvenzgericht ange- ordnet.10 Der Eröffnungsantrag gemäß § 13 InsO muss zwingend gestellt werden, ansonsten ist eine Sanierung des Unternehmens nach dem Schutzschirmverfah- ren unmöglich, da das Verfahren im Rahmen des Insolvenzverfahrens erfolgt.11 Das Schutzschirmverfahren wird vom Gericht nach § 270b (1) S.1 InsO nur eröff- net, wenn der Antrag vom Schuldner aufgrund einer drohenden Zahlungsunfähig- keit nach § 18 InsO oder einer Überschuldung nach § 19 InsO gestellt wird. Die Voraussetzungen für eine drohende Überschuldung finden sich im § 18 (2) InsO bzw. bei einer drohenden Zahlungsunfähigkeit im § 19 (2) InsO wieder. Der Ge- setzgeber möchte den Schuldner zu einer frühen Antragsstellung bewegen, da die Chancen für eine erfolgreiche Sanierung dann besser stehen. Wenn der Antrag zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt, ist die verfügbare Liquidität geringer. Die Unter- nehmensführung sowie -sanierung wird in der Folge schwieriger bis unmöglich.12 Die Antragsgründe müssen laut § 270b (1) S.1, 1. HS InsO im Zeitpunkt der An- tragsstellung vorliegen.13
2.2. Materielle Voraussetzungen
Um das Schutzschirmverfahren vollziehen zu können, muss der Schuldner vorweisen können, dass die angestrebte Sanierung erfolgreich durchgeführt wer- den kann, also eine positive Aussicht auf eine Sanierung besteht. Dies wird durch eine Bescheinigung, die ein in Insolvenzsachen erfahrener Steuerberater, Wirt- schaftsprüfer, Rechtsanwalt oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation vor- zulegen hat, nach § 270b (1) S.3 InsO nachgewiesen.
Damit die Sanierung als nicht aussichtslos attestiert wird, wird das Unternehmen des Schuldners umfassend analysiert.14 Eine Erfolgsaussicht kann jedoch nie voll- ständig bejaht werden, da verschiedene Ereignisse vom Schuldner wie die zukünf- tige wirtschaftliche Lage sowie das Konsumentenverhalten nicht beeinflusst wer- den können. Wenn ein Großteil der analysierten Aspekte für eine erfolgreiche Sanierung sprechen und diese auch einer Plausibilitätskontrolle standhalten, dann ist davon auszugehen, dass eine Sanierung als nicht aussichtslos bewertet werden kann.15
Eine Sanierung gilt als aussichtslos, wenn die Gläubiger einer Sanierung nicht zustimmen, ihre Unterstützung verweigern und weiterhin auf eine sofortige Begleichung ihrer Forderungen bestehen. Dies kann zum Beispiel bei einem Sanierungsplan der Fall sein, der kein tragfähiges Konzept bei konkreten Szenarien wie etwa Absatzrückgang oder Kündigungen von Lieferantenbeziehun- gen, aufzeigt. Ebenfalls kann kein Sanierungsplan der Plausibilitätsprüfung stand- halten, wenn er ausschließlich auf unrealistischen Planungen und Annahmen beruht.16 Zusätzlich zur positiven Sanierungsaussicht in Form der Sanierungs- bescheinigung nach § 270 b (1) S.2 InsO muss aus dem Eröffnungsantrag für das Insolvenzgericht ersichtlich sein, ob das Schutzschirmverfahren aufgrund einer drohenden Überschuldung (§ 19 InsO) oder aufgrund einer drohenden Zahlungs- unfähigkeit (§ 18 InsO) gestellt wird.17
Nach § 270b (1) S.1 InsO darf im Zeitpunkt der Antragstellung noch keine Zah- lungsunfähigkeit gemäß § 17 InsO beim Schuldner vorliegen, sonst kann das Schutzschirmverfahren nicht mehr beantragt werden. Dasselbe gilt, wenn eine Zahlungsunfähigkeit bei Beantragung zwar noch nicht vorliegt, es aber nur eine
Frage von Wochen oder Tagen ist bis dieser Status eintrifft. In diesem Fall ist der Antrag zwar nicht aufgrund § 17 InsO unzulässig, die erforderliche Bescheinigung nach § 270b (1) S.2 InsO wird jedoch nicht mehr ausgestellt, da eine Sanierung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erfolgreich sein wird.18 Eine zusammen- fasssende Grafik bzgl. der materiellen Voraussetzungen befindet sich im Abbil- dungsverzeichnis 1.
2.3. Optionale Anträge
Zusätzlich zu den verpflichtenden Anträgen können weitere Anträge optional gestellt werden. Zum einen ist ein Antrag auf Ermächtigung zur Begründung von Masseverbindlichkeiten nach § 270b (3) InsO mit zusätzlicher Beachtung des
§ 55 (2) InsO möglich. Wenn der Schuldner diesen Antrag stellt, hat er die Rechts- stellung eines starken Insolvenzverwalters und hat nun die Möglichkeit die Phase der Sanierung zu nutzen, um Verbindlichkeiten bei Lieferanten zu begründen. Diese Forderungen seitens der Gläubiger sind keine ungesicherten Insolvenz- forderungen, sondern haben den Rang von Masseverbindlichkeiten. Diese Forde- rungen haben einen höheren Stellenwert und werden vorrangig bedient, denn die Lieferanten sollen auch in dieser Phase den Schuldner mit den benötigten Produkten und Rohstoffen beliefern, sodass ein Weiterbetrieb der Unternehmung möglich ist.19
Zum anderen besteht die Option eines Antrags auf Vollstreckungsschutz nach
§ 270 b (2) S.3, 2 HS InsO, gemäß § 21 (2) Satz 1 Nr. 3 und 5 InsO. Durch den Vollstreckungsschutz erlangt der Schuldner die Sicherheit, dass er Gegenstände, die er durch Leasing in seinem Besitz oder unter Eigentumsvorbehalt gekauft hat, nicht herausgeben muss solange sie für den Weiterbetrieb des Unternehmens zwingend notwendig sind. Im Gegenzug müssen dementsprechend monatliche Zahlungen aus der Insolvenzmasse an den Gläubiger geleistet werden (§ 169 S.2 InsO).20 Auch die optionalen Anträge müssen immer vom Schuldner selbst gestellt werden. Das Gericht trifft von sich aus keine entsprechenden Anordnungen.21
3. Zu beachtende Aspekte bei den notwendigen Anträgen
3.1. Antrag zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 13 InsO Formalia und örtliche Zuständigkeit
Bei der Beantragung des Insolvenzverfahrens nach § 13 InsO müssen verschie- dene formale Anforderungen erfüllt werden, damit keine Verzögerungen bei der Bearbeitung eintreten. Um überhaupt einen Antrag stellen zu können, muss der Antragssteller den Voraussetzungen des § 11 (1) alternativ (2) InsO entsprechen. Das Gesetz unterscheidet zwischen natürlichen Personen, Gesellschaften mit Rechtspersönlichkeit (GmbH, AG) oder ohne Rechtspersönlichkeit (OHG, KG, Partnergesellschaft, GbR).22
Seit dem 01.07.2007 gilt das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens. Dieses besagt: Jeder Antragssteller darf die Anträge nur noch schriftlich stellen.23 Der Antrag muss immer bei dem Insolvenzgericht erfolgen, wo der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat (§ 3 (1) S.1 InsO).24 Bei natürlichen Personen ist der Wohnsitz maßgeblich. Bei den juristischen Personen und den Personenhandelsgesellschaften ist der Ort gemäß § 4 i. V. m. den §§ 12, 13 und 17 ZPO der Unternehmenssitz grundlegend. Sollte sich der wirtschaftliche Mittel- punkt des Schuldners an einem anderen Ort befinden, ist das Gericht, das jenen Bezirk inne hat für den Antrag zuständig, (§ 3 (1) S.2 InsO).25
Aufzählung der Parteien und der Vermögensmasse
Der Insolvenzantrag muss genau aufführen, wer die entsprechenden Parteien sind, d.h. wer Antragssteller und Antragsgegner ist (§ 4 InsO i. V. m.
§§ 253 (2) Nr. 1, 191 Nr. 3 ZPO) und über welche Vermögensmasse das Insol- venzverfahren geführt werden soll. Es darf keinerlei Zweifel über die Identität der Parteien geben. Deshalb müssen im Antrag der Name und eine ladungsfähige Anschrift angegeben werden. Sollte keine Anschrift verfügbar sein, weil der
Schuldner sich an einem unbekannten Ort aufhält und auch eine Anfrage beim Einwohnermeldeamt nicht den gewünschten Erfolg bringt, ist die öffentliche Zu- stellung gemäß §§ 15a, 185 ZPO die letzte Möglichkeit, um sich an die Schuldner zu wenden.26
Bezüglich der Bewilligung, Ausführung der öffentlichen Zustellung sowie dessen Anzahl an Veröffentlichungen muss das Gericht sich an den §§ 186 und 187 ZPO orientieren. Spätestens wenn das Gericht keine andere Frist bestimmt hat, liegt nach § 188 ZPO eine Zustellung nach Ablauf eines Monats vor.
Berechtigung zur Antragstellung
Bei einer juristischen Person oder einer Personenhandelsgesellschaft gibt es bezüglich der Antragstellung noch einige Dinge mehr zu beachten als bei einer natürlichen Person.
Wer einen Antrag auf Eröffnung des Verfahrens bei einer Personen- oder Kapital- gesellschaft stellen darf, richtet sich nach dem Antragsgrund. Wird ein Antrag aufgrund von Überschuldung nach § 19 InsO gestellt, darf jedes Mitglied des Vertretungsorgans sowie alle persönlich haftenden Gesellschafter den Antrag stellen.27 Die Verifizierung des Antragstellers als ein Mitglied des Vertretungsor- gans erfolgt über einen Handelsregisterauszug bzw. durch den Gesellschafts- vertrag.28 Liegt als Eröffnungsgrund jedoch eine drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) vor, bestimmt der § 18 (3) InsO, dass grundsätzlich alle Mitglieder des Vertretungsorgans bzw. die persönlich haftenden Gesellschafter den Eröffnungs- antrag gemeinsam stellen müssen. Ist die Antragstellung so nicht möglich, muss der Antragssteller mittels Handelsregisterauszug oder Gesellschaftsvertrag nach- weisen, dass er zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt und ermächtigt ist.29 Bei Personen- oder Kapitalgesellschaften ist von Gesetzesseite keine zusätzliche Glaubhaftmachung notwendig, wenn alle Mitglieder des Vertretungsorgans die Eröffnung des Verfahrens beantragen. Wenn nicht alle Mitglieder der organschaft- lichen Vertretung bzw. alle persönlich haftenden Gesellschafter den Eröffnungs- antrag gemeinsam stellen, muss eine Glaubhaftmachung des Eröffnungsgrundes erfolgen. Dies ist unter anderem auch eine Voraussetzung für die Zulässigkeit des Eröffnungsantrages (§ 15 (2) S.1 InsO).30 Die Glaubhaftmachung richtet sich nach § 4 InsO i.V.m. § 294 ZPO. Auch eine Anhörung der übrigen Mitglieder aus dem Kreise des Vertretungsorgans hat nach § 15 (2) S.3 InsO zu erfolgen.31
Anlagen
Dem Antrag muss zusätzlich ein Gläubigerverzeichnis des Schuldners (§ 13 (1) S.3 InsO) beigefügt werden.32 Sofern der Geschäftsbetrieb nicht eingestellt wurde, hat das Verzeichnis nach § 13 (1) S.4 und S. 6 Nr. 1 InsO folgende Punkte zu enthalten:
- die höchsten Forderungen
- die höchsten gesicherten Forderungen,
- Forderungen der Finanzverwaltung
- Forderungen der Sozialversicherungsträger
- Forderungen aus der betrieblichen Altersversorgung
Zusätzlich müssen nach § 13 S. 5 InsO Angaben über die Bilanzsumme des Unternehmens, die Mitarbeiteranzahl und den Umsatz gemacht werden.33 Diese Werte benötigt das Gericht, um es mit den Schwellenwerten aus § 22a (1) InsO zu vergleichen. Wenn mindestens zwei dieser Schwellenwerte im vorhergehenden Jahr überschritten wurden, muss das Gericht einen vorläufigen Gläubigeraus- schuss bestellen.34 Die Schwellenwerte nach § 22a (1) InsO sind im Folgenden:
- mindestens 6.000.000 € Bilanzsumme, nach Abzug eines auf der Aktivseite ausgewiesenen Fehlbetrages im Sinne des § 268 (3) HGBs
- Mindestens 12 Millionen € Umsatz in den 12 Monaten vor dem Abschluss Stichtag
- Im Jahresdurchschnitt mindestens fünfzig Arbeitnehmer
Anhand der Zahlenmenge, die vorausgesetzt wird, ist ersichtlich, dass diese Regelung nur für Unternehmen gilt, die mindestens einer mittelgroßen Kapital- gesellschaft entsprechen. Kleinere Unternehmen sind hiervon befreit, können aber
freiwillig auf Antrag einen vorläufigen Gläubigerausschuss bilden (Antragsaus- schuss § 22a (2) InsO.
Eine Erklärung, dass die Angaben richtig und vollständig sind, ist vom Schuldner nach § 13 (1) S.7 InsO beizufügen und zu unterschreiben. Diese Erklärung hat aber nicht die Wirkung einer eidesstattlichen Erklärung.35
Rechtsfolgen bei fehlerhaftem Antrag
Wenn der Antrag inhaltliche Mängel aufweist oder unvollständig ist, etwa durch ein fehlendes oder mangelhaftes Gläubigerverzeichnis, liegt eine Unzulässigkeit des Antrags vor. In der Folge muss das Gericht den Antrag zurückweisen. Das Gericht hat gemäß § 139 (5) ZPO dem Schuldner gegenüber die Verpflichtung eine für diesen, angemessene Frist zur Überarbeitung des Antrags zu gewähren. Sollte der Schuldner die ihm gegebene Frist verstreichen lassen, wird der Antrag endgültig als unzulässig abgewiesen.36 Ein fehlerhaftes Gläubigerverzeichnis liegt bei fehlender Ausweisung der Forderungsbeträge oder bei Abkürzung der Gläubiger- namen im Verzeichnis vor. Durch diese Mängel kann sich das Gericht keinen Über- blick verschaffen, welche Personen als Gläubiger anzusehen sind und auch nicht frühzeitig in den Prozess miteinbeziehen.37 Wenn Anträge absichtlich fehlerhaft oder nicht vollständig abgegeben werden und es somit zu Verzögerungen kommt, erfüllt dies den Strafbestand einer Insolvenzverschleppung nach § 15a (4) InsO.
3.2. Antrag auf Eigenverwaltung nach § 270 InsO Zulässigkeit der Antragsstellung
Die Eigenverwaltung gemäß § 270 InsO kann von allen Schuldnern gestellt werden, es sei denn, dass § 304 InsO (Verbraucherinsolvenzverfahren) greift.
Natürliche Personen, die keine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, fallen unter den § 304 (1) S.1 InsO. Bei diesem Personenkreis wird das Verbraucherinsolvenzverfahren angewendet, die sogenannte Privatinsolvenz. Wenn eine Privatperson zwar selbstständig tätig war, aber zum Zeitpunkt der Antragstellung keine selbstständige Tätigkeit mehr ausübt, ist das Verbraucher- insolvenzverfahren aufgrund § 304 (1) S.2 InsO ebenfalls zulässig. Hierzu müssen dessen Vermögensverhältnisse überschaubar sein und keine Gläubigerforderun- gen von Arbeitnehmern aufgrund eines Arbeitsverhältnisses vorliegen (§ 304 (2) InsO). Für diese Personengruppe ist das vorläufige Eigenverwaltungsverfahren, speziell das Schutzschirmverfahren, nicht anwendbar.38
Beantragung und Prüfung evtl. vorliegender Gläubigernachteile Die Antragsstellung muss immer vom Schuldner selbst erfolgen. Eine Anordnung vom Gericht selbst ist nicht möglich (§ 270 (2) Nr. 1 InsO).39
Nach § 270 (2) Nr. 2 InsO darf dem Antrag vom Insolvenzgericht nur stattgegeben werden, wenn den Gläubigern unter Betrachtung der vorliegenden Lage keine Nachteile entstehen.40
Das Gericht muss bei seiner Entscheidung die Meinungen der Gläubigergruppen aufgrund der Gläubigerautonomie berücksichtigen. Grundsätzlich wird es nur zu einer Ablehnung des Antrags kommen, wenn das Gericht von Umständen erfährt, die gegen die Freigabe sprechen, z.B. Lieferanten weigern sich den Schuldner weiterhin zu beliefern oder wenn in der Geschäftsleitung des Unternehmens Uneinigkeit herrscht, ob die Eigenverwaltung der richtige Schritt aus der Krise ist. Bei einer Insolvenzverschleppung ist die Ablehnung des Antrags ebenfalls abseh- bar. Hier erstreckt sich die Phase, in der der Schuldner im vollen Bewusstsein zum Nachteil der Gläubiger handelt, obwohl für jeden Dritten ersichtlich ist, dass der Status einer Überschuldung vorliegt über einen längeren Zeitraum. Schuldner, die schon jetzt zum Nachteil der Gläubiger handeln, sollen nicht in den Genuss des Schutzschirmverfahrens kommen. Diese beispielhafte Aufzählung sind Faktoren, die gegen eine positive Entscheidung des Gerichts sprechen und zur Folge haben, dass der Antrag abgelehnt wird.41
3.3. Beantragung des Schutzschirms Vorlagefrist
Wenn die Anträge des Schuldners vom Insolvenzgericht positiv beurteilt worden sind, muss dem Schuldner gemäß § 270b (1) S.1 InsO eine Frist bestimmt werden, innerhalb derer der Insolvenzplan vorgelegt werden muss. Die Frist hat einen Ermessensspielraum seitens des Gerichts und beträgt nach § 270b (1) S.2 InsO bis zu drei Monate.42 Das Gericht orientiert sich bei der Gewährung der Frist- dauer meist nach dem Risiko für die Gläubiger und an den Erfolgsaussichten für die Sanierung. Je größer die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Sanierung nicht erfolgreich sein wird, umso kürzer setzt das Gericht die Frist fest.43 Die positive Bescheinigung nach § 270b (1) S.3 InsO besagt zwar, dass eine Sanierung nicht aussichtslos ist, ist aber keine Garantie auf Erfolg, da die Analyse der aufgestellten Prognosen nur eine Momentaufnahme zeigt und unerwartete Risiken nicht ausge- schlossen werden können. Deswegen ist das Gericht verpflichtet sich selbst eine Meinung zu bilden. Die Bescheinigung dient nur als Hilfestellung zur Entscheidungsfindung.44 Eine Verlängerung der Dreimonatsfrist ist nicht möglich und vom Gesetz nicht vorgesehen.45
4. Einsatz eines vorläufigen Sachverwalters
4.1. Unterschiede zwischen Insolvenz- und Sachver- walter und deren Aufgaben
Gibt das Insolvenzgericht dem Antrag des Schuldners auf das Schutzschirm- verfahren nach § 270b (1) InsO statt, bestellt das Gericht gemäß § 270b (2) InsO einen vorläufigen Sachverwalter nach § 270a (1) S. 2 InsO. Der Einsatz eines vorläufigen Sachverwalters ist bei der Gewährung des Schutzschirmverfahrens eine zwingende Maßnahme.46 Der Unterschied zu einem regulären Insolvenz- verwalter ist, dass sich die Pflichten des vorläufigen Sachverwalters am § 274 (2) und (3) InsO orientieren. Dessen Hauptpflichten nach Absatz 2 sind schwerpunkt- mäßig die Prüfung und Überwachung der finanziellen Lage und Lebensführung des Schuldners. Das bedeutet, er hat die Aufgabe zu verhindern, dass der Schuld- ner Vermögenswerte aus der Schuldnermasse bewegt oder einzelne Gläubiger entgegen dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung bevorzugt behandelt.
Zusätzlich gehört gemäß § 274 (3) InsO auch zu seinen Pflichten, Handlungen die nachteilig für die Gläubiger sein können, ohne Verzögerung dem Insolvenzgericht bzw. dem Gläubigerausschuss zu melden.47
Einen komplett anderen Aufgabenschwerpunkt hat der reguläre Insolvenz- verwalter, dessen Rechte und Pflichten sich auf die §§ 80 InsO und 21 (2) S.1 Nr.
2 InsO stützen. Diese gewähren ihm weitreichende Verfügungs- und Genehmigungsbefugnisse. Hier wird der Schuldner quasi entmachtet, er verliert das Recht über sein zur Insolvenzmasse gehörendes Vermögen frei zu verfügen wie es ihm beliebt.48 Eine zusammenfassende tabellarische Aufstellung befindet sich im Abbildungsverzeichnis 2.
4.2. Personenverschiedenheit
Nach § 270b (2) S.1, 2 HS InsO darf die Person, die eine Sanierungsbescheini- gung ausstellt, nicht zugleich auch die Funktion des vorläufigen Sachverwalters
ausüben. Aussteller und vorläufiger Sachverwalter dürfen ebenfalls nicht der glei- chen Kanzlei angehören, um Neutralität und Unabhängigkeit zu gewährleisten. An- dernfalls könnten Nachteile für die Gläubiger entstehen, z.B. dass in der Beschei- nigung eine zu positive Prognose attestiert wird, diese aber so nicht den gegebe- nen Umständen entspricht.49 Es könnte sogar der Verdacht einer Gefälligkeit entstehen.
4.3. Vorschlagsrecht des Schuldners / Ablehnung durch das Gericht
Grundsätzlich hat der vorläufige Gläubigerausschuss basierend auf die § 21 (2)
S.1 Nr. 1 i.V.m. § 56a InsO das Vorschlagsrecht hinsichtlich des vorläufigen Sach- verwalters.50 Aber im Fall des Schutzschirmverfahrens wird diese Regelung zugunsten des Schuldners zurückgestellt und er darf nach § 270b (2) S.2 InsO den Sachverwalter vorschlagen.51 Hintergrund dieser Regelung ist, dass der Schuldner die Sicherheit haben soll eine Sanierung mit einer Person seines Vertrauens erarbeiten zu können.52
Eine Ablehnung kann nur erfolgen, wenn die vorgeschlagene Person nicht die Voraussetzungen des § 56 (1) InsO erfüllt. Sollte dies der Fall sein, muss das Gericht diese Entscheidung begründen (§270b (2) S.2 InsO)53
5. Die Sanierungsbescheinigung nach § 270b (1) S. 3 InsO
5.1. Aufgabe der Bescheinigung
Für das Schutzschirmverfahren wird eine Sanierungsbescheinigung nach § 270b
(1) S.3 InsO benötigt. Aufgabe der Bescheinigung ist die Prüfung und Feststellung der Sanierungsoptionen, die sich der Schuldner vorstellt. Unter der Berücksichti- gung der individuellen Finanzlage und Handlungsmöglichkeiten muss der Plan auch in der Praxis umzusetzen sein. Viele Gläubiger sind grundsätzlich skeptisch in Bezug auf § 270b InsO, weil ihre Forderungen weiterhin nicht befriedigt werden können. Zusätzlich sollen sie dem Schuldner vertrauen, dass dieser den Weg aus der Krise findet. Die Bescheinigung, ausgestellt von einer fachlich versierten, neut- ralen Person, soll die Gläubiger überzeugen, dass die Planungen Bestand haben, damit eine erfolgreiche Umsetzung grundsätzlich möglich ist.54
5.2. Anforderungen an den Aussteller der Bescheini- gung
§ 270b (1) S.3 InsO erwartet vom Bescheinigenden die Erfüllung zweier Voraus- setzungen. Zum einen die Qualifikation als Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt; diesen Personengruppen sind Steuerbevollmächtigte und verei- digte Buchprüfer gleichgestellt. Zum anderen müssen neben der beruflichen Qua- lifikation auch praktische Erfahrungen in Insolvenzsachen nachweisbar vorliegen. Es muss sichergestellt sein, dass die Auswirkungen der geplanten Maßnahmen im Hinblick auf ein langfristiges Bestehen der Unternehmung von Vorteil sind und da- mit auch den Sanierungsprozess voranbringen können, richtig beurteilt werden können. Des Weiteren muss die Größenordnung der Unternehmen, die der Bescheinigende schon betreut hat, beachtet werden.
Wenn das Schuldnerunternehmen ein weltweit agierender Konzern ist, der Gutachter aber bisher eher kleine Unternehmen erfolgreich begleitet hat, ist seine Expertise dennoch unzureichend, denn kleine Unternehmen unterscheiden sich
von großen Konzernen aufgrund der unterschiedlichen wirtschaftlichen Gegeben- heiten, wie etwa Absatzmärkte, Kundenstrukturen und Vertriebswege meist erheblich.55 Eine bestimmte Erfahrungsdauer ist vom Gesetz her nicht vorge- schrieben. Hier haben die Gerichte selbstständig und individuell ein Anforderungs- profil zu erstellen. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass eine Erfahrungsdauer von mindestens vier Jahren vorhanden sein sollte.56
Eine grafische Übersicht über die Anforderungen an den Gutachter findet sich im Abbildungsverzeichnis 3.
5.3. Formelle Voraussetzungen der Bescheinigung
Die Bescheinigung erfordert die Schriftform und eine klare Erkennbarkeit in Bezug auf den Aussteller.57 Eine bloße Feststellung ohne weitere Erläuterungen, dass keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt oder die Sanierung nicht aussichtslos ist, genügt nicht. Aus dem Gesetz nach § 270b (1) S.3 InsO geht der Wortlaut „mit Gründen versehene Bescheinigung“ hervor, sodass die Bescheinigung nicht dem IDW S 6 Standard entsprechen, jedoch stichhaltige Begründungen enthalten muss.
Unter anderem muss die wirtschaftliche Lage des Schuldners untersucht werden. Diese unterteilt sich in Vermögens-, Ertrags- und Finanzlage, aber auch Krisenur- sache und dessen Lösung.58 Erst mit diesen Ergebnissen ist eine qualitative Aus- sage seitens des Bescheinigungserstellers möglich.
Wäre der höhere Standard nach IDW immer erforderlich, würden kleine und mittelgroße Unternehmen aus Kostengründen die Möglichkeit dieser Sanierungs- form nicht in Anspruch nehmen, da ausreichende finanzielle Möglichkeiten nicht vorhanden sind. Trotzdem muss aus der Bescheinigung das Ergebnis hervorge- hen, dass ein Sanierungsvorhaben positiv bewertet wird oder zumindest in diese Richtung optiert. Bei der Berichterstattung gegenüber dem Sachwalter kommt es auf die Unternehmensgröße an. Große Unternehmen müssen eine umfangreichere Berichterstattung vorweisen müssen als kleinere Unternehmen.59 Entweder sollte die Bescheinigung weitestgehend den Anforderungen
des IDW S 6 entsprechen oder das Gutachten muss sehr tiefgründig sein und entsprechende Erläuterungen zu problematischen Punkten beinhalten. Dadurch kann sichergestellt werden, dass die Bescheinigung nicht aus Gefälligkeit ausge- stellt wurde.60
Aufgrund der Problematik hat der Berufsstand der Wirtschaftsprüfer den IDW S 9 eingeführt, der heute für eine Bescheinigung nach § 270 b(1) S.3 InsO verwendet wird.61 Eine Grobgliederung des IDW S 9 ist im Anhang unter Abbil- dungsverzeichnis 4 beigefügt.
5.4. Inhaltliche Voraussetzungen der Bescheinigung Eigene Einschätzung / Nachforschung
Aus der Bescheinigung muss die eigene Einschätzung des Ausstellers, basierend auf seinen Nachforschungen, die aus der eigenen Erfahrung und des Fachwissens resultieren, hervorgehen. Ungeprüfte Aussagen und Sachverhalte des Schuldners dürfen nicht in die Bescheinigung mit einfließen. Auch Erklärungen des Schuldners in der Form, dass keine Umstände gegen eine erfolgreiche Sanierung sprechen dürfen nicht aufgenommen werden. Der Bescheinigende muss alle Sachverhalte und relevanten Punkte selbst oder mithilfe der Unterstützung seines Teams über- prüfen. Dabei wird von ihm nicht verlangt, dass dieser jedes Schriftstück und jede Rechnung des Schuldners überprüft. Es muss aber eine eigene Meinungsbildung durch die Überprüfung der internen Abläufe des Schuldners möglich sein. Dadurch wird ersichtlich, wie relevant die Aussagen des Schuldners in Bezug auf die Entwicklung des Unternehmens in der Zukunft zu bewerten sind.62
Überprüfung der Zahlungsunfähigkeit, Überschuldung alternativ drohenden Zahlungsunfähigkeit aufgrund § 17, 18, 19 InsO
Eine Zahlungsunfähigkeit nach § 17 InsO muss grundsätzlich verneint, dafür aber eine drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) oder alternativ eine Überschuldung nach § 19 InsO bestätigt werden.63 Sollte der Bescheinigende nicht zu den oben genannten Ergebnissen kommen, darf er die Bescheinigung nicht
ausstellen. Stellt er trotz möglicherweise in Zukunft auftretender Zahlungsunfähig- keit auf eine positive Aussicht ab, so liegt ein Haftungsfall vor, sollte das Verfahren aufgrund seiner Bescheinigung eingeleitet werden und im Nachgang scheitern.64 Eine Zahlungsunfähigkeit darf nach § 17 InsO nicht im Zeitraum der Erstellung der Bescheinigung noch in nächster Zeit nach der Erstellung eintreten.
Die Einschätzung der Liquiditätslage des Schuldners erfolgt mithilfe eines Liquiditätsstatus und einer (kurzfristigen) 3 Wochen Prognose in Form eines Liqui- ditätsplans.
Wenn der Schuldner einen Mangel an Zahlungsmitteln hat und nicht in der Lage ist diesen zu beheben, d.h. er kann seine Verbindlichkeiten nicht begleichen. Das ist z.B. der Fall, wenn jemand 10 % seiner fälligen Verbindlichkeiten nicht innerhalb von drei Wochen begleichen kann. Wenn er es schafft innerhalb von drei Wochen diesen Liquiditätsengpass zu beheben, liegt nur eine Zahlungsstockung vor.65
1 Vergleich Buth / Hermmanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, RZ 1
[...]
2 Vergleich Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 2, RZ 6
3 Vergleich Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 2, RZ 7
4 Vergleich Biersch / Goetsch / Haas, InsO 270b, RZ 2
5 Vergleich Haufe Steuer Office Kanzlei-Edition Online, Kunst, HI2236609, Stand: 29.01.2016
6 Vergleich Biersch / Goetsch / Haas, InsO 270b, RZ 2
7 http://www.creditreform.de/fileadmin/user_upload/crefo/download_de/news_termine/wirt-
schaftsforschung/insolvenzen-deutschland/Pressemitteilung_Insolvenzen_in_Deutsch- land_Jahr_2016.pdf
8 Vergleich Uhlenbruck, InsO, 14 Auflage, § 270b, S. 2682, RZ 6
9 Vergleich Buth/Hermanns, Restrukturierung, Sanierung, Insolvenz, 4 Auflage, §26,RN 4
10 Vergleich Frege / Keller / Riederl, Insolvenzrecht, 8 Auflage, RN 2068
11 Vergleich Uhlenbruck, InsO, 14 Auflage, § 270b, S. 2683, RZ 7
12 Vergleich Uhlenbruck, InsO, 14 Auflage, S. 2685, § 270b RZ 11
12 Vergleich BT Drucks. 17/5712, 2011, S.19
13 Vergleich Uhlenbruck, InsO, 14 Auflage, S. 2685, § 270b RZ 12
14 Vergleich Buth / Hermann, Restrukturierung / Sanierung / Insolvenz, 4 Auflage, RN 7
15 Vergleich Uhlenbruck, InsO, 14 Auflage, S. 2686, § 270b RZ 14
16 Vergleich Uhlenbruck, InsO, 14 Auflage, S. 2687, § 270b RZ 16
17 Vergleich Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 161, RZ 631
18 Vergleich Andres / Leithaus, InsO, 3 Auflage, S. 753 § 270b RZ 5
19 Vergleich Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 164 - 165, RZ 648 - 650
20 Vergleich Uhlenbruck, InsO, 14 Auflage, S. 413, RZ 38j + 38k
22 Vergleich Ulrich Foerste, Insolvenzrecht, 6 Auflage, S.18, RZ 25 - 32
23 Vergleich Uhlenbruck, InsO, 14 Auflage, S. 216, § 13 RZ 62
24 Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 151, RN 578
25 Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 151, RN 578 + 579
26 Vergleich Uhlenbruck, InsO, 14 Auflage, S. 216, RZ 63
27 Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 153, 594
28 Vergleich Uhlenbruck, InsO, 14 Auflage, S.218, RZ 73
29 Vergleich Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 154, RZ 595 + 596
30 Vergleich Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 154, 155, RZ 600, 601
31 Vergleich Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 155, RZ 601
32 Vergleich Uhlenbruck, InsO, 14 Auflage, S. 217, RZ 68
33 Vergleich Kraemer / Vallender / Vogelsang, Handbuch zur Insolvenz, RZ 6.4
34 Vergleich Uhlenbruck, InsO, 14 Auflage, § 13, S.222 RZ 94
35 Vergleich Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 152, RZ 589
36 Vergleich Uhlenbruck, InsO, 14 Auflage, S.224, RZ 102
37 Vergleich Uhlenbruck, InsO, 14 Auflage, S. 228, RZ 136
38 Vergleich Ulrich Foerste, Insolvenzrecht, 6 Auflage, S.307-308, RZ 635 - 639
39 Vergleich Andres/Leithaus, InsO, 3 Auflage, S.743, RZ 3
40 Vergleich Nerlich / Römermann, InsO Kommentar, 30 EL/ Juli16, § 270b, V, RN 20
41 Vergleich Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 157, RZ 610 - 612
42 Vergleich Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 159, RZ 618
43 Vergleich Uhlenbruck, InsO, 14 Auflage, S. 2700 RZ 51
44 Vergleich Uhlenbruck, InsO, 14 Auflage, S. 2701 RZ 51
45 Vergleich Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 160, RZ 624
46 Vergleich Uhlenbruck, InsO, 14 Auflage, S. 2702 RZ 56
47 Vergleich Andres/Leithaus, InsO, 3 Auflage, S. 765,766, RZ 11-13
48 Vergleich Wimmer, Frankfurter InsO Kommentar, 8 Auflage, S. 971, RZ 16
49 Vergleich Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 134, RZ 507 - 508
50 Vergleich Braun, InsO Kommentar, 5 Auflage, S. 1252, RZ 9
51 Vergleich Uhlenbruck, InsO, 14 Auflage, S. 2703 RZ 58
52 Vergleich Wimmer, Frankfurter InsO Kommentar, 8 Auflage, S. 2350, RZ 32
53 Vergleich Braun, InsO Kommentar, 5 Auflage, S. 1252-1253, RZ 10 + 12
54 Vergleich Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 131, RZ 491 - 493
55 Vergleich Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 132/133, RZ 495 - 501
56 Vergleich Uhlenbruck, InsO, 14 Auflage, S. 2688, § 270b, RZ 18
57 Vergleich Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 137, RZ 518 - 519
58 vergleich Uhlenbruck, InsO, 14 Auflage, S. 2692, § 270b, RZ 25
59 Vergleich Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 137 – 138, RZ 520 – 522
60 Vergleich Uhlenbruck, InsO, 14 Auflage, S. 2689, § 270b, RZ 21
61 Vergleich https://www.zip-online.de/heft-47-2014/zip-2014-2275-idwstandard-bescheini- gung-nach-270b-inso-idw-s9/
62 Vergleich Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 139 - 141, RZ 527 - 533
63 Vergleich Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 139, RZ 525
64 Vergleich Kolmann, Schutzschirmverfahren, S. 139, RZ 526
65 Vergleich Andres/Leithaus, InsO, 3 Auflage, S. 99, § 17, RZ 2
- Quote paper
- Heinz Bode (Author), 2016, Praktische Aspekte des insolvenzrechtlichen Schutzschirmverfahrens §270b InsO, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/388794
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