James Clifford beschreibt in seinem wichtigem Aufsatz "Über ethnographische Autorität" mit Rückgriff auf die Geschicht der Ethnologie die Arten, durch die Autorität (im Sinne von Autorschaft) zu verschiedenen Zeiten der Ethnologie als Kulturgeschichte erzeugt wurden oder die Autorität dekonstruiert wurde. Insbesondere breitet er eine Idee der dialogischen Autorität aus (mit Rückgriff auf Michail Bachtin, Polyphonie) und hinterfragt kritisch, das generelle Problem der Selbstbeobachtung in allen Prozessen der (teilnehmenden) Beobachtung in ethnologischen und interkulturellen Kontexten.
0. Gliederung
1. Einführung
2. Was ist Autorität?
3. „Ihr seid dort, weil ich dort war!“ – Aufspürung und Auflösung der ethnographischen Autorität in der Sozialanthropologie
3.1. Zur Methode
3.2. Annäherung an die Autoritätsformen
3.3. Die autoritätsschaffenden Elemente für die Ethnologie
3.4. Dialektik von Erfahrung und Interpretation
3.4.1. „Erfahrende Autorität“ (151,12)
3.4.2. „Interpretative Autorität“ (151,12)
3.4.3. „Dialogische Autorität“ und „Polyphone Autorität“ (151, 12)
Exkurs „Polyphonie“ und „Heteroglossie“
4. Weiß noch nicht, wie das heißt?
5. Bibliographie
1. Einführung
„Es gibt im Leben Augenblicke, da die Frage, ob man anders denken kann, als man denkt, und anders wahrnehmen kann, als man sieht, zum Weiterschauen und Weiterdenken unentbehrlich ist.“
Michel Foucault
Clifford Geertz erklärte „die Produkte ethnographischer Interpretation (Niederschrift) zur Fiktion, die Ethnographie zu einem literarischen Genre, das dementsprechend Kriterien der Textgestaltung unterliege“ und brachte die „Problematik der Darstellung (Repräsentation) fremder Lebenswelten durch die ‚Beschreibung’“ zur Sprache (Petermann, 1004, 1ff.). Wobei ‚Repräsentation’ in der postmodernen Ethnologie nicht die Durkheim’sche „kollektive Repräsentation“ eines Gruppenbewusstseins meint, das sich in sozialen Tatsachen manifestiert. Vielmehr geht es auf das von Descartes geäußerte Erkenntnisinteresse der modernen Epistemologie zurück. (vgl. Petermann, 1008, Exkurs) Oder mit den Worten Richard Rortys: „Das Erkennen ist das genaue Darstellen (Repräsentieren) dessen, was sich außer unserem Bewusstsein befindet.“[1]
Werner Petermann, ein namenhafter Münchner Ethnologe, Philosoph und Ägyptologe, Herausgeber der ethnologischen Zeitschrift Trickster und Übersetzer vieler ethnologischer Texte, versteht den Geertz’schen Ansatz in den siebziger Jahren als eine „Abkehr von der zeitgenössischen Ethnologie“, weil sie „das Ende der großen Theorien und Erzählungen [...] einläutete.“ (Petermann, 1002, 10ff.) Insofern kann er als ein Wegbereiter der postmodernen Ethnologie verstanden werden. James Clifford, als „erster Fahnenträger der [postmodernen, d.A.] Bewegung“ (Petermann), beansprucht für sich selbst auf Foucault anspielend lieber den Begriff „kritischer Genealoge“, lehnt die Bezeichnung ‚postmodern’ ab. (vgl. Petermann, 1008, 1-5). James Clifford versucht, den diskursiven Charakter ethnographischer Texte herauszuarbeiten und die „ethnographische Autorität“ zu erkennen.
Ich möchte versuchen, diese Autoritätsmodi nachzuzeichnen und der Frage nachzugehen, weswegen es sinnvoll ist, ethnographische Texte dahingehend zu untersuchen.
2. Was ist Autorität?
Autorität begründet „ein Verhältnis der Über- und Unterordnung [...]“, dass als „Befehls- oder Einflussverhältnis (im Gegensatz zur reinen Macht)“ gekennzeichnet sei durch die „sinnvolle Bejahung durch alle Beteiligten.“ Weiterhin unterscheide man „‚ persönliche’, das heißt in Kleingruppen erworbene Autorität, die auf die Vorbildhaftigkeit oder das besondere Leistungsvermögen einer Person [...] zurückgeht, von ‚ unpersönlicher’ oder ‚ formaler’, das heißt in größeren Sozialzusammenhängen [...] auftretender Autorität, die sich auf Tradition, Recht, Eigentum oder bestimmte Vorstellungen gründet.“
Außerdem könne sich Autorität auch durch den Rang oder eines Amts eines Autoritätsträgers herleiten, dies bezeichne man als ‚ delegierte’ Autorität.[2]
Etymologisch lässt sich das Wort Autorität von lat. auctoritas ableiten, das wiederum vom Verb augere (auctum), wörtlich: vermehren, fördern, abgeleitet ist. Vom gleichen Verb leitet sich das Wort auctor, wörtlich: Mehrer, Förderer, später auch Urheber.[3] Im Mittelalter benutzte man beide Begriffe häufig synonym, später fand das Wort auctor (in der Volkssprache bald ohne Konsonant c) für die Bezeichnung des Verfassers von Texten Verwendung.[4]
[...]
[1] Richard Rorty: Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie. Frankfurt/Main 1981, S. 13. zit. n. Petermann, 1008, Fn. 2730.
[2] vgl.: Lemma „ Autorität “ in: Der Brockhaus multimedial, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim 2003
[3] vgl.: Das Herkunftswörterbuch. DUDEN. Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim 2001. (hier ist das Wort Autorität dem Lemma Autor ungeordnet!). Und: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. 2. Auflage. Akademie Verlag. Berlin 1993.
[4] Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Akademie Verlag. Ebd. Und: Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 24. Aufl. De Gruyter, Berlin/New York 2002. belegen diesen Zusammenhang [mit einem aus dem Anmerkungsapparat nicht zuzuordnenden Literaturhinweis]: Heinze, R. Hermes 60 (1925), 248-366 bzw. 348ff.
- Quote paper
- BA Michael Kempmann (Author), 2004, Zu: James Clifford: 'Über ethnographische Autorität', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38812
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