Das Interesse an der Förderung Hochbegabter lässt sich in der Geschichte der Menschheit sehr weit zurückverfolgen: So wurden bereits im alten China, bei den Griechen und Römern Hochbegabte gefördert, um sie dann in den Dienst des Staates zu stellen. Der chinesische Philosoph Konfuzius (551 - 479 v. Chr.) forderte nach heutiger Kenntnis als erster, hochbegabte Kinder zu suchen und zu fördern. Diese „göttlichen“ Kinder sollten den Fortbestand des Reichtums Chinas garantieren. Auch der griechische Denker Plato (427 - 347 v. Chr.) sprach sich dafür aus, die „besten Naturen“ dazu zu zwingen, alles zu lernen, was für die Gemeinschaft nutzvoll sein könnte. Seiner Meinung nach hing das Überleben der griechischen Demokratie von dieser Erziehung ab, da die Hochbegabten ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten zum Wohle des Staates einsetzen und den Staat führen müssten.
Dementsprechend erfolgte die Förderung Hochbegabter nur sehr selten aus Interesse an der Persönlichkeitsentfaltung des einzelnen Menschen, sondern vielmehr aus politischen und wirtschaftlichen Interessen, nämlich zur Weiterentwicklung und Stärkung der jeweiligen Gesellschaft. Das bedeutete außerdem, dass nur diejenigen Begabungen gefördert wurden, die gerade für den Staat und die Aufrechterhaltung bzw. Vergrößerung seiner Macht wichtig waren. Im weiteren Verlauf der Geschichte gab es auch in Deutschland immer wieder verschiedene Projekte und theoretische Überlegungen im Zusammenhang mit dem Finden und Fördern hochbegabter Kinder.
Es gab jedoch immer auch Zeiten, in denen der Hochbegabung wenig Beachtung geschenkt wurde. Einen bedeutenden Einfluss auf die gezielte Förderung der verschiedenen Begabungs- und Fähigkeitsniveaus innerhalb des regulären Unterrichts hatte ab 1890 die Reformpädagogik, durch deren Bestrebungen alternative Schul- und Unterrichtsformen zur staatlichen „Pauk- und Buchschule“ entstanden. Der Uniformismus des traditionellen Schulsystems sollte aufgelöst, der Lehrstoff individualisiert und in die Erfahrungswelt der Kinder eingebettet werden. Unterricht sollte am Kinde orientiert sein. [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hochbegabung – Begriffsdefinitionen
2.1 Vorbemerkungen
2.1.1 Kreativität
2.1.2 Intelligenz
2.1.3 Begabung
2.2 Definitionsklassen von Hochbegabung nach Lucito
2.2.1 Ex-post-facto-Definitionen
2.2.2 IQ-Definitionen
2.2.3 Soziale Definitionen
2.2.4 Prozentsatzdefinitionen
2.2.5 Kreativitätsdefinitionen
2.2.6 Definition nach Lucito
2.3 Marland-Definition
2.4 Kritische Zusammenfassung
3. Modelle der Hochbegabung
3.1 Vorbemerkungen
3.2 Das Drei-Ringe-Modell der Hochbegabung von Renzulli
3.3 Das Triadische Interdependenzmodell von Mönks
3.4 Das mehrdimensionale Begabungskonzept von Urban
3.5 Das differenzierte Begabungs- und Talentmodell von Gagné
3.6 Das Münchener Begabungsmodell von Heller, Perleth & Hany
3.7 Kritische Zusammenfassung
4. Identifizierung von Hochbegabung
4.1 Vorbemerkungen
4.2 Zur Notwendigkeit der Identifizierung
4.3 Zeitpunkt der Identifizierung
4.4 Qualität der Identifizierung
4.5 Verfahren der Identifizierung Hochbegabter
4.5.1 Informelle Verfahren
a) Lehrernominierung
b) Elternnominierung
c) Peernominierung
d) Selbstnominierung
e) Checklisten
4.5.2 Formelle Verfahren
a) Identifizierung durch Schulnoten
b) Identifizierung durch Wettbewerbe
c) Intelligenztests
4.6 Risikogruppe „Underachiever“
4.7 Risikogruppe Mädchen
4.8 Kritische Zusammenfassung
5. Sozial- und persönlichkeitspsychologische Aspekte
5.1 Vorbemerkungen
5.2 Familienstruktur hochbegabter Kinder
5.3 Selbstkonzept
5.4 Kontrollüberzeugung
5.5 Kritische Zusammenfassung
6. Mögliche Probleme hochbegabter Kinder in der Schule
6.1 Vorbemerkungen
6.2 Unterforderung und Langeweile
6.3 Leistungsverweigerung
6.4 Mangelhaftes Erlernen von Lern- und Arbeitstechniken
6.5 Mangelnde Anstrengungsbereitschaft
6.6 Schlechter Umgang mit Misserfolgen
6.7 Soziale Isolation
6.8 Minderleistung
6.9 Kritische Zusammenfassung
7. Begründung der Förderung hochbegabter Kinder
7.1 Vorbemerkungen
7.2 Förderung als rechtlicher Anspruch
7.3 Förderung als pädagogische Aufgabe
7.4 Förderung zur Vermeidung von Unterrichtsstörungen
7.5 Förderung aus wirtschaftlichem Interesse
7.6 Förderung als Realisierung von Chancengleichheit
7.7 Bedeutung der Grundschule für die kindliche Entwicklung
7.8 Richtlinien für die Grundschule
7.9 Kritische Zusammenfassung
8. Fördermaßnahmen in der Schule
8.1 Vorbemerkungen
8.2 Akzeleration
8.2.1 Frühere Einschulung
8.2.2 Überspringen von Klassen
8.2.3 Flexible Schuleingangsphase
8.3 Enrichment
8.3.1 Innere Differenzierung
a) Stationenlernen
b) Wochenplanarbeit
c) Projektarbeit
d) Freie Arbeit
e) Stillarbeitsphasen
f) Helfersysteme
8.3.2 Äußere Differenzierung
a) Arbeitsgemeinschaften
b) Wettbewerbe
c) Pull-out-Programme und Clustergruppierungen
8.4 Kritische Zusammenfassung
9. Aspekte eines begabungsgerechten und –fördernden Grundschulunterrichts
9.1 Vorbemerkungen
9.2 Begabungsfreundliches Klima
9.2.1 Berücksichtigung der besonderen Leistungsfähigkeit
9.2.2 Berücksichtigung der Interessenvielfalt
9.2.3 Berücksichtigung der Ganzheitlichkeit und Ausgleich von Asynchronien
9.2.4 Berücksichtigung sozialer Bedürfnisse
9.3 Aufbau einer Fragekultur
9.4 Förderung der Kreativität
9.5 Kreatives Arbeiten mit Medien
9.6 Flexible Unterrichtsgestaltung
9.7 Motivation
9.8 Leistungsbewertung
9.9 Bereitstellen von Gelegenheiten für hochbegabte Kinder zum Treffen ähnlich leistungsfähiger und interessierter Kinder
9.10 Rolle des Lehrers
9.11 Kooperation
9.11.1 Kollegium
9.11.2 Schulbündnisse
9.11.3 Eltern
9.11.4 Institutionen
9.12 Kritische Zusammenfassung
10. Schlussbetrachtung
Anhang
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Zusammenhang von Intelligenz, Begabung und Kreativität
Abbildung 2: Das dreidimensionale Modell Guilfords
Abbildung 3: Kategorie „Hochbegabung als Leistung“
Abbildung 4: Kategorie „Hochbegabung als Disposition“
Abbildung 5: Drei-Ringe-Modell von Renzulli
Abbildung 6: Triadisches Interdependenzmodell von Mönks
Abbildung 7: Das mehrdimensionale Begabungskonzept von Urban
Abbildung 8: Das differenzierte Begabungs- und Talentmodell von Gagné
Abbildung 9: Das Münchener Begabungsmodell (Heller, Perleth & Hany)
Abbildung 10: Normalverteilungskurve des Intelligenzquotienten
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Vor- und Nachteile verschiedener Definitionsklassen.
Tabelle 2: Vor- und Nachteile verschiedener Hochbegabungsmodelle.
Tabelle 3: Vor- und Nachteile verschiedener Identifizierungsmaßnahmen.
Tabelle 4: Merkmale und Fähigkeiten Hochbegabter sowie Merkmale üblichen Schulunterrichts.
Tabelle 5: Übersicht über schulische Fördermaßnahmen.
1. Einleitung
Das Interesse an der Förderung Hochbegabter lässt sich in der Geschichte der Menschheit sehr weit zurückverfolgen: So wurden bereits im alten China, bei den Griechen und Römern Hochbegabte gefördert, um sie dann in den Dienst des Staates zu stellen. Der chinesische Philosoph Konfuzius (551 - 479 v. Chr.) forderte nach heutiger Kenntnis als erster, hochbegabte Kinder zu suchen und zu fördern. Diese „göttlichen“ Kinder sollten den Fortbestand des Reichtums Chinas garantieren. Auch der griechische Denker Plato (427 - 347 v. Chr.) sprach sich dafür aus, die „besten Naturen“ dazu zu zwingen, alles zu lernen, was für die Gemeinschaft nutzvoll sein könnte. Seiner Meinung nach hing das Überleben der griechischen Demokratie von dieser Erziehung ab, da die Hochbegabten ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten zum Wohle des Staates einsetzen und den Staat führen müssten.[1] Dementsprechend erfolgte die Förderung Hochbegabter nur sehr selten aus Interesse an der Persönlichkeitsentfaltung des einzelnen Menschen, sondern vielmehr aus politischen und wirtschaftlichen Interessen, nämlich zur Weiterentwicklung und Stärkung der jeweiligen Gesellschaft. Das bedeutete außerdem, dass nur diejenigen Begabungen gefördert wurden, die gerade für den Staat und die Aufrechterhaltung bzw. Vergrößerung seiner Macht wichtig waren.[2]
Im weiteren Verlauf der Geschichte gab es auch in Deutschland immer wieder verschiedene Projekte und theoretische Überlegungen im Zusammenhang mit dem Finden und Fördern hochbegabter Kinder. Es gab jedoch immer auch Zeiten, in denen der Hochbegabung wenig Beachtung geschenkt wurde.
Einen bedeutenden Einfluss auf die gezielte Förderung der verschiedenen Begabungs- und Fähigkeitsniveaus innerhalb des regulären Unterrichts hatte ab 1890 die Reformpädagogik, durch deren Bestrebungen alternative Schul- und Unterrichtsformen zur staatlichen „Pauk- und Buchschule“ entstanden. Der Uniformismus des traditionellen Schulsystems sollte aufgelöst, der Lehrstoff individualisiert und in die Erfahrungswelt der Kinder eingebettet werden. Unterricht sollte am Kinde orientiert sein.[3]
Die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten bedeutete dann 1933 ein vorläufiges Ende der Hochbegabtenförderung, da die o. g. alternativen Schul- und Unterrichtsformen, die einen individualisierten Unterricht zur Begabungsentfaltung des einzelnen Schülers umfassten, ebenso abgelehnt wurden, wie die ersten objektiven Verfahren zur Intelligenz- und Leistungsmessung.[4] Stattdessen wurden Schüler aus völkischem Interesse für Eliteschulen ausgelesen.[5] Nach dem Krieg war die Förderung Hochbegabter viele Jahre lang ein stark vernachlässigtes Thema. Vielfach wurde das Thema der Hochbegabtenförderung zu Unrecht mit den nationalsozialistischen Eliteschulen in Verbindung gebracht. Außerdem wurde das Thema in den sechziger Jahren zugunsten der Forderung nach Chancengleichheit verdrängt. Die Förderung Benachteiligter wurde bei gleichzeitigem Vernachlässigen der Förderung Hochbegabter betont.[6]
Während die Hochbegabungsforschung in den USA in den sechziger Jahren bereits weit fortgeschritten war, u. a. stimuliert durch den Sputnikschock im Jahre 1957, erlebte die Hochbegabtenförderung in Deutschland erst zu Beginn der achtziger Jahre einen bedeutenden Aufschwung.[7] Die im Jahre 1975 in London zum ersten Mal stattfindende Weltkonferenz über das hochbegabte Kind und die 1978 gegründete „Deutsche Gesellschaft zur Förderung hochbegabter Kinder e.V.“ (heute „Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind e.V.“) trugen sicherlich wesentlich dazu bei, dass auch in Deutschland die Interessen hochbegabter Kinder wieder mehr Beachtung fanden. Außerdem sind in den achtziger Jahren zahlreiche Forschungsprojekte initiiert und wissenschaftliche Arbeiten und Bücher verfasst worden, die zu einem verbesserten Informationsstand geführt haben.
Unter schulischer Förderung wird nun nicht mehr nur allein die besondere Unterstützung leistungsschwacher Schüler verstanden, sondern ebenso die spezielle Förderung hochbegabter Kinder. Denn die Forschungsergebnisse und Erfahrungen mit Hochbegabten haben deutlich gezeigt, dass hochbegabte Kinder sich nicht – wie vielfach angenommen – von selbst durchsetzen, sondern eben auch gefördert werden müssen, um eine gesunde Persönlichkeit entfalten zu können.[8] Ohne eine angemessene Förderung kann es zu einer sich verengenden Spirale von Unterforderung kommen, aus der Rückzug oder Verhaltensstörungen resultieren können.[9]
Es ist die Aufgabe der heutigen Gesellschaft, die unterschiedlichen Fähigkeiten und Begabungen der Menschen zu fördern, da sie von eben dieser Vielfalt lebt und um soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten. Hier ist es Aufgabe der Schule, ihren Beitrag zur individuellen Förderung zu leisten. Welchen Beitrag insbesondere die Grundschule zur Förderung hochbegabter Schüler leisten kann und muss, soll Gegenstand dieser Arbeit sein. Denn im Hinblick auf die in der Grundschule herrschende große Leistungsheterogenität der Schüler stellt sich die Frage, inwieweit die Grundschule dieser Tatsache überhaupt begegnen und alle Kinder, auch die hochbegabten, bestmöglich und den individuellen Begabungen entsprechend fördern kann.
Diese Arbeit beginnt mit einer Darlegung der Definitionsproblematik des Hochbegabungsbegriffes: Um überhaupt Aussagen über die Förderung hochbegabter Kinder treffen zu können, bedarf es zunächst einer Definition von Hochbegabung. Da es jedoch keine allgemeingültige Definition gibt, sollen in diesem Kapitel verschiedene Definitionsklassen vorgestellt und hinsichtlich ihrer Brauchbarkeit bewertet werden. In der kritischen Zusammenfassung des Kapitels soll das in dieser Arbeit zugrunde gelegte Verständnis von Hochbegabung dargestellt werden.
Das dritte Kapitel widmet sich verschiedenen Hochbegabungsmodellen und ihren Vor- und Nachteilen, chronologisch angeordnet nach dem Zeitpunkt ihrer Entstehung. So soll die Entwicklung deutlich werden, die sich in der Hochbegabungsforschung vollzogen hat und aus der wichtige Tendenzen für den heutigen Forschungsstand entstanden sind.
Basierend auf den vorherigen theoretischen Ausführungen werden im vierten Kapitel Aussagen über die Identifizierung Hochbegabter gemacht, da die Identifizierung Ausgangspunkt jeglicher Förderung ist.
Im fünften Kapitel wird auf verschiedene sozial- und persönlichkeitspsychologische Aspekte hochbegabter Kinder eingegangen. Denn um hochbegabte Schüler besser verstehen, erfolgreich identifizieren und fördern zu können, ist es wichtig, dass der Lehrer ein fundiertes Wissen über diese Aspekte aufweist.
Ebenso wichtig ist es, dass der Lehrer hinreichend über mögliche Probleme hochbegabter Kinder in der Schule informiert ist, welche im sechsten Kapitel dargestellt werden. Das Wissen des Lehrers um diese Probleme kann dazu beitragen, ihnen vorzubeugen und entgegenzuwirken. Außerdem lässt sich aus den in der Schule oftmals auftretenden Problemen und ihren schwerwiegenden Folgewirkungen die Begründung der schulischen Förderung Hochbegabter ableiten.
Weitere Gründe für die Förderung hochbegabter Kinder in der Grundschule werden im siebten Kapitel ausgeführt.
Nachdem theoretische Grundlagen zur Hochbegabung dargelegt und die Identifizierung und Förderung Hochbegabter begründet wurden, sollen im achten Kapitel verschiedene Fördermaßnahmen in der Schule dargestellt werden. Die Ausführungen beschränken sich dabei auf Fördermaßnahmen, die für reguläre, deutsche Grundschulen von Bedeutung sind.
Weitere Aspekte, die für einen begabungsgerechten und begabungsentwickelnden Unterricht wichtig sind und Forderungen an Schule und Unterricht darstellen, werden im neunten Kapitel erläutert.
In der Schlussbetrachtung sollen die wichtigsten Ergebnisse im Hinblick auf die eingangs gestellte Frage, inwieweit die Grundschule die individuellen Voraussetzungen berücksichtigen kann, welchen Beitrag sie zur Förderung hochbegabter Kinder leisten kann und muss, zusammengefasst werden. Zudem werden Grenzen und wünschenswerte Verbesserungen der schulischen Hochbegabtenförderung angesprochen.
Wenn aus Gründen der Einfachheit und besseren Lesbarkeit die männliche Form „Schüler“ bzw. „Lehrer“ verwendet wird, so ist selbstverständlich stets auch die Schülerin bzw. Lehrerin mit einbezogen.
2. Hochbegabung – Begriffsdefinitionen
2.1 Vorbemerkungen
Um hochbegabte Kinder überhaupt identifizieren und fördern zu können, bedarf es zunächst einer Definition von Hochbegabung.
In der Fachliteratur findet man eine unüberschaubare Anzahl an solchen Definitionen: So berichtet Lucito 1964 über einen Studenten, der von seinem Dozenten W. Abraham damit beauftragt wurde, im Rahmen seiner Semesterarbeit Definitionen des Begriffes „Hochbegabung“ aufzulisten. Der Student gab nach 113 Definitionen auf, wobei er zahlreiche Bücher durchgesehen und dennoch mit der Sichtung der vielen Artikel zu dem Thema erst begonnen hatte.[10]
Es gibt bis heute keine allgemeingültige, alle möglichen Aspekte umfassende Definition von Hochbegabung, was die enorme Komplexität des Gegenstandsbereiches widerspiegelt. Eine einheitliche Definition kann es auch schon deshalb nicht geben, da der jeweilige kulturelle Hintergrund sowie gewisse Werte und Einstellungen einer Gesellschaft die Frage bestimmen, wie Hochbegabung definiert wird.[11] Allerdings gibt es verschiedene Gruppen, in die sich die einzelnen Definitionen zur besseren Überschaubarkeit einordnen lassen: Die Ex-post-facto-Definitionen, die IQ-Definitionen, die sozialen Definitionen, die Prozentsatz-Definitionen, die Kreativitätsdefinitionen und die Definition von Lucito selbst.[12] Diese Gruppen sollen in diesem Kapitel kurz dargestellt und bewertet werden. Darauf folgen eine Vorstellung und Bewertung der in den Schulen häufig zugrunde gelegten Marland-Definition und eine kritische Zusammenfassung der Definitionsproblematik. Um aber ein fundiertes Verständnis des Hochbegabungsbegriffes zu erlangen, müssen vorerst die grundlegenden Begriffe „Kreativität“, „Intelligenz“ und „Begabung“ erörtert werden.
2.1.1 Kreativität
Bei dem Versuch der Begriffsbestimmung von Kreativität lässt sich feststellen, dass es keine einheitliche und allgemeingültige Definition gibt. So hält Ausubel Kreativität für einen der „verwirrendsten und mehrdeutigsten Begriffe der (…) Psychologie und Pädagogik“.[13]
Im Allgemeinen wird Kreativität als „schöpferisches Denken“ definiert.[14] Schon der Wortursprung, das lateinische Verb „creare“ (schaffen, erschaffen, erzeugen) weist auf diesen Zusammenhang hin. Kreativität ist demnach etwas Dynamisches, ein Prozess.[15] Kreatives Schaffen kann für die Gesellschaft von Bedeutung sein, muss es aber nicht. So stellt z.B. die Entdeckung eines Kindes, dass die Winkelsumme in einem Dreieck stets 180° beträgt, einen ebenso kreativen Akt dar, wie es dies vor vielen Jahren bei der Entdeckung war. Allein die Tatsache, dass eine Person etwas für sich Neues und Sinn stiftendes schafft oder entdeckt, ist schöpferisch.
Psychologische Studien haben als zentrales Merkmal der Kreativität die Originalität gezeigt, d.h. das Finden einmaliger, besonderer und nicht-alltäglicher Ideen, die bei anderen Menschen einen Überraschungseffekt erzeugen.[16]
Auch die Umstrukturierung bekannter Elemente zu etwas Neuem kann kreativ sein. So ist nach Guilford Kreativität die Fähigkeit, vorher unverknüpfte Erfahrungen in Beziehung zu setzen und so in Form neuer Denkmuster neue Erfahrungen, Ideen oder Produkte zu entwickeln.[17] Kreativität bedeutet außerdem das Entdecken von Schwierigkeiten, Suchen nach Lösungen, Aufstellen von Vermutungen, Testen, Kontrollieren und Modifizieren der Hypothesen.[18] Durch Analysen des kreativen Prozesses und durch Vergleiche mit anderen Denkprozessen zeigt sich eine Analogie der Kreativität zum Problemlösungsdenken.
Für Kreativität ist divergentes Denken maßgeblich, im Gegensatz zu den traditionellen Intelligenzkonzepten, für die das konvergente Denken ausschlaggebend ist. Während konvergentes Denken das Auffinden der einen „wahren“ Lösung eines Problems zum Ziel hat, ist divergentes Denken auf die Entwicklung möglichst vieler Ideen und Lösungswege eines Problems gerichtet.[19]
Oftmals wird Kreativität mit künstlerisch-gestaltenden Fähigkeiten gleichgesetzt; Kreativität ist jedoch in allen Fähigkeitsbereichen denkbar.[20]
2.1.2 Intelligenz
Auch wenn es keine einheitliche, allgemeingültige Definition von Intelligenz gibt, so weisen die einzelnen Definitionen doch gewisse Gemeinsamkeiten auf. William Stern, einer der ersten Begabungsforscher, richtungweisend für die frühe Intelligenztestformierung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, definierte Intelligenz im Jahre 1928 als „die personale Fähigkeit, sich unter zweckmäßiger Verfügung über Denkmittel auf neue Forderungen einzustellen“.[21] Fast alle heutigen Definitionsansätze von Intelligenz stimmen im Wesentlichen mit dieser Definition überein. Intelligenz ist demnach ein Fähigkeitskonstrukt, sich auf neue, unbekannte Situationen und Aufgaben einzustellen, angemessen zu handeln und dabei den Einsatz von „Denkmitteln“ möglichst wirtschaftlich zu gestalten.[22] Deutlich wird dabei die wichtige Rolle der Umwelt, in der eine Person lebt. Welches Verhalten als intelligent bezeichnet wird, hängt folglich erheblich von gesellschaftlichen und kulturellen Bezugssystemen ab.[23] Es sind viele Faktoren vorstellbar, aus denen sich ein Intelligenzmodell zusammensetzen kann. Die Zahl und das Verhältnis der einzelnen Faktoren variiert dabei. Thurstone, ein bekannter Psychologe, nennt beispielsweise eine Reihe gleichberechtigter Faktoren, wie z.B. Sprachverständnis, Wortflüssigkeit, Merkfähigkeit, Regelerkenntnis, Raumvorstellungen, Auffassungsgeschwindigkeit, induktives und deduktives Denken.[24] Intelligenztests differieren dementsprechend sowohl in der Art, als auch in der Anzahl der Untertests, die zur Messung verwendet werden. Anhand dieser Untertests sollen relativ unabhängige Fähigkeitsbereiche der Intelligenz quantifiziert werden, wie z.B. rechnerisches Denken, Wortschatz und Gedächtnis. Mit Hilfe dieser Untertests lässt sich dann ein sog. Intelligenzprofil erstellen, welches einen Aufschluss über spezifische Stärken und Schwächen des Kindes erlauben soll (vgl. 4.5.2. c)).[25]
2.1.3 Begabung
Der Begriff der Begabung wird häufig synonym mit dem der Intelligenz verwendet. M.E. ist es jedoch notwendig, zwischen den beiden Begriffen zu differenzieren. Heute werden oftmals fünf Begabungsbereiche unterschieden:
- intellektuelle Begabung (Intelligenz)
- soziale Begabung (interpersonale Kompetenz)
- musische Begabung (Musikalität)
- bildnerisch-darstellende Begabung
- psychomotorische (praktische) Begabung
Die Begabung bildet nach diesem Ansatz also den Oberbegriff, wobei Intelligenz eine spezifische, intellektuelle Form der Begabung ist. Kreativität ist hierbei kein selbständiger Begabungsbereich, sondern lässt sich allen fünf Begabungsbereichen zuordnen.
Es wird angenommen, dass die fünf Begabungsbereiche relativ unabhängig voneinander sind, so dass ein Kind sowohl in keinem, einem als auch mehreren Bereichen hochbegabt sein kann, wobei die anderen Fähigkeitsbereiche gleichzeitig über-, unter- oder durchschnittlich ausgeprägt sein können.[26] In den meisten Fällen wird eine hohe Begabung allerdings lediglich in einem oder auch seltener in zwei Bereichen erkennbar, da neben der Disposition auch noch die Erfahrungen der Kinder und gründliches und planmäßiges Üben und Training nötig sind, um die Fähigkeiten auch tatsächlich in Leistung umzusetzen.[27]
So soll in dieser Arbeit Begabung als Begriff für das Fähigkeitspotenzial eines Menschen stehen, als Anlage zu bestimmten Leistungen. Zudem kann Begabung auf bestimmte Bereiche (z.B. sprachlich oder künstlerisch) und Ausprägungsgrade (hoch oder niedrig) spezifiziert werden. Intelligenz gilt hier als die intellektuelle Form der Begabung und Kreativität ist in dem dieser Arbeit zugrunde liegenden Begabungskonzept in allen Begabungsbereichen möglich. Dieser Zusammenhang von Intelligenz, Kreativität und Begabung soll im nachstehenden Schaubild verdeutlicht werden:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Zusammenhang von Intelligenz, Begabung und Kreativität.
(Quelle: Eigene Abbildung)
Im Folgenden werden nun die als Ordnungsschema geltenden sechs Definitionsklassen von Lucito dargestellt, um einen Überblick über Definitionen des Hochbegabungsbegriffes zu erzielen.
2.2 Definitionsklassen von Hochbegabung nach Lucito
2.2.1 Ex-post-facto-Definitionen
Die erste und älteste Definitionsklasse bilden die Ex-post-facto-Definitionen. Diesen Definitionen zufolge gilt jemand als hochbegabt, wenn er etwas Hervorragendes geleistet hat, durch diese Leistung in seiner Umwelt aufgefallen ist und dafür von seinen Mitmenschen geschätzt wird. In der psychologischen Forschung versuchte man sehr lange, genauer gesagt bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein, Hochbegabung an Menschen zu erforschen, die in ihrem Leben bereits etwas Hervorragendes geleistet hatten. Erst durch Termans Studie im Jahre 1926 wurde diese Denkweise allmählich abgelöst.
Die Ex-post-facto-Definitionen weisen erhebliche Mängel auf, die sie v.a. für den schulischen Gebrauch ungeeignet machen: Sie orientieren sich sehr stark am Wertesystem der jeweiligen Gesellschaft und Zeit, so dass selbst hochbegabte Erwachsene, die wie z.B. Leonardo da Vinci wegen ihrer Fähigkeiten und ihres Verstandes in die Geschichte eingingen, aus Voreingenommenheit nicht als Hochbegabte erkannt wurden. Außerdem erfassen diese Definitionen nur die Kinder, deren besondere Begabung auch durch eine motivierende Umwelt gefördert wird, so dass sie zu Leistungen fähig sind, die auch im Vergleich zu denen Erwachsener erstaunlich sind. Kinder aus ungünstigeren Verhältnissen und Kinder, deren Leistungen nicht mit den Leistungen Erwachsener konkurrieren können, die dennoch für ihre Altersklasse bemerkenswert sind, werden dabei nicht berücksichtigt und würden dementsprechend nicht gefördert werden.[28]
2.2.2 IQ-Definitionen
Eine der ersten IQ-Definitionen von Hochbegabung stammt von Terman. Nach ihm galt derjenige, der in einem Stanford-Binet-Intelligenztest einen Intelligenzquotienten von mindestens 140 erzielte, als hochbegabt. Seit Termans Definition wurde Hochbegabung oft mit hohem IQ gleichgestellt und an seinem Grenzwert orientierten sich viele Forscher in Pädagogik und Psychologie noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg.[29] Mithilfe der standardisierten Intelligenztests schien jetzt ein Weg gefunden zu sein, Hochbegabung nicht mehr erst im Nachhinein an einem Produkt festzumachen, sondern vielmehr schon frühzeitig zu erkennen.
In den verschiedenen Definitionen, die zu dieser Klasse gehören, da sie ausnahmslos Leistungen in Intelligenztests als Bewertungsmittel für Hochbegabung zugrunde legen, werden jedoch verschiedene kritische Werte als Trennung zwischen Hochbegabung und Nicht-Hochbegabung angenommen. Sie liegen zwischen einem IQ von 115 und 180.[30] Ohne eine wissenschaftliche Begründung handelt es sich bei diesen Werten immer um runde Zahlen oder Vielfache der Standardabweichung, d.h. um willkürlich gesetzte Grenzen. Dementsprechend bleibt auch die Einstufung von Hochbegabung oder Nicht-Hochbegabung relativ willkürlich. Ein weiterer Kritikpunkt ist die bloße Erfassung intellektueller Hochbegabung bei gleichzeitigem Vernachlässigen anderer Begabungsformen, wie z.B. der musikalischen Hochbegabung. Außerdem werden bei dieser Definition wichtige, bestimmende Faktoren der Hochbegabungsentfaltung vernachlässigt, wie z.B. Motivation, Interesse, emotionale Stabilität, Familie, Freunde oder Schule. Insgesamt handelt es sich hier also um eindimensionale Definitionen, bei denen möglicherweise einige Kinder übersehen werden, da sie ihre Begabung in den Tests nicht in Leistung umgesetzt haben. Gründe hierfür könnten z.B. Testangst sein oder auch hinderliche, soziale Rahmenbedingungen, die bisher eine Entfaltung des Begabungspotentials verhindert haben.
Sehr problematisch sind außerdem Intelligenztests, die nicht kulturfair sind und Minderheiten benachteiligen.
Dennoch bieten die Definitionen über Intelligenztests den Vorteil, dass sie einen gewissen Vergleich zwischen Klassen, Schulen und Regionen ermöglichen.[31]
2.2.3 Soziale Definitionen
Die Klasse der sozialen Definitionen basiert auf einem um Sonderbegabungen erweiterten Begabungskonzept. Beispielhaft hierfür ist die Definition von Witty, der das Kind als hochbegabt erachtet, „dessen Leistung in einem potentiell wertvollen Bereich menschlicher Tätigkeit konsistent bemerkenswert ist“.[32] Es werden nun Sonderbegabungen und Begabungen in einer Vielzahl von Bereichen miteinbezogen.[33] Hochbegabung lässt sich nach dieser Definition nicht nur durch gemessene Intelligenz feststellen, sondern zeigt sich vielmehr auch im sozialen Bereich, z.B. durch die Fähigkeiten sich einzufühlen, zu verstehen und zu helfen.[34] Im Hinblick auf eine humanere Zukunft ist die Entdeckung und Förderung dieser sozialen Begabungen sicherlich wertvoll. Kritisch zu sehen ist jedoch auch bei dieser Definitionsklasse die „Produktorientierung“, denn auch hier werden diejenigen Kinder übersehen, die z.B. aufgrund schwieriger sozialer Familienverhältnisse ihre Begabungen nicht entfalten und in Leistung umsetzen konnten. Als hochbegabt wird hier nur derjenige angesehen, der auch tatsächlich eine außergewöhnliche Leistung erbracht hat, ob auf sozialer Ebene oder in einem anderen Begabungsbereich. Hinzu kommen sicherlich ein hohes Maß an Interpretationsbedarf und die Schwierigkeit, soziale Begabungen zu erfassen und zu „testen“.[35]
2.2.4 Prozentsatzdefinitionen
Diese Gruppe von Definitionen erklärt einen gewissen Prozentsatz der Bevölkerung als hochbegabt; i.A. werden 0,5 bis 5 Prozent der Bevölkerung als hochbegabt bezeichnet. Es gibt verschiedene Beurteilungskriterien, wie z.B. Schulnoten, Ergebnisse in Intelligenztests, Schulleistungstests oder Wettbewerben.[36]
Legt man Intelligenztests als Beurteilungskriterium zugrunde, so kommt es zu einer Überschneidung mit den IQ-Definitionen.[37] Diese beiden Definitionsklassen lassen sich daher nicht genau voneinander trennen. Bei der Kombination beider Definitionen wird ein bestimmter Prozentsatz als hochbegabt definiert, der in einem Intelligenztest die ermittelten Leistungsfähigsten einer Altersgruppe darstellt.
Diese Art der Definition wird z.B. dann benutzt, wenn in einem Förderprogramm nur eine begrenzte Anzahl von Teilnehmerplätzen zur Verfügung steht.[38]
Zu kritisieren ist auch bei diesem Ansatz die Willkür, mit der der Prozentsatz der Hochbegabten schon im Vorhinein festgelegt wird.
2.2.5 Kreativitätsdefinitionen
Auch in dieser Definitionsklasse wird es abgelehnt, Hochbegabung nur dem Intelligenzquotienten entsprechend zu definieren. Stattdessen werden die Kreativität in den Vordergrund gestellt und originelle, produktive Leistungen betont.[39] Diese Definitionsansätze basieren v.a. auf den Ergebnissen der Kreativitätsforschung von Getzels und Jackson, wo scheinbar gezeigt werden konnte, dass hoch kreative und divergent denkende Kinder und Jugendliche ebenso hohe Leistungen erbrachten, wie hoch intelligente Kinder und Jugendliche derselben Altersgruppe, obwohl ihr IQ durchschnittlich 23 Punkte niedriger war. Kritisiert wurde an dieser Studie u.a., dass eine zu starke Differenzierung von zwei unterschiedlichen Typen, nämlich den Kreativen und den Intelligenten vorgenommen wurde, ohne dabei diejenigen zu berücksichtigen, die beide Typen in sich vereinigen. Trotz ihrer empirischen Unzulänglichkeiten hat diese Studie durchaus wichtige Impulse für die Hochbegabungsforschung geleistet: So erscheint es sinnvoll, sowohl konvergentes, als auch divergentes Denken bei Hochbegabungsdefinitionen zu berücksichtigen. Die ausschließliche Definition von Hochbegabung über Kreativität ist m.E. ebenso zu einseitig, wie die alleinige Definition über einen hohen Intelligenzquotienten. Es sollte also nicht das Kreativitätskonzept an die Stelle des Intelligenzkonzepts treten, sondern vielmehr eine Kombination beider Konzepte stattfinden, auch wenn die Kreativität sicherlich schwerer zu testen und zu erfassen ist.[40]
2.2.6 Definition nach Lucito
Lucito bezieht sich bei seiner Definition auf das dreidimensionale Strukturmodell des Intellekts von Guilford. Nach Lucito sind jene Schüler hochbegabt, „deren potentielle intellektuelle Fähigkeiten sowohl im produktiven als auch im kritisch bewertenden Denken ein derartig hohes Niveau haben, daß begründet zu vermuten ist, daß sie diejenigen sind, die in der Zukunft Probleme lösen, Innovationen einführen und die Kultur kritisch bewerten, wenn sie adäquate Bedingungen der Erziehung erhalten“.[41]
Die drei Dimensionen des Strukturmodells von Guilford, auf das sich Lucito bezieht, sind die Inhalte, die Ergebnisse und die Operationen. Die Definition Lucitos bezieht sich dabei auf die Dimension der Operationen, die wiederum durch fünf Faktoren bestimmt ist:
- Kognition (z.B. Verstehen, Aufnehmen)
- Gedächtnis
- Divergierendes Denken als Teil der Produktion, d.h., die Antworten sollen möglichst vielfältig und verschieden sein
- Konvergierendes Denken als Teil der Produktion, d.h., es soll eine als richtig oder als beste anerkannte Antwort gegeben werden
- Bewertung (z.B. Entscheidung über Richtigkeit nach bestimmten Kriterien)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Das dreidimensionale Modell Guilfords.
(Quelle: Feger 1988, S. 59.)
Die Kognition und das Gedächtnis bilden die Voraussetzung für Produktion und Bewertung. Die Fähigkeiten zu kritischem und kreativen Denken sowie zum Problemlösen sind dabei in Produktion und Bewertung mit eingeschlossen.[42]
Lucitos Definition ist also mehrfaktoriell und wird daher dem komplexen Phänomen der Hochbegabung eher gerecht, als z.B. die eindimensionalen IQ-Definitionen. Positiv anzumerken ist zudem, dass hier nicht Begabung mit Leistung gleichgesetzt wird und dass die Rolle der Förderung betont wird. Dennoch bleiben einige wichtige Einflussfaktoren, wie z.B. die Motivation, unberücksichtigt.
2.3 Marland-Definition
Im Jahre 1970 führte der Regierungsbevollmächtigte Marland für das amerikanische Erziehungsministerium eine Studie über die Lage hochbegabter Staatsbürger durch. Zwei Jahre später wurde darauf basierend offiziell folgende Definition als Grundlage vieler Förderprogramme festgelegt:
„Hochbegabte und talentierte Kinder sind jene, die durch qualifizierte Fachleute als solche identifiziert wurden und die aufgrund außergewöhnlicher Fähigkeiten hohe Leistungen zu erbringen vermögen. Um ihren Beitrag für sich selbst und für die Gesellschaft zu realisieren, benötigen diese Kinder die Bereitstellung differenzierter pädagogischer Programme und Hilfestellungen, die über die normalen, regulären Schulprogramme hinausgehen.
Kinder, die zu hohen Leistungen fähig sind, schließen solche mit gezeigten Leistungen und / oder mit potentiellen Fähigkeiten in irgendeinem der folgenden Bereiche mit ein:
1. Allgemeine intellektuelle Fähigkeit
2. Spezifisch akademische (schulische) Eignung
3. Kreatives oder produktives Denken
4. Führungsfähigkeiten
5. Bildnerische und darstellende Künste
6. Psychomotorische Fähigkeit“ .
(U.S.Commissiones of Education 1972, zit. nach Ey-Ehlers)[43]
Diese Definition bietet eine Vielzahl von Vorteilen, weshalb sie in vielen Schulen auch heute noch genutzt wird: In diesem Konzept wird Hochbegabung nicht als Privileg verstanden, sondern als spezielles Erziehungsbedürfnis.[44] Im Vergleich zu Termans IQ-Definition berücksichtigt Marland sämtliche, für unsere Gesellschaft wesentliche Begabungsfelder, statt nur die Intelligenz. Ein wesentlicher Vorteil dieser Definition ist es, dass Hochbegabung hier nicht nur an Leistung gemessen wird, so dass auch bislang unentdeckte Hochbegabte, wie z.B. Underachiever, berücksichtigt werden. Positiv anzumerken ist zudem, dass diese Definition eine Forderung nach speziellen Fördermöglichkeiten für alle Schulstufen einschließt und somit eingestanden wird, dass der reguläre Schulunterricht oft unvollkommen ist.
Trotz der genannten Vorteile werden in dieser Definition bestimmte Einflussfaktoren auf die Hochbegabungsentfaltung, wie z.B. Motivation und soziales Umfeld übersehen. Außerdem wird aus dieser Definition nicht ersichtlich, dass sich die sechs Begabungsfelder gegenseitig beeinflussen und sich teilweise einschließen, statt parallel zueinander zu verlaufen.[45]
2.4 Kritische Zusammenfassung
Nachdem zunächst kurz die Begriffe Intelligenz, Kreativität und Begabung erörtert wurden, wurde das Klassifikationsschema von Lucito vorgestellt, welches eine Einordnung der verschiedenen Hochbegabungsdefinitionen ermöglicht. Dabei muss beachtet werden, dass einige Definitionen sicherlich in zwei oder mehrere dieser Klassen eingeordnet werden können und somit eine Mischform darstellen.
In den bisherigen Ausführungen wurde gezeigt, dass es eine wissenschaftlich präzise und allgemein anerkannte Definition von Hochbegabung nicht gibt. Letztlich wird eine Definition von Hochbegabung immer durch gesellschaftliche, kulturelle und pädagogische Hintergründe bestimmt.
Durch die Einordnung in Lucitos Klassifikationsschema ist es jedoch möglich, eine Einschätzung über die Brauchbarkeit bestimmter Definitionen vorzunehmen, da einige Definitionsklassen dem komplexen Phänomen Hochbegabung offenbar nicht gerecht werden. So sind z.B. die Ex-post-facto- und die IQ-Definitionen ausschließlich produkt- und leistungsorientiert, wobei diejenigen hochbegabten Kinder übersehen werden, die aus verschiedenen Gründen ihr Begabungspotenzial noch nicht entfalten und in Leistung umsetzen konnten. Einige Definitionen legen außerdem willkürliche, empirisch nicht begründbare Grenzwerte für Hochbegabung zugrunde, nämlich die Prozentsatz- und die IQ-Definitionen, weshalb dann dementsprechend auch die Einstufung von Hochbegabung und Nicht-Hochbegabung relativ willkürlich geschieht.
Die Definitionen von Lucito und Marland berücksichtigen dagegen die Mehrdimensionalität von Hochbegabung und haben die Entwicklung alternativer Hochbegabungskonzepte stark vorangetrieben. Beide beziehen wichtige Begabungs- und Leistungsfaktoren mit ein, wie z.B. die Fähigkeit zu kreativem Denken. Doch weisen auch diese beiden Definitionen Schwachstellen auf (z.B. das Vernachlässigen wichtiger, persönlichkeitsbestimmender Faktoren, wie Motivation und soziales Umfeld), die die Notwendigkeit weiterer theoretischer Diskussion aufzeigen, in der Hochbegabung mehrdimensional als Produkt angeborener Anlagen und Umwelteinflüsse interpretiert wird.
Die folgende Tabelle soll die wichtigsten Vor- und Nachteile der genannten Definitionsklassen noch einmal zusammenfassen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Vor- und Nachteile verschiedener Definitionsklassen.
(Quelle: Eigene Tabelle)
Da also Hochbegabung insgesamt nicht einheitlich definiert ist, stellt sich in der pädagogischen und schulischen Praxis ein Definitionsproblem. Denn spätestens dann, wenn darüber entschieden werden soll, ob ein Kind an einer bestimmten Fördermaßnahme teilnehmen soll oder nicht, ist eine Definition anhand von klaren, messbaren Kriterien notwendig. Da es in der Schule um eine angemessene Förderung des jeweiligen Kindes geht, sollte das Kind anhand dieser Kriterien richtig platziert werden, wobei Vorhersagen über Erfolgsaussichten gemacht werden können sollten. Unklare Definitionen erhöhen das Risiko von Fehlentscheidungen und daraus resultierenden Folgestörungen, wie z.B. Über- oder Unterforderung. Wie bereits ausgeführt wurde, reichen die Definitionen von einem sehr engen, ausschließlich über die Intelligenz definierten Begabungsbegriff bis hin zu einem sehr weiten Begabungsbegriff, der sich auf alle möglichen Bereiche ausdehnen lässt. Außerdem unterscheiden sich die Definitionen darin, ob sie bestimmte Personen- und Umweltfaktoren als relevant oder irrelevant einstufen. Die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Definition hat bedeutende Konsequenzen für die schulische Praxis: So begrenzt man die Gruppe der Förderwürdigen z.B. abhängig davon, ob man Hochbegabung und Hochleistung gleichsetzt oder nicht, auf die Hochleistenden oder dehnt sie auf all diejenigen aus, die ein Potenzial zur Hochleistung aufweisen, auch wenn sie dieses nicht in Leistungen umsetzen. Sicherlich muss in der schulischen Praxis eine Entscheidung für eine Definition von Hochbegabung getroffen werden. Denn unklare oder wechselnde Definitionen führen regelmäßig zu Über- oder Unterforderung und Ungleichbehandlungen. Begabung und Leistung gleichzusetzen und somit Hochbegabung ausschließlich über tatsächlich erbrachte, sichtbare Hochleistung zu definieren, lässt sich m.E. im Hinblick auf die Gruppe der Underachiever nicht mit dem pädagogischen Auftrag der Schule vereinbaren, jedes Kind individuell seinen Stärken und Schwächen entsprechend bestmöglich zu fördern. Deshalb sind die zu dieser Kategorie gehörenden Definitionen meiner Meinung nach unbrauchbar. Die Entscheidung über einen engen oder weiten Begabungsbegriff wird sich in der Praxis häufig eher pragmatisch an die vorhandenen und möglichen Förderangebote anpassen. Gibt es bloß Fördermaßnahmen für intellektuell hochbegabte Kinder, so sind selbstverständlich sportlich hochbegabte Kinder hier nicht gut aufgehoben und umgekehrt sind intellektuell hochbegabte Kinder in Maßnahmen zur Förderung sportlicher Kompetenzen deplatziert. Hinsichtlich der Begabungsvielfalt wäre sicherlich eine größtmögliche Differenzierung des Förderangebotes optimal. Auch die Entscheidung, ob die Hochbegabung allein für eine spezielle Förderung ausreicht, oder ob noch andere Komponenten hinzukommen müssen, wird in der Praxis eher pragmatisch getroffen werden: Die Ausstattung mit einer Hochbegabung dürfte dann als Begründung für eine Förderung ausreichen, wenn die fehlenden, förderlichen Bedingungen als herstellbar erscheinen und nicht den Erfolg der Maßnahme unwahrscheinlich machen oder zur Überforderung führen.[46] Grundlage dieser Arbeit ist dementsprechend ein Hochbegabungsbegriff, in dem der Einfluss von Umwelt, Arbeitshaltung und bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen berücksichtigt und zwischen Begabung und Leistung differenziert wird. Hochbegabung ist m.E. auf verschiedenen Gebieten möglich (vgl. 2.).
Dennoch werden sich die Ausführungen in dieser Arbeit auf den Bereich der intellektuellen Hochbegabung beschränken, da die spezielle Förderung anderer Begabungsbereiche (z.B. psychomotorische Hochbegabung) größtenteils außerschulisch bzw. in Spezialschulen stattfindet.
3. Modelle der Hochbegabung
3.1 Vorbemerkungen
Im Gegensatz zu den Definitionen, die bei der Klärung helfen sollen, welche Kinder als hochbegabt angesehen werden können, sollen die Modelle verdeutlichen, welche Einflüsse auf die Begabung des Kindes und seine Leistung einwirken. Die Betonung liegt hier also auf der Entwicklung der Hochbegabung.
In diesem Kapitel werden fünf verschiedene, einflussreiche Hochbegabungsmodelle in der chronologischen Abfolge ihrer Entstehung dargestellt und bewertet, welche sich in vereinfachter Form in zwei Kategorien einteilen lassen:
- In der ersten Kategorie wird Hochbegabung mit Leistung gleichgesetzt, d.h. hier gilt nur die beobachtbare, überdurchschnittliche Leistung als Hochbegabung. Underachiever, die in der Schule nur schwache Leistungen erzielen, zählen demnach nicht zu den Hochbegabten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Kategorie „Hochbegabung als Leistung“.
(Quelle: Holling / Kanning 1999, S. 6.)
- In den Modellen der zweiten Kategorie wird Hochbegabung als eine Disposition zu hohen Fähigkeiten betrachtet. Die Anlage muss sich nicht unbedingt auch in sichtbarer Leistung äußern, so dass in diesen Modellen auch hochbegabte Underachiever berücksichtigt werden.[47]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Kategorie „Hochbegabung als Disposition“.
(Quelle: Holling / Kanning 1999, S. 7.)
3.2 Das Drei-Ringe-Modell der Hochbegabung von Renzulli
Ende der 70er Jahre entwickelte Joseph S. Renzulli sein „Drei-Ringe-Modell“ der Hochbegabung. Diesem Modell liegt die Auffassung zugrunde, dass Hochbegabung als Schnittmenge der drei Komponenten überdurchschnittliche Fähigkeiten, Kreativität und Aufgabenverpflichtung zu verstehen ist.[48]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Drei-Ringe-Modell von Renzulli (1979).
(Quelle: Holling 1998, S.10.)
Die überdurchschnittlichen Fähigkeiten umfassen dabei sowohl allgemeine, kognitive Fähigkeiten, als auch spezielle Fähigkeiten in diversen Wissensbereichen. Zu den allgemeinen kognitiven Fähigkeiten zählen u.a. ein hohes Niveau im abstrakten Denken und Schlussfolgern, im räumlichen Vorstellungsvermögen, im Erinnern und im sprachlichen Geschick. Begabungen in einzelnen Bereichen, der Erwerb von Arbeitstechniken und auch die Fähigkeit des Bewertens von Informationen gehören zu den speziellen Fähigkeiten.[49] Renzulli unterschied diesbezüglich als erster Wissenschaftler zwischen allgemeinen und spezifischen Fähigkeiten.[50]
Kreativität ist nach Renzulli originelles, produktives, flexibles und individuell-selbständiges Lösungsverhalten für Aufgaben, Offenheit und Aufnahmefähigkeit für Neues, Neugier, Risikobereitschaft und Sensibilität.[51]
Mit Aufgabenverpflichtung ist die Fähigkeit einer Person gemeint, sich über längere Zeit intensiv einer Aufgabe zuzuwenden, wobei eine kognitive, eine emotionale und eine motivationale Komponente enthalten sind: Man muss sich gedanklich mit einem Ziel auseinandersetzen, um es zu erreichen, sich emotional von diesem Ziel angezogen fühlen und es mit viel Einsatz und Willensstärke verfolgen und über einen längeren Zeitraum planen. Die Zeiträume, an denen sich ein Kind dabei orientieren kann, sind umso kürzer, je jünger das Kind ist.[52]
Die Realisierung einer Hochbegabung bedingt nach diesem Modell eine überdurchschnittliche Ausprägung und Interaktion aller drei Faktoren, welche als gleichberechtigt angesehen werden. Renzulli möchte mit seinem Drei-Ringe-Modell seine stärker entwicklungsorientierte denn statische Position gegenüber dem Hochbegabungsphänomen verdeutlichen. Demnach kommt ein Mensch nicht hochbegabt zur Welt, sondern entwickelt hochbegabtes Verhalten, falls es zu einer gelungenen Verbindung der genannten drei Faktoren kommt.[53]
Renzulli fordert die Einrichtung von Lernmöglichkeiten, die den Kindern die Gelegenheit geben, begabtes Verhalten zu zeigen und zu entwickeln.[54]
Als wichtigstes Ziel seiner Hochbegabungskonzeption nennt Renzulli selbst, eine möglichst breite Gruppe potentiell Hochbegabter zu erreichen und für diese und andere Förderprogramme auszuwählen. Um nicht nur die sog. „Schulbegabten“, sondern auch die sog. „kreativ-produktiv Begabten“ zu entdecken, sollen die Faktoren Kreativität und Aufgabenverpflichtung bei der Identifikation Hochbegabter berücksichtigt werden, statt nur Intelligenztests zur Diagnostik zu verwenden.[55] Bedeutendere Identifikationskriterien als die Ergebnisse in Intelligenztests sind nach Renzulli Nominationen durch Eltern, Lehrer und die Peergroup.
In Forschungskreisen hat das Drei-Ringe-Modell viel Beachtung gefunden und wurde in der pädagogischen Literatur oft zitiert, wohingegen es in der tatsächlichen Identifikationspraxis jedoch weniger genutzt wurde.[56]
Der Hauptkritikpunkt an diesem Modell ist die Gleichsetzung von Begabung und Leistung, wie sie auch in einigen der dargestellten Definitionsklassen zu finden ist. Auch hier werden so die Underachiever übersehen, die trotz in Intelligenztests nachgewiesener herausragender Fähigkeiten nur schwache Leistungen in der Schule erbringen.[57] Zudem wird ihnen auch noch eine mangelnde Motivation unterstellt.[58] Dadurch widerspricht Renzulli seinem eigenen Anliegen, die große Gruppe der nicht identifizierten Hochbegabten zu entdecken und zu fördern. Ein weiterer Kritikpunkt an diesem Modell ist die Tatsache, dass nach Renzulli neben den überdurchschnittlichen Fähigkeiten auch Aufgabenverpflichtung und Kreativität notwendige Bedingungen für Begabung darstellen.[59]
Zudem wurde kritisiert, dass in dem Drei-Ringe-Modell nur Personenfaktoren als Einflussgrößen berücksichtigt werden, bei gleichzeitigem Vernachlässigen der förderlichen und hemmenden sozialen Einflussfaktoren. Demnach sei der zugrundeliegende Hochbegabungsbegriff eher statisch als dynamisch.[60] Viele Pädagogen und Psychologen nahmen Renzullis Hochbegabungsmodell zum Anlass, ihr eigenes Modell der Hochbegabung zu konzipieren, indem sie das Drei-Ringe-Modell erweiterten oder ein völlig neuartiges Modell entwarfen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Drei-Ringe-Modell von Renzulli zur Zusammenstellung von Förderungsprogrammen dienen kann, da es einen Aufschluss über die zu fördernden Persönlichkeitsbereiche zulässt, jedoch nicht als allgemeines Modell zur Erklärung der Entfaltungsbedingungen von Hochbegabung geeignet ist.[61]
3.3 Das Triadische Interdependenzmodell von Mönks
Das Triadische Interdependenzmodell von Mönks, einem Professor für Psychologie und ehemaligem Präsident des Europäischen Rates für Hochbegabtenförderung „ECHA“, basiert auf Renzullis Drei-Ringe-Modell. Es wurde um die Komponenten Schule, Peers und Familie erweitert.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6: Triadisches Interdependenzmodell von Mönks.
(Quelle: Projekt Begabungsförderung Thurgau)
Nach Mönks stellt die soziale Umwelt die Grundlage für die Entwicklung einer Anlage dar. Mönks entspricht in seinem Modell der heute in der Entwicklungspsychologie vorherrschenden Auffassung, dass für die Entwicklung das richtige Zusammentreffen individueller Anlagen und Bedürfnisse mit einer verständnisvollen und förderlichen Umwelt von entscheidender Bedeutung ist. Die Komponenten Kreativität und Aufgabenverständnis versteht Mönks wie Renzulli. Überdurchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten betrachtet er in einem IQ von mindestens 130.[62] Die von ihm ergänzten äußeren Einflussgrößen Schule, Peers und Familie stellen nach Mönks die drei wichtigsten Bereiche der sozialen Umgebung eines Kindes dar, wobei mit peergroup hier die Gemeinschaft der gleichgesinnten Freunde gemeint ist, nicht unbedingt die der gleichaltrigen. Das Modell von Mönks ist also insgesamt durch zwei Triaden bestimmt, nämlich einerseits von den drei Faktoren des Drei-Ringe-Modells und andererseits von den drei sozialen Umweltfaktoren.
Die drei Persönlichkeitsfaktoren sind als Anlagefaktoren in verschieden starker Ausprägung beim Kind vorhanden und entwickeln sich nur unter Begleitung und Förderung seitens der sozialen Umgebung harmonisch. Hochbegabung liegt erst dann vor, wenn all diese Faktoren so ineinander greifen, dass eine harmonische Entwicklung möglich ist. Dabei stehen die beiden Triaden in wechselseitiger Abhängigkeit und beeinflussen sich gegenseitig. Damit Hochbegabung sich also einwandfrei entfalten kann, ist eine positive Verflechtung der beiden Triaden notwendig.[63] Für eine erfolgreiche Interaktion zwischen Person und Umgebung muss die betreffende Person jedoch über ein gewisses Maß an sozialer Kompetenz verfügen, d.h. die Fähigkeit besitzen, mit anderen einen befriedigenden Umgang haben zu können.[64] Gerade hier sind allerdings hochbegabte Kinder häufig benachteiligt, da sie wegen des großen Entwicklungsunterschiedes oftmals nur wenig Anschluss an ihre Alters- und Klassenkameraden finden.[65]
Insgesamt gibt Mönks dem Modell von Renzulli mehr Reichweite und Dynamik; Hochbegabung wird nicht als statisches Konstrukt gesehen, sondern als Ergebnis von zahlreichen, sich verändernden Einflussfaktoren. Positiv anzumerken ist das mit diesem Modell verfolgte Ziel, die Entwicklung hochbegabter Kinder zu optimieren und den damit verbundenen Zuschnitt des Modells auf Begabungs entwicklung. Unklar bleibt jedoch, wie die wechselseitigen Beziehungen zwischen den verschiedenen Komponenten aussehen und auf welche Art und zu welchem Zeitpunkt in der Entwicklung der Hochbegabten sich welche Interaktionen auswirken.[66] Außerdem werden auch hier Hochbegabung und Hochleistung gleichgesetzt, so dass Underachiever nicht berücksichtigt werden. Zudem wurde der Aspekt der sozialen Kompetenz von Mönks zwar genannt, jedoch nicht in sein Modell integriert.[67] Rost kritisiert m.E. zu Recht, dass dem Modell die Begabungsspezifität fehle.[68] Denn jede Fähigkeit, Verhaltensweise und Eigenschaft eines Menschen entwickelt sich immer im familiären und / oder weiteren sozialen Umfeld, nicht nur die Hochbegabung. Demnach ist das Triadische Interdependenzmodell keineswegs eine spezifische Erklärung für die Entstehung und Entfaltung von Hochbegabung.
3.4 Das mehrdimensionale Begabungskonzept von Urban
Auch in dem mehrdimensionalen Begabungskonzept von Urban werden überdurchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten nicht isoliert betrachtet, sondern stehen in Verbindung mit bestimmten Aspekten der Persönlichkeit und der sozialen Umwelt. Zudem hebt Urban die dynamische Lernfähigkeit hervor, womit die Fähigkeit des effektiven, schnellen, intensiven und selbständigen Lernens gemeint ist. Um ein Kind zu dieser Art des Lernens zu befähigen, bedarf es nach Urban der Förderung durch die Umwelt, sowie der Kreativität und Anstrengungsbereitschaft des Kindes.
In seinem mehrdimensionalen Begabungskonzept unterteilt Urban Begabung in abstrakt-intelligente, praktisch-instrumentelle, künstlerische und soziale Begabungen. Urban betrachtet den Hochbegabten als Individuum mit spezifischen biologisch-neurophysiologischen Voraussetzungen, die auf eine bestimmte Umwelt treffen. Die Umwelt unterteilt Urban in verschiedene Bereiche, nämlich die kulturelle, die soziale, die materielle und die direkte symbolische Umwelt.
Sich bei der Interaktion von Individuum und Umwelt entwickelnde Fähigkeiten lassen sich nach Urban in folgende Kategorien unterteilen:
- kognitive Fähigkeiten (z.B. effektive, schnelle Informationsverarbeitung)
- emotional-affektive Fähigkeiten (z.B. Sensibilität und Empathie)
- konative Fähigkeiten (z.B. starke intellektuelle Neugier, ausdauernde Motivation, vielfältiges Interesse, originelles und schöpferisches Handeln)
- soziale Fähigkeiten (z.B. Uneigennützigkeit und Kooperation)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7: Das mehrdimensionale Begabungskonzept von Urban.
(Quelle: Kargstiftung)
Holling und Kanning kritisieren an diesem Begabungskonzept, dass die Darstellung Hochbegabter wie die Beschreibung eines „Idealmenschen“ klinge: Nach Urban zeichnet sich ein hochbegabter Mensch durch die Fähigkeit zu außergewöhnlicher Leistung aus und zudem durch eine ausgesprochen soziale Einstellung Der automatische Besitz dieser wertvollen sozialen Fähigkeiten bei intellektuell Hochbegabten ist auch m.E. nicht zwingend gegeben.[69]
3.5 Das differenzierte Begabungs- und Talentmodell von Gagné
Auch in dem Hochbegabungsmodell von Gagné wird von der Mehrdimensionalität der Hochbegabung ausgegangen. Das Modell entstand aus der Kritik an dem Drei-Ringe-Modell von Renzulli. Gagné kritisierte daran, dass es sich ausschließlich um ein Leistungsmodell handele, in dem nicht zwischen Leistung und Begabung differenziert würde.[70] Er nimmt deshalb an, dass in Renzullis Konzept die sog. Underachiever nicht berücksichtigt werden. Gagné hält es für problematisch, definitorisch festzulegen, dass einer überdurchschnittlichen Begabung auch immer eine qualitativ sehr hohe Leistung gegenüberstehe. Deshalb entwickelte er ein Modell, in dem zwischen Begabung und Leistung stark differenziert wird. Sein Modell ist in folgende drei Hauptkategorien aufgeteilt:
- die Fähigkeitsbereiche („giftedness“): Hierunter werden weitgehend angeborene und noch nicht systematisch entwickelte Fähigkeiten in unterschiedlichen Bereichen verstanden. Dabei wird zwischen allgemeinen und spezifischen Fähigkeitsbereichen unterschieden. Die allgemeinen Fähigkeitsbereiche sind unterteilt in den intellektuellen, den kreativen, den sozioaffektiven und den sensomotorischen Bereich. Als Erweiterungsmöglichkeit des Modells für bisher weniger untersuchte Begabungen fügt er dem allgemeinen Fähigkeitsbereich außerdem die Kategorie „andere Fähigkeitsbereiche“ hinzu.[71]
- die Leistungsbereiche („talent“): Unter Talent versteht Gagné überdurchschnittliche Leistung in einem oder mehreren Leistungsfeldern. Ein Talent ist demnach eine systematisch entwickelte Fähigkeit oder Fertigkeit, die jemanden auf einem bestimmten Gebiet zum Experten macht. Gagné schließt dabei eine Vielzahl von Gebieten ein, z.B. Sozialwissenschaften, Naturwissenschaften, Mathematik, Schauspiel, Musik, Malerei, Tanz, Sport usw. Um ein Talent schrittweise zu entwickeln, ist zumeist systematisches Training notwendig.[72]
- die Katalysatoren („catalyst“): Die Katalysatoren stellen die Beziehungen zwischen Begabungen und hohen Leistungen dar und werden multidirektional gesehen. Nach diesem Modell zeigt sich nicht jede hohe Begabung unbedingt auch durch hohe Leistung. Hier spielen fördernde oder hemmende Faktoren der Person (z.B. Motivation) oder der Umwelt (z.B. Schule) eine wichtige Rolle.[73] Die Umweltkatalysatoren unterteilt Gagné in bedeutende Personen (z.B. Eltern, Lehrer, Trainer usw.), physikalische Umwelt (Kinder in ländlichen Gebieten haben z.B. meist weniger Zugang zu Umweltressourcen, die für ihre Talententwicklung förderlich sind), Interventionen (z.B. Sommercamps, Wochenendkurse, Begabtenschulen und sonstige Förderprogramme), bedeutsame Ereignisse (z.B. Momente, die einen dauerhaften Einfluss auf die Berufsentscheidung eines Menschen haben) und Glück (z.B. das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtige Person zu sein, so dass die Talententwicklung positiv beeinflusst wird).[74]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 8: Das differenzierte Begabungs- und Talentmodell von Gagné.
(Quelle: Kargstiftung)
Als hochbegabt definiert Gagné die Kinder, die in mindestens einem dieser Fähigkeitsbereiche herausragende, also weit überdurchschnittliche Fähigkeiten haben, unabhängig davon, ob diese sehr hohen Fähigkeiten auch tatsächlich in hohe Leistung umgesetzt werden. Das Auftreten einer überdurchschnittlichen Leistung macht Gagné von der entweder hemmenden oder fördernden Wirkung und Beeinflussung durch die Katalysatoren abhängig. Zu den wichtigsten Katalysatoren zählen in dem Bereich der Umwelt des Kindes die Familie und die Schule. Dazu kommen die ebenso einflussreichen persönlichen Faktoren, die zu einer Leistungshemmung oder –steigerung führen können, wie z.B. Motivation und Interesse. In seinem Modell betont Gagné vor allem den Prozesscharakter der Talententwicklung, wobei Motivation und Umweltfaktoren die entscheidenden inneren und äußeren Katalysatoren darstellen. Im Gegensatz zu Renzulli geht Gagné nicht davon aus, dass es einzelne Begabungen gibt, die eine grundsätzliche Voraussetzung für jedes Talent sind. Ein weiterer entscheidender Unterschied zu Renzullis Drei-Ringe-Modell ist die Annahme, dass ein hochbegabtes Kind nicht zwangsläufig auch immer über eine überdurchschnittlich hohe Kreativität verfügen muss.[75] Nach Gagné sind also talentierte Menschen immer auch begabt, begabte Personen jedoch nicht zwangsläufig talentiert. Demnach berücksichtigt er in seinem Modell auch die Underachiever.[76] Diese Differenzierung zwischen Begabung und Leistung bzw. zwischen Kompetenz und Performanz ist m.E. unerlässlich. Neben der Berücksichtigung der Underachiever bietet dieses Modell außerdem den Vorteil, dass es die Rolle der Kreativität einschränkt, indem sie nicht als konstitutives Element der Hochbegabung angesehen wird. So werden auch die nicht hoch kreativen Hochbegabten als solche anerkannt. Für die Schulpädagogik ist dieses Modell insofern interessant, als dass von Begabungsanlagen ausgegangen wird, die sich zeigen und zu erstaunlichen Leistungen führen können. Deutlich wird, dass diese Begabungen nur durch angemessene Förderung so weit entwickelt werden können, dass sie sich auch tatsächlich in vollständig ausgeformten Talenten zeigen. Hierbei gilt die schulische Förderung als Umweltkatalysator für die Entwicklung von Leistungen. Es erscheint sinnvoll, in Anlehnung an Gagné davon auszugehen, dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, wie z.B. Motivation und Interesse, keine konstituierenden Faktoren für hohe Leistung sind, sondern dass sie die wichtige Rolle von Katalysatoren übernehmen. Kritisch anzumerken ist bei diesem Modell sicherlich, dass die Ausdehnung des Hochbegabungsbegriffes auf viele verschiedene Fähigkeiten es in der Praxis schwer machen wird, Hochbegabung zu erfassen, da es bisher noch keine wirklich zufrieden stellenden Diagnoseinstrumente für Kreativität, Musikalität und Psychomotorik gibt. Außerdem wird der Begriff so u.U. auf einen sehr großen Personenkreis ausgedehnt.
3.6 Das Münchener Begabungsmodell von Heller, Perleth & Hany
Heller, Perleth und Hany entwickelten ihr Münchener Modell der Hochbegabung im Rahmen einer Längsschnittstudie an hochbegabten Schülern. Dabei orientierten sie sich an Gagnés Begabungs- und Talentmodell.[77] Auch sie kritisierten eindimensionale IQ-Definitionen, in denen bestimmte Begabungsbereiche von Anfang an ausgeschlossen werden und die damit verbundene Identifikationsmethode von Hochbegabten. Wie bei Gagné wird hier von angeborenen Begabungsfaktoren ausgegangen, die bei günstigen nicht-kognitiven Persönlichkeitseigenschaften und beim Bestehen günstiger sozialer Faktoren in Leistungen umgesetzt werden können.[78] Das Modell berücksichtigt also auch die Wechselwirkung von Individuum und sozialer Umwelt und bietet damit eine Erklärung für eventuelles Leistungsversagen hochbegabter Kinder.[79]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 9: Das Münchener Begabungsmodell von Heller, Perleth & Hany.
(Quelle: Projekt Begabungsförderung Thurgau)
Anders als bei Gagné wird hier auf den Begriff des Talents verzichtet und stattdessen von Leistung gesprochen. Die im Modell von Gagné als intrapersonale Katalysatoren benannten Faktoren heißen bei Heller, Perleth und Hany nichtkognitive Persönlichkeitsmerkmale. Obwohl die intellektuellen Fähigkeiten in diesem Modell nur einen Begabungsbereich unter vieren darstellen, nehmen sie doch eine gewisse Vorrangstellung ein, da nach Hany nur Menschen mit zumindest durchschnittlichem kognitiven Begabungsniveau als hochbegabt gelten sollten. In der Modellabbildung steht die Intelligenz deshalb an oberster Stelle.[80] Die Münchener Forschungsgruppe betrachtet Hochbegabung als die individuelle kognitive, motivationale und soziale Möglichkeit zum Erbringen von Höchstleistungen in einem oder mehreren Bereichen, wie z.B. auf mathematischem, sprachlichem oder künstlerischem Gebiet.[81] Durch die Unterscheidung von Begabung und Talent wird auch in diesem Modell die Notwendigkeit einer Förderung zur Begabungsentfaltung betont. Doch auch hier lässt sich kritisieren, dass es in der Praxis schwer fallen wird, die sehr unterschiedlichen und vielfältigen Begabungen zu erfassen und dass sehr viele Personen nach diesem Modell als hochbegabt gelten würden. Schulte zu Berge kritisiert m.E. außerdem zu Recht, dass in dem Modell keine Beziehung zwischen Umweltmerkmalen und nicht-kognitiven Persönlichkeitsmerkmalen sowie Begabungsfaktoren besteht. Auch meiner Meinung nach beeinflusst die Umwelt nicht nur die Leistung direkt, sondern ebenso die genannten Komponenten. Schulte zu Berges Vorschlag, zudem sämtliche Pfeile durch Wechselpfeile auszutauschen, erscheint äußerst gerechtfertigt, da sich z.B. erbrachte Leistungen wiederum sicherlich auf die Leistungsmotivation auswirken usw.[82]
3.7 Kritische Zusammenfassung
Die chronologische Anordnung der in diesem Kapitel vorgestellten Modelle der Hochbegabung zeigt die allgemeine Entwicklungslinie der Hochbegabungsforschung in den letzten Jahrzehnten auf. Das erste einflussreiche und weit verbreitete Modell war das Drei-Ringe-Modell von Renzulli von 1979, in dem Hochbegabung nicht mehr länger nur über Intelligenz definiert wurde, sondern in dem die Persönlichkeitsmerkmale Aufgabenverpflichtung und Kreativität als notwendige Bedingung mit eingeschlossen wurden. Aus der Kritik an diesem Modell heraus wurden weitere Modelle entwickelt, die nun zusätzlich auch Umweltfaktoren mit berücksichtigten, welche die Entwicklung des Menschen und auch seiner Begabung entscheidend beeinflussen. Den Modellen zufolge müssen diese Umweltfaktoren in günstiger Konstellation vorhanden sein, damit die Hochbegabung sich entwickeln bzw. in hohe Leistung umgesetzt werden kann. Werden die spezifizierten Persönlichkeits- und Umweltbedingungen als definierende Bedingung für Hochbegabung erachtet, so werden Underachiever in dem Modell nicht berücksichtigt, womit das Modell m.E. unzulänglich und unbrauchbar ist. Hilfreich sind dagegen die Modelle, in denen diese Faktoren als notwendige Bedingung für die Umsetzung der hohen Begabung in hohe Leistung betrachtet werden. Eine diesbezüglich klare Differenzierung treffen das Modell von Gagné und das Münchener Hochbegabungsmodell. In beiden Modellen wird zwischen angeborenen Begabungsfaktoren und für das Umsetzen in Leistung notwendigen Persönlichkeits- und Umweltfaktoren unterschieden. Das Einbeziehen der Rahmenbedingungen und einflussreichen Instanzen im Hinblick auf diese Umsetzung ist dabei sicherlich ein positiver Aspekt dieser Modelle. Allerdings muss hier kritisiert werden, dass die genannten Modelle diesbezüglich keineswegs hochbegabungsspezifisch sind, da diese Faktoren auf alle Kinder und ihre Entwicklung einwirken. Es ist für die Identifizierungspraxis entscheidend, ob die Persönlichkeits- und Umweltfaktoren als konstituierende Elemente der Hochbegabung an sich oder lediglich als Voraussetzung für die Umsetzung der Hochbegabung in sichtbare Leistungen betrachtet wird. Denn dementsprechend reicht entweder ein Intelligenztest für die Identifizierung aus oder es müssen weitere Diagnostika, wie z.B. Kreativitätstests, eingesetzt werden. Für die schulische Praxis ist diese Unterscheidung eher unwichtig, da es in beiden Fällen um eine angemessene Förderung des Kindes geht, sei es, um hohe Begabungen überhaupt erst entstehen zu lassen oder um vorhandene hohe Begabungen zur Entfaltung zu bringen.
Ein weiterer Unterschied zwischen den Modellen ist der, dass die ersten drei dargestellten Modelle Begabung hauptsächlich auf den intellektuellen Bereich beschränken, wohingegen die letzten beiden Modelle auch den musikalischen, künstlerischen, psychomotorischen und weitere Bereiche mit einbeziehen. Durch ein solches Einbeziehen weiterer Fähigkeitsbereiche wird der Begriff der Hochbegabung m.E. allerdings zunehmend komplexer und auch unpräzise. Er ließe sich dann auf sehr viele weitere Bereiche ausdehnen und es würden sehr viele Personen als hochbegabt gelten.
Weiterhin ist es schwierig, einige der Faktoren, wie z.B. die Kreativität, angemessen zu testen und zu operationalisieren, was die Identifizierung Hochbegabter erschweren könnte.
Zusammenfassend erscheint es mir wichtig, zwischen Begabung und Leistung zu unterscheiden, um auch den Underachievern gerecht zu werden. In dem Zusammenhang sollte auch der Einfluss bestimmter Persönlichkeits- und Umweltfaktoren auf die Umsetzung von Begabung in Leistung berücksichtigt werden, wenn es auch keine begabungsspezifischen Einflussfaktoren sind. Schließlich sollte klar sein, dass bei jedem Kind diese Komponenten einen Einfluss auf jegliches Verhalten und seine Entwicklung haben, so dass für jedes Kind eine optimale Lernumwelt erstrebenswert wäre.
Die Vor- und Nachteile der vorgestellten Modelle werden in folgender Tabelle zusammengefasst:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2: Vor- und Nachteile verschiedener Hochbegabungsmodelle.
(Quelle: Eigene Tabelle)
4. Identifizierung von Hochbegabung
4.1 Vorbemerkungen
Die Identifizierung der Hochbegabung hängt untrennbar mit ihrer Definition und den dahinter stehenden Modellen zusammen.[83] Da deutlich wurde, dass es nicht die allgemeingültige Definition und eine damit verbundene Identifikationsmethode gibt, müssen die verschiedenen Vorschläge zur Identifikation betrachtet und auf ihre Brauchbarkeit hin überprüft werden.[84] So beschäftigt sich dieses Kapitel mit den verschiedenen, wichtigsten Verfahren, die in der Praxis zur Anwendung kommen. Am ausführlichsten werden dabei die Intelligenztests vorgestellt und bewertet, da sie zu den mit Abstand am häufigsten eingesetzten Verfahren gehören. Zudem werden Identifikationsverfahren durch Nominierungen, Zensuren und Wettbewerbe kritisch beurteilt. Zunächst muss jedoch überhaupt eine Begründung für die Notwendigkeit einer Identifizierung allgemein, der geeignete Zeitpunkt und ihre Qualität dargestellt werden. Im Anschluss an die Darstellung der einzelnen Identifizierungsverfahren wird noch auf die Risikogruppen der Mädchen und der Underachiever eingegangen. In der Literatur kommen sowohl der Begriff der Identifizierung, als auch der der Diagnostik vor. Da aber der Begriff Diagnostik eher dem medizinischen Bereich zugeordnet wird und Hochbegabung so eventuell mit einem Problem assoziiert werden könnte, das wie eine Krankheit diagnostiziert und behandelt werden muss, entscheide ich mich wie Fels für den Begriff der Identifizierung.[85]
4.2 Zur Notwendigkeit der Identifizierung
In Artikel 2, Absatz 1 des Grundgesetzes wird jedem Menschen das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit zugestanden. Für den Staat ergibt sich daraus die Verpflichtung, jedem Menschen eine Ausbildung zu ermöglichen, die seinen Fähigkeiten, Interessen und Bedürfnissen entspricht.[86] In den Schulgesetzen der einzelnen Bundesländer findet man ähnliche Formulierungen bezüglich Bildung und Ausbildung.[87] Ohne eine entsprechende Identifizierung würde ein existierendes Lernpotenzial möglicherweise nicht entdeckt und gefördert werden.[88] Durch eine möglichst frühzeitige Identifizierung der Hochbegabung sollen außerdem denkbare Fehlentwicklungen, wie z.B. das Auftreten von Underachievement, verhindert werden.[89] Ohne eine angemessene Identifizierung ihrer Hochbegabung bliebe der Artikel 2, Absatz 1 des Grundgesetzes für hochbegabte Kinder also ohne Wirkung. Eine Identifizierung hochbegabter Kinder setzt immer eine bewusste Entscheidung zur Förderung voraus, ansonsten würde der Begriff der Hochbegabung nur zum Selbstzweck dienen und es würde eine Etikettierung in Gang gesetzt werden, deren negative Folgen überwiegen würden. Die Begründung der speziellen Förderung hochbegabter Kinder in der Grundschule wird in dieser Arbeit an anderer Stelle gesondert behandelt (vgl. Kapitel 7).
[...]
[1] Vgl. Urban 1982, S. 18.
[2] Vgl. Heinbokel 2001 a, S. 19 ff.
[3] Vgl. Fels 1999, S. 59 f.
[4] Vgl. Feger 1988, S. 34.
[5] Vgl. Fels 1999, S. 62.
[6] Vgl. Kornadt 1988, S. 19.
[7] Vgl. Bongartz / Kaißer /Kluge 1985, S. 30.
[8] Vgl. Feger / Prado 1998, S. 5 ff.
[9] Vgl. Saarländisches Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft 2003, S. 6.
[10] Vgl. Feger 1988, S. 57.
[11] Vgl. ebd., S. 53.
[12] Vgl. ebd., S. 57 ff.
[13] Ausubel 1968, S.551.
[14] Vgl. Knaurs Lexikon 1975, S. 3415.
[15] Vgl. Landau 1999, S. 30.
[16] Vgl. Bongartz / Kaißer / Kluge 1985, S. 55.
[17] Vgl. Guilford 1957, S. 110 ff.
[18] Vgl. Finkel 1978, S. 13.
[19] Vgl. Cropley / McLeod / Dehn 1988, S.93.
[20] Vgl. Stapf 2003, S. 19.
[21] Stern 1928, S. 344.
[22] Vgl. Feger 1988, S. 61.
[23] Vgl. Holling 1998, S. 28.
[24] Vgl. ebd., S. 64.
[25] Vgl. Jost 1999, S. 25.
[26] Vgl. Fitzner / Stark / Kagelmacher 1999, S. 17 f.
[27] Vgl. Stapf 2003, S. 20.
[28] Vgl. Fels 1999, S. 39.
[29] Vgl. Winner 1998, S. 30.
[30] Vgl. Bongartz / Kaißer / Kluge 1985, S. 40.
[31] Vgl. Fels 1999, S. 40.
[32] Witty 1958, S.62.
[33] Vgl. Feger 1988, S. 58.
[34] Vgl. Getzels 1982, S. 46.
[35] Vgl. Bongartz / Kaißer / Kluge 1985, S. 47 f.
[36] Vgl. Schulte zu Berge 2001, S. 18.
[37] Vgl. Feger 1988, S. 58.
[38] Vgl. ebd., S. 60.
[39] Vgl. Holling / Kanning 1999, S. 6.
[40] Vgl. Feger 1988, S. 68 ff.
[41] Lucito 1964, S. 184.
[42] Vgl. Feger 1988, S. 58 ff.
[43] Vgl. Ey-Ehlers 2001, S.37 f.
[44] Vgl. ebd., S. 38.
[45] Vgl. Fels 1999, S. 41.
[46] Vgl. Reichle 2004 b, S. 59 ff.
[47] Vgl. Holling 1998, S. 7 f.
[48] Vgl. Langeneder 1997, S. 27.
[49] Vgl. Holling 1998, S. 9.
[50] Vgl. Böttcher 1994, S. 27.
[51] Vgl. Renzulli 1993, S. 217 ff.
[52] Vgl. Holling 1998, S. 9.
[53] Vgl. Holling / Kanning 1999, S. 8 f.
[54] Vgl. Stamm 1992, S. 58.
[55] Vgl. Holling / Kanning 1999, S. 8 f.
[56] Vgl. Freund-Braier 2001, S. 26 f.
[57] Vgl. Holling 1998, S. 10 f.
[58] Vgl. Fels 1999, S. 43.
[59] Vgl. Holling / Kanning 1999, S. 9 f.
[60] Vgl. Freund-Braier 2001, S. 27.
[61] Vgl. Fels 1999, S. 44.
[62] Vgl. Holling / Kanning 1999, S. 11.
[63] Vgl. Mönks 1993, S. 31 ff.
[64] Vgl. Mönks / Ypenburg 2000, S. 22.
[65] Vgl. Mönks 1992, S. 17 ff.
[66] Vgl. Tettenborn 1996, S. 34 ff.
[67] Vgl. Holling / Kanning 1999, S. 12.
[68] Vgl. Rost 1991 a, S. 197 ff.
[69] Vgl. Holling / Kanning 1999, S. 13 f.
[70] Vgl. Freund-Braier 2001, S. 28.
[71] Vgl. Holling 1998, S. 17.
[72] Vgl. Holling / Kanning 1999, S. 14.
[73] Vgl. Langeneder 1997, S. 34 f.
[74] Vgl. Holling 1998, S. 18 f.
[75] Vgl. Wild 1991, S. 15 ff.
[76] Vgl. Holling 1998, S. 20.
[77] Vgl. Fels 1999, S. 46.
[78] Vgl. Holling 1998, S. 21.
[79] Vgl. Fels 1999, S. 46.
[80] Vgl. Holling 1998, S. 21 f.
[81] Vgl. Heller 1990, S. 85 ff.
[82] Vgl. Schulte zu Berge 2001, S. 16.
[83] Vgl. Holling / Kanning 1999, S. 21.
[84] Vgl. Feger 1988, S. 98.
[85] Vgl. Fels 1999, S. 117 f.
[86] Vgl. Bongartz / Kaißer / Kluge 1985, S. 65.
[87] Vgl. Mannhart 1999, S. 1.
[88] Vgl. Cropley, McLeod & Dehn 1988, S. 36.
[89] Vgl. Heinbokel 2001 a, S. 47.
- Citar trabajo
- Stefanie Schräder (Autor), 2005, Förderung hochbegabter Kinder in der Grundschule, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38788
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