Das Bilderbuch "Das Mädchen von weit weg" von Annika Thor und Maria Jönsson aus dem Jahr 2016 wird in dieser Arbeit unter dem Aspekt der Interkulturalität analysiert und bewertet. Die Analyse wird dabei, nach einer kurzen Inhaltsangabe, in eine Untersuchung der narrativen, bildlichen und verbalen Dimension unterteilt. Abschließend wird das didaktische Potential des Bilderbuchs bewertet und mögliche Lernziele und Kompetenzen werden aufgezeigt.
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Analyse
1. Narrative Dimension
a) Die zentralen Motive bewegen sich zwischen Fantasiewelt und Realität. Das Motiv des ,Sich
auf den Wegmachens`, Einsamkeit und das Auffinden einer Hütte im Wald erinnert an
Märchen, wie ,Hänsel und Gretel` oder ,Rotkäppchen`, auch die Tragik des ,Verlassen werden
oder sein`. Die Personen sind jedoch real. Es gibt keine Märchenfiguren oder Fantasiewesen.
Die Umstände, in denen sich das Kind befindet, sind deutlich unrealistisch. Ein unbegleitetes
Flüchtlingskind wird nicht alleine im Wald rumirren. Motive, wie Wald, Dunkelheit, Kälte
stehen symbolhaft für die Einsamkeit des Mädchens, aber auch der Grauen, die sich an die
Einsamkeit gewöhnt und sich in ihr eingerichtet hat. Thema der Geschichte ist
Gastfreundschaft und das weniger im interkulturellen, als vielmehr im sozialen, auch
generationsübergreifenden Kontext.
verbalsprachliche Erzählinstanz:
a) Stellung: heterodiegetisch, d.h. der Erzähler ist nicht am Geschehen beteiligt, er kommt in
der Erzählung nicht vor, aber er beschreibt das Innenleben der Grauen.
b) Fokalisierung: Nullfokalisierung, d.h. es gibt einen auktorialen Erzähler, der mehr als die
Figuren weiß. Er dringt aber vorwiegend in die Gedanken- und Gefühlswelt der Grauen ein
und beschreibt das Geschehen aus ihrer Sicht: ,,Es war warm und einsam und schön.
Niemand sollte kommen und sie stören." Nur an einer Textstelle wird deutlich, dass es sich
nicht um eine ,Interne Fokalisierung` handeln kann: ,,Die Graue wusste nicht, wer Ich war,
aber sie öffnete die Tür trotzdem eine Spalt weit." Hier wird gewechselt von der Sicht bzw.
Mitsicht der Grauen zur Mitsicht des Mädchens. Nur ein auktorialer Erzähler ist dazu in der
Lage.
bildliche Erzählinstanz:
a) Stellung: heterodiegetisch. Im Bild wird vor allem das Innenleben des Mädchens beschrieben
und in der bildlichen Darstellung von Mimik und Gestik, Blick und Bewegung zum Ausdruck
gebracht.
2. Bildliche Dimension
Bild und Text ergänzen sich somit. Die Graue, die verbalsprachlich die größte Aufmerksamkeit
bekommt, wird im Bild nur schemenhaft dargestellt. Ihrer Mimik und Gestik kann man nur
andeutungsweise entnehmen, wie sie sich fühlt. Sie ist grau und farblos. Ihr Gesicht wie eine Maske.
Die Schraffur in ihrem Gesicht unterstreicht ihre Anonymität. Sie kann als Individuum nicht
identifiziert werden. Sie steht da, stereotyp für einsame, auch alte Menschen, die sich an ihre
Isolation gewöhnt haben. Das Gesicht des Mädchens dagegen ist deutlich zu erkennen. Man kann
seine emotionale Befindlichkeit ablesen. Warme Farben in ihrer Umgebung durchbrechen das Grau.
Das Mädchen trägt ein rotes Kleid. Diese Farbe transportiert wie auch andere Farbflecken und
Farbabstufungen von Gelb bis Rot, eine positive Botschaft und können mit den Erscheinungen von
Licht und Wärme, sowie Gefühle wie Zuneigung und Dankbarkeit in Verbindung gebracht werden.
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3. Verbale Dimension
parataktischer Satzbau: kurze und einfache Sätze
Wortwahl: lakonisch, einfache, aber treffende, trockene und schmucklose Ausdrucksweise;
Beschreibungen (Adjektive) im Text entsprechen der Darstellung im Bild
Großteil des Textes sind Monologe und Dialoge: Innere Monologe der Grauen und Dialoge zwischen
den beiden Hauptfiguren. Es wird deutlich, dass der Austausch, das Gespräch, aber auch das
Reflektieren in Gedanken eine zentrale Stellung einnimmt und letztendlich für eine gelungene
Kommunikation und für ein gutes Miteinander von großer Bedeutung ist.
4. Intermodale Dimension s. Bildliche/Verbale Dimension
Beurteilung des didaktischen Potenzials
Literarische und Bildqualität/ Vermittlung von Interkulturalität
Das Bilderbuch erachte ich als ästhetisch sehr wertvoll. Es ist vor allem die gelungene Ergänzung der
verbalen und bildlichen Aussagen, die den Einsatz als Bilderbuch als solches sinnvoll macht. Es
braucht Text und Bild, um die Geschichte vollständig zu erfassen. Inhaltlich könnte man meinen, dass
das Bilderbuch durch die Tragik und die sich darbietenden Möglichkeit, sich vor allem mit der Person
der Grauen zu identifizieren, eher an Erwachsene oder Jugendliche gerichtet ist. Themen wie
,Gastfreundschaft` oder auch ,Generationenkonflikt` können damit in Verbindung gebracht werden.
Es ist die Graue, die in der Geschichte eine Lebensveränderung vollzieht. Das Mädchen ist der
Auslöser dafür. Für Kinder birgt es jedoch die Möglichkeit, in das zunächst unverständlich
ablehnende Verhalten der Grauen einen Einblick zu gewinnen und sich somit in ihre Situation
einzufühlen. Andererseits spiegelt die Geschichte ähnlich wie oben genannte Märchen, eine typische
Situation eines Kindes wider, wenn auch symbolhaft und auf den ersten Eindruck stark übertrieben.
Es muss etwas Vertrautes aufgeben, um etwas Neues zu beginnen. Der Kinderpsychologe Bruno
Bettelheim preist in seinem Buch ,Kinder brauchen Märchen` (Bettelheim 1985) diese
phantasievollen Geschichten als wertvollen Beitrag zur seelischen und emotionalen Erziehung. Es
erfährt zudem, dass Probleme im Leben unvermeidlich sind, man jedoch in der Lage sein kann, sie zu
bewältigen, so wie die Helden im Märchen oder hier die Graue, die es schafft sich zu öffnen und aus
ihren Gewohnheiten auszubrechen, um sich gemeinsam mit dem Mädchen auf den Weg in eine
hoffnungsvolle Zukunft aufzumachen.
Im Rahmen einer Unterrichtseinheit zum Thema Märchen könnte ich mir vorstellen, dieses
Bilderbuch einzusetzen. Es wäre möglich, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu der Textgattung
Märchen herauszuarbeiten. Die Geschichte ist der Textgattung Parabel zuzuordnen. Somit bietet es
sich an, das Bilderbuch einzusetzen, wenn man sich mit dieser Textgattung beschäftigt. Eine Parabel
ist eine lehrhafte und kurze Erzählung, dem Gleichnis ähnlich. Das Geschehen hat eine übertragene
symbolhafte Bedeutung. Der Leser soll zum Nachdenken angeregt und zu einer Erkenntnis gebracht
werden. Die Lehre wäre hier: Ergreife die sich dir bietenden Möglichkeiten zur Veränderung alter
Gewohnheiten! Breche mit deinen Gewohnheiten und mach mache dich auf die Reise! Folge deinen
Träumen!
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- Christiane Oswald (Author), 2017, Die Vermittlung von Interkulturalität in Bilderbüchern. "Das Mädchen von weit weg" von Annika Thor und Maria Jönsson, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/387476
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