In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es zu einer stürmisch einsetzenden Industrialisierung und als Folge davon zu einem enormen Städtewachstum und einem stetig anschwellenden Zustrom der Landbevölkerung in die großstädtischen Ballungszentren. Das führte zu einer zunehmenden Proletarisierung und Verelendung breiter Bevölkerungsschichten. Die damit zusammenhängenden Probleme von Wohnungsnot, Alkoholismus, Krankheit, Gewalt und Verbrechen schienen angesichts einer gleichgültigen und untätigen gesellschaftlichen Oberschicht unlösbar zu sein. In zeitgenössischen Berichten waren die hässlichen Seiten dieser Wirklichkeit oft nur Randerscheinungen. Stattdessen stellte man die Leistungsfähigkeit moderner Industriebetriebe heraus.
Ganz im Gegensatz dazu wurden in zeitgenössischen Kunstdarstellungen die Schattenseiten der modernen Arbeitswelt nicht durch die Faszination für die Leistungen moderner Industriekapitäne übertönt. Das erkennt man beispielsweise in Gemälden wie Adolph Menzels „Eisenwalzwerk“ (1875) mit dem sprechenden Untertitel „Moderne Cyclopen“ und später noch in den Bildern von Malern wie Max Liebermann, in denen sich die wirklichen Verhältnisse dieser Welt offenbaren: die Monotonie im Industriealltag und das Wohnungselend in den Mietskasernen und Hinterhöfen der Großstadt. Bereits im Jahre 1855 hatte der französische Maler Gustave Courbet (1819 - 1877) in Paris eine Auswahl seiner Werke gezeigt und sie "le réalisme" genannt. Unter diesem programmatischen Begriff propagierte er eine in der damaligen Kunstwelt als provozierend empfundene Malweise, mit der die Wirklichkeit nicht nach den vorformulierten Idealen einer "höheren" Realität und den Regeln einer normativen Ästhetik dargestellt, sondern als sichtbare Alltagswirklichkeit ungeschönt, d. h. mit all ihren gewöhnlichen und hässlichen Seiten, gezeigt werden sollte. Mit Bildern wie "Les casseurs de pierres" ("Die Steinklopfer", 1849) hatte er der konventionellen bürgerlichen Salonkunst und der idealisierenden Historienmalerei eine eindeutige Absage erteilt und war auf den erbitterten Widerstand der zeitgenössischen Kunstkritik gestoßen, die sich sowohl am Thema (das harte Los einfacher Straßenarbeiter) als auch an der Malweise (ungekünstelte Darstellung der Wirklichkeit) stieß und das Bild als hässlich empfand. Während dieser Zeit wurde die Großstadt als Schauplatz und Referenzrahmen mehr und mehr zum Gegenstand von Literatur.
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- Hans-Georg Wendland (Autor), 2018, Die Großstadt als Spiegelbild der Gesellschaft im modernen Roman bei Fontane, Kafka und Kästner, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/387334
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