Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels in Deutschland, dem steigenden Personalbedarf und dem vorherrschenden Fachkräftemangel in der Gesundheits- und Krankenpflege ergibt sich für Krankenhäuser ein dringender Handlungsbedarf, um neue Fachkräfte für die Pflege zu gewinnen und die bestehende Belegschaft zu halten. Gleichzeitig gestaltet sich die Zusammensetzung der Pflegeteams mit der Zuwanderung ausländischer Fachkräfte, den Veränderungen in der Altersstruktur und dem Ungleichgewicht in der Geschlechterverteilung immer heterogener. Diese personelle Vielfalt bringt nicht nur Herausforderungen, sondern auch Chancen mit sich.
Im Gegensatz zu Deutschland wurde in den USA bereits früh erkannt, dass die Vielfalt in Teams große Potentiale birgt. Wissenschaftlich fundiert wurden diese Erkenntnisse mit der Entwicklung des Diversity-Management-Konzeptes. Dieses Konzept zielt darauf ab, die personelle Vielfalt in Organisationen mit entsprechenden Handlungsstrategien zu managen. Dadurch richtet sich die Perspektive auf die positiven Aspekte von Diversity, wobei Vorurteile aufgrund von Geschlecht, Nationalität oder Generationszugehörigkeit abgebaut werden.
In Anlehnung an das Diversity-Management-Konzept zeigt die vorliegende Arbeit die Chancen personeller Vielfalt in der Pflege sowie entsprechende Handlungsstrategien und Maßnahmen auf, um diese zu fördern. Gleichzeitig wird hierbei der Nutzen für Krankenhäuser im Hinblick auf eine mögliche Reduzierung des Fachkräftemangels erörtert.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Ausgangssituation und Problemstellung
1.2 Motivation, Ziel und Aufbau der Arbeit
2 Der Wandel in der Gesellschaft und der Pflegebranche
2.1 Demographische Veränderungen in Deutschland
2.1.1 Bevölkerungsentwicklung
2.1.2 Pflegebedürftigkeit
2.2 Personalsituation in der Gesundheits- und Krankenpflege
2.2.1 Fachkräftemangel
2.2.2 Altersstruktur der Beschäftigten
2.2.3 Zuwanderung von ausländischen Pflegekräften
2.3 Ableitung des Handlungsbedarfs
3 Personelle Vielfalt im Krankenhaus
3.1 Begriffsdefinition
3.2 Chancen und Herausforderungen in der Pflege
3.3 Die Initiative „Charta der Vielfalt“
3.3.1 Hintergrund
3.3.2 Gleichstellung und Abbau von Vorurteilen
3.4 Diversity Management
3.4.1 Vorstellung des Konzeptes
3.4.2 Diversity Management in Deutschland
3.5 Diversity Management als Handlungsfeld im Krankenhaus
3.5.1 Notwendigkeit und mögliche Handlungsstrategien
3.5.2 Relevante Dimensionen in der Pflege
4 Maßnahmen in Anlehnung an das Diversity-Management-Konzept
4.1 Beschäftigung älterer Arbeitnehmer
4.1.1 Altersgemischte Gruppen und Teams
4.1.2 Weiterbildung und lebenslanges Lernen
4.2 Vereinbarkeit von Familie und Beruf
4.3 Integration ausländischer Pflegekräfte
4.3.1 Spracherwerb
4.3.2 Aufbau interkultureller Kompetenzen
4.4 Diversity Management als Führungsaufgabe
5 Potentiale und Chancen gegen den Fachkräftemangel
5.1 Allgemeine Erkenntnisse
5.2 Spezifische Ergebnisse
6 Zusammenfassung und Schlussfolgerung
Literaturverzeichnis
Anlagenverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildung 1: Pflegequoten 2005 nach Alter und Geschlecht.
Abbildung 2: Anzahl der Beschäftigungsverhältnisse in Pflegeberufen in den Einrichtungen des Gesundheitswesens, 2011
Abbildung 3: Beschäftigte in Pflegeberufen nach Einrichtungen, 2011.
Abbildung 4: Verteilung der Arbeitsunfähigkeitstage nach Krankheitsarten und ausgewählten Berufsgruppen im Dienstleistungssektor.
Abbildung 5: Altersstruktur der Beschäftigten
Abbildung 6: Entwicklungsstufen des Diversity-Konzeptes...
Abbildung 7: Unterstützung durch Arbeitgeber bei Fort- und Weiterbildung in der Pflege...
Abbildung 8: Unternehmensinterne und -externe Effekte..
Tabelle 1: Maßnahmen des Diversity Managements in deutschen Unternehmen
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Es sei darauf hingewiesen, dass aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf die Verwendung geschlechtsneutraler Personenbezeichnungen verzichtet wird. Sämtliche Personenbezeichnungen in dieser Arbeit schließen das jeweils andere Geschlecht mit ein.
1 Einleitung
1.1 Ausgangssituation und Problemstellung
Deutschland unterliegt einem gesellschaftlichen Wandel. Nach Vorausberechnungen der statistischen Ämter des Bundes und der Länder nimmt die Anzahl älterer Menschen weiter zu. Im Jahr 2030 wird mehr als jeder dritte Deutsche zu den über 60-Jährigen zählen. Mit zunehmendem Alter vergrößert sich das persönliche Risiko, auf pflegerische Hilfe angewiesen zu sein (vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2008: 5).
Prognosen des Statistischen Bundesamtes sagen voraus, dass sich die Zahl der pflegebedürftigen Menschen bis 2030 von aktuell 2,5 Millionen auf 3,5 Millionen erhöhen wird (vgl. Statistisches Bundesamt 2008: 28).
Die Dienstleistungserbringung im Krankenhaus erfolgt unter den Herausforderungen dieser demografischen Entwicklungen und im Kontext einer überalternden Bevölkerung. Zeitgleich haben eine niedrige Geburtenrate, der Rückgang der Bevölkerungszahl und die Altersverteilung der Mitarbeiter Auswirkungen auf die Arbeitsmarktsituation im Gesundheitswesen. Die Anzahl der Nachwuchskräfte sinkt, wohingegen die Lebenserwartung der Menschen zunimmt (vgl. Haupt, Bouncken 2013: 347).
Die Nachfrage nach gesundheitlichen und pflegerischen Dienstleistungen im Krankenhaus geht dadurch auch verstärkt von älteren oder hochbetagten Menschen aus, wobei der anwachsende Bedarf einem immer kleiner werdenden Potential an Arbeitskräften gegenübersteht. Mit dem zahlenmäßigen Anstieg älterer Menschen und dem erhöhten Pflegebedürftigkeitsrisiko stellen sich Krankenhäuser darauf ein, in Zukunft eine größere Anzahl an Patienten stationär behandeln zu müssen (vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2008: 5).
Aus gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Sicht werden Pflegeberufe an Bedeutung gewinnen. Dennoch existieren bereits heute große Schwierigkeiten bei der Deckung des Personalbedarfs. Aktuell sind im gesamten Bundesgebiet Fachkräfteengpässe zu verzeichnen (vgl. Bonin et al. 2015: 7).
Pflegerische Dienstleistungen werden zum Großteil von weiblichen Pflegekräften erbracht, wodurch der Frauenanteil in der Gesundheits- und Krankenpflege bei 86% liegt (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2011: 8).
Zugleich verändert sich die Altersstruktur der Beschäftigten, da die Belegschaft in der Pflege immer älter wird (vgl. Köhnert et al. 2005: 94).
Da vermehrt auf die Zuwanderung ausländischer Fachkräfte gesetzt wird, um die bestehende Personalknappheit zu kompensieren und wettbewerbsfähig zu bleiben, haben zwischenzeitlich viele Pflegekräfte einen Migrationshintergrund (vgl. Woellert, Klingholz 2014: 6).
Die Veränderungen in der Altersstruktur, das Ungleichgewicht in der Geschlechterverteilung und der Anteil ausländischer Pflegekräfte begünstigen die Heterogenität von Pflegeteams in der Gesundheits- und Krankenpflege.
In den USA wurden die Potentiale personeller Vielfalt bereits früh erkannt, so dass die gewonnenen Erkenntnisse im Diversity-Management-Konzept etabliert wurden. Dieses Konzept zielt darauf ab, die Vielfalt der Mitarbeiter zu managen, Vorurteile aufgrund von Unterschiedlichkeiten abzubauen und die positiven Aspekte von Diversität zu fokussieren (vgl. Badura et al. 2010: 3).
Zur Bewältigung der immanenten Herausforderungen wird der Stellenwert von Diversität im Gesundheitswesen weiter zunehmen. Bei der Entwicklung von innovativen Konzepten muss das Personalmanagement im Krankenhaus die Verschiedenartigkeit der Mitarbeiter in Betracht ziehen und deren Wirkungsweise hinsichtlich kultureller, demografischer und persönlicher Faktoren analysieren. Nur so lässt sich bei der Ableitung von Handlungsempfehlungen die zunehmende Diversität angemessen berücksichtigen und die Implementierung von diversitätsorientierten Strategien in der Krankenhausorganisation intensivieren (vgl. Haupt, Bouncken 2013: 352)
1.2 Motivation, Ziel und Aufbau der Arbeit
Die vorliegende Arbeit richtet das Hauptaugenmerk auf die personelle Vielfalt in der Pflege, wobei die Schwerpunkte auf den Dimensionen Geschlecht, Alter und kulturelle Herkunft liegen. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, dem steigenden Personalbedarf und dem vorherrschenden Fachkräftemangel ergibt sich die Notwendigkeit, neue Fachkräfte für die Pflege zu gewinnen und die bestehende Belegschaft dauerhaft zu halten. Diese Entwicklung motiviert zu einer tiefergehenden Auseinandersetzung mit der Thematik und zur Vorstellung möglicher Lösungsstrategien.
Die Arbeit verfolgt das Ziel, Chancen und Potentiale personeller Vielfalt aufzuzeigen und Handlungsstrategien herauszuarbeiten, um diese zu fördern. Im Hinblick auf eine mögliche Reduzierung des Fachkräftemangels wird hierbei der praktische Nutzen für Krankenhäuser evaluiert, wobei die folgenden Fragestellungen im Fokus stehen:
- Was bedeutet personelle Vielfalt im Krankenhaus und welche Dimensionen sind in der Gesundheits- und Krankenpflege besonders relevant?
- Welche Maßnahmen müssen ergriffen werden, um die personelle Vielfalt in der Pflege zu fördern?
- Welche Chancen ergeben sich daraus für die Institution Krankenhaus?
- Inwiefern kann eine Stärkung der personellen Vielfalt dem Fachkräftemangel in der Pflege entgegenwirken?
Die Arbeit stellt eine reine Literaturarbeit dar. Daten, Zahlen und Fakten zu demografischen Veränderungen und der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland liefern u.a. das Statistische Bundesamt, die statistischen Ämter des Bundes und der Länder sowie die Bundeszentrale für politische Bildung. Zur Personalsituation in der Gesundheits- und Krankenpflege finden derzeitige Erkenntnisse aus Studien zum Fachkräftemangel, der Altersstruktur der Beschäftigten und der Arbeitsmigration in Pflegeberufen besondere Berücksichtigung. Strategien zur Förderung der personellen Vielfalt werden in Bezug auf das Diversity-Management-Konzept aufgegriffen und mit unterschiedlicher Fachliteratur und Publikationen belegt.
Der theoretische Hintergrund der Arbeit bildet der gesellschaftliche Wandel in Deutschland in Anbetracht der Bevölkerungsentwicklung und der Personalsituation in der Gesundheits- und Krankenpflege. Nach Ableitung des Handlungsbedarfs erfolgt eine zentrale Abgrenzung der Begrifflichkeiten. Anschließend werden zukünftige Chancen und Herausforderungen im Kontext des Diversity-Management-Konzeptes vorgestellt, wobei der Umsetzungsstand in Deutschland von besonderem Interesse ist. Unter Berücksichtigung der personellen Vielfalt im Krankenhaus wird aus den gewonnenen Erkenntnissen die Notwendigkeit für diversitätsorientierte Maßnahmen abgeleitet.
In Anlehnung an das Diversity-Management-Konzept lassen sich Handlungsstrategien vorstellen, mit besonderem Schwerpunkt auf der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer, der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie der Integration ausländischer Fachkräfte. Abschließend wird evaluiert, inwiefern mit den angeführten Maßnahmen Potentiale in Krankenhäusern zum Tragen kommen, die den Fachkräftemangel abschwächen.
2 Der Wandel in der Gesellschaft und der Pflegebranche
In einer Gesellschaft, die zunehmend von Überalterung betroffen ist, steigt die Nachfrage nach pflegerischen Dienstleistungen. Auf diese Weise rückt der Pflegeberuf verstärkt in den Fokus des öffentlichen Interesses.
Früher oder später muss sich der Großteil der Bevölkerung mit dem Thema „Pflege“ auseinandersetzen. Sei es, weil im Rahmen des eigenen Alterungsprozesses Hilfebedarf notwendig wird oder Angehörige im familiären Umfeld pflegebedürftig werden.
Berührungspunkte mit der Pflegebranche und den dazugehörigen Berufszweigen sind dadurch unumgänglich. Gleichzeitig prägen persönliche Erfahrungen und das Bild der Pflegeberufe in der Öffentlichkeit die individuelle Einstellung zur Thematik (vgl. Isfort 2013: 1081).
2.1 Demographische Veränderungen in Deutschland
Für viele gesellschaftliche und wirtschaftliche Bereiche sind Informationen über die demografischen Entwicklungen und Veränderungen in der Bevölkerung relevant. Das Wissen über die Bevölkerungsstruktur lässt Rückschlüsse auf Einstellungen und Werte in der Gesellschaft zu, die das gemeinsame Miteinander prägen. Beispielhaft ist die Geburtenentwicklung anzuführen. Sie gibt Aufschluss über die Haltung der jüngeren Bevölkerung zu Familiengründung und Kinderwunsch. Ein Rückgang der Geburtenzahlen hat Auswirkungen auf die Altersstruktur der Menschen und steht wiederum in Wechselwirkung mit der Beschäftigungsstruktur. Obendrein stellt eine alternde Gesellschaft das Gesundheitswesen vor große Herausforderungen (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2016: 13).
Im Jahr 2014 wurden 19,1 Millionen Patienten in Krankenhäusern stationär behandelt. Im Vergleich zum Jahr 1991 ist das ein Anstieg um 31%. Dahingegen ist die durchschnittliche Verweildauer durch den medizinischen Fortschritt verkürzt, unterliegt aber Schwankungen je nach Fachabteilung und medizinischer Diagnose. Besonders geriatrische Abteilungen, welche auf die Behandlung älterer Patienten ausgerichtet sind, haben weiterhin eine Verweildauer von 15,6 Tagen. Somit sind die Liegezeiten im Bereich der Altersmedizin angestiegen. Im Jahr 1991 waren es im Durchschnitt noch 14 Tage (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2016: 288).
2.1.1 Bevölkerungsentwicklung
Das Statistische Bundesamt (2015) lieferte mit der 13. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung eine Prognose zur Bevölkerungsentwicklung in Deutschland. Vielfältige Prozesse beeinflussen die demografischen Veränderungen. Zu nennen sind die steigende Lebenserwartung, ein Rückgang der Geburtenzahlen und Migrationsprozesse. Dabei hat Deutschland einen Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen. So sank die Bevölkerungszahl im Zeitraum von 2003 bis 2010 weiter ab, seit 2011 wird diese Entwicklung durch eine vermehrte Zuwanderung abgeschwächt (vgl. Statistisches Bundesamt 2015: 6).
Im Jahr 2013 betrug die Einwohnerzahl in Deutschland 80,8 Millionen. Bis zum Jahr 2060 wird ein Rückgang auf 67,6 bzw. 73,1 Millionen Einwohner prognostiziert. Beeinflusst werden diese Berechnungen von der Zuwanderungsentwicklung. Bei schwächerer Zuwanderung fällt der Rückgang gravierender aus als bei stärkerer Zuwanderung, wodurch die Schrumpfung der Gesellschaft spürbar von Migrationsprozessen beeinflusst wird (vgl. Statistisches Bundesamt 2015: 6).
Der 16. Datenreport der Bundeszentrale für politische Bildung erbrachte einen aktuellen Sozialbericht für die Bundesrepublik Deutschland. Einen Schwerpunkt bildeten Zahlen und Fakten aktueller Zuwanderungsbewegungen. Eine Analyse ergab, dass zwischenzeitlich 16,4 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland leben. Der Anteil an der Gesamtbevölkerung beträgt damit fast 20% (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2016: 8).
Zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund gehören „Menschen, die nicht als deutsche Staatsbürger in Deutschland geboren sind, oder bei denen mindestens ein Elternteil nicht als deutscher Staatsbürger in Deutschland geboren ist“ (Bundeszentrale für politische Bildung 2016: 218). Die Zusammensetzung der Migrantengruppen gestaltet sich heterogen. Ein Großteil der Menschen sind ehemalige Gastarbeiter, die in den 1950er und 1960er Jahren zur Arbeitsaufnahme angeworben wurden. Aktuelle Migrationsprozesse sind auf Flüchtlingsbewegungen zurückzuführen. Außerdem sorgt der EU-Beitritt im Jahr 2004 von Staaten Mittelosteuropas für eine verstärkte Zuwanderung (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2016: 8). Viele Menschen mit Migrationshintergrund sind bereits im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft. Davon haben zwei Drittel eine Zuwanderungsgeschichte, ein Drittel gehört zu der Generation, die in Deutschland geboren wurde (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2016: 8).
Ein weiterer Einflussfaktor auf die demografischen Entwicklungen ist der Geburtenrückgang. Während die Gruppe der Kinder und Jugendlichen immer kleiner wird, steigt die Zahl der Rentenempfänger an. Die niedrigste Geburtenzahl seit dem Jahr 1946 wurde 2011 registriert. Hier lag die Anzahl Neugeborener mit 663.000 deutlich unter dem Durchschnitt von 700.000 Kinder pro Jahr (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2016: 18).
Diese Entwicklung zieht gravierende Folgen nach sich. Seit 1972 versterben mehr Menschen, als Kinder geboren werden. Im Durchschnitt bekommt jede Frau in Deutschland 1,47 Kinder, das Durchschnittsalter ist auf 30 Jahre angestiegen. Gleichzeitig steigt die Lebenserwartung an. Inzwischen wird prognostiziert, dass im Jahr 2010 geborene Jungen durchschnittlich 78 Jahre alt werden und bei neugeborenen Mädchen ein Durchschnittsalter von 83 Jahren zu erwarten ist (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2016: 18).
Diese Vorausberechnungen decken sich mit den Ergebnissen zur Sterblichkeit in Deutschland. Vergleicht man die Jahre 1994 und 2014 miteinander, so ist die Lebenszeit um 3,7 Jahre gestiegen. Im Jahr 2014 lag bei Frauen das durchschnittliche Sterbealter bei 81,3 Jahren, bei Männern im Alter von 74,7 Jahren (vgl. Bundeszentrale für politische Bildung 2016: 282).
2.1.2 Pflegebedürftigkeit
Nach Aussagen der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder betrifft Pflegebedürftigkeit vor allem ältere Menschen. In vielen Fällen kommen Krankheiten als Begleiterscheinungen dazu. An dieser Stelle sind Krebserkrankungen und Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems zu nennen (vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2008: 5). Zusätzlich wird die Zunahme chronischer Erkrankungen wie Osteoporose, Diabetes oder Demenz prognostiziert. Letztgenanntes zieht einen erhöhten Betreuungsbedarf der Betroffenen nach sich. Zu rechnen ist mit 1,1 Millionen Demenzerkrankter im Jahr 2050 (vgl. Beske 2010: 21).
Vorausberechnungen zur Bevölkerungsentwicklung legen nahe, dass im Jahr 2030 ca. 28,4 Millionen Menschen zu den über 60-Jährigen zählen. Im Hinblick auf die Bevölkerungszahl ist das mehr als jeder dritte Deutsche. Damit wird die Zahl der Pflegebedürftigen steigen, gleichzeitig rechnen Krankenhäuser mit einer Zunahme der Patientenzahlen (vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2008: 5).
Da ältere Menschen des Öfteren an mehreren Krankheiten gleichzeitig erkranken, bedingt diese Multimorbidität zahlreichere Krankenhausaufenthalte und eine Ausdehnung der durchschnittlichen Verweildauer mit zunehmendem Alter (vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2008: 7). In diesem Punkt trägt der medizinische Fortschritt in Diagnostik und Therapie zu einer Verbesserung der Gesundheit bei. Die Lebenserwartung jedes Einzelnen wird verlängert und die Anzahl an Hochbetagten in der Gesellschlaft steigt.
Bei Betrachtung der Altersstruktur zeigt sich, dass Hochbetagte bereits zunehmend in der Bevölkerung vertreten sind. Hierunter sind die Menschen zu verstehen, die ein Alter von 80 Jahren überschreiten. Aktuelle Zahlen besagen, dass diese Gruppe zurzeit 5,4% der Bevölkerung ausmacht. Prognostiziert wird ein Bevölkerungsanteil von 13% innerhalb der nächsten 50 Jahre (vgl. Statistisches Bundesamt 2015: 6).
Rückblickend ist die Anzahl pflegebedürftiger Personen im Zeitraum von 1999 bis 2005 kontinuierlich angestiegen. Im Jahr 2005 wurden 2,13 Millionen Menschen als pflegebedürftig eingestuft. Davon waren 33% über 85 Jahre (vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2008: 18).
Abbildung 1 zeigt die Verteilung der Pflegebedürftigkeit nach Alter und Geschlecht. Die Alterskategorie der über 85-Jährigen ist am stärksten von Pflegebedürftigkeit betroffen, davon Frauen mehr als Männer.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Pflegequoten 2005 nach Alter und Geschlecht (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2008: 22)
Die neuesten Ergebnisse des Statistischen Bundesamtes belegten diese Annahme. Statistiken aus dem Jahr 2015 zeigten, dass die Tendenz zur Pflegebedürftigkeit wie prognostiziert ansteigt. Zu diesem Zeitpunkt waren 2,9 Millionen Menschen pflegebedürftig. 83% waren über 65 Jahre, von den über 85-Jährigen waren 37% auf fremde Hilfe angewiesen. Im Vergleich zum Jahr 2013 verzeichneten die Daten einen Anstieg um 9% (vgl. Statistisches Bundesamt 2017: 7).
2.2 Personalsituation in der Gesundheits- und Krankenpflege
Professionelle pflegerische Dienstleistungen werden in Deutschland von der Berufsgruppe der Gesundheits- und Krankenpfleger (einschließlich Kinderkrankenpfleger), Altenpfleger und den dazugehörigen Pflegehelferberufen erbracht (vgl. Bonin et al. 2015: 12).
Pflegerische Tätigkeiten werden definiert als „die eigenverantwortliche Versorgung und Betreuung, allein oder in Kooperation mit anderen Berufsangehörigen, von Menschen aller Altersgruppen, von Familien oder Lebensgemeinschaften sowie von Gruppen und sozialen Gemeinschaften, ob krank oder gesund, in allen Lebenssituationen (Settings). Pflege schließt die Förderung der Gesundheit, Verhütung von Krankheiten und die Versorgung und Betreuung kranker, behinderter und sterbender Menschen ein“ (Bonin et al. 2015: 11 f.).
30% der Beschäftigungsverhältnisse im Gesundheitswesen entfallen auf die Pflegeberufe, wodurch in etwa 1,5 Millionen Fachkräfte in der Pflege tätig sind. Mit 805.000 Mitarbeitern lassen sich die Mehrzahl der Pflegekräfte der Gesundheits- und Krankenpflege zuordnen (s. Abb. 2) (vgl. Bonin et al. 2015: 12).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Anzahl der Beschäftigungsverhältnisse in Pflegeberufen in den Einrichtungen des Gesundheitswesens, 2011 (Bonin et al. 2015: 12)
Gesundheits- und Krankenpfleger sind Fachkräfte, die eine dreijährige Ausbildung in der Pflege durchlaufen haben. Zugangsvoraussetzung ist ein Schulabschluss nach mindestens zehnjähriger Schulbildung. Während der Ausbildung werden 2.100 Stunden Theorieunterricht absolviert und 2.500 Stunden in der beruflichen Praxis abgeleistet (vgl. Bonin et al. 2015: 15).
Nach Abschluss der Ausbildung sind die Pflegefachkräfte überwiegend im Krankenhaussektor tätig (s. Abb.3).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenAbbildung 3: Beschäftigte in Pflegeberufen nach Einrichtungen, 2011 (Bonin et al. 2015: 13)
Trotzdem zeigen aktuelle Erkenntnisse, dass der Personalbedarf in der Gesundheits- und Krankenpflege nur schwer zu decken ist. Zwecks Schwerpunktsetzung der Arbeit wird in den weiteren Ausführungen exemplarisch die Personalsituation im Krankenhaussektor betrachtet.
2.2.1 Fachkräftemangel
Qualifiziertes Personal zu finden ist nicht immer leicht. Dennoch ist kein anderer Wirtschaftssektor vom Fachkräftemangel so stark betroffen wie die Pflegebranche.
Der Pflegesektor ist in Deutschland Bestandteil des Gesundheits- und Sozialwesens. Zugerechnet werden diesem Wirtschaftszweig alle Einrichtungen, die pflegerische Dienstleistungen erbringen. Dazu zählen ambulante Pflegedienste, stationäre Pflegeeinrichtungen, Rehakliniken und Krankenhäuser (vgl. Bonin et al. 2015: 9). Aufgrund der demografischen Veränderungen steigt die Nachfrage nach Pflegeleistungen an, wohingegen das Angebot an Nachwuchskräften in der Pflege sinkt (vgl. Bonin et al. 2015: 5).
Die Studie von Burkard et al. (2012) beschäftigte sich mit der Fachkräfteversorgung in der Gesundheitsbranche bis zum Jahr 2030. Unter Berücksichtigung der gegebenen Entwicklungen und Rahmenbedingungen prognostizieren die Autoren, dass im Jahr 2020 bereits 212.000 Vollzeitstellen in der Pflege unbesetzt sein werden. Bis zum Jahr 2030 wird sich die Personalsituation weiter zuspitzen, so dass ca. 30% des Personalbedarfs nicht mehr gedeckt werden kann (vgl. Burkard et al. 2012: 8).
Auch branchenspezifische Probleme tragen zu diesem Phänomen bei. Eine Umfrage von Isfort (2013) belegte, dass das Berufsfeld an Attraktivität und Ansehen verliert. Zwar gaben 86% der befragten Pflegekräfte in der Gesundheits- und Krankenpflege an, sich mit ihrer Arbeit zu identifizieren und pflegerische Tätigkeiten gerne auszuführen. Dennoch ließen 65,5% verlauten, dass nur eine unzureichende Anzahl an Pflegekräften pro Schicht für die Patientenversorgung zur Verfügung steht. Unter der Personalsituation leidet das Image der Pflegekräfte und die Qualität der Arbeit (vgl. Isfort 2013: 1084).
Eine Untersuchung der Bundesagentur für Arbeit bestätigte, dass offene Stellen in den Gesundheits- und Pflegeberufen nur schwer zu besetzen sind. Bei der Suche nach geeigneten Fachkräften betrug die Vakanzzeit, d.h. der Zeitraum bis eine ausgeschriebene Stelle wiederbesetzt wurde, 105 Tage. Damit ist die Wartezeit auf einen qualifizierten Bewerber in der Pflege um 59% höher, als bei anderen Berufssparten. Außerdem sind nur noch 88 Arbeitslose auf 100 gemeldete Stellen zu nennen. Folglich wurde ein flächendeckender Fachkräftemangel festgestellt, der insbesondere in den westlichen Bundesländern zum Tragen kommt (vgl. Anlage 1) (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2011: 15).
In den vergangenen Jahren sind die physischen und psychischen Arbeitsbelastungen in der Pflege angestiegen, wodurch vermehrt Fehlzeiten zu verzeichnen sind. Neben Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems wird die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit von psychischen Erkrankungen angeführt (s. Abb. 4). Ein hoher Krankenstand oder längere krankheitsbedingte Fehlzeiten verschärfen die Personalsituation im Krankenhaus. Pflegekräfte müssen „zusätzliche Dienste von erkrankten Kollegen übernehmen und Überstunden leisten. Diese erhöhte Belastung kann weitere Krankheitsfälle nach sich ziehen“ (Bonin et al. 2015: 20).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Verteilung der Arbeitsunfähigkeitstage nach Krankheitsarten und ausgewählten Berufsgruppen im Dienstleistungssektor (Bonin et al. 2015: 19).
2.2.2 Altersstruktur der Beschäftigten
Laut Arbeitsmarktberichterstattung der Bundesagentur für Arbeit liegt der Frauenanteil in den Gesundheitsberufen bei insgesamt 83%. Beschränkt man sich auf die Gesundheits- und Krankenpflege ist eine Quote von 86% zu nennen (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2011: 8). Der hohe Frauenanteil hat zur Folge, dass in der Pflegebranche Teilzeitarbeit dominieren. In den westlichen Bundesländern arbeiten 45% der weiblichen Pflegekräfte in einer Teilzeitbeschäftigung, da sich andernfalls berufliche und familiäre Verpflichtungen nur schwer vereinbaren lassen (vgl. Burkard et al. 2012: 10).
Die Studie von Bräutigam et al. (2014) untersuchte die Altersstruktur der Beschäftigten in Krankenhäusern. Die Analyse ergab, dass neben einer hohen Frauenquote überwiegend ältere Beschäftigte in der Personalstruktur im Krankenhaus vorherrschen. Ursächlich sind fehlende Nachwuchskräfte und ein Mangel an qualifizierten Bewerbern. Abbildung 5 gibt einen Überblick über die Altersverteilung. Beinahe 40% der Befragten sind älter als 45 Jahre (vgl. Bräutigam et al. 2014: 26)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Altersstruktur der Beschäftigten (Bräutigam et al. 2014: 27)
Ergebnisse der Arbeitsmarktberichterstattung besagen, dass der Arbeitnehmeranteil in der Altersklasse der 45 bis 49-Jährigen zunimmt. Bereits heute befinden sich über 400.000 Beschäftigte in den Gesundheitsberufen in dieser Alterskategorie. Innerhalb der letzten 10 Jahre verzeichnete sich bei den über 40-Jährigen ein Beschäftigungszuwachs von 62% (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2011: 10).
Diese Veränderung ist nicht nur demografisch bedingt. Das Durchschnittsalter von Erstgebärenden ist angestiegen, wodurch sich die Phase der Kindererziehung in die Zeitspanne zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr verlagert. In der Altersgruppe der 30 bis 39-Jährigen bedingt diese Entwicklung einen Beschäftigungsrückgang, der ab dem 40. Lebensjahr mit zunehmender Selbstständigkeit der Kinder wieder ansteigt (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2011: 10).
Um das Problem mit der alternden Belegschaft zu lösen, stellen zwischenzeitlich 43% der Betriebe vorzugsweise nur noch jüngere Mitarbeiter ein, 17,5% trennen sich von älteren Mitarbeitern durch Frühverrentung (vgl. Roth et al. 2007: 99). Gründe für diese Vorgehensweise wurden in einer umfangreichen Literaturstudie von Kluge und Krings (2007) genannt. Demnach lösen ältere Arbeitnehmer überwiegend negative Assoziationen aus und werden als unflexibel, lernunfähig, krankheitsanfällig und desinteressiert eingeschätzt (vgl. Kluge, Krings 2007: 184). Zudem befürchten Unternehmen, dass sich eine Investition in Fort- und Weiterbildung bei älteren Mitarbeitern nicht mehr rechnet, da diese Gruppe mit Erreichen des Renteneintrittsalters automatisch aus dem Berufsleben ausscheidet (vgl. Rothermund 2014: 96).
[...]
- Quote paper
- Tanja Abu Hajer (Author), 2017, Chancen durch personelle Vielfalt in der Pflege. Handlungsstrategien und Fördermaßnahmen zur Reduzierung des Fachkräftemangels im Krankenhaus in Anlehnung an das Diversity-Management-Konzept, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/386188
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