Die in erster Linie wissenschaftstheoretisch geführte Diskussion um die Möglichkeiten und Grenzen pädagogischer Theorien zu Beginn des 20. Jahrhunderts war geprägt von Kontroversen, die sich unter dem Begriff der Grenzen-Debatte subsumieren lassen.
Häufig dienten solche Grenzbestimmungen der Identitätssicherung und Legitimation der eigenen Disziplin, in einem unterschiedlichen erziehungswissenschaftlichen, erziehungsphilosophischen oder naturwissenschaftlichen Kontext.
Vor diesem Hintergrund verfasste Theodor Litt, als Theoretiker des Erziehungsgedankens, sein Buch mit dem Thema `Führen oder Wachsenlassen´.
Das Ziel der vorliegenden Ausführungen ist demzufolge der Versuch einer Standortbestimmung Theodor Litts anhand seiner Ausführungen `Führen oder Wachsenlassen´ in der Pädagogik des beginnenden 20. Jahrhunderts.
Dabei ist zunächst die genauere historische Betrachtung der Pädagogik von Bedeutung, die eine Einschätzung der damaligen pädagogischen Positionen in ihrer Gesamtsituation erlauben und die Grundlage für weitere Überlegungen und Schlussfolgerungen bilden.
An diese Darstellung schließt sich die Klärung der Frage an, wie Theodor Litt die Pädagogik des 20.Jahrhunderts im Allgemeinen und die pädagogischen Standpunkte unterschiedlicher Disziplinen im Besonderen bewertet und welche Rolle die Pädagogik seiner Einschätzung nach zukünftig einnehmen sollte.
Ausgehend von dieser Fragestellung ist zu klären, welche Entwicklung die Pädagogik bis zur Gegenwart genommen hat, welche Rolle der Pädagogik im 21. Jahrhundert zugedacht wird und in welcher Hinsicht Theodor Litts Ausführungen, vor diesem Hintergrund, noch von Bedeutung sind.
Inhalt
1. Einleitung
2. Die Pädagogik zu Beginn des 20. Jahrhunderts
2.1 Experiment und Pädagogik
2.1.1 Die Grenzen des Experiments
2.1.2 Experimentelle Psychologie und die Anwendbarkeit des Experiments in der allgemeinen Pädagogik
2.2 Die Reformpädagogik
2.2.1 Einflussnahme der experimentellen Methode auf die Reformpädagogik
2.3 Die Kritik an der Reformpädagogik
2.4 Die Kulturpädagogik
2.4.1 Theodor Litt und die Kulturpädagogik
3. Theodor Litt und die Pädagogik des beginnenden 20. Jahrhunderts
3.1 Führen oder Wachsen lassen
3.1.1 Der Erzieherwille und die Zukunft
3.1.2 Der Erzieherwille im Verhältnis zur Gegenwart und Vergangenheit
3.1.3 Die Verbindung von Wachsen lassen und Führung
4. Theodor Litt und die Pädagogik der Gegenwart
5. Schlussbetrachtung
6. Literaturangaben
1. Einleitung
Die in erster Linie wissenschaftstheoretisch geführte Diskussion um die Möglichkeiten und Grenzen pädagogischer Theorien zu Beginn des 20. Jahrhunderts war geprägt von Kontroversen, die sich unter dem Begriff der Grenzen-Debatte subsumieren lassen.
Häufig dienten solche Grenzbestimmungen der Identitätssicherung und Legitimation der eigenen Disziplin, in einem unterschiedlichen erziehungs-wissenschaftlichen, erziehungsphilosophischen oder naturwissenschaftlichen Kontext.
Vor diesem Hintergrund verfasste Theodor Litt, als Theoretiker des Erziehungsgedankens, sein Buch mit dem Thema `Führen oder Wachsenlassen´.
Das Ziel der vorliegenden Hausarbeit ist demzufolge der Versuch einer Standortbestimmung Theodor Litts, anhand seiner Ausführungen `Führen oder Wachsenlassen´ in der Pädagogik des beginnenden 20. Jahrhunderts,
Dabei ist zunächst die genauere historische Betrachtung der Pädagogik von Bedeutung, die eine Einschätzung der damaligen pädagogischen Positionen in ihrer Gesamtsituation erlauben und die Grundlage für weitere Überlegungen und Ausführungen bilden.
An diese Darstellung schließt sich die Klärung der Frage an, wie Theodor Litt die Pädagogik des 20.Jahrhunderts im allgemeinen, und die pädagogischen Standpunkte unterschiedlicher Disziplinen im besonderen bewertet und welche Rolle die Pädagogik seiner Einschätzung nach zukünftig einnehmen sollte.
Ausgehend von dieser Fragestellung soll Kapitel 4 klären, welche Entwicklung die Pädagogik bis zur Gegenwart genommen hat, welche Rolle der Pädagogik im 21. Jahrhundert zugedacht wird und in welcher Hinsicht Theodor Litts Ausführungen, vor diesem Hintergrund, noch von Bedeutung sind.
2. Die Pädagogik zu Beginn des 20. Jahrhunderts
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bot die wissenschaftliche Pädagogik auf psychologisch-experimenteller Basis im Gegensatz zur konservativen Pädagogik mit ihren traditionellen Inhalten wie Zucht, Gehorsam und Disziplin eine Reihe von sichtbaren Vorteilen hinsichtlich der Erforschung von Intellekt und Begabung, im Sinne einer unterstützenden Förderung der schulischen, beruflichen und persönlichen Entwicklung des Menschen.
Ziel sollte es sein, in der Pädagogik Exaktheit zu erzielen, Berechenbarkeit bezüglich intellektueller Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, anschlussfähig für den Unterricht zu sein und zuletzt die thematische Begrenzung der klassischen Pädagogik in ihrer Konformität zu überwinden. (Vgl. Oelkers, J.: Die Diskussion der Grenze in der Reformpädagogik, in: Böhm, W./Oelkers, J.(Hrsg.): Reformpädagogik kontrovers, Würzburg 1995, S. 51, im folgenden zitiert als: Oelkers 1995).
Obwohl nicht nur methodisch, sondern auch inhaltlich vielversprechend, findet circa dreißig Jahre später weder die Entwicklung des Programms einer empirisch-experimentellen Pädagogik noch deren Forschungsresultate Beachtung, da sie den Menschen nicht in seiner Gesamtheit erfasst, sondern ausschließlich in seiner experimentellen Isolation. (Vgl. Oelkers 1995, S. 51f).
Die „deutsche akademische Pädagogik“ (ebd., S. 52) fasste nach dem Ersten Weltkrieg Themen, Probleme und Resultate der empirischen Psychologie nur noch am Rande auf, während erziehungsphilosophische und ethische Grenzen des experimentellen Verfahrens in diesem Zusammenhang thematisiert wurden (vgl. ebd.).
Anlass eines neuen Diskurses über die Grenzen der Erziehung gab die Reformpädagogik, die mit ihrem Anspruch einer `neuen Erziehung´ Kritik an der `alten Erziehung´ übte und ohne erzieherische Grenzbestimmung auskam.
Themen der Reformpädagogik waren unter anderem die Autonomie des Kindes, die Individualität des Lernens und die Natürlichkeit der Entwicklung des Kindes aus dem Kind heraus. Damit wurden Systemgrenzen definiert, die jedoch kaum Korrekturen erlaubten. (Vgl. Oelkers 1995, S. 49ff).
In diesem Zusammenhang nahm die geisteswissenschaftliche Pädagogik eine Mittlerposition ein:
Sie wollte die Reduktion der Erziehungstheorie auf eine utilitäre Schulpädagogik überwinden, zeitgleich jedoch Grenzen der Reformpädagogik definieren.
Die Kulturpädagogik sollte als übergreifende theoretische Basis einer neuen Erziehung dienen, Erziehung und Bildung vereinen.
Eine nähere Betrachtung der Inhalte und Zielsetzungen dieser unterschiedlichen pädagogischen Ausrichtungen soll Inhalt der folgenden Ausführungen sein.
2.1 Experiment und Pädagogik
Der 1919 erschienene Aufsatz über die „Grenzen der experimentellen Methode“ von Max Frischeisen-Köhler beschäftigt sich mit dem Verhältnis der experimentellen Psychologie zur Pädagogik, hinsichtlich der Grenzen und Möglichkeiten ihrer Anwendbarkeit.
Frischeisen-Köhler stellt „(...) vor allem die Grenze fest, wie sie durch die geistigen Inhalte und den durch sie bedingten historischen Charakter der Seele bestimmt ist.“ (Nohl, H.: Vorbemerkung, in: Frischeisen-Köhler, M.: Philosophie und Pädagogik. Eingel. v. H. Nohl, Weinheim, 2. Auflage 1962,
S. 7).
2.1.1 Die Grenzen des Experiments
Das Experiment entstand im 16. Jahrhundert durch die Naturwissenschaften, die eine Weiterentwicklung und Auswertung zielgerichtet verfolgten.
„Nach seinem methodischen Sinn bezeichnet es die zur Beantwortung von Erkenntnisfragen angestellte wissenschaftliche Beobachtung eines wiederholbaren Vorganges, den wir isolieren können, dessen Eintritt wir bestimmen können, und dessen Verlauf von Bedingungen abhängt, die wir übersehen, und beliebig ändern können.“
(Frischeisen-Köhler, M.: Grenzen der experimentellen Methode (1918/19), in: ders.: Philosophie und Pädagogik. Eingel. v. H. Nohl, Weinheim, 2. Auflage 1962, S. 112, im folgenden zitiert als: Frischeisen-Köhler 1962).
Eine wesentliche Einschränkung liegt in der Tatsache, dass
„(...) alle gegenwärtig lebenden Geschöpfe Produkte ihrer Vergangenheit und durch die Vorgeschichte ihrer phylogenetischen Entwicklung bestimmt sind. Wir können sie gegen ihre phylogenetische Vergangenheit nicht isolieren. Die organische Welt ist eine historische Welt, in deren Gegenwart die Vergangenheit fortlebt.“
(Frischeisen-Köhler 1962, S. 115).
Aus diesem Grund erfährt die Geschichte der Vergangenheit in der Gegenwart hohe Aufmerksamkeit. Beide Faktoren sind unmittelbar miteinander verknüpft und schließen infolgedessen eine vollkommene Isolation des zu untersuchenden Vorganges aus.
Die sich aus diesen Schlussfolgerungen ergebenden Konsequenzen einer Übertragung in die Pädagogik werden im nachstehenden Kapitel erörtert.
2.1.2 Experimentelle Psychologie und die Anwendbarkeit des Experiments in der allgemeinen Pädagogik
Ein Anspruch des Experiments liegt in der fehlerfreien und zuverlässigen Beobachtung.
Dieser Forderung ist nicht leicht Rechnung zu tragen, da die Vergangenheit und Sozialisation des Beobachters die Gefahr subjektiver Interpretationen, bezüglich des zu Beobachtenden, in sich trägt (vgl. ebd., S. 119). Des weiteren ist zu bedenken, dass die Isolation der Versuchsperson eine Loslösung aus dem sozialen Kontext und dem `geistigen Gemeinschaftsleben´ des Individuums mit sich bringt (vgl. ebd., S. 122).
Dazu schreibt Peter Drewek, wobei er sich auf Frischeisen-Köhler bezieht, dass die geschichtliche Welt im Laboratorium außer Acht gelassen wird und nur elementare Prozesse geprüft werden können. Sämtliche sozial-historischen Faktoren wie Sprache, die Formen des sozialen und politischen Lebens, Moral, Mythos, Religion und Wirtschaftssysteme, die sich in der Wechselwirkung der Geschichte des Menschen entfaltet haben, kommen im Experiment nicht zum tragen, beziehungsweise sind nicht erreichbar. (Vgl. Drewek, P.: „Grenzen der Erziehung“. Zur wissenschafts- und disziplingeschichtlichen Bedeutung des Grenzendiskurses in der Weimarer Republik, in: Drewek, P. u.a.(Hrsg.): Ambivalenzen der Pädagogik. Zur Bildungsgeschichte der Aufklärung und des 20. Jahrhunderts. Harald Scholz zum 65. Geburtstag. Weinheim 1995, S. 321f, im folgenden zitiert als: Drewek 1995).
In der Betrachtung der allgemeinen Pädagogik, bezogen auf die Bereiche Schule und Beruf, erhält jedoch das „Prüfungsexperiment“ (Frischeisen-Köhler 1962, S. 130) hinsichtlich einer „praktischen Begabungsforschung“ (ebd., S. 131) seine Berechtigung.
Aufgaben, die eine Leistungsfähigkeit des Individuums erproben sollen, können auch –bei entsprechender Aufgabenstellung- Auskunft über die Tauglichkeit des Individuums in bestimmten Berufen nachweisen.
Ebenso ist es möglich, die Begabungsforschung den besonderen Schulforderungen anzupassen. (Vgl. ebd., S. 130f).
Die „experimentelle Prüfung“ (ebd., S. 132) vermag im pädagogischen Zusammenhang die Veranlagung von Schülern in Elementarfächern, wie etwa Mathematik oder die Aneignung von Sprachen mit einer großen Genauigkeit festzustellen.
Der „experimentellen Forschung“ (ebd., S. 132) ist es vor dem pädagogischen Hintergrund möglich, in „der unmittelbaren Prüfung (...) aktuelle Vorgänge, Verläufe, Reaktionen [und, Anm. d. Verf.] Leistungen (...)“ (ebd., S. 132) zu beurteilen.
„Sie begünstigt eine einseitige Berücksichtigung des Erwerbs von Fertigkeiten und der Bildung des intellektuellen Lebens, während das emotionale und das Willensleben mit seiner Fülle, seinen Tiefen, seinen Problemen von ihr aus nicht erfaßt werden kann.“ (Ebd., S. 149).
Zusammenfassend lässt sich festzustellen, dass eine Anwendbarkeit des Experiments, als Teil der experimentellen Psychologie, nur partiell in der allgemeinen Pädagogik möglich ist, da der Mensch in seiner individuellen, historischen Komplexität nicht zu erfassen ist.
2.2 Die Reformpädagogik
Der Begriff der Reformpädagogik umfasst in diesem Zusammenhang die Kennzeichnung pädagogischer Ideen und schulpädagogischer Praxisansätze, in der Zeit von 1890 bis 1933.
Die Reformpädagogik vereint zu diesem Zeitpunkt eine hohe Anzahl von Problemen und terminologischen Schwierigkeiten - mit unterschiedlichen Verständnis– und Interpretationsweisen. (Vgl. Schonig, B.: Reformpädagogik, in: Lenzen, D.(Hrsg.): Pädagogische Grundbegriffe, Band. 2, Jugend bis Zeugnis, Reinbek 1989, 5. Auflage 1998, S. 1302).
Dennoch lässt sich das zentrale Programm der Reformpädagogik, trotz ihrer vielfältigen Interpretationsformen, mit Inhalten wie Gemeinschaft, Selbsttätigkeit, die Selbstbestimmung des Lernens und eine freie Entfaltung der natürlichen Anlagen „vom Kinde aus“ (Konrad, F.-M.: Grenzen der Erziehung? Zur „Revision der pädagogischen Bewegung“ in den Erziehungsdebatten der Weimarer Republik, in: Neue Sammlung 33, 1993, S. 588, im folgenden zitiert als: Konrad 1993) zusammenfassen.
Nach 1900 gab es in der Pädagogik die Tendenz, Reformen zu fordern und neue Reformkonzepte - im Sinne des oben erläuterten Programms - zu entwickeln.
Zu diesem Zeitpunkt entsteht der Begriff der Reformpädagogik, dem „(...) spätestens (möglicherweise aber auch schon früher) ab 1920 der Charakter der „Bewegung“ zugesprochen wurde (z.B. Lehmann 1920).“ (Konrad 1993, S. 576).
War das Experiment und seine Anwendbarkeit in der allgemeinen Pädagogik Untersuchungsgegenstand des vorigen Kapitels so liegt eine nähere Untersuchung einer Einflussnahme der experimentellen Methode auf die Reformpädagogik im folgenden Kapitel nahe.
[...]
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- Wolfram Pauls (Autor), 2000, 'Führen oder Wachsenlassen' nach Theodor Litt. Pädagogik des beginnenden 20. Jahrhunderts, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38600
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