Unterricht basiert auf mündlicher Kommunikation. Es gibt daher kaum Bereiche, in denen Lehrer und Schüler ohne mündliche Kommunikation miteinander umgehen, kaum Unterrichtsgegenstände, die ohne Sprache vermittelt werden können.2 Dieter Spanhel stellt hierzu außerdem die Hypothese auf, dass „die vom Lehrer im Unterricht angeregten Lernprozesse im Schüler entscheidend von den sprachlichen Verhaltensweisen des Lehrers abhängig“ sind.3 Bleibt die Frage nach den von dem Schüler angeregten Lernprozessen und denen, die aus dem Dialog zwischen Lehrer und Schüler heraus entstehen. Seiner Meinung nach verhalten sich Lehrer- und Schülersprache in Hinblick auf Lernprozesse supplementär zueinander. Erst der Dialog ermöglicht einen kontinuierlichen Lernprozess.
Es wird unter anderem am Beispiel einer aufgezeichneten Unterrichtssituation gezeigt, wie ein solcher Dialog eines gelenkten Unterrichtsgesprächs analysiert werden kann und welche Rückschlüsse auf die angeregten Lernprozesse gezogen werden können. Hierzu wird zunächst die linguistische Gesprächsanalyse in Ansätzen vorgestellt werden, die als Grundlage für die Untersuchung der vorliegenden Unterrichtssequenz dient. Nach einem anschließendem Kapitel zum Unterrichtsgespräch folgt dann eine Betrachtung der beschriebenen Unterrichtssituation unter ausgewählten Gesichtspunkten, die Folgerungen auf die Lernprozesse zulassen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Gespräch als linguistischer Gegenstand: Die linguistische Gesprächsanalyse
2.1. Ziele und Aufgaben der linguistischen Gesprächsanalyse
2.2. Was ist ein „Gespräch“?
2.2.1. Der Gesprächskorpus und seine Verwendung bei der Analyse
2.2.2. Struktur und Einheiten von Gesprächen und ihre Rolle bei der Gesprächsanalyse
2.3. Die Basisprinzipien von Gesprächsverfahren
3. Das Unterrichtsgespräch
3.1. Zur Struktur von Unterrichtsgesprächen
4. Die Unterrichtsszene „Spaß am Dienstag“
4.1. Analyse des Gesprächskorpus nach den Kriterien der linguistischen Gesprächsanalyse
4.1.1. Untersuchung ausgewählter Gesprächssequenzen im Hinblick auf die Basisprinzipien
4.2. Betrachtung der Unterrichtssequenz im Hinblick auf die Eigenheiten des Gesprächstypus „Unterrichtsgespräch“ und seine pädagogischen Aufgaben
5. Fazit
Literaturverzeichnis
Anhang
„Das erzieherische Verhältnis
ist ein rein dialogisches.“
(Martin Buber, 1919)[1]
1. Einleitung
Unterricht basiert auf mündlicher Kommunikation. Es gibt daher kaum Bereiche, in denen Lehrer und Schüler ohne mündliche Kommunikation miteinander umgehen, kaum Unterrichtsgegenstände, die ohne Sprache vermittelt werden können.[2] Dieter Spanhel stellt hierzu außerdem die Hypothese auf, dass „ die vom Lehrer im Unterricht angeregten Lernprozesse im Schüler entscheidend von den sprachlichen Verhaltensweisen des Lehrers abhängig“ sind.[3] Bleibt die Frage nach den von dem Schüler angeregten Lernprozessen und denen, die aus dem Dialog zwischen Lehrer und Schüler heraus entstehen. Seiner Meinung nach verhalten sich Lehrer- und Schülersprache in Hinblick auf Lernprozesse supplementär zueinander. Erst der Dialog ermöglicht einen kontinuierlichen Lernprozess.[4]
In dieser Arbeit soll unter anderem am Beispiel einer aufgezeichneten Unterrichtssituation gezeigt werden, wie ein solcher Dialog eines gelenkten Unterrichtsgesprächs analysiert werden kann und welche Rückschlüsse auf die angeregten Lernprozesse gezogen werden können. Hierzu wird zunächst die linguistische Gesprächsanalyse in Ansätzen vorgestellt werden, die als Grundlage für die Untersuchung der vorliegenden Unterrichtssequenz dient. Nach einem anschließendem Kapitel zum Unterrichtsgespräch folgt dann eine Betrachtung der beschriebenen Unterrichtssituation unter ausgewählten Gesichtspunkten, die Folgerungen auf die Lernprozesse zulassen.
2. Das Gespräch als linguistischer Gegenstand: Die linguistische Gesprächsanalyse
2.1. Ziele und Aufgaben der linguistischen Gesprächsanalyse
Zielsetzung der Gesprächsanalyse ist es nach Brinker und Sager, „ dialogisches sprachliches Handeln in sozialen Situationen systematisch zu beschreiben und zu erklären “.[5] Hierbei geht es im Unterschied zur Textanalyse bei der Gesprächsanalyse nicht nur um die „ Struktur und Funktion sprachlicher Einheiten, sondern auch um den Prozeß der Konstituierung selbst, dessen Resultat dann das Gespräch als linguistischer Text ist.“[6] Die Aufgabe der linguistischen Gesprächsanalyse besteht darin, zum einen die Einheiten zu ermitteln, die das Gespräch als solches kennzeichnen und sie dann auf verschiedenen sprachtheoretischen Ebenen, wie die der Äußerung, der Bedeutung, etc. zu beschreiben[7]. Unter dieser auf die Struktur des Gesprächs bezogene Perspektive erscheint das Gespräch in erster Linie als Ergebnis eines interaktiven Prozesses. Zum anderen sind Gesprächsanalytiker bemüht, die interaktiven Verfahren und deren Rekonstruktion aufzuzeigen unter Berücksichtigung der ihnen zugrundeliegenden kommunikativen Prinzipien. Zusammengefasst sind die beiden Hauptaufgaben der Gesprächslinguistik zum einen die Beschreibung des Sprachhandlungsresultats als auch deren Vollzugs.
2.2. Was ist ein „Gespräch“?
Grundlegend für ein Gespräch im linguistischem Sinn ist die Tatsache, dass es sich hierbei um einen Dialog von mindestens zwei Personen handelt, es mindestens einen Wechsel zwischen den Sprechern gibt und es eine gemeinsame thematische Orientierung aufweist.[8] Trotz dieser gemeinsamen Orientierung ist es jedoch ebenfalls Bestandteil eines Gesprächs, dass die Sprecher verschiedene Sprecherperspektiven zum Ausdruck bringen. „ Die linguistische Gesprächsanalyse basiert im wesentlichen auf natürlichen Gesprächen der Gegenwartssprache “[9] Für die Gesprächsanalyse sind empirische Grundlagen unentbehrlich. An dieser Stelle soll jedoch nicht weiter auf die einzelnen Phasen und Methoden empirische Dokumentation eingegangen werden. Es sei hier zur Information bemerkt, dass es sich bei der Grundlage für das später genannte Beispiel um den Auszug einer Transkription einer Unterrichtsstunde handelt.[10]
Da es sich auch bei Unterrichtsgesprächen um natürliche Gespräche handelt und nicht etwa um künstlich produzierte, wie sie in der älteren Sprechakttheorie verwendet werden, kann die linguistische Gesprächsanalyse auch für die Auswertung von unterrichtlichen Dialogen herangezogen werden. Unterrichtsgespräche können also als „ komplexe kommunikative Handlungen, die in umfassende gesellschaftlich-institutionelle Handlungskontexte eingebettet sind und sich aus Sprechakten bzw. Sprechaktsequenzen konstituieren “[11], auch als solche analysiert werden. Im folgenden Abschnitt sollen zum besseren Verständnis der späteren Analyse des Beispieltextes zunächst die verwendeten Begriffe „Gesprächskorpus“, „Gesprächsschritt“, „Gesprächssequenz“ und „Gesprächsphase“ im Zusammenhang mit der linguistischen Gesprächsanalyse und ihren Aufgaben erläutert werden.
2.2.1. Der Gesprächskorpus und seine Verwendung bei der Analyse
Bei einer Transkription liegt eine schriftliche Aufzeichnung eines Gesprächs vor, das als empirische Grundlage der Gesprächsanalyse dient. Hierbei unterscheidet man zwischen zwei Arten von Korpora, dem Gesprächskorpus und dem Ereigniskorpus.
Liegt eine Transkription des gesamten Gesprächs vor, so handelt es sich um einen Gesprächskorpus. Ein solcher Korpus findet in der Gesprächsanalyse dann Verwendung, wenn sie darauf zielt, das Gespräch als Ganzes zu betrachten, um die vorhandenen Strukturen herauszuarbeiten, die dem Gespräch zugrunde liegen. Beschränkt sich die Fragestellung der Analyse jedoch auf Ereignisse innerhalb des Gesprächs, wie zum Beispiel die Handlungs- und Bedeutungskonstitution oder die Struktur kurzfristiger Interaktionsmuster, dann reichen Ausschnitte aus Gesprächskorpora aus. Einen solchen Korpus nennt man deshalb auch Ereigniskorpus.[12]
Beide Arten von Gesprächskorpora lassen sich in verschieden große Einheiten unterteilen, die im folgenden Kapitel näher erklärt werden sollen.
2.2.2. Struktur und Einheiten von Gesprächen und ihre Rolle bei der Gesprächsanalyse
Gespräche sind Interaktionen einzelner Einheiten, die durch ihre Anordnung eine (thematische) Kohärenz des Gesprächs bewirken. Die Anordnung ergibt die Struktur des Gesprächs. Die „ Grundeinheit des Gesprächs “[13] stellt der Gesprächsschritt dar. Eine Kombination solcher Schritte resultiert in Gesprächssequenzen. Werden solche Sequenzen wiederum in eine spezifische Abfolge gestellt, so ergibt sich daraus eine Gesprächsphase.
Gesprächsschritte werden in der Regel von sogenannten Hörersignalen begleitet. Dadurch vermittelt der Hörer dem Sprecher, dass ihm zugehört wird und unter Umständen tut er seine Meinung über die vorangegangene Äußerung des Sprechers kund. Über solche kurzen Rückmeldungen hinaus gibt es auch noch die Höreräußerungen, mit denen der Hörer beabsichtigt, den Sprecher zu Äußerungen zu veranlassen, die der Hörer dann beantworten will und somit in die Sprecherrolle wechseln kann. Gesprächsschritt und Hörersignal werden von Brinker und Sager unter dem Begriff „Gesprächsbeitrag“ zusammengefasst.[14]
Diese grundlegenden Einheiten eines Gesprächs können nun auf unterschiedlichen sprachtheoretischen Ebenen untersucht werden. Brinker und Sager nennen hier folgende drei Ebenen: Die kommunikativ-pragmatische Ebene, sie semantisch-thematische Ebene und die grammatische Ebene. Auf der kommunikativ-pragmatischen Ebene wird der Handlungscharakter der Gesprächseinheiten beschrieben. Dabei soll ermittelt werden, was mit den Schritten, Sequenzen und den Phasen des Gesprächs bewirkt werden soll. Auf der semantisch-thematischen Ebene wird der Aufbau des Inhalts aus den thematischen Teilinhalten ermittelt und auf der grammatischen Ebene werden die syntaktischen Zusammenhänge der Gesprächsbeiträge untersucht. .[15] Im Folgenden soll nur die kommunikativ-pragmatische Ebene näher betrachtet werden, da im später angeführten Beispiel eines transkribierten Unterrichtsgesprächs einzelne Gesprächssequenzen näher betrachtet werden sollen. Gesprächsequenzen spielen sich explizit auf kommunikativ-funktionaler Ebene ab, da sie immer Handlungscharakter haben und einen bestimmten Sprechhandlungstyp (z.B. eine Behauptung, eine Bitte, eine Arbeitsanweisung etc.) repräsentieren. Hierbei wird der Handlungstyp nicht nur durch die Absicht definiert, die der Sprecher selbst mit seinem Beitrag verfolgt, sondern auch dadurch, wie der Sprecher (per Konventionen) auf vorangegangene Gesprächsschritte oder -sequenzen reagieren muss. Aufforderungen, Beschuldigungen, Fragen etc. sind immer initiative, aktive Gesprächsschritte, die zwangsläufig reaktive Gesprächsschritte wie Antworten, Entschuldigungen, Erklärungen, etc. nach sich ziehen.[16] Im Falle eines Unterrichtsgesprächs bedeutet dies, dass die Lehrkraft - sofern sie den Dialog mit einem initiativen Gesprächsschritt einleitet - dem Schüler nur eine begrenzte Fortsetzungsmöglichkeit für den weiteren Gesprächsverlauf an die Hand gibt. Hier wird abermals deutlich, wie wichtig es ist, dass Lehrkräfte darauf achten, dass Gespräche dynamisch bleiben, indem sie einen „Aufeinander-Aufbauen“ der Gesprächsschritte beider Seiten zulassen. Welchen Basisprinzipien Gesprächsverfahren zugrunde liegen soll in folgenden Abschnitt erläutert werden, um später die aus der Theorie der Gesprächsanalyse gewonnenen Erkenntnisse am Unterrichtsprotokoll anzuwenden.
[...]
[1] Buber, 1986, S. 40 (vgl. auch ebd., S. 38ff)
[2] Vgl. Spanhel, 1971, S.22
[3] Ebd., S. 23
[4] Ders., 1973, S. 159ff.
[5] Brinker/Sager, 2001, S. 7
[6] Ebd.
[7] Diese Einheiten werden in einem späteren Kapitel näher betrachtet
[8] Vgl. ders., S. 9ff
[9] Ebd., S.14
[10] Der Text befindet sich im Anhang dieser Arbeit.
[11] Ebd., S. 18
[12] Vgl. Brinker / Sager, 2001, S. 53ff.
[13] Ebd., S.57
[14] Vgl. ebd., S.60
[15] Vgl. ebd., S.58
[16] Vgl. ebd., S.80ff.
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- Thordis Seiffert-Hansen (Author), 2003, Lehren und Lernen im Dialog - Wie trägt mündliche Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern zu Lernprozessen bei?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38575
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