Der folgende Text befaßt sich auf der Basis der sozialpsychologischen Studie „Jörg Haider und sein Publikum“ von Harald Goldmann, Hannes Krall und Klaus Ottomeyer (1992) mit den Funktionsweisen und Zielen der verschiedenen Haider-Inszenierungen. Die Autoren ordnen ihre Studie einer verstehenden Sozialpsychologie zu. Bei ihrer Analyse verwendeten sie die psychoanalytisch-sozialwissenschaftliche Methode des „szenischen Verstehens“, bei der die Gegenübertragung des Therapeuten ein wichtiges Instru-ment der Forschung darstellt. Um die bei der Gegenübertragung bestehende Gefahr der Projektion oder das Übersehen von angstauslösenden Problemen zu vermeiden, nahmen die Autoren an mehreren Supervisionssitzungen teil, die der Psychoanalytiker und Spezialist für Großgruppenprozesse, Dr. Josef Shaked, leitete. Analysiert wurden Haider-Auftritte, Interviews mit Besuchern seiner Veranstaltungen, Äußerungen von Haider, Presseberichte und Material der FPÖ.
Goldmann et al. schreiben Haiders Erfolg vor allem seiner Fähigkeit zu, die unbewußten Ängste und Wünsche seiner Zuhörerschaft intuitiv zu erfassen, diese in seinen Inszenierungen bildhaft auszudrücken und einen Ersatz anzubieten. Die verschiedenen Figuren der Haider-Inszenierungen sind standardisiert und in vielfältigen Kombinationen einsetzbar. Als Basis aller Inszenierungen sehen die Autoren die autoritäre, die eng mit der Teilinszenierung „Vergangenheitsbewältigung“ verknüpft ist und Haiders eigene Biographie und Psyche widerspiegelt.
Ergänzend zu den Ausführungen von Goldmann et al. füge ich Material aus neueren Texten von und über Haider an, das die Ergebnisse der Studie unterstreicht. Sofern es jedoch im folgenden Text nicht anders angegeben ist, stammen die Thesen und Zitate aus oben genannter Studie.
Gliederung
1 Einleitung
2 Haiders Vergangenheitsbewältigung
3 Die Django-Inszenierung
3.1 Die Personalisierung struktureller Gewalt
3.2 Das Phänomen der „Angstlust“
4 Inszenierung eines Scheinsozialismus
5 Identität und Volksgemeinschaft
6 Bedürfnis nach menschlicher Nähe und narzißtisches Größenerleben
7 Erotisierung der Politik
8 Haider als „Depressionstherapeut“
9 Schlußbemerkungen
10 Literaturverzeichnis
11 Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
Der folgende Text befaßt sich auf der Basis der sozialpsychologischen Studie „Jörg Haider und sein Publikum“ von Harald Goldmann, Hannes Krall und Klaus Ottomeyer (1992) mit den Funktionsweisen und Zielen der verschiedenen Haider-Inszenierungen. Die Autoren ordnen ihre Studie einer verstehenden Sozialpsychologie zu. Bei ihrer Analyse verwendeten sie die psychoanalytisch-sozialwissenschaftliche Methode des „szenischen Verstehens“, bei der die Gegenübertragung des Therapeuten ein wichtiges Instrument der Forschung darstellt. Um die bei der Gegenübertragung bestehende Gefahr der Projektion oder das Übersehen von angstauslösenden Problemen zu vermeiden, nahmen die Autoren an mehreren Supervisionssitzungen teil, die der Psychoanalytiker und Spezialist für Großgruppenprozesse, Dr. Josef Shaked, leitete. Analysiert wurden Haider-Auftritte, Interviews mit Besuchern seiner Veranstaltungen, Äußerungen von Haider, Presseberichte und Material der FPÖ.
Goldmann et al. schreiben Haiders Erfolg vor allem seiner Fähigkeit zu, die unbewußten Ängste und Wünsche seiner Zuhörerschaft intuitiv zu erfassen, diese in seinen Inszenierungen bildhaft auszudrücken und einen Ersatz anzubieten. Die verschiedenen Figuren der Haider-Inszenierungen sind standardisiert und in vielfältigen Kombinationen einsetzbar. Als Basis aller Inszenierungen sehen die Autoren die autoritäre, die eng mit der Teilinszenierung „Vergangenheitsbewältigung“ verknüpft ist und Haiders eigene Biographie[1] und Psyche widerspiegelt.
Ergänzend zu den Ausführungen von Goldmann et al. füge ich Material aus neueren Texten von und über Haider an, das die Ergebnisse der Studie unterstreicht. Sofern es jedoch im folgenden Text nicht anders angegeben ist, stammen die Thesen und Zitate aus oben genannter Studie.
2 Haiders Vergangenheitsbewältigung
In dieser Inszenierung kommt Haiders „autoritäre Persönlichkeit“ besonders zum Vorschein: eine Persönlichkeit, die zwiespältige Gefühle gegenüber dem Vater aus Angst vor Vergeltung nicht zulassen kann, trotzdem als Rebell erscheinen möchte und Aggressionen deshalb auf „Ersatzeltern“ überträgt, die ungestraft verfolgt und bekämpft werden können.
Situation:
Grundlage der Analyse: Haiders Rede (07.10.1990) bei einem der jährlich stattfindenden Treffen am Ulrichsberg, einer Gedenkstätte für Soldaten des Zweiten Weltkrieges.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 Quelle BBC News
Unter anderem im Publikum: Mitglieder des „Abwehrkämpferbundes“ im braunen Kärntner Anzug, Teilnehmer des „Kärntner Abwehrkampfes“ gegen jugoslawische Gebietsansprüche nach dem Ersten Weltkrieg und eine Gruppe von Verbindungsstudenten. Haider trägt ebenfalls den braunen Kärntner Anzug.
Haider ruft mit seinen Metaphern unbewußte Grundkonflikte und Ängste hervor, die er dann im Verlauf seiner Rede auflöst. Es handelt sich dabei um
- Sinnlosigkeits- und Schuldgefühle sowie Selbstvorwürfe bei der Kriegsgeneration, die nicht zugegeben werden können, als Schuldzuschreibungen nach außen verschoben werden und geeignete Feindbilder benötigen
- Ambivalente Gefühle der jungen gegenüber der älteren Generation (s.o.)
- Massive Körperängste wie Angst vor Zerstückelung, Auflösung, Erstarrung und vor Kontrollverlust sowie die Urangst, ob die Welt feindlich oder gütig ist. Einerseits sind dies reale Ängste in bezug auf den Krieg, andererseits aber auch frühkindliche (Kastrations-)Ängste. Diese werden normalerweise in den ersten Lebensjahren mehr oder weniger bewältigt, können jedoch zu Psychosen führen, falls die Bewältigung mißlingt oder durch ein späteres Kriegs- oder Foltertrauma nachträglich gefährdet wird.
Zu Beginn seiner Rede gibt Haider seinen Zuhörern das Gefühl, mutige Kämpfer gegen eine niederträchtige Ungerechtigkeit zu sein: die falsche Geschichtsschreibung. Haiders eigene Geschichtsinterpretation verharmlost den Nationalsozialismus und beschreibt den Zweiten Weltkrieg lediglich als Kampf gegen den Kommunismus. Durch seine Interpunktion - er beginnt beim Ersten Weltkrieg - und die vereinfachende Darstellung wird als einziger Schuldiger an der „Zerstückelung“ der „großen Vielvölkerfamilie in der österreich-ungarischen Monarchie“ und der darauf folgenden Geschichte Europas der „südslawische Nationalismus“ benannt. Weitere Täter, die „woanders“ saßen, bleiben abstrakt und können so von den Anwesenden je nach Bedarf und Gesinnung individuell besetzt werden. Er spricht nicht nur „unsere Soldaten“ kollektiv von jeglicher Schuld frei, sondern idealisiert sie zudem als Visionäre und Helden, die „nach 1945 in ganz Europa eine großartige Aufbauarbeit geleistet (haben)“ (S. 18). Die neuere Geschichte – Deutschlands Wiedervereinigung und die Auflösung des Kommunismus in Osteuropa – gäbe ihnen letztendlich recht. Die Kriegsteilnahme erhält rückwirkend einen Sinn.
Haider stellt seine Zuhörer sämtlich als gute, großartige Menschen dar. Aus Gründen der Glaubhaftigkeit werden andere Schuldige benötigt. Haider liefert sie in Form von jenen, die zwischen ...
„...guten und schlechten Soldaten der älteren Generation unterscheiden (...). Denn es kann doch nicht so sein, daß jene, die auf der Siegerseite gestanden sind, als Helden gefeiert werden, während jene, die auf der Verliererseite gestanden sind, zu Verbrechern gestempelt werden.“ (S.26).
Das Wort „Verbrecher“ verursacht weiteren Haß und Erregung, was nach Feindbildern ruft. Bei deren Auswahl bevorzugt Haider generell Ausländer, Slowenen (die er mit Ausländern gleichsetzt, s.u.) und/oder Personen der älteren Generation. Die Wahl von „Ersatzalten“ bestätigt die Theorie des verschobenen Generationenprotestes. Haider nennt diese vermeintlichen Feinde gerne namentlich und setzt sie so dem Gelächter und Haß seines Publikums aus. Eine weitere Strategie ist es, sie als „Sozialschmarotzer“ oder „Drückeberger“ zu schildern, die sich ins gemachte Nest legen, oder sie mit negativen Eigenschaften wie beispielsweise „ungebildet“ auszustatten.
Die massiven Körperängste, die Haider durch die Wortwahl zu Beginn seiner Rede hervorruft, erreichen ihren Höhepunkt, als er eine Veröffentlichung des südslawischen Dichters Janko Messner (ebenfalls ein älterer Herr) zitiert (vgl. S 34). Die Verstümmelungsbilder dieses Textes knüpfen an die Zerstückelungsangst zu Beginn der Rede an. Verursacher der Ängste ist erneut ein Südslawe. Haider löst diese mit dem Krieg verbundenen Ängste auf, indem er sie als Erfindung des Dichters und Messner selbst als Schmarotzer darstellt. Damit bietet er Messner als Zielscheibe für einen Haß an, der normalerweise den wirklichen Initiatoren des Krieges gelten müßte.
Haider befriedigt somit die Bedürfnisse seiner Zuhörerschaft, indem er
„älteren und jüngeren Zuhörern (...) Selbstbewußtsein vermittelt, brüchige Männeridentität stabilisiert, verbliebene Schuldgefühle für nichtig erklärt, (...) das Gefühl vermittelt, zu einer Gruppe mutiger Rebellen zu gehören, die mit den Kriegsbildern verbundenen Chaosängste kanalisiert und den verwirrenden Aggressionen eine klare Orientierung, Zielscheiben in Gestalt identifizierbarer Außengruppen und Personen (bietet).“ (S. 38 f.)
Daß es sich bei dieser Rede nicht um einen Einzelfall handelt, zeigt seine Ansprache bei einem Treffen von Veteranen der Waffen-SS (1995) in der er „die Terroreinheit Adolf Hitlers als ‚anständig‘ (bezeichnete)“[2]
3 Die Django-Inszenierung
Auch hier spricht Haider das Unbewußte der Individuen an: personenbezogene, durch strukturelle Gewalt hervorgerufene Gewalt- und Tötungsphantasien sowie die lustvolle Angst vor der totalen Katastrophe. Das Individuum fürchtet sich vor ihr, sehnt sie aber gleichzeitig als Stimulans herbei.
[...]
[1] Haiders Vater war überzeugter Nationalsozialist und stieg während der Naziherrschaft zum Funktionär auf. Haider selbst war als Jugendlicher in rechten Verbänden aktiv. Scheinbar hat Haider hier nie einen Bruch mit seinem Vater riskiert (S. 31).
[2] AFP, Die Skandalchronik des Jörg H., Internet, RZ-Online (News), www.rheinzeitung.de/on/00/02/29/topnews/haidskandale.html, 04.01.01
- Quote paper
- Petra Bühler (Author), 2001, Der Rechtspopulist Jörg Haider. Funktionsweisen und Ziele seiner politischen Inszenierungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38347
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