Das Jahr 1895 kann als das Geburtsjahr zweier mächtiger Diskurse des 20. Jahrhunderts angesehen werden. Am 28. Dezember dieses Jahres fand in den Kellergewölben des Pariser Grand Café auf dem Boulevard des Capucines etwas statt, was es bis daher noch nicht gegeben hatte: die erste öffentliche Filmvorführung der Welt. Es wurden die Filme ,Le dejeuneé de bebé`, ,La sortie des usines`, ,L′arroseur arrose` und ,L′arrive d′un train en garre`gezeigt. Der letzte Film versetzte die Zuschauer in Schrecken, die ,,Lokomotive... rast aus der Tiefe der Leinwand direkt auf die Kamera zu und dicht vorbei. ... Ein neuer und vorerst befremdlicher Blick auf eine inszenierte Welt war entstanden, der ruhige Blick auf eine Welt der Bewegungen."1
Im selben Jahr kommt der ,Entwurf einer Psychologie` von Sigmund Freud heraus, seine erste grundlegende Schrift über das Ich. Unter anderem wird hier die These formuliert, daß die ,,reale Außenwelt...als Ananke (griech.), als ,Not des Lebens`, als Bedrängnis..."2 in den Menschen eintritt. ,,Realität stellt für die Psyche offensichtlich immer ein Moment von Anstrengung und peinsamer Herausforderung dar."3 Christiane von Wahlert sieht hier, daß Freuds These einen Erklärungsansatz für die Faszination der Menschen für das Kino liefern kann, da sich Ihrer Meinung nach im Kino ohne eigenes Zutun viel erleben läßt, ,, ohne von der realen Not des Lebens belästigt und eingeholt zu werden." 4
Vor allem Freuds Traumdeutung liefert für einige Filmemacher erst eine Art von intellektueller Berechtigung, eine geistige Vorwegnahme und Grundlage für die Produktion von Filmen:
,, Warum sollte man nicht Filme machen können, die nicht nur wie ein Traum sind und auch nicht nur eine Träumerei, sondern ein wirklicher Traum, wie wir ihn in tiefsten Schlafzuständen produzieren, mit allen den ihm zugehörigen Mechanismen, wie Verdichtung, Deplazierung, Überdeterminierung, wie sie uns die Psychoanalyse zu erkennen gelernt hat, mit aller scheinbaren Unlogik, die aber, wie man heute weiß, einer rigorosen symbolischen Verflechtung entspricht? Jetzt kann das Kino in wahrhaft surrealistischen Produktionen die tiefsten Mechanismen unseres Sinnenlebens zum Ausdruck bringen, wie dies kein anderes Medium besser als bewegtes Bild darstellen könnte. Dafür allerdings wird ein vertieftes Wissen vom affektiven Wert der Bilder und von den unbewußt ablaufenden Prozessen eine unerläßliche wissenschaftliche Voraussetzung für den Regisseur sein."6
Inhaltsverzeichnis
- Teil I: Psychoanalyse und Kino
- Das Verhältnis zueinander, gibt es Berührungspunkte, wenn Ja, welcher Art sind sie?
- „Wie lassen sich Intelligenzbestien, Bücherwürmer und Laborralten verfilmen?' Darstellungsformen von Psycho- Analytikern und Psychoanalyse im Film.
- Theoretische Überlegungen zum Verhältnis Film/ Psychoanalyse.
- Gemeinsamkeiten?
- Teil II: Was hat Freud gegen das Kino?
- ,Die Filmangelegenheit."
- Freuds theoretische Argumente gegen ,Visualisierung'.
- Fazit
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht das Verhältnis zwischen Psychoanalyse und Kino, insbesondere die Haltung Sigmund Freuds gegenüber dem Medium Film. Sie beleuchtet die Geschichte der Auseinandersetzung zwischen beiden Disziplinen, die Darstellung von Psychoanalytikern und Psychoanalyse im Film sowie die theoretischen Argumente Freuds gegen die „Visualisierung" seiner Theorie.
- Die Darstellung von Psychoanalytikern und Psychoanalyse im Film
- Freuds theoretische Argumente gegen die „Visualisierung" seiner Theorie
- Die ,Filmangelegenheit' und der Streit zwischen Berlin und Wien
- Die Bedeutung von Bildern und Sprache in der Psychoanalyse
- Die Rolle der Lust im Verhältnis von Kino und Psychoanalyse
Zusammenfassung der Kapitel
Der erste Teil der Arbeit beleuchtet die Geschichte der Beziehung zwischen Kino und Psychoanalyse. Er stellt fest, dass das Kino ein großes Interesse an der Psychoanalyse zeigt, während die Psychoanalytiker dem Medium oft mit Skepsis und Ablehnung begegnen. Die Arbeit analysiert die Darstellung von Psychoanalytikern und Psychoanalyse im Film und stellt fest, dass sie oft stereotyp und oberflächlich ist.
Der zweite Teil der Arbeit konzentriert sich auf Sigmund Freuds Haltung gegenüber dem Film. Er untersucht die ,Filmangelegenheit', einen Konflikt zwischen Berliner und Wiener Psychoanalytikern um die Verfilmung der Psychoanalyse. Die Arbeit analysiert Freuds theoretische Argumente gegen die „Visualisierung" seiner Theorie und stellt fest, dass er die Bedeutung von Bildern in seiner Theorie gering schätzt.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Psychoanalyse, das Kino, Sigmund Freud, die ,Filmangelegenheit', die Darstellung von Psychoanalytikern im Film, die „Visualisierung" der Psychoanalyse, die Bedeutung von Bildern und Sprache in der Psychoanalyse, die Rolle der Lust im Verhältnis von Kino und Psychoanalyse und die Geschichte der Auseinandersetzung zwischen beiden Disziplinen.
- Citation du texte
- M.A. Turan Gizbili (Auteur), 2001, Psychoanalyse und Kino. Was hat Freud gegen das Kino?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/380
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