Einleitung
Ein Werk von Bertolt Brecht zu interpretieren, ist ohne einen Blick auf sein Leben und sein besonderes politisches Weltbild zu werfen schlecht möglich. Sehr früh schon schärfte sich in dem 1898 in Augsburg geborenen, „wichtigsten deutschen Dramatiker des 20. Jahrhunderts“, das Bewußtsein für Ungerechtigkeiten seiner Zeit. Er, der bourgeoise Fabrikantensohn, wandte sich den unteren Klassen zu, verschloß nicht die Augen vor ihren Lebensverhältnissen, sondern prangerte sie mit einem unvergleichlichen Haß auf die Menschen seines Standes an. Mit sechzehn Jahren saß er auf der Augsburger Sonntagspromenade und pöbelte die vorbeistolzierenden Bürger an, mit siebzehn kombinierte sich diese aufrührerische Art zum ersten mal mit seinem Schreibtalent: Während in fast ganz Europa der Weltkrieg tobte, machte sich Brecht in einem Schulaufsatz offen über den wilhelminischen Heldenkult lächerlich. Dieses Ich festigte sich und wurde um eine von Grund auf pazifistische Haltung ergänzt, als er 1917 in einem Augsburger Lazarett Sanitätsdienst ableisten mußte, und die endgültigen Resultate der Kriegsmaschine vor Augen sah, die Verkrüppelten, Geschundenen und Gebrochenen, die gekommen waren zu sterben, in seiner Stadt und in seinen Armen, fernab der heldenhaften Front.
So war es dann nur eine Frage der Zeit, bis Brecht mit den Leuten in Kontakt kam, die in großen Märschen und mit roten Fahnen durch die Städte zogen und die die gleichen Gedanken und Ideen hatten wie er. Im November 1918 wurde er Mitglied des kommunistischen Augsburger Arbeiter- und Soldatenrates. Vier Jahre später, 1922, war sein Wandel zum Agitator perfekt: Sein erstes, „kritisch-engagiertes, linksorientiertes“ Stück ‚Trommeln in der Nacht’ wurde in München uraufgeführt. Ab 1926 erläuterte er in seinen sogenannten ‚Lehrstücken’ die gesellschaftlichen Mißstände der Zeit auf der Grundlage des Marxismus. Jedoch: „Obwohl er mit den revolutionären Zielen der Kommunisten sympathisiert, wird er nie Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands“ Doch vor den braunen Schatten, die Anfang der 30er-Jahre auf Deutschland fielen, konnte sich auch und gerade ein Mann von Brechtscher Einstellung und kultureller Schaffenskraft nicht verstecken. Schon 1931 wird sein Film ‚Kuhle Wampe’ wegen kommunistischer Agitation von der Filmprüfstelle in Berlin verboten, und nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde das öffentliche Klima für Brecht noch gefährlicher...
Inhalt
Einleitung
1. Brecht während der Entstehung des ‚Galilei’
2. Die intentionalen Abänderungen im zeitgeschichtlichen Kontext
2.1. Werkgeschichte
2.2. Vorarbeit zur ersten Fassung: ‚Die Erde bewegt sich’
2.3. Die erste, dänische Fassung
2.4. Die zweite, amerikanische Fassung
2.5. Die dritte, berliner Fassung
Abschließende Bewertung
Literaturverzeichnis
Einleitung
Ein Werk von Bertolt Brecht zu interpretieren, ist ohne einen Blick auf sein Leben und sein besonderes politisches Weltbild zu werfen schlecht möglich. Sehr früh schon schärfte sich in dem 1898 in Augsburg geborenen, „wichtigsten deutschen Dramatiker des 20. Jahrhunderts“[1], das Bewußtsein für Ungerechtigkeiten seiner Zeit. Er, der bourgeoise Fabrikantensohn, wandte sich den unteren Klassen zu, verschloß nicht die Augen vor ihren Lebensverhältnissen, sondern prangerte sie mit einem unvergleichlichen Haß auf die Menschen seines Standes an. Mit sechzehn Jahren saß er auf der Augsburger Sonntagspromenade und pöbelte die vorbeistolzierenden Bürger an, mit siebzehn kombinierte sich diese aufrührerische Art zum ersten mal mit seinem Schreibtalent: Während in fast ganz Europa der Weltkrieg tobte, machte sich Brecht in einem Schulaufsatz offen über den wilhelminischen Heldenkult lächerlich. Dieses Ich festigte sich und wurde um eine von Grund auf pazifistische Haltung ergänzt, als er 1917 in einem Augsburger Lazarett Sanitätsdienst ableisten mußte, und die endgültigen Resultate der Kriegsmaschine vor Augen sah, die Verkrüppelten, Geschundenen und Gebrochenen, die gekommen waren zu sterben, in seiner Stadt und in seinen Armen, fernab der heldenhaften Front.[2]
So war es dann nur eine Frage der Zeit, bis Brecht mit den Leuten in Kontakt kam, die in großen Märschen und mit roten Fahnen durch die Städte zogen und die die gleichen Gedanken und Ideen hatten wie er. Im November 1918 wurde er Mitglied des kommunistischen Augsburger Arbeiter- und Soldatenrates. Vier Jahre später, 1922, war sein Wandel zum Agitator perfekt: Sein erstes, „kritisch-engagiertes, linksorientiertes“[3] Stück ‚Trommeln in der Nacht’ wurde in München uraufgeführt. Ab 1926 erläuterte er in seinen sogenannten ‚Lehrstücken’ die gesellschaftlichen Mißstände der Zeit auf der Grundlage des Marxismus. Jedoch: „Obwohl er mit den revolutionären Zielen der Kommunisten sympathisiert, wird er nie Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands“[4]
Doch vor den braunen Schatten, die Anfang der 30er-Jahre auf Deutschland fielen, konnte sich auch und gerade ein Mann von Brechtscher Einstellung und kultureller Schaffenskraft nicht verstecken. Schon 1931 wird sein Film ‚Kuhle Wampe’ wegen kommunistischer Agitation von der Filmprüfstelle in Berlin verboten, und nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde das öffentliche Klima für Brecht noch gefährlicher. Am 28. Februar 1933, dem Tag nach dem Reichstagsbrand, verließ er das Deutsche Reich, flüchtet über Prag nach Wien, in die Schweiz und schließlich nach Dänemark. Von seinem Exil aus, versuchte er, mit den ihm gegeben Mitteln auf die schrecklichen Entwicklungen in seinem Vaterland Einfluß zu nehmen, es „entstehen viele seiner Gedichte, die fast ausschließlich dem antifaschistischen Kampf gewidmet sind“[5].
Sein skandinavisches Exil währte bis ins Jahr 1941. Vom Einmarsch deutscher Truppen erst nach Schweden, dann nach Finnland getrieben, kehrt er in diesem Jahr endgültig dem europäischen Kontinent den Rücken und zieht nach Kalifornien. Doch auch dort ist er ob seiner Politik nicht sicher. Als er 1947 aufgrund seiner kommunistischen Ansichten vom Komitee für unamerikanische Tätigkeiten vorgeladen wird, reist er sofort aus den Vereinigten Staaten ab, bezieht ein Haus in der Schweiz. 1949 kehrt er nach Deutschland zurück, wo er in Ost-Berlin das ‚Berliner Ensemble’ gründet. 1951 wird Brecht mit dem Nationalpreis der DDR ausgezeichnet, zu deren Regime er sich immer bekennt. Erst nach der blutigen Niederschlagung des Arbeiteraufstandes vom 17. Juni 1953 distanziert er sich vom pseudosozialistischen System Ulbricht, am 14. August 1956 stirbt er an den Folgen eines Herzinfarktes.[6]
Brechts Stück ‚Leben des Galilei’ hat eine lange Entstehungsgeschichte, erste Fragmente wurde bereits 1933 begonnen, die letzte Version 1956, dem Jahre seines Todes abgeschlossen. Wichtigstes interpretatorisches Moment jedoch ist, daß der Handlungsrahmen vom deutschen Marxisten Brecht im Exil während des Dritten Reiches hergestellt wurde. Es ist somit nicht nur ein Archetypus der Exilliteratur, sondern stellt durch seine Entstehungsgeschichte wie kein anderes den Wandel der Person Brechts vom Anfang des Exils bis zu seinem Tod dar.
Der Bedeutungswandel des zentralen Schreibmotivs, das sich vom Widerstandskampf gegen die Obrigkeit hin zum Verrat an der sozialen und wissenschaftlichen Revolution wandelt, kam nicht von ungefähr. Große Veränderungen in Brechts politischer und persönlicher Welt, veranlaßten ihn dazu. In dieser Arbeit soll nun resümiert werden, welche biographischen Hintergründe während der Entstehungszeit Brechts Leben bestimmten und was genau den Dramatiker schlußendlich zu den drastischen Abänderungen in seinem Drama bewegte.
1. Brecht während der Entstehung des ‚Galilei’
Im Jahre 1923 mißglückte Adolf Hitlers nationalsozialistischer ‚Münchner Putsch’. Schon zu dieser Zeit – ein Jahr, bevor er sich in Berlin ernsthaft mit dem Kommunismus beschäftigte[7] – stand Brecht auf der Verhaftungsliste der Faschisten. Eingebacht hatte ihm das, so wird vermutet, seine antimilitaristische Satire ‚Legende vom Toten Soldaten’.[8]
Durch die in seiner berliner Zeit verfaßten prokommunistischen Lehrstücke zog er die Aufmerksamkeit und Antipathie der rechten Kader weiter auf sich, und so war es keine Überraschung, als bei der Bücherverbrennung im Mai 1933 auch seine Werke den Flammen zum Opfer fielen. Der Verhaftung war Brecht entgangen, weil er schon am Tag nach dem Reichstagsbrand im Februar des selben Jahres Deutschland via Österreich und die Schweiz nach Dänemark entflohen war.[9]
Anders als von Brecht erwartet, währte sein Exil lange: Er hatte mit starkem innerdeutschem antifaschistischen Widerstand gerechnet, doch die den Nationalsozialisten einst ebenbürtige, große kommunistische Bewegung als auch die intellektuelle Opposition wurde vom Regime nach und nach zerschlagen. Er mußte mit ansehen, wie sich keine geschlossene außenpolitische Front gegen Deutschland organisieren wollte, nein, im Gegenteil, das Reich konsolidierte sich mitten in Europa und damit anheim ging sogar eine weitere Ausbreitung des Faschismus: 1936 verbündete sich Mussolinis Italien mit Hitler, 1938 fiel die Tschechoslowakei durch das ‚Münchner Abkommen’ in die Hände der Nazis, 1939 folgte der österreichische ‚Anschluß’ an das Reich, in Spanien entschied der Faschist Francisco Franco den langen und blutigen Bürgerkrieg durch deutsche Militärhilfe für sich. Fern des Geschehens mußte Brecht in seinen vielen verschiedenen Exilen erkennen, wie sein politischer Erzfeind Europa zusehends nach seinem Gutdünken veränderte – gipfelnd darin, daß 1939 sogar Stalin mit Hitler paktierte und schließlich der Zweite Weltkriegs ausbrach.[10]
Brecht war physisch ab des Geschehens, doch ließ er es sich nicht nehmen, mit den ihm gegebenen Mitteln von Außen den Widerstand zu leisten. Gerade im Exil entwickelte Brecht rege politische und literarische Tätigkeit:
Er reiste zu Schriftsteller-Tagungen und Emigrantentreffen, bei denen es zu antifaschistischen Kundgebungen kam, war Mitarbeiter an zahlreichen Emigrantenzeitschriften, schrieb Gedichte und Satiren für den deutschen Freiheitssender in Moskau, trug – wie viele andere Exilierte – durch Veröffentlichungen im Ausland dazu bei, dem antifaschistischen Widerstand Gehör zu verschaffen [...][11]
Dieses Bewußtsein floß auch in die Arbeit am Stoff des ‚Leben des Galilei’ ein, an dessen Dramenfassung Brecht im Frühjahr 1938 begann.[12] Offiziell stritt der Autor nach seiner Fertigstellung im Jahre 1939 ab, daß Stück enthalte Spitzen gegen die Achsenmächte. In einem Interview mit der Kopenhagener Zeitung ‚Berlingske Tidende’ behauptete er, daß ‚Leben des Galilei’ sei eine streng historische Arbeit, die im 17. Jahrhundert spiele, wo es noch keinen Nazismus oder Faschismus gab. Kämpferischer gab er sich da noch in seinem 1935[13] publizierten Aufsatz ‚Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit’, worin er streng marxistische Ansichten vertrat; unter anderem die, daß der Faschismus die besonders barbarische Abart des Kapitalismus sei.[14] Weiter stellte Brecht in dieser Schrift die ‚fünf Richtlinien zum Kampf für die Wahrheit in Zeiten der Unterdrückung’ auf:
Wer heute die Lüge und Unwissenheit bekämpfen und die Wahrheit schreiben will, hat zumindest fünf Schwierigkeiten zu überwinden. Er muss den Mut haben, die Wahrheit zu schreiben, obwohl sie allenthalben unterdrückt wird, die Klugheit, sie zu erkennen, obwohl sie allenthalben verhüllt wird; die Kunst, sie handhabbar zu machen als eine Waffe; das Urteil, jene auszuwählen, in deren Händen sie wirksam wird; die List sie unter diesen zu verbreiten. Diese Schwierigkeiten sind gross für die unter dem Faschismus Schreibenden, sie bestehen aber auch für die, welche verjagt wurden oder geflohen sind, ja sogar für solche, die in den Ländern der bürgerlichen Freiheit schreiben.[15]
Diese Leitsätze waren auch für Brechts Arbeiten im Exil verbindlich, mehr noch, die Verbreitung der Wahrheit ist die Leitthematik des ‚Galilei’. Brechts Behauptung in der ‚Tidende’ kann demnach nicht mehr als eine politische Schutzbehauptung gewesen sein[16], zumal er die erste Fassung des Stücks abänderte, als er im dänischen Radio ein Interview mit dem Physiker Niels Bohr hörte, der über die kurz zuvor gelungene Spaltung des Urankerns referierte.[17]
[...]
[1] Yang, Peter: Bertolt Brecht. Biographie. http://www.cwru.edu/artsci/modlang/german380/brecht.html [Stand: 20.12.04].
[2] Kersting, Marianne (1959): Brecht. Hamburg, S. 17f.
[3] Biographie. Bert Brecht. http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/BrechtBertolt [Stand: 6.1.05].
[4] Ebenda.
[5] Biographie. Bert Brecht. a.a.O.
[6] Ebenda.
[7] Yang, Peter: Bertolt Brecht. Biographie. a.a.O..
[8] Knust, Herbert (1987): Bertolt Brecht. Leben des Galilei. Grundlagen und Gedanken zum Verständnis des Dramas, Frankfurt, S. 14.
[9] Kersting, Marianne (1959): Brecht. Hamburg, S. 156.
[10] Knust, Herbert (1987): Bertolt Brecht. Leben des Galilei. a.a.O., S. 14.
[11] Knust, Herbert (1987): Bertolt Brecht. Leben des Galilei. Grundlagen und Gedanken zum Verständnis des Dramas. Frankfurt, S. 14.
[12] Wöhrle, Dieter (1998): Bertolt Brecht. Leben des Galilei. Kommentar, Berlin, S. 143.
[13] Die Quellen sind sich absolut uneinig darüber, ob die ‚Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit’ 1934 oder 1935 publiziert wurden. Einige Internetquellen behaupten gar, sie wären erst im Jahr 1938 entstanden. Da sie aller Wahrscheinlichkeit nach zu illegalen Zwecken gedacht waren, sollte es wohl auch nicht überraschen, daß ein offizielles Erscheinungsdatum fehlt. Der Autor dieser Arbeit geht davon aus, daß sie 1934 entstand und 1935 in Nazideutschland publiziert wurde.
[14] Brecht, Bertolt (1935): Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit. In: Brecht, Bertolt (1957): Versuche 20-21, Berlin.
[15] Brecht, Bertolt (1935): Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit. In: Brecht, Bertolt (1957): Versuche 20-21, Berlin.
[16] Knust, Herbert (1987): Bertolt Brecht. Leben des Galilei. Grundlagen und Gedanken zum Verständnis des Dramas. Frankfurt, S. 14f; die Aussage Brechts, das ‚Leben des Galilei’ sie ein streng historisches Stück, läßt die Quellen streiten. So feindet Gerhard Szczesny in seiner Werkinterpretation offen den Ostberliner Literaturwissenschaftler Werner Mittenzwei an und behauptet, daß Interview sei absolut ernst zu nehmen. (Szczesny, Gerhard (1970): Brecht. Leben des Galilei, West-Berlin, S 49.) In dieser Arbeit wird davon ausgegangen, daß es sich bei den Worten in der ‚Berlinske Tidende’ tatsächlich um eine Schutzbehauptung handelte.
[17] Wöhrle, Dieter (1998): Bertolt Brecht. Leben des Galilei. Kommentar, Berlin, S. 144.
- Arbeit zitieren
- Tobias Senzig (Autor:in), 2005, Bertolt Brechts 'Leben des Galilei', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38067
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