Solange man lebt, wird man gehetzt von einem Ort zum andern, unstet und flüchtig, und erst wenn einer tot ist, läßt man ihn leben.1 Diese Worte, geäußert von einem der Hauptfiguren in der Erzählung von Egon Erwin Kisch „Der tote Hund und der lebende Jude“, drücken Gefühle einer Flüchtlingssituation aus, deren Leiden wohl erst durch den Tod beendet wird. Was ist nun, wenn man nicht sterben kann? Es einem nicht erlaubt ist, sein Leben zu beenden? Diese Situation scheint eher mystischen Ursprungs. Und genau diese Mystik des ewigen Lebens spiegelt sich, neben dem Glauben an Untote und andere dunkle Wesen, auch in dem Mythos des Ewigen Juden – Ahasver wieder. Von namhaften Schriftstellern, wie Johann Wolfgang von Goethe, Christian Friedrich Daniel Schubart, Achim von Arnim u. a., thematisiert, ist Ahasver (auch Ahasveros oder Ahasverus) wegen der Blasphemie an Jesus, von demselben zur Unsterblichkeit verdammt worden (weitere Erklärung dazu unter dem Gliederungspunkt 2). Der Untersuchungsgegenstand meiner Seminararbeit soll die Figur des Ahasver in Egon Erwin Kischs Werk „Der tote Hund und der lebende Jude“ sein. Die Person in seiner Erzählung, an der ich versuchen werde die Gestalt des „Ewigen Juden“ nachzuweisen, ist einer der Hauptpersonen und wird bis zum Schluss nicht namentlich benannt. Aus diesem Grund betitle ich die Figur als der Alte bzw. der Greis. Diese Bezeichnungen sind auch im Text fundiert.2 Ich gehe bei der Ausarbeitung wie folgt vor: Zuerst werde ich eine kurzen Einblick in den Mythos des Ahasver geben, auf den die Ansätze zur einer kritischen Auseinandersetzung der Glaubwürdigkeit folgen. Auf der Basis des erarbeiteten Wissens über die Figur des Ewigen Juden, gehe ich auf die im Text verwendeten Charaktereigenschaften der vermeintlichen Ahasverfigur ein. Dabei bediene ich mich einer Einteilung der Erzählung in drei Abschnitte und versuche in diesen meine Behauptung systematisch darzustellen. Abschließend werde ich der Geschichte eine Bedeutung zuweisen. 1 Kisch, Egon Erwin, Der tote Hund und der lebende Jude. In: Geschichten aus sieben Ghettos. In: Ders: Gesammelte Werke in Einzelausgabe. Bd. VI. Berlin, Weimar: Aufbau Verlag, 1973. S. 100. 2 Vgl. ebd., S. 99.
Inhalt
1 Einleitung
2 Der Mythos des Ahasver
2.1 Die Umstrittenheit der Ahasverfigur
3 Die Ahasverfigur in der Erzählung
3.1 Prager Judenfriedhof – Erstes Auftreten der Ahasverfigur
3.2 Die Begegnung in Ungarn mit Wiedererkennungswert
3.3 Die letzte und aufschlussreichste Begegnung
4 Die Schlussbetrachtung
5 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Solange man lebt, wird man gehetzt von einem Ort zum andern, unstet und flüchtig, und erst wenn einer tot ist, läßt man ihn leben.[1]
Diese Worte, geäußert von einem der Hauptfiguren in der Erzählung von Egon Erwin Kisch „Der tote Hund und der lebende Jude“, drücken Gefühle einer Flüchtlingssituation aus, deren Leiden wohl erst durch den Tod beendet wird. Was ist nun, wenn man nicht sterben kann? Es einem nicht erlaubt ist, sein Leben zu beenden? Diese Situation scheint eher mystischen Ursprungs. Und genau diese Mystik des ewigen Lebens spiegelt sich, neben dem Glauben an Untote und andere dunkle Wesen, auch in dem Mythos des Ewigen Juden – Ahasver wieder. Von namhaften Schriftstellern, wie Johann Wolfgang von Goethe, Christian Friedrich Daniel Schubart, Achim von Arnim u. a., thematisiert, ist Ahasver (auch Ahasveros oder Ahasverus) wegen der Blasphemie an Jesus, von demselben zur Unsterblichkeit verdammt worden (weitere Erklärung dazu unter dem Gliederungspunkt 2).
Der Untersuchungsgegenstand meiner Seminararbeit soll die Figur des Ahasver in Egon Erwin Kischs Werk „Der tote Hund und der lebende Jude“ sein. Die Person in seiner Erzählung, an der ich versuchen werde die Gestalt des „Ewigen Juden“ nachzuweisen, ist einer der Hauptpersonen und wird bis zum Schluss nicht namentlich benannt. Aus diesem Grund betitle ich die Figur als der Alte bzw. der Greis. Diese Bezeichnungen sind auch im Text fundiert.[2]
Ich gehe bei der Ausarbeitung wie folgt vor: Zuerst werde ich eine kurzen Einblick in den Mythos des Ahasver geben, auf den die Ansätze zur einer kritischen Auseinandersetzung der Glaubwürdigkeit folgen. Auf der Basis des erarbeiteten Wissens über die Figur des Ewigen Juden, gehe ich auf die im Text verwendeten Charaktereigenschaften der vermeintlichen Ahasverfigur ein. Dabei bediene ich mich einer Einteilung der Erzählung in drei Abschnitte und versuche in diesen meine Behauptung systematisch darzustellen. Abschließend werde ich der Geschichte eine Bedeutung zuweisen.
2 Der Mythos des Ahasver
Wie in vielen Überlieferungen und Sagen gibt es auch bei der Legende des Ewigen Juden verschiedene Quellen über seine Herkunft und die Umstände seiner Erscheinung.
Im 13. Jahrhundert heißt es in der Chronik Historia major (1250) des französischen Mönches Matthäus Parisiensis, dass der heidnische Torhüter des Pilatus namens Cartaphilus den verurteilten Jesus mit der Faust geschlagen und gerufen haben soll: Geh, Jesus, schneller, was säumst du? worauf Jesus antwortet: Ich gehe, aber du sollst warten bis ich komme!. Cartaphilus lässt sich nach dem Tod Jesu zu Joseph taufen. Ab da an lebt er in Armut und Elend und erwartet den jüngsten Tag.
In einer späteren Legende wird nochmals ausdrücklich erwähnt, dass Cartaphilus (getaufter Joseph) von Jesus zur rastlosen Wanderung verurteilt wird und sich alle Jahre verjüngt. Ebenfalls im 13. Jh. berichtet Bischof Phillippe Mouskes von Tournay von derselben Legende, jedoch mit dem Unterschied, dass die Figur den Namen Buttadeus trägt, was soviel bedeutet wie: der Gott geschlagen hat.
Bis zum 17. Jh. existiert demnach nur eine vage Vorstellung von der Figur, die ewig lebt und stetig wandert. Erst 1602 erscheint eine anonyme Schrift, die da heißt: Kurtze Beschreibung und Erzehlung von einem Juden mit Namen Ahasverus. Hier tritt erstmals der Name Ahasver auf und die Angaben über ihn werden präzisiert. Laut einer Mitteilung des Bischof Paulus von Eitzen, der dem Ewigen Juden angeblich im Jahre 1542 in Hamburg begegnet sei, handelt es sich bei Ahasver um einen jüdischen Schuster. An seinem Haus wollte der zum Kreuze verurteilte Jesus ausruhen. Ahasver jedoch verneint und weist ihn fort. Jesus ruft ihm daraufhin zu: Ich will hier stehen und ruhen, du aber sollst gehen, bis ich wiederkomme! Auch hier wird berichtet, dass Ahasver seither wandert, ohne Ruhe zu finden.[3]
Seit dem 17.Jh. im Volksglaube überliefert, ist Ahasver demzufolge ein Jude, ein Schuster, einer der Jesus keine Ruhe gewährte, der bis ans Ende der Welt (in Varianten der Legende: bis er erlöst wird) unstet und ruhelos wandert. Diese Eigenschaften sind im Verlauf meiner Arbeit wichtiger Gegenstand für die Analyse der Figur in Kischs Werk.
2.1 Die Umstrittenheit der Ahasverfigur
Es wurden viele Schriften und Berichte über Ahasver gedruckt, in denen Augenzeugen behaupten, ihn in Städten wie Hamburg, Rostock, Lübeck, Danzig, Krakau, Moskau usw. gesehen zu haben. Da scheint es auch legitim, dass die Glaubwürdigkeit des Mythos über den ewig wandernden Juden von verschiedenen Kritikern nicht unumstritten bleibt. Einer dieser Rezensenten ist Avram Andrei Băleanu. Er zweifelt an der Wahrhaftigkeit der Kurtzen Beschreibung und meint: „Der Verfasser scheint vorrangig den publizistischen Erfolg im Auge gehabt zu haben, die Aufmerksamkeit des Publikums zu fesseln durch die Enthüllung von sensationellen Tatsachen, über die‚ weder die Evangelisten noch Historischreiber meldung thun’“.[4] Ebenso verdeutlicht er in seiner Rezension die Wandlung der Sage durch die Jahrhunderte. Genauer beschreibt er den Identitätswechsel der Ahasverfigur: „Cartaphilus wandelt sich zu ‚the Wandering Jew’“, obwohl „die englischen Geschichtsschreiber nicht behaupteten, er wäre Jude gewesen“ und „Buttadeus, dessen Nationalität nicht präzise erwähnt wurde“ erhält ebenfalls eine jüdische Herkunft.[5] So wie ich im Gliederungspunkt 2 dargestellt habe, geht man davon aus, dass sich die Legenden aufeinander aufbauen und man sie zwangsläufig gleichsetzt. Dies scheint Băleanu mit jener kritischen Ausführung zu bemängeln. Er übt auch im weiteren Verlauf Reklamation an der Herkunft des Namens Ahasverus und legt dar, wie selbst die Kurtze Beschreibung, im Laufe der 12. deutschen Ausgabe, zu propagandistischen Zwecken verändert wurde.[6]
[...]
[1] Kisch, Egon Erwin, Der tote Hund und der lebende Jude. In: Geschichten aus sieben Ghettos. In: Ders: Gesammelte Werke in Einzelausgabe. Bd. VI. Berlin, Weimar: Aufbau Verlag, 1973. S. 100.
[2] Vgl. ebd., S. 99.
[3] Vgl. Herlitz, Georg und Kirschner, Bruno, Jüdisches Lexikon. Ein enzyklopädisches Handbuch des jüdischen Wissens in vier Bänden. 2. Auflage. Frankfurt am Main: Athenäum Verlag, 1987.S. 159f.
[4] Băleanu, Avram Andrei, Der „ewige Jude“. Kurze Geschichte der Manipulation eines Mythos. In: Antisemitismus. Vorurteile und Mythen, hrsg. von Julius H. Schoeps und Joachim Schlör, München, Zürich (Piper) 1995, S. 97.
[5] Ebd.
[6] Vgl. ebd.
- Quote paper
- Katharina Zillmer (Author), 2005, Zur Darstellung jüdischer Identität -Die Ahasverfigur in Egon Erwin Kischs "Der tote Hund und der lebende Jude", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/38064
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.