Was darf ich heute essen und wieviel? Bin ich dicker und unattraktiver als die anderen? Fragen dieser Art beschäftigen immer mehr Menschen, vor allem heranwachsende Jugendliche. Als negative Einflussfaktoren werden oft Medien und Soziale Netzwerke genannt, die ein falsches Schönheitsideal vermitteln sollen. Die gravierenden Folgeschäden sind dabei vielen nicht bewusst und können bis zur schwerwiegenden Essstörung reichen. Doch wie kann man ein derartig schwieriges Krankheitsbild behandeln und in Zukunft verhindern?
Die Autorin Annabelle Welsch bespricht in diesem Buch gezielt Präventionsansätze sowie Behandlungsmöglichkeiten in der Sozialen Arbeit. Zu Beginn gibt sie eine Einführung in die verschiedenen Krankheitsbilder und körperlichen Auswirkungen von Essstörungen. Auslösende Faktoren werden anschließend thematisiert. Als Schwerpunkt stellt die Autorin vor allem Hilfsangebote und Methodentechniken der Sozialen Arbeit sowie Präventionsmöglichkeiten vor. Ist die Soziale Arbeit der Schlüssel für die Lösung dieser Gesellschaftskrankheit?
Aus dem Inhalt:
- Essstörung;
- Magersucht;
- Bulimie;
- Anorexia nervosa;
- Bulimia nervosa;
- Esssucht;
- Binge Eating;
- Social Media;
- Soziale Arbeit;
- Therapie.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Zielsetzung und Fragestellung der Arbeit
1.2 Aufbau der Arbeit
1.3 Aktualität
2 Methodik
3 Essstörungen- eine Einführung
3.1 Anorexia nervosa
3.2 Bulimia nervosa
3.3 Latente Adipositas
3.4 Binge- Eating- Disorder
3.5 Orthorexia nervosa
3.6 Restrained Eating
4 Mögliche Faktoren
4.1 Psychologische Faktoren
4.2 Familiäre Faktoren
4.3 Soziokulturelle und gesellschaftliche Komponenten
4.4 Feministische Aspekte
5 Behandlungsmöglichkeiten in der Sozialen Arbeit
5.1 Ambulante Beratung
5.2 Selbsthilfegruppen
5.3 Systemische Familientherapie
5.4 Kunsttherapie
5.5 Musiktherapie
5.6 Tanz- und Bewegungstherapie
5.7 Entspannungstechniken
5.8 Körpertherapeutische Ansätze
5.9 Verhaltenstherapie
5.10 Personenzentrierter Ansatz
5.11 Psychodrama
5.12 Feldenkrais
5.13 Feministische Therapie
5.14 Nachsorge
6 Prävention in der Sozialen Arbeit
6.1 Salutogenetischer Ansatz
6.2 Risikofaktoren
6.3 Selbstwertgefühl
6.4 Schönheitsideale
7 Fazit
8 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Was darf ich heute essen? Wie viel darf ich heute essen und wie viel muss ich dafür trainieren? Wenn ich jetzt das esse, worauf ich Lust habe, dann ärgere ich mich später darüber. Ich könnte mir jetzt ein Brot machen, aber dann steigt mein Insulinspiegel und ich muss darauf achten, dass ich genug Fett verbrenne. Bin ich dicker als die Anderen..?
Solche Fragen beschäftigen in der heutigen Zeit eine große Anzahl von Mädchen und Frauen und eine geringe, aber zunehmende Zahl von Jungen und Männern in unserer Gesellschaft. Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung leiden 1,5 Prozent der Frauen und 0,5 Prozent der Männer an einer von den drei häufigsten Formen einer Essstörung. Diese umfassen die Magersucht (Anorexia nervosa), die Bulimie (Bulimia nervosa) und die Esssucht (Binge- Eating- Störung). Am häufigsten treten Essstörungen im Alter von dreizehn bis achtzehn Jahren auf. Hinzugerechnet wird die doppelte Prozentanzahl jener Betroffenen, die eine Essstörung haben, welche den drei Hauptformen nicht zugeordnet werden kann. Dies sind nur die bekannten Fälle - die Dunkelziffer ist nicht erfassbar und schwer einschätzbar (vgl. BZGA, 2015, S.1).
Die Zahl der Menschen, die an einer Essstörung leiden ist, in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Eine Essstörung kann durch unterschiedliche Faktoren ausgelöst werden. Diese können psychologischer, familiärer, feministischer oder soziokultureller Art sein. In einer Zeit, in der das Ideal (vor allem) der Frau auf bestimmte Körpermaße reduziert wird, spielt der gesellschaftliche Faktor eine erhebliche Rolle. Bereits jungen Mädchen wird durch den Medien vorgegeben, wie sie sich zu verhalten, sich zu kleiden und auszusehen haben. Hinzu kommt noch der anwachsende Einfluss Sozialer Netzwerke wie Facebook oder Instagram, welche den Mädchen nicht die Realität, sondern eine Wunsch- und Scheinwelt wieder spiegeln. Jugendliche ‚folgen‘ hier oft ihren Idolen, versuchen ihnen durch Abnehmen, den Fitnesswahn und sogar Eiweißpräparaten so ähnlich wie möglich zu sein.
1.1 Zielsetzung und Fragestellung der Arbeit
Essstörungen bei Kinder und Jugendlichen sowie bei jungen Erwachsenen ist ein ansteigendes Problem unserer heutigen Gesellschaft, weshalb es immer wichtiger wird, ihm mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Das Krankheitsbild der Essstörungen hat in den letzten zehn Jahren in Fachkreisen und in der Öffentlichkeit immer mehr an Bedeutung gewonnen. Vermehrt durch die Medien wird ein rigides Schönheitsideal und damit eine falsche Körperwahrnehmung vermittelt. Es gibt keine einheitliche Definition für Essstörungen, da diese in unterschiedlicher Formen und Schwere auftreten.
Essstörungen werden als Krankheitsbild überwiegend medizinisch behandelt. Nach der gültigen ICD- 10 (International Classification of Diseases; Internationales Klassifikation und Verschlüsselungssystem der Krankheiten) gelten Essstörungen als psychosomatische Störungen. Sie werden geführt unter der Ziffer F50.0 ff (vgl. Berger, 2013, S.8).
Meine Zielsetzung für diese Masterthesis besteht darin, einen Einblick in die verschiedenen Essstörungen zu geben und zu zeigen, welch wichtigen Anteil die Soziale Arbeit in der Prävention und Behandlung beitragen kann. Dabei ist mir die Ausführung der gravierenden Folgen im gesundheitlichen, sozialen aber auch seelischen Bereich wichtig, die eine Essstörung nach sich zieht. Die zunehmende Zahl von Betroffenen ist nicht nur ein medizinisches, sondern auch soziales und politisch-wirtschaftliches Problem in unserer Gesellschaft. Ich möchte gezielt Präventionsansätze sowie Behandlungsmöglichkeiten in der Sozialen Arbeit vorstellen, um aufzuzeigen, was die Soziale Arbeit in diesem Bereich alles bewirken kann.
1.2 Aufbau der Arbeit
Die Arbeit ist in sieben Kapitel unterteilt. Zu Beginn der Thesis gebe ich eine kurze Einleitung zur allgemeinen Beschaffenheit der Arbeit. Anknüpfend daran erläutere ich, auf welcher Methodentechnik meine Arbeit aufbaut und basiert.
Im Anschluss daran beginnt der theoretische Kapitelteil. Zunächst wird eine Einführung in die verschiedenen Krankheitsbilder der Essstörung gegeben. In diesem Kapitel wird erläutert, in welche Formen sich das Bild der Essstörungen untereilen lässt. Zu den Formen wird ein Überblick zu den körperlichen Auswirkungen gegeben.
Im folgenden Kapitel werden die möglichen auslösenden Faktoren einer Essstörung vorgestellt. Augenmerk liegt hier auf den psychologischen, familiären, soziokulturellen, gesellschaftlichen und feministischen Faktoren.
Darauf folgt der Schwerpunktteil der Thesis. In den beiden Kapiteln „Behandlungsmöglichkeiten in der Sozialen Arbeit“ und „Prävention in der Sozialen Arbeit“ wird auf das große Spektrum der Hilfsangebote und Methodentechniken, die die Soziale Arbeit bereit hält, eingegangen. Hierzu zählt natürlich auch die vorbeugende Arbeit- die Präventionsarbeit. Es werden verschiedene Präventionsmöglichkeiten vorgestellt.
Zum Schluss wird ein Fazit gezogen, welches eine gegenwärtige Beurteilung, einen Ausblick in die Zukunft sowie ein persönliches Schlusswort enthält.
Die Thesis gliedert sich hin vom allgemeinen Teil über den Schwerpunkt bis zum Schluss durch das Fazit.
1.3 Aktualität
In den Medien, besonders im Fernseher wimmelt es nur so von Abnehmprogrammen. „Germanys next Topmodel“, „Extrem schwer“, The Biggest Loser“ oder „ Extrem schön!“. Sie alle legen ihr Hauptaugenmerk auf das Bestreben einer möglichst schmalen Körperfigur. Besonders junge Mädchen schalten immer Donnerstagsabends den Fernseher an, wenn es wieder heißt: „ Nur eine kann Germanys next Topmodel werden“ mit Heidi Klum. Erst kürzlich wurde ein Mädchen vor laufenden Kameras durch Heidi aus der Show verwiesen mit der Begründung, dass sie eine zu breite Hüfte habe. In einer anderen Szene steht Heidi vor einer Kandidatin und fordert sie auf, ihr Sixpack zu fühlen. Dabei sagt sie: „ Das darf nicht weich sein. Das ist viel zu schwammig. Wenn sie wirklich auf die Laufstege dieser Welt wollen, muss das alles tipptopp in shape sein.“
Maya Götz, seit 1999 wissenschaftliche Redakteurin bei dem internationalen Zentralinstitut für Jugend- und Bildungsfernsehen, kritisiert Heid Klum und ihre Show stark. Sie ist der Meinung, dass vor allem junge Mädchen verleitet werden, sich das Schönheitsideal der Show als Vorbild zu nehmen.
„ Heidi Klum ist für viele Mädchen in der Pubertät das größte Vorbild. Doch mit ihrer Show propagiert sie ein unerreichbares Schönheitsideal. Sie und der Sender ProSieben haben auch gesellschaftliche Verantwortung, der sie besser nachkommen könnten. Sie müsste deutlicher herausstellen, dass nur ein Bruchteil junger Frauen von Natur aus für das Modelbusiness geeignet ist“ (Maya Götz, 2015).
Maya Götz führte als Studienleiterin gemeinsam mit dem internationalen Zentralinstitut für Jugend- und Bildungsfernsehen und mit dem Bundesfachverband Essstörungen Anfang 2015 eine Studie durch. Veröffentlich wurde diese am 23. April 2015. Sie ergab, dass es einen Zusammenhang zwischen der Fernsehshow „ Germanys next Topmodel“ von Heidi Klum und Essstörungen bei jungen Mädchen gibt. Hierzu wurden 241 Patienten zur Rolle von TV- Sendungen im Kontext von Magersucht und Bulimie befragt. Ein Drittel gab an, dass die Show entscheidend für die eigene Krankheitsentwicklung sei. 85 Prozent stimmten zu, dass die Show Essstörungen verstärken kann.
Des Weiteren bejahten die Befragten, dass bei der Show das Aussehen stark im Mittepunkt stände. Die Kandidatinnen müssen mindestens 1,72 Meter groß sein, wobei sie maximal Kleidergröße 36 tragen dürfen. Die Show erzeugt bei jungen Mädchen den Eindruck, dass dieser Körperbau normal sei. Eine 17 Jährige Magersüchtige äußert sich bei der Studie zu der Show wie folgt: „ Es entsteht das Gefühl, es gibt so viele tolle, dünne, disziplinierte Mädchen, die damit etwas erreichen und vor allem toll aussehen.“
Mädchen und junge Frauen vergleichen sich zunehmend mit diesen gefährlichen Vorbildern. Durch die Kritik der Jury an der Körperstruktur der Kandidatinnen, geben die Befragten an, sich selber kritisiert zu fühlen. Es kommt das Gefühl auf: „ Wenn er jetzt schon diese Figur kritisiert, was würde er dann zu mir erst sagen?“ Mädchen und junge Frauen reagieren überkritisch und möchten noch radikaler abnehmen. Eine 14 Jährige Magersüchtige gibt an, dass sie die Show in eine schwere Identitätskrise gestürzt hat (vgl. Götz, 2015, S.1).
2 Methodik
Die vorliegende Masterthesis wurde strukturiert und aufgebaut nach einer Methode der geisteswissenschaflichen Pädagogik: der Hermeneutik.
Hermeneutik beschreibt das Interpretieren von Texten nach festgelegten Regeln. Der Begriff stammt aus dem Griechischen (hermeneudike) und wird als eine „Kunst der Auslegung“ oder „Kunst der Deutung“ verstanden (vgl. Danner, 2006, S.35). „ Hermeneutik ist eine theoretische (philosophische) Disziplin, die das Phänomen „ Verstehen“ , seine Elemente, Strukturen, Typen usw., sowie auch seine Voraussetzungen untersucht“ (A. Diemer). Es geht darum, Texte zu verstehen, auszulegen und zu interpretieren. Durch Texte werden Erfahrungen, die auf Handlungsanweisungen basieren, gesammelt und verschriftlicht. Es geht also um das allgemeine Verstehen von pädagogischen Texten, egal welcher Art. Der zentrale Begriff der Hermeneutik ist das Verstehen. „Verstehen ist das Erkennen von etwas als etwas (Menschliches) und gleichzeitig das Erfassen seiner Bedeutung“ (Danner, 2006, S.39).
Einige Methodiker haben verschiedene Regeln zur Textinterpretation gesammelt. Die geläufigsten Namen sind hierbei W. Klafki (1971), R. Broecken (1975) und H.H Groothoff (1975). Dieser Masterthesis liegen folgenden Regeln zu Grunde:
1) Vorbereitende Interpretation
- Der Interpret muss darauf achten, ob der vorliegende Text einer „kritischen Textausgabe“ entspricht. Das bedeutet, der Text soll nach Text- und Quellenkritik überprüft werden. Ein Beispiel hierfür kann sein, ob der Text mit einer Vorbemerkung ausgestattet ist und ob der Autor eine kritische Stellungnahme mit herausgebracht hat. Der Interpret sollte auch darauf achten, dass von einem Text immer die jüngste Ausgabe genutzt wird. Ist die ältere Ausgabe für den Interpreten aufgrund seiner Interessen von besserem Nutzen, so kann auch diese verwendet werden.
- Der Interpret muss sich seiner eigenen Meinung vor dem Interpretieren der Texte bewusst sein. Er muss genau wissen, wie seine Fragestellung lautet. Außerdem muss er sich Vorwissen aneignen, um weitere Texte besser verstehen zu können. Er muss sich dessen bewusst sein, was er in Bezug auf sein Interesse von dem Text erwartet.
- Der Text muss einen Scopus beinhalten. Der Scopus ist der allgemeine Sinn eines jeden Textes. Er enthält immer eine Kernaussage und drückt sich durch das Inhaltsverzeichnis, die Überschrift und den Hinweis eines Dritten aus (vgl. Danner, 2006, S.101).
2) Textimmanente Interpretation
- Der Interpret muss auf Wortbedeutungen und grammatische Zusammenhänge eingehen. Von dem ganzen Text kann auf einzelne Textabschnitte geschlossen werden, so wie auch andersherum. Die Bewegung zwischen dem ganzen Text und Textabschnitten wird hermeneutischer Zirkel genannt (Danner, 2006, S.101). Dies schließt den Scopus des Textes und die Vormeinung des Interpreten mit ein.
- Es sind die „ Regeln der Logik“ anzuwenden. Sie dienen dazu, den Scopus ganz zu verstehen. Hierfür kann der Text in seiner Einheit betrachtet, aber auch im Einzelnen gegliedert gesehen werden.
- Versteht der Interpret einen Text zunächst nicht und nimmt ihn als Widerspruch wahr, so ist davon auszugehen, dass der Autor trotzdem fachlich und wissenschaftlich korrekt vorgegangen ist. Es wird also von einem Nicht- Verstehen des Interpreten ausgegangen, welcher sich im folgenden Bemühen muss, den Text als Widerspruch zu interpretieren (vgl. Danner, 2006, S.102).
3) Koordinierende Interpretation
- Um einen Text besser verstehen zu können, ist es ratsam, andere Texte des Autors zu betrachten, um die Stellungnahme des Autors in seiner Gesamtentwicklung zu interpretieren. Es wird also der „ Kontext zum Gesamtwerk des Autors“ beachtet (Danner, 2006, S. 102). Hier kann zum Beispiel im Hinblick auf die Entwicklung des Autors geschaut werden, ob der vorliegende Text ein Früh- oder Spätwerk des betreffenden Autors ist.
- Zu einem besseren Verständnis trägt ebenso das Wissen um die politische oder religiöse Einstellung des Autors bei.
- In der Pädagogik hilft es, den Text mit einer gezielten Erziehungssituation zu vergleichen bzw. auf eine bestimmte Situation anzuwenden. Es ist zu beachten, dass sich die Situation des Autors und die des Interpreten nicht überschneiden.
- Eine Textinterpretation in diesem Sinne baut immer auf Hypothesen auf. Im weiteren Verlauf bestätigen sich die Hypothesen oder nicht. Bestätigen sie sich nicht, müssen alte Hypothesen verworfen und Neue aufgebaut werden (vgl. Danner, 2006, S.101).
- Um einen Text zu interpretieren und verstehen zu können bedarf es einer positiven Grundhaltung und einer offenen Neugierde dem Text und dem Autor gegenüber. Es bedarf der Bereitschaft „der Geduld mit sich selbst, Bescheidenheit und Toleranz gegenüber dem Autor, Selbstkritik, Offenheit für Neues und Ungewohntes sowie Lernbereitschaft“ (Danner, 2006, S.103).
Die vorliegende Masterthesis beachtet neben den hermeneutischen Regeln auch praktische Arbeitsanweisungen. Diese lauten:
a) „den ganzen Text durchlesen;
b) den Text Satz für Satz, Ausdruck für Ausdruck studieren, dabei Widersprüche aufklären, zumindest festhalten;
c) den Text nochmals im Ganzen lesen;
d) Sekundärliteratur hinzuzuziehen; eventuell einen ähnlichen Text des selben Autors;
e) einzelne Gedanken aus dem Gesamttext herausholen;
f) eine Gliederung für den ganzen Text erstellen;
g) Inhaltsangabe für jeden Abschnitt machen, da eigenes Formulieren Klarheit verschafft;
h) wiederrum den ganzen Text lesen“ (Danner, 2006, S.103).
3 Essstörungen- eine Einführung
Essstörungen sind schwere Erkrankungen im seelischen-körperlichen Bereich. Werden sie nicht rechtzeitig diagnostiziert, so chronifizieren sie sich im Laufe der Zeit. Der Übergang von gestörtem Essverhalten zur krankhaften Essstörung verläuft oft schleichend. Da sich die Betroffenen schämen, tun sie oft alles dafür, ihre Essstörung zu verheimlichen. Daher haben Eltern oder Freunde häufig lange keine Vorstellung von der Erkrankung des Betroffenen. Essstörungen verzeichnen schwerwiegende Folgen am Körper, an der Psyche und im sozialen Bereich, wie bei zwischenmenschlichen Beziehungen oder im Berufsleben. Die Zahl der an Essstörung leidenden Patienten wird immer höher. Aus diesem Grund betrifft das Thema nicht nur die Essgestörten selbst, sondern auch die Eltern, Ärzte, Psychotherapeuten, Berater und Freunde.
„ Essstörungen wie Magersucht und Bulimie betreffen ca. zwei bis fünf Prozent der Frauen im Alter zwischen 14 und 35 Jahren in westlichen Ländern. In Deutschland wird die Zahl der Magersüchtigen auf 150.000 bis 200.000 geschätzt. Die Zahl der Bulimikerinnen ist mindestens genauso hoch. Diese beiden Erkrankungen betreffen zu ungefähr 95% Frauen. Essstörungen mit Fressanfällen (Binge-Eating-Störung) sollen bei bis zu 6% der Bevölkerung vorkommen. Hier ist das Geschlechterverhältnis anders gewichtet. Sie betreffen zu zwei Dritteln Frauen und zu einem Drittel Männer. Magersucht beginnt zumeist zwischen dem 14. und dem 18. Lebensjahr. Bulimie beginnt später, meistens um das 18. Lebensjahr herum“ (Reich, 2004, S.27).
Die bekanntesten Formen der Essstörungen sind die Magersucht, die Bulimie und die Binge- Eating- Störung. Die Bulimie ist auch als Ess- Brech- Sucht bekannt, die Binge-Eating- Störung als Essstörung mit Fressanfällen. Des Weiteren gibt es noch „ sonstige Essstörungen“. Unter diese Kategorie fallen alle Betroffenen, die an einer Störung des Essverhaltens leiden, welche nicht den drei Hauptformen zugeordnet werden kann (vgl. Reich, 2004, S.10).
Der Verlauf von Essstörungen ist nahezu immer prolongiert, das heißt, es handelt sich um außergewöhnlich lange Krankheitsgeschichten.
3.1 Anorexia nervosa
Der Begriff Anorexia nervosa - bei uns besser bekannt als Magersucht - stammt etymologisch aus dem Griechischen und bedeutet „fehlendes Verlangen“ oder
„ keinen Hunger haben“. Zum ersten Mal wurde der Begriff 1874 von Sir William Gull verwendet (vgl.Absenger, 2005, S.101).
Zur Bestimmung einer vorliegenden Magersucht werden am häufigsten die DSM-III- Kriterien (Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen) angewandt. Hierbei wird unterschieden zwischen dem:
- Restricting Typ: keine regelmäßige Essanfälle und kein selbstinduziertes Erbrechen, und dem
- Binge Eating/ Purging Typ: regelmäßige Essanfälle mit Gebrauch von Abführmitteln (vgl. Stahr, 2010, S.23).
Ebenfalls wird die Anorexia nervosa im ICD-10 unter der Klassifikationsnummer F50.0 aufgeführt:
„Die Anorexia ist durch einen absichtlich selbst herbeigeführten oder aufrechterhaltenen Gewichtsverlust charakterisiert. Am häufigsten ist die Störung bei heranwachsenden Mädchen und jungen Frauen; heranwachsende Jungen und junge Männer, Kinder vor der Pubertät und Frauen bis zur Menopause können ebenfalls betroffen sein. Die Krankheit ist mit einer spezifischen Psychopathologie verbunden, wobei die Angst vor einem dicken Körper und einer schlaffen Körperform als eine tiefverwurzelte überwertige Idee besteht und die Betroffenen eine sehr niedrige Gewichtsschwelle für sich selbst festlegen. Es liegt meist Unterernährung unterschiedlichen Schweregrades vor, die sekundär zu endokrinen und metabolischen Veränderungen und zu körperlichen Funktionsstörungen führt. Zu den Symptomen gehören eingeschränkte Nahrungsauswahl, übertriebene körperliche Aktivitäten, selbstinduziertes Erbrechen und Abführen und der Gebrauch von Appetitzüglern und Diuretika“ (ICD- Code, 2015, S.1).
Laut aktuellen Statistiken sind 85 Prozent (vgl. Veränderung zur Quellenangabe von Reich von 2004) der magersüchtigen Patienten Frauen. Die Patienten halten ihre Essenszufuhr am Minimum. Die Essenszufuhr besteht meist aus gesunden und kalorienarmen Lebensmitteln, die die Betroffenen am liebsten alleine essen. Anorektiker verzichten teilweise sogar tagelang auf jegliche Art von Nahrung. Getrieben wird das Hungern von der Angst zuzunehmen. Damit einher geht oft die Einnahme von harntreibenden Medikamenten und Abführmitteln. Dies soll bewirken, dass die Nahrung schneller vom Körper verbrannt oder ausgeschieden wird. Oft verbringen Anorektiker viel Zeit in der Küche und kochen für Freunde oder Familie, ohne selbst etwas davon zu kosten. Dieses Kompensationsverhalten gibt ihnen das Gefühl am normalen Leben teilzunehmen und ihren Hunger zu stillen. Bei den meisten Patienten kommt es nach einer langen Zeit des Hungerns zu Essattacken. Dadurch, dass sie sich selber über einen langen Zeitraum hinweg Nahrung verboten und das Hungergefühl unterdrückt haben, werden bei den Essattacken bis zu 8000 Kalorien in den Körper hineingestopft. Danach kommt es zu herbeigeführtem Erbrechen oder zu Laxantien-Abusus (Mißbrauch von Abführmitteln) und dem Gefühl die Kontrolle über den Körper verloren zu haben (vgl. Gerlinghoff, 1993, S.83).
Von einer atypischen Anorexia nervosa wird gesprochen, wenn der Betroffene untergewichtig ist, eingeschränkt isst, eine Körperschemastörung aufweist, aber einen BMI (Bodymassindex) von 17,5 nicht unterschreitet (vgl. Reich, 2004,S.21). Der Bodymassindex errechnet sich aus dem Körpergesicht in Kilogramm dividiert durch die Körpergröße in Metern zum Quadrat.
Magersüchtige Patienten unterliegen dem Zwang sich mehrmals am Tag zu wiegen, bestimmt von der Angst nach der letzten Nahrungsaufnahme zugenommen zu haben. Der Tagesablauf wird bestimmt vom ständigen Kontrollieren des Gewichtes auf der Waage oder vor dem Spiegel. Im Spiegel wird ein verzerrtes Selbstbild wiedergegeben. Das Gewicht liegt oftmals bei einem Bodymassindex von 10, was lebensbedrohlich untergewichtig ist. Trotzdem sehen sich die Patienten als zu dick. Sie fokussieren hierbei eine Stelle am Körper, die Oberschenkel oder den Bauch, die sie als störend betrachten (vgl. Buhl, 1987, S.16).
Zu der Lebensmitteleinschränkung und dem Gebrauch von Abführmitteln kommt oft ein Sportwahn dazu. Die Betroffenen betreiben exzessiven Sport, um ein Kaloriendefizit zu erreichen. Dieser Wahn kann so weit gehen, dass jeden Tag stundenlang Sport betrieben wird. Diese Komponenten führen schnell zu einem Erschöpfungszustand. Die Betroffenen wirken dann meist wie apathisch in ihren Bewegungen und ihrem Denken (vgl. Gerlinghoff, 2004, S.13).
Die Anorexie wird oftmals ausgelöst von einem Drang nach Perfektion. Viele der Betroffenen sind erfolgreich in der Schule, dem Studium oder dem Beruf. Sie sehen die Anorexie als Kontrolle über ihren eigenen Körper. Somit steigern sie ihr Selbstwertgefühl. Dem Umfeld wird die Essstörung verheimlicht, um das Bild der Perfektion und der Selbstkontrolle aufrecht zu erhalten. Die Betroffenen ziehen in einigen Fällen viel zu große Pullover an, um das Untergewicht zu verstecken. Hunger und andere Signale des Körpers werden komplett ignoriert. Der Hunger und somit auch das Essen werden als Feind angesehen. Von 100 betroffenen Personen, die an der Anorexia nervosa erkrankt sind, stirbt jeder Zehnte an den körperlichen Folgeschäden (vgl. Proissl, 2005, S.10).
3.1.1 Folgeschäden
Durch die geringe Lebensmittelzufuhr, die meist alleine erfolgt, resultiert eine soziale Isolation. Diese Abnabelung von dem eigenen Umfeld führt zu einer psychischen und seelischen Belastung. Anorektiker verabreden sich selten mit Freunden oder verbringen ihre Freizeit draußen, vor Angst dem Cappuccino oder dem Eis doch nicht widerstehen zu können. Die Betroffenen fühlen sich meist alleine und sehnen sich nach Geborgenheit. Dieses Gefühl wird allerdings ignoriert, da der Teufelskreis, in dem sie stecken, den größeren Teil ihrer Gefühlswelt ausmacht. Sie sind gefangen zwischen einer geringen Energiezufuhr und dem direkten Wiegen auf der Waage gefolgt von Angstzuständen und Panikattacken, wenn die Waage ein paar Gramm mehr als zuvor anzeigt. Durch diese Zurückgezogenheit und dem ständig lastenden Gewichtsdruck kommt es bei den Patienten zu depressiven Phasen, welche von einer starken Gereiztheit begleitet werden. Depressive Phasen sind gekennzeichnet durch das Gefühl versagt zu haben und Selbsthass. Somit geraten die Erkrankten in eine Abwärtsspirale aus sich ständig verschlechterndem physischem und psychischem Befinden.
In manchen Fällen kann es im Zuge einer depressive Phase zu einem selbstverletzenden Verhalten kommen (vgl. Schütze, 1980, S.14).
Die Betroffenen weisen ein außergewöhnliches Kälteempfinden auf, da der Körper nicht genug Energiereserven besitzt, ihn konstant auf der normalen Körpertemperatur zu halten. Sie treiben exzessiven Sport, der im Laufe der Zeit zu einer totalen Entkräftigung führt. Nicht selten greifen Anorektiker aufgrund des psychischen Drucks zu Drogen oder Alkohol (vgl. Schwarzer, 2004, S.345).
Offensichtliche körperliche Folgeschäden sind gekennzeichnet durch die Veränderung des Hautbildes. Die Haut wird durch das Fehlen wichtiger Nährstoffe und Mineralien rau, trocken und rissig. Ebenso verändern sich die Nägel und die Haarstruktur. Die Nägel werden brüchig, sie brechen ab und hören auf zu wachsen. Die Haare fallen durch die Mangelernährung vermehrt aus. An Armen, den Schultern und dem Rücken kommt es zur Bildung einer flaumartigen Behaarung (Lanugo Behaarung), welche im Laufe der Zeit auch für Außenstehende immer sichtbarer wird. Dieser Flaum entsteht durch die wegen des mangelnden Körperfettes verminderte Östrogenproduktion, wodurch die männlichen Sexualhormone im Körper stärker wirksam werden.
Durch den Mangel an Mineralen kommt es zu Stoffwechselproblemen, Magenschmerzen, Blähungen und Verstopfungen. Ein Mangel an Kalium kann zu einem dauerhaften Durchfall führen (vgl. Deuser, 1999, S.177).
Nach einer Weile vom Krankheitsbeginn der Magersucht an beginnt der Körper auf seine eigenen Reserven zurückzugreifen. Zunächst baut er Wassereinlagerungen und Fett am menschlichen Gewebe ab. Wenn diese Reserven durch das Anhalten des Untergewichtes nicht mehr ausreichen, greift er auf die Fettschicht zurück, die alle wichtigen inneren Organe umgibt. Diese Organe sind das Herz, die Nieren und die Leber. Durch das Abbauen dieser Fettschichten kommt es zu Schädigungen der inneren Organe. Die Herztätigkeit verlangsamt sich, der Blutdruck sinkt, der Herzmuskel beginnt zu schrumpfen und es kommt zu Rhythmusstörungen. (vgl. Schwarzer, 2004, S.344).
Durch das Reduzieren der Nahrungsmittelaufnahme kommt es zu einem Erschlaffen des Magens, da dieser nicht mehr ausreichend Säure produziert. In diesem Zusammenhang kommt es zu einer Darmträgheit.
Das Alter bei Beginn einer Magersucht sinkt stetig. Die Mädchen stecken mit zwölf oder dreizehn Jahren noch in der Pubertät. Dies bedeutet, dass sie noch nicht ausgewachsen sind. Da in den Vorgang des Heranwachsens eingegriffen wird, kann es zu einem Wachstumsstillstand kommen. Bei vielen Mädchen oder jungen Frauen fällt die Periode aus, vermehrt in der Altersgruppe der 13- bis 25jährigen. (vgl. Schwarzer, 2004, S.345).
Die genannten körperlichen Folgeschäden können durch ein konstantes, normales Essverhalten wieder ausgeglichen werden. Allerdings gibt es zwei Folgeerkrankungen, die irreversibel, d.h., nicht mehr rückgängig zu machen sind. Das ist zum einen das Cushing Syndrom. Durch die jahrelange Unterernährung befindet sich eine übernatürliche Anzahl von Cortisol im Blut. Es kommt zu einem erhöhten Blutzucker und Körperformveränderungen. Diese Körperformveränderungen drücken sich beim Menschen durch einen chronischen Blähbauch aus. Die zweite irreversible Folge ist die Osteoporose. Durch den konstanten Mangel an wichtigen Mineralstoffen kommt es zum Abbau der Knochendichte (vgl. Deuser, 1999, S.171).
3.2 Bulimia nervosa
Die Bulimia nervosa wird auch als Ess- Brech- Sucht bezeichnet. Das Wort stammt ebenfalls aus dem griechischen und wird übersetzt als Stierhunger. Diese Form der Essstörung ist in höchstem Maß lebensbedrohlich. Der Teufelskreis zwischen dem Verlangen nach Essen und dem anschließendem Erbrechen kann unbemerkt von dem Umfeld über Jahre aufrechterhalten werden. Daher ist es unmöglich zu sagen, wie hoch die Dunkelziffer der Erkrankten ist. Zentrales Merkmal der Bulimie sind Heißhungerattacken, die von den Betroffenen nicht mehr kontrolliert werden können. Die Betroffenen weisen meist kein Untergewicht auf. Das Gewicht verteilt sich von einem normalen Gewicht bis hin zu einem leichten Übergewicht und bleibt so unentdeckt. Bei der Bulimie ist nicht allein die Reduzierung des Körpergewichtes der Anstoß, auch wenn hier eine starke Fixierung vorliegt. Die Veränderung von gewohnten oder privaten Umwelteinflüssen können auch auslösende Faktoren sein (vgl. Wolfrum, 1993, S.16).
Mit der Ess- Brech- Sucht geht zu 95 Prozent der Fälle eine Depression einher. Vor Scham halten die Betroffenen die psychosomatische Krankheit geheim. Sie leiden permanent unter Komplexen. Es ist nicht zwingend entscheidend, ob der Patient dünn oder dick ist. Es wird begleitet von dem Gefühl, nie mit sich zufrieden zu sein (vgl. Buhl, 1987, S. 23).
Eine bulimische Phase tritt oft vor oder nach der Anorexia nervosa auf. 95 Prozent der Betroffenen sind Mädchen und Frauen im Alter von vierzehn bis dreißig Jahren.
Meistens startet eine Bulimie für die Betroffenen mit einem Kreislauf aus Diäten, Essanfällen und noch strengerem Fasten. Im Anschluss daran kommt das Erbrechen hinzu (vgl. Reich, 2004, S.23).
Der ICD-10 klassifiziert die Bulimia nervosa unter dem F50.2. Hier wird sie definiert als:
„Ein Syndrom, das durch wiederholte Anfälle von Heißhunger und eine übertriebene Beschäftigung mit der Kontrolle des Körpergewichts charakterisiert ist. Dies führt zu einem Verhaltensmuster von Essanfällen und Erbrechen oder Gebrauch von Abführmitteln. Viele psychische Merkmale dieser Störung ähneln denen der Anorexia nervosa, so die übertriebene Sorge um Körperform und Gewicht. Wiederholtes Erbrechen kann zu Elektrolytstörungen und körperlichen Komplikationen führen. Häufig lässt sich in der Anamnese eine frühere Episode einer Anorexia nervosa mit einem Intervall von einigen Monaten bis zu mehreren Jahren nachweisen“( ICD- Code, 2015, S.1).
Zur Bestimmung einer vorliegenden Bulimie werden auch hier am häufigsten die DSM-III- Kriterien (Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen) angewandt. Hierbei wird unterschieden zwischen dem:
- Non Purging Typ: es kommt nicht zum Erbrechen, sondern es kommt zu Essanfällen und danach zu körperlichen Betätigungen wie übertriebener Sport, Fasten und Diät halten.
- Purging Typ: es kommt zu regelmäßigen selbst herbeigeführtem Erbrechen (vgl. Absenger, 2005, S117).
Betroffene der Bulimie haben oft ihre eigenen Rituale. Im Laufe des Tages kommt es zu unkontrollierbaren Essanfällen. Bei solch einem Essanfall werden bis zu 15000 Kalorien vom Körper aufgenommen. Die Auswahl der Lebensmittel passiert wahllos. Es wird nicht unterschieden zwischen ungesund oder gesund, vielen Kalorien oder wenigen Kalorien. Bei einer Essattacke wird alles in den Körper hineingestopft. Dies hat nichts mehr mit Essensaufnahme oder Genießen zu tun. Die Lebensmittel werden nicht zerkaut. So schnell wie eine Attacke kommt ist sie auch wieder vorbei. Meistens dauert die Aufnahme der Nahrungsmittel fünfzehn bis zwanzig Minuten. Ein Ende wird bereitet von Erschöpfung des Körpers, Bauchschmerzen, aus anderen Umständen oder wenn nichts Essbares mehr da ist. Anschließend treten die Scham, das Peinlichkeitsgefühl und das Gefühl, die Kontrolle verloren zu haben, ein. Die Betroffenen leiden nun unter Übelkeit. Sie nehmen Abführmittel zur Beschleunigung der Verdauung oder führen durch Manipulation des Rachenraumes mit dem Finger Erbrechen herbei, damit die aufgenommene Nahrung schnell wieder ausgeschieden wird. In einigen Fällen wird zusätzlich noch exzessiv Sport getrieben. Solche Attacken können einmal die Woche, aber auch mehrmals am Tag passieren. Der Grad ist individuell verschieden.
Eine Tagesstruktur ist anstrengend aufrecht zu halten, da bei einer schweren Form der Bulimie der Tag nach den Essattacken ausgerichtet werden muss. An diesem Punkt findet eine soziale Isolation statt. Bulimiker haben Angst, sich zum Essen zu verabreden oder gemeinsam mit anderen Menschen zu Essen. Sie werden dominiert von der Angst, zu viel zu essen und den Zwang nach dem Erbrechen nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Ein normales Essverhalten ist ausgeschlossen. Der Tag wird also bestimmt von den Essattacken und dem damit verbundenen Handeln und Fühlen.
Bulimiker versuchen immer aufs Neue, zu einem normalen Essverhalten zurück zu kehren. Dabei werden die erneuten Essattacken als Niederlage erlebt, woraufhin sich auch eine depressive Phase einspielt. Das Erleichtern nach dem Erbrechen ist nur von kurzer Dauer. Anschließend kommt die Sucht nach einer neuen Essattacke auf, was wiederholt zu dem Gefühl der Niederlage führt. Es kann als undurchbrechbarer Kreislauf betrachtet werde (vgl. Schwarzer, 2004, S.353).
Einige Betroffene leiden auch unter Geldmangel, da jeden Tag neue Lebensmittel angeschafft werden müssen. Aufgrund des fehlenden Geldes kommt es oft zu Diebstählen in Supermärkten (vgl. Dana, 1990, S.14).
Es kann auch eine atypische Bulimie vorliegen. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass die Auseinandersetzung mit dem Essen oder die Essanfälle nur periodisch auftreten, zum Beispiel nur an gewissen Wochentagen. Seit längerer Zeit hört man in Fachkreisen immer häufiger den Ausdruck der „ Sport- Bulimie“. Die Betroffenen erbrechen nach einer Essattacke nicht, sondern treiben solange Sport, bis sie die vermeintlich zu sich genommenen Kalorien wieder verbrannt haben (vgl. Reich, 2004, S.24).
Folgeschäden
Bulimiker leiden stark an psychischen und seelischen Symptomen. Mit dem Kontrollverlust, der nach einer Essattacke das dominierende Gefühl ist, wird auch der Selbsthass geschürt - Betroffene hassen sich selbst. Sie sind nicht in der Lage, sich und ihren Körper zu lieben und zu respektieren und sind sich deswegen sicher, dass dies auch kein anderer Mensch tut. Ein Teufelskreis entsteht und so folgen aus diesem Selbsthass erneute Essattacken. Dieser Vorgang führt im weiteren Verlauf zu einem depressiven und labilen Stimmungsbild, der ein gesundes Selbstbild zu sehen unmöglich macht. Da keine Selbstliebe und somit auch kein Selbstwertgefühl mehr vorhanden ist, kommt es zu Selbstverstümmelung bis hin zu Suizidgedanken (vgl. Beushausen, 2004, S.96).
Bei jungen Mädchen und Frauen kommt es häufig zum Ausfall der Periode. Die Haut wird trocken, die Haare fallen vermehrt aus. Durch das ständige Erbrechen ist der Körper in einem permanenten Erschöpfungszustand. Durch das herbeigeführte Übergeben kommt es zu Hornhaut auf den Fingerflächen.
Die körperlichen Folgeschäden der Bulimia nervosa führen überwiegend zu einer Chronifizierung, die nur schwer zu beheben sind. Das häufige, unnatürliche Erbrechen führt zu einer hohen Anzahl von Symptomen. Es kommt zum Anschwellen der Speicheldrüsen, schwerem Zahnverfall, Entzündung der Schleimhäute und der Speiseröhre. Ebenso können Rachenblutungen folgen.
Durch das herbeigeführte, vermehrte Ausscheiden von wichtigen Nährstoffen und Mineralien kommt es zu einem gestörten Elektrolythaushalt, Herzrhythmusstörungen, chronischer Verstopfung und Muskellähmungen (vgl. Beushausen, 2004, S.95).
Adipositas
Der Ausdruck Adipositas oder auch Obesitas stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „Fettleibigkeit“. In der heutigen Gesellschaft ist der Begriff besser bekannt als Fettsucht. Adipositas ist die Folge „ einer den individuellen Energiebedarf chronisch überschreitenden Energieaufnahme. Eine über längere Zeit positive Energiebilanz führt zu einer Zunahme der Energiereserven des Körpers in Form von Fett. Geht diese Fettansammlung über das normale Maß erheblich hinaus, wird dieser Zustand als Adipositas oder Fettsucht bezeichnet“ (Stahr, 2010, S. 26).
Zu dem Krankheitsbild der Fettsucht gibt es im Fachbereich keine einheitliche Definition. Es wird dann von einem adipösen Zustand gesprochen, wenn das Normalgewicht nach der Broca- Formel um 20 bis 30 Prozent übertroffen wird. Die Broca- Formel berechnet sich aus der Körpergröße in Zentimetern minus 100. Zur weiteren Diagnostik können der Fettgewebsanteil und die Haufaltendicke berechnet und mit einbezogen werden. Die Deutsche Adipositas Gesellschaft (DAG) unterteilt Fettleibigkeit in unterschiedliche Stufen. Die Berechnung erfolgt durch den Body-Mass-Index. Bei einem BMI zwischen 25 und 30 liegt der Körper in einem übergewichtigen Bereich. Hier wird noch keine Behandlungsempfehlung ausgesprochen, da das Risiko für Krankheiten wie Hypertonie (Bluthochdruck) noch nicht vermehrt vorliegen. Ab einem BMI Wert von 30 bis zu einem Wert von 35 handelt es sich um den Adipositas Grad 1. Hier wird eine Behandlungsempfehlung aufgrund eines erhöhten Gesundheitsrisikos ausgesprochen (vgl. Pudel, 2003,S.3). Ab einem Wert von 35 bis zu einem Wert von 40 leidet der Betroffene an Adipositas Grad 2. Dieser Grad stellt ein hohes Gesundheitsrisiko dar. Ab einem Wert von 40 leidet der Betroffene an Adipositas Grad 3 oder auch Adipositas per magna. Bei einem solchen Wert ist eine Behandlung unausweichlich. Es liegt ein extrem hohes Gesundheitsrisiko vor (vgl. Wirth,2002, S.5). Die Deutsche Adipositas Gesellschaft unterscheidet in einem zweiten Schritt nach seinem Fettverteilungsmuster der Betroffenen. Hier wird unterschieden zwischen der peripheren Adipositas und der androiden Adipositas. Erstere Form weißt eine typische Birnenform auf, hier hat sich das Fett überwiegend im Bereich der Hüften und Oberschenkel angesetzt. Bei der androiden Adipositas sitzt das Fett überwiegend im Bauchbereich. Daher wird diese Form als Apfelform bezeichnet (vgl. Wirth, 2002, S.6).
Da es keine allgemeine Definition gibt, ist es schwer gültige Kriterien zu dieser Form der Essstörung zu finden. In der ICD 10 Klassifizierung wird Obsetias als körperliche Krankheit geführt. In der Diagnostischen und Statistischen Manual psychischer Störungen DSM- III- R wird Obsetias jedoch nicht als körperliche Krankheit geführt, da „sie im allgemeinen mit deutlichen psychischen oder Verhaltensstörungen einhergeht.“ (vgl. Stahr, 2010, S. 27).
Übereinstimmend ist allerdings, dass Adipositas eine chronische Erkrankung mit hohem Krankheitsrisiko ist. Galt es früher als schön, „mehr auf den Rippen zu haben“, so entspricht das Bild der Adipositas heute dem kompletten Gegenteil des herrschenden Schönheitsideales. Das Krankheitsbild der Adipositas hat sich vorwiegend in der unteren gesellschaftlichen Schicht ausgebreitet. Die Menschen, die unter einer Fettsucht leiden, haben oft mit Vorurteilen zu kämpfen. Sie gelten als undiszipliniert, willensschwach, ungesund und unsportlich (vgl. Deuser, 1999, S.189).
Durch das Tragen des eigenen, schweren Körpergewichtes sind die meisten Betroffenen in ihrer alltäglichen Bewegung stark eingeschränkt wodurch sie widerum die körperliche Anstrengung auf ein mögliches Minimum reduzieren. Durch den Mangel an Bewegung kommt es zu einem erhöhten Gesundheitsrisiko, welches Krankheiten wie Diabetes melitus oder Kreislaufbeschwerden mit sich bringt.Neuste Studien ergaben, dass Übergewicht und Fettleibigkeit in Europa vermehrt auftreten. Dabei ist Deutschland im europäischen Vergleich das Land mit den meisten Fettleibigen. Dennoch wird Adipositas nicht als Essstörung aufgelistet, sondern nahezu immer noch als körperliche Erkrankung. Den Betroffenen wird die Schuld oft selbst gegeben (vgl. Pudel, 2003, S.5).
Körperliche Folgeschäden
Wie bei anderen Formen der Essstörung auch leiden die Betroffenen an einem verminderten Selbstwertgefühl, welches mit sozialer Isolierung und Depressionen einhergeht. Die Betroffenen verbringen viel Zeit zuhause, aus Scham, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Es wird oft aus Langeweile oder Frust gegessen. Das Essen wird als Kompensation und Trost benutzt. Es soll die Einsamkeit der sozialen Isolierung ausgleichen. Durch den Kreislauf, den die Betroffenen Tag für Tag durchleben, ist eine eingeschränkte Lebensqualität vorhanden. Da die meiste Zeit zurückgezogen in den eigenen vier Wänden verbracht wird, stellt sich ein Defizit körperlicher Bewegung ein. Das führt zu einer Schwächung des Kreislaufes (vgl. Ehle,1992, S.87).Optisch leiden die Betroffenen an Streifenbildung und Blutgerinnungsstörungen, die auf der Haut sichtbar sind.
Durch die schwere Eigenlast, die der Körper jeden Tag zu tragen hat, kommt es zu einer Überanstrengung der Gelenke und des Muskelsystems. Es kann sogar zu Veränderungen in der Skelettstruktur kommen. Das Erkrankungsrisiko für Diabetes mellitus, Gicht, Fettstoffwechselstörungen, Herzversagen, Herzkrankgefäßleiden und Bluthochdruck ist höher als bei einem normalgewichtigen Menschen.Es ist erwiesen, dass adipöse Menschen ein höheres Risiko mit sich tragen an einer Tumorbildung zu erkranken (vgl. Absenger,2005,S133).
3.3 Latente Adipositas
Die latente Adipositas ist eine Unterkategorie der oben beschriebenen Adipositas. Die Betroffenen, meist Frauen, beschäftigen sich, wie auch bei anderen Formen der Essstörung zwanghaft mit dem Thema Essen. Anders als bei der allgemeinen Fettsucht, liegt hier der BMI in einem normalen oder leicht übergewichtigen Bereich. Daher wird auch der Begriff „ latent“ abgeleitet. Latent bedeutet, dass eine Anomalie vorliegt, diese allerdings nicht von dem Umfeld wahrgenommen wird. Ausschlaggebend für diese Unterkategorie ist der ständige Wechsel zwischen hochkalorischen Fressanfällen, einem normalen Essverhalten und dem strengen Einhalten einer Diät. Damit einhergehend leiden die Betroffenen an einem ständig schwankenden Körpergewicht. Wie bei der Bulimie kann hier Essen nicht mehr genossen werden. Es wird oft schnell und unkontrolliert gegessen, was zu anschließendem Schamgefühl führt.
Menschen mit einer latenten Adipositas haben ein gestörtes Verhältnis zu ihrem Körper, was zu einem Mangel an Selbstwertgefühl fühlt. Es wird ein unrealistisches Körperideal angestrebt und die Betroffenen vergleichen sich ständig mit Dünneren. Nach einer Fressattacke folgt eine Zeit eiserner Diät. Durch die negative Energiebilanz in so einer Phase hält der Körper diesen Zeitraum nicht lange durch. Anstatt normal weiter zu essen, rutschen Menschen mit einer latenten Adipositas wieder in eine Fressattacke. Dazwischen kann es zu Tagen kommen, an denen normal gegessen wird. Allerdings ist auch dieser Zustand von nur kurzer Dauer. Dieser Wechsel an Nahrungsaufnahme ist als Kreislauf zu betrachten, in dem sich die Betroffenen ständig unter großer Anspannung befinden. Oftmals ist die latente Adipositas das Vorstadium zur Bulimie. Wird die Essstörung frühzeitig erkannt, entstehen keine bleibenden Schäden für den Körper. Das Erkennen ist allerdings schwer, da es in unserer heutigen Gesellschaft als normal und anerkannt gilt, eine Dauerdiät mit kurzeitigen Pausen zu halten (vgl. Beushausen, 2004, S.98).
3.4 Binge-Eating-Disorder
Die Binge- Eating- Disorder ist die Form der Essstörung, die am wenigsten bekannt und erforscht ist. Erstmals als aufgetreten beobachtet gilt sie 1959 in Amerika. Als eigenständiges Krankheitsbild anerkannt gilt sie erst seit 1994. Disorder bedeutet übersetzt Störung. Da diese Form so wenig erforscht ist, gibt es keine eindeutige Zahl, wie viele Menschen in der Gesamtbevölkerung betroffen sind. Es ist auch keine eigenständige Klassifizierung im ICD-10 vorhanden. Allerdings ist mittlerweile bekannt dass, anders als bei der Anorexie oder der Bulimie, 80% der Betroffenen Männer sind. Des Weiteren hat sich die Binge- Eating- Disorder im Laufe der Zeit weiter verbreitet als die Magersucht oder die Ess- Brech- Sucht. Die meisten Betroffenen sind übergewichtig bis hin zu adipös. Das Gewicht schwankt nur wenig. Eine Dunkelziffer ist nicht zu erfassen. Es gibt verschieden aufgelistete Statistiken. „Binge- Eating- Disorder“ wird im Fachbereich übersetzt als Fressanfälle (vgl. Gerlinghoff,2001, S.19).
Im Gegensatz zu der Bulimie, bei der die Fressanfälle sich von einmal die Woche bis zu fünfmal am Tag hin erstrecken, treten diese bei der Binge-Eating-Disorder zweimal in einer Woche über einen Zeitraum eines halben Jahres auf. Doch genau wie bei der Bulimie wird hier innerhalb kürzester Zeit eine riesige Menge an Nahrung verschlungen. Meist stecken in einem Fressanfall so viele Kalorien, wie ein Mensch über drei bis vier Tagen benötigt. Die Fressanfälle finden unkontrolliert statt. Dabei ist nicht Hunger ausschlaggebend, sondern der Drang, kalorienreiche Nahrung in großen Mengen aufzunehmen. Menschen mit einer Binge- Eating- Disorder versuchen über einen anhaltenden Zeitraum hinweg, die aufkommende Sucht nach solch einer Attacke zu unterdrücken. Allerdings gelingt ihnen dies bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr. Bei einer solchen Attacke wird meist nicht gekaut, sondern es wird so lange geschlungen, bis sich durch Überreizung des Magens Bauchschmerzen einstellen.
Anders als bei der Bulimie kommt es nicht zum anschließenden Erbrechen. Auch hier leiden die Betroffenen danach an Scham, Depressionen und Selbsthass. Der eigene Körper wird nicht geliebt, sondern abgelehnt (vgl. Meermann, 2006, S.28). Die Betroffenen sind in ihrem emotionalen Erleben stark eingeschränkt.In einer Studie erzählten einige Patienten mit einer Binge- Eating- Disorder, dass sie schon als Jugendlicher Schwierigkeiten mit dem Essen hatten (vgl. Reich, 2004, S.25).
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- Annabelle Welsch (Author), 2015, Essstörungen als Gesellschaftskrankheit. Welche Behandlungsansätze bietet die Soziale Arbeit?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/379002
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