In unserer modernen Gesellschaft werden technische Geräte zunehmend weiterentwickelt und von einer immer größeren Gruppe Menschen genutzt. Angesichts des demographischen Wandels wurden auch Technologien geschaffen, die die Lebensqualität von älteren Menschen erhöhen sollen. Das Ambient-Assisted Living und die Gerontechnologie sind zwei der zentralen Beispiele auf diesem Feld. Doch welche grundlegenden Bedürfnisse und Anforderungen hat die Zielgruppe an solche Konzepte? Welche ethischen Aspekte sind dabei wichtig? Welche Faktoren sind förderlich oder hinderlich für die Akzeptanz zur Nutzung solcher Angebote?
Der Autor Horst Kolb veranschaulicht in seinem Buch die Perspektive der Nutzer von Ambient-Assisted Living und Gerontechnologie. Dabei bezieht er sich hauptsächlich auf ältere Kunden, unabhängig von ihrer Pflegebedürftigkeit. Der Autor stellt die historische Entwicklung sowie die Anwendungs- und Forschungsgebiete dieser relativ jungen Wissenschaft vor. Einen zentralen Raum nehmen die Bedürfnisse und Anforderungen der älteren Menschen als Adressaten und die praktischen Aspekte dieses Technologiewandels ein.
Aus dem Inhalt:
- Gerontechnologie;
- Ambient-Assited Living;
- Demographischer Wandel;
- Rentner,
- Senioren,
- Technologiewandel
- Nachhaltigkeit
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Aufbau
2 Einführung
2.1 Motivation
2.2 Fragestellung und Zielsetzung
2.3 Abgrenzung
2.4 Hypothesen und Vorannahmen
3 Ambient Assisted Living (AAL)
3.1 Enge Definition
3.2 Erweiterte Definition
4 Gerontechnologie (GT)
4.1 Historische Entwicklung
4.2 Anwendungs- und Forschungsbereiche
4.3 Positionen und Priorisierungen
5 Adressaten
5.1 Unmittelbar profitierende Zielgruppen
5.2 Mittelbar profitierende Zielgruppen
5.3 Sonstige profitierende Zielgruppen
5.4 Sonstige Zielgruppen
6 Bedürfnisse und Anforderungen älterer Menschen
6.1 Demographischer Ansatz
6.2 Pflegerischer Ansatz
6.3 Sozialwissenschaftlicher Ansatz
6.4 Gerontologischer Ansatz
6.5 Gerontechnischer Ansatz
6.6 Psychologischer Ansatz
6.7 Gesundheitswissenschaftlicher Ansatz
7 Ethische Aspekte
8 Faktoren für die Akzeptanz und Nutzung
8.1 Verhaltenswissenschaftliche Kriterien
8.2 Technik-Akzeptanz-Modell (TAM)
9 Beantwortung der Fragestellungen
10 Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
11 Literaturverzeichnis
12 Weitere Publikationen
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: The Radio Doctor – Maybe. Titelseite Radio News vom April 1924 (Radio News 1924)
Abbildung 2: Einflussfaktoren auf die in den 1990er Jahren entstehende Gerontechnologie
Abbildung 3: Anwendungsbereiche der Gerontechnologie (Misoch 2016:55)
Abbildung 4Leistungsdreieck
Abbildung 5: Rahmenmodell zum Person-Umwelt-Austausch im höheren Alter
Abbildung 6: Hierarchische Gliederung der menschlichen Bedürfnisse im Rahmen der Maslow’schen Bedürfnispyramide
Abbildung 7: MEESTAR
Abbildung 8: Technik-Akzeptanz-Modell (TAM) als TAM 1
1 Aufbau
Die vorliegende Arbeit zielt auf Erkenntnisse im Bereich der Techniknutzung älterer Menschen. Eingangs wird die Motivation zur Themenwahl vorgestellt. So ist der Autor nicht nur selbst als Lehrbeauftragter an Fachhochschulen des Gesundheitswesens tätig, übt bereits eine mehrjährige Tätigkeit als Lehrer an Krankenpflege- und Altenpflegeschulen aus sondern erlernte den Beruf des Staatlich anerkannten Altenpflegers, was eine Triangulation der gefundenen Ergebnisse mittels eigener Berufserfahrung und der Sicht aus dem Blickwinkel einer Pflegefachkraft ermöglicht. Nach Vorstellung der interessierenden Fragestellungen werden die Ein- und Ausschlusskriterien genannt. Die Arbeit bezieht sich ausschließlich auf ältere Menschen unabhängig von gegebener Pflegebedürftigkeit. Hypothesen und Vorannahmen schließen das erste Kapitel ab. Um den interessierenden Ausschnitt des Ambient Assisted Living einzugrenzen wird im Weiteren eine enge und eine erweiterte Definition vorgestellt, die schließlich zum Begriff der Gerontechnologie führt. Die historische Entwicklung dieser relativ jungen Wissenschaft wird im dritten Kapitel vorgestellt. Auch wird auf die Anwendungs- und Forschungsbereiche eingegangen und die aktuelle Positionierung dargelegt. In Bezug auf die zukünftigen Aufgaben der Gerontechnologie wird in diesem Kontext eingegangen. Den Adressaten widmet sich der nächste Abschnitt um nochmal festzustellen, wer interessierende Partei im Sinne dieser Arbeit ist. Einen breiten Raum nehmen die Bedürfnisse und Anforderungen der älteren Menschen als Adressaten ein. Dabei werden diese Bedürfnisse und Anforderungen unter sieben verschiedenen Blickwinkeln (Ansätzen) beleuchtet um eine möglichst umfassende Perspektive zu generieren. Da die Nutzung gerontologischer Artefakte besonders im Hinblick auf eine vulnerable Gruppe wie beispielsweise dementiell erkrankte Menschen nicht ohne Zweifel ist, wird auf die ethischen Aspekte hingewiesen. Besonders bei Anwendungen, die eine nahezu realistische Welt vortäuschen, wie beispielsweise Kommunikationsrobotern bei Menschen mit Demenz, ist dieses Thema von hoher Brisanz. Um Gerontechnologie einzusetzen ist Akzeptanz seitens der Nutzer notwendig. Diesem Aspekt widmet sich das siebte Kapitel um schließlich zur Beantwortung der Fragestellungen überzugehen. Eine Zusammenfassung schließt die vorliegende Arbeit ab.
2 Einführung
Die alters- und bedarfsgerechte Gestaltung räumlicher und sozialer Umgebungen, aber auch nachhaltige praktikable Formen der Versorgung mit gesundheits- bezogenen Leistungen erfordern angesichts absehbarer demographischer und sozioökonomischer Entwicklungen den innovativen Einsatz von Technik. Problematisch ist dabei, dass häufig Wohnungen im jüngeren Erwachsenenalter errichtet werden und im späteren Seniorenalter den spezifischen Anforderungen dieser Personengruppe nicht mehr genügen. „Im Alter ändern sich die Anforderungen an den Wohnraum“ stellt daher auch die Fränkische Zeitung in ihrer Ausgabe vom 30.08.2017 unter der Überschrift „Wohnungsanpassungen, die das Altern erleichtern“ fest. (FZ 2017:6) „Die Hälfte der Barrieren befinden sich innerhalb der eigenen Wohnung, im Zugangsbereich und im Umfeld sind es jeweils 25 Prozent.“ (Zagel 2017:6) Spätestens seit im Pflegebereich das Prinzip der ambulanten Versorgung vor einer stationären Pflege gilt, nimmt die Bedeutung einer adäquaten Ausgestaltung der Wohnung für ältere Menschen zu. Dabei geht es nicht allein um Barrierefreiheit sondern auch um die Nutzung geeigneter Technik und technischer Assistenzsysteme um den Alltag älterer und pflegebedürftiger Menschen zu gestalten. Technik, die von den Betroffenen selbst, ihren Angehörigen aber auch vom pflegerischen oder medizinischen Personal genutzt werden kann. Hierunter sind beispielsweise Mobilitäts- und Aufrichthilfen wie Treppenlifter, Sessel und Toiletten mit Aufstehhilfe, Badewannenlifter oder Pflegebetten mit oder ohne integrierte Aufstehhilfen zu nennen. Um für die Sicherheit älterer und alter Menschen zu sorgen, steht an erster Stelle der Hausnotruf zur Verfügung. Dieser ermöglicht es schnelle Hilfe in Notsituationen anzufordern und stellt auch durch die sogenannten
„Mir-geht-es-gut-Funktion“ („Alles-in-Ordnung-Taste“) (AAL 74 2013:9) eine absichernde Verbindung nach außen her, wenn gerade keine Hilfe notwendig ist. Durch eine Erweiterung des klassischen Hausnotrufsystems um eine Kamera wird auch die Übertragung von Audio- und Videodaten ermöglicht und so der Schritt hin zum sogenannten „virtuellen Altenheim“ gelenkt. (AAL 74 2013:4) Dem Sicherheitsaspekt dienen auch Gefahrensensoren wie Wasser-, Temperatur- oder Bewegungsmelder sowie Falldetektoren und Schräglagensensoren. Mit letzteren sind Sturz- und Bewegungserkennung bzw. Positionsbestimmungen möglich. Zur medizinischen Diagnostik stehen AAL-Anwendungen am Körper wie die Vitalparameter-Sensorik zur Verfügung. Mit ihr ist es möglich Werte wie Blutdruck (RR), Herzfrequenz (HF), Sauerstoffsättigung des Blutes (SpO2), Körpertemperatur (T) oder die Atmung zu ermitteln bzw. ein Elektrokardiogramm (EKG) aufzuzeichnen. Die Daten können gespeichert oder via Telemedizin oder Telecare an den Arzt oder den Pflegedienst übermittelt werden. Obwohl im Bereich des eHealth derzeit einiges an Innovationen auf den Markt gekommen ist und Speicherung und Übertragung mittels einer Applikation (App) auf dem Smartphone möglich ist, ist der Gedanke einer Telemedizin nicht neu. So spielte bereits 1924 die Zeitschrift Radio News mit der Idee in ihrem Artikel „The Radio Doctor – Maybe“. (Radio News 1924:1406)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: The Radio Doctor – Maybe. Titelseite Radio News vom April 1924 (Radio News 1924)
Medikamentenspender, Geruchssensoren, die „Inkontinenzereignisse“ melden oder Epilepsiematten sind weitere AAL-Anwendungen im häuslichen Bereich, die im Rahmen einer Behandlung eingesetzt werden können. Um den Folgen einer sozialen Isolation entgegenzuwirken werden zunehmend mehr oder weniger interaktive Roboter angeboten die zum Teil eine menschliche Morphologie nachahmen. Ein Beispiel ist der „Care-o-bot“ 1 – 4, der seit den 1990er Jahren am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) entwickelt wird. Hier ist auch „Alice“ zu nennen, die durch den Kinofilm „Ikben Alice“ ab dem Jahre 2015 bekannt wurde. Daneben stehen Roboter, wie der japanische Pflegeroboter „Terapio“ oder der, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte, „ROREAS“ (Interaktiver RObotischer REha-Assistent), die nur vage eine menschliche Ähnlich- keit aufweisen. Tierische Kommunikationsroboter, die Ansprache und damit soziale Interaktion älterer, vorzugsweise auch pflegebedürftiger Menschen evozieren sollen, ist der ca. 60cm lange „PARO“ (PErsönlicher ROboter), der einer jungen Sattelrobbe nachempfunden wurde und Aspekte der tiergestützten Therapie widerspiegelt und „JustoCat“, die auf Aktivierung und Erinnerungsarbeit bei dementiell erkrankten Menschen fokussiert. Letztlich verschmelzen die Bereiche (nonverbale) Kommunikation und soziale Interaktion mit Mobilitäts- und Aufrichthilfen im Roboter „Robear“, der als nachempfundener 140-Kilogramm-Bär zum Transport immobiler Menschen dient.
Im öffentlichen Bereich hält Ambient Assisted Living neben der zunehmenden Zahl zugänglicher AED-Geräte (Automatisierter externer Defibrillator, engl. Automated External Defibrillator) als PAD (Public Access Defibrillator) nicht nur im Bereich älterer Menschen Einzug. Für Blinde und Sehbehinderte werden immer mehr Innenstädte mit Bodenindikatoren nach DIN 32984 ausgestattet und hie und da entdeckt man auch sogenannte Fußgängerassistenzfahrzeuge. Für ältere Menschen stehen mit „Rolland“, einem intelligenten Rollstuhl, oder „iWalker“, einem Rollator mit Navigation Möglichkeiten zur Orientierung zur Verfügung. Mittels „GPS Shoe“ bzw. „GPS SmartSole“ ist ein Tracking und damit ein Auffinden beispielsweiser aufgrund Demenz orientierungsloser Personen möglich.
Dabei verschwimmen immer mehr die Grenzen: Sind sie bei der Unterscheidung zwischen AAL-Anwendungen im häuslichen Bereich wie dem „Smart Home“ und dem öffentlichen Bereich noch deutlich, so zeigen sich Tendenzen Ambient Assisted Living nicht nur am Körper sondern auch im Körper zu nutzen. Die Haut hat als äußere Begrenzung des menschlichen Körpers ihre Funktion verloren! „Die Haut kann nicht mehr als Außengrenze des eigenen Körpers gedacht werden. Vitaldaten werden extrakorporal eingesehen und es wird auf diese Daten kontrollierend und steuernd agiert […].“ (Wiegerling 2016:140) Die Verschmelzung von Technik und menschlichem Körper weist bereits eine lange Geschichte auf. Zu nennen sind hier beispielsweise Hand-Prothesen wie die eiserne Hand des Gottfried („Götz“) von Berlichingen zu Hornberg oder der im 1. Weltkrieg von Ernst Ferdinand Sauerbruch entwickelte „Sauerbruch-Arm“. Auch Bein- und sogar Nasen-Prothesen finden sich seit Jahrhunderten. Neues Terrain wurde mit technischer Unterstützung betreten, die nun über Sensorik äußere Reize in den Körper leitet, so z. B. Cochlea-Implantate oder der „Eyeborg“. Auch hier geht die Entwicklung weiter und es findet neben der Stimulation des Herzens durch implantierbaren Kardioverter-Defibrillator längst die Manipulation des menschlichen Gehirns über Neuroimplantate bei Morbus Parkinson oder Epilepsie statt. Der Weg zum Cyborg ist frei, wenn nicht bereits beschritten!
2.1 Motivation
Die Motivation dieses Thema zu bearbeiten, speist sich aus mehreren Quellen: So ist zunächst die eigene frühere Ausbildung und Tätigkeit als Altenpfleger zu nennen. In der Altenpflege kommen heute sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich zahlreiche technische Geräte wie elektrische Rollstühle, Badelifter, Aufstehhilfen etc. zum Einsatz und die Beratung der pflegebedürftigen Menschen und deren Angehörigen gehört zum Berufsbild des Altenpflegers. Eine entsprechende Wohnraumanpassung im Sektor der ambulanten Pflege ist meist notwendig und die damit verbundene Erstberatung erfolgt häufig über die Pflegekräfte. Die Pflegebedürftigen selbst besitzen heute bereits Prothesen und auch Implantate, die seitens der Pflegekräfte zum Teil versorgt werden müssen – zumindest aber eine gewisse Kenntnis, beispielsweise im Umgang damit, vorhanden sein muss. Die zweite Quelle der Motivation ist die eigene Lehrtätigkeit an Schulen des Gesundheitswesens (Altenpflegeschule und Krankenpflegeschule) aber auch als Lehrbeauftragter im Bereich sozialer Studiengänge an mehreren Fachhochschulen. Hier gilt es, eigenes Wissen zu teilen und künftige Generationen auf die Möglichkeiten des Ambient Assisted Living und speziell im Bereich der Gerontechnologie vorzubereiten. Durch das eigene Studium des Studiengangs Master of Health Business Administration, speziell des Zusatzmoduls Modul 8 Ambient Assisted Living wurde das Interesse an dieser Thematik weiter entfaltet und dieser Aspekt stellt sicherlich die dritte Quelle der Motivation dar. Letztlich besteht nicht nur ein eigenes generelles Interesse an technischen Neuerungen sondern der Blick auf die eigene Endlichkeit, das Alter und die damit vielleicht verbundene eigene Pflegebedürftigkeit sind Grund genug, sich mit der Nutzung von Technik im Alter zu beschäftigen.
2.2 Fragestellung und Zielsetzung
Obgleich sich AAL und Gerontechnologie zu einem wachsenden Markt mit steigendem Angebot und Umsatzzahlen entwickelt und aufgrund des demographischen Wandels hier in nächster Zukunft kein Ende in Sicht sein wird, scheint es doch auch lohnenswert auf die andere Seite dieses Marktes zu blicken. Gemeint ist hier die Seite der Nachfrager, also der Nutzer wie (pflegebedürftige) ältere Menschen, deren Angehörige und dem Pflegepersonal. Dabei interessieren für die Fragestellung und Zielsetzung vorwiegend die ersteren.
Es ergeben sich somit folgende Fragestellungen:
- Welche grundlegenden Bedürfnisse und Anforderungen haben ältere Menschen an Ambient Assisted Living (AAL) bzw. Gerontechnologie (GT)?
- Welche ethischen Aspekte sind dabei zu nennen und in Betracht zu ziehen?
- Welche Faktoren sind förderlich oder hinderlich für die Akzeptanz zur Nutzung der Angebote des Ambient Assisted Living (AAL) bzw. der Gerontechnologie (GT)?
Beim Blick in die aktuelle Literatur werden häufig Konzepte vorgestellt, Mögliche Umsetzungen diskutiert, Angebote und Modelle bestehender Lösungen vorgestellt oder marktwirtschaftliche Themen diskutiert. Was häufig fehlt, ist allerdings der Blick auf die Kunden und deren Sichtweise. Die Zielsetzung dieser Arbeit ist es, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen und die Anforderungen der älteren Menschen an Konzepte des AAL und GT mehr in den Fokus zu rücken. Dabei wird auch dies nur ein kleiner Beitrag sein können und eingehende empirische Studien zu diesem Themenkomplex notwendig sein, was hier allerdings nicht geleistet werden kann. Die hier dargestellten Erkenntnisse können aber als Hypothesen und Vorannahmen genutzt werden. Auch im Hinblick auf die Ausbildung an Schulen im Bereich des Gesundheitswesens kann dies ein kleiner Beitrag sein.
2.3 Abgrenzung
Die oben genannten Fragestellungen bedürfen zur Beantwortung einer weiteren Abgrenzung mit Ein- und Ausschlusskriterien. Generell ist der Begriff Ambient Assisted Living unabhängig von Alter, Geschlecht oder Gesundheitszustand, weshalb ihm hier der Terminus Gerontechnologie attribuiert wird. Die Fragestellungen sind somit auf die Nutzung durch ältere Personen, unabhängig von Geschlecht oder Gesundheitszustand bezogen, wobei eine genaue Definition im weiteren Text folgt. Als weiteres Ausschlusskriterium ist die Nutzung von Technik im Körper zu nennen. Da Patienten beispielsweise mit Neuroimplantaten, Kunstherz (VAD, ventricular assist device) oder Herzschrittmacher (HSM, engl. Pacemaker (PM)) nicht unbedingt frei über die Nutzung dieser Technik entscheiden können sondern aufgrund zum Teil lebensbedrohlicher Erkrankungen darauf angewiesen sind, müssen sie aus der Beantwortung der Fragestellung ausgeschlossen werden.
2.4 Hypothesen und Vorannahmen
Beim alltäglichen Blick in die deutsche Gesellschaft fällt auf, dass Jugendliche und junge Menschen zunehmend technische Geräte wie Smartphone, Laptop, oder Tablet-PC nutzen. Sie bewegen sich mit Ohrstöpseln in Fußgängerzonen und nutzen in ihrem Jargon viele neue Begriffe wir „chatten“, „surfen“, „tracken“ und viele andere mehr. Man findet sie bei YouTube, Facebook oder Pinterest. Doch bedeutet dies, dass ausschließlich junge Menschen Technik zur Unterstützung ihrer Bedürfnisse nach Mobilität, Sicherheit oder Kommunikation nutzen? Auch ältere Menschen nutzen Technik – vielleicht andere und vielleicht auch anders. Natürlich lässt sich nicht bestreiten, dass die technische Entwicklung der letzten Jahre und Jahrzehnte komplexere Geräte hervorbrachte, die zahlreiche Möglichkeiten in sich vereinen, aber von dieser Komplexität auf eine – vielleicht kognitiv bedingte – Unfähigkeit älterer Menschen zu schließen, was dazu führt, dass diese Technik nicht genutzt wird, erscheint höchst zweifelhaft. Das hieße letztlich, dass junge Menschen intelligenter wären und ältere die Technik nicht verstehen. Da anzunehmen ist, dass sich die Intelligenz der Menschheit in den letzten Jahrzehnten nicht maßgeblich steigerte müssen andere Gründe vorliegen. Es ist vielmehr anzunehmen, dass ältere Menschen Technik anders nutzen und andere Anforderungen an diese stellen. Auch könnte es daran liegen, dass ältere Menschen im Umgang mit Technik zunächst anders sozialisiert wurden, was sich bei vielen bis heute niederschlägt.
3 Ambient Assisted Living (AAL)
Um sich dem Begriff Ambient Assisted Living (AAL) anzunähern bedient sich die einschlägige Literatur der sogenannten „engen Definition“ und der, auf eine bestimmte Zielgruppe fokussierten „erweiterten Definition“. (AAL 71 2013:7-8) Sowohl die erstere, die dem ursprünglichen Konzept des Ambient Assisted Living entspricht, als auch die erweiterte Definition, die heutzutage von Politik und Wirtschaft verwendet wird, soll im Folgenden vorgestellt werden.
3.1 Enge Definition
Die enge Definition umfasst die „generelle Anwendung technischer Assistenzsysteme“ (AAL 71 2013:7) und übersetzt die Begrifflichkeit Ambient Assisted Living aus dem Englischen mit „umgebungsgestütztes / umgebungsunterstütztes Leben“. Es ergibt sich somit ein „Leben in einer Umgebung, die mit Assistenzfunktionen ausgestattet ist, eine sogenannte ‚intelligente Umgebung‘“. (AAL 71 2013:7) Die DIN SPEC 91280 (2012:5) verwendet den Begriff „Technikunterstütztes Leben“ und definiert AAL als „Konzepte, Produkte und Dienstleistungen, die neue Technologien und soziales Umfeld miteinander verbinden und verbessern mit dem Ziel, die Lebensqualität für Menschen in allen Lebensabschnitten zu erhöhen.“ Als AAL- System wird ein „reaktives, vernetztes technisches System, das mit der Umgebung interagiert, mit dem Ziel, die Lebensqualität zu erhöhen“ (DIN SPEC 91280 2012:5) verstanden. Interessanterweise werden auch Dienstleistungen in das AAL mit einbezogen und definiert als „immaterielles Produkt, welches das Ergebnis wenigstens einer Aktivität ist, die an der Schnittstelle zwischen Anbieter und Kunden durchgeführt wird.“ (DIN SPEC 91280 2012:5) Den Begriff „Assistenzsystem“ definiert die Norm dabei als „technisches Hilfsmittel, das einen Nutzer direkt oder indirekt bei der Ausführung einer Handlung unterstützt“ (DIN SPEC 91280 2012:5) wodurch auch implantierte Assistenzsysteme möglicherweise angesprochen werden könnten. Im Rahmen der engen Definition ist es dabei unerheblich, welche Personengruppen die Assistenzfunktionen in Anspruch nehmen. Die Nutzung ist für jeden Menschen denkbar, der mittels einer intelligenten (häuslichen oder öffentlichen Umgebung seine Lebensqualität steigern möchte. Die intelligente Umgebung soll „gewisse Bedürfnisse […] erfüllen und […] in bestimmten Alltagssituationen Unterstützung anbieten völlig unabhängig davon, um welche Art von Bedürfnissen es sich dabei handelt.“ (AAL 71 2013:8) So adressiert auch die Version 2 der VDE-Roadmap aus dem Jahre 2014 AAL als alters- und umgebungsunabhängig indem sie definiert:
„AAL bedeutet alltagsunterstützende Assistenz-Lösungen für jedes Alter und jede Umgebung, was bedeutet, dass eine Vielzahl beteiligter Partner aus verschiedenen medizinischen, technologischen, soziologischen und wirtschaftlichen Bereichen interagieren müssen.“ (VDE 2014:7)
Auch in einer VDE-Definition aus dem Jahre 2011 wird offen gelassen, ob es sich um alte und kranke Menschen handelt, aber auf Situationen von Ermüdung, Überforderung und Komplexität verwiesen. Durch die Implementierung des Zusatzes der „alltäglichen Handlungen“ kann AAL auch auf pflegebedürftige Menschen übertragen werden, was aber nicht zwingend notwendig ist und somit freigestellt wird.
Die Definition lautet wie folgt:
„Ambient Assisted Living“ (AAL) steht für Entwicklungen und Assistenzsysteme, die eine intelligente Umgebung gestalten. Durch diese Technikunterstützung werden Menschen vor allem in Situationen von Ermüdung, Überforderung und übergroßer Komplexität entlastet. Die Assistenzsysteme sollen den Anwender in seinen alltäglichen Handlungen bestmöglich und nahezu unmerklich unterstützen und ihm Kontroll- und Steuerleistungen abnehmen. Durch die technische Assistenz wird gerade der reife Mensch dazu befähigt, altersbedingte Einschränkungen weitgehend zu kompensieren.
(VDE 2011:3)
3.2 Erweiterte Definition
Der demographische Wandel und die daraus resultierenden Folgen für die Gesellschaft generierten eine erweiterte Definition des Ambient Assisted Living. In diese wird die enge Auffassung zwar inkludiert, sie beinhaltet jedoch eine Fokussierung auf die vorwiegende Zielgruppe. Nunmehr werden die Anforderungen, die sich aus dem demographischen Wandel an die Gesellschaft ergeben mit den neuen Möglichkeiten, die die fortschreitende Kommunikations- und Informationstechnologie der Gesellschaft bietet, verknüpft. Innerhalb der erweiterten Definition sollen technische Assistenzsysteme „dazu genutzt werden, insbesondere älteren Menschen im Alltag Hilfestellung zu leisten und somit den Grad ihrer Selbständigkeit und Lebensqualität zu erhöhen. (AAL 71 2013:8) Die von der Norm vorgegebene enge Definition wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung durch den Zusatz „Übersetzen könnte man AAL am besten mit ‚Altersgerechte Assistenzsysteme für ein gesundes und unabhängiges Leben‘“ erweitert. (BMBF 2008:1 zit. in Theussig 2012:19) Auch in seiner Definition aus dem Jahr 2012 bringt der Verband der Elektrotechnik (VDE) das neue Moment des alten und kranken Menschen ein indem er schreibt:
„Der Begriff Ambient Assisted Living (AAL) bezeichnet ein hybrides Systemmodell. Dieses basiert auf (1) einer technischen Basisinfrastruktur bestehend aus Sensoren, Aktoren und Kommunikationseinrichtungen im häuslichen Umfeld und (2) Service- und Dienstleistungen durch Dritte. Mit AAL-Systemen wird das Ziel verfolgt, alte und kranke Menschen ein selbständiges Leben im eigenen Wohnumfeld zu ermöglichen.“
(VDE 2012:14 zit. in Theussig 2012:20)
Damit wird umso mehr auf alte, kranke, hilfs- bzw. pflegebedürftige Menschen adressiert, eine Erweiterung der ursprünglichen Definition, die seitens der DIN im Jahre 2012 nicht vorgesehen war und dem tatsächlichen Potential des AAL auch nicht unbedingt gerecht wird. Noch deutlicher wird dieser Umstand beim VDE- Positionspapier „Intelligente Heimvernetzung“ aus dem Jahre 2010. Hier heißt es:
„‘Ambient Assisted Living‘ (AAL) steht für Entwicklungen und Assistenzsysteme, die eine intelligente Umgebung gestalten […]. Die oftmals personalisierten Assistenzsysteme beinhalten Erinnerungsfunktionen, z. B. zur Einnahme von Medikamenten, fordern zu Handlungen wie der Durchführung eines Bewegungsprogramms auf, trainieren kognitive Fähigkeiten zum Erhalt der geistigen Kapazität oder unterstützen die individuelle Mobilität. Durch die Technikunterstützung werden Menschen vor allem in Situationen von Ermüdung, Überforderung und übergroßer Komplexität entlastet. Die Assistenzsysteme sollen den Nutzer in seinen alltäglichen Handlungen bestmöglich und nahezu unmerklich unterstützen und ihm Kontroll- und Steuerleistungen abnehmen. Altersbedingte Einschränkungen können dadurch kompensiert werden und der ältere Mensch kann länger ein selbstbestimmtes Leben führen, das auch die Pflegesysteme entlasten kann.“
(VDE 2010:7)
Für die weiteren Ausführungen wird sich der engen Definition der DIN SPEC 91280 (2012:5) angeschlossen und für den Einsatzbereich an älteren Menschen, also der erweiterten Definition, der Begriff „Gerontechnologie“ verwendet.
4 Gerontechnologie (GT)
Noch recht unvertraut ist der Begriff „Gerontechnologie“ und beim ersten hinhören denkt man zu Recht zunächst an Gerontologie. Je nach Publikation oder Fachgesellschaft finden sich synonym die Begriffe „Gerotechnik“, „Gero-Technik“,„Gerontotechnik“, „Gerontotechnologie“, der hier verwendete Begriff „Gerontechnologie“ oder die englischsprachige Variante „Gerontechnology“. Allen gemein ist, dass es sich um ein Portmanteauwort (Kofferwort) handelt und aus den beiden Begriffen géron (altgriechisch γέρων) für „Greis“ und technologia (altgriechisch τεχνολογία) für „Technologie“ (was ebenfalls ein Kofferwort aus altgr. τέχνη (technē) für „Kunst“, „Handwerk“ und altgr. λόγος (logos) für „Wort“, „Leh- re“, „Wissenschaft“ ist) zusammensetzt. Gerontechnologie kann somit zum einen frei übersetzt „Technik / Technologie für ältere / alte Menschen“ oder auch die „Lehre / Wissenschaft von der Technologie für alte Menschen“ bedeuten – und beide Bedeutungen finden sich auch in der Fachliteratur. Als erster brachte Jan Graafmans (Eindhoven University of Technology) (Graafmans, Taipale & Charness 1998) den Begriff in die Diskussion um die Ausgestaltung und Nutzung von Technik durch ältere Menschen ein. (Misoch 2016:54) „Das Forschungsfeld der Gerontechnologien untersucht das Zusammenwirken zweier gesellschaftlicher Metatendenzen: dem demografischen Wandel […] und der Dynamik der Technikentwicklung“ fasst Misoch (2016:54) die Aufgabe kurz zusammen. Die Deutsche Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie e. V., konkretisiert was unter – sie verwenden den Begriff
„Gero-Technologie“ – zu verstehen ist.
„Wir verstehen […] unter Gero-Technologien technische Produkte und Systeme, die das Ziel haben, die Lebensqualität im höheren Alter zu erhöhen und ein möglichst unabhängiges, gesundes und zufriedenes Leben im Alter zu fördern. Gero-Technologie umfasst u. a. technische Lösungen für den Haushalts- und Wohnbereich und bietet oftmals Personen mit Funktionseinbußen neue Handlungs- und Erlebnismöglichkeiten.“
(Wahl 2016:2)
Inzwischen wird dabei unter Steigerung der Lebensqualität auch Unterhaltung und Anregung verstanden, was auch einer ganzheitlicheren Sichtweise auf das menschliche Leben entspricht und in mehreren Pflegemodellen abgebildet wird. Es werden nunmehr auch „Technologien [inkludiert], die der Unterhaltung und Anregung dienen, die Informationssuche […] unterstützen [und] Stimmung und Wohlbefinden beeinflussen […].“ (Wahl 2016:2-3)
Zusammenfassend werden drei Ansätze verfolgt um das Alltagsleben älterer Menschen zu erleichtern:
- Designlösungen zur Erleichterung der Handhabung von Alltagsgeräten oder Werkzeugen. Hier kommen beispielsweise besonders angepasste Griffe oder optimierte Hebelwirkungen in Betracht.
- Entwicklung und Produktion von Hightech-Produkten bei typischen Problemen im Alter.
- Systemische Optimierung von Wohnraum und Wohnumfeld, so dass eine Nutzung dem veränderten Anforderungsprofil entsprechend erfolgen kann.
(PflegeWiki 2017:1)
4.1 Historische Entwicklung
Die Gerontologie der 1950er und 1960er Jahre war eher von einem Defizitbild des Alters geprägt. Wahl & Tesch-Römer (2000:4) diagnostizierten erst ab den 1970er und 1980er Jahren einen Gesinnungswandel „hin zu einem Interventionskult, der auf der Hoffnung beruhte, die Funktionseinbußen des Alters vermeiden oder sogar rückgängig machen zu können.“ (Wolter 2006:15) Die Folge war, dass die Alternsprozesse nun in einen Kontext der Abhängigkeit von der jeweiligen Umwelt des Menschen gesetzt wurden. Indem die Umweltparameter verändert werden, sah man auch die Möglichkeit gegeben, Alternsprozesse positiv beeinflussen zu können Der Mensch steht demnach in Interaktion mit seiner Umwelt und bildet durch Wechselwirkungen mit dieser ein System. (Wolter 2006:15-16) Innerhalb dieses Systems kann das Resultat durch drei Möglichkeiten optimiert werden: Durch Anpassung der Voraussetzungen der Person an die Umweltbedingungen, durch Anpassung der Umweltbedingungen an die individuellen Voraussetzungen oder durch beides. (Fozard et al. 2000, 335). Geprägt wurde diese Perspektive maßgeblich durch Lawton & Nahemow (1973) und ihrer Docility-These. Diese besagt: Je geringer die Kompetenz einer Person, desto stärker wirken sich Umwelteinflüsse auf sie aus bzw. desto schlechter ist auch die Anpassungsfähigkeit an Umweltbedingungen. Unter der „Kompetenz einer Person“ sind Faktoren wie die biologische Gesundheit, sensorisch-motorische Funktionsfähigkeit, kognitive Fähigkeiten sowie Stärke des Selbstbewusstseins subsummiert. (Lawton 1980, 14).
„Trotz der allgemeinen Tendenz, verstärkt die Umweltbedingungen des Alters zu betrachten, wurde vor 1990 in Deutschland noch kaum Aufmerksamkeit auf das Gebiet Alter und Technik gerichtet.“ (Wolter 2006:16)
Erst Anfang der 1990er Jahre entwickelte sich Gerontechnologie als eine neue, international ausgerichtete Forschungsperspektive und lieferte hauptsächlich in der ersten Hälfte der 1990er Jahre wichtige Forschungsimpulse. Die Gerontechnologie war Triebfeder für internationale Kongresse und die Durchführung international angelegter Forschungsprojekte. Schließlich kam es zur Gründung der International Society of Gerontechnology (ISG) und seit 1997 zur Herausgabe der Zeitschrift Gerontechnology. Bouma (1992:1) definierte Gerontotechnik als „the study of technology and aging for the improvement of the daily functioning of the elderly“ und Fozard (2002:76) formulierte etwas allgemeiner „Gerontechnology is engineering and technology for the benefit of aging and aged individuals.“ Hervorgegangen aus den Technikwissenschaften, ging Gerontechnology nun explizit der Frage einer „nutzerfreundlichen Entwicklung und Gestaltung technischer Geräte unter besonderer Berücksichtigung der Kompetenzen und ergonomischer Voraussetzungen der Älteren“ nach. (Pelizäus-Hoffmeister 2013:66) Für Pieper (2002:2) galt Gerontotechnik als ein neues Forschungsparadigma, welches „a strong normative dimension and the flavor of a ‚philosophie‘“ beinhaltete. Gerontechnologie wurde dabei zu einem multidiziplinär ausgerichteten Forschungsfeld in dem Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen wie auch Designer, Hersteller und Experten aus den Sozialwissenschaften in den Entwicklungsprozess integriert wurden. Bereits damals entwickelte sich die Einsicht, dass „nur eine Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Disziplinen zum Erfolg bzw. zum Integrieren der Technik in den Alltag Älterer führen kann.“ (Wolter 2006:17 zit. in Pelizäus-Hoffmeister 2013:66) Obwohl natürlich in all diesen Disziplinen bereits Wissen zu Alter und Technik vorhanden war, fehlte bis dato die Integration dieser Kenntnisse in einen größeren Kontext. Die angestrebte Integration muss und musste sich durch „Forschung, Entwicklung, Design, Marketing sowie durch politische und wirtschaftliche Ziele“ (Wolter 2006:18) ziehen, wobei ein Grundproblem zunächst war, dass kaum empirische Daten zur Lebenssituation älterer Menschen vorlagen. Bouma (1992:3-4) berichtet daher, dass eine zentrale Forderung daher darin bestand, wirtschaftliche und soziale Hintergründe älterer Menschen und deren Einfluss auf Technikakzeptanz zu untersuchen. „Der Anspruch der noch jungen Gerontechnology war also, zunächst eine stabile Datengrundlage zu schaffen, auf der die weitere Forschung aufbauen kann.“ (Wolter 2006:18) Die folgende Abbildung zeigt Faktoren, die die damalige Gerontechnologie betrafen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Einflussfaktoren auf die in den 1990er Jahren entstehende Gerontechnologie (Wolter 2006:18)
Die Geschichte der Gerontechnologie der 1990er Jahre war zusammenfassend davon geprägt, einen konzeptionellen Rahmen zu entwickeln um die verschiedenen technisch und gerontologisch orientierten Forschungsdisziplinen mit dem Ziel miteinander zu verbinden, die allgemeinen technischen Fortschritte besser für die alternde Gesellschaft nutzbar zu machen. Weiterhin wurde eine internationale Sichtweise mit dem Ziel die Forschungen unterschiedlicher Länder besser aufeinander abzustimmen und so effizienter gestalten zu können, angestrebt. (Pelizäus-Hoffmeister 2013:66)
Im Verlauf der 1990er Jahre kam es nun, auch aufgrund allgemeiner technischer Entwicklungen, zu einer Ausweitung gerontechnischer Forschungsbemühungen. (Bouma 1998:93) „Insbesondere die Informations- und Kommunikationstechniken haben sich so fundamental weiterentwickelt, dass manche Autoren sogar von einer Informationsrevolution sprechen.“ (Pelizäus-Hoffmeister 2013:73 unter Bezug auf Castells (2001) Dieser Aspekt ist gut nachzuvollziehen, schreibt doch auch die FAU in ihren Unterlagen zum Modul 8 des Studiengangs MHBA, dass in […] der Vergangenheit […] unsere Haushalte verschiedene Entwicklungsstufen durchlaufen [haben]: Mechanisierung, Elektrifizierung und ‚Elektronisierung‘. Die nächste Entwicklungs-stufe soll nun mittels der Domotik die ‚Informatisierung‘ der Haushalte mit sich bringen.“ (AAL 71 2013:17-18) Placencia-Porrero (2007:125) argumentiert, dass die Gerontechnologie ihre Testphase beendet habe und nun von einer breiten Öffentlichkeit genutzt werden könne. Mit diesen Möglichkeiten stiegen ebenso die Einsatzmöglichkeiten der Gerontechnologie, was wiederum eine Expansion gerontechnischer Forschungsperspektiven und Forschungsschwerpunkte nach sich zog. Die Miniaturisierung von Computerbauteilen und aller anderen technischen Produkte, der rasante Fortschritt inklusive der Entwicklung „smarter Technik“, die Miniaturisierung von Robotern sowie Fortschritte innerhalb der Biotechnologie waren weitere Schübe, die die Gerontechnologie vorantrieben. (Bouma 1998:95) Letztlich zeigte die politische Ebene vieler Länder eine zunehmende Motivation das Thema Alter und Technik finanziell zu unterstützen. So finanzierte in Europa die Europäische Kommission ab dem Jahre 1998 drei Jahre lang das Ausbildungsnetzwerk GENIE (Gerontechnology Education Network In Europa). (ISG 1999 zit. in Pelizäus-Hoffmeister 2013:74)
Seit den 2000er Jahren betrachtet sich Gerontechnologie als gereifter Forschungsbereich. „In der inhaltlichen Aufarbeitung der dritten Gerontechnology- Konferenz wurden vier Bereiche behandelt, die auf einen wesentlich reflektierteren Umgang mit dem Thema Technik und Alter schließen lassen als noch zehn Jahre zuvor.“ (Wolter 2006:53)
Es sind dies die Bereiche:
- generelle Betrachtungen, Design und Methodisches
- physiologische, psychologische und medizinische Fragen
- Technologie
- soziale Umwelt
(Pieper, Vaarama & Fozard 2002)
Wolter (2006:53) weist darauf hin, dass nunmehr forciert soziale Aspekte betrachtet werden. Zwar waren in der Retrospektive betrachtet in der Entwicklung der Gerontechnologie viele Disziplinen beteiligt, dennoch konnte noch von keiner wirklichen Interdisziplinität gesprochen werden. Des Weiteren wurden wichtige Fragestellungen und Trends identifiziert sowie erste Designrichtlinien spezifiziert. Auch wurden neue Fragestellungen wie beispielsweise zu Thematik der zunehmen- den Demenzerkrankungen bei älteren Menschen oder auch zur Ethik in die Gerontechnologie aufgenommen. Die Funktion der Senioren als Nutzer und „Konsumenten“ der Gerontechnologie wurden stärker in den Fokus gerückt und eine gleichzeitige Verbindung zu Wohlfahrtsstaat und Sozial- bzw. Gesundheitspolitik hergestellt. (Wolter 2006:53)
Heute scheint nach Ansicht der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie e. V. (DGGG) klar zu sein, dass „sich die Forschungsthematik der Gero-Technologie (auch) in der internationalen und deutschen Gerontologie zunehmend etabliert hat und zunehmend wissenschaftliche und anwendungs- bezogene ‚Ausstrahlung‘ sucht und findet.“ (Wahl 2016:4)
„Gero-Technologie-Forschung findet in Deutschland in starkem Maße an Universitäten statt (ca. 35%), gefolgt von Fraunhofer Instituten (ca. 21%), (Fach)-Hochschulen (ca. 18%) und Technischen Universitäten (ca. 10%; Sonstige 16%). Der sehr deutliche Anstieg an technikaffinen Forschungsprojekten hat nicht zuletzt auch mit dem seit etwa dem Jahr 2000 sehr starken Anstieg an öffentlichen (und privaten) Förderaktivitäten zu tun. Nach den Ergebnissen der Expertise werden derzeit etwa 46% aller Projekte aus Bundesmitteln gefördert, wobei ca. 42% auf das Bundesministerium für Bildung und Forschung entfallen.“
(Wahl 2016:5)
Doch auch kritische Worte schlägt die DGGG an indem sie mahnt, dass die Nutzung der Gerontechnologie derzeit noch stark durch Schichtindikatoren geprägt ist.
„Eingesetzt werden verfügbare Gero-Technologien primär von gebildeten älteren Menschen. Der Faktor Bildung schlägt bislang in praktisch allen Studien zu ‚Usern‘ und ‚Non-Usern‘ durch, vor allem im Bereich der Informations- und Kommunikations- technologien. Stichproben in Gero-Technologie-Forschungsprojekten sind aus diesen Gründen oftmals stark hin zu privilegierten Gruppen verzerrt. Kognitiv beeinträchtigte und sonstige Gruppen von vulnerablen älteren Menschen kommen ferner insgesamt noch zu selten in Gero-Technologie-Studien vor.“
(Wahl et al. 2010 zit. in Wahl 2016:10)
Wahl (2016:11) erscheint auch der Reifegrad der „Gero-Technologie-Forschung“ noch nicht weit genug fortgeschritten, was „angesichts des jungen Alters des Gebiets auch gar nicht anders möglich ist.“ Eine systematische kritische Reflexion der Gerontechnologie sowie ihres theoretischen, methodischen und empirischen Status, sieht Wahl (2016:11) ebenfalls erst als ansatzweise realisiert.
So bedarf die Gerontechnologie für die Zukunft eine weitere intensive Diskussion und Reflexion. „Interdisziplinäre Synergien sind grundsätzlich als sehr hoch und innovativ […] zu bewerten; sie müssen weiter ausgestaltet und befördert werden“ fordert Wahl (2016:11) Auch bedeutet Gerontechnologie zukünftig eine weitere Chance zur Erhöhung der Lebensqualität ältere und alternder Menschen – die sich häufig in sehr stark unterschiedlichen Lebenslagen und gesundheitlichen Konstellationen befinden – und auch ihren (pflegenden) Angehörigen. (Wahl 2016:12) Mahnend und kritisierend weist Hans-Werner Wahl auch daraufhin, dass es nicht angehen könne, dass „die meisten Älteren sowie pflegende Angehörige über einen sehr schlechten Informationsstand im Hinblick auf die Möglichkeiten der Gero-Technologien und entsprechender Zugangs- und letztlich Kaufmöglichkeiten verfügen. Gero-Technologie kann nur dann in der Zukunft eine bedeutsame Wirkung entfalten, wenn sie angenommen wird und in die Fläche des Älterwerdens ausstrahlt.“
(Wahl 2016:12-13)
Als ein großes Thema für die Zukunft sieht Hans-Werner Wahl daher eine stärkere Verzahnung zwischen Pflege und Gerontechnologie und fordert, dass durch den Einsatz der Technik in unterschiedlichen Pflegesettings Pflegende, Gepflegte und Angehörige entlastet werden ohne, dass eine Entmenschlichung der Pflege stattfindet. (Wahl 2016:13)
4.2 Anwendungs- und Forschungsbereiche
Bedingt durch die Folgen des demographischen Wandels in Deutschland und der damit zunehmenden Nachfrage nach Pflege- und Betreuungsleistungen einerseits, der sich aktuell aber abzeichnenden abnehmenden personellen Ressourcen im Be- reich der Pflege und Gesundheitsversorgung andererseits, werden zunehmend auch komplexe Angebote der Gerontechnologie unter Anwendung von Ambient Assisted Living diskutiert. Hierdurch soll ein längeres autonomes und selbständiges Leben in der eigenen Wohnung und dem vertrauten Wohnumfeld realisiert werden. Auch können so vorhandene Ressourcen genutzt und soziale Beziehungen aufrecht- erhalten werden. Die folgende Abbildung veranschaulicht Anwendungs- und im Zusammenhang folglich auch mögliche Forschungsbereiche einer heutigen und zukünftigen Gerontechnologie.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Anwendungsbereiche der Gerontechnologie (Misoch 2016:55)
Zunächst stellt mittels o. g. Abbildung Misoch (2016:55) die Anwendungsbereiche der Gerontechnologie heraus. Diese stehen natürlich meist nicht isoliert für sich sondern finden sich eher in einer Verzahnung untereinander. So subsumiert auch Misoch (2016:55) zum Teil mehrere Aspekte unter einem Forschungsbereich und nennt für die Gerontechnologie folgende:
- Transporttechniken zur Erhaltung von Mobilität (1, 2, 5,8)
- Techniken, die der Gesundheitsförderung dienen (1, 5, 6, 8)
- Kommunikationstechnologien zur Pflege sozialer Kontakte, zur Informations- suche, zur Unterstützung oder zum Training kognitiver Fertigkeiten (1, 2, 3, 5)
- Haushalts- und Gebäudetechniken (2, 4, 5, 7, 8)
- Assistive Systeme oder Technologien, welche die Kompensation sensorischer, kognitiver oder physischer Einbußen erlauben (2, 4, 5, 7, 8)
- Robotertechnologie (2, 4, 7)
(Misoch 2016:55)
Anzumerken ist in diesem Zusammenhang noch, dass im Englischen zwischen zwei Bedeutungen des Begriffs „Sicherheit“ (4) unterschieden wird. Es handelt sich dabei um die Begriffe „Safety“ und „Security“. „Safety“ bezeichnet dabei die Sicherheit vor allgemeinen Gefahren wie beispielsweise Unfällen im häuslichen Setting. Solchen Risiken kann beispielsweise durch strukturelle Veränderungen im häuslichen Bereich begegnet werden. (AAL 71 2013:13) Altersgerechte Umbauten B. des Badezimmers um potentielle Unfälle zu vermeiden zählen hier ebenfalls dazu wie Systeme, die das automatische Ausleuchten nächtlicher Wege mithilfe von Bewegungssensoren ermöglichen. „Unfallerkennung können dagegen intelligente Notrufsysteme wie […] druckempfindliche, vernetzte Bodenmatten oder Aktivitätssensoren in Armbanduhren leisten.“ (AAL 71 2013:13) Demgegenüber beschreibt „Security“ Sicherheit vor mutwilligen Angriffen. „Sicherheit in diesem Sinne bieten Systeme der Zugangsberechtigung zu Gebäuden oder Bewegungs- und Präsenzmelder und deren Vernetzung mit externen Sicherheitsunternehmen.“ (AAL 71 2013:13) Gerontechnologie inkludiert dabei beide Sichtweisen auf Sicherheit und stellt hier Angebote zur Verfügung.
Nach Regnier & Pynoos (1992) werden zur Realisierung der gerontechnischen Anwendungen dabei Technologien auf drei unterschiedlichen Komplexitätsebenen unterschieden:
- Low technology
- (Diese Ebene umfasst alle einfachen Gerontechnologien wie Haltegriffe oder Haltestangen)
- Mid-level technology
- (Hierunter werden Produkte verstanden, die bereits existieren und die an Anforderungen älterer Menschen angepasst werden. Beispielsweise Küchen oder Rollstühle sind hier zu nennen.)
- High level technology
- (Robotertechniken, AAL sowie alle Anwendungen, die komplex und vernetzt sind wie z. B. intelligente Notrufsysteme.)
(Regnier & Pynoos 1992 zit. in Misoch 2016:55)
4.3 Positionen und Priorisierungen
Innerhalb des Positionspapiers „Gero-Technologie“ der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie e. V. führt Prof. Dr. Hans-Werner Wahl (Universität Heidelberg) mehrseitig aus, welche Positionen Gerontechnologie einnimmt bzw. einnehmen muss und priorisiert diese. Er beschreibt dabei acht Themenfelder, auf die nachfolgend eingegangen wird.
Um zunächst einen Überblick über diese Themenfelder zu erhalten, sollen sie hier zunächst genannt werden:
- Gerontechnologie stärkt das Alter und die Altersforschung
- Gerontechnologie braucht die Gerontologie und vice versa
- Gerontologie und wissenschaftliche Gesellschaften der Gerontologie wollen und müssen die weitere Entwicklung der Gerontechnologie aktiv mitgestalten
- Gerontechnologie ist bedeutsam für das normale und kranke Altern und für erfolgreiches Altern insgesamt
- Gerontechnologie bietet der Gerontologie eine signifikante Erweiterung ihrer Nachwuchsfördermöglichkeiten
- Gerontechnologie braucht den Austausch wichtiger Akteure
- Zur weiteren Entwicklung des Feldes der Gerontechnologie ist auch die Auseinandersetzung mit ethischen Fragestellungen sehr bedeutsam
- Gerontechnologie sollte in wissenschaftlichen Gesellschaften der Gerontologie stark präsent sein
(Wahl 2016:18-22)
Gerontechnologie stärkt das Alter und die Altersforschung
Auf dem Gebiet der Gerontechnologie sieht Wahl (2016:18) eine Reihe von Potentia- len zur Steigerung der Lebensqualität älterer Menschen und nicht nur heute, sondern wie er betont, erst recht morgen. „Diese liegen in unterschiedlichen Domänen wie Selbständigkeits- und Mobilitätserhalt, Förderung von Kommunikation und soziale Partizipation, der Gesundheitsförderung insgesamt sowie der Früherkennung von Risiken […] [und] der Anregung.“ (Wahl 2016:18) Auch Prozesse zur sozialen Einbindung, Stabilisierung des Wohlbefindens bzw. Förderung des Persönlichkeitswachstums können hier genannt werden. Er betont abschließend, dass die Kompetenz unbekannte Technologie nutzen zu können zu einem erhöhten Gefühl der Selbstwirksamkeit und dem Erleben der Teilhabe an gesellschaftlichen Innovations-prozessen führt. „Die alles dürfte das Alter bzw. alte Menschen insgesamt als […] [eine] sehr wichtigen Gruppe weiter stärken“ resümiert Wahl (2016:18).
Gerontechnologie braucht die Gerontologie und vice versa
Gerontechnologie darf nicht als ein von Gerontologie losgelöstes Feld, welches ein Eigenleben führt, verstanden werden. Das Gegenteil ist und muss der Fall sein. Wahl (2016:18) sieht gerade in der kontinuierlichen und fortlaufenden Gestaltung des Umgangs älterer Menschen mit Technologien einschließlich der zugehörigen Forschung eine Notwendigkeit zur intensiven Korrespondenz mit gerontologischen Menschenbilderannahmen und Theorien herbeizuführen.
„Dies gilt für alle grundlegenden Facetten der […] [Gerontechnologie] wie etwa Formulierung von Zielen einer technikbasierten Studie, die Fokussierung von Bedürfnissen älterer Menschen durch Technologien, die Auswahl von zu untersuchenden Zielgruppen, die Begründung eines Tableaus von Konstrukten für die Messung jeweils bedeutsamer Endpunkte und Wirkungen sowie möglicherweise nicht beabsichtigter Nebenwirkungen und eine umfassende Interpretation der Ergebnisse.“
(Wahl 2016:18-19)
Doch auch die Gerontologie bedarf der Gerontechnologie da diese ein Feld erkannt und besetzt hat, welches für die Altersforschung ein wichtiges Thema aufgrund der zunehmenden Bedeutung der Technik und deren Einsatz in allen Lebensbereichen – auch älterer Menschen – darstellt. Die „Liaison“ zwischen Gerontechnologie und Gerontologie unterstütze, so Wahl (2016:19), schließlich auch „die gesellschaftliche Bedeutung der Altersforschung, die sich auf diesem Wege auch einer zentralen gesellschaftlich-politischen Herausforderung, nämlich der Gestaltung des sich immer stärker beschleunigenden Übergangs zu einer Informationsgesellschaft“ stelle.
Gerontologie und wissenschaftliche Gesellschaften der Gerontologie wollen und müssen die weitere Entwicklung der Gerontechnologie aktiv mitgestalten Natürlich hängt dieser Aspekt mit dem vorhergehenden eng zusammen. Gerontologie und gerontologische Gesellschaften wünscht sich Prof. Wahl in die Ausgestaltung wesentlicher Prozesse der Gerontechnologie eingebunden, da er hier einen Gestaltungs- und Mitwirkungsauftrag sieht. Eine möglichst ausführliche und aktuelle Dokumentation der innerhalb der Gerontechnologie vorliegenden Projekte und Aktivitäten ist dabei eine wichtige Grundlage. (Wahl 2016:20)
Gerontechnologie ist bedeutsam für das normale und kranke Altern und für erfolgreiches Altern insgesamt Wahl (2016:20) sieht Gerontechnologie als Herausforderung und Chance für das Alter da ältere Menschen in starkem Maße von der Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) betroffen sind. Auch gilt dies für viele Anwendungen der Gerontechnologie beispielsweise im Sinne von Prävention und Gesundheitsförderung (technikgestützte Mobilitätstrainings, Sturzprävention, Smart-Home-Technologien). „Daneben ist es allerdings auch klar, dass […] [Gerontechnologie] vielfältige Potenziale für unterschiedliche Gruppen von vulnerablen älteren Menschen bietet.“ (Wahl 2016:20) Hierbei adressiert Gerontechnologie nicht nur auf Menschen mit schweren körperlichen Funktionseinbußen sondern auch auf solche mit schweren kognitiven Einschränkungen. So besitzt Gerontechnolgie für alle Gruppen älterer Menschen etwas, das für die Alternsforschung und Anwendungsfragen wichtig ist. (Wahl 2016:20)
Gerontechnologie bietet der Gerontologie eine signifikante Erweiterung ihrer Nachwuchsfördermöglichkeiten Forschungen zur Gerontechnologie werden seitens der Gerontologie als ein„vielversprechendes, synergetisches und innovatives Reservoir für die gerontologische Nachwuchsarbeit“ (Wahl 2016:21) angesehen. Wahl (2016:21) beklagt allerdings, dass es bisher nur wenige Ansätze gäbe, dieses Reservoir entsprechend auszubauen und systematisch zu entwickeln, weshalb er es für gerontologische Gesellschaften wie dem DGGG als Zukunftsaufgabe erachtet. Auch müssten Studiengänge dieser bedeutsamen Zukunftsaufgabe gerecht werden.
Gerontechnologie braucht den Austausch wichtiger Akteure Für die weitere Fortentwicklung der Gerontechnologie ist es notwendig, den Austausch der Akteure in diesem Feld systematisch auszubauen und zu pflegen. Hier sieht Wahl (2016:21) vor allem den Kontakt mit einschlägigen Forschungszentren und –einrichtungen, Ministerien, wissenschaftlichen Gesellschaften sowie der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) als Aufgabe. Aber auch die Wirtschaft muss einbezogen werden, damit Gerontechnologie mittelfristig in einem finanziell akzeptablen Rahmen am Markt breitgefächert verfügbar“ (Wahl 2016:21) ist. „Schließlich sind auch Bildungsträger unterschiedlicher Couleur einzubeziehen, um Bildungs- und Trainingsprozesse in Bezug auf […] [Gerontechnologie] für Ältere und pflegende Angehörige weiter zu befördern.“ (Wahl 2016:21)
Zur weiteren Entwicklung des Feldes der Gerontechnologie ist auch die Auseinandersetzung mit ethischen Fragestellungen sehr bedeutsam Die ethischen Fragen erachtet Wahl (2016:22) als überaus wichtig und ruft auf, diese beim Einsatz von Technik bei alten Menschen stets im Auge zu behalten. Er sieht dies nur dann als gewährleistet an, wenn entsprechende Expertise, beispielsweise aus der Philosophie explizit einbezogen wird. Auch mahnt Wahl (2016:22) an, dass sich „ethische Fragen in Bezug auf unterschiedliche Gruppen von Älteren in sehr unterschiedlicher Weise stellen […].“
Gerontechnologie sollte in wissenschaftlichen Gesellschaften der Gerontologie stark präsent sein Da Gerontechnologie ein zentrales Zukunftsthema einer alternden Gesellschaft darstellt sollte diese Thematik auch in gerontologischen Gesellschaften sehr präg- nant repräsentiert werden. Für die DGGG denkt Wahl (2016:22) die baldmöglichste Gründung eines eigenen Arbeitskreises an, dessen „Aufgaben darin bestehen, die zukünftig notwendigen Aktivitäten und Herausforderungen zu bündeln und gezielt Diskussionen und Lösungsvorschlägen zuzuführen.“ Inzwischen ist diese Gründung als Arbeitskreis „Alter und Technik“ der DGGG im September 2016 erfolgt und nähere Informationen können auf der Internetseite (http://www.dggg-online.de/sektionen/sektionsuebergreifende-arbeitskreise/ak-alter-und-technik.html, geladen am 10.09.2017) abgerufen werden.
Unter der Rubrik „Ziele und Anliegen“ stellt der Arbeitskreis Alter und Technik folgende Ziele seiner Aktivitäten dar:
- Andauernde Reflexion der Thematik Alter und Technik und Erstellung von entsprechenden Stellungnahmen.
- Unterstützung und Förderung der Vernetzung von Akteuren im Bereich Alter und Technik, speziell der multidisziplinäre Einbezug, z.B. von IT-Designern und Ingenieuren sowie weiteren Experten/innen auf der Technikseite in die entsprechenden gerontologischen Diskussionen. Hierzu gehören auch Kontakte und Abstimmungen mit den gerontologischen Nachbargesellschaften in der Schweiz und Österreich,
- Durchführung von Workshops und Tagungen zum Thema Alter und Technik.
- Förderung und Verdichtung der laufenden Forschung in diesem Bereich in Deutschland (z.B. Organisation von Special Sections in der ZGG; Hans-Werner Wahl ist auch Herausgeber der ZGG für die Thematik Alter und Technik).
(DGGG 2017:1)
5 Adressaten
Unter dem Kapitel „Adressaten“ wird auf Zielgruppen des AAL bzw. der GT eingegangen. Der Begriff „Adressat“ meint eine Person oder Personengruppe, also jemanden, „an den etwas gerichtet ist, für den etwas bestimmt ist“ (Duden 2017:1) und ist daher zu unterscheiden vom „Kunden“ als dem tatsächlichen oder potentiellen Nachfrager auf dem Markt (Gabler 2017:1), der eine Ware oder Dienstleistung erhält und auch eine (finanzielle) Gegenleistung hierfür erbringt und dem „Nutzer“ oder „Benutzer“ (englisch auch „User“) der „ein Hilfs- oder Arbeitsmittel zur Erzielung eines Nutzens“ (Wikipedia 2017:1) einsetzt. Der Grund für diese Unterscheidung ist der Tatsache geschuldet, dass zum einen nicht jede angebotene AAL-/GT-Leistung, die auf ältere Menschen adressiert auch genutzt werden muss und zweitens, der tatsächliche Nutzer oder Anwender der Leistung nicht unbedingt Kunde im Sinne der Marktwirtschaft ist, also selbst bzw. von seinem Kapital eine entsprechende monetäre Gegenleistung erbringt. Kolhoff (2002) spricht von „nicht schlüssigen Tauschbeziehungen“ da die Leistungsempfänger nicht oder nur sehr selten die Zahler der Leistungen innerhalb der soziale Dienstleistungsproduktion sind.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4Leistungsdreieck (Kolhoff 2002:18)
So kommt zwischen dem Anbieter einer AAL-/GT-Leistung und dem Empfänger zunächst eine privatrechtliche Beziehung in Form eines Vertrages zustande. Basierend auf dieser Rechtsgrundlage wird eine Dienstleistung erbracht oder ein AAL-/GT-Produkt geliefert. Nun müsste der Leistungsempfänger ein Entgelt bezahlen, was unter Umständen jedoch aufgrund öffentlich-sozialrechtlicher Bestimmungen (SGB V, SGB XI) ein Kostenträger (Krankenkasse, Pflegeversicherung) übernimmt, was nach Kolhoff (2002) zu einem „Quasimarkt“ führt, in dem Konsumenten und Leistungszahler nicht identisch sind. Diese Überlegungen führen dazu, den Begriff „Adressat“ / „Adressaten“ zu favorisieren.
Theussig (2012:20) weist daraufhin, dass als Hauptzielgruppe meist ältere und kranke Menschen genannt werden. „Das ist jedoch etwas ungenau und auch zu kurz gegriffen, wenn man sich vor Augen hält, wer im Endeffekt […] betroffen sein wird.“ (Theussig 2012:20) Im Rahmen der Normungs-Roadmap des VDE (2012) lassen sich folgende Adressaten nennen:
- Personen, die durch den Einsatz von AAL-/GT-Produkten und Dienstleistungen einen unmittelbaren Zugewinn an Lebensqualität erwerben
- Personen, die durch den Einsatz von AAL-/GT-Produkten und Dienstleistungen am gepflegten oder betreuten Menschen eigene Ressourcen (Zeit, Aufwand, Kosten) sparen (pflegende Angehörige, Pflegepersonen, Pflegekräfte, sonstige Dienstleister)
(VDE 2012:25-26)
[...]
- Arbeit zitieren
- Horst Siegfried Kolb (Autor:in), 2018, Ambient Assisted Living (AAL) und Gerontechnologie (GT). Die Nutzung von Technik durch ältere Menschen und Senioren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/378650
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