Das wohl am höchsten zu gewichtende Schutzgut ist die Gewährung und Einhaltung von Menschenrechten. Besonders dem Menschenrecht der Gleichberechtigung wird ein hoher Stellenwert eingeräumt. Im Grundgesetz (GG) findet es besonders in Artikel 3 Abs. 3 in Verbindung mit dem Diskriminierungsverbot Beachtung. Demzufolge darf u.a. niemand aufgrund seiner Behinderung benachteiligt werden.
Ein Meilenstein für die Durchsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderungen ist die UN- Behindertenrechtskonvention (UN- BRK). Wie keine andere Menschenrechtsquelle hat die UN- BRK den öffentlichen Diskurs geprägt. Wie ein Lauffeuer hat sich die Erkenntnis verbreitet, dass die UN- BRK die Inklusion behinderter Kinder im deutschen Bildungssystem einfordert und Sonderwelten wie Förderschulen prinzipiell mit dem Geist der Konvention nicht vereinbar sind. Gleichwohl sind viele Fragen immer noch offen: Was verstehen wir unter Inklusion? Was ist Behindertendiskriminierung? Woher kommt die UN- BRK und welche Organe sind mit ihrer Umsetzung betraut? Welche Maßnahmen werden ergriffen, um die verfolgten Ziele umzusetzen? Welchen Einfluss hat die UN- BRK konkret auf das nationale Recht und wie erlangen Betroffene bei Verstößen gegen die Konvention Rechtschutz?
Insbesondere am Beispiel der Inklusion an Schulen sollen diese Fragen näher erörtert werden. Inklusion nimmt als gesellschaftliches Thema kontinuierlich an Bedeutung zu. Die Diskussionen um ein inklusives deutsches Schulsystem sind hochaktuell und in den Medien immer wieder präsent. Die dabei oftmals im Vordergrund stehende Frage ist, ob Eltern einen rechtlichen Anspruch auf einen Platz an einer Regelschule für ihr behindertes Kind haben.
Dies würde einen Paradigmenwechsel im deutschen Bildungssystem bedeuten, denn über Jahrzehnte wurden die traditionellen sozialen Dienstleistungen für Menschen mit Behinderung sowie ihre notwendige besondere Förderung in besonderen Einrichtungen organisiert. Und nun fordert die UN- BRK einen radikalen Wechsel: Behinderte Menschen sollen alle die Einrichtungen besuchen und Dienstleitungen in Anspruch nehmen können, die auch den nicht behinderten Menschen offenstehen und auch darauf einen Rechtsanspruch haben.
Ziel dieser Arbeit ist es, den bisher zurückgelegten Weg zur Inklusion in Deutschland an zwei Beispielbereichen nach zu skizzieren, die dabei aufgetretenen Problemfelder aufzudecken und darzulegen, welche Rechtsmittel Betroffenen bei Versagung ihrer Rechte zur Verfügung stehen.
2. Die UN- Behindertenrechtskonvention
2.7 Verpflichtungen der Vertragsstaaten
2.8 Überwachung der Umsetzungsverpflichtungen
2.8.1 Auf internationaler Ebene
3.2.1 Die Individualbeschwerde
3.2.2 Das Untersuchungsverfahren
4.1 Maßnahmen zur inklusiven Bildung
4.2 Maßnahmen zur Barrierefreiheit
4.2.5 Personenbeförderungsgesetz
5. Rechtsfolgen
5.1 Rechtsanspruch
5.2 Rechtschutz
5.3 Gerichtsentscheidungen
6. Fazit
Literaturverzeichnis
Anhänge
1. Einleitung
Das wohl am höchsten zu gewichtende Schutzgut ist die Gewährung und Einhaltung von Menschenrechten. Besonders dem Menschenrecht der Gleichberechtigung wird ein hoher Stellenwert eingeräumt. Im Grundgesetz (GG)[1] findet es besonders in Artikel 3 Abs. 3 in Verbindung mit dem Diskriminierungsverbot Beachtung. Demzufolge darf u.a. niemand aufgrund seiner Behinderung benachteiligt werden.
Ein Meilenstein für die Durchsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderungen ist die UN- Behindertenrechtskonvention (UN- BRK). Wie keine andere Menschenrechtsquelle hat die UN- BRK den öffentlichen Diskurs geprägt. Wie ein Lauffeuer hat sich die Erkenntnis verbreitet, dass die UN- BRK die Inklusion behinderter Kinder im deutschen Bildungssystem einfordert und Sonderwelten wie Förderschulen prinzipiell mit dem Geist der Konvention nicht vereinbar sind. Gleichwohl sind viele Fragen immer noch offen: Was verstehen wir unter Inklusion? Was ist Behindertendiskriminierung? Woher kommt die UN- BRK und welche Organe sind mit ihrer Umsetzung betraut? Welche Maßnahmen werden ergriffen, um die verfolgten Ziele umzusetzen? Und nicht zuletzt die Fragen, welchen Einfluss hat die UN- BRK konkret auf das nationale Recht und wie erlangen Betroffene bei Verstößen gegen die Konvention Rechtschutz?
Insbesondere am Beispiel der Inklusion an Schulen sollen diese Fragen näher erörtert werden. Inklusion nimmt als gesellschaftliches Thema kontinuierlich an Bedeutung zu. Die Diskussionen um ein inklusives deutsches Schulsystem sind hochaktuell und in den Medien immer wieder präsent. Die dabei oftmals im Vordergrund stehende Frage ist, ob Eltern einen rechtlichen Anspruch auf einen Platz an einer Regelschule für ihr behindertes Kind haben.
Dies würde einen Paradigmenwechsel im deutschen Bildungssystem bedeuten, denn über Jahrzehnte wurden die traditionellen sozialen Dienstleistungen für Menschen mit Behinderung sowie ihre notwendige besondere Förderung in besonderen Einrichtungen organisiert.[2] Mit den entsprechenden sozialgesetzlichen Rahmenbedingungen wurden dafür Sonderkindergärten, Sonderschulen, spezielle Werkstätten, Fahrdienste, Tagesförderstätten und spezielle Wohnheime für Menschen mit Behinderung geschaffen. Und nun fordert die UN- BRK einen radikalen Wechsel: Behinderte Menschen sollen alle die Einrichtungen besuchen und Dienstleitungen in Anspruch nehmen können, die auch den nicht behinderten Menschen offenstehen. Sie sollen die dafür notwendige Unterstützung an allen Orten und bei allen Diensten bekommen, und auch darauf einen Rechtsanspruch haben.[3]
Ziel dieser Arbeit ist es, auf den folgenden Seiten den bisher zurückgelegten Weg zur Inklusion in Deutschland an zwei Beispielbereichen nach zu skizzieren, die dabei aufgetretenen Problemfelder aufzudecken und darzulegen, welche Rechtsmittel Betroffenen bei Versagung ihrer Rechte zur Verfügung stehen.
2. Die UN- Behindertenrechtskonvention
2.1 Allgemeines
Bei der UN- BRK handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der mit Stand vom 16. Mai 2015 von 159 Staaten[4] sowie der Europäischen Union (EU) abgeschlossen wurde. Die UN- BRK ist eine von acht Menschenrechtsabkommen der Vereinten Nationen und wird auch „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ genannt, womit die allgemeinen Menschenrechte für die Lebenssituation behinderter Menschen konkretisiert werden. Der Originaltitel der Konvention lautet “Convention on the Rights of Persons with Disabilities” (CRPD).
An der offiziellen deutschen Übersetzung der UN- BRK waren neben Deutschland auch Liechtenstein, Österreich und die Schweiz beteiligt. Auf den Internetseiten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales gibt es sie auch in Gebärdensprache und als Sprachausgabe.[5] Zudem wurde eine Version in leicht verständlicher Sprache abgefasst[6]. Da nach Ansicht einiger Betroffener und deren Verbänden die offizielle Übersetzung der Originalfassung nicht nah genug kommt, wurde von ihnen eine sogenannte deutsche Schattenübersetzung der UN- BRK erstellt. In der Bewusstseinsbildung durch eine „korrekte“ Übersetzung läge ein essentieller Punkt, der bei der offiziellen Übersetzung nicht hinreichend bedacht worden sei.[7] Die Schattenübersetzung wurde vom Netzwerk Artikel 3 e.V. erstellt und ist vom Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen zusammen mit der offiziellen Übersetzung der UN- BRK veröffentlicht worden.[8] Rechtlich verbindlichen Charakter haben jedoch nur die Fassungen des Übereinkommens in den sechs UN- Sprachen Englisch, Französisch, Spanisch, Russisch, Chinesisch und Arabisch.[9]
Die Konvention wurde am 13. Dezember 2006 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York verabschiedet und ist am 03. Mai 2008 in Kraft getreten. Die Staaten haben den Vertrag zum Teil durch Ratifizierung, zum Teil durch Beitritt oder – wie im Fall der EU - durch formale Bestätigung abgeschlossen. Die Bundesrepublik Deutschland hat die UN- BRK am 30. März 2007 unterzeichnet,[10] woraufhin sie am 26. März 2009 (am dreißigsten Tag nach Hinterlegung der Ratifikationsurkunde gemäß Artikel 45 Absatz 2 UN- BRK) in Deutschland als einfaches Bundesgesetz in Kraft getreten ist.[11]
Welchen Zweck Menschenrechtskonventionen im Allgemeinen verfolgen, lässt sich sehr gut an folgendem Zitat verdeutlichen:
„Menschenrechtskonventionen dienen dem Empowerment der Menschen. Sie leisten dies, indem sie Ansprüche auf Selbstbestimmung, Diskriminierungsfreiheit und gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe formulieren, sie rechtsverbindlich verankern und mit möglichst wirksamen Durchsetzungsinstrumenten verknüpfen.“[12]
Unabdingbare Voraussetzung eines solchen Empowerment ist das Bewusstsein der Menschenwürde. In keiner Menschenrechtskonvention kommt dieser Ansatz so prägnant zum Tragen wie in der UN- BRK. Dabei sollen vor allem die Betroffenen in der Lage sein, ein Bewusstsein ihrer eigenen Würde auszubilden, letztlich richtet sich dieser Anspruch der Bewusstseinsbildung jedoch an die Gesellschaft im Ganzen.[13]
Das Hauptziel der UN- BRK ist neben der Bewusstseinsbildung, im engen Zusammenhang mit den anderen menschenrechtlichen Übereinkommen der Vereinten Nationen, die Chancengleichheit von Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft zu fördern[14] und Ihnen somit die gleichberechtigte Teilhabe und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Als Leitbild dient der Konvention dabei die sogenannte „Inklusion“. „Nicht der Mensch mit Behinderung muss sich anpassen, um dabei sein zu können, sondern wir müssen alle gesellschaftlichen Bereiche seinen Bedürfnissen entsprechend anpassen und öffnen.“[15] Die Forderung nach Inklusion ist demnach verwirklicht, wenn jeder Mensch in seiner Individualität von der Gemeinschaft akzeptiert wird und die Möglichkeit hat, in Gänze an ihr teilzuhaben.
Damit diese Ziele realisiert werden können, müssen sie ein rechtsverbindliches Fundament haben und mit möglichst wirksamen Durchsetzungsinstrumenten verbunden werden.[16] Die UN- BRK ist das erste universelle Rechtsinstrument, das bestehende Menschenrechte, bezogen auf die Lebenssituation behinderter Menschen, konkretisiert.[17] Die Vertragsstaaten werden dabei in die Pflicht genommen, die Umsetzung der Maßgaben zu garantieren und für sie einzustehen.
Darüber hinaus würdigt die UN- BRK „Behinderung als Teil der Vielfalt menschlichen Lebens und überwindet damit das noch in vielen Ländern vorherrschende defizitorientierte Verständnis.“[18] Demnach soll das Verständnis von Behinderung nicht von vornherein negativ behaftet sein und somit als Nachteil gesehen werden, sondern vielmehr als Bestandteil menschlicher Normalität.[19]
Die UN- BRK markiert damit behindertenpolitisch auf internationaler Ebene einen Paradigmenwechsel vom medizinischen zum menschenrechtlichen Modell von Behinderung. Während das medizinische Modell von Behinderung die körperliche, psychische oder kognitive Schädigung des Einzelnen in den Blick nimmt, ist das menschenrechtliche Modell von Behinderung auf die äußeren, gesellschaftlichen Bedingungen gerichtet, die behinderte Menschen aussondern und diskriminieren.[20] Das menschenrechtliche Modell von Behinderung basiert auf der Erkenntnis, dass die weltweite, desolate Lage behinderter Menschen weniger mit individuellen Beeinträchtigungen als vielmehr mit gesellschaftlich konstruierten Entrechtungen (gesundheitlich) beeinträchtigter Menschen zu erklären ist.[21] Mittlerweile gilt dieser rechtsbasierende Ansatz in der Behindertenpolitik als der offizielle Ansatz für die Behindertenpolitik in der Europäischen Union und in den Vereinten Nationen. [22]
2.2 Entstehungsgeschichte
Bis zum Inkrafttreten der UN- BRK am 03. Mai 2008 war es für die Beteiligten ein langer Weg. Schon mehrfach zuvor befassten sich die Vereinten Nationen mit dem Thema Menschenrechte und Behinderung, doch man konnte sich nicht auf einen gemeinsamen Vertrag einigen.[23]
In der einschlägigen Literatur gibt es eine Vielzahl von Abkommen und Übereinkünften, die als Vorläufer der UN- BRK bezeichnet werden. Als wichtigste Vorläufer der UN- BRK gelten hierbei:
Die Internationale Menschenrechtscharta
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte
Andere Übereinkünfte der Vereinten Nationen und der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO), die sich speziell mit Menschenrechten und Behinderung befassen
Erklärung über die Rechte der geistig behinderten Menschen (1971)
Erklärung über die Rechte der behinderten Menschen (1975)
Weltaktionsprogramm für behinderte Menschen (1982)
Leitlinien von Tallin für Maßnahmen zur Entwicklung der Humanressourcen im Bereich Behinderung (1990)
Grundsätze für den Schutz von psychisch Kranken und die Verbesserung der psychiatrischen Versorgung (1991)
Rahmenbestimmungen für die Herstellung der Chancengleichheit für behinderte Menschen (1993)[24]
Hervorgegangen ist die UN- BRK schließlich aus einem von der mexikanischen Regierung im Dezember 2001 an die UN-Generalversammlung gerichteten Antrag auf Einrichtung eines Ad- hoc- Ausschusses, „der sich mit den Vorschlägen für ein umfassendes und integriertes Übereinkommen zur Förderung und zum Schutz der Rechte und der Würde von Menschen mit Behinderungen befasst.“[25] Dieser Ad- hoc- Ausschuss wurde noch im Dezember 2001 von der UN- Generalversammlung eingesetzt und hat sich nach einem etwa vierjährigen Beratungsprozess von August 2002 bis Dezember 2006 auf den dann verabschiedeten Textvorschlag der UN- BRK verständigt.[26] An den Sitzungen des Ad- hoc- Ausschusses nahmen anfangs 80 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sowie 30 Nicht- Regierungsorganisationen, zum Ende hin sogar 120 Mitgliedstaaten und 469 Nicht- Regierungsorganisationen, teil. Auch Menschen mit Behinderungen haben, als Vertreter aus beiden Lagern, an den Sitzungen teilgenommen und dabei ihre Erfahrungen des Alltags in den Beratungsprozess mit eingebracht sowie ihre Vorstellungen und Visionen zum Thema geäußert. Die Beteiligung Betroffener am Entstehungsprozess nach dem Motto „nichts über uns ohne uns“ hat dazu geführt, dass die UN- BRK von ihnen als Instrument mit hoher Legitimation und nicht als „Papiertiger“ angesehen wird.[27]
Die UN- Generalversammlung nahm den Übereinkommensentwurf des Ad- hoc- Ausschuss schließlich am 13. Dezember 2006 einvernehmlich an und legte ihn am 30. März 2007 den Vertragsstaaten zur Unterzeichnung vor.
2.3 Hintergrund
Offiziellen Zahlen zufolge gibt es weltweit über 650 Millionen Menschen, die mit einer Behinderung leben. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation liegt die Zahl aufgrund der Dunkelziffer in den Entwicklungsländern sogar bei rund einer Milliarde Menschen, was einem Anteil von 15 % der Weltbevölkerung entspricht.[28] Diese Anzahl wird unter anderem durch das Anwachsen der Weltbevölkerung, den medizinischen Fortschritt und den demografischen Wandel in Zukunft signifikant und kontinuierlich weiter ansteigen.[29] Dabei gehören Menschen mit Behinderungen weltweit zu den am meisten gefährdeten Gruppen, wenn es um die Verletzung von Menschenrechten geht.[30] Benachteiligungen, Diskriminierungen und Misshandlungen sind für sie oftmals auch heute noch erschreckender Alltag.[31] Darüber hinaus gibt es weitere Grundrechte, die Menschen mit Behinderungen regelmäßig versagt werden. Dazu zählt das Recht, sich frei und ungehindert von einem Ort zum anderen zu bewegen, ein selbstbestimmtes Leben in der Gemeinschaft zu führen oder Arbeit zu finden, auch wenn sie hoch qualifiziert sind. Außerdem wird Ihnen das Recht verwehrt, Zugang zu Informationen zu haben, ihre politischen Rechte wie zum Beispiel ihr Wahlrecht auszuüben sowie ihre eigenen Entscheidungen zu treffen.[32]
Weltweit gibt es nach Schätzungen der Vereinten Nationen nur 40 Staaten – zumeist Industrienationen – die eine nationale behindertenpolitische Gesetzgebung haben. Weiteren Schätzungen zufolge gehören Menschen mit Behinderungen zum ärmsten Fünftel der Weltbevölkerung, besuchen 98 % der Kinder mit Behinderungen in den Entwicklungsländern keine Schule und leben in etwa 30 % der weltweit vorhandenen Straßenkinder mit Behinderungen. Der Alphabetisierungsgrad von Erwachsenen mit Behinderungen liegt bei nur 3 %.[33] Dies lässt den Schluss zu, dass zwischen Behinderung einerseits sowie Armut und sozialem Ausschluss andererseits in weiten Teilen der Welt ein unmittelbarer Zusammenhang besteht.
Augenscheinlich waren Menschen mit Behinderungen zwar schon vor der UN- BRK durch die rechtlich verbindlichen Menschenrechtsverträge der Vereinten Nationen vom System des Menschenrechtsschutzes erfasst, doch eine von den Vereinten Nationen in Auftrag gegebene Studie aus dem Jahr 2002 zeigte auf, dass die bereits bestehenden Menschenrechtsverträge Menschen mit Behinderungen nicht ausreichend schützen.[34] Der Studie zufolge würden Menschen mit Behinderungen bei der innerstaatlichen Umsetzung von Menschenrechtsverträgen nicht oder nur in sozial- bzw. gesundheitspolitischen Zusammenhängen berücksichtigt.
Diese Lücke wurde mit Formulierung der UN- BRK als Ergänzung zu den bereits bestehenden Menschenrechtsverträgen geschlossen. Die UN- BRK postuliert keine neuen Menschenrechte für Menschen mit Behinderungen, sondern „präzisiert die Verpflichtungen und Rechtspflichten der Staaten, den gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte durch alle Menschen mit Behinderungen zu achten und zu gewährleisten.“[35]
2.4 Inhalt
2.4.1 Aufbau
Die UN- BRK besteht neben der Präambel aus 50 Artikeln. Die Artikel sind aufgegliedert in den Allgemeinen Teil (Artikel 1- 9), den Besonderen Teil (Artikel 10- 30) und die Regelungen zur Durchführung und Überwachung (Artikel 31- 50).
Die UN- BRK enthält viele Richtlinien, die bereits grundlegende Teile der allgemeinen Menschenrechte sind, zum Beispiel das Recht auf Leben oder das Recht auf Freizügigkeit. Darüber hinaus enthält sie aber auch ganz spezielle Bestimmungen, die auf die Lebenssituation behinderter Menschen abgestimmt sind. Zudem stellt die UN- BRK die Pflichten des Staates heraus, die für Menschen mit Behinderungen bestehenden Menschenrechte zu gewährleisten.
In der Präambel wird der „Geist“ bzw. die „Philosophie“ der Konvention beschrieben. So wird zum Beispiel der Beitrag, den Menschen mit Behinderungen zum allgemeinen Wohl und zur Vielfalt ihrer Gemeinschaften leisten können, ausdrücklich anerkannt. Die Präambel ist rechtlich nicht verbindlich, kann aber gut zur Auslegung der Artikel herangezogen werden.
Der Allgemeine Teil enthält Bestimmungen, die für die Auslegung und Anwendung der UN- BRK insgesamt von Bedeutung sind, wie den Zweck, Definitionen und allgemeine Prinzipien. So wird in Artikel 1 Satz 2 beschrieben, wer im Sinne der Konvention zur Gruppe der Menschen mit Behinderungen gehört, nämlich „Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie […] an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern.“ Dabei handelt es sich nicht um eine Begriffsdefinition im rechtlichen Sinne, sondern um ein „weites und abstraktes Verständnis von Behinderung.“[36] Artikel 2 enthält Definitionen, die für die Auslegung und das Verständnis der entsprechenden Begriffe, zum Beispiel Sprache oder Diskriminierung, hilfreich sind.
Im Besonderen Teil der UN- BRK ist der „Katalog der Menschenrechte“ aufgeführt. Er umfasst das gesamte Spektrum menschlichen Lebens wie beispielsweise das Recht auf Leben nach Artikel 10 oder das Recht auf Bildung nach Artikel 24 der Konvention.
In den Regelungen zur Durchführung und Überwachung der UN- BRK sind die dazu nötigen nationalen und internationalen Gremien und Instrumentarien aufgeführt. Zentrales Gremium dieses internationalen Monitoring[37] ist der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, der in Artikel 34 der UN- BRK zu finden ist.
2.4.2 Eckpfeiler
Inhaltlich von wesentlicher Bedeutung und somit „Eckpfeiler“ der UN- BRK sind neben den allgemeinen Prinzipien besonders die Bewusstseinsbildung der Menschenwürde sowie die gleichberechtigte Teilhabe und Teilnahme an der Gesellschaft (die so genannte Inklusion).
2.4.2.1 Die allgemeinen Prinzipien
Die allgemeinen Prinzipien werden in Artikel 3 vorgestellt. Zu diesen zählen:
die Achtung der dem Menschen innewohnenden Würde, seiner individuellen Autonomie, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, sowie seiner Unabhängigkeit,
die Nichtdiskriminierung,
die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft,
die Achtung vor der Unterschiedlichkeit von Menschen mit Behinderungen und die Akzeptanz dieser Menschen als Teil der menschlichen Vielfalt und der Menschheit,
die Chancengleichheit,
die Zugänglichkeit,
die Gleichberechtigung von Mann und Frau,
die Achtung vor den sich entwickelnden Fähigkeiten von Kindern mit Behinderungen und die Achtung ihres Rechts auf Wahrung ihrer Identität.
Das allgemeine Prinzip der „Nichtdiskriminierung“ bildet das Herzstück der Konvention. Die Gewährung der Menschenrechte ohne Diskriminierung wegen einer Behinderung zieht sich durch den gesamten Text des Vertrags. Nach der weiten Definition von Behindertendiskriminierung aus Artikel 2 umfasst diese „alle Formen der Diskriminierung, einschließlich der Versagung angemessener Vorkehrungen“. Damit werden jegliche Formen von Diskriminierung erfasst, direkte und indirekte, aber auch das schlichte Nichtstun, wenn es eine Anpassungspflicht gibt.[38]
2.4.2.2 Bewusstseinsbildung der Menschenwürde
Ein zentraler Begriff der UN- BRK ist der Begriff der Menschenwürde, der sich an vielen Stellen wiederholt. Schon dies deutet auf seine Wichtigkeit hin. Ausdrücklicher als in anderen Menschenrechtskonventionen wird die Menschenwürde in der UN- BRK als Ziel der Bewusstseinsbildung gefordert.[39] Die Selbstachtung behinderter Menschen und ihre soziale Achtung sollen gestärkt werden. Dieser Anspruch richtet sich dabei nicht nur an die Betroffenen, sondern letztlich an die Gesellschaft im Ganzen.[40] „Insgesamt betrachtet solle durch gezielte Maßnahmen das Bewusstsein für Menschen mit Behinderungen geschärft, die Achtung ihrer Rechte und Würde sowie ihrer Fähigkeiten und ihres Beitrags für die Gesellschaft gefördert sowie Klischees, Vorurteile und nachteilige Faktoren bekämpft werden.[41]
Während diese mentalen Barrieren des Bewusstseins im Mittelpunkt von Artikel 8 stehen, zielt Artikel 9 im Wesentlichen auf das Bewusstsein einer barrierefreien gegenständlichen Umwelt. Zu diesen gesellschaftlichen Strukturen von Ausgrenzung und Diskriminierung zählen unter anderem Zugangs- und Partizipationshindernisse wie Stufen vor Restaurants für Rollstuhlfahrer-/ Innen[42], Ampeln ohne akustische Signale für Blinde Menschen[43] oder die getrennte Beschulung von Kindern mit und ohne sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf.
2.4.2.3 Inklusion
Der Begriff Inklusion[44] hat inzwischen Einzug in eine breite Öffentlichkeit gehalten und wird in Deutschland gegenwärtig insbesondere im Zusammenhang mit Reformen des Bildungssystems diskutiert. Die zunehmende Verbreitung des Inklusionsbegriffs lässt sich überwiegend auf die UN- BRK zurückführen.[45]
Trotz seiner raschen Verbreitung ist der Begriff bislang nicht eindeutig definiert. Auch die UN- BRK liefert keine klare Begriffsbestimmung, „jedoch verleiht ihr menschenrechtlicher Hintergrund dem Inklusionsbegriff einen deutlich normativen, das heißt wertebasierten und richtungsweisenden Charakter.“[46] Als Grundsatz der UN- BRK bedeutet Inklusion im allgemeinen Sinn die Einbeziehung in die Gesellschaft. Es handelt sich um ein universell gültiges menschenrechtliches Prinzip mit dem Ziel, allen Menschen auf der Basis gleicher Rechte ein selbstbestimmtes Leben und die Teilhabe an allen Aspekten des gesellschaftlichen Lebens zu ermöglichen. Der Grundsatz der Inklusion ist in der UN- BRK also untrennbar mit dem Grundsatz der vollen und wirksamen Teilhabe verbunden. Die Forderung nach gleichberechtigter Teilhabe ergibt sich aus Artikel 1 Satz 2 der UN- BRK. Das Recht auf Teilhabe ist das zentrale Menschenrecht.[47] Um Menschen mit Behinderungen die Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen, bedarf es einer vollumfänglichen Barrierefreiheit in allen Bereichen ihres Lebens. Daher umfasst der Begriff Inklusion viel mehr, als das häufig in den Medien thematisierte inklusive Bildungssystem nach Artikel 24 UN- BRK. So lassen sich in der Konvention weitere Textpassagen finden, die den Begriff auf unterschiedlichen Ebenen inhaltlich füllen: Als allgemeiner Grundsatz der Einbeziehung in die Gesellschaft (in Artikel 3), als Verpflichtung zur vollen Einbeziehung in die Gemeinschaft (in Artikel 19), für die Ausformung des Arbeitsmarktes und des Arbeitsumfeldes (in Artikel 27) sowie als Ziel und Zweck von Diensten und Programmen der Habilitation und der Rehabilitation (in Artikel 26).[48]
Für Menschen mit Behinderungen bedeutet Inklusion folglich, Bedingungen vorzufinden, damit sie
ihren Aufenthaltsort wählen und entscheiden können, wo und mit wem sie leben,
ihre Begabungen und Fähigkeiten ein Leben lang voll zur Entfaltung bringen können (und sie nicht vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden) und
ihren Lebensunterhalt durch frei gewählte oder angenommene Arbeit verdienen können.[49]
Das Konzept der inklusiven Bildung stammt ursprünglich aus den USA und wurde dort in den 1970er- Jahren entwickelt, um Kinder mit Behinderungen mehr als bis dahin üblich in der nicht spezialisierten allgemeinbildenden Schule teilhaben zu lassen. Das Ziel war es, die Stigmatisierungen dieser Kinder auf der Grundlage von Bildung so weit wie möglich zu verhindern.[50]
Aufgrund der herausstechenden Bedeutung des inklusiven Schulsystems in der Öffentlichkeit wurde der Focus der Bachelorarbeit vorwiegend auf diesen Bereich von Inklusion gelegt.
2.5 Anwendungsbereich
In personaler Hinsicht gilt die UN- BRK für alle Personen mit Behinderung. Eine genaue Definition von „Behinderung“ ist in der UN- BRK jedoch nicht zu finden, nur in der Präambel wird dazu ganz allgemein erwähnt, dass „das Verständnis von Behinderung sich ständig weiterentwickelt und das Behinderung aus der Wechselwirkung zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren entsteht.“
Die Frage der Definition von Behinderung war eines der schwierigsten Konfliktthemen, die es während der Verhandlungen zu lösen galt. In Artikel 1, der den Zweck nicht aber Definitionen der Konvention regelt, wurde als Kompromiss schließlich eine Formulierung von Behinderung gefunden. Zu behinderten Personen zählen danach „Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.“ Mit dieser Formulierung sollte sichergestellt werden, dass alle Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen unabhängig von ihren Ursachen und ihrer Anerkennung in der Gesellschaft in den Schutzbereich der UN- BRK einbezogen werden.[51]
2.6 Adressaten
Wie alle Menschenrechtsverträge verpflichtet auch die UN- BRK die Mitgliedsstaaten und hat somit zunächst öffentlich- rechtliche Wirkung. In der Bundesrepublik Deutschland ist die UN- BRK bekanntlich am 26. März 2009 in Kraft getreten. Wie durch das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich bestätigt worden ist,[52] hat die Konvention Gesetzeskraft und ist deshalb auf allen Ebenen staatlichen Handelns zu beachten. Somit richtet sich die Verpflichtung zur Anwendung der UN- BRK an alle staatlichen Stellen der vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt. Gebunden sind Behörden und Gerichte in Bund, Ländern und Kommunen, aber auch Körperschaften des öffentlichen Rechts wie Universitäten oder die Träger der gesetzlichen Versicherungen.
Darüber hinaus wirkt die UN- BRK jedoch auch in den privatrechtlichen Bereich. Denn die Staaten sind gemäß Artikel 4 Abs. 1 Buchstabe e) verpflichtet „alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung aufgrund von Behinderung durch Personen, Organisationen oder private Unternehmen zu ergreifen (…).“ Auch an anderer Stelle, wie bei der Frage der barrierefreien Umwelt und Kommunikation, werden private Rechtsträger durch die Konvention direkt angesprochen. Zudem können nach Artikel 24 der UN- BRK auch private Schulträger zumindest mittelbar zum Beispiel über die Auslegung der Landesschulgesetze verpflichtet werden.[53]
Da auch der gesamte Katalog der Menschenrechte, das heißt nicht nur die bürgerlichen und politischen, sondern auch die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte, vom Schutzumfang der UN- BRK erfasst wird, erstreckt sich ihr Anwendungsbereich umfassend auf alle denkbaren Lebensbereiche.[54]
2.7 Verpflichtungen der Vertragsstaaten
Wie andere Menschenrechtskonventionen verfolgt die UN- BRK einen ganzheitlichen Ansatz des Menschenrechtsschutzes mit staatlichen Achtungs-, Schutz- und Gewährleistungspflichten.[55] Eine ganze Reihe allgemeiner Pflichten dieser Pflichtentrias ist in Artikel 4 UN- BRK enthalten, der daher auch als das „rechtliche Herzstück“ für die Implementierung anzusehen ist.[56] Die Umsetzungsverpflichtungen der Vertragsstaaten lassen sich dabei zu drei Hauptpflichten zusammenfassen. Dazu zählt in erster Linie die Pflicht, die Menschenrechte zu achten. Wie zuvor bereits erwähnt wird in der UN- BRK die Menschenwürde als Ziel der Bewusstseinsbildung gefordert. Um dies zu gewährleisten, verpflichtet die UN- BRK die Staaten nach Artikel 8, breit angelegte Programme gesellschaftlicher Aufklärung und Bildung zu entwickeln. Dabei kommt den Medien eine wichtige Rolle zu. „Diese Obliegenheit gehört, wie die objektive Pflicht der Herstellung von Barrierefreiheit nach Artikel 9, zum Innovationspotenzial der Konvention.“[57]
Damit ist auch schon die zweite Hauptpflicht der Vertragsstaaten benannt. Diese besteht darin, Gewähr dafür zu leisten, eine geeignete Infrastruktur zu schaffen, damit Menschen mit Behinderungen auch tatsächlich von ihren Rechten Gebrauch machen können. Dazu müssen vorhandene Barrieren abgebaut oder bestenfalls eliminiert werden. Insbesondere aus Artikel 9 (Zugänglichkeit) wird dies deutlich, aber auch aus Artikel 19 (unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft), Artikel 29 (Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben) oder Artikel 30 (Teilhabe am kulturellen Leben sowie Erholung, Freizeit und Sport) ergeben sich diesbezüglich Umsetzungsverpflichtungen der Vertragsstaaten.
Für den Bereich Bildung kommt Artikel 24 der UN- BRK große Bedeutung zu. Gemäß Absatz 1 Satz 1 dieses Artikels erkennen die Vertragsstaaten das Recht auf Bildung von Menschen mit Behinderung an und verpflichten sich in Satz 2, ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen zu schaffen, in dem das gemeinsame Lernen behinderter und nichtbehinderter Menschen der Regelfall ist.
Die Schutzpflichten der Vertragsstaaten bestehen darin, Betroffene vor drohenden Rechtsverletzungen zu bewahren. Der Staat soll als „Garant des Rechts“ fungieren.[58] Zu diesem Zweck wurden drei innerstaatliche Stellen eingerichtet. Nähere Ausführungen zu ihrer Funktionsweise folgen im Kapitel „Überwachung der Umsetzungsverpflichtungen“.
Zudem werden die Vertragsstaaten nach Artikel 35 der UN- BRK verpflichtet, alle vier Jahre einen umfassenden Bericht über die getroffenen Maßnahmen und die dabei erzielten Fortschritte zu erstellen und den Vereinten Nationen vorzulegen. Diese so genannten Staatenberichte bilden die Grundlage für das internationale Monitoring der staatlichen Umsetzung, das vom Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen gemäß Artikel 34 der UN- BRK durchgeführt wird.[59]
2.8 Überwachung der Umsetzungsverpflichtungen
Die Artikel 31- 40 bilden den Implementierungsteil der UN- BRK. Die dort genannten Instrumente und Organe sollen dabei helfen, die Umsetzungsverpflichtungen der Vertragsstaaten zu überwachen.
2.8.1 Auf internationaler Ebene
Wie die anderen Menschenrechtsabkommen wird die UN- BRK auf internationaler Ebene durch einen Vertragsausschuss, den Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, bestehend aus 18 unabhängigen Experten und Expertinnen[60] mit Sitz in Genf, kontrolliert.[61] Die Hauptaufgabe dieses im November 2008 erstmalig gewählten Gremiums besteht in der Überprüfung und Bewertung der bereits oben genannten regelmäßig vorzulegenden Staatenberichte. Dazu wird der Ausschuss zweimal jährlich zusammengerufen. Nach Prüfung der Berichte leitet der Ausschuss dem berichtenden Staat ggf. Vorschläge und allgemeine Empfehlungen zu. Sanktionen, die die Vertragsstaaten zur Durchsetzung der Verpflichtungen zwingen könnten, sieht das Berichtswesen nicht vor. Vielmehr ist der internationale Menschenrechtsschutz darauf angewiesen, dass sich die Vertragsstaaten an ihre völkerrechtlichen Selbstverpflichtungen halten und mit der Staatengemeinschaft zusammenarbeiten.[62] Im Gegensatz zur europäischen Ebene mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gibt es eine solche Institution zur Durchsetzung der Menschenrechte auf internationaler Ebene nicht.[63]
Ferner verfasst der Ausschuss „allgemeine Bemerkungen, die bei der Anwendung und Auslegung der einzelnen Artikel helfen sollen. Darüber hinaus prüft er Individualbeschwerden und kann auch so genannte „vertrauliche Untersuchungen“ in den Vertragsstaaten durchführen. Nähere Erläuterungen dazu folgen im Abschnitt „Fakultativprotokoll“.
Neben dem Vertragsausschuss wurde auf internationaler Ebene als weiteres neues Organ die Staatenkonferenz zur UN- BRK geschaffen, die gemäß Artikel 40 für alle Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Durchführung der Konvention zuständig ist. Sie wählt nicht nur die Ausschussmitglieder, sondern ist nach Artikel 47 auch für zukünftige Änderungen der UN- BRK - die gegebenenfalls im Rahmen des angestrebten Reformprozesses notwendig werden - zuständig.
2.8.2 Auf nationaler Ebene
Die nationalen Menschenrechtsinstitute erfahren durch die UN- BRK eine besondere Aufwertung, weil die Überwachung der Vorgaben zweigleisig, international und national, strukturiert ist.[64] Dem internationalen Monitoring wird ein innerstaatliches Durchführungs- und Überwachungssystem zur Seite gestellt. Auf nationaler Ebene wurden dazu gemäß Artikel 33 der UN- BRK drei innerstaatliche Stellen eingerichtet:
die Staatliche Anlaufstelle beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung
die Unabhängige Stelle (Monitoring-Stelle) beim Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin
die Staatliche Koordinierungsstelle beim Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen
Ihre Aufgabe ist es, neben der Umsetzung der UN- BRK auch die Einbeziehung der Zivilgesellschaft, insbesondere der Menschen mit Behinderungen und der sie vertretenden Organisationen, in den Überwachungsprozess in vollem Umfang sicherzustellen.[65]
3. Das Fakultativprotokoll
3.1 Allgemeines
Neben der Behindertenrechtskonvention wurde das Fakultativprotokoll (Optional Protocol) als Ergänzung zum Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Das Fakultativprotokoll ist, wie die UN- BRK, am 03. Mai 2008 in Kraft getreten, kann aber von jedem Vertragsstaat gesondert ratifiziert werden, da es sich hierbei um einen eigenständigen völkerrechtlichen Vertrag handelt.[66] Bis zum 21. Mai 2015 haben 92 der Vertragsstaaten, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, neben der UN- BRK auch das 18 Artikel umfassende Fakultativprotokoll unterschrieben.[67]
3.2 Inhalt
Das Fakultativprotokoll erweitert die Kompetenzen des Ausschusses für Menschen mit Behinderungen nach Artikel 34 der UN- BRK um zwei Verfahren, das Individualbeschwerdeverfahren und das Untersuchungsverfahren. Beide verfolgen das Ziel, die Umsetzung und Überwachung des Übereinkommens zu stärken.
3.2.1 Die Individualbeschwerde
Die Individualbeschwerde ermöglicht ein internationales Beschwerdeverfahren, mit dem es Einzelpersonen oder auch Personengruppen erlaubt ist, eine Verletzung der UN- BRK durch einen Vertragsstaat mitzuteilen. Voraussetzung hierfür ist, dass der nationale Rechtsweg ausgeschöpft ist und die Betreffenden behaupten, Opfer einer Verletzung des Übereinkommens durch einen Vertragsstaat zu sein. Die Beschwerde wird vom Ausschuss zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen entgegengenommen und in einem nach dem Fakultativprotokoll geregelten Verfahren geprüft. Zunächst prüft der Ausschuss, ob die Beschwerde zulässig ist. Nach Artikel 2 des Protokolls ist eine Mitteilung zum Beispiel dann unzulässig, wenn sie anonym oder nicht hinreichend begründet ist. Danach setzt der Ausschuss den betreffenden Vertragsstaat von der Mitteilung in Kenntnis und gibt ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Vertragsstaat hat in der Regel sechs Monate Zeit, zur Sache Stellung zu nehmen und ggf. über die von ihm getroffenen Abhilfemaßnahmen zu berichten. Daraufhin berät der Ausschuss über den Fall in einer nichtöffentlichen Sitzung und übermittelt schließlich dem Vertragsstaat sowie dem Beschwerdeführer seine Vorschläge und Empfehlungen. Ergebnis und Empfehlungen des Ausschusses sind jedoch nicht rechtsverbindlich.[68] Nach Artikel 4 Abs. 1 des Protokolls kann der Ausschuss in Eilfällen dem Staat ein Gesuch zur sofortigen Prüfung übermitteln und ihn auffordern, vorläufige Maßnahmen zu treffen, um einen möglichen nicht wiedergutzumachenden Schaden abzuwenden.
3.2.2 Das Untersuchungsverfahren
Im sogenannten Untersuchungsverfahren ist der Ausschuss befugt, bei Annahme von schwerwiegenden oder systematischen Verletzungen der UN- BRK, auch von sich aus tätig zu werden und die jeweiligen Vertragsstaaten zu Stellungnahmen aufzufordern. Außerdem kann er die Vertragsstaaten auffordern, in die periodischen Rechenschaftsberichte Einzelheiten über Maßnahmen aufzunehmen, die sie als Reaktion auf eine durchgeführte Untersuchung getroffen haben.[69]
Stellt der Ausschuss Verstöße gegen das Übereinkommen fest, sind im Fakultativprotokoll jedoch keine Sanktionen vorgesehen. Vielmehr ist es jedem Vertragsstaat durch Artikel 8 des Fakultativprotokolls sogar erlaubt, im Fall eines Untersuchungsverfahrens durch den Ausschuss, „die Regelungen über das Untersuchungsverfahren und die Zuständigkeiten des Ausschusses nicht gegen sich gelten zu lassen.“[70] Zwar werden die jeweiligen Staaten zur Aufklärung des Falles aufgefordert und es wird jährlich über die eingegangenen Beschwerden berichtet, doch ein materiell- rechtlicher Anspruch ergibt sich daraus für die Betroffenen nicht.
4. Die Umsetzung der UN- BRK
Zwischen Theorie und Praxis liegen bekanntlich Welten. Es stellt sich somit die Frage, wie sich die aus der UN- BRK ergebenen Verpflichtungen hinsichtlich Inklusion bislang auf das nationale Recht ausgewirkt haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass den Vertragsstaaten nach Artikel 4 Absatz 2 der Konvention die volle Verwirklichung der Rechte von Menschen mit Behinderungen erst „nach und nach“ auferlegt worden ist. Die Formulierung intendiert, dass ein kontinuierlicher Fortschritt erkennbar sein muss. Nicht zuletzt die Frage der Finanzierung spielt dabei wohl eine entscheidende Rolle.
Nach Artikel 25 GG sind die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechts, gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten für alle Bürger. Allerdings können Bürger Rechtsansprüche aufgrund vermeintlicher Verletzungen der UN- BRK nicht unmittelbar aus der UN- BRK ableiten. Dies ist nur aufgrund geltenden nationalen Rechts möglich. Die Verpflichtungen aus dieser Konvention richten sich also zunächst nicht direkt an die Bürger, sondern an die Vertragsparteien, die Unterzeichnerstaaten. Diese müssen ihre Gesetze und Rechtsvorschriften an die Verpflichtungen anpassen, die sie durch Unterzeichnung und Ratifizierung des Vertrages eingegangen sind. Die Bestimmungen der UN- BRK schaffen daher in der Regel keine unmittelbaren Rechtsansprüche für Bürger, sondern müssen erst in nationales Recht umgesetzt werden.[71] Dieser Schritt wurde in der Bundesrepublik Deutschland am 21. Dezember 2008 mit Verabschiedung der Konvention als Bundesgesetz eingeleitet. Die UN- BRK ist damit gemäß Artikel 45 Abs. 1 UN- BRK seit dem 26. März 2009 für die Bundesrepublik Deutschland auf all ihren innerstaatlichen Ebenen völkerrechtlich verbindlich. Gemäß Artikel 59 Abs. 2 GG hat die UN- BRK innerhalb der Bundesrepublik Deutschland den Rang einfachen Bundesrechts[72] und ist daher von allen staatlichen Organen als anwendbares Völkervertragsrecht wie jedes andere Gesetz des Bundes umzusetzen und einzuhalten.[73]
Nachdem die UN- BRK Gesetzeskraft erhalten hat, sind in der Bundesrepublik Deutschland auf allen staatlichen Ebenen diverse Umsetzungsaktivitäten geschehen.[74] Dazu zählt unter anderem ein 2011 veröffentlichter nationaler Aktionsplan der Bundesregierung, welcher Maßnahmen beschreibt, die zur Umsetzung der UN- BRK notwendig sind. Um den Rahmen nicht zu sprengen, wurde der Fokus nur auf solche Maßnahmen der Inklusion gelegt, die für die Themenbereiche inklusive Bildung und Barrierefreiheit von Bedeutung sind. Wie in vielen anderen Bereichen der UN- BRK lassen sich diese Punkte nicht klar trennen, sondern sie überschneiden oder ergänzen sich zum Teil.
4.1 Maßnahmen zur inklusiven Bildung
Seit dem Inkrafttreten der UN- BRK im Jahr 2009 eröffnete der Begriff der inklusiven Bildung in Deutschland breite bildungspolitische Diskussionen. Die Positionen reichen von der Beibehaltung des bestehenden Förderschulsystems bis hin zu dessen Auflösung, verbunden mit einer grundlegenden Umwandlung des gesamten Bildungssystems.[75] Im Folgenden werden die bisher erfolgten Schritte auf dem Weg zu inklusiver Bildung in Deutschland näher unter die Lupe genommen.
Die Umsetzung des inklusiven Bildungssystems in Deutschland löst Vertragspflichten für die Bundesregierung, aber insbesondere für die Landesgesetzgeber aus, da das Bildungsrecht gemäß Artikel 70 GG ausschließlich der Gesetzgebungskompetenz der Länder unterliegt. Die Länder sind nach dem Lindauer Abkommen und nach dem Grundsatz der Bundestreue verpflichtet, ihre Schulgesetze entsprechend Artikel 24 UN- BRK so zu reformieren, dass Menschen mit Behinderungen nicht diskriminiert werden.
Was unter diskriminierungsfreier Bildung zu verstehen ist, hat der UN- Sozialpaktausschuss, der der Überwachungsausschuss des Internationalen Sozialpakts ist, mit seinen 1999 verabschiedeten Allgemeinen Bemerkungen formuliert.[76] Diskriminierungsfreie und den Menschenrechtsstandards entsprechende Bildung muss danach vier Vorgaben erfüllen, die im internationalen Diskurs als „4- A-Scheme“ (4- A-Schema) bezeichnet wird:
Sie muss
für alle Menschen ausnahmslos verfügbar sein (Availability),
für alle zugänglich sein (Accessibility),
annehmbar sein (Acceptability) und
für verschiedene Menschen in unterschiedlichen sozialen und kulturellen Kontexten adaptierbar und flexibel sein (Adaptability).
Als Meilenstein in der Umsetzung dieser Vorgaben ist die Empfehlung der Kultusministerkonferenz „Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen in Schulen“ vom 21. Oktober 2011 zu sehen, womit ein Perspektivwechsel hin zum inklusiven Unterricht vollzogen wurde.[77]
Ein zentraler Aspekt für die erfolgreiche inklusive Schulentwicklung ist demnach u.a. die Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte und sonstiger an Schulen tätigen Personen. Die Sicherstellung dieser Aufgaben, des dafür notwendigen Personals und der Finanzen liegt in der Verantwortung des jeweiligen Landes. Mit der Änderung der Rahmenvereinbarungen über die Ausbildung und Prüfung der Lehramtstypen vom 6. Dezember 2012 hat die Kultusministerkonferenz daher vorgegeben, dass in der Ausbildung für alle Lehrämter den Basisqualifikationen in den Themenbereichen Umgang mit Heterogenität und Inklusion sowie Grundlagen der Förderdiagnostik eine besondere Bedeutung zukommt.[78]
Da die Länder in ihren Umsetzungen unterschiedlich weit vorangeschritten sind und diese in ihrer Bandbreite zum Teil auch stark variieren, wird die Umsetzung exemplarisch am Beispiel des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW) untersucht. Im Ergebnis haben aber letztendlich alle Bundesländer ihre Schulgesetze den Maßgaben der UN- BRK anzupassen.[79]
Die Landesregierung zu Düsseldorf setzte den Startschuss des inklusiven Schulsystems in NRW am 3. Juli 2012 mit Verabschiedung des alle gesellschaftlichen Bereiche umfassenden Aktionsplans "Eine Gesellschaft für alle - NRW inklusiv", der auch zentrale Eckpunkte eines schulischen Inklusionsplans enthält.[80]
Ein weiterer Meilenstein folgte am 16. Oktober 2013 mit Verabschiedung des 1. Gesetzes zur Umsetzung der UN- BRK vor dem nordrhein- westfälischen Landtag. Teilweise wird in der Literatur auch vom 9. Schulrechtsänderungsgesetz (9. SchulG- ÄG)[81] gesprochen, womit inhaltlich aber dasselbe gemeint ist. Vorausgegangen ist diesem Schritt ein umfangreiches Beteiligungsverfahren, in das neben den Lehrer- und Elternverbänden, den Kommunalen Spitzenverbänden, Kirchen und vielen Fachverbänden auch die Selbsthilfeorganisationen der Menschen mit Behinderungen eingebunden waren.[82]
Folge des 9. SchulG- ÄG war schließlich eine Novellierung des Schulgesetzes NRW (SchulG NRW)[83], die am 01. August 2014 in Kraft trat. Die daraus resultierenden wesentlichen Änderungen sind:
Gemeinsames Lernen von Schülern mit und ohne Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung wird zum gesetzlichen Regelfall.
Eltern eines Kindes mit festgestelltem Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung müssen nicht länger die Aufnahme an einer allgemeinen Schule eigens beantragen.
Die Schulaufsicht benennt bei Feststellung eines Bedarfs an sonderpädagogischer Unterstützung in Abstimmung mit dem Schulträger mindestens eine allgemeine Schule, die für das Gemeinsame Lernen personell und sächlich ausgestattet ist.
Nur in begründeten Ausnahmefällen kann hiervon abgewichen werden („Umkehr der Beweislast“).
Eltern haben weiterhin das Recht eine Förderschule zu wählen, wenn ein entsprechendes Angebot vorhanden ist[84]
Eine solche Gesetzesänderung zieht in der Regel eine große Anzahl weiterer Maßnahmen mit sich. Als Folge dieser Rechtsanpassung sind dabei u.a. der Übergangserlass vom 22. Januar 2014, die Ausbildungsordnung sonderpädagogische Förderung vom 10. Oktober 2014 oder der IFAS- Erlass vom 29. Oktober 2014, welcher den Einsatz von Inklusionsfachberatern regelt, zu nennen.
Themenübergreifend hat das inklusive Bildungssystem darüber hinaus zu Gesetzesnovellierungen in vielen anderen Bereichen geführt. So wurde beispielsweise die Bauordnung NRW (BauO NRW)[85] den Anforderungen der UN- BRK angepasst. Nähere Ausführungen dazu sind im folgenden Kapitel „Maßnahmen zur Barrierefreiheit“ zu finden. Eine umfassende Darstellung der erfolgten Maßnahmen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen.
Die Anzahl von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Regelschulen ist durch die erfolgten Maßnahmen bundesweit seit dem Schuljahr 2008/09 von 18,4 % auf 25 % im Schuljahr 2011/12 gestiegen. Zielmarke ist eine bundesweite „Inklusionsquote“ von 80 % bis zum Jahr 2020. In NRW lag die Quote für das Schuljahr 2010/11 bei lediglich 11,1 %.[86] Die Zahlen zeigen, dass sich die Bundesrepublik Deutschland bzw. NRW auf einem guten Weg befinden, aber die Vorgaben der UN- BRK im Bereich inklusive Schule noch nicht annähernd erreicht sind.[87] Sie führen aber auch vor Augen, dass es sich bei der Umsetzung um einen längeren Prozess handelt, der nicht von heute auf morgen, sondern erst nach und nach in die Tat umgesetzt werden kann.[88]
4.2 Maßnahmen zur Barrierefreiheit
Barrierefreiheit ist einer von insgesamt acht Grundsätzen der UN- BRK. Sie ist untrennbar mit der Forderung nach Inklusion verbunden. Wie dem Bereich der inklusiven Bildung wurde auch der Barrierefreiheit ein eigener Artikel innerhalb der UN- BRK gewidmet. Gemäß Artikel 9 der Konvention umfasst Barrierefreiheit ganz allgemein, dass Menschen mit Behinderungen einen gleichberechtigten Zugang zu folgenden Bereichen haben müssen:
Physische Umwelt,
Beförderung,
Information und Kommunikation, einschließlich ihrer Technologien und Systeme und
Einrichtungen und Dienste, die der Öffentlichkeit offenstehen oder für sie bereitgestellt werden.
Daneben verwendet die UN- BRK den Begriff auch adjektivisch als Eigenschaft fehlender umweltbedingter Barrieren. Das sind solche, die aufgrund einer bestimmten baulichen, technischen oder anderen Gestaltung bestehen, also zum Beispiel Treppenstufen am Eingang, die von Rollstuhlfahrern nicht überwunden werden können, oder Internetseiten, die nur mit einer Maus navigierbar und daher für blinde Menschen nicht zugänglich sind.[89]
4.2.1 DIN- Norm 18040
Bei den durchgeführten Maßnahmen zum Abbau dieser Barrieren sind in erster Linie die erfolgten Anpassungen der länderspezifisch geregelten Bauordnungen an die Vorgaben der UN- BRK zu nennen. Inhaltlich spielt dabei besonders die DIN- Norm 18040 - Barrierefreies Bauen - eine Rolle. Sie ist auf Grundlage des Aktionsplans zur Umsetzung der UN- BRK im Oktober 2010 entstanden, um unbestimmte Rechtsbegriffe wie Barrierefreiheit näher zu konkretisieren. Rechtlich gesehen sind solche Normen zunächst nur Empfehlungen. Sie können jedoch von den einzelnen Landesbehörden in ihren Bauordnungen für bestimmte Bauten zur Pflicht gemacht werden.[90] In NRW ist dies nach § 3 Absatz 1 BauO der Fall.
Zu den in der DIN- Norm enthaltenen Maßnahmen zählt u.a. die Erstellung einer Checkliste zur Überprüfung der Bestandssituation der Landesliegenschaften sowie zur Beurteilung der Barrierefreiheit im bauaufsichtlichen Verfahren.
Um dem weiten Feld des Themas gerecht zu werden, ist die Norm in drei Anwendungsbereiche aufgegliedert. Teil 1 beschäftigt sich mit dem Bereich öffentlich zugänglicher Gebäude, Teil 2 mit dem Bereich Wohnungen, und Teil 3 schließlich mit dem Bereich öffentlicher Verkehrs- und Freiraum.
4.2.2 DIN- Norm 18040- 1
Im ersten Teil der Norm wird dargestellt, unter welchen technischen Voraussetzungen Gebäude und bauliche Anlagen barrierefrei sind. Sie bezieht sich dabei auf die Planung, Ausführung und Ausstattung von öffentlich zugänglichen Gebäuden und deren Außenanlagen, speziell auf die Teile des Gebäudes, die für die Nutzung durch die Öffentlichkeit vorgesehen sind. Zu den öffentlich zugänglichen Gebäuden zählen in Anlehnung an § 55 der BauO NRW insbesondere:
Einrichtungen des Kultur- und des Bildungswesens,
Sport- und Freizeitstätten,
Einrichtungen des Gesundheitswesens,
Büro-, Verwaltungs- und Gerichtsgebäude,
Verkaufs- und Gaststätten sowie
Stellplätze, Garagen und Toilettenanlagen.
Inhaltlich werden zunächst Begriffsdefinitionen erläutert, bevor auf die Vorgaben hinsichtlich Infrastruktur und Räume eingegangen wird. Das Thema Infrastruktur umfasst dabei u.a. Regelungen für Gehwege, Flächen, PKW- Stellplätze, Türen, Bodenbeläge, Aufzüge, Treppen oder Rampen. Bei den Vorgaben zu der Gestaltung von öffentlichen Räumen geht es um Informations- und Kommunikationshilfen, Sanitärräume, Toiletten, Umkleidebereiche, Sportstätten und vieles mehr. Oftmals handelt es sich dabei um Richtlinien hinsichtlich Größe oder Breite der jeweiligen Sache.
4.2.3 DIN- Norm 18040- 2
Die DIN- Norm 18040- 2 gilt für die barrierefreie Planung, Ausführung und Ausstattung von Wohnungen, Gebäuden mit Wohnungen und deren Außenanlagen, die der Erschließung und wohnbezogenen Nutzung dienen. Dabei ist grundsätzlich auch die uneingeschränkte Nutzung mit dem Rollstuhl zu berücksichtigen. Ferner wird bei Wohnungen zwischen „barrierefrei nutzbaren“ und „barrierefrei und uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbaren“ differenziert. Besonderes Augenmerk bei der barrierefreien Gestaltung von Wohnungen liegt häufig auf Vorgaben hinsichtlich Größe und Breite oder Gefälleangaben, beispielsweise für Rampen.
4.2.4 DIN- Norm 18040- 3
Der dritte Teil der DIN 18040 komplettiert die beiden anderen Normteile zum barrierefreien Bauen. Sie beinhaltet Grundregeln wie Maße für benötigte Verkehrsräume mobilitätsbehinderter Menschen, Grundanforderungen zur Information und Orientierung, wie beispielsweise das Zwei- Sinne- Prinzip, Anforderungen an Oberflächen, Mobiliar im Außenraum oder Wegeketten.
Der Anwendungsbereich umfasst Regelungen zu
Fußgängerverkehrsanlagen,
Anlagen des ruhenden Verkehrs,
Anlagen des öffentlichen Verkehrs,
Spielplätze,
Frei- und Freizeitflächen,
Grünanlagen sowie
Anlagen zur Überwindung von Höhenunterschieden wie Treppen oder Rampen.
Im Vergleich zur Vorgängerversion, der DIN 18024, enthält sie wesentliche Ergänzungen und Erweiterungen. So wurden insbesondere die Anforderungen an das Quergefälle von Rampen und Gehwegen präzisiert. Neu aufgenommen wurden auch die Anforderungen, die sich aus den Bedürfnissen von Menschen mit sensorischen Einschränkungen, also Einschränkungen der klassischen fünf Sinne Hören, Sehen, Riechen, Schmecken und Tasten, ergeben.
4.2.5 Personenbeförderungsgesetz
Für den Bereich Personenbeförderung ist als eine weitere Maßnahme zur Barrierefreiheit die Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) zu nennen, die gemäß § 8 Absatz 3 vorschreibt, die Belange der in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkter Menschen mit dem Ziel zu berücksichtigen, für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs bis zum 01. Januar 2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen. Während der öffentliche Personennahverkehr bereits einen hohen Standard an Barrierefreiheit aufweist, ist dies im Regionalverkehr sowie bei der Infrastruktur noch häufig nicht der Fall.[91]
4.2.6 Zusammenfassung
Wie die aufgeführten Maßnahmen zeigen, wurden die sich aus Artikel 9 UN- BRK ergebenen Leistungsverpflichtungen zur Verwirklichung des Rechts auf Barrierefreiheit von der Bundesrepublik Deutschland angenommen, wobei zu berücksichtigen ist, dass den Vertragsstaaten dabei ein Progressionsvorbehalt eingeräumt wird. „Ein solcher Vorbehalt rechtfertigt sich aus der Überlegung, dass die Schaffung von Barrierefreiheit ein dynamischer Prozess ist, der nur schrittweise und unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowie des Wandels der erforderlichen Standards der Barrierefreiheit verwirklicht werden kann.“[92] Dies zeigt sich u.a. auch daran, dass die vorgenannten DIN- Normen bislang nur für Neu- und Umbauten gelten, die sachgerechte Übertragung der Standards auf Bestandsbauten hingegen noch aussteht.[93]
Für Bereiche, die sich in privater Hand befinden ist darauf hinzuweisen, dass auch hier alle Aspekte der Barrierefreiheit zu beachten sind. Da die Herstellung von Barrierefreiheit für solche privaten Rechtsträger aber zum Teil „mit erheblichen materiellen Aufwendungen verbunden sein kann, wird zu berücksichtigen sein, ob eine barrierefreie Gestaltung überhaupt möglich ist oder nur mit unzumutbarem Aufwand erreicht werden kann.“[94]
4.3 Die Kostenfrage
Obwohl fiskalische Gründe der Umsetzung der UN- BRK eigentlich nicht im Wege stehen dürfen, ist dies in vielen Bereichen dennoch der Fall. Einschränkend ist allerdings zu sagen, dass die Konvention die Erfüllung von bestimmten Leistungsverpflichtungen (vor allem bei kostenintensiven wie dem Recht auf Bildung) von der ökonomischen Zumutbarkeit abhängig macht. Insofern ist es naheliegend, im Hinblick auf die Realisierung von solchen Leistungsverpflichtungen auch die Leistungsfähigkeit der jeweiligen Verpflichteten zu berücksichtigen.[95]
Im Bereich der Bildung sind ausschließlich die Länder aufgrund ihrer verfassungsrechtlichen Zuständigkeit zur Umsetzung der UN- BRK berechtigt und mit Blick auf das Prinzip der so genannten Bundestreue verpflichtet. Insbesondere gilt dies, da die Länder im Bundesrat der Konvention explizit zugestimmt haben.[96] Jedoch stehen im Schulbereich vielfach die Kommunen als Beteiligte bzw. Verantwortliche im Fokus der Umsetzung und die oftmals fiskalischen Verpflichtungen werden teilweise auf die Kommunen oder die Schulträger abgewälzt. Trotz Betonung der kommunalen Verantwortung ist eine solche Aufgaben- und Lastenverschiebung der Länder in Richtung Kommunen nicht Sinn der Sache.[97] Vielmehr wird eine solche Entlastung der Länderhaushalte „unweigerlich zum Scheitern der Inklusion führen.“[98]
Das Problem dieser fiskalischen Verantwortung war und ist auch aktuell noch Streitpunkt öffentlicher Diskussionen. Anfang des Jahres 2014 bereiteten einige Kommunen aus NRW eine Klage im Inklusionsstreit vor. Vertreter der Kommunalen Spitzenverbände, der Landesregierung und der Regierungsfraktionen haben sich aber im letzten Jahr auf einen Kompromiss über die Frage der Konnexität geeinigt. Demnach erkennt das Land NRW eine Ausgleichspflicht bezüglich der sächlichen Kosten auf Seiten der Schulträger durch die Inklusion an. Innerhalb von fünf Jahren werden dazu jährlich 25 Mio. Euro an die Kommunen gezahlt. An zusätzlichen personellen Kosten auf Seiten der Schulträger infolge der schulischen Inklusion, wie zum Beispiel Sonderpädagogen sowie Schulpsychologen, beteiligt sich das Land NRW über fünf Jahre mit einer Inklusionspauschale in Höhe von 10 Mio. Euro jährlich. Im Ergebnis führte dieser Kompromiss zum Gesetz zur Förderung kommunaler Aufwendungen für die schulische Inklusion vom 9. Juli 2014.
Darüber hinaus ist die Einbeziehung des Bundes bei der fiskalischen Umsetzung der Inklusion unverzichtbar. „Es erschiene geradezu grotesk, wenn diejenige Ebene, die die UN- BRK völkerrechtlich abgeschlossen hat, sich an deren innerstaatlicher Umsetzung nicht beteiligen könnte.“[99]
- Citar trabajo
- Malte Flemming (Autor), 2015, Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland. Inklusion an Schulen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/378628
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