Mein Praktikum absolvierte ich vom 1. März 2004 bis zum 31.08 2004 im kolumbianischen
Dorf Minca in der Sierra Nevada nahe Santa Marta, an der Karibikküste. Über den
Brandenburger Verein „Tayrona e.V.“ war ich dort im Bereich Kinder- und Jugendarbeit tätig.
Da die Rahmenbedingungen dieses Praktikums andere sind als die gewöhnlichen; also
Arbeit in einem Bürgerkriegsland, werde ich zunächst einige Fakten zu Kolumbien darlegen,
um das Umfeld und die Bedingungen meiner Arbeit verständlicher zu machen. Dann werde
ich die konkrete Situation von Minca skizzieren, bevor ich den Verein vorstelle, um dann das
generelle Spannungsfeld zu erörtern, als Fremder in einer weit entfernten Region tätig zu
sein. Danach werde ich von meinem Aufenthalt und meiner Arbeit in Minca zu berichten.
Auch wenn ich bei den Berichten bereits einige reflexive gedanken mit aufnehmen werde,
werde ich im letzten Teil versuche mich und meine Arbeit systematischer einzuschätzen;
inwiefern ich von meinem Praktikum profitieren konnte und inwiefern es den Menschen vor
Ort etwas Sinnvolles gebracht hatte.
Inhalt
1. Vorab
2. Rahmenbedingungen des Praktikums
2.1. Kolumbien und der Dauerausnahmezustand
2.2. Mein Praktikumsort: Minca
2.3. Die Praktikumsstelle: der Tayrona e.V.
Exkurs: Überlegungen zur Interkulturellen Erziehung
3. Erfahrungen und Erlebnisse im Praktikum
3.1. Meine Ankunft in Minca
3.2. Handlungsfelder und Projekte
3.2.1. Kontaktaufnahme und Deutschkurs
3.2.2. Casa Oropendula
3.2.3. Fahrradtouren
3.2.4. Kinoprojekt
Exkurs: Die Regenzeit
3.2.5. Englischkurs auf La Victoria
3.2.6. Zusammenfassung weiterer, kleinerer Projekte
4. Reflexionen
4.1. Erwartungen meines Praktikums
4.2. Nachbetrachtung der Realisierungsmöglichkeiten der Konzepte des Tayrona e.V.
4.3. Reflexionen auf mich und meine eigene Arbeit
5. Verwendete Literatur
1. Vorab
Mein Praktikum absolvierte ich vom 1. März 2004 bis zum 31.08 2004 im kolumbianischen Dorf Minca in der Sierra Nevada nahe Santa Marta, an der Karibikküste. Über den Brandenburger Verein „Tayrona e.V.“ war ich dort im Bereich Kinder- und Jugendarbeit tätig.
Da die Rahmenbedingungen dieses Praktikums andere sind als die gewöhnlichen; also Arbeit in einem Bürgerkriegsland, werde ich zunächst einige Fakten zu Kolumbien darlegen, um das Umfeld und die Bedingungen meiner Arbeit verständlicher zu machen. Dann werde ich die konkrete Situation von Minca skizzieren, bevor ich den Verein vorstelle, um dann das generelle Spannungsfeld zu erörtern, als Fremder in einer weit entfernten Region tätig zu sein. Danach werde ich von meinem Aufenthalt und meiner Arbeit in Minca zu berichten. Auch wenn ich bei den Berichten bereits einige reflexive gedanken mit aufnehmen werde, werde ich im letzten Teil versuche mich und meine Arbeit systematischer einzuschätzen; inwiefern ich von meinem Praktikum profitieren konnte und inwiefern es den Menschen vor Ort etwas Sinnvolles gebracht hatte.
2. Rahmenbedingungen des Praktikums
2.1. Kolumbien und der Dauerausnahmezustand
Wenn Kolumbien in den hiesigen Medien auftaucht, dann fast ausschließlich im Zusammenhang mit Kokainmafia, linker Guerilla oder rechten Paramilitärs; wie aber Kolumbien genau ist, und dass sich unter solchen schwierigen Bedingungen wie dem 40 Jahre andauernden Bürgerkrieg eine lebensfrohe, offene Gesellschaft entwickeln konnte, soll der nachfolgende Exkurs veranschaulichen:
Kolumbien; im Norden Südamerikas gelegen, hat ca. 44 Millionen Einwohner die vornehmlich in den großen Städten wie Medellin, Cali, Baranquilla, Cartagena oder Bogota leben (vgl. Dydynski 2003; S.25[1]). Die Fläche des Landes ist so groß wie Frankreich, Spanien und Portugal zusammen und ist somit das dritt-größte Land Südamerikas. Spanisch ist Landessprache, obwohl noch nach wie vor diverse Sprachen der Ureinwohner, der Indigenas, gesprochen werden. Indigene Menschen stellen ca. 1 Prozent der kolumbianischen Bevölkerung; 75 Prozent haben „gemischtes Blut“, also sind europäisch-afrikanischer; europäisch-indianischer oder afrikanisch-indianischer Abstammung; 5 Prozent der Menschen dort sind Schwarze (vgl. ebd.).
Genauso vielfältig wie die Zusammensetzung der Bevölkerung ist das gesamte Land. So gibt es zum einen hochmoderne Städte, die westlichen in nichts nachstehen, wie Cali, Bogota oder Medellin und zum anderen im ländlichen Bereich Verhältnisse wie vor etwa 100 Jahren. Doch nicht nur zwischen Stadt und Land im allgemeinen sind Welten auch regionale Unterschiede sind typisch für Kolumbien. So gibt es im Amazonas-Becken riesige Gebiete, die kaum zugänglich und dementsprechend dünn besiedelt sind; im Nord-Osten des Landes ist die besonders arme Wüstenregion „La Guajira“, durch das ganze Land ziehen sich verschiedenen Kordellieren (Bergketten), östlich davon befinden sich die „Los Llanos“ (Flachland/Steppe); außerdem gibt es die Pazifik- und die Karibikküste. So vielfältig wie die Landschaft und die Menschen sind auch die regionalen Verhältnisse.
40 Prozent des Landes (die Fläche der BRD) werden von den beiden linken Guerillas FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarios de Colombia; Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) und der ELN (Ejercito de Liberacion Nacional; Nationales Befreiungsheer) kontrolliert, die seit 40 Jahren im blutigen Dauerklinsch mit staatlichen Behörden wie der der Armee und der Polizei um die Vormacht im Staat sind. Immer wieder gab und gibt es Bombenangriffe auf staatliche Institutionen und Vertreter und auch Entführungen zur Erpressung von Lösegeldern oder zur Ausübung politischen Druckes.
In Reaktion auf den Kampf der Guerillas bildeten sich in den Achtzigern rechte paramilitärische Gruppen, die u.a. von Großgrundbesitzern finanziert wurden, um sich von ihnen zunächst gegen Angriffe schützen zu lassen. Mit der Zeit sind diese paramilitärische Gruppen aber auf direkte Angriffe übergegangen. Diese führten einen erbarmungslosen Krieg gegen die Bevölkerung, da diese als soziale Basis der Guerilla vermutet wurden. Als sich diese paramilitärischen Gruppen zur AUC (Autodefensas Unidades de Colombia; Vereinigte Selbstverteidigungsgruppen von Kolumbien) vereinigten, erreichte der Krieg ein neues Eskalationsniveau. Mittlerweile gibt es innerhalb Kolumbien ca. 2,5 Millionen Flüchtlinge, die vor den Auswirkungen des Konfliktes ihr zu Hause verlassen mussten. Der erbarmungslose Krieg forderte unzählige Menschenopfer; die Entführungsrate ist die höchste auf der Welt; sogar das Auswärtige Amt rät dringend von Reisen nach Kolumbien ab (vgl. http://www.auswaertiges-amt.de/www/de/laenderinfos/laender/laender_ausgabe_html?type_id=4&land_id=82). „Zwischen 1988 und 1995 sind mehr als 6000 Menschen aus politischen und weitere 10.000 aus wahrscheinlich politischen Gründen ermordet worden. Die Gewalt hat unvorstellbare Ausmaße angenommen. Paramilitärs verstümmeln ihre Opfer bei lebendigem Leib mit der Motorsäge oder erklären ganze Ortschaften pauschal zu >militärischen Angriffszielen<“ (http://www.tayrona.org/verein.html)
Doch nicht nur der politische Konflikt macht das Land so unsicher; in Folge der Auseinandersetzungen stiegen soziale Konflikte, Armut und Kriminalität. Auch gibt es nach wie vor enorme Drogenkartelle, die jenseits staatlicher Eingriffe in riesigen Mengen Kokain produzieren und so 80 Prozent des Weltmarktes mit kolumbianischen Kokain versorgen. Ganze 3 Tonnen des weißen Pulvers verlassen täglich das Land. Diese einträgliche Branche wird von verschiedenen Mafia-Banden, Guerillas und Paramilitärs heiß umkämpft, so dass die Aussichten auf Ruhe und Frieden in diesem Land auch in Zukunft eher gering bleiben werden.
Trotz dieser fatalen Verhältnisse ist Kolumbien jedoch ein recht interessantes, schönes Land mit einer vergleichsweise offenen und freundlichen Bevölkerung. Der Dauerkonflikt ist zwar ständig präsent, nur scheint sich die Lage insofern normalisiert zu haben, dass das Leben ganz alltäglich gelebt wird, und vieles an westliche Gesellschaften erinnert: im Fernsehen gibt es Reality-Shows; Unmengen Seifenopern und Hollywood-Filme, in den Städten werden nächtelang Partys gefeiert und sich amüsiert; die Universitäten haben einen recht guten Ruf und sind gut besucht, man lädt sich im Internet Musik von Shakira und von westlichen Rock- und Popgruppen herunter, verbringt den Nachmittag am Strand oder in Parks, macht also alles was Menschen woanders auch tun. Genau diese Lebensfreude macht dieses Land für mich so sympathisch. Beim Herumreisen in Kolumbien habe ich kaum negative Erfahrungen gemacht. Immer wieder traf ich neugierige, freundliche Menschen, mit denen ich ins Gespräch kam. Selbst Soldaten waren immer höflich und hilfsbereit. Wenn gewisse Mindeststandards eingehalten werden; wie in bestimmten Gebieten nicht nachts bzw. gar nicht reisen, mit möglichst niemandem über politische Probleme diskutieren u.a.; ist ein angenehmer Aufenthalt garantiert. Da ich bereits 2003 in Kolumbien meinen Urlaub verbrachte, von dem Land damals schon begeistert war, konnte ich mir sehr gut vorstellen mein Praktikum in Minca absolvieren zu können.
2.2. Mein Praktikumsort: Minca
Minca ist ein Dorf mit geschätzten 2000 Einwohnern; vornehmlich Bauern sowie einige Kriegsflüchtlinge aus anderen Regionen; etwas abseits leben auch einige Indigena-Familien, die aber kaum etwas mit dem Dorfleben zu tun haben. Das Dorf liegt auf 600 m über dem Meeresspiegel; ca. 16 km von der Großstadt Santa Marta an der Karibikküste entfernt, in der Sierra Nevada de Santa Marta, einem besonders in den unteren Lagen sehr fruchtbaren Gebirgsmassiv. Dank des tropischen Klimas und der Bodenvorraussetzungen können dort Kaffee, Kakao, Bananen, Avocados, Mangos u.a. angebaut werden.
Um das Dorf herum gibt es mehrere Flüsse, Wälder, Felder und Plantagen; riesige Fincas und Haziendas (etwa: Farmen oder größere Bauernhöfe mit viel Land). In Minca selber gibt es einen Fußballplatz mit Flutlichtanlage, zwei Internetcafés (in Regenzeit jedoch häufige Ausfälle aufgrund von häufigen Stromunterbrechungen), mehrere Läden, einige kleinere Hotels, Einkaufslädchen, eine recht große und gut organisierte Schule sowie ein einem Gemeindezentrum vergleichbares Gebäude. Minca hat eine evangelische und eine katholische Kirche, eine kirchliche Freizeiteinrichtung sowie die „Casa Oropendula“, eine Art Ökohotel, in dem eine Ornithologin sich in ihrer Freizeit mit den Kindern von Minca beschäftigt und verschiedene Projekte macht; doch dazu später mehr.
Zur Sicherheitslage in Minca lässt sich sagen, dass wie jedes kolumbianische Dorf die Alltagskriminalität gegen Null geht. Jedoch, dies ist in der gesamten Sierra Nevada de Santa Marta ähnlich, ist Minca in der festen Hand der paramilitärischen Gruppen. Auch wenn es in Minca eine Polizeistation gibt und sich die Paramilitärs im Dorf nicht in Uniform zeigen, haben sie die Gemeinde unter Kontrolle. An der Hauptkreuzung, an der die Autos und Busse auf dem Weg weiter hoch ins Gebirge passieren, wo die Zentren der AUC sind, steht immer mindestens ein Angehöriger der Paramilitärs. Diese und andere überblicken alles in Minca: wer kommt, wer geht, wer ist wer, wer wohnt hier, was macht der Gemeinderat, wer ist eventuell feindlich gegenüber den Paramilitärs eingestellt und somit designiertes Angriffsziel.
Aus diesem Grund redet in Minca kaum jemand über Politik, weil jeder ein Sapo (wörtl. Kröte; Informant der Paramilitärs) sein könnte. Gelegentlich gab es während meines Aufenthaltes Schiessereien zwischen der Polizei und den Paramilitärs, bei denen es auch einmal einen Toten gab. Hintergründe über Ursachen der Auseinandersetzungen in Minca oder wer was gemacht hat, bleiben im Dunkeln und kaum niemand wagt es nachzufragen, oder Vermutungen anzustellen. Unter diesen Umständen war es für mich zunächst recht schwierig arbeiten und leben zu können. Nach einigen Wochen; ich gewöhnte mich wie alle Einheimischen auch an die Situation, lebte ich mich jedoch gut in das Dorfleben ein und verstand, mich gut zu recht zu finden. Glücklicherweise zählen Ausländer nicht zu den bevorzugten Angriffsobjekten der Paramilitärs; so dass ich mich recht sicher bewegen konnte. Auch freundliches Grüssen des „Eckenbeauftragten“ war eine Garantie nicht ins Visier der Paramilitärs zu geraten. Auch wenn man diese Gruppen und Leute keineswegs sympathisch finden muss, was sie keineswegs sind, sollte man sich als Fremder mit ihnen gut stellen, da Konflikte mit ihnen allgemein nicht sehr friedlich gelöst werden. Wenn man sich mit ihnen also arrangiert; ihnen also nicht negativ auffällt, ist der Aufenthalt in Minca alles andere als gefährlich. Einziger Umstand war eben, dass ich meine Neugier unter Kontrolle haben musste.
Nichtsdestotrotz war meine Zeit in Minca eine sehr angenehme. Nachdem ich anfangs recht alleine; und vor allem in der Regenzeit bei den häufigen Stromausfällen mich insbesondere Abends nicht beschäftigen könnte (ab 18.00Uhr dunkel; ohne Strom kein Lesen oder Fernsehen), lernte ich nach und nach einige Leute kennen, mit denen ich meine Zeit verbringen konnte.
Die ersten zwei Monate waren zwar noch zwei Vertreter des Tayrona e.V. in Minca, danach war ich jedoch auf mich allein gestellt.
[...]
[1] Übersetzungen aus Reiseführer von Uhrheimer
- Quote paper
- Christian Uhrheimer (Author), 2004, Praktikumsbericht: Kinder- und Jugendarbeit in Minca/Kolumbien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/37843
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