Beobachtet man den Arbeitsmarkt der vergangenen Jahre, so sieht man, dass auch hier der demographische Wandel seine Spuren bemerkbar macht. Die Generation der Babyboomer, für die harte Arbeit der Kern des Lebens ist, erreicht langsam aber sicher das Renteneintrittsalter. Der Arbeitsmarkt ist geprägt durch Mitglieder der Generation X und Millennials. Trotz deutlicher Fortschritte bei Themen wie Work-Life-Balance hat sich jedoch die Anzahl der Diagnose Burnout im Allgemeinen stetig erhöht.
Vor wenigen Jahrzehnten war der Begriff "Burnout" noch recht unbekannt. Heutzutage fühlen sich immer mehr Arbeitnehmer ausgebrannt. Dem Leistungsdruck standzuhalten wird in Zeiten der Digitalisierung und dem ständigen Präsent-Sein immer schwerer. Schwäche zugeben und anerkennen ist in der heutigen Gesellschaft nicht immer willkommen.
In dieser Publikation gibt die Autorin einen Überblick über Burnout als psychische Belastungsstörung und die Möglichkeiten der Prävention von Burnout im Betrieb. Sie betrachtet dabei zunächst Entstehungsursachen und den Verlauf von Burnout und erläutert die betriebliche Gesundheitsförderung sowie die Konzepte der Salutogenese und Pathogenese. Die Autorin geht intensiv auf das Coaching als salutogenetische Maßnahme zur Gesundheitsförderung ein, denn im Vergleich zu weiteren aufgeführten Maßnahmen zur Burnoutprävention hat sich Coaching als überaus wertvoll erwiesen.
Aus dem Inhalt:
Burnout;
Coaching;
Prävention;
Salutogenese;
Pathogenese;
Betriebliches Gesundheitsmanagement;
Corporate Health Management
2.4.1 Situationsbedingte Ursachen
2.4.2 Persönlichkeitsbedingte Ursachen
2.4.3 Organisationsbedingte Ursachen
3 Betriebliche Präventionsmaßnahmen
3.1 Gründe für die Einführung von betrieblichen Präventionsmaßnahmen
3.2 Gestaltungsmöglichkeiten eines Präventionsverfahrens
3.3 Hindernisse bei der Umsetzung von Präventionsmaßnahmen
4 Coaching
4.1 Definition
4.2 Anwendungsbereiche
4.3 Wirkfaktoren im Coaching-Prozesses
4.4 Chancen von Coaching
4.5 Grenzen von Coaching
5 Eignung als Präventionsmaßnahme
5.1 Grundvoraussetzungen für die Eignung als Präventionsverfahren
5.2 Argumente für die Eignung als präventive Maßnahme gegen Burnout
5.3 Argumente gegen die Eignung als präventive Maßnahme gegen Burnout
6 Fazit
Literaturverzeichnis
Kurzfassung / Abstract
Kurzfassung
Die vorliegende Bachelorarbeit gibt einen Überblick über Burnout als psychische Belastungsstörung und die Möglichkeiten der Prävention gegen Burnout im Betrieb. Dabei wurde zunächst ein Überblick über die Entstehungsursachen und den Verlauf von Burnout gegeben. Danach wurde die betriebliche Gesundheitsförderung näher betrachtet und somit die Konzepte der Salutogenese und Pathogenese erläutert. Im Anschluss wurde Coaching als salutogenetische Maßnahme zur Gesundheitsförderung näher untersucht und somit seine Eignung als präventive Maßnahme gegen berufsbedingten Burnout bewertet. Im Vergleich mit den aufgeführten Maßnahmen zur Burnoutprävention hat sich Coaching dabei als wertvolle Maßnahme erwiesen.
Schlüsselwörter: Burnout – Coaching – Prävention – Salutogenese – Pathogenese – Betriebliches Gesundheitsmanagement
Abstract
The bachelor thesis gives an overview about burnout as a mental stress disorder and the possibilities of prevention against burnout in the enterprise. An overview of the causes of burnout and the course of burnout was given. Afterwards the company health promotion was considered more closely and the concepts of salutogenesis and pathogenesis were explained. Subsequently, coaching as a salutogenetic measure for health promotion was investigated more closely and thus its suitability as a preventive measure against occupational burnout was assessed. Therefore, a comparison between other given preventive measures was conducted and coaching was shown to be a valuable tool for burnout prevention.
Key words: Burnout – coaching – prevention – salutogenesis – pathogenesis – corporate health management
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Burnout-Dimensionen nach Maslach
Abbildung 2: Symptom-Kategorien nach Mathias Burisch
Abbildung 3: Klassifizierung der Coachinganlässe nach Wissemann
Abbildung 4: Kategorien der Erfolgsdimensionen beim Coaching nach Lindart 2016, S160ff.
Abbildung 5: Bestandteile des Kohärenzgefühls nach Antonovsky
Abbildung 6: vereinfachte Abbildung in Anlehnung an Udris 2006, S. 11.
1 Einführung
Beobachtet man den Arbeitsmarkt der vergangenen Jahre, so sieht man, dass auch hier der demographische Wandel seine Spuren bemerkbar macht. Die Generation der Babyboomer, für die harte Arbeit der Kern des Lebens ist, erreicht langsam aber sicher das Renteneintrittsalter, der Arbeitsmarkt ist geprägt durch Mitglieder der Generation X und Millennials. Trotz deutlicher Fortschritte bei Themen wie Work-Life-Balance hat sich jedoch die Anzahl der Diagnose Burnout im Allgemeinen stetig erhöht.[1] Gerade in der Arbeitswelt haben viele verschiedene Faktoren Einfluss auf das Individuum, nicht zuletzt das direkte Arbeitsumfeld und das Arbeitsklima. „Gute Führung macht [..|] nicht gesund, aber sie kann Krankheit verhindern“[2] – doch was, wenn trotz jeglicher Bemühungen für eine förderliche Führungsweise die Mitarbeiter erkranken? Bei immer mehr Menschen gibt so langsam der Akku nach, sie brennen aus.
Burnout ist ein Begriff, der immer häufiger Einzug in den normalen Sprachgebrauch findet. Während vor wenigen Jahrzehnten dieser Begriff noch wenig im Einsatz war, fühlen sich heutzutage immer mehr Arbeitnehmer ausgebrannt – dem Leistungsdruck, der in der Gesellschaft vorherrscht, standhalten zu können, ist in Zeiten der Digitalisierung und somit auch der ständigen Erreichbarkeit, dem ständigen Präsent-sein immer schwerer. Schwäche zugeben und anerkennen ist in der heutigen Gesellschaft nicht immer willkommen, und war es auch in der Vergangenheit nicht. Die Diagnose Burnout liegt daher vielen fern, insbesondere, da der Grat zwischen Belastungsstörung und Krankheit sehr schmal ist und Burnout oft missverstanden wird. Besonders bei Führungskräften gehören „Schwäche und Schwächeln nicht zum akzeptierten Selbstverständnis“.[3] Dabei ist das Krankheitsbild des Burnout bei Weitem nichts Neues – bereits Shakespeare benutzte das Verb „to burn out“ in seinen Werken.[4] „Was ist das für ein Prozess, der hochintelligente Männer mit ursprünglich anscheinend guter Motivation und einer Menge Vertrauen in sich selbst und in ihre Fähigkeit, Krisensituationen zu meistern, in eine Geistesverfassung derartiger emotionaler Auflösung und Desillusionierung bringt?“, sagt auch R.J. Alexander im Jahre 1980[5] und schildert somit eines der Kernmerkmale der Burnout-Problematik. Die meisten Betroffenen sind vor Ausbruch des Burnouts vollfunktionale, äußerst produktive Mitglieder der Gesellschaft, welche ihre Arbeit gerne und überdurchschnittlich gut verrichten. Das Burnout bahnt sich langsam unter der Oberfläche an, bis die Betroffenen letztlich nicht mehr können und vollkommen zusammenbrechen.
Im Rahmen dieser Bachelorthesis soll nun zunächst ein Definitionsversuch für Burnout angestellt werden; hierzu wird zunächst der Burnout-Begriff betrachtet und anschließend die Definitionsproblematik diskutiert. Danach werden die Symptomatik und der Krankheitsverlauf näher betrachtet und somit auch die Ursachen erkundet. Dann erfolgt eine Betrachtung präventiver Gesundheitsmaßnahmen im Betrieb, die Gründe für eine Einführung von präventiven Gesundheitsmaßnahmen und die Beschaffenheit dieser möglichen Maßnahmen. Nachfolgend wird die Thematik des Coachings in Betracht gezogen, einem relativ weitläufig und vielfältig benutzten Begriff. Da auch Coaching mit einer gewissen Definitionsproblematik behaftet ist, wird ein Definitionsversuch durchgeführt, die Anwendungsbereiche von Coachingmethoden erläutert und somit auch auf Chancen und Grenzen eines Coaching-Prozesses eingegangen. Im letzten Abschnitt erfolgt eine Bewertung von Coaching als Präventionsmaßnahme gegen berufsbedingten Burnout im Unternehmen.
2 Burnout
2.1 Definitionsproblematik
Eine offizielle, international anerkannte Definition von Burnout ist bis heute nicht gegeben, was verschiedene Ursachen hat. Psychische Erkrankungen sind, im Gegensatz zu körperlichen Erkrankungen, nicht eindeutig diagnostizierbar und vor allem nicht ohne Weiteres zu unterscheiden, da sich die Symptome oftmals ähneln und eine Grenzziehung sich als schwierig erweist. Dennoch ist eine gemeinsame Definitionsgrundlage für die Forschung unabdinglich, um einen gemeinsamen Grund als Diskussionsebene zu gewährleisten. Laut Maslach liegt dieses Fehlen einer Definition an dem populären Ursprung der Burnout-Diskussion, welche es schon länger gibt als die wissenschaftliche Erforschung der Thematik.[6] Seit Anfang der 1950er Jahre widmen sich Organisationen wie die World Health Organisation (nachfolgend WHO) der Erstellung von Diagnoseschlüsseln, welche verschiedene Krankheitsdiagnosen mit ihrer Symptomatik auflisten. Dieses Gesamtwerk unter dem Namen International Classification of Diseases (nachfolgend ICD) vereint die Meinungen von Experten aus den über 200 Mitgliedsstaaten. Seit dem Jahre 2000 ist die ICD verpflichtendes Referenzwerk für alle deutschen Ärzte, die mit Krankenkassen abrechnen. Ohne gültige Diagnose kann also keine Kostenübernahme der Therapie durch die Krankenkasse veranlasst werden.[7]
Burnout als Erkrankung wird in der ICD-10 unter dem Schlüssel Z73: Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung aufgelistet und enthält unter Anderem folgende Punkte:
- Akzentuierung von Persönlichkeitszügen
- Ausgebranntsein [Burn-out]
- Einschränkung von Aktivitäten durch Behinderung
- Körperliche oder psychische Belastung o.n.A.
- Mangel an Entspannung oder Freizeit
- Sozialer Rollenkonflikt, anderenorts nicht klassifiziert
- Stress, anderenorts nicht klassifiziert
- Unzulängliche soziale Fähigkeiten, anderenorts nicht klassifiziert
- Zustand der totalen Erschöpfung[8]
Burisch referiert sich bezüglich einer Definition an die Version dreier holländischer Institutionen, da in den Niederlanden die ICD nicht als Standard-Referenzwerk gilt. Der Landesweite Verband von Notfallpsychologen, die Niederländische Hausärztegesellschaft und der Niederländische Verband für Arbeits- und Betriebsmedizin veröffentlichen im Jahre 2011 in Kollaboration eine Richtlinie, die auch einen Definitionsvorschlag inkludiert.[9]
Laut dieser Richtlinie kann die Diagnose Burnout bei Vorhandensein folgender Faktoren gestellt werden:
(1) Mindestens drei der folgenden Beschwerden müssen beim Patienten gegeben sein:
- Müdigkeit
- Gestörter oder unruhiger Schlaf
- Reizbarkeit
- Gesunkene Fähigkeit, Druck und Unsicherheit zu bewältigen
- Emotionale Labilität
- Grübeleien
- Gefühl von Gehetzt-sein
- Konzentrationsprobleme und/oder Vergesslichkeit
(2) Gefühle von Kontrollverlust und/oder Hilflosigkeit, die auf mangelnde Bewältigungsfähigkeit im Angesicht von Stressoren zurück zu führen sind
(3) Mindestens eine soziale Rolle (wie beispielsweise Elternteil, Arbeitnehmer, Ehepartner) kann höchstens nur noch zur Hälfte ausgeführt werden
(4) Die Symptome sind nicht ausschließlich auf eine psychiatrische Erkrankung (wie beispielsweise Depression) zurückzuführen
(5) Die Beschwerden müssen seit mindestens 6 Monaten bestehen.[10]
Insbesondere der letzte Punkt erschwert eine erfolgreiche Krankheitsdiagnose des Burnouts, da in den meisten Fällen bereits viel früher klar ist, dass therapeutisch eingegriffen werden muss, um eine vollständige Genesung zu begünstigen, die Diagnose allerdings aufgrund des Zeitfaktors nicht gestellt werden kann.
Durch das Fehlen einer anerkannten, definitiven Definition des Begriffs Burnout und seines Krankheitsbildes gibt es auch dementsprechende Probleme bei seiner Anerkennung, nicht nur von Außenstehenden, sondern auch von den Betroffenen selbst. Sie erleben diesen Zustand der Erschöpfung oft als Scheitern und persönliches Versagen.[11] Dieses negative Gefühl des Versagens hat weite Streuungseffekte und breitet sich neben dem Gefühl des beruflichen Scheiterns auch auf alle anderen Lebensbereiche aus, was sich in Aussagen wie „Ich habe als Mensch versagt“ oder Ähnlichem wiederspiegelt.[12] Eine Abgrenzung zu Depression ist demnach allein durch die Symptomatik nicht erkennbar. Dementsprechend sorgfältig muss bei der Entwicklung möglicher Präventionsmaßnahmen gegen Burnout vorgegangen werden.
2.2 Stellenwert von Burnout
Die Feststellung von Burnout kann sich über sehr lange Zeit erstrecken und die Diagnose erfolgt meistens erst mit dem Zusammenbruch der Betroffenen, unter Anderem auch durch das krankheitsbedingte (temporäre oder permanente) Ausscheiden aus der Erwerbstätigkeit. Die Gefahrfaktoren sind nicht auf Anhieb eindeutig identifizierbar, da nicht jeder Mensch diese Gefahrfaktoren gleich wahrnimmt und daher die Einwirkung dieser Faktoren sich auch unterschiedlich auswirkt. Hollmann/Hanebuth zufolge ist die Erwerbsunfähigkeit nur die erste Station eines „langen Leidenswegs“.[13] Man kann, wie bereits erwähnt, nicht von einer generellen Burnout-Gefährdung eines jeden Menschen ausgehen. Die Anfälligkeit für Burnout als psychische Belastungsstörung lässt sich nicht pauschalisieren und ist bei jedem Menschen in unterschiedlichem Maße gegeben.
Die Unterscheidung von Burnout zu anderen psychischen Krankheitsbildern wie beispielsweise Depression ist schwer zu bewerkstelligen, wenn keine ausführliche Anamnese, also eine Aufzeichnung der Krankheitsgeschichte und somit auch der Entstehungsursachen, gestellt wird. Klinische Untersuchungen zum Thema Burnout enthalten lediglich Patienten mit schwerem Burnout, sodass die Dunkelziffer der Betroffenen im Vergleich zu tatsächlichen Aufzeichnungen sehr hoch ist.
Einer Studie der Techniker Krankenkasse aus dem Jahre 2016 zufolge entfallen von rund 15 Fehltagen pro Jahr und pro Kopf 2,5 Tage auf psychische Beschwerden wie Depressionen, Angst- und Belastungsstörungen. Laut der Stressstudie bringt diese erhöhte Zahl an Diagnosen von psychischen Beschwerden jedoch auch positive Aspekte mit sich. Eine erhöhte Anzahl an Diagnosen bedeutet nicht unbedingt, dass die Anzahl der Erkrankungen gestiegen ist, sondern kann auch bedeuten, dass der Stand der Medizin und auch die Akzeptanz in der Bevölkerung heute besser ist als vor etwa 15 Jahren. Dadurch können erfolgreicher treffende Diagnosen gefällt und die Betroffenen so besser therapiert werden.[14] Laut selbiger Studie fühlen sich nichtsdestotrotz etwa zwei Drittel der deutschen Bevölkerung regelmäßig gestresst bis sehr gestresst und sind starken psychischen Belastungen ausgesetzt.[15]
Stress führt nicht zwangsweise zu einem Burnout, und die Ursache für den Ausbruch der Krankheit liegt selten an der tatsächlichen, faktischen Belastung, denen die Betroffenen ausgesetzt sind. Außerdem ist die Grenze zwischen Belastungen im beruflichen Kontext und im Privatleben nicht eindeutig zu ziehen.[16] Dennoch sind Experten der Meinung, dass psychische Belastungen genau so sehr mit Fehlzeiten verknüpft sind wie körperliche. Unter „psychischen Belastungen“ beziehen sie sich hierbei auf lange Arbeitszeiten und Überbelastung im Sinne von Arbeitsmenge und –tempo sowie den unmittelbaren Auswirkungen des Arbeitsumfeldes auf den Beschäftigten.[17]
Die gefährdenden Faktoren können sowohl personen- als auch arbeitsplatzspezifisch sein. Ob sie als Ursache oder Auslöser von Burnout fungieren können, wird im weiteren Verlauf der Arbeit untersucht werden.
2.3 Merkmale und Symptome
Bäuerle bezeichnet Burnout als „die Reduktion psychischer Belastbarkeit schon im mittleren Berufsalter; die Entstehung von Resignation und Ressentiment als Folge menschlicher Überforderung; die Bildung einer autoritären Charakterstruktur und die Neigung zu repressivem Verhalten als Folge beruflicher Enttäuschung; den inneren Rückzug von allen Menschen und menschlichen Problemen als Schutzmaßnahme jener, die ‒ ohne eigene Hilfe zu erfahren ‒ ein Berufsleben lang mit schwierigen Persönlichkeiten in hoffnungslosen Situationen gesellschaftskonforme Lösungen finden müssen“.[18]
Zusammengefasst nennt er als typische Merkmale einer Burnout-Erkrankung also die reduzierte persönliche Leistungsfähigkeit, und Resignation im Zusammenspiel mit emotionalen Reaktionen wie Aggression oder auch totalem Rückzug, im Zuge einer Schutzmaßnahme der eigenen Person.
Genau wie es bei der Definition von Burnout viele verschiedene Meinungen gibt, so ist auch der Krankheitsverlauf und die Symptomatik vielfach von Experten auf dem Fachgebiet der Psychologie beschrieben worden, ohne dabei auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Das mag daran liegen, dass kein Burnout-Fall dem anderen gleicht und der persönliche Lebensstil und die Persönlichkeiten der Betroffenen sich selten gleichen. Der Tatbestand Burnout wurde zur Anfangsphase der Untersuchungen vermehrt in Berufen mit sozialem Hintergrund festgestellt. Dies ist heute nicht mehr der Fall, die Untersuchungen haben sich auch auf andere Berufsgruppen ausgeweitet und die Ursachen und Entstehungsfaktoren werden insbesondere bei Leistungsträgern und Führungskräften untersucht.
Bei Recherchen bezüglich der Symptomatik wird schnell ersichtlich, dass eine Vielzahl von Ansätzen besteht. Von diesen werden im Folgenden einige im Detail betrachtet. Dabei ist zu beachten, dass alle Phasenmodelle recht typologisiert und nicht unbedingt repräsentativ für jeden Burnout-Betroffenen sind.[19]
2.3.1 Ansatz nach Maslach
Christina Maslach entwickelte 1981 in Zusammenarbeit mit Susan E. Jackson den Maslach Burnout Index (nachfolgend MBI), der seither als eine der Grundlagen für Burnoutforschung und -untersuchungen genutzt wird. In diesem Messinstrument kategorisiert Maslach Burnout in drei verschiedene Ausprägungen, mit deren Hilfe seine Schwere gemessen werden kann.
Abbildung 1: Burnout-Dimensionen nach Maslach
(1) Emotionale Erschöpfung
Emotionale Erschöpfung bildet eine der drei Ausprägungen nach Maslach. Die Erschöpfung beginnt damit, dass der Betroffene die emotionale und nervliche Überspannung wahrnimmt; er fühlt sich ausgelaugt, und dies spiegelt sich auch in seinen ursprünglich impulsiven Reaktionen wieder, die nun eher abflachen. Hauptursachen für diese Erschöpfung sind Überlastungen im beruflichen Kontext kombiniert mit persönlichen Konflikten aller Art; auf die Ursachen wird allerdings im nachfolgenden Kapitel näher eingegangen. Der Betroffene fühlt sich leer und ausgelaugt, und ist ratlos, wie er seine Ressourcen wieder auffüllen und Kraft tanken kann. In fortgeschrittenen Fällen zweifelt er unter anderem daran, dass er auch nur einen weiteren Tag bewältigen kann.[20]
(2) Entfremdung
In dieser Kategorie stellt sich die Entfremdung von der Arbeit ein, häufig verursacht durch einen Werteverlust durch vorherige negative Emotionen oder Erlebnisse. Maslach argumentiert, dass diese Entfremdung auf Grundlage der vorherigen emotionalen Erschöpfung passiert und zunächst als Schutzmechanismus für den Betroffenen dient. Durch diese Emotionsregulierung schützt sich der Betroffene selbst und nutzt die Distanzierung zunächst als Bewältigungsmechanismus. Mögliche Risiken sind beispielsweise die „innere Kündigung“ oder eine totale Entfremdung von der Arbeit.[21]
(3) Verminderte persönliche Leistungsfähigkeit
In dieser Kategorie setzen beim Betroffenen zunächst die Gefühle der Unzulänglichkeit, des Nicht-kompetent-seins und dem Verlust der Produktivität ein, bis diese dann auch tatsächlich eintreten. Der Betroffene spürt deutliche Effizienzverluste bei seiner tagtäglichen Arbeit. Er verspürt die Anforderungen an ihn durch seine Arbeit als immer anspruchsvoller und fragt sich, ob er ihnen noch gerecht werden kann. Dies wird zusätzlich verschlimmert durch ein Fehlen von sozialem Halt und beruflichen Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten. Maslach bezeichnet die Symptome dieser Kategorie als „self-imposed verdict on failure“, sozusagen eine selbst auferlegte Vorprogrammierung zum Scheitern.[22]
2.3.2 Ansatz nach Burisch
Wie bereits zuvor erwähnt, unterscheiden sich die Auffassungen der Fachexperten nicht nur hinsichtlich der Definition von Burnout, sondern auch bezüglich der Symptomatik und des Krankheitsverlaufs. Matthias Burisch kategorisiert die Anzeichen und Symptome eines Burnouts in sieben Kategorien.[23]
Abbildung 2: Symptom-Kategorien nach Mathias Burisch
Kategorie 1: Warnsymptome der Anfangsphase
„Wer ausbrennt, der muss einmal gebrannt haben“ – so argumentiert Burisch, dass besonders sehr zielstrebige Personen, die eine enthusiastische Herangehensweise auch bei komplizierten Problemen aufweisen, gefährdet sind. Laut Burisch werden auch jene Personen Burnout-gefährdet, die sich „unrealistische[n] Ansprüche[n]“ gegenüber gestellt sehen, an deren Erfüllung sie bereits von vornerein zweifeln.[24] Dabei stünde nicht so sehr die Arbeitsmenge wie etwa die Gefühlslage, mit der man diverse Herausforderungen bewältigt oder es versucht, im Vordergrund. Burisch betont, dass bei einem ausgeglichenen Verhältnis zwischen Anstrengung und Belohnung ein hoher Grad von Engagement und die damit einhergehende Erschöpfung lange Zeit aufrechterhalten werden können. Kritisch werde die Situation dann, wenn Zweifel im Betroffenen aufkommen oder er Widerwillen für seine Tätigkeiten verspürt, verursacht etwa durch suboptimale Beziehungen mit Kollegen, Kritik vom Vorgesetzten oder das Gefühl, stets auf der Stelle zu traben.[25] Hierbei wird nicht unterschieden, ob die Person sich diese Ansprüche selber stellt, oder ob sie ihm von außen gestellt werden.[26]
Kategorie 2: Reduziertes Engagement
Die Betroffenen fühlen sich hierbei häufig, als würde ihr Leben erst nach der Arbeit beginnen. Diese sogenannte innere Kündigung führt zu einer „Absonderung“ von der Arbeit im Allgemeinen. Obwohl dies kein eindeutiges Indiz für das Eintreten eines Burnouts ist, ist dieses Verhalten besonders bei den Betroffenen auffällig, die ihre Arbeit zuvor mit sehr großen Engagement durchgeführt haben und nach dem Grundsatz „Leben um zu arbeiten“ ihre Arbeit geliebt haben. Sollte ein Zurückziehen aus dem Arbeitsumfeld nur bedingt möglich sein, so zieht sich der Betroffene laut Burisch auch von Freunden, Familie und Bekannten zurück und wendet sich von sozialen Kontakten ab. Dieser Rückzug erfolgt emotional, kognitiv und verhaltensmäßig.[27] Während früher übermäßiges Engagement gerne vorgewiesen wurde, erhöht der Betroffene seine Ansprüche und möchte mehr Gegenleistung sehen; im gegenteiligen Falle zieht er sich zurück und kapselt sich ab. Durch diverse Techniken der Selbstdistanzierung zieht sich die Person zunehmend in sich selber zurück und schirmt sich von seiner Umwelt ab. Auch Überdruss stellt sich häufig ein, nicht nur bezogen auf die Arbeit, sondern auch in anderen Lebensbereichen.
Zu den Symptomen dieser Kategorie gehören auch, dass die Betroffenen zunehmend Wert auf materielle Dinge legen. Die Arbeit dient immer mehr dazu, lediglich monetäre Bedürfnisse zu befriedigen. Burisch führt an dieser Stelle Herzbergs Zwei-Faktoren-Theorie zur Arbeitszufriedenheit ein, um zu zeigen, dass die sogenannten „Hygienefaktoren“ zunehmend an Bedeutung gewinnen, das bedeutet Arbeitsfaktoren, deren Vorhandensein keine zusätzliche Zufriedenheit verursacht, ihr Fehlen jedoch maßgeblich zur Unzufriedenheit am Arbeitsplatz beiträgt.[28]
Kategorie 3: Emotionale Reaktionen und Schuldzuweisung
Symptome in dieser Kategorie sind unter Anderem das Ausarten des Gemüts in Richtung Depression oder Aggression, abhängig von der Persönlichkeit des Betroffenen.
Bei Personen, die die Ursachen von Problemen generell eher in sich suchen statt bei anderen, kann das Gefühl des Versagens Hilflosigkeit und im Extremfall sogar Depression auslösen. Sie fühlen sich hilflos und allein, durch die Abschottung von Freunden, Kollegen und Familie suchen sie meist auch nicht das helfende Gespräch mit Außenstehenden. Ist der Betroffene in der Lage, diese Veränderung an sich selber zu beobachten und ist sich der Konsequenzen eventuell sogar schon bewusst, kann außerdem ein Schuldgefühl hinzukommen. Die Betroffenen verlieren ihr Selbstwertgefühl und fühlen sich „nutzlos“, glauben sogar nach und nach, sie hätten durch das Versagen in ihrer Hauptaufgabe (der Arbeit) keine Daseinsberechtigung mehr. Häufige Aussagen gehen in die Richtung „Ich bin einfach ungeeignet für diesen Beruf“.[29] Das Gefühl des Versagens wird auch auf andere Lebensbereiche projiziert und eine Abwärtsspirale beginnt. Diese depressive Haltung kann sich beispielsweise durch Humorlosigkeit, Stimmungsschwankungen, verringerte emotionale Belastbarkeit, Neigung zum Weinen, Apathie und Pessimismus zeigen. Das andere Extrem ist das Ausschlagen in Aggression und übermäßige Schuldzuweisungen. Der Betroffene sucht die Schuld seiner Probleme in anderen und „im System“ und äußert dies durch Schuldzuweisungen, Vorwürfe, Ungeduld, Intoleranz, Launenhaftigkeit, Kompromissunfähigkeit, Reizbarkeit, Misstrauen und häufige Konflikte mit anderen.[30] Hierbei sind häufige Aussagen beispielsweise „Ich bin falsch ausgebildet worden“, „die Umstände haben sich einfach geändert“ oder Ähnliches. Diese „extrapunitiven“ Typen, wie Burisch sie nennt, entwickeln eine extrem negative Grundhaltung besonders Veränderungen gegenüber, seien sie auch noch so klein. Befinden diese Veränderungen sich in ihrem Einflussbereich, werden sie versuchen, diese zu verhindern und im Falle, dass dies nicht gelingt, ihren Unmut deutlich bei Kollegen, Freunden und Familie deutlich machen. Sie entwickeln außerdem eine unbegründete defensive Haltung und benutzen diese wie einen Panzer um sich herum.
Burisch kategorisiert beide Extreme als „Trauerarbeit“, die der Betroffene erst einmal verarbeiten muss, bevor er dagegen vorgehen kann und eventuell einen konstruktiven Abschluss finden kann.[31] Allerdings nimmt Burisch an dieser Stelle noch einmal Bezug auf Freudenberger, der behauptet, Ausbrenner seien es gewöhnt, sich selber helfen zu können und akzeptierten daher keine Hilfestellung bei dieser Aufgabe.[32]
Kategorie 4: Abbau der kognitiven Leistungsfähigkeit
Nach den inneren Konflikten zeigen sich die Symptome dieser Kategorie nun auch nach außen und können durch Arbeitgeber, Vorgesetzte und Kollegen erkannt werden. Der Leistungsabbau schlägt sich direkt im Verhalten und den Arbeitsergebnissen wieder.[33] Während kleinere Fehler und Versäumnisse anfangs noch aufgefangen werden können, werden sie mit der Zeit immer auffälliger. Verminderte Konzentration und Erinnerungsfähigkeit sowie der Abbau der Motivation, Impulsivität und Kreativität gehören zu den häufigsten Symptomen dieser Phase. Komplexe Aufgaben, die der Betroffene früher hätte lösen können, scheinen nun nicht mehr machbar. Löst er diese Probleme und Aufgaben dann doch, kann ein Genauigkeitsdefizit beobachtet werden. Entscheidungen, Delegieren und klare Anweisungen können den Betroffenen ebenfalls sehr schwer fallen. Durch diese Erlebnisse des Versagens verringert sich die Initiative des Betroffenen simultan zu seiner Produktivität.[34] Es herrscht zunehmend „Dienst nach Vorschrift“, und eingefahrene Denkweisen, die zu kognitiver Entlastung führen, werden immer willkommener. In Wechselwirkung mit Symptomen der Kategorie 3 verstärkt sich auch hier das Risiko eines Burnouts, sollte der Abbau in das Bewusstsein des Betroffenen rücken.[35]
Kategorie 5: Verflachung
Laut Burisch kann es „in Fortführung der Symptome von Kategorie 4 [..] zu einer generellen Verflachung des emotionalen, sozialen und geistigen Lebens“ kommen.[36] Dadurch fühlen sich die Betroffenen sehr einsam und werden es faktisch auch, da sie sich durch ihren Rückzug und verminderte Anteilnahme an ihrem Umfeld immer weiter isolieren. Somit können sich auch ihre Freunde und Familie von ihnen abwenden. Diese Verflachung findet verstärkt im privaten Bereich statt und kann schwer von Verantwortlichen am Arbeitsplatz nachvollzogen und somit erkannt werden.
Kategorie 6: Psychosomatische Reaktionen
Zusätzlich zu den geistigen Belastungen schlagen sich die Symptome nun auch auf dem Körper des Betroffenen wieder. Psychosomatik ist die Lehre der Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen Psyche und Körper, also Krankheiten, deren Ursprung nicht alleine durch Betrachtung nur der körperlichen oder nur der psychischen Verfassung zu finden ist.[37] Als häufige Beschwerden nennt Burisch Schlafstörungen, nervöse Ticks, Schwächung der Immunreaktion und somit ein verstärktes Auftreten von Infektionskrankheiten, Kreislaufbeschwerden, erhöhter Blutdruck und Atembeschwerden.[38] Spätestens mit Eintreten dieser Phase häufen sich bei den meisten Betroffenen auch die Fehlzeiten im Betrieb, da körperliches Versagen eindeutiger ist als psychisches und bei körperlichen Beschwerden Ruhezeiten durch Krankschreibung gängig sind. Insofern äußern sich die Symptome dieser Kategorie nicht als Burnout-typisch, sondern können auch als Anzeichen anderer Erkrankungen gewertet werden oder als vorübergehender Zustand sowohl von Arbeitgeber als auch von der Betroffenen Person außer Acht gelassen und runter gespielt werden.
Kategorie 7: Verzweiflung
Burisch bezeichnet Symptome dieser Kategorie als „terminale[s] Burnout-Stadium“, als „existenzielle[..] Verzweiflung“. In dieser Phase wird der Alltag der Betroffenen von Hoffnungslosigkeit, Sinnlosigkeit und tiefgehender Verzweiflung geprägt. Die temporäre Hilflosigkeit hat sich nun zu einem chronischen Zustand transformiert; im äußersten Falle der Verzweiflung können Betroffene sogar Selbstmordgedanken hegen.[39]
2.4 Ursachen von Burnout
Nelting sieht Burnout als „ein Anpassungsversuch unseres Körpers an die Lebensbedingungen und Anforderungen der heutigen Welt“[40]. Die Betonung liegt hierbei auf Versuch, denn bei Eintreten von Burnout scheitert der Betroffene an eben dieser Anpassung und findet sich somit in der Abwärtsspirale wieder. Die Ursachen können in situationsorientierte, persönlichkeitsorientierte und organisationsbezogene Ansätze kategorisiert werden, welche im Folgenden näher erläutert werden.
2.4.1 Situationsbedingte Ursachen
Maslach zufolge ist Burnout als Endstation eines Weges anzusehen, der durch die Anforderungen der heutigen Gesellschaft geprägt ist und somit von der individuellen Situation der Person in der Gesellschaft abhängt. Auch wenn Burnout sich innerhalb der Person abspielt, sieht Maslach den situationellen Kontext als maßgebliche Ursache für die Gefährdung von Burnout. [41]
Das Arbeitsumfeld hat einen großen Einfluss auf die Person und trägt maßgebend zu ihren erbrachten Leistungen bei. Maslach zufolge ist das Arbeitsumfeld zunehmend geprägt vom Ungleichgewicht von Anforderungen und Ressourcen. Damit bezieht sie sich auf Ressourcen wie Zeit, Geld und auch Kraft. Die Anforderungen, die gestellt werden, stehen häufig in keinem Verhältnis zu den gegebenen Ressourcen. Dieser Stressfaktor ist dabei vor Allem in Managementjobs keineswegs saisonal oder temporär, sondern inzwischen häufig ein chronischer Dauerzustand, der auf einer längerfristigen Basis konstant hoch bleibt.[42]
Zusätzlich zum herrschenden Ungleichgewicht aus Anforderungen und Mitteln sind Arbeitnehmer häufig kontinuierlichen, andauernden Konflikten ausgesetzt, sei es mit Vorgesetzten, Kollegen oder Kunden. Diese Konflikte können sich jedoch auch im Inneren einer Person abspielen, in diesem Falle handelt es sich um einen inneren Konflikt mit der eingenommenen Rolle oder auch den Kernnormen und –werten der Person im Zusammenspiel mit den Unternehmensnormen und –werten.[43]
Maslach zufolge verstärkt diese Kombination aus erhöhtem Konfliktpotential und erhöhtem Spannungspotential eine Depersonalisierung der Arbeit, die der Betroffene als inneren Schutzmechanismus initiiert.
Gerade in steilen Hierarchien werden die Mitarbeiter unterhalb der höchsten Führungsebene oft nicht in Entscheidungen miteinbezogen, seien diese auch noch so klein. Dies und das Gefühl, wenig Kontrolle über die Arbeit, ihre Geschwindigkeit als auch ihr Timing und über die Mengenverteilung, zu besitzen, können dem Mitarbeiter ein Gefühl der Unzulänglichkeit vermitteln.[44]
Das Arbeitsumfeld und die Situation der Mitarbeiter wird nicht nur von der Unternehmensorganisation beeinflusst, sondern auch von weiteren sozialen, politischen und wirtschaftlichen Einflussfaktoren. Insofern sieht Maslach Burnout als einen Ausdruck der Einflüsse der Umwelt und der situationsbedingten Umstände auf persönlicher Ebene durch das Individuum.[45]
Auch Burisch argumentiert mit der Berufswahl für situationsbedingte Ursachen einer Burnoutgefährdung. Zu Beginn wurde der Tatbestand Burnout vermehrt bei Pflegeberufen untersucht, weswegen diese als besonders anfällig galten. Inzwischen ist erwiesen, dass auch andere Berufsgruppen ein hohes Burnout-Risiko aufweisen. Dabei geht es weniger um den Beruf per se, als viel mehr um die persönliche Situation des Betroffenen am Arbeitsplatz. Trotz zahlreicher Praktika und Referendariat kann es beispielsweise immer noch Lehrkräfte geben, denen in den ersten Berufsjahren zunehmend bewusst wird, dass ihr Kompetenzbereich sich nicht mit dem erforderlichen Kompetenzprofil des Berufes deckt. Ursache hierfür kann sein, dass sich die Berufsrealität oft von der im Studium erzeugten Vision im eigenen Kopf unterscheidet.[46]
Andere Veränderungsfaktoren können im Beruf selber liegen. Ein Beispiel dafür sind laut Burisch Ärzte oder Banker, Berufe, die früher stark angesehen waren und zunehmend weniger angesehen werden. Auch Erfolgsindikatoren befinden sich stetig im Wandel, und somit auch die Entscheidung über Scheitern oder Erfolg. Einen großen Faktor spielt dabei beispielsweise die Automatisierung von allen möglichen Berufsgruppen, der damit einhergehende Bedarf an stetig topaktueller Technologie im Betrieb und somit auch dem Druck auf die Mitarbeiter, sich an diese Veränderungen anzupassen. Gerade bei Berufen, die mit fortschreitender Technologie überflüssig werden, ist meist nur eine Umschulung oder Fortbildung möglich, um wieder in die Berufswelt einsteigen zu können.[47]
2.4.2 Persönlichkeitsbedingte Ursachen
Burisch zufolge kann die Burnout-Gefahr durch verschiedene Möglichkeiten hervorgerufen werden, so auch durch Veränderungen persönlicher Natur. Der Mensch befindet sich ständig im Wandel, und so kann es sein, dass sich auch seine Vorlieben mit der Zeit ändern. Anstatt gerne im Rampenlicht zu stehen, kann es sein, dass Betroffene nach einer Weile merken, dass sie lieber hinter den Kulissen arbeiten und weniger Kundenkontakt bevorzugen. Dies fordert wiederum eine persönliche oder berufliche Anpassung; das heißt, entweder ständig mit Situationen konfrontiert zu sein, die einem nicht mehr so gut liegen, oder aber einen Arbeitsplatzwechsel. Kann der Betroffene keinen der beiden Faktoren beeinflussen oder erfolgreich ändern, kommt er in eine Konfliktsituation, und ist somit einem Stressor ausgesetzt. Die Konfrontation mit diesem Stressor erhöht wiederum die Burnout-Gefahr.
Antonovsky definiert einen Stressor als „eine von innen aufkommende Anforderung an den Organismus, der sein Gleichgewicht stört und die zur Wiederherstellung des Gleichgewichts eine nicht-automatische und nicht unmittelbar verfügbare, energieverbrauchende Handlung erfordert“. Ein Stressor versetzt den Betroffenen in einen Spannungszustand, welchen er dann bewältigen muss, um wieder in die Entspannung zu kommen.[48]
Burnout und die Gefahr von Burnout sind nicht berufsgebunden. Auch Arbeitslose können von Burnout betroffen sein, wenn sie ihre Situation ändern wollen und es einfach nicht schaffen.[49] Insbesondere bei sehr ehrgeizigen und arbeitstüchtigen Menschen ist das Risiko, in die Abwärtsspirale zu geraten, sehr groß. Gelingt es den Betroffenen nicht, aus der Abwärtsspirale auszutreten, bekommen sie Selbstzweifel und sehen keine Daseinsberechtigung mehr. Somit kann eine Depression oder der Burnout-Prozess in Gang gesetzt werden.
Burisch sieht „Autonomieeinbußen in gestörten Auseinandersetzungen des Individuums mit seiner Umwelt, [...] durch die innere Repräsentation solcher Interaktionen als gestörter und das Scheitern bei ihrer Bewältigung“ als Ursache für erhöhte Burnoutgefährdung. Die Ursache liegt hiernach in der verfehlten Zielerreichung, die teilweise durch den Kontrollverlust der Betroffenen bei Transaktionen in ihrem sozialen Umfeld gefördert wird.[50] Burisch zufolge sind Menschen von Natur aus auf der Suche nach Kontrolle bzw. Situationen, in denen sie ihre Transaktionen mit der Umwelt kontrollieren können. Die Kontrolle von außen und Situationen, in denen er die Kontrolle abgeben muss, vermeidet der Mensch natürlicherweise. Ist dies nicht möglich, möchte er diese Situationen zumindest verändern oder verlassen. Demzufolge ist der Mensch, der seiner individuellen Auffassung nach die benötigte Kontrolle über bestimme Transaktionen im Griff hat, innerlich zufrieden. Dabei reicht laut Burisch auch bereits die subjektive Überzeugung dieser Kontrolle, ohne dass diese wirklich bestehen muss. Subjektive Autonomie definiert Burisch als die Überzeugung, für wichtig erachtete Transaktionen mit der Umwelt „ohne übertriebene Anstrengungen ausreichend profitabel und durchgängig unter Kontrolle halten zu können, wenn man will“.[51] Bei Verlust oder Nicht-Erlangung dieser subjektiven Autonomie gerät der Mensch in Stress. Jede Stresssituation erfordert einen Anpassungsprozess durch den Menschen, und der natürliche „Flüchten oder Standhalten“-Instinkt wird geweckt: der Betroffene muss sich entscheiden, ob er aus der Situation flüchtet oder ob er sich dieser Situation stellt. In beiden Fällen tritt bei vereitelter Zielerreichung zusätzlich ein Gefühl der Hilflosigkeit ein. Diese Hilfslosigkeit kann zuweilen sogar lähmend wirken, da der Betroffene seine Bewältigungsanstrengungen zunehmend vermindert, um nicht noch weiter enttäuscht zu werden.[52] Burisch erklärt den Drang nach Kontrolle wie folgt: „Menschen wollen entscheiden können, welche Ausschnitte der Außen- und Innenwelt sie auf welche Weise wie gründlich unter Kontrolle halten wollen, wann sie das tun wollen und vor allem mit welchem Kosten-Nutzen-Verhältnis“.[53] Diese dadurch ausgelöste Hilflosigkeit ist ein weiterer Einflussfaktor auf die Burnout-Gefahr.
Ähnlich verhält es sich mit dem Faktor der Zielvereitelung. Bei der Zielvereitelung gibt der Betroffene sein Ziel vollständig auf, weil er sich mit unüberwindbaren Hindernissen konfrontiert sieht. Es folgt eine Veränderung in seiner Wahrnehmung: er sieht die Welt als unberechenbar an den Stellen, an denen er sie vorher berechenbar sah, und schraubt sein angestrebtes Zielniveau künftig runter. Alternativ schraubt er seine Bemühungen hoch, um mit dieser Enttäuschung klar zu kommen, oder gibt Ziele dieser Kategorie gänzlich auf. Er erkennt, dass er seine eigenen Fähigkeiten überschätzt hat.
Ein weiterer persönlichkeitsbezogener Punkt ist die Zielerschwerung. Bei der Zielerschwerung wird das Ziel zwar erfüllt, nachträglich ergeben jedoch Aufwand und Ertrag ein erhebliches Missverhältnis. Der Akteur nimmt Haltungen ein wie „Jetzt erst recht!“, oder aber „Nie wieder!“. In beiden Fällen ist er enttäuscht über die Ungerechtigkeit der Welt und wertet sich womöglich noch selber ab.
Auch das Ausbleiben einer erwarteten Belohnung kann als Ursache fungieren. Das Ausbleiben der Belohnung muss hierbei nicht von außen sein, sondern es genügt, wenn es beim Akteur nicht zu einer Motivsättigung kommt. Das kann auch daran liegen, dass er sich seiner eigenen Motive nicht ausreichend klar war und das Resultat ihm daher Unbehagen bereitet.
Unabhängig von der Zielerreichung und sonstigen Faktoren kann es zu negativen Nebenwirkungen kommen. In diesem Fall tritt eine Zielerreichung, eine Belohnung und auch eine Motivsättigung ein, diese sind allerdings begleitet von Negativ-
effekten, die die Positiveffekte ganz oder teilweise aufwiegen. Ein Beispiel kann ein erfolgreich durchgeführtes Projekt sein, welches zu Neid oder Unbeliebtheit bei den Kollegen führt. Dabei ist das Problembewältigungsvermögen des Einzelnen sowie seine Bewältigungsstrategien von bedeutender Wichtigkeit für seine Burnout-Gefährdung.[54]
2.4.3 Organisationsbedingte Ursachen
Laut einer Veröffentlichung der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (nachfolgend OSHA, Occupational Safety and Health Organization) aus dem Jahre 2007 gibt es einige ausschlaggebende Faktoren für Stress am Arbeitsplatz. Unsichere Arbeitsverhältnisse durch allgemeine Instabilität des Arbeitsmarktes, aber auch speziell in einzelnen Branchen, rufen bei Arbeitnehmern ein Gefühl der Arbeitsplatzunsicherheit hervor. Lange Arbeitszeiten und eine Intensivierung der Arbeit mit dem Ziel der erhöhten Produktivität tragen zu dem Gefühl bei, immer 100% und mehr geben zu müssen, um seinen Arbeitsplatz nicht noch zusätzlich in eine unsichere Position zu bringen. Neue Formen von Arbeitsverträgen, die Arbeitnehmer immer weniger favorisieren, stiften zusätzlich Stress: geringerer Kündigungsschutz, weniger Urlaub und mehr Überstunden werden zur Normalität. Durch diesen Faktor geraten neue wie alte Arbeitnehmer gleichermaßen unter Stress, da die Arbeitnehmer mit alten, „guten“ Verträgen ihre Position zusätzlich behalten wollen, da sie fürchten, in einer anderen Position nicht mehr ähnliche vertragliche Bedingungen auffinden zu können. Der Trend zum Outsourcing und der Verlagerung von Produktion ins Ausland herrscht nun seit einigen Jahren vor. Verstärkt verlagern Unternehmen nun jedoch auch ihre betriebswirtschaftlichen Prozesse und ganze Abteilungen ins Ausland. Durch die Globalisierung und Digitalisierung wird zudem die Anfälligkeit und Sensibilität für Stress gesteigert, während Beruf und Privatleben immer weniger vereinbart werden können, dies aber zunehmend von Arbeitgeberseite gefordert wird. Die heutige Gesellschaft wandelt sich zunehmend in Richtung einer Dienstleistungsgesellschaft, in der hohe Ansprüche an Dienstleistungen in Bezug auf Qualität und Flexibilität gestellt werden. Damit gehen auch erhöhte emotionale Anforderungen bei der Arbeit einher, insbesondere bei Berufen mit viel Kundenkontakt. Alles in Allem betreffen diese Stressoren Arbeitnehmer in allen Wirtschaftsbereichen.[55]
Dr. Christian Stock sieht den Burnout allerdings auch durch organisationsbezogene Probleme favorisiert. Stock nennt die erhöhte Arbeitsbelastung als einen der häufigsten Stressoren in Bezug auf die Organisation.[56] Durch ständig neue Technologien und dem damit einhergehenden Druck nach erhöhter Produktivität muss eine Arbeitsstelle immer neue Tätigkeiten übernehmen, während es gleichzeitig zu Personaleinsparungen kommt. Durch die Informationsflut, der wir heute ausgesetzt sind, ist der Arbeitnehmer gleichzeitig unter Druck, sich ständig zu informieren, ständig fortzubilden, und immer erreichbar zu sein. Daraus resultiert ein Zustand der Erschöpfung. Stock ist der Ansicht, dass erhöhte Autonomie in Arbeitsabläufen Personen mehr Motivation und Freude bereitet als eine zu straffe Kontrolle. Fehlende Autonomie und ständige Kontrolle hingegen steigern die Unzufriedenheit. Durch erhöhte Kontrolle kommt es auch zu Macht- und Autonomieeinbußen.
Ein weiterer Belastungsfaktor, der an die Motivationstheorie geknüpft ist, ist die Anerkennung der Arbeit. Mangelnde Anerkennung wird oft auf ungerechte Leistungsbewertung zurückgeführt, sei diese nun subjektiv oder objektiv vorhanden. Der Arbeitnehmer sieht sich mit fehlenden Aufstiegsmöglichkeiten konfrontiert und fühlt sich schlichtweg ungerecht behandelt, da seine Leistung als nichtig angesehen oder nicht ausreichend anerkannt wird.[57] Mit der steigenden Arbeitszeit und der Normalisierung von Überstunden verbringt der Arbeitnehmer heutzutage im Schnitt mehr Zeit mit den Kollegen als mit Freunden und Familie. Subjektiv oder objektiv wahrgenommen rücksichtslose Kollegen und ungerechte Vorgesetzte sind Stressoren, die im Ernstfall als Bedrohung wahrgenommen werden können. In einem schlechten Betriebsklima ist die Produktivität außerdem deutlich gemindert, was bei der Forderung nach erhöhter Produktivität ein zusätzlicher Stressor ist. Ein schlechtes Betriebsklima wird außerdem durch mangelnde Fairness gefördert. Dabei spielt einerseits der Mangel Fairness eine Rolle, aber auch erhöhte Unfairness im Sinne der Ausgrenzung und Diskriminierung einzelner Mitglieder, was im Ernstfall zu Mobbing ausarten kann. Das Gefühl mangelnder Fairness entsteht durch einseitige Bevorzugungen und ungleiche Arbeitsverteilung. Dies kann schnell zu erhöhtem Zynismus unter den Kollegen führen. Resultat der (objektiv oder subjektiv wahrgenommenen) mangelnden Fairness ist Frustration und Befremdung. [58]
Ein weiterer Belastungsfaktor können Konflikte zwischen individuellen Werten und denen der Firma sein. Die Werte eines jeden Menschen dienen ihm als Antriebskraft und motivieren ihn zu Taten und Leistungen; sie wirken sinnstiftend und verleihen demjenigen, der nach seinen persönlichen Werten lebt, einen inneren Frieden. Handelt man jedoch gegen seine inneren Werte, kann dies zu innerer Unruhe und Gewissenskonflikten führen. Dabei sind Werte immer eine Frage der Perspektive und so können sich persönliche Werte stark von den Werten eines Unternehmens unterscheiden.[59] Als Folge des Wertekonflikts entfremdet sich die Person zunehmend von ihrer Tätigkeit und seinem Arbeitgeber. Ein weiterer Wertekonflikt kann entstehen, wenn häufig Konfrontationen mit Unehrlichkeit im Betrieb entstehen. Wenn durch diese herrschende Unehrlichkeit auch noch jemand zu Schaden kommt, ist der Akteur von einem schlechten Gewissen geplagt und entwickelt einen starken Widerwillen seiner Arbeit gegenüber.[60] Dieser Stressor kann zu erheblichem Stress führen und erhöht somit die Burnoutgefährdung.
Wie diese Faktoren durch den Betroffenen wahrgenommen werden, ist natürlich subjektiv und kann keineswegs pauschalisiert werden. Wie auch bereits im vorherigen Abschnitt erörtert, hängt die Gefährdung eines Burnouts sehr stark von den individuellen Bewältigungsmechanismen eines jeden ab. Auch sein Selbst-Bewusstsein spielt eine große Rolle, denn jeder Mensch reagiert anders auf Stressoren und entscheidet somit, ob sie bei ihm zu Stress führen oder ob er die Stressoren bewältigen kann, ohne Schaden davon zu tragen.
Die Meinungen spalten sich, wie man sieht, bei den Ursachen der Gefährdung von Burnout ebenso wie bei seiner genauen Definition. Auch wenn verschiedene Spezialisten auf dem Fachgebiet verschiedene Ansätze als Schwerpunkt setzen, so spielen die diversen Faktoren doch sicherlich Hand in Hand und stellen kein geschlossenes System dar. Die Wechselwirkungen der verschiedenen Einflussfaktoren der Person, der Situation und des Umfelds können zu Gunsten der Gesundheit oder Gefährdung der Betroffenen maßgeblich sein. Eine eindeutige, klare Antwort auf die Ursache gibt es also, wie etwa bei körperlichen Erkrankungen, nicht; alle Faktoren müssen in Betracht gezogen werden, wenn die Frage nach einer sinnvollen Therapie- oder Präventionsmaßnahme aufkommt.
- Arbeit zitieren
- Ebru Altun (Autor:in), 2017, Burnout und Coaching. Die Möglichkeiten der Prävention von Burnout im Unternehmen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/378255
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