Die Welt wächst unweigerlich zusammen, während kulturelle Differenzen aufeinanderprallen und sich wie bei einer Kontinentalverschiebung im Laufe der Gezeiten wieder vereinigen und verschmelzen - doch der Preis ist hoch. Wir bemerken weltweit eine nie da gewesene globale Völkerwanderung derer, die von Naturkatastrophe, Armut, Krankheit und Unterdrückung gepeinigt sintflutartig an Europas und Nordamerikas Küsten stranden. Bei einer Angleichung eines kulturell verschiedenen Menschen an die westliche Denkweise wird schnell das Eigene zum Fremden und das Fremde zum Eigenen. Dabei besteht die Gefahr der unbewussten Relativierung des Selbstverstehens, das Annehmen fremden Gedankenguts, ohne die Tradition der eigenen kulturellen Identität mit einzubinden.
Dass während der Kolonialzeiten die eroberten Gebiete mit den fremden Wilden willkürlich mit eigenen Maßstäben neu konstituiert wurden und im weiteren durch Philosophen wie Hegel oder Husserl als Bedrohung für die Existenzsicherung des autoritären europäischen Geistes angesehen wurden, erscheint auf den ersten Blick als vollkommen natürlicher Schutzmechanismus. Wie beim Tier zeigt sich des Menschen Instinkt zwiespältig, einerseits Fremdes kritisch als mögliche Gefahr anzusehen, andererseits das Eigene zu überwinden und mit Neugier zu neuen Ufern aufzubrechen. Näher hingesehen zeigt sich jedoch eine höchst inhumane Menschenverachtung, die jenseits von Toleranz die "Seele des Südens" bluten lässt.
Anhand der Interkulturellen Philosophie von R. A. Mall und der Hermeneutik bei H. G. Gadamer möchte ich im folgenden näher auf naturgegebene und kulturbedingte Verstehensbarrieren hinweisen, dabei jedoch Möglichkeiten aufzeigen, aus dem eurozentrischen Kreis auszubrechen, ohne der Vereinheitlichung und dem Universalismus zu verfallen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Auf dem Weg zu einer Interkulturellen Philosophie
2.1. Entstehung der Interkulturellen Philosophie
2.2. Interkulturelle Philosophie heute
3. Interkulturelle Hermeneutik
3.1. Interkulturelle Hermeneutik (R. A. Mall)
3.2. Der universelle Aspekt der Hermeneutik (H. G. Gadamer)
4. Resümee
5. Bibliographie
1.Einleitung
Die Welt wächst unweigerlich zusammen, während kulturelle Differenzen aufeinanderprallen und sich wie bei einer Kontinentalverschiebung im Laufe der Gezeiten wieder vereinigen und verschmelzen – doch der Preis ist hoch. Wir bemerken weltweit eine nie da gewesene globale Völkerwanderung derer, die von Naturkatastrophe, Armut, Krankheit und Unterdrückung gepeinigt sintflutartig an Europas und Nordamerikas Küsten stranden. Bei einer Angleichung eines kulturell verschiedenen Menschen an die westliche Denkweise wird schnell das Eigene zum Fremden und das Fremde zum Eigenen. Dabei besteht die Gefahr der unbewussten Relativierung des Selbstverstehens, das Annehmen fremden Gedankenguts, ohne die Tradition der eigenen kulturellen Identität mit einzubinden.
Dass während der Kolonialzeiten die eroberten Gebiete mit den fremden Wilden willkürlich mit eigenen Maßstäben neu konstituiert wurden und im weiteren durch Philosophen wie Hegel oder Husserl als Bedrohung für die Existenzsicherung des autoritären europäischen Geistes angesehen wurden, erscheint auf den ersten Blick als vollkommen natürlicher Schutzmechanismus. Wie beim Tier zeigt sich des Menschen Instinkt zwiespältig, einerseits Fremdes kritisch als mögliche Gefahr anzusehen, andererseits das Eigene zu überwinden und mit Neugier zu neuen Ufern aufzubrechen. Näher hingesehen zeigt sich jedoch eine höchst inhumane Menschenverachtung, die jenseits von Toleranz die „Seele des Südens“ bluten lässt.
Anhand der Interkulturellen Philosophie von R. A. Mall und der Hermeneutik bei H. G. Gadamer möchte ich im folgenden näher auf naturgegebene und kulturbedingte Verstehensbarrieren hinweisen, dabei jedoch Möglichkeiten aufzeigen, aus dem eurozentrischen Kreis auszubrechen, ohne der Vereinheitlichung und dem Universalismus zu verfallen.
2. Auf dem Weg zu einer Interkulturellen Philosophie
2.1. Entstehung einer Interkulturellen Philosophie
Bevor ich anhand des deutsch-indischen Philosophen R. A. Mall und seinem Werk „Philosophie im Vergleich der Kulturen“ zu einem konkreten Verständnis einer Interkulturellen Philosophie mittels deren Begriffsbestimmung beitragen möchte, halte ich es vorweg für sinnvoll und auch notwendig, das Zustandekommen dieser Disziplin, die „noch in den Kinderschuhen steckt“[1], im Hinblick auf die Expansion des europäischen Geistes im historischen Verlauf zu klären.
Seit jeher liegt es in der Natur des Menschen, die Welt zu entdecken, an einem Ort sesshaft zu werden, und sich gegen andere fremde Völker zu schützen und zu verteidigen. Im Laufe der Zeit entsteht durch das gegenständliche Denken des Menschen Kultur, d. i. Sprache, Schrift und Kunst, wobei Philosophie mittels erfundener Begriffe die Naturgegenstände zu einem besseren Verständnis erklärt, wie schon Platon mit seiner Ideenlehre feststellte. Die Fähigkeit einer Reflektion, der bewussten Entfremdung von der Natur, liefert neue Denkansätze, die eben je nach Kultur anders ausgeprägt sind. Abgesehen von dem anthropologischen Gesichtspunkt der Differenz, spricht der klimatologische davon, dass der Standort einer Kultur aufgrund unterschiedlicher geographischer Beschaffenheiten und Vorraussetzungen für eine konstruktive Entwicklung des Geistes mit verantwortlich sein kann. Den Umständen entsprechend können für den Menschen extreme Naturbeschaffenheiten von Nachteil sein. So kann man sich gut vorstellen, dass auf der südlichen Seite des Globus die Hitze und Dürre und damit die Unterernährung das Entwickeln einer unbefangenen Denkkultur beeinträchtigen können.
Kultur stellt für den Menschen die Identität dar, an welcher sich das jeweilige Volk erkennt und von anderen unterscheidet. Die Folge dieses dinglichen Ausdruckes sind viele verschiedene Unterarten „des einen Gattungsbegriffes Kultur“[2]. Vergleicht man den Begriff Kultur mit der Wurzel eines Stammbaumes, verzweigt und verändert sich diese im Laufe der Zeit und verbreitet sich gleich dem Samen, der vom Wind an einen anderen Ort getragen wird, und findet so eine neue Heimat. Kultur hat wie Philosophie die Grundeigenschaft, ort- und zeitlos zu sein, jedoch in ihrer Art sich zu verändern und zu verbreiten. „Eine reine eigene Kultur gibt es ebenso wenig, wie eine reine andere Kultur ... analoges gilt für die Philosophie“[3].
Doch inwieweit ist heute eine Kulturvielfalt und deren jeweilige Philosophie weltweit vorhanden? Wenn es in der Natur des Menschen liegt, seine Philosophie zu manifestieren und anderen gegenüber zu behaupten, entsprechen diese denn auch heute noch ihrer eigentümlichen Form einer anfänglichen Idee?
Seit den Griechen hat Europa das „Nicht-Europa“[4] gesucht und während der Entdeckungsfahrten mittels Kolonialisierung und Missionierung seinen Glauben und später die Vernunft den fremden Wilden einverleibt. Bei diesen willkürlichen Kulturbegegnungen veränderte der monistische Zug der aufgezwungenen eurozentrischen Auffassung die Denkweisen anderer Kulturen teilweise bis zur Unkenntlichkeit. Die in ihrer Form jeweils lebendige, ungeschützte Kultur wurde vorbehaltlos durch das Ersetzen des Fremden mit dem Eigenen in Grund und Boden gestampft. Der narzisstische, schon fast diktatorische Geist Hegels spiegelt die universelle Übertragung des europäischen Kulturbildes zugunsten einer Einheit des Wissens bis ins Detail: „Die Welt ist umschifft und für die Europäer ein Rundes. Was noch nicht von Ihnen beherrscht wird, ist entweder nicht der Mühe wert oder aber noch nicht bestimmt, beherrscht zu werden“.[5]
Im Zeitalter der Universalgeschichten fing Europa jedoch an, sich nicht mehr nur als Mitte der Welt zu verstehen, sondern dessen wissenschaftlicher Geist sich mit anderen Kulturen vergleicht und diese in ihrer Urform erforscht. Die Pluralität von Kultur und vor allem Sprache wurde durch Philosophen wie Herder und Humboldt offensichtlich. Entgegen der traditionellen Denkweise wurde die Sprach- und Schriftkultur zwar weiterhin als andersartig angesehen, aber dennoch als eigenständig und in ihrem Wesen gleichwertig. Um die differente Begrifflichkeit zweier Sprachen mittels deren Übersetzung zum gegenseitigen Verständnis zu bringen, wurde offensichtlich, dass sich hinter der Sprachwand ähnliche Denkweisen verbergen.
[...]
[1] R. A. Mall: Philosophie im Vergleich der Kulturen, S. 1
[2] Ebd.: S. 1
[3] Ebd.: S. 2
[4] Ebd.: S. 56
[5] G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie, S. 763