In dieser Bachelorarbeit geht es um die Beziehungsarbeit in der stationären Kinder- und Jugendhilfe. Junge Menschen, die in Heimen oder ähnlichen betreuten Wohnformen leben, erfahren eine (vorübergehende) Trennung von ihren Eltern und damit meist von ihren primären Bezugs- und Bindungspersonen. Verfolgt werden sollte hier, ob und wie dieser Verlust in der Heimerziehung ausgeglichen wird.
Die Arbeit beschäftigt sich mit Lösungen und Lösungsansätzen, die entwickelt wurden, damit Kinder, die in Heimen (und ohne die enge, liebevolle Bindung zu den Eltern) leben, trotzdem nicht stark benachteiligt sind. In erster Linie geht es darum zu schauen, welche Bedeutung Beziehungsarbeit in der stationären Kinder- und Jugendhilfe heute hat. Dabei sollen zwei Fragen geklärt werden: Wie intensiv sollte die Beziehung zwischen den Pädagoginnen und den Kindern und Jugendlichen in der stationären Kinder- und Jugendhilfe sein?, und: In welcher Form findet Beziehungsarbeit statt und welche Methoden wurden dafür entwickelt?
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Stationäre Kinder- und Jugendhilfe
2.1 Historie der Heimerziehung
2.2 Entwicklung und Formen der Heimerziehung
2.3 Gründe für Fremdunterbringung
2.4 Ziele und Funktionen der Stationären Kinder- und Jugendhilfe
3 Die Bindungstheorie
3.1 Folgen von mangelnder Bindung
3.2 Bindungstheorie und Heimerziehung
4 Beziehungsarbeit in der stationären Kinder- und Jugendhilfe
4.1 Bezugserziehersystem
4.2 Elternarbeit
4.3 Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung
5 Fazit
6 Literaturrecherche – Erläuterung der Methode
7 Literaturverzeichnis
Selbständigkeitserklärung
1 Einleitung
„Wir können stürmische Meere ertragen, wenn wir uns eines sicheren Hafens gewiss sind“ (Ainsworth nach Holmes 2006, S. 91).
In dieser Bachelorarbeit geht es um die Beziehungsarbeit in der stationären Kinder- und Jugendhilfe. Junge Menschen, die in Heimen oder ähnlichen betreuten Wohnformen leben, erfahren eine (vorübergehende) Trennung von ihren Eltern und damit meist von ihren primären Bezugs- und Bindungspersonen. Interessant ist jedoch, ob und wie dieser Verlust in der Heimerziehung ausgeglichen wird.
„Hält man sich an den Wortsinn, sollten diese beiden Begriffe Bindung und Heim doch keineswegs widersprüchliche Assoziationen auslösen. Heim meint schließlich der Ort, der uns vertraut ist, wo wir wohnen, wo wir uns auskennen, wo wir orientiert sind, an dem wir uns sicher, vielleicht sogar geborgen und wohl fühlen“ (Schleiffer 2003, S.12). Lange Zeit wurden Kinder in Heimunterbringung jedoch eher verwahrt, als dass ihnen ein Zuhause geboten wurde. Einen Ort, an dem sie sich wohl und sicher fühlen und in einer familiären Atmosphäre aufwachsen und sich frei entwickeln konnten, gab es nicht. Durch neu gewonnene Erkenntnisse, die am bisherigen System der Heimerziehung zweifeln ließen, hat sich in den letzten Jahrzehnten in diesem Bereich jedoch vieles getan und verändert. Bowlby, der als Vater der Bindungstheorie gilt, befasste sich viel mit dem Thema Bindung und dem Fehlen einer Bindungsperson bei Kindern, die ohne Familie aufwachsen müssen. Nach Bowlby sind diese Kinder stark benachteiligt, denn eine sichere Bindung ist wichtig für die menschliche Entwicklung.
Diese Bachelorarbeit beschäftigt sich mit Lösungen und Lösungsansätzen, die entwickelt wurden, damit Kinder, die in Heimen (und ohne die enge, liebevolle Bindung zu den Eltern) leben, trotzdem nicht stark benachteiligt sind. In erster Linie geht es darum zu schauen, welche Bedeutung Beziehungsarbeit in der stationären Kinder- und Jugendhilfe heute hat. Dabei sollen zwei Fragen geklärt werden. 1. Wie intensiv sollte die Beziehung zwischen den Pädagoginnen und den Kindern und Jugendlichen in der stationären Kinder- und Jugendhilfe sein? 2. In welcher Form findet Beziehungsarbeit statt und welche Methoden wurden dafür entwickelt?
Um sich den Antworten auf diese Fragen anzunähern, wird sich diese Arbeit im zweiten Kapitel mit der stationären Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland beschäftigen. Wichtige Punkte sind dabei die geschichtliche Entwicklung der Heimerziehung und die verschiedenen Formen der Fremdunterbringung (Unterbringung außerhalb der eigenen Familie) von ihren Anfängen bis heute. Außerdem werden die Ziele und Funktionen der Heimerziehung, sowie mögliche Gründe für Fremdunterbringung betrachtet. In diesem Kapitel geht es in erster Linie darum, einen Überblick über die stationäre Kinder- und Jugendhilfe zu gewinnen. Dabei soll veranschaulicht werden, was stationäre Kinder- und Jugendhilfe genau bedeutet und wie sie sich zu dem entwickelt hat, was wir heute kennen.
Im dritten Kapitel geht es um die Bindungstheorie, die hauptsächlich von John Bowlby und Mary Ainsworth entwickelt wurde. Die Bedeutung von Bindung, sowie die Auswirkungen von einem Mangel an Bindung sollen geklärt werden. Es soll zudem deutlich werden, warum es gerade in der Heimerziehung wichtig ist, sich mit dem Thema Bindung und Beziehung auseinander zu setzen.
Das vierte Kapitel beschäftigt sich mit Beziehungsarbeit in der heutigen stationären Kinder- und Jugendhilfe. Nachdem die Entwicklung der Heimerziehung, sowie die Erkenntnisse von Bowlby und Ainsworth vorgestellt wurden, geht es nun um die praktische Umsetzung von Beziehungsarbeit. Das in der stationären Kinder- und Jugendhilfe viel verwendete „Bezugserziehersystem“ und die „intensive sozialpädagogisch Einzelbetreuung“ werden vorgestellt. Außerdem wird die Elternarbeit, als besondere Form der Beziehungsarbeit in Heimen betrachtet.
Im fünften und letzten Kapitel wird ein Fazit gezogen und die bearbeiteten Fragen werden beantwortet.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dieser Bachelorarbeit nur die weibliche Sprachformen verwendet. Trotzdem gelten alle Personenbezeichnungen für Angehörige beider Geschlechter.
2 Stationäre Kinder- und Jugendhilfe
Die stationäre Kinder- und Jugendhilfe ist eine Leistung der Hilfen zur Erziehung im Achten Buch Sozialgesetzbuch, welches in dieser Arbeit mit SGB VIII abgekürzt wird.
Stationäre Kinder- und Jugendhilfe bedeutet die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in entsprechenden Einrichtungen. Das können zum Beispiel Kinder- und Jugendheime oder andere betreute Wohnformen sein. Der Lebensmittelpunkt der Kinder und Jugendlichen befindet sich in der Einrichtung. Trotzdem wird versucht den Kontakt zum familiären und sozialen Umfeld zu erhalten. Elternarbeit soll begleitet und unterstützt werden (vgl. Geißler 2009, S. 10).
Im § 34 wird die stationäre Kinder- und Jugendhilfe sowie ihre Funktionen und Ziele wie folgt beschrieben: „Hilfe zur Erziehung in einer Einrichtung über Tag und Nacht (Heimerziehung) oder in einer sonstigen betreuten Wohnform soll Kinder und Jugendliche durch eine Verbindung von Alltagserleben mit pädagogischen und therapeutischen Angeboten in ihrer Entwicklung fördern. Sie soll entsprechend dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes oder des Jugendlichen sowie den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie
1. eine Rückkehr in die Familie zu erreichen versuchen oder
2. die Erziehung in einer anderen Familie vorbereiten oder
3. eine auf längere Zeit angelegte Lebensform bieten und auf ein selbständiges Leben vorbereiten.
Jugendliche sollen in Fragen der Ausbildung und Beschäftigung sowie der allgemeinen Lebensführung beraten und unterstützt werden“ (§ 34, SGB VIII).
Einen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung haben Eltern bzw. Sorgeberechtigte dann, wenn diese für die Entwicklung des Kindes oder des Jugendlichen geeignet und notwendig ist (vgl. § 27 (1), SGB VIII). „Maßstab für die Notwendigkeit und Eignung ist das Wohl des Kindes, wobei Kinder selbst nicht berechtigt sind, einen entsprechenden Antrag zu stellen.“ Die Begriffe „Kindeswohl“ und „notwendige und geeignete Hilfe“ schließen die Anordnung von Heimerziehung als Strafe zwar aus, sie sind im SGBVIII jedoch ansonsten nicht genauer definiert. So wird Personen und Institutionen, die an der Entscheidung beteiligt sind, ein sehr breiter Interpretationsspielraum gelassen (vgl. Freigang et al. 2001, S. 14).
Väter und Mütter mit Sorgerecht für ihre Kinder können sich also an das Jugendamt oder an eine Beratungsstelle oder Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe wenden, wenn sie Hilfe, Rat oder Unterstützung bei der Erziehung benötigen oder mit der Aufgabe nicht mehr allein zurechtkommen. Auch das Kind oder der Jugendliche hat ein Recht darauf, sich in allen Angelegenheiten der Erziehung und Entwicklung an das Jugendamt zu wenden. Grundsätzlich werden Hilfen zur Erziehung nur auf Antrag gewährt und wenn das Jugendamt der Hilfeart zugestimmt hat. Heimerziehung ist also eine auf Freiwilligkeit basierende Leistung. Nur wenn das Kindeswohl gefährdet ist, darf das Jugendamt auch gegen den Willen der Eltern Maßnahmen ergreifen (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1).
Auch die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in Pflegefamilien ist Teil der stationären Kinder- und Jugendhilfe. In dieser Bachelorarbeit wird es jedoch ausschließlich um Heimerziehung und ähnliche betreute Wohnformen gehen. Auf die Unterbringung in Pflegefamilien wird nicht genauer eingegangen.
2.1 Historie der Heimerziehung
Die Geschichte der Heimerziehung begann im Mittelalter mit den Waisen- und Findelhäusern, sowie mit Klosterschulen, Hospitälern und Armenhäusern, die elternlose Kinder aufnahmen. In diesen Einrichtungen, ging es vor allem darum, die Kinder am Leben zu erhalten und sie zu Arbeitsamkeit, Gottesfurcht und Demut zu erziehen, andere pädagogische Aspekte spielten zu dieser Zeit noch keine Rolle. Im 16. Jahrhundert entwickelten sich in Deutschland die ersten Waisenanstalten, die den Kindern keine wohnlichen Bedingungen boten. Es ging nicht darum, den Kindern ein Zuhause zu schaffen, stattdessen sollten sie Gehorsam erlernen und Arbeit verrichten. Durch die Auswirkungen des 30-jährigen Krieges wurden die Zustände noch verschlimmert, denn die Einrichtungen waren maßlos überfüllt. „Die weit verbreitete Massenunterbringung von Kindern, ihre hohe Sterblichkeit sowie der Vorwurf, sie würden in den damaligen Waisenhäusern nur zur Arbeit angetrieben, führte zu einem erbittertem und lang andauernden Streit“ (vgl. Günder 2007, S. 15f).
Mit dem Beginn der Aufklärung im 18. Jahrhundert entwickelte sich erstmals eine kindorientiertere Erziehung und der Kindheit wurde ein bedeutenderer Wert zugesprochen, als bisher. Neben Strenge, Zucht und Ordnung gewannen nun auch andere Ideale an Bedeutung: nämlich Liebe, Zuneigung und Beziehungsarbeit. Vor allem Johann Heinrich Pestalozzi, Jean- Jacques Rousseau und Johann Hinrich Wichern prägten diese neue Entwicklung (vgl. Günder 2007, S.18f). Rousseau erklärte die Kindheit Mitte des 18. Jahrhunderts als Erster zu etwas Kostbarem und Schützenswertem und wird daher auch als „Entdecker der Kindheit“ bezeichnet. In seinem Werk „Émile“ erzählt er die fiktive Geschichte eines Jungen, der nach dem Tod des Vaters bei einem Lehrmeister auf dem Land aufwächst. „Fernab von städtischem Leben und gesellschaftlichen Zwängen verbringt Émile seine Kindheit. Dabei lässt man ihm vor allem eines: Freiheit zur Selbstentfaltung. Der Junge lernt nicht durch Belehrung oder Strafe – sondern durch Spielen, Toben, Faulenzen.“ Rousseau entwickelte damit nicht nur ein völlig neues Erziehungskonzept, sondern hat auch ein Verständnis für das Kind, wie es vorher nie für möglich gehalten wurde. „Émile“ geht in die Geschichte der Pädagogik ein. Rousseaus Sicht auf die Kindheit als schützenswerte Lebensphase widerspricht der bis dahin herrschenden Ansicht, Kinder sollen möglichst schnell zu Erwachsenen heranwachsen (Kückens 2008, Abs. 1ff). Diese neue Sicht auf die Kindheit setzte sich in den Waisenhäusern jedoch nicht durch. Positive Beziehungen zwischen den Kindern und den Erzieherinnen gab es nach wie vor nicht. „Jahrhundertelang wurde – bis auf wenige Ausnahmen – Kindern in Institutionen kein Zuhause geboten, sie wurden in Anstalten kaserniert und durch Zucht und Ordnung angetrieben“ (Günder 2007, S.19f).
Der Begriff „Heim“ wurde erst Anfang des 20. Jahrhunderts eingeführt, vorher und auch danach noch, waren Bezeichnungen wie „Zwangserziehungsanstalt“ oder „Besserungsanstalt“ die übliche Bezeichnung für stationäre Einrichtungen (vgl. Günder 2007, S. 20). Schon die Namen lassen darauf schließen, dass es nicht darum ging den Kindern und Jugendlichen einen Ort zu bieten, an dem sie sich wohl und sicher fühlen konnten. Vielmehr hört man bereits raus, dass die Kinder umerzogen werden sollten. In einer sogenannten „Besserungsanstalt“ sollten schlechte Gewohnheiten abtrainiert werden. Kinder sollten gehorchen und sich an vorgegebene Normen anpassen.
Im Dritten Reich war die öffentliche Erziehung nicht mehr „Ersatzerziehung für den Notfall eines elterlichen Versagens, sie wurde zu einer staatspolitischen Pflichtaufgabe.“ Erziehung war zu dieser Zeit durch massive ideologische Erziehungsgewalten außerhalb der Familie geprägt. Die Heime waren nach Kriegsende durch die Auswirkungen des Krieges wieder stark überfüllt und wurden hauptsächlich von unausgebildetem Personal – unter anderem von ehemaligen Soldaten – geführt (vgl. Günder 2007, S. 21f). Großgruppen von 30 und mehr Kindern waren normal. Die vom unausgebildeten Personal angewandten Methoden basierten auf Strenge, Disziplin, Ruhe, Ordnung und Unterordnung (vgl. Günder 1999, S. 113f).
Gegen Ende der 60er Jahre erhielt die Heimerziehung endlich mehr Aufmerksamkeit. „Initiatoren der sogenannten Heimkampagne oder anders ausgedrückt: der Skandalisierung der Heimerziehung, waren linke Studentengruppen, die das kapitalistische Gesellschaftssystem anprangerten und sich für Randgruppen einsetzten, die durch eben dieses System erzeugt wurden. Heimkinder und vor allem Jugendliche in geschlossenen Fürsorgeheimen waren eine solche Randgruppe, mit der die StudentInnen sich solidarisierten.“ Die Öffentlichkeit wurde auf schlechte Zustände von Kindern und Jugendlichen in Heimen aufmerksam gemacht, Erziehungspraktiken der Institutionen wurden angeprangert und durch die „Befreiung“ von Heimzöglingen entstanden die ersten alternativen Wohngemeinschaften. Reformforderungen für die Heimerziehung wurden durch die Skandalberichte und die Auswirkungen der antiautoritären Erziehungsbewegung laut. Gefordert wurden die Abschaffung autoritärer Erziehungsmethoden, die Verkleinerung der Gruppen und die tarifgerechte Bezahlung sowie Weiter- und Fortbildungsmöglichkeiten für Erzieherinnen, außerdem die Abschaffung von Stigmatisierungsmerkmalen wie der Anstaltskleidung (vgl. Günder 1999, S. 114).
Zu Beginn der 1970er Jahre war eine starke Veränderung weg von der Anstaltserziehung in großen Institutionen hin zu kleineren familienähnlichen Formen zu beobachten. Großinstitutionen wurden aufgelöst, während immer mehr Kinderhäuser, Außenwohngruppen und Wohngruppen auftauchten (vgl. Günder 2007, S. 22). Die Reformen der Heimerziehung, die durch die „Heimkampagnen" angestoßen wurden, führten zu großen Veränderungen in Struktur und Quantität der Institutionen. Durch Dezentralisierung verloren Heime Stück für Stück ihren Anstaltscharakter. Großküchen, Speisesäle und zentrale Wäschereien wurden aufgelöst, wodurch Haushaltsverrichtungen nun Teil des Gruppenalltags waren und den jungen Menschen nicht mehr vorenthalten wurden (Günder 2007, S. 77). So entwickelte sich langsam das heutige differenzierte Angebot der stationären Kinder- und Jugendhilfe. Forderungen nach Reformen konnten langsam in der Heimpraxis realisiert werden. Es wurde dafür gesorgt, dass gut ausgebildetes pädagogisches Personal in den Heimen arbeitete und die Gruppengröße verringerte sich immer mehr. Diese Umsetzungen führten jedoch zu enormen Steigerungen der Kosten.
Der Trend zu kleineren Einrichtungen in der Heimerziehung setzt sich weiter fort und neu eröffnete Heime bestehen meist nur noch aus einer Gruppe. Dazu kommt, dass es immer mehr betreute Wohngruppen gibt. Viele kleine Heime und Wohngruppen wurden von Privatpersonen mit pädagogischer Ausbildung eröffnet oder auch von kleinen Trägervereinen. Nach Günder haben Kinder und Jugendliche in kleinen und überschaubaren Einrichtungen eher „die Chance, Strukturen vorzufinden, zu verändern und gemeinsam zu erleben, die aus der inneren Situation der Gruppe und aller ihrer Mitglieder entstanden sind. Übersichtliche Rahmenbedingungen begünstigen diesen Prozeß, so daß keine Zwänge oder Forderungen, die institutionsgebunden wären, Platz ergreifen können.“ Die Teilhabe von jungen Menschen ist demnach heute ein Anliegen in stationären Einrichtungen. Anders als in den Besserungsanstalten geht es heute nicht mehr darum Kinder und Jugendliche zu Gehorsam und Arbeit zu zwingen. Ihnen soll, so Günder, eine familiäre Atmosphäre in Kleingruppen geboten werden, um ihnen die Möglichkeit zu bieten, ihre Auffälligkeiten zu verringern. Kleinere Einrichtungen der Heimerziehung haben nach Günder außerdem den großen Vorteil, dass sie sich ohne Probleme in Wohngegenden integrieren lassen. Somit wachsen Heimkinder nicht mehr abgegrenzt von der Gesellschaft auf. Das hat nicht nur auf die Sozialisation der Kinder und Jugendlichen einen positiven Einfluss, sondern auch auf ihr Umfeld, welches durch den näheren Kontakt Vorurteile abbauen kann (vgl. Günder 1999, S. 115f).
Die heutige stationäre Kinder- und Jugendhilfe besteht aus differenzierten Institutionen, die eine große Auswahl an Leistungsangeboten für junge Menschen mit schwierigen Ausgangs- und Lebenslagen und für deren Familien anbieten. Die Öffentlichkeit erkennt die Entwicklung und Reformen oftmals jedoch nicht. Häufig wird die Heimerziehung noch für eine unfreiwillige Fürsorgeerziehung gehalten. Diese existiert heute jedoch weder im SGB VIII noch in der Praxis (vgl. Günder 1999, S. 116). „Das“ Heim gibt es also nicht mehr. Die totalen Institutionen wurden ersetzt durch ein lebensweltorientiertes Hilfearragement (vgl. Baur et al. 1998, S. 42). „Auch wenn angesichts einer bisweilen inflationären Verwendung bedeutungstief anmutender Begriffe wie Lebensweltorientierung, Alltagsorientierung, Partizipation, Integration oder Normalisierung zur Beschreibung der heutigen Heimerziehung beim nüchternen Beobachter doch auch Zweifel aufkommen, darf man trotzdem davon ausgehen, dass sich in der Heimerziehung auch ohne Unterstützung einer praktischen Theorie in den letzten drei Jahrzehnten doch vieles zum Besseren gewendet hat “ (Schleiffer 2003, S.80f).
2.2 Entwicklung und Formen der Heimerziehung
Zu den frühesten Formen der Heimerziehung zählten die sogenannten Anstalten. Gemeint sind damit Einrichtungen, die einen definierten Auftrag zu erfüllen haben. Sie waren nicht als Familienersatz oder zur Beheimatung von Kindern gedacht, sondern waren darauf ausgerichtet, die jungen Menschen zu erziehen bzw. umzuerziehen. Lange waren Anstalten ein Versuch, öffentliche Erziehung und das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen möglichst zweckmäßig und effektiv zu gestalten. Kinder und Jugendliche wurden in Anstalten als „Zöglinge“ oder „Insassen“ bezeichnet, sie waren Objekte der Erziehung und Strafe. Die Einrichtungen lagen oft auf dem Land, dadurch war Selbstversorgung möglich, was Kosten sparte. Es gab genug Arbeit für die Kinder und Jugendlichen. Außerdem hatten diese keine Möglichkeit wegzulaufen, Straftaten zu begehen und eine Gefahr für andere Menschen darzustellen. Die Familien der Kinder konnten nicht einfach zu Besuch kommen und das Leben in der Anstalt durcheinander bringen. Die Einrichtungen mussten groß sein, denn alles was gebraucht wurde, musste vor Ort sein. Landwirtschaft, Küche, Wäscherei, Näherei, Werkstätten, Tischlerei, Schlosserei, Bauernhof, Schule und so weiter. 100 bis 200 „Zöglinge“ lebten in einer Anstalt, ca. 40 Kinder und Jugendliche teilten sich einen Schlafsaal. Die Einrichtungen waren straff hierarchisch organisiert. Sowohl die Bewohnerinnen, als auch die Mitarbeiterinnen mussten sich einem System formaler Regeln unterwerfen. Verstöße gegen Regeln wurden bestraft und Gehorsam gegenüber den Mitarbeiterinnen wurde mit Privilegien belohnt (vgl. Freigang et al. 2001, S. 39ff). Durch diese vorgegebenen Regeln, den erzwungenen Verzicht auf Individualität und die totale Versorgung durch zentrale Dienste lernten die jungen Menschen meist nicht ein eigenständiges Leben zu führen und sich selbst zu versorgen (vgl. Freigang et al. 2001, S. 46f).
Der Unterschied zwischen offener und geschlossener Anstalt war sehr gering, da man in den offenen ebenfalls kaum Ausgang hatte. Die Zahl der geschlossenen Gruppen hat sich mit der Zeit jedoch stark verringert. „Kaum ein Thema der Jugendhilfe wurde in den vergangenen 30 Jahren so kontrovers und andauernd diskutiert wie die Abschaffung oder Beibehaltung geschlossener Unterbringungen für Kinder und Jugendliche.“ Argumente von Seiten der Kritiker findet man im Band „Argumente gegen geschlossene Unterbringung in Heimen der Jugendhilfen“ (1995) von der Internationalen Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH). Geschlossene Unterbringung wird von ihnen eher als Verwahrung und weniger als Erziehung gesehen. Erziehung unter Zwang ist aus Sicht der Kritiker sowieso kaum möglich, denn der für sie wichtige Beziehungsaspekt fehlt komplett. Die meisten Fachvertreter lehnen heute das Modell der geschlossenen Unterbringung ab. Von Politikern, der Polizei und Justiz wird es jedoch oftmals als einfache Lösung zum Umgang mit straffälligen jungen Menschen empfohlen (vgl. Freigang et al. 2001, S.55ff).
In der Vergangenheit nahmen die meisten Anstalten nur ein Geschlecht auf. Das Leitbild der Erziehung in Mädchenheimen war die sich unterordnende Hausfrau. Wenn die Mädchen ausgebildet wurden, dann hauptsächlich in typischen Frauenberufen wie dem der Hauswirtschafterin oder Friseurin. Die Geschlechtertrennung wurde häufig mit dem Schutz der Mädchen begründet, war jedoch in erster Linie darauf ausgerichtet, Sexualität zu unterdrücken oder zumindest unsichtbar zu machen. Heute lebt ein Großteil der Mädchen und Jungen in Heimen in gemischten Gruppen. Im Zusammenhang mit feministischen Orientierungen in der Pädagogik wurden die Belastungen, denen Mädchen in solchen gemischten Gruppen ausgesetzt sein können, stärker in den Blick genommen. Für Mädchen, die negative Erfahrungen mit Männern oder Jungen gemacht haben, kann eine reine Mädchengruppe nur mit weiblichen Mitarbeiterinnen ein günstigeres Lernfeld sein. In einem solchen geschützten Raum können sie sich sicherer fühlen und selbstbestimmter handeln. Feministische Konzepte der Mädchenerziehung unterscheiden sich von der oben beschriebenen herkömmlichen Praxis, denn sie verfolgen nicht das Ziel, die Mädchen von Jungen abzuschirmen, sondern ihnen einen Raum zur Verfügung zu stellen, in dem sie ohne das Gefühl aktueller Bedrohung ihre Erfahrungen bearbeiten und ihr Selbstbewusstsein stärken können. Dabei sollen sie stets die Chance haben, außerhalb der Gruppe selbstbestimmte Kontakte auch zu Jungen zu knüpfen (vgl. Freigang et al. 2001, S.57f).
Durch die starke Kritik an der Anstaltserziehung in den 70er-Jahren kam es – wie bereits erwähnt – zu umfassenden Veränderungen in der Heimerziehung. Es entstanden Heimgruppen im Zentralheim. Ein großer Teil der in zentralen Einrichtungen untergebrachten Kinder und Jugendlichen, lebt auch heute noch in Heimen mit 30 bis zu über 100 Plätzen. Sie werden Jugendhilfe, Kinder- oder Jugenddorf, Pestalozziheim oder vielleicht Kinderheimat genannt. Die Mehrheit dieser Einrichtungen ist heute offen und nicht mehr von einer Mauer umgeben. Statt großen Schlafsälen gibt es heute Einbett- oder Zweibett-Zimmer. Die Kinder sind in öffentlichen Schulen und die ehemaligen Heimschulen wurden für andere Kinder geöffnet. Die Gruppen sind kleiner geworden und befinden sich häufig in verschiedenen Gebäuden auf dem gleichen Grundstück. Meist besteht eine Gruppe aus acht bis zehn Mitgliedern und drei bis fünf Mitarbeiterinnen. Diese Art von Einrichtungen versuchen Kindern und Jugendlichen ein Ersatz für ihre fehlenden Familien zu sein. Gleichzeitig sollen Kinder bei der Bewältigung ihrer mitgebrachten Probleme unterstützt werden (vgl. Freigang et al. 2001, S. 60). „Ein Heim, das befristet die Familie ersetzen soll, stellt für die Kinder – und mit Abstrichen – auch für die Jugendlichen einen Ort der primären Sozialisation oder einen Ort, an dem sie Teile der Primärsozialisation nachholen, dar. Nicht jedes Lebensfeld ist dafür geeignet. Wenn primäre Sozialisation erfolgreich sein soll, muss das Lebensfeld über eine Reihe von Eigenschaften verfügen, die normalerweise in einer Familie gegeben sind.“ Im Zwischenbericht der Kommission Heimerziehung wurde daher gefordert, dass die Institution die wichtigsten Merkmale einer Primärgruppe aufweist, ohne die kein Aufwachsen gelingt. Die Primärgruppe sollte zum Beispiel überschaubar klein sein und den Kindern und Jugendlichen ausreichend Stabilität bieten (vgl. Freigang et al. 2001, S. 61).
Neben den Heimgruppen im Zentralheim entstanden zu Beginn der 70er Jahre auch die ersten Außenwohngruppen. Durch die Dezentralisierung der Heime wurden Gruppen in andere Gebäude verlegt. Sie wurden zum Beispiel in Einfamilienhäusern oder großen Etagenwohnungen untergebracht. Durchschnittlich leben fünf bis acht Kinder und Jugendliche in solch einer Gruppe. Pädagogische Mitarbeiterinnen betreuen die jungen Menschen im Schichtdienst oder eine Erziehungsperson bzw. ein Paar lebt mit in der Einrichtung und es gibt zusätzliche Erzieherinnen, die unterstützen. Einen positiven Aspekt der Außenwohngruppen sieht Günder darin, dass diese einen Anspruch auf die Serviceleistungen des Heimes haben. Dazu gehören unter anderem therapeutische Dienstleistungen, aber auch Aushilfen in Urlaubs- oder in Krankheitsfällen. Die Verbindung zum Stammheim kann allerdings auch negative Auswirkungen haben. Eine zu große Abhängigkeit kann entstehen und die hierarchische Struktur des Heimes kann auf die einzelnen Außengruppen übertragen werden (vgl. Günder 1999, S. 125f).
Betreute Wohngruppen oder Wohngemeinschaften sind hingegen vollkommen unabhängig von anderen Institutionen. Sie sind in den letzten Jahren immer verbreiteter geworden. Um das Fehlen von Serviceleistungen durch ein Heim zu kompensieren, schließen sich oft mehrere Wohngruppen oder -gemeinschaften zu einem Verbund zusammen. Betreutes Wohnen ist vor allem für Jugendliche und junge Erwachsene, die bisher in einem Heim gelebt haben und dort bereits unter Beweis stellen konnten, dass sie über ein hohes Maß an Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit verfügen. Sie leben alleine oder mit anderen Menschen zusammen in einer Wohnung und werden von sozialpädagogischen Fachkräften begleitet. Die Verselbständigung der jungen Menschen wird angestrebt, sie sollen jedoch in allen möglichen Lebens- und Ausbildungsfragen beraten und unterstützt werden. Eine andere Gruppe von jungen Menschen, für die betreutes Wohnen in Frage kommt, ist die der Menschen, die in der Heimerziehung nicht gut zurechtkommen. Sie wollen oder können nicht in der Gruppengemeinschaft leben und lehnen die Unterbringung im Heim komplett ab. Durch das betreute Wohnen wird diesen Jugendlichen eine Alternative geboten und man setzt sie nicht einfach auf die Straße und überlässt sie ihrem Schicksal. Man könnte das betreute Wohnen als Mischung zwischen Heimerziehung und Pflegefamilie bezeichnen. Ein sehr kleine Gruppe von Kindern oder Jugendlichen wird von Familien oder Einzelpersonen mit nachgewiesenen pädagogischen Fähigkeiten aufgenommen (vgl. Günder 1999, S. 126f).
Neben den bisher vorgestellten Wohnformen der stationären Kinder- und Jugendhilfe gibt es die Erziehungsstellen. Diese unterscheiden sich von der üblichen Pflegefamilie „durch ihren professionellen Anspruch im Hinblick z.B. auf ihre Qualifikation der Erziehungsstellen-Eltern sowie auf die Bereiche Beratung, Supervision und Bezahlung. Von der Heimerziehung trennt sie das Aufnehmen eines ‚fremden‘, in der Regel erheblich problembelasteten Kindes in den eigenen Haushalt jenseits von Schichtdienst und Mitarbeiterfluktuation“ (IGFH-Fachgruppe „Erziehungsstellen“ 1995, S.177f nach Günder 1999, S. 128). Kinder werden also von Fachkräften in den eigenen Haushalt aufgenommen. Dem Kind werden feste Bezugspersonen zur Verfügung gestellt und es muss sich nicht an viele verschiedene Personen gewöhnen, wie es oft im Heim der Fall ist, wo die Mitarbeiterinnen sich alle paar Stunden abwechseln.
Eine weitere aktuelle Form der stationären Kinder- und Jugendhilfe, ist die Unterbringung in einem sogenannten Kinderdorf. Es gibt in Deutschland seit Mitte der 50er Jahre zum Beispiel die „SOS-Kinderdörfer“. Inzwischen gibt es 40 Standorte an denen es diese Art von Unterbringung für junge Menschen gibt. Kinder ohne Eltern werden dort in familienähnlichen Kleingruppen betreut (vgl. SOS-Kinderdörfer 1). Meist besteht ein Kinderdorf aus 10 bis 15 Wohnhäusern. Außerdem gibt es ein Verwaltungsgebäude, sowie einen Kindergarten oder eine Kindertagesstätte und ein Gemeinschaftshaus. Aufgebaut ist das ganze wie ein kleines Dorf. Es gibt viel Platz, Spielmöglichkeiten, Rasenflächen und Wege. Die Kinderdörfer können am Rande eines Ortes oder auch in der Stadt liegen. Sie sollen für jeden gut erreichbar sein. Betreut werden die Kinder meist von einer „Kinderdorfmutter“, die mit ihnen lebt. Es wird großen Wert auf gemeinsame Mahlzeiten und ein Freizeitprogramm gelegt (vgl. SOS-Kinderdörfer 2).
2.3 Gründe für Fremdunterbringung
Die Gründe für die Unterbringung eines jungen Menschen außerhalb seiner Familie sind vielfältig. „Viele Kinder leben in Heimen, obwohl sie und in vielen Fällen auch ihre Eltern es vorziehen würden, wenn sie weiterhin zu Hause leben könnten. Gleichzeitig gibt es eine relativ hohe – nicht genau zu benennende – Zahl von so genannten Selbstmeldern – von Kindern und Jugendlichen, die auf eigenen Wunsch ins Heim kommen, weil sie sich erhoffen oder sich sicher sind, dass sie es dort besser haben als in ihrer bisherigen Lebenssituation“ (Freigang et al. 2001, S. 14). Laut Freigang gibt es keine einheitliche Regelung dafür, wer in eine Pflegefamilie kommt, wer in ein Heim und wer bei seinen Eltern bleiben darf oder muss. Die Entscheidung darüber, was Eltern nicht mehr ertragen können, was man Kindern nicht mehr zumuten darf oder was die Gesellschaft und die Institutionen der Jugendhilfe tolerieren und was nicht, ist sehr subjektiv (vgl. Freigang et al. 2001, S. 14f).
Ein in früheren Jahrhunderten und im Anschluss an die beiden Weltkriege sehr häufiger Anlass für die Notwendigkeit von Fremdunterbringung eines Kindes war der Tod der Eltern. Durch Kriege und Seuchen waren viele Kinder betroffen. Manchmal wurden die Waisenkinder in Klöster oder Armenhäuser gebracht. Diese Gruppe von Kindern war lange Zeit eine zentrale Zielgruppe für Einrichtungen. Auch die sogenannten Findelkinder spielten bis in unser Jahrhundert hinein eine bedeutende Rolle, vor allem in den südeuropäischen Ländern waren sie ein sichtbares Anzeichen sozialer Probleme. Junge Mütter setzten die neugeborenen Kinder auf der Straße aus oder brachten sie in Klöster und gaben sie dort anonym ab. Grund für das Verhalten der Mütter war meist ihre finanzielle Notlage. Das Aussetzen von Kindern war mit einem hohen Risiko verbunden. Da nach den Müttern gefahndet wurde, waren sie oft gezwungen ihre Kinder an ungünstigen Orten und zu ruhigen Zeiten auszusetzen. Daher wurden die Kinder manchmal erst gefunden, als es schon zu spät war und sie bereits erfroren oder verhungert waren. Durch diese dramatische Entwicklung, begannen Klöster und Kirchen Drehladen einzubauen, wo die Mütter ihre Kinder unbemerkt abgeben konnten (ähnlich einer Babyklappe). Sowohl Waisen- als auch Findelkinder spielen in der heutigen stationären Kinder- und Jugendhilfe kaum noch eine Rolle (vgl. Freigang et al. 2001, S. 15f).
Eine andere Zielgruppe für Fremdplatzierung, sind schon seit langem Kinder, die vernachlässigt, also nicht ausreichend versorgt und erzogen werden. Die Vernachlässigung von Kindern ist bis heute ein wichtiger und aktueller Grund für die Unterbringung im Heim. Die betroffenen jungen Menschen haben also Eltern, diese kümmern sich jedoch – nach Auffassung anderer – nicht ausreichend um sie. Auffallen tat diese Vernachlässigung oft durch das Weglaufen der Kinder, Streunen und Betteln. Heute eher dadurch, dass Kinder ungewaschen oder ohne Schulmaterial in die Schule kommen und in der Sprachentwicklung zurückstehen. Was genau Vernachlässigung bedeutet, wird immer wieder neu definiert und die Formen der Vernachlässigung wandeln sich auch mit der Zeit. Während der industriellen Revolution wurde Vernachlässigung zum Massenphänomen. Eltern und ältere Kinder mussten 12 Stunden am Tag arbeiten, während kleine Kinder sich selbst überlassen wurden (vgl. Freigang et al. 2001, S. 16ff).
Neben der Vernachlässigung gibt es Eltern, die ihre Kinder aktiv schlecht behandeln. Sie also schlagen, misshandeln oder missbrauchen. Oder aber die Kinder werden durch Eltern oder Stiefeltern ausgestoßen, weil sie Schwierigkeiten machen, gegen Normen verstoßen oder die Eltern aus anderen Gründen die Kinder abgeben wollen. Auch hier gibt es einen ständigen Wandel. Das Recht zur Bestrafung von Kindern reichte vom Tötungsrecht des Vaters im römischen Reich über das selbstverständliche Züchtigungsrecht bis in das 20. Jahrhundert hinein bis hin zu der aktuellen Diskussion des Rechtes auf eine gewaltfreie Erziehung. „Nicht immer wurde und wird dabei berücksichtigt, was die Herausnahme aus der eigenen Familie für die betroffenen Kinder und Jugendlichen tatsächlich bedeutet: Rettung oder doppelte Strafe. Nicht z.B. der misshandelnde Vater wird aus der Familie genommen, sondern der geschlagene Sohn oder die missbrauchte Tochter, auch wenn dies für diese gleichzeitig die Trennung von anderen wichtigen Bezugspersonen und vom gesamten sozialen Umfeld bedeutet“ (vgl. Freigang et al. 2001, S. 16ff).
Neben den bisher genannten Gruppen gibt es noch jene Kinder und Jugendliche, die mit oder ohne Zustimmung der Eltern aus der Familie genommen werden, weil sie auffällig, kriminell, krank oder behindert zu sein scheinen. Sie bedürfen deshalb einer besonderen Betreuung oder Behandlung. „Was also als behandlungsbedürftig, als kriminell oder behindert angesehen wird, ist nicht (nur) eine Eigenschaft der Person, sondern vor allem Resultat gesellschaftlicher Definitionsprozesse, denen die Institutionen der Fremderziehung verpflichtet sind“ (vgl. Freigang et al. 2001, S. 18f).
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- Arbeit zitieren
- Luna Freund (Autor:in), 2017, Die Bedeutung von Beziehungsarbeit in der stationären Kinder- und Jugendhilfe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/378155
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