Bei den in der Gothaer Cranach-Ausstellung: Bild und Botschaft, unter dem Thema der Weibermacht verorteten Tafeln "Judith an der Tafel des Holofernes" und "Im Zelt des Holofernes" handelt es sich um zwei Werke, die in ihrer künstlerischen Qualität und in der Umsetzung des Sujets aus dem Cranach Œuvre hervorstechen. Besonders die Tafel welche die Handlung vor dem Mord thematisiert, wirft einige Rätsel auf.
Judith eine ambivalente Heldin?
Bei den in der Gothaer Cranach-Ausstellung: Bild und Botschaft, unter dem Thema der Weibermacht verorteten Tafeln, Judith an der Tafel des Holofernes (Abb. 1) und Im Zelt des Holofernes handelt es sich um zwei Werke, die in ihrer künstlerischen Qualität und in der Umsetzung des Sujets aus dem Cranach Œuvre hervorstechen.[1] Besonders die Tafel, welche die Handlung vor dem Mord thematisiert, wirft einige Rätsel auf. Zum einen ist es das Selbstbildnis Lucas Cranach d. Ä. am linken Bildrand der Szene zum anderen ist es die Auswahl dieser Szene der Judith-Geschichte und die prachtvolle Umsetzung die fragen lassen, zu welchem Anlass dieses Bild entstanden ist, und welche Botschaft dem Betrachter damit vermittelt werden sollte. Das Werk befindet sich seit 1656 in der Gothaer Sammlung und es kann davon ausgegangen werden, dass es sich um einen fürstlichen Auftraggeber handelte. Darüber hinaus hat der Künstler eine Signatur mit der Jahreszahl 1531 hinterlassen, die die Entstehung der Tafel in das Jahr der Gründung des Schmalkaldischen Bunds datiert. Ein politischer Zusammenhang zwischen dem Sujet und der politischen Stellung Kursachsens ist damit nahe liegend.[2] Aufgrund dessen möchte ich in dieser Arbeit die Einschätzung des Katalogtextes hinterfragen, der neben der Verbindung zum Schmalkaldischen Bund noch eine weitere moralische Botschaft versinnbildlicht sieht. So heißt es dort: „ […] wird mit dem Apfelbaum indirekt auch auf die Verführungskraft der Judith hingewiesen, vor der Cranach den Betrachter mit seiner Geste ebenfalls warnen will.“[3] Die diese These unterstützende Argumentation führt sodann weiter aus, dass Cranach durch die Interaktion zwischen Judith und Holofernes, das Werk im Bereich der Weibermacht verortet habe.[4] Diese Vorgehensweise der Interpretation perpetuiert in meinen Augen zugewiesene Geschlechterrollen und weist Judith damit in die Kategorie der Weibermacht, eine Deutung die sich erst mit dem Einsetzen der Renaissance entwickelte und etablierte.[5] Im Mittelalter bestand diese negative Konnotation noch nicht, Judith erscheint dort als Tugendallegorie für Enthaltsamkeit, Demut und Keuschheit, der das Laster von Hochmut und Ausschweifung entgegengestellt wird.[6] Auch bietet gerade die Darstellung der Judith im Cranach Œuvre und das Aufkommen des Sujets im öffentlichen Herrschaftsbereich Kursachsen um 1530 einen Anlass, aus ihr eine fortschrittliche Heldin zu machen, die den Glauben trotz des Elends nicht verliert aber dennoch eigenständig und selbstbewusst handelt. Für diese Annahme spricht Matthias Müllers Aufsatz im Katalog zur Ausstellung Luther und die Fürsten, in dem er durch die wissenschaftliche Bearbeitung der Inventare von 1610, die äußere und innere Ausstattung von Schloss Hartenfels rekonstruiert.[7] Die Darstellung der Judith begegnet einem dabei vor allem in den Gemächern des Fürsten sowie sie im Verbund mit einer anderen tugendhaften Heldin an der Außenfassade von Schloss Hartenfels dargestellt wird. (Abb. 2)[8] Außerdem ist es gerade die politisch-allegorische Aussage der Tugendhaftigkeit, die Judith zu einer der wichtigsten Identifikationsfiguren der Protestanten im Kampf gegen die Katholiken machen konnte.[9] Der Verweis auf die moralisierende Ebene der Weibermacht, die Cranach demnach beabsichtigt habe, würde meiner Meinung nach diese Deutung konterkarieren und eher dazu führen sie nicht als Repräsentationsmedium auszuwählen, wie es das Beispiel der Judith Figur Donatellos zeigt. Sie wurde nach ihrer Aufstellung auf der Piazza del Signoria schnell wieder entfernt, da besonders das Bild einer einen Mann tötenden Frau vom Publikum als unglücksbringend empfunden wurde.[10]
Doch muss zunächst das Bild formal vergegenwärtigt werden. Wie stellt der Künstler die Szene dar? Warum wählt er genau diesen Erzählmoment aus? Soll hier eine politische Aussage verbildlicht werden oder soll die Darstellung dazu dienen, die Geschichte um Judith in Erinnerung zu rufen und damit mögliche Assoziationen mit Identifikationspotenzial anzuregen. Eine Beschreibung des Bildes soll diesen Aspekt weiter erläutern.
Das Gemälde eröffnet dem Betrachter einen Blick auf eine Festmahlszene, die sich inmitten der Natur abspielt. Cranach d. Ä. gliedert die Szene dabei in zwei Ebenen, wobei die erstere durch die weiß gedeckte Tafel an der Judith und Holofernes sitzen, definiert wird. Dabei grenzt Cranach d. Ä., durch das Einfügen einer Haselnusshecke und einer Wagenburg[11] in der waagerechten, die erste von der zweiten Bildebene ab. In dieser befindet sich, am rechten Rand, neben einem weiten Landschaftsausblick, der einen Felsen mit einer Burg in der Ferne und einen Flusslauf erkennen lässt, eine Simultandarstellung die Judith und ihre Magd nach dem Mord im Zelt des Holofernes zeigt. Auf der linken Seite des Tafelbildes setzt Cranach d. Ä. einen Apfelbaum ein, der sich über die gesamte Höhe des Bildes erstreckt und auf dessen Verzweigung die Signatur mit Datum zu erkennen ist. Hinter dem Stamm des Baumes befindet sich im unteren Bildrand das Selbstbildnis des Künstlers, wobei die Handstellung der Figur auf die Interaktion zwischen Judith und Holofernes verweist. Beide Figuren sind in zeitgenössischer Kleidung dargestellt, wobei Judith in leicht erhöhter Position dem Holofernes, der einen Federhut trägt,[12] zugeneigt positioniert ist. In ihren Händen hält sie ein schwer zu identifizierendes Stück Essen, auf welches Holofernes mit dem in seiner rechten Hand befindlichen Messer weist. In seiner linken Hand könnte er den unteren Teil eines Vogelkörpers halten. Auf der Tafel sind außerdem ein Trinkgefäß zu erkennen sowie eine direkt vor Judith befindliche Platte mit Tiergebeinen. Die Tafel an der Judith und Holofernes sitzen, wird zur Rechten der Judith von weiteren Figuren gerahmt. So befindet sich über ihr stehend ihre Magd ins Gespräch vertieft mit einem Soldaten, weiter nach rechts blickend erblickt der Betrachter das Gefolge des Holofernes. In diesem befindet sich ein in leuchtend blau gekleideter Soldat mit Federhut, der ebenfalls in Erwiderung der Geste Cranach d. Ä. auf das Geschehen um Judith und Holofernes verweist. Vor der weißgedeckten Tafel mit dem Rücken zum Betrachter und im Profil dargestellt, der Interaktion zwischen Judith und Holofernes ebenfalls zugewandt, befindet sich ein Mundschenk begleitet von einem weißen Windhund. Hier wird spekuliert ob es sich um ein Kryptoportrait Philip des Großmütigen von Hessen handle.[13] Zur linken des Holofernes, im blau orange-goldenen Gewand befindet sich ein weiterer Gefolgsmann, der dem Windhund zugewandt im Begriff ist einen bronzenen Pokal zu öffnen. Abschließend muss auf die Strahlkraft des Gemäldes verwiesen werden, welche besonders durch die Szene im Vordergrund und ihrer Farbigkeit erreicht wird. Cranach d. Ä. verwendete dabei hauptsächlich warme rote bis orange Töne, die durch blaue und grüne Farbakzente unterbrochen werden.
Doch sei noch einmal das Augenmerk auf die Interaktion von Judith und Holofernes gelegt, im Katalogtext heißt es, das Judith dem Holofernes ein Geflügelstück anbietet, das die Form eines weiblichen Geschlechtsorgan habe und in Korrespondenz zu dem von Holofernes gehaltenen Messer, die sexuellen Ambitionen verkörpert.[14] Meiner Meinung nach ist es schwierig mit Sicherheit zu sagen, das Judith dem Holofernes das Geflügelstück anbietet, genauso könnte Holofernes der Judith das Geflügelstück auf seinem Messer gereicht haben, da sich der untere Teil des Getiers noch in seiner anderen Hand befindet. Die Szene ist ambivalent, da nicht mit Sicherheit gesagt werden kann von wem die Motivation ausgeht, Holofernes oder Judith. Die moralisierende Botschaft Cranachs d. Ä. und die Zuweisung der Judith zum Thema der Weibermacht auf dieses formal wackelige Argument zu stützen, finde ich schwierig. So möchte ich eine andere Überlegung zur Deutung ins Spiel bringen, die durch einen nochmaliges lesen der Geschichte sowie der Betrachtung des Typus der Judith und ihren formalen Verbindung zu Darstellung höfischer Damenportraits begründet wird.[15] (Abb. 3)
Beim Nochmaligen lesen der Kapitel 8-13 des Buchs Judith, das Luther in den apokryphen Teil seiner Bibel Übersetzung aufnahm, kann die Geschichte durchaus ohne die Weibermacht auszuspielen, gelesen werden.[16] So muss vergegenwärtigt werden, dass Judith eine reiche Witwe war und damit ein unabhängiges Leben führen konnte.[17] Sie schmiedete einen Plan, aufgrund dessen die Ältesten beschlossen hatten, ihren Gott zu verraten, in dem sie sich dem assyrischen Feldherrn untergeben wollten, der ihr Volk vor dieser Schmach bewahren sollte. In einem Gebet zu Gott verkündet sie diesem ihren Plan und bittet um seine Unterstützung, damit geht die Motivation zum Handeln von ihr aus, was als heroisch zu bezeichnen ist. Im weiteren Verlauf der Geschichte gelangt sie durch ihre Schönheit, aber genauso durch ihre klugen Worte bis zum Feldherrn, den sie sogleich ebenfalls durch die Kombination von Schönheit und Weisheit betört. So sehr, das er ihr gestattet sich im Rahmen des Gebets frei zu bewegen und ihre eigenen Speisen ein zunehmen.[18] In der Geschichte ist Holofernes der Schwache, der geblendet von einer tollen Frau völlig vergisst, dass er es mit dem Feind zu tun hat, dem man nicht alle Privilegien gewähren sollte. Er ist derjenige der sich bis zur Besinnungslosigkeit betrinkt und sich so ins Verderben stürzte, weil er Judith unterschätzte.[19] Sie allerdings hat dadurch ihr Volk retten können und kehrte darüber hinaus unbefleckt zurück.[20] Spiegelt diese Geschichte eine ambivalente Heldin wieder? Wollte Cranach eine ambivalente Heldin darstellen?
[...]
[1] Vgl. LCI, , Sp. 457, „Lucas Cranach d. Ä., der das Thema der J.-Thema häufig behandelt, malte auch die seltene Szene: Hol. lässt der Judith Speisen vorsetzen.“
[2] Vgl. Ausst. Kat. Bild und Botschaft, Cranach im Dienst von Hof und Reformation,(Stiftung Schloss Friedenstein Gotha, Herzogliches Museum, 29. März bis 19. Juli 2015), Museumslandschaft Hessen Kassel, Museums-landschaft Hessen (Hg.), Heidelberg 2015, S. 272, Die These vom politischen Charakter des Motivs ist auf Werner Schade zurückzuführen, Vgl. Dieter Koepplin; Tilman Falk: Lukas Cranach, Gemälde, Zeichnungen, Druckgraphik, (Ausstellung im Kunstmuseum Basel, 15. Juni bis 8. September 1974), Bd.1, Basel 1976, S.417
[3] Ausst. Kat. Bild und Botschaft, S. 273.
[4] Vgl. ebd. S. 273, Die Einordnung der Weiberlist ist wohl auf Dieter Koepplin zurückzuführen, der im Katalog-Teil seiner Monographie, das hier besprochene Bild unter der Kategorie »Weibermacht« zuordnet. Allerdings relativiert er die Aussage mit Verweis auf den zeitgenössischen Nürnberger Literat Hans Sachs, der das Thema in einem Gedicht und später in einer Komödie (1551) aufarbeitet, dabei liegt die Intention der Geschichte auf dem «heroischen Exempel» als auf der «Weiberlist». Koepplin 1976,Bd. 2, S. 580.
[5] Lexikon christlicher Kunst, Judith S. 561: „Das Spannungsverhältnis von erot. Anziehung/Verführung und Liebestod spielt erst seit der Renaissance eine Rolle, […].“
[6] Ebd. S. 561, Vgl. Sabine Poeschel: Handbuch der Ikonographie: sakrale und profane Themen der bildenden Kunst, Darmstadt 2009, S.94: „Seit der Renaissance und vor allem im Barock kommt eine negative Konnotation dazu, nämlich die Furcht vor der mordenden Frau; […]“.
[7] Matthias Müller: Die Konfessionalisierung höfischer Innenräume, in: Luther und die Fürsten : Selbstdarstellung und Selbstverständnis des Herrschers im Zeitalter der Reformation, (1. Nationale Sonderausstellung zum 500. Reformationsjubiläum), Aufsatzbd. (Beiträge zur wissenschaftlichen Tagung vom 29. bis 31. Mai 2014 auf Schloss Hartenfels in Torgau und im Residenzschloss Dresden) Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Dirk Syndram; Yvonne Wirth; Iris Yvonne Wagner (Hg.), Dresden 2015, S. 138-157
[8] Ebd. S. 151, 153, Zum Beispiel befanden sich in der Bräutigamskammer Judith-Darstellungen sowie in den Fürstengemächern. Mit der Ausschmückung der Außenfassade ist im speziellen der „Schöne Erker“ gemeint der u.a. durch zwei Reliefmedaillons der Judith und der Lucretia geschmückt ist.
[9] Vgl. ebd. S. 152.
[10] So zum Beispiel im Fall der Judith Donatellos für die Medici. Sie wurde nachdem sie im öffentlichen Bereich ausgestellt wurde wieder entfernt, da sie nach dem Herold Francesco Filareti nicht ins Decorum passte sowie sie i. S. der Bildmagie an ihrem Aufstellungsort als Unglücksbringer gewertet wurde. Vgl. Ulrike Müller-Hofstede: Repräsentation und Bildlichkeit auf der Piazza della Signoria. Aufstellung und Bedeutungsverdichtung von Michelangelos Koloss vor dem Palazzo Vecchio, in: Skulptur und Platz, Alessandro Nova, Stephanie Hanke (Hg.), Berlin, München 2014, S.283-302; S.291, Vgl. Horst Bredekamp: Repräsentation und Bildmagie der Renaissance als Formproblem. erweiterte Fassung eines Vortrags, gehalten in der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung am 29. Juni 1993, München 1995, S. 28.
[11] Vgl. Ausst. Kat. Bild und Botschaft, S. 272.
[12] Vgl. Poeschel 2009, S. 94, Sie identifiziert die Kleidung des Holofernes als Landsknecht Uniform mit Federhut.
[13] Vgl. Ausst. Kat. Bild und Botschaft, S. 273.
[14] Ebd. S. 273.
[15] Die Gegenüberstellung einer Judith-Tafel und eines Bildnisses Sybille von Kleve zeigt die Parallelen auf und steht so meine Vermutung für einen bestimmten Typus, der ein bestimmtes Bild der Frau vermitteln könnte.
[16] Vgl. Bettina Uppenkamp: Judith – Zur Aktualität einer biblischen Heldin im 16. Jahrhundert., in: Eine starke Frauengeschichte. 500 Jahre Reformation, hrsg. v. Simona Schellenberger, André Thieme, Dirk Welich, Markkleeberg 2014, S. 71-77 Luther betont dabei besonders den didaktischen Wert der Geschichte. In seiner Vorrede zu deutschen Übersetzung der Geschichte Judith., S. 72-73.
[17] http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912_apokr/judit/8/ Judith 8, 4-8 (Stand 04.11.2015)
[18] http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912_apokr/judit/8/ Judith 8, 8-12 (Stand 04.11.2015)
[19] http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912_apokr/judit/12/ Judith 12, 17-20 (Stand 04.11.2015)
[20] http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912_apokr/judit/13/ Judith 13, 20 (Stand 04.11.2015)
- Arbeit zitieren
- Lina Mitschke (Autor:in), 2015, Ist die Figur der Judith in Lucas Cranachs Gemälde "Judith an der Tafel des Holofernes" eine ambivalente Heldin?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/373436
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