Diese Broschüre analysiert die Qualitätssicherungsrelevanten Aspekte der Rückverfolgbarkeit innerhalb der eigenen Unternehmensproduktion. Dabei wird die Rolle des MES aufgezeigt. Anschließend wird Rückverfolgbarkeit bezüglich des Zieles der Qualitätssicherung kurz bewertet und die übergeordnete Frage beantwortet, ob Rückverfolgbarkeit eher eine Notwendigkeit oder Chance darstellt.
Einleitung und Abgrenzung
Die Kundenansprüche an Qualität, Transparenz und Sicherheit steigen stetig weiter und einzelne Branchen stehen bezüglich Rückverfolgbarkeit/ Traceability bereits einer Vielzahl von Normen, Gesetzen, Richtlinien und Standards gegen-über. Unterschiedlichste Verbände haben die Rückverfolgbarkeit in ihren Compliance-Anforderungen verankert (DIN ISO 9001:2001, TS16949:2002 etc.).[1] Auch immer mehr Ferti-gungsunternehmen selbst haben den Anspruch, den Produktionsprozess in allen Bereichen transparent zu gestlalten mit dem Ziel, wer was wann unter welchen Prozessbedingungungen produziert hat. Andernfalls ist eventuell das Qualitätssicherungskonzept, inzwischen auch neben der Elektronik-, Pharma-, LEH- oder Au-tomobilbranche, nicht mehr konkurrenzfähig.
Diese Broschüre analysiert die Qualitätssiche-rungsrelevanten Aspekte der Rückverfolgbarkeit innerhalb der eigenen Unternehmensproduktion. Dabei wird die Rolle des MES aufgezeigt. An-schließend wird Rückverfolgbarkeit bezüglich des Zieles der Qualitätssicherung kurz bewertet und die übergeordnete Frage beantwortet, ob Rückverfolgbarkeit eher eine Notwendigkeit oder Chance darstellt.
Definition Rückverfolgbarkeit:
“Rückverfolgbarkeit ist die Möglichkeit, den Werdegang, die Verwendung oder den Ort des Betrachteten zu verfolgen.” [DIN EN ISO 9000:2005: 26] Das betrachtete Medium stellt in dieser Broschüre ein einzelnes Produkt dar.
Gründe und Möglichkeiten der Rückverfolgbarkeit:
Im folgenden werden die nach Ansicht des Autors wichtigsten Gründe aufgezeigt:
- Erfüllung von Gesetzlichen Vorschriften, Compliance Audits[2], Normen und Richtlinien von OEMs à Konkurrenzfähigkeit
- Verbesserte Kostenkontrolle, Transparenz, Fehleranalyse und Produktqualität
- Erhöhte Planungsgenauigkeit
- Schließung von Informationslücken
- Reduktion des Reklamationspotentials und der evtl. anfallenden Rückrufmengen
- Vermeidung von Regressansprüchen (Produkthaftungsgesetz) und Imageschäden
- Verhinderung des Verlusts von Folgeauf-trägen und steigenden Versicherungskosten
- Prozessoptimierungspotential (Warenflüsse)
- Anbindung an das ERP-System und Gewährleistung der Datenübereinstimmung mit Lieferanten der Supply Chain[3]
Letztendlich sind für Produktionsunternehmen Rückrufaktionen, beispielsweise wg. mangeln-der Qualität oder Sicherheit, immer mit hohen Kosten verbunden. Eine Produktion mit Rück-verfolgbarkeit ist in der Abbildung auf S. 2 abgebildet. Die gepunkteten Linien stellen dabei Informationsflüsse (rot) und die durchgehenden Linien Materialflüsse (blau) dar. Die blauen kreisförmigen Symbole stehen für die wach-sende Datenbank von Produktions- und Quali-tätsdaten, die mit den Produktionschargen oder -losen verknüpft sind.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Material- und Informationsflüsse bei Traceability in Produktion und Qualitätssicherung
Quelle: Kletti, J. (2015): S. 90
Rückverfolgbarkeit durch MES in der Produktionswirtschaft:
Aktuelle MES (Manufacturing Execution Systeme) bieten neben sämtlichen Aufgaben der Produktionssteuerung die Möglichkeit an, Rückverfolgbarkeit inkl. Qualitätssicherung von Produkten gewährleisten zu können. [4] Alle weiteren Funktionen eines MES, auf die hier nicht weiter eingegangen wird, können in der VDI-Richtlinie 5400 nachgelesen werden.[5] Ein MES ist u. a. ein IT-System, welches an bestimmten Punkten des Herstellungsprozesses und der Qualitätskontrolle Produktions- und Materialdaten erfasst (an sog. Infopoints, siehe Datenbanksymbole in Abbildung), um die Rückverfolgbarkeit vom Endprodukt bis hin zum Rohstoff bzw. der Materialcharge (Upstream Trability) gewährleisten zu können.[6] Innerhalb der Produktion können, abhängig von der Setzung der Infopoints, die aufgelaufenden Leistungsdaten jeder Outputeinheit “per Knopf-druck” rückverfolgt werden. Die Aufnahme der Informationen an diesen Informationsüber-gabepunkten kann über Maschinen, Mitarbeiter oder das Material selbst erfolgen.[7] Je nach Branche haben die Infopoints an bestimmten Stellen eine gesetzlich vorgeschriebene Mess- bzw. Überwachungsfunktion, meist zum Schutz des Verbrauchers. Auch über die Gesetze hinaus sind die Anzahl und Positionen der Informationsübertragungspunkte, die je nach Anspruch festlegt werden, besonders wichtig. Hier kann einem Unternehmen im Rahmen der Qualitätssicherung eine besondere Unterstü-tzung bei der Fehlererkennung und -behebung während des gesamten Erstellungsprozesses zukommen.
Umgekehrt kann durch ein MES auch die Verwendung eines bspw. problembehafteten Rohstoffs in den Endprodukten ausgemacht werden (Downstream Traceability).[8] MES können dies innerbetrieblich und auch in der gesamten Lieferkette (integriertes Tracing) ermöglichen. Ein MES hat eine Schnittstelle zum innerbetrieblichen ERP-System, welches bei Bedarf auf die erfassten Daten des MES zugreift.[9] Das MES widerrum nutzt die Plan-daten des ERP-Systems.
Das in der Abbildung gezeigte “Produkt-zertifikat”, stellt den finalen elektronischen Herstellbericht dar. Dieser ist letztendlich, z.B. mittels Barcode, mit dem Fertigprodukt verbunden. Im Herstellbericht werden automa-tisch, u. a. für den lückenlosen Produktnach-weis, ausgewählte Details des Fertigungspro-zesses jedes einzelnen Produktes dokumentiert. Die Datenquellen sind die Infopoints an entsprechender Stelle, welche z. B. aufnehmen können: Betriebsdaten, Prozessdaten, einge-setzte Betriebsstoffe, materialbeschreibende Los- und Chargeneingenschaften (Herstell-datum, Gewicht, etc.), verwendete Maschinen und Werkzeuge, Instandhaltungsdaten zu diesen, Qualitätsdaten (Prüfmittel, Messwerte etc.), Produktspezifische Nacharbeitsergenisse, welche Materialien des Produktes an dieser Stelle aus welcher Lieferung stammen, welche Subartikel aus welchem Subauftrag in den Arbeitsgang an einer Maschine eingeflossen sind, Stillstandszeiten, beteiligte Mitarbeiter, die angefallenen Kosten etc.. [10] Während des gesamten Produktionsprozesses werden also auch die für die Qualitätssicherung relevanten Produkt- und Prozessdaten in das MES bzw. die Datenbank integriert. [11] Mit diesen Daten kann ein MES den gesamten Fertigungsprozess aktiv überwachen und wenn notwendig, sogar eingreifen. Ein MES trägt bezüglich der Qualitätssicherung demnach auch zur Null-Fehler Produktion bei.[12] Aktiv überwachen bedeutet, dass im Falle eines Fehlers eine unverzügliche Prozessverriegelung stattfindet. Dies kann z. B. bei einer zu starken Gewichts-abweichung des Zwischenproduktes von der Norm, geschehen. Die Soll-Zustände werden, je nach Produkt und Automatisierungsgrad, vom System mit den Prüfergebnissen auf der ent-sprechenden Stufe verglichen. Gerade bei mehrstufigen Produktionsprozessen können dadurch unnötige Folgekosten verhindert werden, denn “wenn man erst am Ende prüft, ist es zu spät.”[13] Mehrstufige Produktionsprozesse (siehe Abbildung: 1 bis n Fertigungsstufen) stellen bezüglich Rückverfolgbarkeit generell eine größere Herausforderung dar, weil einzelne Produkte, Chargen oder Lose im gesamten innerbetrieblichen Materialfluss zweifelsfrei identifizierbar sein müssen. Dies kann bspw. in Verbindung mit Behälteretkiketten, mit entsprechenden Barcodes oder mit RFID-Tags am unfertigen Erzeugnis funktionieren (produktabhängig). Durch eindeutige Chargen- oder Los-ID´s können die Produkte, unabhängig vom Lagerplatz, jederzeit ohne Verwechslungs-gefahr ausfindig gemacht werden und dem entsprechenden Kunden- oder Lagerauftrag zugeordnet werden.[14]
In der Abbildung ist neben den Maschinen und Prüfmitteln der einzelne Mitarbeiter, der wie bereits erwähnt Messdaten etc. in die Datenbank einpflegen kann, nicht abgebildet. Dieser spielt aufgrund der Fehleranfälligkeit seines Wesens eine besonders große Rolle. Auch hier hilft ein MES passiv, da es eine ganzheitlich-papierlose Organisation anstrebt.[15] Nach Festlegung der verantwortlichen Personen können diese im Nachhinein anhand des Systems ausfindig gemacht werden können. Um letztendlich Produktrückverfolgung in der Pro-duktion effizient umsetzen zu können, ist es notwendig, das Softwareoberflächendesign je Arbeitsplatz und je Prozesszustand des Produktes festzulegen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass verschiedenen Mitarbeitern falsche Informationen an falschen Stellen zur Verfügung gestellt werden und diese ggf. nicht in das System eingepflegt werden (kein Automatismus der Datenpflege). Anhand der Informationsfluss-analyse können die relevanten Informationsbe-darfe pro Arbeitsplatz festgelegt werden, um mehr Usability[16], weniger Zeitbedarf und erhöhte Produktivität am einzelnen Arbeitsplatz verzeich-nen zu können.
Die Herausforderungen von Rückverfolgbarkeit innerhalb der eigenen Produktion liegen vor allem in komplexen Prozess- und Produkt-strukturen und der eindeutigen Zuordnung von Materialien zu Information vor, während und nach der Prozessdurchführung.[17] Weiterhin stellt die Sicherstellung und Richtigkeit der Datener-fassung an allen relevanten Infopoints und an den Schnittstellen innerhalb und zwischen den Abteilungen eine Herausforderung dar. Inzwi-schen ist es sogar möglich, durch das Intranet auf sämtliche Daten zuzugreifen.[18]
[...]
[1] Vgl. iTAC Software AG (o. J.): o. S.
[2] Vgl. RADLEY CORPORATION (2017): o. S.
[3] Vgl. iTAC Software AG (o. J.): o. S.
[4] Vgl. IT & Producktion Online (2012): o.S.
[5] Vgl. Kletti, J. (2015): S. 271
[6] Vgl. Der Betriebsleiter (2012): o. S.
[7] Vgl. Bruns-Vietor, S. (2017): S. 65
[8] Vgl. Der Betriebsleiter (2012): o. S.
[9] Vgl. Soft Select GmbH (o. J.): o. S.
[10] Vgl. Thiel, K. (2008): S. 5; vgl. Kletti, J. (2015): S. 89
[11] Vgl. Hartung, M. (2012): S. 31
[12] Vgl. Glück, M., Schulz, T. (2012): S. 35 ff.
[13] Vgl. Glück, M., Schulz, T. (2012): S. 36
[14] Vgl. Kletti, J. (2015): S. 89 f.
[15] Vgl. Thiel, K. (2008): S. 2
[16] Vgl. O‘Shea et al. (2013): S. 104 ff.
[17] Vgl. Müller, N. et al. (2007): S. 6
[18] Vgl. IT & Producktion Online (2012): o. S.
- Arbeit zitieren
- Oliver Kühn (Autor:in), 2017, Qualitätssicherung in der Produktionswirtschaft durch Rückverfolgbarkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/373136