Die Forschung der Masterarbeit richtet sich darauf, die sowohl fach- und schulbezogenen Vorstellungen von Lehrern über mathematische Beweise und ihre Funktionen festzuhalten, als auch ihre emotionalen beziehungsweise motivationalen Aspekte zu untersuchen.
Die Arbeit besteht aus drei Hauptbestandteilen. Auf die Einleitung folgt der erste Teil, der in die theoretischen Grundlagen des mathematischen Beweisens einführt. Dabei wird zwischen den Begriffen Beweisprodukt und –prozess unterschieden und im Weiteren hinsichtlich der schulbezogenen Beweiskompetenz mit dem Argumentieren und Begründen erweitert. Demnach werden verschiedene Beweisschema, angelehnt an empirische Befunde von Harel und Sowder, verfasst. Die Funktionen des Beweises werden ebenfalls dargestellt wobei eine von De Villiers vorgeschlagene didaktische Strategie zu ihrer Anwendung beachtet wird. Abgeschlossen wird dieses Kapitel mit Überlegungen zur Lehrerrolle beim Beweisen Lernen hinsichtlich der psychologischen Entwicklungsspezifik des Kindes.
Im zweiten Teil wird das methodologische Vorgehen dargestellt, welches auf den Grundlagen der qualitativen Sozialforschung von Mayring basiert. Die Datenerhebung für das Forschungsvorhaben erfolgte mit problemzentrierten, leitfadengestützen Interviews. Dieser Ansatz wurde gewählt, da in einem persönlichen Gespräch Lehrkräfte umfassender ermöglicht wird, ihre persönlichen Einstellungen, ihr Fachwissen und ihr Vorgehen zu erläutern. Zudem bieten sich Möglichkeiten für direkte Nachfragen bei Verständnisproblemen und zur Vertiefung bestimmter Aspekte. Darauf folgt der dritte Teil der Arbeit, in dem zunächst die ausgewerteten Forschungsergebnisse dargestellt werden und abschließend nach aufgetretenen Beweispraktiken der befragten Lehrpersonen analysiert und theoriegeleitet diskutiert werden. Eine Zusammenfassung mit einem Forschungsausblick schließt diese Arbeit ab.
In diesem Zusammenhang entwickelte sich das vergleichende Forschungsinteresse der Autorin zu Beweisvorstellungen der Lehrkräfte der Stadt Bremen, die über unterschiedliche Herkunftsmerkmale ihrer Lehramtsausbildung verfügen. Einerseits wird damit deutlich, dass aufgrund von Globalisierung und Migration das pädagogische Kollegium kulturell immer heterogener wird,; andererseits spiegelt das die individuellen, während der interkulturelle Bildungsbahn gebildeten Beweisvorstellungen der Autorin.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Begriffsklärungen
2.1.1 BeweisundBeweisen
2.1.2 Der mathematische Beweis: deduktive und argumentative Strukturen
2.2 Beweiskompetenz in der Schule
2.2.1 Argumentieren, Begründen und Beweisen
2.2.2 Beweisvorstellungen und ihre Kategorien
2.3 FunktionenvonBeweisen
2.3.1 Beweisfunktionen im Mathematikunterricht
2.3.2 Das Beweisprinzip als Kommunikationsmittel
2.3.3 Zur Lehrerrolle im Mathematikunterricht
3 Forschungsdesign
3.1 Methodologische Überlegungen
3.2 Stichprobenauswahl
3.3 Erhebungsmethode
3.4 Interviewleitfaden
3.5 Analysemethode nach P. Mayring
3.6 Transkriptionsregeln
4 Auswertung
4.1 FrauK
4.2 FrauP
4.3 Herr K
4.4 FrauS
4.5 Herr W
4.6 Frau.P
5 Diskussion der Ergebnisse
5.1 Empirische und anwendungsbezogene Beweisschemata: Frau K., Frau P., Herr K
5.2 Kommunizieren in mathematischen Inhalten als Prinzip: Frau S., Herr W., Frau P
6 Zusammenfassung und Ausblick
7 Literaturverzeichnis
Dank
Sich im Rahmen einer Masterarbeit mit einem Thema beschäftigen zu können, dessen Untersuchung die vergleichende Analyse über Ländergrenzen hinweg, wie in diesem Fall zwischen Deutschland und Russland, über einen grundlegenden Aspekte der Mathematikdidaktik wie dem Beweisverständnis beinhaltet, ist ein wissenschaftlicher Forschungsgenuss. Insbesondere bereitete mir diese Abschlussarbeit eine große professionelle und persönliche Zufriedenheit, weil ich hierbei die kulturellen Unterschiede die auch in der exakten Wissenschaft Mathematik bestehen, durch den eigenen Bildungserwerb in diesen beiden Ländern verspüren konnte. Dies wäre nicht möglich gewesen ohne all jene Personen, die zum fachlichen und menschlichen Wachstum meiner Persönlichkeit beigetragen haben.
Aus meiner deutschsprachigen Umgebung möchte ich mich recht herzlich beim pädagogischen Team der bremischen Schule am Leibniz Platz bedanken, deren Kolleginnen und Kollegen vor allem aus dem Fachbereich Mathematik, mich während meiner Praktikumszeit ermutigt und freundlich unterstützt haben. Allen Lehrerinnen und Lehrern, die mir für das Interview zusagten und mit ihrer Offenheit und Gesprächsbereitschaft den Forschungsbeitrag der vorliegenden Arbeit ermöglichten, möchte ich meine Danksagung nachreichen. Ebenfalls danke ich all meinen Freunden, die mir bei der Masterarbeit geholfen haben und mir mit Rat und Tat zur Seite standen.
Zu größtem Dank bin ich auch meinen beiden Gutachtern Prof. Dr. Christine Knipping und Prof. Dr. David A. Reid verpflichtet, die mich wohlwollend betreut haben und mir die Türen zur Welt der wissenschaftlichen Forschung öffneten.
Ohne meine russischsprachige Bildungsentwicklung, die ein festes Wissensfundament schuf, wäre die Abfassung dieser Arbeit ebenfalls nicht denkbar gewesen. An erster Stelle gebührt meiner Großmutter mein nachträglicher Dank, die mein mathematisches Talent ins Leben rief und förderte, indem sie in meiner Grundschulzeit mit mir an meinen Zusatzmatheaufgaben knobelte. Meiner Mathematiklehrerin, Olga Alexandrovna, bin ich deswegen dankbar, da sie meine Potenziale erkannte und mich bis zum Abiturabschluss förderte. Danken muss ich auch den wissenschaftlichen Mitarbeitern der pädagogischen Kuzbass Akademie, die mich während meiner ersten Hochschulbildung ausgezeichnet betreuten.
Ein ganz besonderes großes Dankeschön geht an meinen Ehegatten Pavlo, der mir Freiräume für das zweite Studium schuf und während meines wissenschaftlichen Schreibens unsere beiden lebhaften Kinder liebesvoll betreut hat. Seine aufbauenden Worte haben mich stets nach vom blicken lassen. Abschließend danke ich meiner nächsten Verwandtschaft, deren absolute Liebe mir über Grenzen hinweg das Herz erwärmt.
Благодарность
Возможность в рамках магистерской диссертации заниматься темой, которая проводит сравнения между странами, как в данном случае между Германией и Россией, об одном из основопологающих аспектов математической дидактики таком, как понятие о доказательстве - это научное-исследовательское удовольствие. Особенное профессиональное и персональное удовлетворение доставила мне моя выпускная работа потому, что я смогла на примере собственного образования, полученного в обеих этих странах, прочувствовать культурную разницу этой точной науки математики. Это было бы не возможно без людей, которые внесли вклад в мой профессиональный и человеческий рост.
Из моего немецкоговорящего окружения мне хотелось бы поблагодарить педагогический коллектив бременской школы на Лейбницплац, и прежде всего коллег по математике, которые меня поддерживали и придавали уверенности во время моей практики. Всем учителям, которые согласились на интервью и своей открытостью и готовностью на разговор посодействовали исследовательской части данной работы, выражаю свои слова благодарности. Так же благодарю всех своих друзей, которые мне помогали в моём труде и стояли и словом, и делом на моей стороне.
С наибольшей благодарностью обращаюсь я к своим двум научным руководителям профессорам Кристине Книппинг и Дэвиду Риду, которые доброжелательно меня курировали и открыли мне двери в научно-исследовательский мир.
Без моего русскоязычного образования, которое дало мне крепкий фундамет знаний, так же была бы эта работа немыслима. Прежде всего спасибо моей бабушке, которой уже нет с нами, за то, что она положила начало моему математическому таланту и в начальной школе решала со мной задачи повышенной трудности. Моей учительнице математики, Ольге Александровне, я благодарна за то, что она распознала мой потенциал и способствовала моему достойному окончанию среднего образования. Научным сотрудникам кузбасской педагогической Академии спасибо за то, что во время моего обучения там я чувствовала себя способной на многое.
Особенный знак благодарности я должна уделить своему мужу Павлу, который дал мне свободные временные резервы для второго высшего образования. И пока я была занята научно-исследовательским трудом, он активно занимался нашими двумя непоседливыми детьми. Его слова поддержки постоянно придавали мне сил и направляли двигаться только вперёд. А так же спасибо моим ближайшим родственникам, абсолютная любовь которых через все границы греет моё сердце.
1 Einleitung
Mathematik ist unbestritten eine beweisende Disziplin. Die Beweise und ihre Funktionen sind jedoch nicht eindeutig zu interpretieren. Aus der konventionellen Sicht sind Beweise die Träger des mathematischen Wissens, die auf reinem Denken beruhen und mathematische Zusammenhänge streng, über die emotionale Ebene der Menschen hinaus, validieren (Heintz, 2000). Die Gegenposition, eine soziologische Sichtweise der Mathematik, schreibt dem mathematischen Beweis empirischen Charakter zu, indem mathematische Schlussfolgerungen experimentell festgehalten werden und sich nur durch ihren höheren Abstraktionsgrad von der Physik unterscheiden (Lakatos, 1976, vgl. Brunner, 2013). Je nach Betrachtungsweise wird unter dem mathematischen Beweis entweder ein fertiges Produkt als eine fachwissenschaftliche Leistung oder ein sozialbedingter Prozess als Denkakt verstanden.
Auf dem Gebiet der Mathematikdidaktik wurde auch diese produkt- und prozessbezogene Akzentuierung des Beweisens in den letzten Jahren thematisiert um adäquate Beweisformen für die unterrichtliche Praxis zu finden. Da die Fähigkeit zu einem logisch begründeten Vorgehen bei der Problemlösung als einer der zentralen Standards des Mathematikunterrichts des National Council of Teacher in Mathematics (NCTM, 2000) aufgeführt wurde, wird dazu tendiert, die schulbezogene Beweiskompetenz um das mathematische Argumentieren und Begründen zu ergänzen. Zudem werden unterschiedliche Aussagen vertreten, welche Rollen das Argumentieren und Beweisen und ihre Beziehung zueinander im Mathematikunterricht einnehmen soll (Knipping, 2012).
In der Bundesrepublik Deutschland stieg das Forschungsinteresse zu der Problematik durch die länderübergreifende Vergleichsstudie PISA (Baumert et al., 2001), deren Ergebnisse ein schwaches Abschneiden der deutschen Klassen bei mathematischen Aufgabenstellungen aufzeigten. Empirisch wurde festgestellt, dass dieses nicht nur mit dem mathematischen Wissen und Können zusammenhängt, sondern auch bestehende Vorstellungen vom Fach wesentlich die Lehr- und Lernprozesse beeinflussen (vgl. Reiss, Hellmich & Thomas, 2002).
Bei der Entwicklung der Forschungsrichtung der vorliegenden Masterarbeit wurde mit der weiteren Literaturrecherche festgehalten, dass persönliche Überzeugungen der Lehrkräfte zum Beweisen ihre Unterrichtsgestaltung prägen (Brunner, 2013, S. 116). Ein Zusammenspiel zwischen dem fachbezogenen Wissenserwerb sowie dem damit verbundenen emotionalen Aspekt und den späteren didaktischen Berufsentscheidungen der Lehrerinnen und Lehrer bezüglich des Beweisens ist bislang nur geringfügig erforscht worden (Brunner, 2013, S. 126). Ausschlaggebend für den Forschungsfokus dieser Arbeit war u.a. eine international vergleichende Untersuchung, deren Ergebnisse deutlich kulturelle Unterschiede in unterrichtlichen Beweispraktiken nachweisen und den Lehrpersonen und ihren Handlungen dabei einen bedeutenden Stellenwert beimisst (Knipping, 2003).
In diesem Zusammenhang entwickelte sich mein vergleichendes Forschungsinteresse zu Beweisvorstellungen der Lehrkräfte der Stadt Bremen, die über unterschiedliche Herkunftsmerkmale ihrer Lehramtsausbildung verfügen. Einerseits wird damit deutlich, dass aufgrund von Globalisierung und Migration das pädagogische Kollegium kulturell immer heterogener wird; anderseits spiegelt das die individuellen, während der interkulturellen Bildungsbahn gebildeten Beweisvorstellungen der Autorin. Davon ausgehend, lässt sich die Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit wie folgt formulieren:
Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Vorstellungen mathematischer Beweise zeigen sich bei Lehrkräften bremischer Schulen, die ihre Lehramtsausbildung in Russland absolviert haben, gegenüber Lehrkräften, die in Deutschland ausgebildet worden sind?
Im Rahmen der Forschung wird folgenden Fragen nachgegangen:
- Was verstehen die Lehrkräfte mit den oben genannten professionellen Qualifikationen unter einem mathematischen Beweis?
- Wie führen sie selbst Beweise? Wie stehen sie persönlich der Bitte zur selbstständigen Beweisführung gegenüber?
- Welche Typen von Beweisen und Beweisprozessen sehen sie als geeignet für ihre unterrichtliche Praxis an? Was halten sie für einen ausreichenden Beweis in ihrem Mathematikunterricht?
- Welche Funktionen von Beweisprozessen treten in ihren Beweisvorstellungen auf? Aus welchen Studien- und/oder Berufserfahrungen kennen sie die Funktionen?
Somit richtet sich die Forschung dieser Arbeit darauf, die sowohl fach- und schulbezogenen Vorstellungen von Lehrern über mathematischen Beweise und ihre Funktionen festzuhalten, als auch ihre emotionalen bzw. motivationalen Aspekte dazu zu untersuchen.
Die Masterarbeit besteht aus drei Hauptbestandteilen. Auf diese Einleitung folgt der erste Teil, der in die theoretischen Grundlagen des mathematischen Beweisens einführt. Dabei wird zwischen den Begriffen Beweisprodukt und -prozess unterschieden und im Weiteren hinsichtlich der schulbezogenen Beweiskompetenz mit dem Argumentieren und Begründen erweitert. Demnach werden verschiedenen Beweisschemata, angelehnt an empirische Befunde von Harel und Sowder, verfasst. Die Funktionen des Beweises werden ebenfalls dargestellt, wobei eine von De Villiers vorgeschlagene didaktische Strategie zu ihrer Anwendung beachtet wird. Abgeschlossen wird dieses Kapitel mit Überlegungen zur Lehrerrolle beim Beweisen Lernen hinsichtlich der psychologischen Entwicklungsspezifik des Kindes.
Im zweiten Teil wird das methodologische Vorgehen dargestellt, welches auf den Grundlagen der qualitativen Sozialforschung von Mayring basiert. Die Datenerhebung für das Forschungsvorhaben erfolgte mit problemzentrierten, leitfadengestützten Interviews. Dieser Ansatz wurde gewählt, da in einem persönlichen Gespräch Lehrkräften umfassender ermöglicht wird, ihre persönlichen Einstellungen, ihr Fachwissen und ihr Vorgehen zu erläutern. Zudem bieten sich Möglichkeiten für direkte Nachfragen bei Verständnisproblemen und zur Vertiefung bestimmter Aspekte.
Darauf folgt der dritte Teil der Arbeit, in dem zunächst die ausgewerteten Forschungsergebnisse dargestellt werden und abschließend nach aufgetretenen Beweispraktiken der befragten Lehrpersonen analysiert und theoriegeleitet diskutiert werden.
Eine Zusammenfassung mit einem Forschungsausblick schließt diese Arbeit ab.
2 Theoretische Grundlagen
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird der mathematische Beweis in Bezug auf den schulischen Kontext und seine Einbettung in die unterrichtliche Praxis betrachtet, wobei der Schwerpunkt auf die Beweisvorstellungen der Lehrpersonen gelegt wird. Die theoretischen Grundlagen dieser Arbeit sind in drei Abschnitte gegliedert. Zunächst wird eine Begriffsklärung des mathematischen Beweises vorgenommen, die sowohl auf die traditionelle mathematische Auffassung eingeht, als auch jene Sichtweise einbezieht, die sich nach der soziologischen Wende in den Naturwissenschaften herausgebildet hat. Der Beweisbegriff wird ausdifferenziert dargestellt, indem man zwischen dem Beweisprodukt und dem Beweisprozess unterscheidet. Auf das Parallelkonzept des Beweises wird anschließend eingegangen, wobei seine argumentative und deduktive Strukturen beleuchtet werden (Kapitel2.1). Daran anschließend wird in die Beweiskompetenz im schulischen Kontext überführt, indem sich ein breites Spektrum an Fähigkeiten präsentieren lässt. Zudem werden einige interkulturell verschiedene Bedeutungen des Wortes „Beweis“ dargelegt, die relevant für die im Rahmen der Arbeit durchgeführte Forschung sind. Darauf aufbauend wird zu den Vorstellungen über mathematische Beweise übergeleitet, die, angelehnt an empirischen Untersuchungen der Mathematikdidaktik, kategorisiert werden (Kapitel 2.2). Darüber hinaus werden verschiedene Funktionen des Beweises dargestellt mit der Absicht, auf diesem Wege eine Strategie für die didaktische Anwendung zu erschließen. Hierbei ist der psychologische Aspekt der kommunikativen Beweisfunktion zu berücksichtigen, der sich als bedeutsam in Bezug auf soziale Prozesse erweist und dabei die Lehrperson in den Vordergrund stellt. Die Überlegungen zur Lehrerrolle beim Beweisen Lernen werden hinsichtlich des Sprachentwicklungskonzepts des Kindes zusammengefasst (Kapitel 2.3) und damit der Theorieteil der vorlegenden Arbeit abgeschlossen.
2.1 Begriffsklärungen
In der Mathematik weist der Begriff „Beweis“ eine lange Tradition auf. Bereits vor unserer Zeit schrieb Platon dem mathematischen Beweis eine apri ori stische Wissenssicherung zu, weil dieser auf reinem Denken beruhe und abstrakte mathematische Objekte und ihre Zusammenhänge streng, über die menschliche emotionale Ebene hinaus, validiere (Heintz, 2000, S. 18). Später bestätigte Euklid, dessen axiomatisches Hauptwerk „Die Elemente“ auf dem Beweis basiert, diesen Sonderstatus. Im 20. Jahrhundert hoben die Bourbakisten in der neuen Verfassung der mathematischen Erkenntnisse gleichfalls den hohen Stellenwert des Beweises hervor, indem sie schrieben, dass seit der Zeit der Griechen „Mathematik“ zu sagen, „Beweis“ zu sagen bedeute. Dabei handelt es sich um einen streng deduktiven Vorgang, bei dem eine Behauptung mithilfe des logischen Schließens aus vorausgesetzten Sätzen, einfachsten mathematischen Aussagen und Definitionen widerspruchsfrei gefolgert wird. Dies geschieht nach den verschiedenen Schlussregeln der formalen Logik, wie etwa jenen in der Mathematik bekanntesten: Dem direkten Beweis, dem indirekten Beweis und der vollständigen Induktion. „Für immer und für alle bewiesen“ haben heißt, eine in einzelne Schritte zerlegte Argumentation in einer hoch präzisen Sprache, die sich an den expliziten Vorgaben und Standards der mathematischen Gemeinschaft orientiert, zu formulieren (Heintz, 2000). Daher stellt eine formal-symbolische Darstellungsform des Beweises eine universale „Gussform“ dar, in die die privaten Gedanken zu gießen sind (Durkheim 1895, zitiert nach Heintz, 2000, S. 222).
Mit der Soziologisierung der Naturwissenschaften in den 1960er Jahren gewann das empirische Beweisverständnis von Lakatos an die Bedeutung. Dabei stand nicht mehr die absolute Gültigkeit der Mathematik im Mittelpunkt, stattdessen wurde nun der Erkenntnisprozess im mathematischen Kontext, analog beispielsweise zur Physik, besonders hervorgehoben. Seitdem besteht eine Zweideutigkeit in Bezug auf die Bedeutung des mathematischen Begriffs „Beweis“. Je nach Betrachtungsweise wird darunter entweder ein fertiges Produkt als eine fachwissenschaftliche geistige Leistung oder aber ein Prozess als Erkenntnistätigkeit verstanden. Beide Positionen zur Begriffsbedeutung des mathematischen Beweises, die A-priori-Sicht auf der einen Seite, und der Quasi-Empirismus auf der anderen, sollen im weiteren Verlauf dieser Arbeit näher betrachtet werden.
2.1.1 Beweis und Beweisen
Wie bereits oben erwähnt, findet eine unterschiedliche Akzentuierung von Beweisprodukt und Beweisprozess in der Mathematik statt, wobei das Fachverständnis ausschlaggebend ist. Die unterschiedlichen Ansichten im mathematikdidaktischen Diskurs werden von Brunner (2013, S.33) folgendermaßen zusammengefasst:
„Betrachtet man Mathematik als ein streng hierarchisch aufgebautes Wissensgebiet, dann wird eher eine fertige Wissenschaft und damit die kulturelle Errungenschaft Mathematik als Produkt des menschlichen Geistes fokussiert. Ein solches Verständnis fragt nach eleganten, berühmten und besonderen Beweisen. Die Gegenposition postuliert, dass sich Mathematik ähnlich wie andere empirische Wissenschaften auch entwickle und sich von denen nur durch den höheren Abstraktionsgrad unterscheidet. Damit fokussiert der QuasiEmpirismus die Tätigkeit und den 'wissenschaftlichen Prozess.“
Anhand der vertiefenden Auseinandersetzung mit der Problematik sind einige bedeutende Autoren aus der Mathematikdidaktik zu erwähnen, die jeweils exemplarisch eine der beiden Auffassungen der Mathematik vertreten.
Ein konventionelles Fachverständnis vertritt Werner Walsch, wobei er eine wesentliche Aufgabe des Mathematikunterrichts in der Befähigung zum logischen Denken sieht, welches „strenge Begründungen von Plausibilitätsbetrachtungen unterscheiden kann“ (Walsch, 2000). Der formale, nicht auf spezielle Inhalte bezogene Charakter des Beweises im Mathematikunterricht trägt seines Erachtens dazu bei, die Schülerinnen und Schüler logische Zusammenhänge richtig erkennen zu lassen und sie gegen Irrationalismus und Mystik zu wappnen. Dennoch schließt er beim Beweisen ein bestimmtes festes Modell der jeweiligen Ausdrücke nicht aus. Derartige Modellvorstellungen, die mehr oder weniger stark mit inhaltlichem Kontext verbunden sind, bezeichnet Walsch als hilfreich für das Auffinden und auch das Verstehen von Beweisen. Dabei müsse manjedoch sicherstellen, dass der Beweis auch unabhängig von der speziellen Modellvorstellung Gültigkeit besitzt. Hierzu sei die formale Sprache der Mathematik heranzuziehen, die sehr weitgehend verallgemeinern könne und somit für den mathematischen Beweis Voraussetzung sei. Dadurch konstatiert er (1972) bei der Definition des Beweises einen prinzipiellen Unterschied zwischen Aussage und Ausdruck: Eine Aussage könne mit Hilfe einer natürlichen oder auch einer künstlichen Sprache die Gedanken widerspiegeln. Ein Ausdruck sei hingegen stark formalisiert. Davon ausgehend ist der mathematische Beweis von ihm derart definiert:
„Ein Beweis für einen Ausdruck H ist eine endliche Folge von Ausdrücken H1, H2, ..., Hn, H (mit H selbst an letzter Stelle), 'wobei für jeden solchen Ausdruck gilt, dass er zur Menge X der vorgegebenen Ausdrücke gehört oder aus in der Folge vorangehenden Ausdrücken durch Anwendung einer Schlussregel hervorgeht.“
Ein anderes akzentuiertes Fachverständnis wurde erst in den 1960er Jahren von Lakatos konzipiert, welches die Mathematik als empirische Wissenschaft betrachtet, die über kein absolutes, sondern über ein vorläufiges Wissen verfügt. Somit kommt dem Erkenntnisprozess beim mathematischen Beweis eine höhere Bedeutung zu, wobei das Verstehen von Zusammenhängen in den Mittelpunkt gerückt und somit formale Aspekte schwächer gewichtet werden. Anstatt mit Axiomen und Definitionen zu beginnen wird zuerst eine Vermutung bzw. eine Hypothese zum Sachverhalt aufgestellt. „Auf die Hypothese folgt ein Beweis, der ein Mittel ist, um diese Hypothese zu analysieren, nicht um ihre Wahrheit zu zeigen“ (Lakatos 1976, zitiert nach Knipping 2012). Hierzulande geht die Stichhaltigkeit eines Beweises auf „die intuitive Kohärenz der im Beweis aufgezeigten begrifflichen Beziehungen und ihrer Übereinstimmung mit den Erfahrungen der Forscher“ zurück (Wittmann & Müller, 1988). Die Nachfolger dieser quasi-empirischen Beweisvorstellungen gehen noch einen Schritt weiter, indem sie „zu unterschiedlichen Beurteilungskriterien für Beweise innerhalb verschiedener sozialer Kontexte führen“ (ebd.). In die gleiche Richtung weisen Hefendehl-Hebeker und Hussmann, die ihren Aufsatz (2003) mit dem Zitat von Stewart einleiten: „Ein Beweis ist keine logische Folge von Aussagen, sondern eine glaubwürdige Geschichte“. An dieser Stelle ist anzumerken, dass eine detaillierte Auseinandersetzung mit diesen beiden Auffassungen von Mathematik im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden kann. Stattdessen werden die empirischen Überlegungen und didaktischen Beiträge zur Entwicklung eines neuen Beweisverständnisses aus dem Artikel von Knipping (2012) kurz zusammengefasst:
„In der Forschung werden unterschiedliche Aussagen darüber getroffen, welche Rolle das Argumentieren und Beweisen und ihre Beziehung beim Lernen von Mathematik einnehmen soll. Doch die Formen von Argumentationen und Beweisen sowie ihre Beziehung sind alles anderes als klar“.
Aus dem Zitat wird ersichtlich, dass unter den Begriffen Argumentieren und Beweisen unterschiedliche Aktivitäten zu verstehen sind, deren Verschiedenheit im Mathematikunterricht oftmals unterschlagen wird. Nachfolgend soll die in der mathematischen Praxis übliche Beweiskultur mit den zwei Parallelstrukturen, wie argumentative und deduktive, dargestellt werden, die diesen Unterschied in den Blick fasst.
2.1.2 Der mathematische Beweis: deduktive und argumentative Strukturen
Der mathematische Beweis ist ein essentieller Bestandteil der Wissenschaft Mathematik, mittels dessen nicht nur die Wahrheit der mathematischen Aussagen gesichert, sondern auch aufgeklärt wird, weshalb dies so ist. Das experimentelle Vorgehen und der mathematische Beweis unterscheiden sich genau darin. „Die experimentelle Mathematik erzeugt die Fakten, der Beweis liefert die Theorie dazu“ (Heintz, 2000, S. 217). Zudem werden Beweise in der mathematischen Praxis als Argumente mit einer Parallelstruktur bezeichnet. Die argumentative Struktur wird in der mathematischen Gemeinschaft praktiziert, indem Mathematiker und Mathematikerinnen sich mit informellen Argumenten gegenseitig überzeugen, um ihre wissenschaftlichen Vermutungen zu validieren. Mit Hilfe der deduktiven Struktur werden diese Argumentationen formal aus dem gesicherten Wissensgut der Mathematik hergeleitet und nur dann zu den wissenschaftlichen Daten als 'wahre' Aussagen etabliert. Aberdein(2012) betont, dass die beiden Strukturen des mathematischen Beweises unerlässlich für das Mathematikverständnis seien:
„The formal nature of the inferential structure makes it‘s characterization comparatively straightforward. The underlying formal system might, für example, be a natural deduction presentation of a particular system of logic, but more characteristically it will be a higher-level language. The argumentational structure poses more of a challenge. Since informal mathematics need not always start with first principles, the argumentational structure will typically correspond only to a proper substructure of its inferential counterpart.“ (Aberdein A., 2012, S. 7-8).
In der theoretischen Auseinandersetzung mit der Natur von Denkprozessen bezeichnen die deutschen Mathematikdidaktiker Biermann, Bussmann und Niedworok diese Strukturen, angelehnt an Polya, als das demonstrative und das plausible Schließen. Beim demonstrativen Schließen wird der Schluss bzw. das Argument „von den Prämissen vollständig getragen“ und somit ein „sichtbarer Teil der Basis“ gebildet. Das plausible Schließen ist ein „unsichtbarer Teil der vollständigen Basis“ und dort „besonders hilfreich“, wo „aus den Prämissen kein eindeutiger Schluss gezogen werden kann“. Plausible Schlüsse oder sogenannte wenn-dann- Annahmen zielen darauf, eine Vermutung zu verstärken und glaubhafter darzustellen (Biermann et al., 1977, S. 210).
Zudem wird die Glaubwürdigkeit der mathematischen Argumente von vielen forschenden Mathematikern über die soziale Dimension thematisiert. Die Wissenssoziologin Heintz gibt in ihrer eigenen Forschung wider, wie der Akzeptanzrahmen in der mathematischen Gemeinschaft abgesteckt wird:
„ Wir Mathematiker glauben nicht daran, dass das, was veröffentlicht wird, wirklich stimmt. Aber wenn ein mathematisches Resultat genügend Leute durchgearbeitet und angewandt haben, dann wird es irgendwann einmal zuverlässig. Das heißt: ein Resultat, das seit zehn Jahren bekannt und unangefochten ist, gilt als richtig.“ (Heintz, 2000, S. 178)
Außerdem zitiert sie Mathematiker wie Yuri Manin, der darauf verweist, dass „ein Beweis dann zum Beweis wird, wenn er als solcher in einem sozialen Akt akzeptiert wird“ (ebd.). Davon ausgehend, dass es aus der mathematikphilosophischen Sicht keine absoluten Akzeptanzkriterien gibt und die Exaktheit eines Beweises immer nur relativ zur Argumentationsbasis gemessen wird, wurden in der Mathematikdidaktik unterschiedliche Ausdifferenzierungen des Begriffs Beweis wie Argumentieren und Begründen, seltener Erläutern, vorgeschlagen, die im Weiteren näher betrachtet werden sollen.
2.2 Beweiskompetenz in der Schule
In der Bundesrepublik Deutschland ist der mathematische Beweis durch die viel diskutierten Ergebnisse in der Vergleichsstudie PISA (2001) zum Thema geworden. Zum Zwecke eines leistungsfördernden Unterrichts wird das wissenschaftliche Verständnis des Beweises durch den alltäglichen Kontext ergänzt und adaptiv im Mathematikunterricht eingesetzt. Um den Lernenden das logische Argumentationsprinzip nahezubringen, wird die Beweiskompetenz um die Begriffe Begründen und Argumentieren erweitert vermittelt. Auch andere Beweisformen, die im Alltag üblich sind, sind heutzutage in den deutschen Mathematikunterricht zu integrieren. Zwar hat es in der mathematikdidaktischen Forschung eine Reihe von Beiträgen zum Beweisen und dem Aufbau des Beweisverständnisses gegeben, doch mangelt es an einer systematischen Erfassung der im Mathematikunterricht durchgeführten Beweise und deren einheitlicher Kategorisierung (Brunner, 2013). Anhand von Publikationen aus dem deutschen mathematikdidaktischen Forschungsfeld und wissenschaftlicher Beiträge zur Förderung neuer Sichtweisen der Schulmathematik wird im Folgenden dargestellt, wie die Beweiskompetenz für die Elementarmathematik interpretiert wird und welche davon abgeleitete Tätigkeiten für die Initiierung im Unterricht vorgeschlagen werden. Um ein länderübergreifendes Beweisverständnis, welches für den Forschungsbeitrag dieser Arbeit gewichtig ist, zu ermöglichen, werden einige interkulturelle Bedeutungen zu dem Begriff herangezogen. Daran anschließend findet eine Kategorisierung der Beweisvorstellungen statt, die auf Ergebnissen empirischer Untersuchungen beruht und in der Didaktik ausgearbeitete Beweistypen wie äußerliche, empirische und deduktive umfasst. Diese Beweiskategorien bilden das analytische Grundgerüst für den Forschungsteil der vorliegenden Arbeit.
2.2.1 Argumentieren, Begründen und Beweisen
Beweise werden aufgrund ihrer parallelen Struktur sowohl in der Mathematikdidaktik als auch aus mathematikphilosophischer Sicht betrachte in einen Zusammenhang mit Argumentationen gestellt. Der prinzipielle Unterschied zwischen den unterschiedlichen wissenschaftlichen Ansätzen besteht darin, inwieweit die beiden Begriffe ineinander und voneinander abhängig sind. Einerseits werden mathematische Beweise abgegrenzt von Argumentationen betrachtet, andererseits gelten sie als besondere Form der Argumentation (Knipping, 2003, S. 34).
Im schulischen Kontext existiert eine große Vielfalt an jenen Fähigkeiten, die für die Entwicklung der Beweiskompetenz als notwendig erachtet werden. Ihr Zusammenwirken ist jedoch nur wenig erforscht und beschrieben, wodurch in Bildungsstandards zur Verwendungen unterschiedlicher Begrifflichkeiten kommt. Die Bildungsanforderungen des Landes Bremen stellen beispielsweise problemlösende Fähigkeiten in den Vordergrund, die für ein alltags- und berufsrelevantes, angewandtes Verständnis der Mathematik stehen (Senator für Bildung und Wissenschaft, 2006). Diesbezüglich ist das Argumentieren im Bildungsplan für das Fach Mathematik an die sehr breit definierte Fähigkeit Kommunizieren gekoppelt. Dabei ist festzuhalten, dass diese Kompetenz in der Mittelstufe vom intuitiven Begründen über das Erläutern mathematischer Zusammenhänge zu mehrschrittigen Argumentationen mit symbolischen Beweiselementen gefördert werden soll (ebd.).
In der didaktischen Literatur sind die zum Beweisen notwendigen Fähigkeiten und ihren Zusammenhänge ebenfalls unterschiedlich formuliert. Um etwas Klarheit im Umgang mit den für diese Arbeit relevanten Begriffen zu schaffen, sollen kurz jene Formulierungen aufgeführt werden, die nach Meinung der Autorin am deutlichsten die schulbezogenen Komponenten von Beweiskompetenz ausdrücken.
Aufgrund des engen Zusammenhangs der Begriffe Beweis bzw. Beweisen mit dem formal-deduktiven Vorgehen, der außerdem noch durch formale Strenge gekennzeichnet ist, wird die Verwendung des Begriffes im schulischen Kontext oft zugunsten von Begründen und Argumentieren vermieden. Für diese Begriffe wird kein deduktives Vorgehen vorausgesetzt, was einen deutlich größeren Interpretationsspielraum schafft. Hinreichend für die unterrichtliche Praxis hat Knipping (2002) den Argumentationsbegriff, angelehnt an Habermas, wie folgt zusammengefasst:
„Unter Argumentation wird eine Folge von Äußerungen verstanden, in der ein Geltungsanspruch formuliert wird und Gründe mit dem Ziel vorgebracht werden, diesen Geltungsanspruch rational zu stützen.“
Einen ausführlichen Überblick der Komponenten von der Beweiskompetenz bietet Brunner (2014, S. 31) an, in dem sie Begründen als Oberbegriff darlegt (Abbildung 1). Das alltagsbezogene Argumentieren gilt dabei als elementare Ausgangsfähigkeit, die zu Annahme oder Ablehnung einer bestimmten Aussage durch verschiedene, nicht spezifisch mathematische Begründungsarten befähigt. Dies entspricht dem spontanen Denken des
Kindes (siehe auch unter Kapitel 2.3.3). Das Argumentieren mit mathematischen Mitteln hingegen erfordert in die Argumentation die Verwendung mathematischer Elemente, die aber nicht unbedingt logisch-schlüssig vorgebracht werden müssen. Hierzu ist das Argumentieren am speziellen Beispiel ausreichend. Das logische Argumentieren mit mathematischen Mitteln setzt ein streng logisches Schließen voraus, wobei die Argumentationskette aber nicht zwingend formal verfasst sein muss. Als akzeptable gelten hierzulande präformale Beweise, die auf narrativen Begründungen basieren; ikonisch-anschauliche Darstellungen, die Schlussfolgerungen visualisieren; sowie Handlungen, die angewandt den logischen Zusammenhang darlegen. Das formal-deduktive Beweisen, wie bereits oben erwähnt, beruht auf der deduktiven Vorgehensweise mit formal korrekten Argumenten und wird in der formal-symbolischen Form mathematischer Sprache verschriftlicht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 Zusammenhang von Argumentieren, Begründen und Beweisen
Im Folgenden sollen die oben erwähnten unterschiedlichen Beweisformen zusammen mit den zugehörigen, in der Literatur erwähnten Empfehlungen zur unterrichtlichen Praxis näher betrachtet werden, um den aktuellen Stand der mathematikdidaktischen Debatte über schulbezogenes Beweisen kurz darzulegen.
Heutzutage werden die anspruchsvollen fachsprachlich-formalen Darstellungsformen des Beweises für die schulische Allgemeinbildung in Frage gestellt. Da sich die unterschiedlichen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler, aber auch ihr soziales Umfeld, stark auf den gesamten Lernprozess, insbesondere beim Argumentieren und Beweisen, auswirken (Knipping, in press, Find the rule), werden geeignete Herangehensweisen an das Beweisen gesucht und dafür sozialadäquate Bewertungskriterien entwickelt. Gezielt soll damit die Teilhabe aller Lernenden an jenen mathematischen Argumentationen ermöglicht werden, welche gemäß der Kompetenzentwicklungsphasen das Verstehen von Sachverhalt im Mathematikunterricht voraussetzen (Blum & Leiß, 2005).
Die durchgeführte Literaturrecherche zeigt, dass die reproduktive Fähigkeit in der Didaktik stark betont wird. Mathematische Beweise werden zunutze „zu verstehen, warum der betreffende Satz gilt“ aufgeklärt(Wittmann & Müller, 1988). Dazu werden relevante didaktische Hilfsmittel ausgearbeitet, die die zugrundeliegenden mathematischen Zusammenhänge im Unterricht verständlich darstellen sollen. Mathematikdidaktische Forschungsarbeiten der letzten Jahre untersuchten, ob die Beweistätigkeit durch die Veranschaulichung der mathematischen Objekte (ebd.), durch die Einbettung der Beweisaufgaben in den realitätsbezogenen Kontext (Blum & Biermann, 2002) oder handlungsorientiert durch Entdecken (Meyer & Voigt, 2009) effektiv zu fördern ist. In jedem Fall müssen individuelle Wege zum Verstehen von mathematischen Sachverhalten gefunden werden, um Lernmotivation zu entwickeln, da „Lernenden oft von sich aus kein Beweisbedürfnis verspüren“ (Winter, Schwarzkopf, zitiert nach Meyer & Prediger, 2009).
Zudem werden heuristische Strategien zum Beweisen und damit verbundene experimentelle Vorgehensweisen so „hitzig diskutiert“ (Meyer & Prediger, 2009), dass der streng-deduktive Aspekt des Beweises in den Hintergrund rückt. Im sozialen Kontext 'Schule' wird zum genetischen Potenzial der Wissenschaft Mathematik gerichtet, wobei das soziale Miteinander und seine unterschiedlichen Formen kultiviert werden. Das Endergebnis dieser Erkenntnisprozesse im Mathematikunterricht bzw. das Endprodukt des Beweisens ist hingegen sehr implizit thematisiert. Die traditionell formale Darstellungsform des mathematischen Beweises wird als nicht mehr zu den schulischen Rahmenbedingungen passend angesehen und daher für die Loslösung aus dem elementar-mathematischen Bereich plädiert (Wittmann & Müller, 1988, S. 254). Mit der Frage „Wann ist ein Beweis ein Beweis?“ in neueren Publikationen wird in Richtung präformale Darstellungen gesteuert und somit eine Optimierung der fachbezogenen Standards gefordert. Lehramtsstudenten bzw. angehende Lehrkräfte werden in die schulbezogene Beweisthematik mit Titeln wie „Der Formalismus als Fiktion: Die Unentbehrlichkeit von Intuition und sozialer Verständigung bei der Überprüfung von Beweisen“ (ebd.) eingeführt. Die theoretischen Ansätze vermitteln revolutionär „eine Entmystifizierung des Formalismus“ (ebd.), indem Äußerungen von großen Mathematikern zugunsten veränderter Sichtweisen des Beweises interpretiert werden.
Die Bildungsrichtlinien sind momentan mit den schulbezogenen Anforderungen an Beweisen konfrontiert. Ihr Dilemma besteht darin, dass einerseits ein weitgehender Verzicht auf Beweise ein falsches Bild von Mathematik erzeugt und damit ein wichtiges didaktisches Prinzip der Wissenschaftlichkeit des Unterrichts entfällt (Walsch, 2000). Andererseits erfordert der soziale Aspekt des mathematischen Beweises eine adäquate Anpassung an die Schülerschaft, um eine hinreichende Verständnisbasis für Problemlösungen zu ermöglichen (Brunner, 2013, S. 35).
Demzufolge kommt es in didaktischen Vorschlägen auf die Variabilität in den Aufgabeformulierungen an. Anstatt „Beweise, dass..“, welches eng mit axiomatisch- deduktiver Erkenntnissicherung verbunden ist, werden verschiedene Diskussionsanstöße entworfen, die allgemein zur Entwicklung des logischen Denkens beitragen sollen. Hierbei erhält der Begriff Begründen zunehmend mehr Aufmerksamkeit. Einige Autoren empfehlen die Neuformulierung von Aufgaben aufgrund emotionaler Aspekte. „Ich ziehe meist das sanftere Wort ,Begründen dem Wort ,Beweisen' vor, weil das letztere manchmal abschreckend wirkt.“ (Malle, 2002). Andere sehen kommunikative Prozesse im Unterricht durch Begründen veranlasst. Die Schülerinnen und Schüler seien dadurch gefordert, sich eine eigene Meinung zu einem Problem zu bilden und diese begründet zu vertreten (Hammer, 2009). Hierbei sind Begründungen jeder Art gemeint, die häufig auf die alltägliche Lebenswelt der Lernenden zurückgreifen und stark erfahrungsbezogen sind. Mit dem Begriff Argumentieren werden diese Schülerbegründungen im sozialen Kontext des Unterrichts - analog zu der mathematikphilosophischen Sicht - gefiltert, indem von allen Ausdrücken die überzeugendsten bzw. schlüssigsten zu akzeptieren sind (Meyer & Prediger, 2009).
Daneben stehen Experten aus dem mathematikdidaktischen Umfeld früherer Generation wie Prof. Dr. Walsch, der noch die „in den Rang einer Leitlinie erhobene“ Stellung des Beweises aus dem Mathematiklehrplan der DDR kennt. Er findet es „durchaus tolerierbar, wenn diese drei Begriffe Beweisen, Begründen, Argumentieren nicht streng voneinander abgegrenzt sind“ (Walsch, 2000). Trotzdem unterstreicht er, dass der innermathematische Betrieb des Beweisens eine starke Betonung benötigt. Nur so wird seiner Meinung nach den Lernenden ein korrektes Begründungsmuster präsentiert, welches sie später in der außermathematischen Welt erfolgreich anwenden können. Dass Führen eines Streitgesprächs, die Bewertung von Ansichten einer politischen Gruppierung oder die Entwicklung eines Therapiekonzeptes erfordern eine komplexe Beweiskompetenz, die mit dem Verstehen im Mathematikunterricht beginnt, und mit dem Wiedergeben und dem selbstständig Führen vervollständigt werden soll. Wichtig ist dabei, dass das Beweisen an sich deutlich thematisiert wird und somit der Sinn des Kommunizierens im Klassenzimmer während des Mathematikunterrichts hervorgehoben wird.
Die Prinzipien des Beweises und seine Strukturen sollten den Lernenden vertraut sein, damit sie inhaltlich an das Beweisproblem herangehen können. Die sogenannte „Beweisrahmung“, die gezielt auf die Erarbeitung von Beweisen hinführt, ist von Kuntze (2009) in der deutschsprachigen didaktischen Forschung formuliert worden. In seiner Originalidee steht die argumentative Struktur des Beweises im Vordergrund. Zum einen seien die axiomatischen Grundlagen und somit die deduktive logische Strenge den deutschen Schülerinnen und Schüler nicht bekannt. Zum anderen wird es für den schulischen Kontext aus der wissenschaftlichen Praxis adaptiv übertragen, wo Mathematikerinnen und Mathematiker untereinander primär argumentativ kommunizieren. Argumentationen schließen jedoch die sprachliche Strenge der Mathematik nicht aus. Jegliche inhaltliche Überlegungen zu einem mathematischen Sachverhalt lassen sich anhand von bestimmten Symbolen wie Variablen, Operationszeichen, Relationszeichen oder anderen mathematischen Verständigungsformen wie Transformationsregeln für Terme und Umformungen für Gleichungen formalisieren. Die Verwendung solcher sprachlichen Kurzformen bereichert das wissenschaftliche Gesamtbild der Mathematik (Walsch, 2000). Außerdem illustrieren sie die Unterschiede zu Begründungen in anderen Fächern und tragen somit zum streng logischen Schließen bei. Die Idee zur Entwicklung der dekontextualisierten Sprache im schulbezogenem Kontext vertritt auch Knipping (2012).
In diesem Zusammenhang lassen sich die von Kuntze vorgeschlagenen rahmenden Schritte zum Beweisen Lernen unkompliziert um die sprachliche Formalität ergänzen:
~ Beweisproblem erkennen. Zu Beginn findet eine Auseinandersetzung mit der Aufgabenstellung statt. Dabei sind Ausgangsinformationen zum Beweisproblem zu entnehmen: eine Behauptung zu formulieren und die Voraussetzung zusammenzustellen. Sie sind im Unterricht ganz bewusst hervorzuheben und durchzusprechen, bevor im Klassenzimmer erste Überlegungen zur Diskussion entstehen.
~ Argumentationsbasis schaffen. Um Missverständnisse beim Entwickeln des logischen Denkens zu vermeiden brauchen Lernende transparente Gesprächsstrukturen, die die klare Stichhaltigkeit der Argumente definieren.
~ Über den Beweisweg entscheiden. In der Diskussion soll allgemein das Beweisprinzip gepflegt werden, ohne auf den konkreten Beweis zu stark zu fokussieren. Es ist zu zeigen, dass es unterschiedliche Beweiswege gibt, die zum Ziel führen können und wie diese zu gestalten sind. Einer dieser Beweiswege kann gemeinsam bestimmt werden.
~ Den Beweis aufschreiben lernen. Da die symbolische Sprache für Lernenden im Mathematikunterricht nicht immer selbstverständlich ist, bietet es sich an, sich dieser sukzessiv anzunähern. Mit dem Aufschreiben von einzelnen kleineren Teilen der Argumentation deren Überzeugungskraft diskutiert und hin zu einer strengen Formulierung weiter entwickelt.
Da dem oben beschriebenen Beweiskonzept die argumentative Struktur des logischen Schließens zugrunde liegt, ohne die Exaktheit der Deduktion anzustreben, bedarf es einer exakten sprachlichen Steuerung, um konsequent die Logik der Argumente sicherzustellen, ohne auf den emotionalen Bezug für das Überzeugen zurück zugreifen. Für die unterrichtliche
Praxis werden dazu vielseitige Denkanstöße, Fragestellungen und Übungen entworfen, die bezüglich des alltäglichen Sprachgebrauchs der Lernenden, aber doch angemessen, Argumentationsanlässe fördern sollten. Es erfordert einen präzisen Umgang mit dem mathematischen Lexikon, wobei sprachliche bzw. kulturelle Unterschiede zum Beweisverständnis zu berücksichtigen sind.
Beispielsweise wird eine Beweisaufgabe im deutschsprachigen Umfeld oftmals mit „Überprüfen, ob..“ formuliert. Die Idee kommt aus dem englischsprachigen Kontext, wo dem Beweis manchmal die Bedeutung „geprüft“, „getestet“ zukommt (Reid & Knipping, 2010, S. 27). Für deutschsprachige Schülerinnen und Schüler bedeuten solche Aufgabestellungen nichts anderes als einmaliges Durchrechnen oder Ausmessen, um die Behauptung zu kontrollieren. Wie die Forschungsergebnisse dieser Arbeit zeigen (siehe Auswertung, Kapitel 4.4 und 4.5), ist die Erwartung einer formalen Beweisführung bei solchen Aufgabestellungen didaktisch falsch, weil der Begriff Überprüfen nicht auf Allgemeingültigkeit verweist, sondern mit einem Vorgang am konkreten Beispiel vollendet wird. Dass zur Entwicklung der Beweiskompetenz die didaktische Standards und Strategien noch defizitär sind, ist im mathematikdidaktischen Diskurs in Deutschland bereits problematisiert worden (Meyer & Prediger, 2009).
Da in dieser Arbeit auch Lehrpersonen aus dem russischsprachigen Umfeld untersucht werden und sich zudem auf ihre Beweisvorstellungen fokussiert, muss der zentrale Begriff Beweis in diesem sprachlichen Umfeld näher betrachtet werden. Die allgemeine Begriffsbedeutung lässt sich in einem erklärenden Wörterbuch für die russische Sprache (analog zum Duden für Deutsch) nachschlagen. Dort wird der Beweis in Bezug auf Sätze als eine Reihe von Schlussfolgerungen definiert, anhand derer eine Behauptung dargelegt wird. Dabei wird auf die Redewendung verwiesen, dass ein Theorem mehrere unterschiedliche Beweise haben kann (Ozhegov, online). Im schulbezogenen Kontext des Landes gibt es Lehrbücher, die regionsübergreifend und seit Jahrzehnten für die allgemeine Bildung Verwendung finden. Die beiden bedeutenden Autoren von Geometriebüchern, Pogorelov und Atanasyan, führen den Begriff Beweis in der siebten Klasse ein. Dieser ist ebenfalls axiomatisch basierend:
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