Dieser Essay widmet sich der „knappen Kunst“ der Street Art in drei großen Metropolen der Romania, die sowohl aufgrund ihrer Größe als auch wegen ihrer kulturellen und künstlerischen Bedeutung zahlreiche Beispiele bieten: Paris, Madrid und Barcelona.
Keine Zeit, kein Geld, kein Raum – der Eindruck der Knappheit ist vielleicht eines der häufigsten negativen Grundgefühle des alltäglichen Lebens in europäischen Metropolen. Es sind zunächst die oft hoffnungslos erscheinende Wohnungssuche und die überfüllten Metrostationen, die Assoziationen des Mangels bei einem neuen Bewohner auslösen können, der wiederum durch seine Anwesenheit zu Platzenge und Knappheit beträgt. Es sind aber auch überfüllte Straßen und Plätze, die durch ihre Lebendigkeit und fröhliche Atmosphäre die zugrundeliegende Knappheit vergessen lassen. Vielleicht auch deswegen, weil diese Art des Mangels der europäischen Metropolen in Wahrheit das Ergebnis von Wachstum, Prosperität und Überschuss ist: Nur das Vorhandensein vieler wohlhabender Stadtbewohner und Besucher, die bereit sind, mit diesen Mängeln zu leben und diese gar mit vermehrtem Konsum auszugleichen, lässt diesen Lebensraum bestehen. Doch die Knappheit der Stadt wird nicht nur durch übermäßigen Konsum kompensiert, sondern auch in ihrer reinsten Form für kreative Energie und künstlerische Ausdrucksformen fruchtbar gemacht: So ist die sog. „Street Art“, also diejenige Kunst, die sich im öffentlichen Raum jenseits der Galerien und Kunstmuseen befindet, eine besonders prägnante Kunstform der Stadt, die vor allem genau dort entsteht, wo eine vermehrte Ressourcenknappheit besteht.
Knappe Kunst des Augenblicks. Straßengemälde im Großstadtalltag – Paris, Madrid, Barcelona
Lena Bisinger
RWTH Aachen,
University Sorbonne Nouvelle
Keine Zeit, kein Geld, kein Raum – der Eindruck der Knappheit ist vielleicht eines der häufigsten negativen Grundgefühle des alltäglichen Lebens in europäischen Metropolen. Es sind zunächst die oft hoffnungslos erscheinende Wohnungssuche und die überfüllten Metrostationen, die Assoziationen des Mangels bei einem neuen Bewohner auslösen können, der wiederum durch seine Anwesenheit zu Platzenge und Knappheit beträgt. Es sind aber auch überfüllte Straßen und Plätze, die durch ihre Lebendigkeit und fröhliche Atmosphäre die zugrundeliegende Knappheit vergessen lassen. Vielleicht auch deswegen, weil diese Art des Mangels der europäischen Metropolen in Wahrheit das Ergebnis von Wachstum, Prosperität und Überschuss ist: Nur das Vorhandensein vieler wohlhabender Stadtbewohner und Besucher, die bereit sind, mit diesen Mängel zu leben und diese gar mit vermehrtem Konsum auszugleichen, lässt diesen Lebensraum bestehen. Doch die Knappheit der Stadt wird nicht nur durch übermäßigen Konsum kompensiert, sondern auch in ihrer reinsten Form für kreative Energie und künstlerische Ausdrucksformen fruchtbar gemacht: So ist die sog. ‚Street Art‘, also diejenige Kunst die sich im öffentlichen Raum jenseits der Galerien und Kunstmuseen befindet, eine besonders prägnante Kunstform der Stadt, die vor allem genau dort entsteht, wo eine vermehrte Ressourcenknappheit besteht. Dieser Beitrag widmet sich so der ‚knappen Kunst‘ der Street Art in drei großen Metropolen der Romania, die sowohl aufgrund ihrer Größe als auch wegen ihrer kulturellen und künstlerischen Bedeutung zahlreiche Beispiele bieten: Paris, Madrid und Barcelona.
No time, no money, no space – scarcity is perhaps the most common negative characteristic of daily life in a European metropolis. And yet, aside from the long work hours, endless apartment-hunting and crowded metro stations, this general lack has somehow managed to culturally enrich the daily lives of all city dwellers through the emergence of Street Art. As an art scene existing beyond the galleries, Street Art creates the possibility of an artistic discourse of the excluded. At the same time, it also corresponds to a new clustered perception of art, accessible while passing by on the way to work or in digital spaces while reading facebook messages. This contribution addresses the 'scarce art' of everyday life in three metropolises: Paris, Madrid and Barcelona. It illustrates by means of concrete examples how the phenomenon of scarcity can lead to a new space for culture, resulting in a new question: Is it not precisely scarcity that fosters an abundance of creative energy?
1. Einführung – Formen der Knappheit
Zunächst stellt sich die Frage, welche unterschiedlichen Formen der Knappheit für die Entstehung von Kunstformen im öffentlichen Raum im Einzelnen relevant sein könnten. Wie genau äußert sich die erwähnte Ressourcenknappheit und welche weiteren Formen liegen dem gesamten künstlerischen Prozess von der Gesamtidee über die Produktion bis zur Rezeption zugrunde?
Das Gesamtphänomen der Ressourcenknappheit äußert sich im kulturellen und künstlerischen Leben aller westlichen Metropolen unserer Zeit. Kulturämter und künstlerische Ausbildungsstätten kämpfen ums Überleben, da ihnen permanent zu wenig Gelder zuerkannt werden. In der bildenden Kunst entstehen dadurch Probleme bei der Bereitstellung von Ausstellungsräumen und der Instandhaltung und Betreibung von Museen und temporären Ausstellungen. Im Gegensatz zu Künstlern in Schwellen- und Entwicklungsländern, denen es schon bei den ersten künstlerischen Schritten an Materialien und guten Ausbildungsmöglichkeiten mangelt, leiden bildende Künstler in europäischen Großstädten vor allem unter fehlenden Gelegenheiten, sich zunächst einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren und im Anschluss Werke zu verkaufen, um neue freie Schaffensperioden zu ermöglichen. Paradoxerweise steht dem aber eine enorme Medienvielfalt gegenüber, die allerdings – man denke besonders an den wachsenden digitalen Raum – nur eine flüchtige, knappe Wahrnehmung von Kunst begünstigt. So gesellt sich zu Knappheit an Zeit, Raum und Geld also auch Knappheit an Ruhe und Aufmerksamkeit für eine intensive Auseinandersetzung mit Kunst.
Diese Ressourcenknappheit bildet den Ausgangspunkt für weitere Knappheiten, durch die Kunst im öffentlichen Raum charakterisiert ist. Zunächst handelt es sich um eine Knappheit der Diskursteilnehmer im Sinne Michel Foucaults (L’ordre du discours, 1971): Die Verknappung der sprechenden Subjekte als Ausschluss von der Teilnahme am Machtdiskurs hat eine Unterteilung des Kunstmarktes in Zentrum und Peripherie zur Folge. Während die privilegierten Diskursteilnehmer vornehmlich Möglichkeiten finden, sich innerhalb der konventionellen Kunstszene auszudrücken, ziehen sich die Schaffenden der ‚Street Art‘ auf den Ausdrucksraum zurück, der allen zur Verfügung steht und lassen dadurch eine Gegenstimme zu Galerien und Museen entstehen, die den Hauptdiskurs ergänzt, spiegelt und in Frage stellt.[1]
Auch der Produktionsprozess der Werke unterliegt einer Knappheit, nämlich dem Mangel an Zeit- und Geld: ‚Street Art’ Arbeiten entstehen bei Nacht und Nebel, um die Anonymität der oft illegal Kunstschaffenden zu wahren. So sind nur solche Techniken gebräuchlich, die zu einem schnellen Ergebnis führen, das auf maximale Effektivität der Botschaft ausgerichtet ist. Auch eine Notwendigkeit der Verknappung von Materialkosten führt zu einer Beschränkung auf wenige Produktionsmittel.
Schließlich handelt es sich auch um eine Knappheit der Rezeption, die sich aus dem erwähnten Mangel an Ruhe und Aufmerksamkeit ergibt: ‚Street Art‘ ist die flüchtige Kunst des Augenblicks, im digitalen Raum wie auf der Straße.
2. ‚Street Art‘ – Eine Kunst ohne Theorie
Aber wie lässt sich diese Kunst des öffentlichen Raums genauer definieren, welche Konzepte liegen ihr zugrunde und welche Künstler üben sie aus?
In ihrem Buch Street Art. Die Stadt als Spielplatz (2006) legen die Autoren Christian Heinicke und Daniela Krause ihren Ausführungen folgende Definition zugrunde:
Was in diesem Buch unter Straßenkunst bzw. Street Art verstanden wird, umfasst alle visuellen Ausdrucksformen ‚inoffizieller‘ Besetzung durch Zeichen und Codes auf den Oberflächen des urbanen Raums (mit Ausnahme ‚klassischer‘ Graffiti). (Heinicke/Krause 2006: 58-59).
Andere Definitionen legen die Betonung eher auf die Unterteilung von kommerziell und nicht kommerziell verwertbarer Kunst im öffentlichen Raum, teilen aber die generelle Abgrenzung von ‚Street Art‘ und Graffiti (vgl. Blanché 2012: 79ff.). Gemeinsam sind diesen Definitionen: a) die ausschließliche Verortung dieser Kunst im öffentlichen, städtischen Raum, sowie b) die Unterscheidung zwischen der Fokussierung auf dem Schriftzeichen (vornehmlich also Graffiti) und der Fokussierung auf einer bildlichen Darstellung. So ist ‚Street Art‘ vor allem eines: Straßengemälde im Großstadtalltag.[2]
Ihren Ursprung nahm die ‚Street Art‘ allerdings in der Graffitiszene im New York der späten 1960er Jahre.[3] Auf Häuserfassaden entstanden hier über Nacht bunte Kunstwerke, die hauptsächlich aus gekonnt gesprühten Namenszügen der Verfasser bestanden. Etwa zeitgleich entstanden in Paris im Zuge der Studentenrevolution die sog. ‚affiches‘, also Plakatkunstwerke für politische Zwecke, die ebenso sozialkritisch waren wie die ‚Street Art‘. In ihrer heutigen Form entstand die ‚Street Art‘ allerdings erst in den 1980er Jahren: Hier sind besonders die Schablonengraffiti, die sog. ‚pochoirs‘ zu nennen: Die Künstler fertigen zu Hause oder in einem eventuell bereits bestehenden Atelier eine Schablone an, die sie dann vor Ort nur besprühen müssen. Diese Arbeitsform entspricht besonders stark den beschriebenen Verknappungstendenzen, da die Produktion am Ort selbst zeitsparend ist (vgl. auch Heinicke/Krause 2006: 58-59).
Seit Ende der 90er Jahre ist ‚Street Art‘ in fast allen großen Metropolen der ‚ersten‘ Welt zu finden – eine globale Verbreitung, die zum einen zu einer flächendeckenden Verbreitung über den digitalen Raum und zum anderen zu einer Vervielfältigung der Techniken und Erscheinungsformen geführt hat. So lassen sich regionale Varianten und Themenschwerpunkte erkennen, auf die später im Zusammenhang mit den drei großen Metropolen Paris, Madrid und Barcelona noch eingegangen wird.
Bei einem ersten Blick auf die Entwicklung der ‚Street Art‘ sowie die Herkunft und Wirkungsräume der Künstler bietet sich jedoch zunächst das Bild einer umgreifenden Internationalität, die die Trennung der Kunst verschiedener Städte schier unmöglich zu machen scheint. Ein besonders markantes Beispiel ist der britische Street-Art Künstler BANKSY, der mit seinen sozialkritischen Botschaften in vielen Ländern der Welt zu Hause ist. Meisterhaft schafft er es, einerseits seine Identität geheim zu halten, andererseits durch spektakuläre Aktionen wie den unerkannten Verkauf seiner Werke auf seine Kritik am Kunstmarkt und an der Kommerzialisierung im Allgemeinen aufmerksam zu machen, so dass seine Kunstwerke in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren wohl schon zu den Klassikern einer blühenden globalen Kunstform gehören werden.[4]
[...]
[1] Auf Überlegungen zum Machtdiskurs und Zusammenhänge mit postkolonialen Diskursen (Homi Bhabha, The location of culture, 1994) wird in Kapitel 3 Bezug genommen.
[2] Nichtsdestotrotz ist diese zunächst nicht zu kommerziellen Zwecken geschaffene Kunst mittlerweile zum Teil so populär, dass sie Eingang zum konventionellen Kunstmarkt erhalten hat. Das wohl prägnanteste Beispiel sind die Werke des britischen Street-Art-Künstlers Banksy, die über den digitalen Raum rasante Verbreitung erfuhren und auf Auktionen mit hohen Gewinnen versteigert werden, wie Marc Schoberer in seinem Artikel Das ist Bankys treffend anmerkt: Kunst bewegt und beeinflusst das Leben vieler Menschen. Dank sozialer Medien wie Facebook, Twitter & Co. erreichen künstlerische Trends mittlerweile jedoch nicht mehr nur eingeschränkte Personenkreise, sondern ganze Massen – und das besonders schnell und einfach. Die Street Art von Banksy ist so ein Fall von Kommunikationsguerilla: Mysteriös, viel diskutiert und extrem spannend. Das Ausnahmetalent Banksy schafft es derzeit wie kaum ein anderes, Kunst modern zu interpretieren und damit Millionen von Menschen zu erreichen und zu begeistern. Die Werke des britischen Graffiti-Sprayers sind sogar so begehrt, dass sie bei Auktionen mitunter im sechsstelligen Bereich gehandelt werden. (Schoberer 2016). Auf das Paradoxon zwischen Konsumprotest und Massenkonsum der ‚Street Art‘ wird später noch genauer eingegangen werden.
[3] Sicherlich existierten auch schon in den 1960er Jahren gesprühte Bilder an Hausfassaden, doch kann man in dieser Zeit – vor allem im Vergleich zu Graffiti-Sprayern– nicht von einer Szene sprechen. Vermutlich sprühten Graffiti-Sprayer selbst von Zeit zu Zeit das ein oder andere Bild.
[4] Besondere Aufmerksamkeit erlangte eine Aktion im Central Park, bei der seine unerkannt, zum Schnäppchenpreis angebotenen Kunstwerke plötzlich niemand mehr haben wollte. Bankys löste das Rätsel später auf, um Kunstinteressierten die Macht eines berühmten Namens – und sei er auch ein Pseudonym vor Augen zu führen (vgl. http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/die-kunst-der-taeuschung-wie-banksy-den-kunstmarkt-vorfuehrt/8931994.html (07.03.2016)).
- Citation du texte
- Dr. Lena Bisinger (Auteur), 2015, Knappe Kunst des Augenblicks. Straßengemälde im Großstadtalltag von Paris, Madrid und Barcelona, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/372425
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