Gruppen sind intelligenter als einzelne Experten. Diese These beschreibt das Phänomen der "Wisdom of Crowds", welches aktuell durch Begriffe wie "Crowd-Sourcing" verstärkt in den Fokus rückt. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es daher, den Nutzen und die Qualität von Gruppenprognosen im Kontext der Wirtschaft kritisch zu beleuchten.
Abstract:
Gruppen sind intelligenter als einzelne Experten. Diese These beschreibt das Phänomen der Wisdom of Crowds, welches aktuell durch Begriffe wie „Crowd-Sourcing“ verstärkt in den Fokus rückt. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es daher, den Nutzen und die Qualität von Gruppenprognosen im Kontext der Wirtschaft kritisch zu beleuchten.
1. Problemstellung
Die Intelligenz des Einzelnen reicht in der heutigen Zeit oft nicht mehr aus, um komplexe Entscheidungen treffen zu können. Sowohl die Komplexität als auch die Geschwindigkeit, in der wir Informationen erhalten und filtern müssen, ist stark angestiegen. Dadurch rückt die Einbeziehung des Wissens und der Erfahrung mehrerer Personen für Gestaltungs- und Entscheidungsprozesse immer mehr in den Vordergrund. Dieses Vorgehen hat die Nutzung der kollektiven Intelligenz zum Ziel. Unsere Gesellschaft wird sich dieses mächtigen Gruppenpotenzials immer mehr bewusst.
Ursprünge der kollektiven Intelligenz lassen sich bereits im Jahre 1907 finden, als Francis Gauge während einer Viehauktion das Gewicht eines Ochsen schätzen ließ. Unter den Anwesenden befanden sich Schlachter und Bauern, manche von ihnen Fachleute, wenn es darum geht, das Gewicht von Vieh zu beurteilen, andere wiederum gaben ihre Schätzung ab, ohne besondere Fachkenntnisse auf diesem Gebiet zu besitzen. Der Median der Schätzung von 787 Teilnehmern lag bei 1207 Pfund. Das tatsächliche Gewicht des Ochsen betrug 1198 Pfund. Mit diesem Ergebnis zeigte Gauge, dass die Schätzung der Gruppe sehr nah an dem tatsächlichen Gewicht des Ochsen lag, während die Schätzungen der Individuen große Diskrepanzen aufwiesen.1
Doch handelte es sich bei Gauge um einen einmaligen Zufall, oder kann tatsächlich auf die Weisheit von Gruppen vertraut werden? Basierend auf dieser Frage beleuchtet die vorliegende Arbeit das Phänomen der Wisdom of Crowds, stellt dessen Nutzen heraus und hinterfragt die Qualität der Ergebnisse durch Gruppenprognosen. Im ersten Teil wird der Bogen von der individuellen Intelligenz hin zur kollektiven Intelligenz gespannt und mit Definitionen und Beispielen untermauert. Darauffolgend wird auf die ver- schiedenen Anwendungsbereiche des Phänomens eingegangen, wobei der Fokus auf dem wirtschaftlichen Anwendungsbereich liegt. Abschließend erfolgt eine kritische Diskus- sion der von Surowiecki aufgestellten Bedingungen der Wisdom of Crowds, um schließlich in einem Fazit eine Einschätzung der Tauglichkeit des Phänomens der Wisdom of Crowds zu gewinnen.
2. Von individueller zu kollektiver Intelligenz
William Stern umschrieb Intelligenz wie folgt: „Intelligenz ist die allgemeine Fähigkeit eines Individuums, sein Denken bewusst auf neue Forderungen einzustellen; sie ist allgemeine geistige Anpassungsfähigkeit an neue Aufgaben und Bedingungen des Lebens.“2. Kognitive Fähigkeiten wie Wahrnehmung, Erinnerung als auch Problemlösung bildeten früher die Grundlage für Intelligenzbeurteilungen.3 Heute gewinnen auch nicht-kognitive Fähigkeiten wie emotionale und soziale Kompetenz an Bedeutung. Die individuelle Intelligenz besitzt somit nach wie vor einen hohen Stellenwert in der Psychologie.
Kollektive Intelligenz enthält im Wortstamm das Wort «collectivus», lat. für angesammelt. Mit der angesammelten Intelligenz wird demzufolge die Summe der Antworten in einer Gruppe beschrieben. Surowiecki untersucht in seinem Werk „Wisdom of Crowds“ (2005)
- zu Deutsch: Die Weisheit der Vielen - das Phänomen der kollektiven Intelligenz. Um den Erfolg durch die Weisheit der Vielen sicherzustellen, so sagt er, müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein: zum einen muss eine Meinungsvielfalt durch Gruppengröße und Zufälligkeit in der Wahl der Personen gesichert sein. Des Weiteren müssen die befragten Personen ihre Meinung unabhängig voneinander preisgeben. Außerdem muss eine Dezentralisierung des Wissens stattgefunden haben, womit er das Augenmerk auf die Präsenz von Spezialwissen und lokal gegebenem Wissen legt. Die letzte Bedingung von Surowiecki fordert einen Aggregations - Mechanismus zur Koordination und Bewertung des Wissens.4 Auf die oben aufgeführten Bedingungen wird in der kritischen Diskussion (siehe Kapitel 5) später genauer auf kritische Weise eingegangen.
Zusammenfassend wird also von kollektiver Intelligenz gesprochen, wenn Personen einer Gruppe ihre Antworten zu einer Schätzfrage unabhängig voneinander abgeben, die sie aus verschiedenen Blickwinkeln heraus getroffen haben, und diese dann summiert und aggregiert werden.5
Ein aktuelles Beispiel für kollektive Intelligenz ist der Publikumsjoker der Fernsehshow „Wer wird Millionär“. In einer Studie von Franzen und Pointner wurden insgesamt 660 Teil- nehmer befragt, welche zwischen 1999 und 2007 erfolgreich als Kandidaten an der Quizshow teilnahmen.6 15 Multiple-Choice Fragen muss ein Kandidat hierbei beantworten, um die Million zu gewinnen. Kennt ein Kandidat die Antwort auf eine Frage nicht, stehen ihm für die gesamte Teilnahme drei Joker zur Verfügung. Mit Hilfe des Telefonjokers kann der Kandidat eine von drei vorher bestimmten Personen um Rat fragen. Der Fifty-fifty- Joker blendet von insgesamt vier Antwortmöglichkeiten zwei falsche Antworten aus. Der dritte mögliche Joker ist der sogenannte Publikumsjoker. Hierbei wird stimmt das Publikum über die richtige Antwort ab. Das Ergebnis wird dem Teilnehmer mitgeteilt.7
Franzen und Pointner untersuchten, zu welchem Zeitpunkt des Quiz welche Joker bevorzugt eingesetzt wurden und wie deren Erfolgsquote war. Sie errechneten, dass der Publikumsjoker in nur 11% der Fälle, in 147 von 1337 Fällen, irrte, wohingegen der Fifty-fifty- Joker in 15,7% und der Telefonjoker in 46% der Fälle irrten. Auch unter Berücksichtigung des Schwierigkeitsgrades der Fragen stellte sich der Publikumsjoker als der beste Joker heraus.8 Mit diesem Ergebnis bestätigten Franzen und Pointner das Phänomen der Weisheit der Vielen von James Surowiecki.
3. Anwendungsbereiche in der Wirtschaft
Zur Anwendung gelangt das Phänomen der Wisdom of Crowds in verschiedensten Bereichen. Neben den Naturwissenschaften, der Psychologie und der Politik wird das Konzept vor allem im wirtschaftlichen Kontext genutzt.9 Das folgende Kapitel erläutert daher das Crowd-Sourcing als wirtschaftliches Anwendungsbeispiel, und geht anschließend auf das Crowd-Funding als eine Spezialform des Crowd-Sourcings ein.
3.1 Crowd-Sourcing
Zurückzuführen ist der Begriff Crowd-Sourcing auf den amerikanischen Journalisten Jeff Howe. Dieser nutzte den Begriff, um angelehnt an das Wort Outsourcing eine neuartige Form der Wertschöpfung zu beschreiben: „The new pool of cheap labor: everyday people using their spare cycles to create content, solve problems, even do corporate R & D.“10 Das Crowd-Sourcing nutzt somit die Wisdom of Crowds um, beispielsweise durch eine Befragung größerer Gruppen, Problemstellungen für ein Unternehmen lösen zu können.11 Grundlegend kann das Crowd-Sourcing in verschiedenen Unternehmensbereichen einge- setzt werden. Ein Beispiel für Crowd-Sourcing im Bereich der Innovationsforschung bietet der Henkel-Konzern. Dieser entschied sich im Jahr 2010 eine sogenannte InnoLounge zu gründen, welche bis heute als weltweite Sammelstelle für Ideen der Henkel-Mitarbeiter genutzt wird.12 Im Genauen handelt es sich daher um ein internes Crowd-Sourcing, da das Portal lediglich den Mitarbeitern zur Verfügung steht. Die spätere Auswertung der Innova- tionsideen erfolgt durch 20 alternierend eingesetzte Mitarbeiter aus einem Topf von insge- samt 200 Mitarbeitern verschiedenster Bereiche.13 Damit erhofft man sich, auch auf dieser Ebene vom Wissen verschiedenster Personen profitieren zu können. Die Nutzung von Crowd-Sourcing im Innovationsbereich ist allgemein auch als „Open Innovation“ bekannt und konnte bereits messbare Erfolge in mehreren Unternehmen verzeichnen. So steigerte Henkel-Konkurrent Procter & Gamble den Anteil der Innovationen, die auf dem Prinzip der Wisdom of Crowds basieren, von 15% in 2000 auf 50% in 2006. Resultat waren laut Kon- zern eine deutlich erhöhte Produktivität im Forschungs & Entwicklungs - Bereich (+60%), sowie eine deutliche Steigerung des Aktienkurses.14
Neben dem Innovationsbereich findet das Prinzip der Wisdom of Crowds ebenfalls in der Marktforschung Anwendung. Die Unternehmen haben lange erkannt, dass allein das Ver- folgen von Mega-Trends (große Marktbewegungen wie beispielsweise Globalisierung & Digitalisierung) keinen Wettbewerbsvorteil mehr garantieren kann. Das Wissen über diese Trends ist in der Branche bereits zu weit verbreitet, daher erfordert es einer unternehmens- spezifischeren Lösung.15 Das Software-Unternehmen IBM nutzte diese Erkenntnis für sein
Industry Solutions Lab, in dem verschiedenste Marktanalysen der IBM-Mitarbeiter gesammelt werden.16 Weltweit können Mitarbeiter ihr Wissen über den länderspezifischen Markt und dessen Entwicklungen mit dem Konzern teilen und anderen Mitarbeitern zur Verfügung stellen.17 Auf diesem Wege können durch die Wisdom of Crowds Prognosemärkte erstellt werden, um Marktbewegungen frühzeitig zu erkennen. Diese Art der Marktforschung kann bedingt durch das Internet in immenser Geschwindigkeit Trends offenbaren und einen Konkurrenzvorteil für das Unternehmen schaffen.18
3.2 Crowd-Funding
Aus der Idee des Crowd-Sourcings heraus leitet sich das Crowd-Funding ab. Während die Gruppe beim Crowd-Sourcing als Quelle für Ressourcen genutzt wird, fungiert sie beim Crowd-Funding als Quelle zur Finanzierung. Der Aufruf zur Finanzierung erfolgt zumeist über eigens dafür eingerichtete Crowd-Funding-Internetplattformen. Hierbei kann der Ge- genstand der Finanzierung eine Idee, ein Projekt oder auch ein Unternehmen sein.19
Während der Ursprung des Crowd-Fundings bei Künstlern und Kreativen liegt, findet es heute auch in der Wirtschaft Anwendung.20 Sein Nutzen ist besonders für junge Unterneh- men von großer Bedeutung. Die Frühphase eines Unternehmens, auch Pre-Seed genannt, ist die erste Entwicklungsphase eines jungen Unternehmens hin zur Phase eines Start-Up Unternehmens. Da Finanzierungen durch Banken oder ähnliche Kapitalgeber häufig erst in der Phase des Start-Ups möglich sind, wird in der Frühphase oft auf finanzielle Mittel der Gründer, dessen Familie und Freunde zurückgegriffen. Reichen diese Mittel nicht aus, entsteht eine Finanzierungslücke (siehe Abbildung 1), auch als Early-Stage-Gab bekannt. Crowd-Funding bietet eine Möglichkeit, diese Finanzierungslücke zu verringern.21
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Crowd-Funding zur Schließung der Finanzierungslücke (Quelle: Moritz/ Block (2014), S. 59)
[...]
1 Vgl. Gauge (1907), S. 450 f.
2 Stern (1912), S. 3
3 Vgl. Gröschke (2005), S. 269
4 Vgl. Surowiecki, J. (2005), S. 10
5 Vgl. Theiler (2016), S. 1
6 Vgl. Franzen/ Pointner (2009), S. 239
7 Vgl. Franzen/ Pointner (2009), S. 240
8 Vgl. Franzen/ Pointner (2009), S. 247
9 Vgl. Surowiecki (2005), S.2
10 Howe (2006), S.1
11 Vgl. Howe (2006), S.10
12 Vgl. Kirschbaum (2013), S. 237-238
13 Vgl. Kirschbaum (2013), S. 239
14 Vgl. Howe (2006), S.4
15 Vgl. Rohrbeck (2013), S. 61
16 Vgl. Kaiserswerth (2013), S. 251-252
17 Vgl. Rohrbeck (2013), S.62
18 Vgl. Rohrbeck (2013), S.61
19 Vgl. Moritz/ Block (2014), S. 59 f.
20 Vgl. Moritz/ Block (2014), S. 58
21 Vgl. Moritz/ Block (2014), S. 60
- Arbeit zitieren
- Anonym (Autor:in), 2016, "Wisdom of the crowds". Anwendungsbereiche, Einflussfaktoren und Qualität von Prognosen durch Gruppen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/371066
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