Die Definition des Begriffes „Kohärenz“ gestaltet sich sehr schwierig, denn zwischen den bisherigen, sehr verschiedenen Ansätzen der Beschreibung wurde sowohl in der Terminologie als auch in der Methodik noch kein einheitlicher Konsens gefunden. Eine recht treffende Beschreibung bietet Hadumod Bußmann1, indem er den Begriff „Kohärenz“ im allgemeinen und im engeren Sinne betrachtet. Im allgemeinen Sinne sieht er darin „einen textbildenden Zusammenhang von Sätzen, der alle Arten textübergreifender (...) und semantischer Beziehungen umfaßt [sic]. Neben den formalen Mitteln der Syntax und Morphologie sind vor allem semantische Strukturen kohärenzbildend, z. B. kausale oder temporale Konnexion, Isotopie2 im Wortschatz oder Formen der Thematischen Progression3.“ Im engeren Sinne zieht Bußmann den immer wieder kehrenden Vergleich zwischen Kohärenz und Kohäsion, wobei er Kohärenz von dieser „grammatischen Textverknüpfung“ abgrenzt und in ihr „den semantischen, den der Kohäsion zugrundeliegenden Sinnzusammenhang eines Textes, seine inhaltlich-semantische bzw. kognitive Strukturiertheit“ sieht.
Probleme der Kohärenz äußern sich in Verständigungs- oder Verstehensschwierigkeiten (vgl. Fritz, 1982: 1). Bei fehlender Kohärenz stellen sich Fragen des richtigen Zusammenhangs, des eventuellen Missverstehens oder bei schriftlichen Texten Fragen der richtigen Überlieferung bzw. eigenen Auslegung. Seit etwa 1970 lässt sich im deutschen Sprachraum ein Prozess der Terminologisierung der beiden Begriffe feststellen, da man sich in Folge der Ausweitung der linguistischen Forschungsrichtung spezifizierterer Begriffe als „Wohlgeformtheit“ oder „Grammatikalität“ bedienen wollte. Im Zuge dieses zunehmenden Interesses an dem Begriff entstanden verschiedene Betrachtungen zu diesem Thema, die im Folgenden beschrieben, verglichen und kritisch unter die Lupe genommen werden sollen.. Alles in allem soll versucht werden, den Begriff der Kohärenz sowie die verschiedenen Analyseansätze darzulegen, zu erklären und kritisch zu betrachten sowie den konkreten Bezug zwischen Kohärenz und Translation herzustellen und zu verdeutlichen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Analyseansätze
2.1 Kohärenzbedingungen nach Klaus Brinker
2.1.1 Grammatische Bedingungen der Textkohärenz
2.1.2 Thematische Bedingungen der Textkohärenz
2.2 Kohärenzbedingungen nach Beaugrande/Dressler
3 Kohärenz und Translation
3.1 Stand der Forschung
3.2 Bedeutung der Kohärenzanalyse für das Übersetzen
3.2.1 Übersetzung eines deutschen Werbetextes in Amerikanische
3.2.2 Beachtung von Wissenssystemen
4 Übersetzungsschwierigkeiten bei Jigsaw–Texten
4.1 Definition „Jigsaw–Text”
4.2 Beispiele für Jigsaw-Texte
4.2.1 Softwarelokalisierung
4.2.2 Dynamische Webseiten
4.2.3 Untertitelung
4.2.4 Technische Dokumentation
5 Schluss
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Die Definition des Begriffes „Kohärenz“ gestaltet sich sehr schwierig, denn zwischen den bisherigen, sehr verschiedenen Ansätzen der Beschreibung wurde sowohl in der Terminologie als auch in der Methodik noch kein einheitlicher Konsens gefunden.
Eine recht treffende Beschreibung bietet Hadumod Bußmann[1], indem er den Begriff „Kohärenz“ im allgemeinen und im engeren Sinne betrachtet. Im allgemeinen Sinne sieht er darin „einen textbildenden Zusammenhang von Sätzen, der alle Arten textübergreifender (...) und semantischer Beziehungen umfaßt [sic]. Neben den formalen Mitteln der Syntax und Morphologie sind vor allem semantische Strukturen kohärenzbildend, z. B. kausale oder temporale Konnexion, Isotopie[2] im Wortschatz oder Formen der Thematischen Progression[3].“ Im engeren Sinne zieht Bußmann den immer wieder kehrenden Vergleich zwischen Kohärenz und Kohäsion, wobei er Kohärenz von dieser „grammatischen Textverknüpfung“ abgrenzt und in ihr „den semantischen, den der Kohäsion zugrundeliegenden Sinnzusammenhang eines Textes, seine inhaltlich-semantische bzw. kognitive Strukturiertheit“ sieht. „Semantische Kohärenz ist darstellbar als Folge von Propositionen[4] (Thematische Entfaltung, Makrostruktur) bzw. (in einem kognitiven Modell semantischer Netze) als Konstellation aus begrifflichen Konzepten und verbindenden Relationen. Bei wenig kohärenten Satzfolgen kann der Hörer durch sinnvolle Inferenz[5] bei der Textverarbeitung Kohärenz und damit einen „Text“ herstellen.“ (Bußmann, 1990: 389).
Da die Begriffe „kohärent“ und „Kohärenz“ im Deutschen als Fremdwörter verwendet werden, ist ihr Gebrauch und ihr Verständnis im deutschen Sprachraum deutlich geringer als im englischen, wo die äquivalenten Begriffe „coherent“ und „coherence“ weitaus gebräuchlicher sind.[6]
Probleme der Kohärenz äußern sich in Verständigungs- oder Verstehensschwierigkeiten (vgl. Fritz, 1982: 1). Bei fehlender Kohärenz stellen sich Fragen des richtigen Zusammenhangs, des eventuellen Missverstehens oder bei schriftlichen Texten Fragen der richtigen Überlieferung bzw. eigenen Auslegung. Seit etwa 1970 lässt sich im deutschen Sprachraum ein Prozess der Terminologisierung der beiden Begriffe feststellen, da man sich in Folge der Ausweitung der linguistischen Forschungsrichtung spezifizierterer Begriffe als „Wohlgeformtheit“ oder „Grammatikalität“ bedienen wollte. Im Zuge dieses zunehmenden Interesses an dem Begriff entstanden verschiedene Betrachtungen zu diesem Thema, die im Folgenden beschrieben, verglichen und kritisch unter die Lupe genommen werden sollen..
Alles in allem soll versucht werden, den Begriff der Kohärenz sowie die verschiedenen Analyseansätze darzulegen, zu erklären und kritisch zu betrachten sowie den konkreten Bezug zwischen Kohärenz und Translation herzustellen und zu verdeutlichen. Da-rüber hinaus soll besonderes Augenmerk auf das Phänomen der sogenannten „Jigsaw-Texte“[7] gelegt werden, die eine besondere Form inkohärenter Texte darstellen.
2 Analyseansätze
Im Folgenden werden verschieden Ansätze der Sprachwissenschaft, Kohärenz zu erklären und zu verstehen, untersucht und miteinander verglichen.
2.1.1 Kohärenzbedingungen nach Klaus Brinker
Klaus Brinker sieht Kohärenz als ein „Gefüge“[8] von Beziehungen, die zwischen den Sätzen und den Propositionselementen als Strukturelemente des Textes existieren und die den „inneren Zusammenhang“ (ebd.), das heißt die Kohärenz, bewirken. Dabei unterscheidet er zwei Arten der Kohärenz, nämlich die grammatische und die thematische Kohärenz.
2.1.1 Grammatische Bedingungen der Textkohärenz
Klaus Brinker unterscheidet in seiner Analyse verschiedene Bedingungen, die gegeben sein müssen, um einen kohärenten Text zu erhalten. Ein Kriterium hierbei stellt das Prinzip der Wiederaufnahme dar (vgl. Brinker 2001: 27). Dabei wird unterschieden zwischen expliziter und impliziter Wiederaufnahme.
Explizite Wiederaufnahme bedeutet, dass ein oder mehrere in einem Text bereits erwähnte Ausdrücke im weiteren Verlauf des Textes wieder aufgenommen werden. Das bedeutet, dass sich der wiederaufnehmende und der wiederaufgenommene Ausdruck auf ein gleiches Objekt beziehen, welches auch als „Referenzträger“ (ebd.) bezeichnet wird. Solche Referenzträger können Gegenstände, Personen, Sachverhalte, Handlungen usw. sein. Folgende Beispiele verdeutlichen das typische Verfahren bei der expliziten Wiederaufnahme:
Beispiel 1:
“Drehbuchautor Peter Märthesheimer gestorben
Fassbinders Filme der siebziger Jahre, Toelles legendäre TV-Satire "Millionenspiel": Ohne Peter Märthesheimer wären sie vielleicht nie entstanden. Der Drehbuchautor und Produzent schrieb mit seinen Texten Filmgeschichte. Am heutigen Freitag ist er 67-jährig in Berlin gestorben.“
(aus: Spiegel vom 18.06.2004 unter der Schlagzeile: Todesf all, Ressort: Kultur)
Beispiel 2:
Die Fahrpräsentation des neuen BMW 1er läuft noch, da kontert die Konkurrenz aus Stuttgart ebenfalls mit einem neuen Einstiegsmodell. (...) Kompakt, kraftvoll und vielleicht sogar wuchtig sieht das neue Modell aus, mit schärferen Karosserielinien als der Vorgänger und flotter geschnittenen Seitenfenstern. (...) Das Auto ist gegenüber dem bisherigen Modell, von dem in den vergangenen sieben Jahren rund 1,1 Millionen Exemplare gebaut und verkauft wurden, deutlich gewachsen.
(aus: Spiegel vom 21.06.2004 unter der Schlagzeile: Mehr Bescheidenheit wagen, Ressort: Auto)
Die beiden Beispiele zeigen, dass der durch ein Substantiv bezeichnete Referenzträger (in Beispiel 1 eine Person und in Beispiel 2 ein Gegenstand) durch Wiederholung desselben Substantivs (Beispiel 1: Drehbuchautor), durch ein oder mehrere Substantive bzw. substantivische Wortgruppen (Beispiel 1: Drehbuchautor, Beispiel 2: Auto) oder durch ein Personalpronomen (Beispiel 1: er) wieder aufgenommen werden kann.
Bei der Wiederaufnahme durch mehrere Substantive wird - anders als bei der Wiederaufnahme durch dasselbe Substantiv - ein Substantiv gewählt, das mit dem bereits genannten Substantiv bedeutungsverwandt ist (z. B. Auto , Einstiegsmodell, Fahrzeug etc.). Diese Bedeutungsähnlichkeiten ergeben sich aber meist aus dem Kontext und sind daher oft stark von dem jeweiligen Text abhängig, das heißt nicht beliebig auf jeden Text übertragbar.
Die Wiederaufnahme durch Pronomen kann nach Brinker durch Personalpronomen (er, sie es etc.), Demonstrativpronomen (dieser, jener, der etc.) und Adverbien (da, dort, damals deshalb etc.) sowie Pronominaladverbien (dabei, darin, deshalb etc.) erfolgen (vgl. Brinker 2001: 33). Diese Platzhalter der entsprechenden Substantive werden als sogenannte Pro-Formen bezeichnet.
Als ein weiteres kohärenzbildendes Merkmal betrachtet Brinker die Wahl des Artikels. So werden unbekannte Personen bzw. Gegenstände für den Leser mit dem unbestimmten Artikel eingeführt und bei einer Wiederaufnahme mit dem bestimmten Artikel, dem Demonstrativpronomen bzw. Interrogativpronomen wieder aufgegriffen und damit als bekannt vorausgesetzt. Ein Missachten dieser Regel würde beim Leser das Gefühl erzeugen, es handele sich um einen inkohärenten Text.
Man spricht in dieser Beziehung also von „bekannt“ oder nicht bekannt“ und nicht von „vorerwähnt“ oder „nicht vorerwähnt“. Dies liegt daran, dass, wenn ein Element als bekannt bzw. unbekannt empfunden wird, dies auch durch außertextliche Quellen begründet sein kann. Darüber hinaus gibt es auch Ausdrücke, die „definit“ sind (vgl. Brinker 2001:30). Dazu gehören Gattungsnamen (der Mensch, das Tier etc. oder sogenannte „Unika“ wie die Sonne, der Mond etc., für die grundsätzlich der bestimmte Artikel gebraucht wird, ohne dass der Text als nicht kohärent empfunden wird.
Das zweite Prinzip, die implizite Wiederaufnahme, erklärt Brinker so, dass zwischen dem wiederaufnehmenden und dem wiederaufgenommenen Ausdruck keine Referenzidentität besteht (vgl. Brinker 2001: 36). Das heißt also, dass die beiden Ausdrücke sich auf verschiedene Referenzträger beziehen und von verschiedenen Gegenständen gesprochen wird, die jedoch miteinander in Beziehung stehen. Dies soll folgendes Beispiel veranschaulichen:
„Am 8. November 1940 kam ich in Stockholm an. Vom Bahnhof fuhr ich zu Schedins Pension in der Drottinggata, wo Max Bernsdor ein Zimmer für mich bestellt hatte...“
(aus: Weiss, Peter (1962): Fluchtpunkt, Roman, Textanfang)
Hier führt die Wahl des bestimmten Artikels (vom Bahnhof) nicht zur Inkohärenz, da vorher bereits der Ort, an dem sich der Bahnhof befindet, nämlich Stockholm, dem Leser mitgeteilt wurde. Es besteht also eine Sinnbeziehung zwischen den Begriffen „Stockholm“ und „Bahnhof“, die der aufmerksame Leser automatisch im Kopf herstellt („Stockholm, wo sich ein Bahnhof befindet“). Autoren verzichten daher meist bewusst auf die explizite Wiederaufnahme, da diese eine infantilisierende Wirkung auf den Text hätte und automatisch stattfindende Assoziationen des Lesers redundant wären. Die Beziehungen, die zwischen bestimmten Begriffen bestehen, werden als sogenannte „semantische Kontiguität“ (Brinker 2001:37) oder auch „begriffliche Nähe“ (ebd.) bezeichnet. Dabei unterscheidet Brinker drei Arten von Kontiguitätsverhältnissen. Zum einen spricht er von den logisch/begrifflich begründeten Verhältnissen, wie z. B „eine Niederlage – der Sieg“, „ein Problem – die Lösung“, „eine Frage – die Antwort“ etc. Zum Zweiten nennt er die ontologisch/naturgesetzlichen Kontiguitätsverhältnisse, wie „eine Mutter – das Kind“, „eine Giraffe – der Hals“, „ein Bein – das Knie“ etc. An dritter Stelle beschreibt Brinker die kulturell begründeten Verhältnisse, wie z. B. „ein Haus – die Türen“, „ein Krankenhaus – der Arzt“, „eine Stadt – der Bahnhof“. Das bedeutet konkret, dass in einem Text der bestimmte Artikel vor einem vorher noch nicht genannten Substantiv dann kein Befremden beim Leser auswirkt, wenn vorher bereits ein damit in Beziehung stehender Begriff genannt wurde.
An Hand des folgenden Beispiels wird deutlich, dass das Prinzip der Wiederaufnahme jedoch keineswegs genügt, um einen kohärenten Text zu erhalten:
„Ich habe eine alte Freundin in Hamburg getroffen. Dort gibt es zahlreiche öffentliche Bibliotheken. Diese Bibliotheken wurden von Jungen und Mädchen besucht. Die Jungen gehen oft in Schwimmbäder. Die Schwimmbäder waren im letzen Jahr mehrere Wochen geschlossen. Die Woche hat 7 Tage usw.“
(aus: Brinker 2001: 41).
Obwohl der Text klar nach dem Prinzip der Wiederaufnahme aufgebaut ist, wird er vom Leser als nicht kohärent empfunden. Das liegt zum einen daran, dass kein einheitliches Thema zu erkennen und auch keine einheitliche Zeitenfolge festzustellen ist.
Umgekehrt ist es auch möglich, dass ohne das Prinzip der Wiederaufnahme ein kohärenter Text entsteht:
„Es hat ein Unglück gegeben. Zwei Autos sind zusammengestoßen“
(aus: Brinker 2001: 42).
Abgesehen von den syntaktisch-semantischen Verknüpfungsmerkmale der Wiederaufnahme sind also noch andere Verknüpfungen kohärenzbildend, wie z. B. kausale Verknüpfungen, Spezifizierung oder Situierung (vgl. Brinker 2001: 42). Ebenfalls kohärenzbildend sind Konjunktionen (und, denn, weil, obwohl etc.) sowie Adverbien (auch, vielmehr, also, dennoch usw.)
Als letzte Voraussetzung für einen kohärenten Text, die bei Brinker nur am Rande erwähnt wird, gelten die Beziehung zwischen Bezugsausdruck und wiederaufnehmendem Ausdruck. Dabei sind ein gewisses Hintergrundwissen sowie Weltkenntnis der Kommunikationspartner von großer Bedeutung, damit ein Text als kohärent empfunden wird. Der Text wird also nicht bzw. nur schwer verstanden, wenn der Leser das Hintergrundwissen, das der Verfasser bei ihm vermutet hat, nicht besitzt. Dies wird an folgendem Beispiel deutlich:
„Leipzig – Die Bereitschaft zu Veränderungen habe dann ein Ende, wenn es um Einschränkungen bei sich selbst gehe, klagte Schröder bei der Jahresversammlung des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft in Leipzig. Schon wegen der Einführung der Praxisgebühr von zehn Euro pro Quartal habe sich in Deutschland "eine fast vorrevolutionäre Situation" entwickelt, kritisierte der Kanzler die Deutschen.“
(aus: Spiegel vom 25.06.04).
Wer hier nicht über das Hintergrundwissen verfügt, dass Gerhard Schröder der deutsche Bundeskanzler ist, wird Probleme haben, einen Sinnzusammenhang in dem Text zu erkennen. Brinker erwähnt im Hinblick auf Textkohärenz auch den kognitiven Prozess, der in Abhängigkeit zu dem jeweiligen Leser steht, bei dem aber auch die grammatischen, pragmatischen und thematischen Aspekte eine wichtige Rolle spielen (vgl. Brinker 2001: 44).
Im Gegensatz zu Beaugrande und Dressler, auf deren Analyseansatz zur Kohärenz später noch eingegangen werden soll, setzt Brinker weniger den Schwerpunkt auf diesen kognitiven Prozessen, sondern widmet sich mehr den grammatischen Merkmalen, die Kohärenz erzeugen.
Letztendlich ist jedoch Kohärenz ein stark kognitiver Prozess, da der Textzusammenhang von Person zu Person oftmals unterschiedlich empfunden wird. Ein Politiker wird einen politischen Text als sehr viel verständlicher und kohärenter erleben, als ein Laie. Dagegen wird ein Linguist ein ganz anderes Textverständnis haben als jemand, der sich nicht mit Sprache beschäftigt. Daher sollte neben der sicherlich wichtigen Kohärenzmerkmalen der Grammatik, Semantik etc. bei der Kohärenzfrage verstärkt Gewicht auf die Rolle des Textrezipienten gelegt werden, der meist über unterschiedliches Vorwissen hinsichtlich des Themas bzw. des entsprechenden (Fach-) Vokabulars verfügt.
Dies gilt vor allem für Übersetzer von fachsprachlichen Texten, die sich oftmals, um den Ausgangstext hundertprozentig verstehen zu können, in die Materie einarbeiten müssen, um eine äquivalente Übersetzung in der Zielsprache produzieren zu können. Gerade beim Übersetzen spielt dieser kognitive Prozess des Verstehens eine bedeutende Rolle und ist daher stark abhängig vom Vor- bzw. Weltwissen des jeweiligen Übersetzers.
2.1.2 Thematische Bedingungen der Textkohärenz
Wie aus 2.1.1 hervorgeht, erzeugen die Prinzipien der syntaktisch–semantischen Textverknüpfung alleine meist keine Kohärenz, auch wenn sie von großer Bedeutung für den Textzusammenhang sind. Es bedarf vielmehr auch einer Einbettung in eine „thematische Textstruktur“ (Brinker 2001: 45). Dabei verweist Brinker zum einen auf das bereits erwähnte Prinzip der Wiederaufnahme, die dem Leser den Hauptgegenstand des Textes vermittelt. Durch den Aspekt der Wiederaufnahme, die sowohl nacheinander als auch nebeneinander erfolgen kann, wird dem Leser eine Einheitlichkeit im Textgegenstand vermittelt. In der Wiederaufnahmestruktur drückt sich somit die Progression eines Textes aus, wobei Wiederaufnahmestruktur und thematische Gliederung nicht prinzipiell in einer Eins-zu-eins-Beziehung stehen müssen (vgl. Brinker 2001: 48).
Darüber hinaus nimmt Brinker das Prinzip der Thema–Rhema-Gliederung der Prager Schule, das später von Danes vertreten wurde, kritisch unter die Lupe. Dieses besagt, dass sich ein Satz in zwei Teile gliedern lässt, nämlich in das Thema, als den „Ausgangspunkt der Aussage“, sowie das Rhema als den „Kern der Aussage“ (Brinker 2001: 49). Das Thema bezeichnet dabei die bekannte Information, mit der der Leser auf Grund seines Vor- bzw. Weltwissens vertraut ist. Das Rhema dagegen steht für die neu eingeführte Information, die nähere Erläuterungen zu dem bereits bekannten Thema liefert. Dieser Komplex wird auch als „thematische Progression" bezeichnet. Brinker steht diesem Prinzip jedoch skeptisch gegenüber, da sich die Abgrenzung des Themas eines Textes oft als sehr schwierig erweist. .
[...]
[1] Bußmann, Hadumod (1990): Lexikon der Sprachwissenschaft. Stuttgart: Kröner, S. 389.
[2] Isotopie: „Wiederkehr von Wörtern desselben Bedeutungs- bzw. Erfahrungsbereiches in einem Text, z. B. Arzt, Fieber, Spritze“ (aus: Bußmann 1990: 357).
[3] Thematische Progression/Entfaltung: „Spezifische Struktur, in der das Textthema zum Gesamtinhalt des Textes ausgestaltet wird. Die T. E. entfaltet sich durch Verknüpfung von Teilinhalten gemäß semantischer Relationen wie Spezifizierung, Einordnung oder Begründung. Grundformen der T .E. sind die deskriptive, narrative, explikative und argumentative E.“ (aus: Bußmann 1990: 786).
[4] Propositionen: „Unter P. wird der sprachunabhängige, bezüglich des Illokutionstyps neutrale gemeinsame Nenner der Bedeutung von Sätzen bezeichnet, die das Zutreffen eines Sachverhalts zum Inhalt haben.“ (aus: Bußmann 1990: 616f).
[5] Inferenz: „Kognitiver Prozeß bei der Textverarbeitung: Ergänzung oder Erweiterung der semantischen Repräsentation eines Textes (der Textbasis) durch dessen Implikationen und Präsuppositionen, also durch unausgesprochene, aber zum Textverständnis notwendige Inhalte (...) sowie durch eigenes, in einem Schema gespeichertes, zum Textinhalt passendes Wissen des Lesers/Hörers.“ (aus: Bußmann 1990: 335).
[6] Vgl. Fritz, Gerd (1982): Kohärenz – Grundfragen der linguistischen Kommunikationsanalyse. Tübingen: Narr, S. 2.
[7] Jigsaw-Texte (jigsaw, engl.: Puzzle) sind Texte, die nicht kohärent geschrieben sind. Das resultiert meist aus der Tatsache, dass sie meist stückweise geschrieben, überarbeitet, übersetzt und gelesen werden. Diese „Textbrocken“ sind meist klein, ungeordnet und ohne Zusammenhang. Sie erinnern an Puzzleteile, die zusammengesetzt wurden (vgl. Schubert 2003: 295).
[8] Brinker, Klaus (2001): Linguistische Textanalyse. Berlin: Erich-Schmidt, S. 21.
- Quote paper
- Alexa Wissel (Author), 2004, Zu den Begriffen Kohärenz und Translation, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/37012
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