Eine Zusammenfassung der Kapitel 6 und 13 aus dem ersten Buch der Nikomachischen Ethik des Aristoteles.
Was genau ist das höchste Gut - die menschliche Glückseligkeit (eudaimonia) - und was ein glückseliges Leben für den Menschen? Nachdem im vorigen Essay die Beschaffenheit des Glücks nach Aristoteles beschrieben wurde, wird im folgenden Text seine Wesensbestimmung der Glückseligkeit des Menschen vor dem Hintergrund der aristotelischen Seelenlehre - oder auch Psychologie, abgeleitet von psyche (Seele) und logos (Lehre) - zusammengefasst.
Das Glück des Aristoteles
Was genau ist das höchste Gut - die menschliche Glückseligkeit (eudaimonia) - und was ein glückseliges Leben für den Menschen? Nachdem im vorigen Essay die Beschaffenheit des Glücks nach Aristoteles beschrieben wurde, wird im folgenden Text seine Wesensbestimmung der Glückseligkeit des Menschen vor dem Hintergrund der aristotelischen Seelenlehre - oder auch Psychologie, abgeleitet von psyche (Seele) und logos (Lehre) - zusammengefasst.
Die Grundlage der weiteren Untersuchung menschlicher Glückseligkeit bildet das sogenannte ergon -Argument. Die wörtliche Übersetzung von ergon ist zwar Werk oder Tätigkeit, inhaltlich bedeutet es aber vielmehr Funktion oder Leistung; die englische Übersetzung function-argument verdeutlicht dies genauer. Dieses Argument besagt, dass die weitere Bestimmung der Glückseligkeit „von der eigentümlichen Tätigkeit (oikeinon ergon) des Menschen ausgehen“ (N.E. I.6, 1097b 36-37) muss, d.h. von der Funktion oder Leistung, der nur ein Mensch - aufgrund seiner besonderen seelischen Beschaffenheit - und kein anderes Wesen sonst gerecht werden kann. Denn da für „jeden, der eine Tätigkeit und ein Handeln hat, in der Tätigkeit (also im Vollzug des ergons) das Gute und Rechte liegt“ (N.E. I.6, 1097b 38-40), gilt das gleiche Prinzip auch für den Menschen, sofern auch dieser ein solches ergon besitzt. Dieses besitzt er aber notwendigerweise, da nicht nur jeder Handwerker, sondern auch „jedes einzelne Körperglied seine besondere Tätigkeit hat“ (N.E. I.6, 1097b 45-46) und er darüber hinaus nicht „zur Untätigkeit geschaffen“ (N.E. I.6, 1097b 43-44) wurde.
Was aber ist das eigentümliche ergon des Menschen? Ein psychologischer Vergleich zwischen Mensch, Tier und Pflanze - also allem, was beseelt ist – in Anbetracht ihrer seelischen Vermögen hilft diese Frage zu beantworten. Der Vollzug „der Ernährung und des Wachstums“ (N.E. I.6, 1098a 1) kann es nicht sein, da der Mensch dieses vegetative Vermögen (threptikon) - das reine Seelenvermögen - mit allen Tieren und Pflanzen gemein hat. Auch im „Leben der Wahrnehmung“ (N.E. I.6, 1098a 2) kann das gesuchte ergon nicht liegen, denn das Sinnesvermögen teilt er mit „allen Tieren überhaupt“ (N.E. I.6, 1098a 3). Es bleibt nur noch die „Betätigung des vernunftbegabten Teiles übrig“ (N.E. I.6, 1098a 4-5), denn der reinen Vernunft (logos) ist einzig und allein der Mensch fähig. Die Vernunft besitzt jedoch der Seelenlehre nach eine Zweiteilung in einen überlegenden, der Vernunft lediglich gehorchenden Teil (logistikon) und einen denkenden, Vernunft besitzenden und ausübenden Teil (epistemonikum). Das Entscheidende bei einem Vermögen stellt aber dessen Betätigung dar und nicht der bloße Besitz, woraus folgt, dass das ergon des Menschen eine „Tätigkeit der Seele (ist) (…), die sich nach der Vernunft oder doch nicht ohne die Vernunft vollzieht“ (N.E. I.6, 1098a 11). Die alleinige oder gar einmalige Ausübung des ergons allein macht jedoch nicht dauerhaft glücklich. Schon allein weil die eudaimonia in einer Handlung selbst liegt muss diese „ein volles Leben hindurch“ (N.E. I.6, 1098a 28-29) ausgeführt werden. Es ist darüber hinaus wichtig dies nicht nur beliebig oder durchschnittlich, sondern mit dem „Merkmal hervorragender Tüchtigkeit (arete)“ (N.E. I.6, 1098a 16), also fleißig, hervorragend und tugendhaft zu verrichten. Hervorragend kann aber nur das werden, „was sich nach seiner eigentümlichen Befähigung (arete) vollzieht“ (N.E. I.6, 1098a 24-25), was bedeutet, dass die Glückseligkeit sich nach der Tugend (arete) richtet. Die Glückseligkeit des Menschen ist also eine „Tätigkeit der Seele auf Grund(-lage) ihrer“ (N.E. I.6, 1098a 26) spezifischen, hervorragenden und tugendhaften Leistung; bzw. „der besten und vollkommensten“ (N.E. I.6, 1098a 27-28), sofern mehrere dieser Leistungen existieren.
Bei Betrachtung der Tugenden der menschlichen Seele - nicht der des Körpers, wie Stärke oder Schönheit - lässt sich die Glückseligkeit jedoch noch genauer analysieren. Als Grundlage dient die Seelenlehre, laut der die Seele (psyche) aus einem vernunftlosen (alogon) und einem vernünftigen Teil (logon echon) besteht. Diese bedingen zwei der oben bereits genannten Seelenvermögen, wobei das threptikon rein vernunftlos, das logos rein vernünftig und das noch nicht genannte Strebevermögen (orektikon) schimärisch, also eine Mischung aus den beiden Teilen ist. Das vegetative Vermögen, „die Ursache der Ernährung und des Wachstums“ (N.E. I.13, 1102a 35-36) kann die Tugend des Menschen nicht beinhalten, da ihre Leistungen hauptsächlich im Schlaf stattfinden. Außerdem ist „Schlaf (...) eine Untätigkeit der Seele“ (N.E. I.13, 1102B 11-12). Er kann daher keinen Menschen glücklich machen und macht es darüber hinaus nahezu unmöglich zu erkennen, ob der Schlafende ein gut oder schlecht gesinnter Mensch ist. Das Strebevermögen kann einen vernünftigen Teil innehaben und also auch tugendhaft sein, „sofern es ihr (der Vernunft) gehorcht und fügsam ist“ (N.E. I.13, 1102b 39-40); „Zurechtweisung und jede Form von Tadel und Ermahnung“ (N.E. I.13, 1103a 2) stehen beispielhaft für die Möglichkeit einer solchen Teilhabe. Wegen seines Mischcharakters steht das Strebevermögen in drei möglichen Verhältnissen zur Vernunft. Bestenfalls stehen beide im Einklang miteinander, wie es „beim Maßvollen und Tapferen“ (N.E. I.13, 1102b 35) der Fall ist. Weniger optimal hat es eine partielle Teilhabe an der Vernunft, wie im Falle eines „beherrschten Menschen (enkrates)“ (N.E. I.13, 1102b 33). Schlimmstenfalls ist es - wie das Beispiel eines „Unbeherrschten (akrates)“ (N.E. I.13, 1102b 27) verdeutlicht - der Vernunft gänzlich ungehorsam und widerstrebend. Die logos besteht wie oben bereits erwähnt aus zwei Teilen, dem der Vernunft gehorchenden logistikon - dieser ist für das Handeln (praxis) und das Hervorbringen (poiesis) zuständig - und dem Vernunft besitzenden und ausübenden epistemonikon - dieser Teil ist für die Wissenschaft (episteme) und die intuitive Vernunft (nous) verantwortlich .
Diese Zweiteiligkeit der Vernunft überträgt sich nun auch auf die Tugenden. Zum einen gibt es ethische Tugenden, zum anderen dianoethische. Mit ersteren sind lobenswerte Verhaltensweisen oder Charaktereigenschaften wie „Großzügigkeit und Besonnenheit“ (N.E. I.13, 1103a 10-11), welche erlern- und habitualisierbar sind, weshalb sie auch Gewohnheitstugenden genannt werden. Letztere sind sogenannte „verstandesmäßige“ (N.E. I.13, 1103a 9) Tugenden, wie beispielsweise „Weisheit, Auffassungsgabe und Einsicht“ (N.E. I.13, 1103a 10), welche naturgegeben und nicht erlernbar sind.
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- Bennet Ludwig (Author), 2013, Das Glück des Aristoteles. Eine kurze Zusammenfassung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/369702
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