In diesem Essay wird die unerhörte Begebenheit in Gottfried Kellers „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ analysiert. Der Fokus liegt auf der Entstehung, Entwicklung und Äußerung der unerhörten Begebenheit.
Der Titel lässt bereits das Thema und den Ausgang der Novelle erahnen. Durch den Zusatz „auf dem Dorfe“ wird der Unterschied zwischen Shakespeares und Kellers Werken auf den ersten Blick deutlich. Die Eigenschaften einer Novelle besitzt Kellers „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ ebenfalls. Hier wird jedoch nur die unerhörte Begebenheit analysiert. Zusätzlich stellt sich die Frage, warum es eine unerhörte Begebenheit ist.
Unerhörte Begebenheit in Gottfried Kellers „Romeo und Julia auf dem Dorfe“
Der Titel lässt bereits das Thema und den Ausgang der Novelle erahnen. Durch den Zusatz „auf dem Dorfe“ wird der Unterschied zwischen Shakespeares und Kellers Werken auf den ersten Blick deutlich. Die Eigenschaften einer Novelle besitzt Kellers „Romeo und Julia auf dem Dorfe“ ebenfalls. Hier wird jedoch nur die unerhörte Begebenheit analysiert. Der Fokus liegt auf der Entstehung, Entwicklung, und Äußerung der unerhörten Begebenheit. Zusätzlich stellt sich die Frage warum es eine unerhörte Begebenheit ist.
Anfangs werden zwei Bauersfamilien beschrieben, dessen Leben ihre normalen Wege gehen. Sie bewirtschaften ihre Äcker, während der in der Mitte liegende Acker brach liegen bleibt. Mit dem mittleren Acker beginnt auch die Verwicklung in den Streit der Väter der beiden Bauersfamilien und führt zu weiteren Geschehnissen, dessen Resultat die unerhörte Begebenheit sein wird.
Bevor der Streit um den mittleren Acker jedoch beginnt, führen Manz und Marti, die Väter der Bauersfamilien, ein Gespräch über ihn. Dort erfährt man, dass er womöglich dem schwarzen Geiger gehöre, der der Enkel des Trompeters sei (S. 5). Dieses Wissen hindert die beiden Bauern aber nicht daran, den mittleren Acker in Besitz nehmen zu wollen. Sie schneiden sich jedes Mal eine Furche des herrenlosen Ackers ab, ohne dass es der andere merkt, oder vorgibt zu merken (S.9). Damit tun die Bauern bereits etwas Unerhörtes. Sie nehmen etwas in Besitz, das ihnen nicht gehört. Je kleiner der herrenlose Acker wird, desto weniger bietet er Raum für Sali und Vrenchen zum spielen. Zusätzlich schmeißen die Väter Steine in die Mitte des Ackers, sodass die Kinder, die immer miteinander gespielt haben, sich nun auf Grund der ‚Steinwand‘ nicht mehr sehen können (S.9). So werden sie schon zu Anfang der Novelle unbewusst durch die Väter voneinander getrennt.
Als der Acker versteigert wird, artet der Streit der beiden Väter aus. Beide fühlen sich benachteiligt und unfair behandelt und denken nur an ihren eigenen Vorteil. Eine kleine Ecke des Ackers wird zum Auslöser des Streits (S.10 f). Auch die anderen Dorfbewohner wollen mit dem Acker nichts zu tun haben, um zu sehen wie Manz und Marti zu Grunde gehen (S.10). Da Manz aber den großen Teil des Ackers ersteigert hat, beginnt er ihn in Ordnung zu bringen und benutzt dabei seinen Sohn Sali, der damit seine Verbindung zu Vrenchen und deren Spielplatz zerstört. Auch Vrenchen hilft ihrem Vater auf dem Feld, sodass sich die Kinder einander nähern, aber schon bald von den Vätern zurückgerufen und somit getrennt werden (S.12). Marti gibt seiner Tochter grundlos eine Ohrfeige, was auf den späteren Streit zwischen Vrenchen, Sali und Marti hindeuten kann, in dem Sali Marti niederschlägt und zu einem Verrückten macht.
Doch bevor dies geschieht, geraten die Bauern außer dem Streit zusätzlich in einen gerichtlichen Prozess, in dem es um die kleine Ecke des Ackers geht (S.12). Mit dem Streit um den Acker wird das Gefühl der beiden Bauern immer größer unfair behandelt zu werden, sodass ein Wettkampf um mehr Besitz entsteht und die Gesellschaft beginnt ihren Nutzen aus dem Leiden der Bauern zu ziehen (S.13).
Zu Beginn der Novelle wird erwähnt, dass die Gesellschaft genauso wie Manz und Marti reagieren würde, aber niemand dennoch den mittleren Acker haben möchte und nun haben Manz und Marti „einen Anhang von Unterhändlern, Zuträgern und Ratgebern hinter sich, die alles bare Geld auf hundert Wegen abzuziehen wussten“ (S.13). Diese Tatsache zeigt, dass die Gesellschaft trotz des Wissens über Manz‘ und Martis Untergang auf unerhörte Weise ihren Vorteil zieht, obwohl sie auch in dieser Situation hätte sein können. Die beiden Bauern sind jedoch von ihrer Wut auf den jeweils anderen so abgelenkt, dass sie nicht merken was ihnen geschieht und krampfhaft versuchen besser als der andere zu sein (S.13).
Innerhalb von zehn Jahren verschulden sich die beiden Bauersfamilien und machen sich gegenseitig verantwortlich für den eigenen Ruin, sodass der Hass zwischen den Vätern immer größer wird. Durch diesen Hass darf keiner der Mitglieder der Familien mit denen der anderen Familie sprechen (S.14). Vrenchens Mutter stirbt auf Grund des Niedergangs und Salis Mutter beginnt ein falsches Spiel zu treiben (S.14f). So werden Sali und Vrenchen erneut voneinander getrennt und vor allem ohne „gute Hoffnung für ihre Zukunft“ (S.15) zurückgelassen, weil ihre Eltern mit dem Streit und ihren Vorteilen beschäftigt sind. Dieser wilde Streit der Väter und die Sorglosigkeit der Eltern um ihre Kinder lassen sich ebenfalls als unerhört beschreiben, weil ihr eigenes Wohl wichtiger ist, als das ihrer Kinder.
Als Salis Familie in die Stadt zieht, wird deutlich, dass die städtische Gesellschaft genauso spöttisch, wie die bäuerliche Gesellschaft ist (S.18). Manz, genauso wie Marti sind so tief gesunken, dass sie keine Chance mehr haben aus ihrer Niederlage herauszukommen. Die Väter der Bauersfamilien sind nun ganz verarmt und sehen keinen anderen Ausweg, als Fischen zu gehen, wo sie sich seit langem wieder begegnen.
Die Bauern führen ihren Streit nun fort und beginnen zu kämpfen und sich gegenseitig in den Fluss zu werfen, was sie lächerlich erscheinen lässt. Vor allem die Tatsache, dass die Väter zu Beginn der Novelle als vernünftig und ordentlich beschrieben werden und nun das Gegenteil der Fall ist, lässt es die Situation noch dramatischer und gleichzeitig komisch aussehen. Ihre Kinder versuchen sie auseinander zu bringen und kommen sich in dem Getümmel näher (S.24). Nach dem Zwischenfall geben sich die Kinder gegenseitig die Hände, ohne dass ihre Väter es bemerken. Dies könnte als unerhörte Begebenheit aus der Sicht der Väter angesehen werden. Da beide Familien im Streit liegen, dürfen sie nichts miteinander zu tun haben. Vrenchen und Sali aber verstoßen gegen diese ‚Regel‘ und halten ihre Zuneigung geheim. Sali schleicht sich aus der Stadt, um Vrenchen im Dorf sehen zu können. Er sieht Martis Haus und Feld, die als sehr heruntergekommen bes chrieben werden, so dass sich die Frage stellt, warum Marti alles herunterkommen lassen hat, obwohl er sich genauso wie Manz um den verlassenen Acker gestritten hat. Da nun Manz in der Stadt wohnt, hat Marti zumindest ein Stück des Ackers behalten können. Somit könnte er glücklich sein, dass sein Feind fort ist und er einen Acker zu bewirtschaften hat, was jedoch nicht der Fall ist. Stattdessen lässt er seinen Zorn aus und lässt Vrenchen wenig Hoffnung für die Zukunft. Die Väter der beiden Kinder haben eine egoistische Haltung und zerstören nicht nur ihre eigenen Leben, sondern auch das ihrer Familienangehörigen.
Da beide Kinder auf Grund ihrer Väter keine Hoffnung für die Zukunft haben, schaffen Manz und Marti die Basis für die unerhörte Begebenheit in der Novelle.
Als Sali und Vrenchen zusammen spazieren gehen, treffen sie den schwarzen Geiger, der ihnen erzählt, wie er versucht hat den Acker zu bekommen, auf den er Anspruch habe. Es wird wieder deutlich gemacht, dass Manz und Marti auf unerhörte Weise den Acker in Besitz genommen haben und den schwarzen Geiger von ihren Höfen gejagt hätten (S.30f). So wie der schwarze Geiger von Anfang an ohne alles dasteht, stehen Manz und Marti nun auch vor dem Ruin.
Bei demselben Spaziergang treffen Sali und Vrenchen auf Marti, der wütend auf Sali losgeht und ihn versucht zu würgen. Als es ihm nicht gelingt, beginnt er seine Tochter zu schlagen. Sali nimmt einen Stein und schlägt Marti aus Zorn damit auf den Kopf, um Vrenchen zu retten (S.34).
Die gesamte Situation ist in vielerlei Hinsicht unerhört, da Sali und Vrenchen sich zunächst heimlich getroffen haben, obwohl es gegen die ‚Regeln‘ der Väter ist. Sie wissen, dass es für sie verboten ist und halten es aus diesem Grund vor ihren Familien und der Gesellschaft geheim. So ist ihr Treffen aus der Sicht Martis eine unerhörte Begebenheit. Aus einer parteineutralen Sicht liegt die unerhörte Begebenheit darin, dass Marti aus Zorn versucht beide Kinder zu verletzen. Sali reagiert außerdem aus Angst um Vrenchen, aber auch aus Zorn, so dass auch er etwas Unerhörtes begeht. Vrenchen sieht nun auch keine Zukunft mehr mit Sali, da er ihren Vater erschlagen hat, und verliert somit ihren Vater, weil er seinen Verstand verliert, und Sali (S.35). Wenige Zeit später verliert sie auch den letzten Besitz ihres Vaters (S.37).
Anschließend kommt Sali Vrenchen besuchen, so dass sich die beiden wieder annähern und eine schöne Zeit miteinander verbringen, indem sie durch andere Städte ziehen, tanzen gehen und sich vom schwarzen Geiger trauen lassen.
Schließlich kommen sie an einen Punkt, an dem sie aus der Scheinwelt in die Realität kommen müssen, sodass die Frage gestellt wird, wie es mit beiden in der Zukunft weiter gehen soll (S.61). Sie befinden sich in einer Zwickmühle, weil sie nicht mit- und nicht ohneeinander auskommen können. Vrenchen steht im Konflikt mit der Tatsache, dass Sali ihren Vater zu einem Verrückten gemacht hat, so dass ein Zusammensein mit Sali ausgeschlossen wird. Andererseits können beide ihre eigenen Wege gehen, müssten jedoch ohne den jeweils anderen auskommen. Auch diese Option wird von beiden ausgeschlossen. Eine Heirat der beiden ist nicht möglich, da die finanzielle Lage es ihnen nicht ermöglicht. Ein nicht bürgerliches Leben mit dem Geiger und dessen Gesellschaft zu führen ist für beide unvorstellbar und würde einen Ausstoß aus der Gesellschaft bedeuten und somit keinen Anspruch auf Land, Heirat und Arbeit. Da beide ein starkes sexuelles Verlangen nach dem anderen haben und es nicht mehr zurückhalten können (S.61), besteht die Gefahr, dass ein uneheliches Kind zur Welt kommt, was wieder einen Ausstoß aus der Gesellschaft bedeuten würde. All die Möglichkeiten würden für die Gesellschaft als unerhört gelten, sodass Sali und Vrenchen keinen Ausweg mehr sehen, als ihren sexuellen Trieben nachzugeben und sich anschließend durch den Tod aus der Lage zu befreien. Auch der Tod der beiden Kinder ist eine unerhörte Begebenheit, sodass Sali und Vrenchen keine Wahl haben aus der Situation herauszukommen, in der sie weder gegen die gesellschaftlichen Normen verstoßen, noch selbst unglücklich dastehen, weil die Gesellschaft ihnen keine lässt. Der Tod der beiden wird als unerhörte Begebenheit gesehen, weil er als sündhaft beschrieben werden kann.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Streit der Väter und die darauffolgenden Ereignisse der Grund für den Tod der Kinder sind, da allein durch den Streit den Kindern der Umgang miteinander verboten wird. Außerdem haben sich beide Familien hoch verschuldet, sodass Sali und Vrenchen keine Zukunft ohne finanzielle Grundlagen haben und somit nicht ihren Interessen folgen können. Denn, hätten beide Väter von Anfang an dem Geiger den Acker überlassen oder ihn gerecht aufgeteilt, wäre kein Streit entstanden, sodass die Familien wahrscheinlich finanziell abgesichert wären und die Kinder miteinander die Zeit hätten verbringen können. Die unerhörte Begebenheit ist deshalb auch die Verantwortungslosigkeit der Väter gegenüber allen Leben in ihrem Umkreis. Denn sie haben nicht nur ihr eigenes Leben zerstört, sondern auch das ihrer Familienangehörigen.
Literaturverzeichnis:
Keller, Gottfried (1856): Romeo und Julia auf dem Dorfe. 103. Hamburger Leseheft
- Citar trabajo
- Kristina Grasmik (Autor), 2013, Unerhörte Begebenheiten. "Romeo und Julia auf dem Dorfe" von Gottfried Keller, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/369265