In seiner Ballade "Von des Cortez Leuten" aus dem Jahr 1919 thematisiert Bertolt Brecht den Untergang einer Gruppe spanischer Männer des Eroberers Hernando Cortez im Wald von Mexiko Anfang des 16. Jahrhunderts. Dieser historische Hintergrund wird nur im Balladentitel angedeutet, während die Verse des Gedichts die Rast der namenlosen, trinkenden und singenden Männer beschreiben, die über Nacht von den „armdicke[n] Äste[n]“ (V.19) des Waldes zunehmend eingeschlossen werden, bis nach einigen Tagen nichts mehr von ihnen zu hören ist. Die folgende Interpretation soll klären, was Brecht mit dieser Konfrontation des Menschen mit den unaufhaltsamen Naturgewalten illustrieren will. Dabei wird der Deutungsversuch durch einen Vergleich des Verhältnisses zwischen Mensch und Wald mit demjenigen in Joseph von Eichendorffs Ballade Waldgespräch (1815) bereichernd ergänzt.
Was bei der Analyse von Brechts Ballade zuerst ins Auge fällt, ist die untypische Form. Von den lyrischen Elementen, die laut Goethes Balladendefinition mit epischen und dramatischen Elementen in der Ballade verschmelzen, ist im vorliegenden Text nicht mehr viel erkennbar. Brechts Gedicht ist reim- und strophenlos, der Rhythmus der meist fünfhebigen Blankverse ist unregelmäßig und erweckt eher den Eindruck eines epischen Berichts, als den einer volksliedhaften Ballade. Doch die fehlende optische Gliederung des Gedichts wird von Brecht auf inhaltlicher und erzählperspektivischer Ebene ausgeglichen, sodass sich drei voneinander abtrennbare Teile ergeben.
In seiner Ballade Von des Cortez Leuten aus dem Jahr 1919 thematisiert Bertolt Brecht den Untergang einer Gruppe spanischer Männer des Eroberers Hernando Cortez im Wald von Mexiko Anfang des 16. Jahrhunderts. Dieser historische Hintergrund wird nur im Balladentitel angedeutet, während die Verse des Gedichts die Rast der namenlosen, trinkenden und singenden Männer beschreiben, die über Nacht von den „armdicke[n] Äste[n]“ (V.19) des Waldes zunehmend eingeschlossen werden, bis nach einigen Tagen nichts mehr von ihnen zu hören ist. Die folgende Interpretation soll klären, was Brecht mit dieser Konfrontation des Menschen mit den unaufhaltsamen Naturgewalten illustrieren will. Dabei wird der Deutungsversuch durch einen Vergleich des Verhältnisses zwischen Mensch und Wald mit demjenigen in Joseph von Eichendorffs Ballade Waldgespräch (1815) bereichernd ergänzt.
Was bei der Analyse von Brechts Ballade zuerst ins Auge fällt, ist die untypische Form. Von den lyrischen Elementen, die laut Goethes Balladendefinition mit epischen und dramatischen in der Ballade verschmelzen, ist im vorliegenden Text nicht mehr viel erkennbar. Brechts Gedicht ist reim- und strophenlos, der Rhythmus der meist fünfhebigen Blankverse ist unregelmäßig und erweckt eher den Eindruck eines epischen Berichts, als den einer volksliedhaften Ballade. Doch die fehlende optische Gliederung des Gedichts wird von Brecht auf inhaltlicher und erzählperspektivischer Ebene ausgeglichen, sodass sich drei voneinander abtrennbare Teile ergeben. Der Erzähler schildert in den Versen 1-14 im Präteritum und somit aus einer gewissen Distanz, wie die Männer ihr Lager auf einer hellen Wiese aufschlagen, Ochsen schlachten und Brennholz beschaffen, um ein wärmendes Feuer zu entfachen und dann ein regelrechtes Trink- und Essgelage zu vollziehen, bis sie „gen Mitternacht am Feuer“ (V.13) einschlafen. Es folgt ein längerer Mittelteil (V.15-34), in dem die Perspektive näher auf die erwachenden Männer gerückt wird, deren „Augen“ „glasig[ ]“ und deren „Glieder[ ]“ vom Branntwein „schwer[ ]“ (V.17) sind. Die Verwirrung der Männer ob des sich zunehmend um sie verdichtenden „schrecklichen Gewirr[s]“ (V.36) aus Ästen und schließlich ihre erfolglosen Versuche, gegen die unbezwingbare vegetative Kraft anzukämpfen, werden überwiegend im Präsens dargeboten, wodurch der Leser näher an das Geschehen gerückt und eine Identifikation mit den „angstvoll“ in „ihren Käfigen“ (V.38f.) aus Geäst sitzenden Männern bewirkt wird. Im letzten Teil (V.35-51) begibt sich der Erzähler wieder in eine größere Distanz zum Geschehen. Wie aus der Ferne berichtet er vornehmlich im Präteritum, wie die Männer endgültig im Waldgeäst untergehen und es immer stiller wird, bis der Wald am Ende ganz „langsam“ (V.49) auch „die Wiesen“ (V.51) auffrisst.1
Dieser kurze dritte Teil umfasst das Geschehen mehrerer Tage, während Teil 1 einen Tag und Teil 2 lediglich das Geschehen eines Nachmittags schildert. Durch die Zeitgestaltung seines Gedichts bewirkt Brecht eine deutliche Dramatisierung im Mittelteil, wodurch der epische Bericht dynamisiert und das übernatürliche Geschehen in der Natur für den Leser regelrecht spür- und nachvollziehbar wird. Das Verhältnis zwischen Mensch und Natur vollzieht im Verlauf der drei Teile also eine Entwicklung, die von Brecht sehr kunstvoll gestaltet wird. Im ersten Teil wird eine ruhige, friedliche Stimmung in der die Männer umgebenden Natur evoziert, zu der das laute, ausschweifende Verhalten der verwegenen Eroberer in scharfem Kontrast steht. Von der Natur scheint für diese keine Gefährdung auszugehen; die Wiesen sind hell, die Winde leicht, die Sonne „gut“ (V.2) und die Nacht „kühl und grün“ (V.10). Als die Männer in Teil 2 gegen Mittag wieder erwachen, hat sich die Atmosphäre deutlich gewandelt. Das Blattwerk hat sich um sie „verwirrt“ (V.20), aus der kühlen Luft in Teil 1 ist ein „sehr schwül[es]“ (V.22) Klima geworden, aus der guten Sonne „die heiße Sonne“ (V.23). Während in Teil 1 der Blick auf die „großen Sterne“ (V.12) frei war, können die Männer den Himmel nun nicht mehr sehen. Der „süßliche[ ] Geruch[ ]“ der Blüten (V.21) unterstreicht die beklemmende, todesverheißende Atmosphäre in der Natur zusätzlich.
Analog zum Naturzustand wandelt sich auch der Zustand und das Verhalten der Männer. Waren sie anfangs laut, vital, lebhaft und nach dem Verspeisen des „gewürzte[n] Fleisch[es]“ (V.9) satt, sind sie im zweiten Teil zuerst gelähmt und genauso verwirrt wie das Blattwerk über ihnen und dann in Teil 3 nach ihren erfolglosen, „mit schlaffen Armen“ (V.30) ausgeübten Befreiungsversuchen „schweigend“, „angstvoll“ und „von Hunger matt“ (V.39f.). Es muss also festgehalten werden, dass sich das Verhältnis zwischen Mensch und Wald in der Ballade umkehrt, was Brecht anhand dieser antithetischen Wortfelder besonders eindringlich verdeutlicht. Anfangs beuten die Männer den Wald für ihre Zwecke aus, schlachten Ochsen und schlagen Holz, um satt zu werden und es warm zu haben im „kühl[en]“ (V.10) Wald. Während sie dann schlafen, ermächtigt sich der Wald ihrer und „frisst“ sie am Ende buchstäblich auf. Diesen Rollentausch illustriert Brecht zusätzlich durch die anaphorische Wiederholung des Satzanfangs „Armdicke Äste, knorrig“ aus Vers 7 in Vers 19. Die Äste dienen den Männern anfangs als Hilfsmittel um ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen, in Vers 19 sind sie Teil der unaufhaltsam wuchernden Vegetation, die ihnen am Ende das Leben kosten wird. Die Natur wird vom Freund zum Feind, der Wald vom Überlebenshelfer zum Mörder. Eine ähnliche Entwicklung des Verhältnisses zwischen Mensch und Wald vollzieht sich auch in Joseph von Eichendorffs Ballade Waldgespräch, in der die Begegnung eines Mannes mit einer Frau in einem einsamen Wald thematisiert wird. Wie Brechts Eroberer ist der Mann anfangs der Überlegene und versucht die „schöne Braut“ zu verführen und sie wie selbstverständlich „heim“ zu „führ[en]“ (V.4). Schließlich entlarvt er die „wunderschön[e]“ (V.10) Frau als Hexe Lorelei und somit gewissermaßen als Bestandteil der ihn umgebenden Wald-Natur, aus der es für den Reiter „nimmermehr“ (V.16) Entkommen geben wird. Wie auch in Von des Cortez Leuten entpuppt sich der Wald als Ort großer Gefahr, in dem der Untergang des Subjekts unabwendbar bevorsteht. Dadurch, dass die von der Lorelei ausgehende Gefahr nicht mehr an einen Ort gebunden ist, sondern bei Eichendorff auch im einsamen Wald herrscht, wird dieser zur Metapher des Verlorenseins des Menschen in der Welt. Außerdem verbildlicht Eichendorff ganz im Sinne der Romantik die Abgründigkeit der Welt, die sich während des „Waldgesprächs“ zwischen Mann und Frau im Auseinandertreten von Schein und Realität zeigt. Ein Unterschied zu Brechts Ballade ist die Reaktion des Menschen angesichts seines Gefährdetseins, das ihm durch die Anwesenheit der Lorelei im Wald bewusst wird. Im Waldgespräch ruft der Reiter in seiner Angst Gott an, wobei offen bleibt, ob sein Ruf nach Transzendenz erhört werden und diese eingreifen wird. Bei Brecht gibt es diese letzte Hoffnung des in der Welt verlorenen Menschen nicht. Nach vergeblichen Versuchen, sich aus ihrer ausweglosen Situation zu befreien, müssen sich Cortez Männer wie „Affen / In ihren Käfigen“ (V.38f.) ergeben. Dieses Bild wirkt durch den Vergleich der Männer mit eingesperrten Tieren und die Personifikation des fressenden, übermächtigen Waldes (V.49) besonders trost- und hoffnungslos.
Die letzten Verse in Brechts Ballade nehmen mit dem „leichte[n] Wind“ und der „gute[n] Sonne“ (V.50) die friedliche Naturstimmung des Balladenanfangs wieder auf, wodurch der Eindruck entsteht, dass es sich beim Untergang der Männer um einen ganz natürlichen und im Kreislauf der Natur selbstverständlichen Vorgang gehandelt hat. Und hier wird ein weiterer wichtiger Unterschied in der Gestaltung des Verhältnisses von Mensch und Wald bei Eichendorff und Brecht sichtbar. Die Gefährdung der Männer durch den Wald wird in Brechts Ballade als verstörend natürlicher Sachverhalt dargestellt. Zwar spielt sich im Wald für den Leser Unvorstellbares ab, aber es sind nicht wie etwa in den naturmagischen Balladen Goethes dämonisch-mysteriöse Kräfte, die den Menschen mit sich in den Untergang reißen, sondern die natürliche, wenn auch ungewöhnlich mächtige, ja aggressive Vegetation des Waldes. Bei Eichendorff hingegen wird der Wald erst in Verbindung mit der Sagengestalt der Lorelei zum Ort der Gefahr.
Bei Brecht ist das Verlorensein des Subjekts in der Welt also weniger ein Gefährdetsein in den unergründlichen Weltzusammenhängen, aus dem es immer noch die Hoffnung auf Erlösung durch Gott gibt, sondern mehr ein hoffnungsloses Verlorensein, das sich der Mensch, das heißt unsere Gesellschaft, selbst geschaffen hat. Einerseits ist Brechts Ballade als Mahnung vor einem gierigen, materialistischen Verhalten wie das der Imperialisten zu lesen, die ihre rücksichtslose Ausbeutung der Natur für ihre Zwecke mit dem Leben bezahlen müssen. Berücksichtigt man jedoch die Tatsache, dass die Männer sich der Natur und ihrer Rohstoffe doch hauptsächlich zu Überlebenszwecken bedienen, so liegt es näher, dass sich Brechts Kritik weniger gegen die Männer, als gegen den in der Gedichthandlung nicht auftauchenden Cortez richtet. Ihr Anführer überlässt die Männer während der Eroberungszüge ihrem Schicksal. Und so illustriert Brecht hier die Ausbeutung des kleinen Mannes durch die Großen unserer Gesellschaft. Eine Deutung, die sich erst durch die Berücksichtigung des Balladentitels erschließt, der also weit mehr bezweckt, als die Handlung in einen konkreten historischen Kontext zu betten. Er will den Leser zur kritischen (Selbst-)Reflektion anregen, sodass er zu der Erkenntnis gelangt, dass es „die übermächtige gesellschaftliche Praxis, undurchschaubar für den kleinen Mann“2 ist, die Brecht in seiner Ballade Von des Cortez Leuten durch die aggressiv-übermächtige Naturgewalt versinnbildlicht.
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1 Vgl. Moritz, Karl: Deutsche Balladen. Analysen für den Deutschunterricht. Paderborn 1972, S. 179f.
2 Fritsch, Gerolf: Die deutsche Ballade zwischen Herders naturaler Theorie und später Industriegesellschaft. Stuttgart 1976, S. 73.
- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2013, Analyse und Interpetation von Bertolt Brechts Ballade "Von des Cortez Leuten", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/369257
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